Das Nero-System von Nightwatcher ================================================================================ Kapitel 1: Ein perfekter Start in den Urlaub -------------------------------------------- Ich sitze im Taxi und beobachte, wie die Landschaft vorbeizieht. Alles ist auf eine absurde Art und Weise vertraut und trotzdem fremd. Ich hatte ganz vergessen, wie es hier aussah, als ich noch hier lebte, doch jetzt bemerke ich jede Veränderung. Das Getreidefeld ist einem aus Raps gewichen und dort hinten fehlt ein Bäumchen. Doch ich lasse mir nichts anmerken. Ausdruckslos starre ich nach draußen. Meine Hand umfasst fest die Tasche, in der ich mein Scharfschützengewehr, eine Panda IIa, mein bester Freund, verstaut habe. Ich bemerke, wie der Taxifahrer immer wieder in den Spiegel blickt. Er fühlt sich unbeobachtet, doch er sollte es besser wissen. Ich könnte ihn darauf ansprechen, aber ich möchte jetzt gerne meine Ruhe haben. Wir erreichen das erste Haus des Dorfes. Die Fassade sieht verwittert aus. Ich lasse mich nun doch zu einer Gefühlsregung herab: ein Stirnrunzeln. Das Haus war früher in tadellosen Zustand. Der Rasen sah aus, wie mit einer Wasserwaage geschnitten und kein Kieselstein auf dem Weg lag auf dem falschen Platz. Doch nun… Der Vorgarten ist verwildert und der Kies durch Schlamm ersetzt. „Sie kommen vom Nero -System, nicht wahr?“, nimmt sich der Taxifahrer endlich ein Herz und fragt nach. Eigentlich ziehe ich es in solchen Situationen vor taktisch zu schweigen, doch der Weg ist nicht mehr weit und es wird auch nicht schaden mich wieder auf normale Unterhaltungen einzustellen. „Ja!“, sage ich also in dem Augenblick, als sich der Fahrer damit abfindet, dass ich nichts sagen werde. Verwundert schaut er in den Rückspiegel. Unsere Blicke treffen sich. „Wie sieht es dort aus? Ich meine, kann man den Berichten glauben?“, fragt er weiter. Ok, das ist nicht die Art von Gespräch, die ich führen möchte. Ich zucke mit den Schultern, was er natürlich nicht sieht, da er sich wieder auf die Straße konzentriert. Ich muss also wieder laut antworten: „Was sagen denn die Berichte?“. Mir geht diese Unterhaltung schon jetzt auf die Nerven und weiß nun wieder, warum ich mich bisher in Schweigen hüllte. Ich atme tief durch, zur Beruhigung. „Naja, in den Nachrichten sagen sie, dass drei von fünfzehn Planten erschlossen sind, weitere zwei stark umkämpft…“, bekomme ich eine vage Antwort. „Dann wird es wohl so sein!“, gebe ich ebenso vage zurück. Das Nero-System ist bisher einzigartig. Alle fünfzehn Planten sind bewohnt und einige Monde beheimaten einfachste Lebensformen. Wir sind dabei sie für die Menschen zu erschließen. Mit anderen Worten: Wir wollen Rohstoffe und Land. Einige Völker haben ein Handelsabkommen mit uns, andere… Naja, sagen wir, sie verhalten sich unkooperativ. Wie das Problem gelöst wird, bleibt der Erdbevölkerung verborgen, aber es gibt Gerüchte, schließlich arbeiten wir schon knapp acht Jahre an der Lösung. Der Taxifahrer hat verstanden. Er sagt nichts weiter zu dem Thema. Stattdessen fragt er: „Wo soll ich Sie denn absetzen?“. Ich überlege. Eigentlich wollte ich direkt nach Hause, doch plötzlich gefällt es mir nicht, dass der Mann weiß, wo ich wohne. „Am Sportpatz!“, sage ich deswegen. Er zögert. „Es gibt hier keinen Sportplatz mehr, schon seit Jahren nicht. Sie waren wohl lange weg?“. Ich sehe ihn ungläubig an. Kein Sportplatz mehr? Das war einer der wichtigsten Treffpunkte der Rentner. Ich übergehe seine Frage, nach meiner Einsatzdauer. Ich weiß es selber nicht mehr so genau, dazu müsste ich rechnen und dafür bin ich zu müde. Doch er hat Recht, es ist eine lange Zeit verstrichen, seit ich ging. Mehr, als bei jedem anderen, den ich kenne. „Dann lassen Sie mich einfach hier raus!“, sage ich. „Sicher? Es hat sich einiges verändert…“ „Tun Sie es einfach!“, meine Stimme bleibt ruhig. Er hält am Straßenrand an. Der Fahrer dreht sich zu mir um „Das macht dann 40,45 Dollar!“, sagt er. Ich drücke ihm fünfzig in die Hand, greife nach meiner Sport- und der Gewehrtasche und verlasse das Auto. Ein letzter Blick, um zu schauen, ob ich nicht etwas im Auto verloren oder liegen gelassen habe, dann mache ich dir Tür zu und gehe. Das Taxi schwebt an mir vorbei. Antigravitation. Wie jede gute Erfindung, die den Alltag der Menschen erleichtert, ist diese Technologie dem Militär zu verdanken. Ich frage mich, wo wir ohne die gute alte Armee wären. Es wird dunkel. Im Nero-System wird es das nie ganz, doch hier auf der Erde kann man noch die Sterne bewundern. Es ist ungewohnt. Meine Gewehrtasche hab ich mir über die Schulter geworfen und schnellen Schrittes mach ich mich auf den Weg. Noch sieht alles aus, wie früher, ein bisschen heruntergekommen vielleicht, aber verirren könnte ich mich hier nicht. Es ist ruhig, keine Menschenseele lässt sich auf den Straßen blicken. Das ist mir nur recht. Wie ich hier nun laufe, muss ich feststellen, dass ich froh bin nicht direkt Heim gefahren zu sein. So kann ich mir noch ein paar Gedanken machen. Es gibt einen guten Grund, warum ich mich bisher vor einem Urlaub gedrückt habe. Die offizielle Version lautet, dass ich keinen Bock auf einen monatelangen Flug hab, aber eigentlich möchte ich meine Familie nicht sehen. Es gibt da ein paar… Differenzen. Freiwillig bin ich auch nicht hier. Mein Offizier hat mich in den Zwangsurlaub versetzt. Scheiße, wie ich ihn dafür hasse. Mein ursprünglicher Plan war, mich auf Mallorca oder so abzusetzen, aber er drohte mir, mich ins Büro zu versetzen, wenn ich die Zeit nicht bei meiner Familie verbringe. Er weiß besser als jeder andere, womit er mir drohen kann. Tja, nun bin ich hier. Das Problem ist, niemand hier auf der Erde weiß, dass ich komme. Ich wollte Bescheid sagen, aber ich konnte nicht. Hoffentlich bleibt Mutters Herz nicht stehen… Zielsicher bringen mich meine Füße in die gewünschte Straße. Hier stehen Blocks und Einfamilienhäuser. Schon von weitem erkenne ich das Haus meiner Eltern und bleibe stehen. Es fühlt sich falsch an hier zu sein. Das ist nicht mehr meine Heimat. Ich höre Schritte hinter mir und wirble herum. Doch es ist nur eine alte Frau. Erleichtert entspanne ich mich. Sie läuft gebückt mit Gehhilfe. Warum lässt sie sich nicht operieren? Die Frau bleibt stehen und schaut mich an. Sie bemerkt meinen düsteren Blick und geht schnell weiter. Schnell? Naja, Geschwindigkeit ist relativ. Ich wende mich ab und setze meinen Weg fort. Mittlerweile ist es richtig dunkel geworden, ein Umstand, an den ich mich noch gewöhnen muss. Meine Augen sind auf dieses Lichtverhältnis nicht eingestellt, die Straßenlaternen brennen zwar, aber sie sorgen für noch unangenehmere Lichtverhältnisse. Mein Blick irrt wieder Richtung Haus. Es ist weiß und im Gegensatz zu den anderen Häusern erstrahlt es in frischer Farbe, so wie es sich für die Residenz eines ehemaligen Malers gehört. Das letzte was ich von ihm hörte, war, dass Papa in Rente gegangen ist. Die Nachricht bekam ich vor gut drei Jahren, seit dem halte ich keinen Kontakt mehr zu meiner Familie. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich. Sie konnten natürlich auch umgezogen sein. Doch darüber hätten sie mich bestimmt informiert. Ich erreiche das Haus und schaue mir das Namensschild auf dem Briefkasten an: „Reyer“. Doch, offensichtlich bin ich hier richtig. Kein Licht brennt, vielleicht sind sie in der Stube, dann kann ich das Licht nicht sehen. Plötzlich höre ich etwas, das nicht in diese ruhige Gegend passt. Ein Scheppern und ein Schrei. Adrenalin schießt durch meine Venen und ich sehe mich um. Vor meinen Augen tanzen grelle Lichter, weil ich den Fehler gemacht habe direkt in das Licht einer Laterne zu schauen. Verflucht sei dieser Planet! Trotzdem sehe ich augenblicklich was vor sich geht. Die alte Frau von vorhin ist gestürzt, aber nicht von allein. Drei dunkle Gestalten haben sie eingekreist. Ich lasse meine Sporttasche fallen und eile die gut hundert Meter zurück. Ruhig packe ich mein Gewehr aus. Ich denke zwar nicht, dass ich es brauche, aber es schüchtert schon mal ein. Die Gewehrtasche lasse ich im Gehen einfach fallen. Ich kann sie nachher einsammeln. Ich lade und entsichere meinen Schatz. „Hey!“, brülle ich. Irritiert hält eine der Gestalten inne und schaut mich an, sie muss mich anschauen, denn ihr Kopf ruckt in meine Richtung. Das Gesicht kann ich nicht erkennen, der Schatten einer dunklen Kapuze verdeckte es. Ebenso bei den anderen zwei, die mich einfach ignorieren. Einer packte die verängstigte Frau am Ellbogen und sie wimmert auf. „Lasst sofort die Oma in Ruhe!“, knurre ich. Ich lasse einen Sicherheitsabstand und lege das Gewehr an. Ich ziele schon mal. Natürlich habe ich nicht vor zu schießen, das würde mir zu viel Ärger einhandeln, aber auf der anderen Seite… Die Gestalt, die mich beachtet, gibt den anderen ein Zeichen vorerst aufzuhören. Der Anführer also. „Nimm bitte die Waffe herunter! Du machst mich nervös!“, bittet er in einer quietschigen Stimme. Ich kann ihn so nicht ernst nehmen. „Geht weg von ihr!“, sage ich ruhig und verharre in meiner Position „Dann kann ich das Gewehr herunternehmen.“. Zögernd tun sie, was ich sage und auch ich halte mich an die Abmachung. Etwas entspannter stehe ich aufrecht da. Einer der beiden anderen sagt etwas in einer anderen Sprache, von der er glaubt, dass ich es nicht verstehe. Seine Worte bestehen nur aus Klicklauten, weshalb ich auf der Gemeinsprache der Erde antworten muss, denn diese Laute, kann ein Mensch nicht nachahmen. „Ich bin durchaus dazu geneigt euch abzuknallen, wenn ihr nicht kooperiert!“. Der Alien zeigt keine Regung, darüber, dass ich ihn verstanden habe. „Ganz ruhig!“, sagt der Anführer mit der seltsamen Stimme und hebt beschwichtigend die Hände, oder Klauen. Der ist also auch kein Mensch, das erklärt seine Stimme, aber ich kann nicht sagen, welches Wesen das ist. Ich muss vorsichtig sein. „Was soll das? Warum überfallt ihr die Frau?“, frage ich. Schweigen. Was soll’s? „Ach, scheiß drauf! Seht zu das ihr Land gewinnt!“. Noch immer keine Regung. Verärgert verenge ich meine Augen. „Glaub nicht, dass wir nicht wissen, wer du bist!“, sagt der Anführer „Du solltest besser zusehen, dass du mit uns keinen Ärger bekommst. Du bist nicht ewig hier, wir aber schon!“ „Willst du mir etwa drohen?“, mein Ärger nimmt zu. „Nicht dir! Aber denk an deine Familie!“. Jetzt reicht es mir! Ich reiße mein Gewehr wieder hoch und gebe einen Warnschuss ab, direkt vor die Füße des Klauenaliens. Erschrocken springt er zurück. Allerdings geschieht etwas, womit ich nicht rechnete. Das Klickwesen springt mich an und wirft mich zu Boden. Es handelt sich um einen Duraner und die sind extrem schnell, angriffslustig und kräftig. Allein die Tatsache, dass ich meine Uniform noch nicht gegen Zivilkleidung getauscht habe schützt mich vor groben Verletzungen. Seine Stacheln durchbohren den Stoff meiner Jacke und treffen auf meine Panzerung, was von einem unangenehm hohen Schaben begleitet wird. Sein geiferndes Maul halte ich auf, indem ich meine Pander quer dazwischen schiebe. Ich versuche ihn zu treten, aber er hält mich so fest, dass ich nichts treffen kann. „Du blödes Mistvieh“, zische ich. Die Kapuze rutscht ihm herunter und ich kann seine hässliche Visage sehen. Vor ein paar Jahren wäre mit bei diesem Anblick schlecht geworden, aber seit dem habe ich noch ganz andere Sache zu Gesicht bekommen. Ich verpasse ihm eine Kopfnuss. Es ekelt mich zwar an, dass ich ihn mit bloßer Haut berühren muss, aber eine andere Option bleibt nicht, wenn ich nicht als Alienfutter enden will. Mein Schädel kracht gegen seinen und schon jetzt hab ich mächtiges Schädelbrummen. Ich will gar nicht wissen, wie sich der Duraner fühlt. Er lässt mich nicht los, aber locker genug, damit ich mich mit einem Ruck befreien und im Aufstehen mein Messer aus dem Stiefelschaft ziehen kann. Das Biest springt mich sofort wieder an, doch dieses Mal erwarte ich den Angriff. Ich lasse ihn ins Leere laufen, indem ich im letzten Augenblick zur Seite gehe. Er stürzt, von seinem eigenen Schwung mitgerissen. Nun greift mich die dritte Gestalt an, die, die bisher noch nichts getan hat. Sie ist groß. Wieder gehe ich von einem Außerirdischen aus, vielleicht ein Lorané, der Größe und Masse nach. Mit dem Messer werde ich wohl gegen seine Panzerung nicht ankommen. Ich halte Ausschau nach dem Gewehr, dass der Duraner ausgespuckt hat, aber es liegt außerhalb meiner Sichtweite. Ich ducke mich unter einem unpräzisen Schlag weg. Vielleicht doch kein Lorané? Dann wäre mir das Glück ausnahmsweise hold. Apropos, was macht der Duraner gerade? Ich blicke gerade rechtzeitig über die Schulter, um mich in letzter Sekunde auf den Boden fallen zu lassen. Verflucht! Ich rolle mich ab und als ich wieder auf den Beinen stehe, trifft mich eine Faust mitten ins Gesicht. Durch meine tränenden Augen sehe ich ein menschliches Grinsen. Gut, dann kämpfe ich eben gegen einen großen, massigen Menschen, das sollte zu schaffen sein, sobald ich mir dieses Stachelvieh vom Hals geschafft habe. Der Mensch holt zu einem weiteren Schlag aus, aber ich kann ausweichen. Seinen nächsten Angriff blocke ich und schlage zurück. Irgendwas Nasses und Klebriges fließt aus meiner Nase. Scheiße, Blut! Das wird den Duraner noch mehr anstacheln. Ich verpasse dem Mensch einen saftigen Tritt in die Magengegend, der ihn für einige Zeit der Schmerzen wegen ausschalten sollte, als mir das Standbein weggezogen wird. Ich knalle auf den Asphalt. Ein stechender Schmerz durchfährt meinen rechten Arm. Das Biest hat mich mit einem seiner Stacheln erwischt! Ein Stöhnen finden den Weg über meine Lippen. Mit einem Schmatzen fährt der Stachel wieder heraus. Doppeltscheiße, Gift! Und wo ist das Vieh jetzt? Ich kann aufstehen, aber mein Arm hängt schon jetzt unbrauchbar herunter. Ich habe kein Gefühl mehr darin und ich weiß, das wird sich über den gesamten Körper verteilen, bis mein Herz gelähmt ist und ich tot bin. Suchend schaue ich mich um. Ein Stoß in meinen Rücken und wieder liege ich auf der Straße. So ein Mist! Das darf mir nicht passieren! Kurzer Hand ändere ich meine Taktik und bleibe liegen. Ich tue so, als wäre ich kurz vor dem Knockout, doch in Wahrheit lausche ich. Der Mensch krümmt sich immer noch wegen des Trittes. Vielleicht habe ich ein paar lebenswichtige Organe kaputt gemacht, wenn der Tritt tiefer war, als angenommen. Ich höre es leise klicken. Klingt für mich ganz nach Vorfreude. Ein zischen in der Luft und ich drehe mich auf den Rücken und werfe mein Messer. Ich treffe den Duraner an der der linken Schulter und grünes Sekret spritzt aus dem Körper direkt in mein Gesicht. Die Wunde ist für ihn nicht tödlich, nur schmerzhaft. Ich springe auf die Beine und mir wird schwindelig. Meine Hand verfehlt den Griff der Waffe, die ich aus dem Körper des Monsters ziehen will, aber ich bringe es mit meinem ungewollten Stoß immerhin aus dem Gleichgewicht. Ich selbst kann mich gerade noch fangen, um nicht auf ihm und in den Stacheln zu landen. Die Lähmung zieht sich nun meine rechte Seite bis zur Hüfte hinab. Nie hätte ich gedacht, dass Duranergift so schnell wirkt. Endlich bekomme ich mein Messer zu fassen und in einer Bewegung ziehe ich es heraus und hau dem Alien vor mir mit dem Knauf eine gegen den Schädel. Dann gleich noch ein zweites Mal, nur um sicher zu gehen, doch er regt sich schon nicht mehr. Ich schätze, dass er sich in einer halben Stunde wieder erholt hat. Jetzt spüre ich meinen rechten Oberschenkel langsam nicht mehr. Verfluchte Scheiße! Hätten die ihren Angriff nicht starten können, bis ich im Haus war? Ich wende mich dem Anführer zu. „Ich habe noch genug Zeit mich um dich zu kümmern!“, sage ich durch zusammengebissene Zähne „Verschwinde bloß und lass dich hier nicht mehr blicken!“ „Du lebst nicht mehr lange!“, stellt er fest. Belustigt schnaufe ich durch die Nase „Vielleicht, vielleicht aber auch nicht! Wenn du mich wirklich kennst, dann weißt du auch, dass mir schon Schlimmeres ins Blut gejagt wurde!“, ein Bluff, aber das weiß Quitschestimmchen natürlich nicht. „Pack dein Fußvolk und geh! Ich will dich hier nie wieder sehen!“. Einen Augenblick herrscht Stille auf der Straße und dann geschieht, womit ich nicht rechne, der Anführer gibt dem Hünen ein Zeichen. Er geht gekrümmt, aber reißt sich zusammen und packt den Duraner am Bein und schleift ihn hinter sich her. Sie entschwinden in der Dunkelheit und in diesem Augenblick gibt mein Bein nach. Die alte Frau, die die ganze Zeit über verängstigt auf dem Boden hockte steht endlich auf, schnappt sich die Gehhilfe und humpelt langsam zu mir. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragt sie zaghaft. Verdammt, sollte ich ihr nicht diese Frage stellen? Doch das Gift breitet sich langsam in meiner Brust aus. Ich gebe mir noch eine Minute. In meiner Sporttasche habe ich ein Universalgegengift. Es wirkt gegen so ziemlich alles, vermutlich auch gegen Duranergift, aber sicher bin ich mir nicht. Für gewöhnlich habe ich es mit anderen Rassen zu tun. Ich antworte ihr nicht, sondern zwinge mich dazu aufzustehen und Richtung Terrasse zu humpeln. Meine Sachen muss ich später aufsammeln, erst mal muss ich an die Sporttasche kommen. Auf einmal kommt mir der Weg so lang vor. Ich spüre mein rechtes Bein nicht mehr. Endlich erreiche ich die Treppe. Die Stufen krieche ich fast hinauf. Fahrig öffne ich die Tasche und wühle herum. Warum um alles in der Welt muss ich die wichtigen Sachen immer nach unten Packen. Ungelenk beschließe ich, die Sache zu beschleunigen und kippe den Inhalt aus. Ich atme nur noch stoßweise. Kein gutes Zeichen. Bücher, Kulturbeutel, Unterwäsche, aber kein Etui mit Spritze und Gegengift. Ich schwitze wie ein Schwein. Mein Körper wehrt sich, allerdings wird dies für umsonst sein, wenn ich das Gesuchte nicht finde! Endlich komme ich auf die Idee in den Seitentaschen nachzusehen. Meine Finger umschließen einen metallenen Quader. Das muss es sein! Zitternd fingere ich ihn heraus. Ich habe Probleme den Verschluss zu öffnen und so langsam dämmert mir, dass ich es nicht schaffen werde mir die Spritze aufzuziehen und ordentlich zu setzen. Mein Körper verkrampft sich und ich stöhne. Ich will nicht sterben. Da steht plötzlich die alte Frau neben mir und nimmt die Spritze aus meiner zitternden Hand und zieht sie auf. Sie will sie neben der Giftinjektion setzten, aber ich schüttele den Kopf. „Nein!“, stöhne ich „Neben das Herz!“. Sie nickt. Ich spüre die Injektion nicht und auch die Krämpfe lassen nicht nach. Schöner Urlaub! Auf Artemis wäre mir das nie passiert! Ich schließe langsam mit meinem Leben ab. „Bleiben Sie hier! Ich rufe den Krankenwagen!“, dringt eine alte Stimme durch die Watte in mein Ohr. Ich greife nach der Frau. „Nein!“, stoße ich aus „Das wird schon!“. Das letzte was ich jetzt brauchen kann, sind übereifrige Ärzte. Ich will meine Ruhe. Mein Körper hört auf sich zu verkrampfen und übrig bleibt Schmerz. Langsam weicht die Lähmung zurück. Ich ziehe mich am Treppengeländer hoch „Sehen Sie?“, sage ich mit zusammengepressten Zähnen. Die Frau schaut mich skeptisch an. Ich steige langsam die Treppe hinab. Es wird Zeit mein Baby und seine Tragetasche wieder aufzuheben. Die Frau folgt mir auf Schritt und Tritt. Das macht mich nervös, aber ich verkneife mir eine entsprechende bissige Bemerkung. Zuerst erreiche ich die Tasche und schultere sie mir. Ich merke, wie mir die Bewegung gut tut. Sie lockert die Muskeln, auch wenn jeder Schritt und jeder Atemzug schmerzt. Dann hebe ich mein Gewehr auf. Es sieht nicht mehr allzu gut aus. Ich werde mir ein paar Ersatzteile besorgen müssen, die Zähne des Duraners haben mächtige Löcher hineingebohrt. Zart streichle ich meinen Freund. Wieder einmal hat es mir das Leben gerettet. Behutsam packe ich es in seine Tasche zurück. Hinter mir steht noch immer diese Frau. Ich knirsche mit den Zähnen. Will die mir wie ein Schatten folgen? Ich drehe mich zu ihr um „Wollen Sie noch was?“, meine Stimme klingt angespannt und gepresst. Verdattert schaut mich die Alte an. Ihre Lippen beben, als wollte sie etwas sagen, dass ihr schwer fällt. „Ich kenne Sie!“, stellt sie dann einfach fest. Ich krame den herablassendsten Blick hervor, den ich gerade auf Lager habe. Was soll ich mit dieser Information anfangen? „Sie sind das kleine Reyer-Mädchen! Sie haben früher immer mit meinem Mario gespielt!“. Genervt puste ich mir eine verklebte Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich werde ewig brauchen mir das Sekret von Haut und Haaren zu waschen. „Und?“, frage ich unfreundlich. Die Frau hadert mit sich selbst. Zu meinem Leid überwindet sie die Scheu. „Er ist beim Militär, genau wie Sie. Ich hab schon so lange keine Nachricht mehr von ihm erhalten. Haben Sie ihn vielleicht mal gesehen?“. Sie hat mir geholfen, sie verdient eine ehrliche Antwort. „Nein!“, sage ich. Die Frau kann ihre Enttäuschung nicht verbergen und der Blick bohrt sich tief in mein Herz. Wenn das Tony wüsste. Tony ist mein Pilot und bezeichnet mich gern als herzlos. Ich zwinge meine Stimme zu einem weicheren Tonfall: „Es sind viele Soldaten bei uns stationiert und es gleicht einem Wunder ein bekanntes Gesicht zu sehen. Kennen Sie seine Einheit?“. Die Frau schüttelt den Kopf. Ich lächle bedauernd „Dann kann ich Ihnen leider nicht helfen! Sollte ich ihn aber mal sehen, dann sage ich, er soll sich bei Ihnen melden!“. Einen Scheiß werde ich, aber das muss ich ihr nicht sagen. Es wird schon einen guten Grund geben, weshalb er sich nicht meldet. Wenn jemand zu mir käme und mir sagt, ich soll meiner Familie gefälligst ein Lebenszeichen senden, ich würde ihm die Leviten lesen. Meine Leben, meine Entscheidungen. Keine Einmischung, so mag ich es. Man sieht ja hier, wohin das führt. Tod durch Urlaub! Das klingt doch mal toll. Ich merke, wie es mir immer besser geht. Wer hätte das gedacht? „Was wollten die Typen überhaupt von Ihnen?“, frage ich die Frau. Einen Augenblick ist sie wegen des plötzlichen Themenwechsels irritiert, doch dann antwortet sie: „Geld, nehme ich an, oder Spaß. Ich muss Ihnen für Ihre Hilfe danken. Normalerweise schauen alle weg, denn die Angst als nächstes dran zu sein ist zu groß. Geht es Ihnen wirklich gut?“. Geistesabwesend nicke ich. Steht es wirklich so schlecht um die Erde? Ich habe von einigen Urlaubern gehört, die von Banden und Gangs erzählt haben. „Danke für die Injektion!“, sage ich und deute auf mein Herz. „Nichts zu danken, ohne mich hätten Sie die gar nicht gebraucht!“, die Frau winkt ab. Da hat sie allerdings Recht. „Ich muss mich jetzt ausruhen. Man sieht sich!“, ich wende mich ab und gehe zurück zum Haus. Meine Beine sind nicht mehr steif. Ich kann mich normal bewegen. „Warten Sie!“, ruft die Frau. Ich reagiere nicht. „Gehen Sie morgen bitte zum Arzt und passen Sie bitte gut auf Ihre Familie auf!“. Ich ignoriere sie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)