Das Nero-System von Nightwatcher ================================================================================ Kapitel 1: Ein perfekter Start in den Urlaub -------------------------------------------- Ich sitze im Taxi und beobachte, wie die Landschaft vorbeizieht. Alles ist auf eine absurde Art und Weise vertraut und trotzdem fremd. Ich hatte ganz vergessen, wie es hier aussah, als ich noch hier lebte, doch jetzt bemerke ich jede Veränderung. Das Getreidefeld ist einem aus Raps gewichen und dort hinten fehlt ein Bäumchen. Doch ich lasse mir nichts anmerken. Ausdruckslos starre ich nach draußen. Meine Hand umfasst fest die Tasche, in der ich mein Scharfschützengewehr, eine Panda IIa, mein bester Freund, verstaut habe. Ich bemerke, wie der Taxifahrer immer wieder in den Spiegel blickt. Er fühlt sich unbeobachtet, doch er sollte es besser wissen. Ich könnte ihn darauf ansprechen, aber ich möchte jetzt gerne meine Ruhe haben. Wir erreichen das erste Haus des Dorfes. Die Fassade sieht verwittert aus. Ich lasse mich nun doch zu einer Gefühlsregung herab: ein Stirnrunzeln. Das Haus war früher in tadellosen Zustand. Der Rasen sah aus, wie mit einer Wasserwaage geschnitten und kein Kieselstein auf dem Weg lag auf dem falschen Platz. Doch nun… Der Vorgarten ist verwildert und der Kies durch Schlamm ersetzt. „Sie kommen vom Nero -System, nicht wahr?“, nimmt sich der Taxifahrer endlich ein Herz und fragt nach. Eigentlich ziehe ich es in solchen Situationen vor taktisch zu schweigen, doch der Weg ist nicht mehr weit und es wird auch nicht schaden mich wieder auf normale Unterhaltungen einzustellen. „Ja!“, sage ich also in dem Augenblick, als sich der Fahrer damit abfindet, dass ich nichts sagen werde. Verwundert schaut er in den Rückspiegel. Unsere Blicke treffen sich. „Wie sieht es dort aus? Ich meine, kann man den Berichten glauben?“, fragt er weiter. Ok, das ist nicht die Art von Gespräch, die ich führen möchte. Ich zucke mit den Schultern, was er natürlich nicht sieht, da er sich wieder auf die Straße konzentriert. Ich muss also wieder laut antworten: „Was sagen denn die Berichte?“. Mir geht diese Unterhaltung schon jetzt auf die Nerven und weiß nun wieder, warum ich mich bisher in Schweigen hüllte. Ich atme tief durch, zur Beruhigung. „Naja, in den Nachrichten sagen sie, dass drei von fünfzehn Planten erschlossen sind, weitere zwei stark umkämpft…“, bekomme ich eine vage Antwort. „Dann wird es wohl so sein!“, gebe ich ebenso vage zurück. Das Nero-System ist bisher einzigartig. Alle fünfzehn Planten sind bewohnt und einige Monde beheimaten einfachste Lebensformen. Wir sind dabei sie für die Menschen zu erschließen. Mit anderen Worten: Wir wollen Rohstoffe und Land. Einige Völker haben ein Handelsabkommen mit uns, andere… Naja, sagen wir, sie verhalten sich unkooperativ. Wie das Problem gelöst wird, bleibt der Erdbevölkerung verborgen, aber es gibt Gerüchte, schließlich arbeiten wir schon knapp acht Jahre an der Lösung. Der Taxifahrer hat verstanden. Er sagt nichts weiter zu dem Thema. Stattdessen fragt er: „Wo soll ich Sie denn absetzen?“. Ich überlege. Eigentlich wollte ich direkt nach Hause, doch plötzlich gefällt es mir nicht, dass der Mann weiß, wo ich wohne. „Am Sportpatz!“, sage ich deswegen. Er zögert. „Es gibt hier keinen Sportplatz mehr, schon seit Jahren nicht. Sie waren wohl lange weg?“. Ich sehe ihn ungläubig an. Kein Sportplatz mehr? Das war einer der wichtigsten Treffpunkte der Rentner. Ich übergehe seine Frage, nach meiner Einsatzdauer. Ich weiß es selber nicht mehr so genau, dazu müsste ich rechnen und dafür bin ich zu müde. Doch er hat Recht, es ist eine lange Zeit verstrichen, seit ich ging. Mehr, als bei jedem anderen, den ich kenne. „Dann lassen Sie mich einfach hier raus!“, sage ich. „Sicher? Es hat sich einiges verändert…“ „Tun Sie es einfach!“, meine Stimme bleibt ruhig. Er hält am Straßenrand an. Der Fahrer dreht sich zu mir um „Das macht dann 40,45 Dollar!“, sagt er. Ich drücke ihm fünfzig in die Hand, greife nach meiner Sport- und der Gewehrtasche und verlasse das Auto. Ein letzter Blick, um zu schauen, ob ich nicht etwas im Auto verloren oder liegen gelassen habe, dann mache ich dir Tür zu und gehe. Das Taxi schwebt an mir vorbei. Antigravitation. Wie jede gute Erfindung, die den Alltag der Menschen erleichtert, ist diese Technologie dem Militär zu verdanken. Ich frage mich, wo wir ohne die gute alte Armee wären. Es wird dunkel. Im Nero-System wird es das nie ganz, doch hier auf der Erde kann man noch die Sterne bewundern. Es ist ungewohnt. Meine Gewehrtasche hab ich mir über die Schulter geworfen und schnellen Schrittes mach ich mich auf den Weg. Noch sieht alles aus, wie früher, ein bisschen heruntergekommen vielleicht, aber verirren könnte ich mich hier nicht. Es ist ruhig, keine Menschenseele lässt sich auf den Straßen blicken. Das ist mir nur recht. Wie ich hier nun laufe, muss ich feststellen, dass ich froh bin nicht direkt Heim gefahren zu sein. So kann ich mir noch ein paar Gedanken machen. Es gibt einen guten Grund, warum ich mich bisher vor einem Urlaub gedrückt habe. Die offizielle Version lautet, dass ich keinen Bock auf einen monatelangen Flug hab, aber eigentlich möchte ich meine Familie nicht sehen. Es gibt da ein paar… Differenzen. Freiwillig bin ich auch nicht hier. Mein Offizier hat mich in den Zwangsurlaub versetzt. Scheiße, wie ich ihn dafür hasse. Mein ursprünglicher Plan war, mich auf Mallorca oder so abzusetzen, aber er drohte mir, mich ins Büro zu versetzen, wenn ich die Zeit nicht bei meiner Familie verbringe. Er weiß besser als jeder andere, womit er mir drohen kann. Tja, nun bin ich hier. Das Problem ist, niemand hier auf der Erde weiß, dass ich komme. Ich wollte Bescheid sagen, aber ich konnte nicht. Hoffentlich bleibt Mutters Herz nicht stehen… Zielsicher bringen mich meine Füße in die gewünschte Straße. Hier stehen Blocks und Einfamilienhäuser. Schon von weitem erkenne ich das Haus meiner Eltern und bleibe stehen. Es fühlt sich falsch an hier zu sein. Das ist nicht mehr meine Heimat. Ich höre Schritte hinter mir und wirble herum. Doch es ist nur eine alte Frau. Erleichtert entspanne ich mich. Sie läuft gebückt mit Gehhilfe. Warum lässt sie sich nicht operieren? Die Frau bleibt stehen und schaut mich an. Sie bemerkt meinen düsteren Blick und geht schnell weiter. Schnell? Naja, Geschwindigkeit ist relativ. Ich wende mich ab und setze meinen Weg fort. Mittlerweile ist es richtig dunkel geworden, ein Umstand, an den ich mich noch gewöhnen muss. Meine Augen sind auf dieses Lichtverhältnis nicht eingestellt, die Straßenlaternen brennen zwar, aber sie sorgen für noch unangenehmere Lichtverhältnisse. Mein Blick irrt wieder Richtung Haus. Es ist weiß und im Gegensatz zu den anderen Häusern erstrahlt es in frischer Farbe, so wie es sich für die Residenz eines ehemaligen Malers gehört. Das letzte was ich von ihm hörte, war, dass Papa in Rente gegangen ist. Die Nachricht bekam ich vor gut drei Jahren, seit dem halte ich keinen Kontakt mehr zu meiner Familie. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich. Sie konnten natürlich auch umgezogen sein. Doch darüber hätten sie mich bestimmt informiert. Ich erreiche das Haus und schaue mir das Namensschild auf dem Briefkasten an: „Reyer“. Doch, offensichtlich bin ich hier richtig. Kein Licht brennt, vielleicht sind sie in der Stube, dann kann ich das Licht nicht sehen. Plötzlich höre ich etwas, das nicht in diese ruhige Gegend passt. Ein Scheppern und ein Schrei. Adrenalin schießt durch meine Venen und ich sehe mich um. Vor meinen Augen tanzen grelle Lichter, weil ich den Fehler gemacht habe direkt in das Licht einer Laterne zu schauen. Verflucht sei dieser Planet! Trotzdem sehe ich augenblicklich was vor sich geht. Die alte Frau von vorhin ist gestürzt, aber nicht von allein. Drei dunkle Gestalten haben sie eingekreist. Ich lasse meine Sporttasche fallen und eile die gut hundert Meter zurück. Ruhig packe ich mein Gewehr aus. Ich denke zwar nicht, dass ich es brauche, aber es schüchtert schon mal ein. Die Gewehrtasche lasse ich im Gehen einfach fallen. Ich kann sie nachher einsammeln. Ich lade und entsichere meinen Schatz. „Hey!“, brülle ich. Irritiert hält eine der Gestalten inne und schaut mich an, sie muss mich anschauen, denn ihr Kopf ruckt in meine Richtung. Das Gesicht kann ich nicht erkennen, der Schatten einer dunklen Kapuze verdeckte es. Ebenso bei den anderen zwei, die mich einfach ignorieren. Einer packte die verängstigte Frau am Ellbogen und sie wimmert auf. „Lasst sofort die Oma in Ruhe!“, knurre ich. Ich lasse einen Sicherheitsabstand und lege das Gewehr an. Ich ziele schon mal. Natürlich habe ich nicht vor zu schießen, das würde mir zu viel Ärger einhandeln, aber auf der anderen Seite… Die Gestalt, die mich beachtet, gibt den anderen ein Zeichen vorerst aufzuhören. Der Anführer also. „Nimm bitte die Waffe herunter! Du machst mich nervös!“, bittet er in einer quietschigen Stimme. Ich kann ihn so nicht ernst nehmen. „Geht weg von ihr!“, sage ich ruhig und verharre in meiner Position „Dann kann ich das Gewehr herunternehmen.“. Zögernd tun sie, was ich sage und auch ich halte mich an die Abmachung. Etwas entspannter stehe ich aufrecht da. Einer der beiden anderen sagt etwas in einer anderen Sprache, von der er glaubt, dass ich es nicht verstehe. Seine Worte bestehen nur aus Klicklauten, weshalb ich auf der Gemeinsprache der Erde antworten muss, denn diese Laute, kann ein Mensch nicht nachahmen. „Ich bin durchaus dazu geneigt euch abzuknallen, wenn ihr nicht kooperiert!“. Der Alien zeigt keine Regung, darüber, dass ich ihn verstanden habe. „Ganz ruhig!“, sagt der Anführer mit der seltsamen Stimme und hebt beschwichtigend die Hände, oder Klauen. Der ist also auch kein Mensch, das erklärt seine Stimme, aber ich kann nicht sagen, welches Wesen das ist. Ich muss vorsichtig sein. „Was soll das? Warum überfallt ihr die Frau?“, frage ich. Schweigen. Was soll’s? „Ach, scheiß drauf! Seht zu das ihr Land gewinnt!“. Noch immer keine Regung. Verärgert verenge ich meine Augen. „Glaub nicht, dass wir nicht wissen, wer du bist!“, sagt der Anführer „Du solltest besser zusehen, dass du mit uns keinen Ärger bekommst. Du bist nicht ewig hier, wir aber schon!“ „Willst du mir etwa drohen?“, mein Ärger nimmt zu. „Nicht dir! Aber denk an deine Familie!“. Jetzt reicht es mir! Ich reiße mein Gewehr wieder hoch und gebe einen Warnschuss ab, direkt vor die Füße des Klauenaliens. Erschrocken springt er zurück. Allerdings geschieht etwas, womit ich nicht rechnete. Das Klickwesen springt mich an und wirft mich zu Boden. Es handelt sich um einen Duraner und die sind extrem schnell, angriffslustig und kräftig. Allein die Tatsache, dass ich meine Uniform noch nicht gegen Zivilkleidung getauscht habe schützt mich vor groben Verletzungen. Seine Stacheln durchbohren den Stoff meiner Jacke und treffen auf meine Panzerung, was von einem unangenehm hohen Schaben begleitet wird. Sein geiferndes Maul halte ich auf, indem ich meine Pander quer dazwischen schiebe. Ich versuche ihn zu treten, aber er hält mich so fest, dass ich nichts treffen kann. „Du blödes Mistvieh“, zische ich. Die Kapuze rutscht ihm herunter und ich kann seine hässliche Visage sehen. Vor ein paar Jahren wäre mit bei diesem Anblick schlecht geworden, aber seit dem habe ich noch ganz andere Sache zu Gesicht bekommen. Ich verpasse ihm eine Kopfnuss. Es ekelt mich zwar an, dass ich ihn mit bloßer Haut berühren muss, aber eine andere Option bleibt nicht, wenn ich nicht als Alienfutter enden will. Mein Schädel kracht gegen seinen und schon jetzt hab ich mächtiges Schädelbrummen. Ich will gar nicht wissen, wie sich der Duraner fühlt. Er lässt mich nicht los, aber locker genug, damit ich mich mit einem Ruck befreien und im Aufstehen mein Messer aus dem Stiefelschaft ziehen kann. Das Biest springt mich sofort wieder an, doch dieses Mal erwarte ich den Angriff. Ich lasse ihn ins Leere laufen, indem ich im letzten Augenblick zur Seite gehe. Er stürzt, von seinem eigenen Schwung mitgerissen. Nun greift mich die dritte Gestalt an, die, die bisher noch nichts getan hat. Sie ist groß. Wieder gehe ich von einem Außerirdischen aus, vielleicht ein Lorané, der Größe und Masse nach. Mit dem Messer werde ich wohl gegen seine Panzerung nicht ankommen. Ich halte Ausschau nach dem Gewehr, dass der Duraner ausgespuckt hat, aber es liegt außerhalb meiner Sichtweite. Ich ducke mich unter einem unpräzisen Schlag weg. Vielleicht doch kein Lorané? Dann wäre mir das Glück ausnahmsweise hold. Apropos, was macht der Duraner gerade? Ich blicke gerade rechtzeitig über die Schulter, um mich in letzter Sekunde auf den Boden fallen zu lassen. Verflucht! Ich rolle mich ab und als ich wieder auf den Beinen stehe, trifft mich eine Faust mitten ins Gesicht. Durch meine tränenden Augen sehe ich ein menschliches Grinsen. Gut, dann kämpfe ich eben gegen einen großen, massigen Menschen, das sollte zu schaffen sein, sobald ich mir dieses Stachelvieh vom Hals geschafft habe. Der Mensch holt zu einem weiteren Schlag aus, aber ich kann ausweichen. Seinen nächsten Angriff blocke ich und schlage zurück. Irgendwas Nasses und Klebriges fließt aus meiner Nase. Scheiße, Blut! Das wird den Duraner noch mehr anstacheln. Ich verpasse dem Mensch einen saftigen Tritt in die Magengegend, der ihn für einige Zeit der Schmerzen wegen ausschalten sollte, als mir das Standbein weggezogen wird. Ich knalle auf den Asphalt. Ein stechender Schmerz durchfährt meinen rechten Arm. Das Biest hat mich mit einem seiner Stacheln erwischt! Ein Stöhnen finden den Weg über meine Lippen. Mit einem Schmatzen fährt der Stachel wieder heraus. Doppeltscheiße, Gift! Und wo ist das Vieh jetzt? Ich kann aufstehen, aber mein Arm hängt schon jetzt unbrauchbar herunter. Ich habe kein Gefühl mehr darin und ich weiß, das wird sich über den gesamten Körper verteilen, bis mein Herz gelähmt ist und ich tot bin. Suchend schaue ich mich um. Ein Stoß in meinen Rücken und wieder liege ich auf der Straße. So ein Mist! Das darf mir nicht passieren! Kurzer Hand ändere ich meine Taktik und bleibe liegen. Ich tue so, als wäre ich kurz vor dem Knockout, doch in Wahrheit lausche ich. Der Mensch krümmt sich immer noch wegen des Trittes. Vielleicht habe ich ein paar lebenswichtige Organe kaputt gemacht, wenn der Tritt tiefer war, als angenommen. Ich höre es leise klicken. Klingt für mich ganz nach Vorfreude. Ein zischen in der Luft und ich drehe mich auf den Rücken und werfe mein Messer. Ich treffe den Duraner an der der linken Schulter und grünes Sekret spritzt aus dem Körper direkt in mein Gesicht. Die Wunde ist für ihn nicht tödlich, nur schmerzhaft. Ich springe auf die Beine und mir wird schwindelig. Meine Hand verfehlt den Griff der Waffe, die ich aus dem Körper des Monsters ziehen will, aber ich bringe es mit meinem ungewollten Stoß immerhin aus dem Gleichgewicht. Ich selbst kann mich gerade noch fangen, um nicht auf ihm und in den Stacheln zu landen. Die Lähmung zieht sich nun meine rechte Seite bis zur Hüfte hinab. Nie hätte ich gedacht, dass Duranergift so schnell wirkt. Endlich bekomme ich mein Messer zu fassen und in einer Bewegung ziehe ich es heraus und hau dem Alien vor mir mit dem Knauf eine gegen den Schädel. Dann gleich noch ein zweites Mal, nur um sicher zu gehen, doch er regt sich schon nicht mehr. Ich schätze, dass er sich in einer halben Stunde wieder erholt hat. Jetzt spüre ich meinen rechten Oberschenkel langsam nicht mehr. Verfluchte Scheiße! Hätten die ihren Angriff nicht starten können, bis ich im Haus war? Ich wende mich dem Anführer zu. „Ich habe noch genug Zeit mich um dich zu kümmern!“, sage ich durch zusammengebissene Zähne „Verschwinde bloß und lass dich hier nicht mehr blicken!“ „Du lebst nicht mehr lange!“, stellt er fest. Belustigt schnaufe ich durch die Nase „Vielleicht, vielleicht aber auch nicht! Wenn du mich wirklich kennst, dann weißt du auch, dass mir schon Schlimmeres ins Blut gejagt wurde!“, ein Bluff, aber das weiß Quitschestimmchen natürlich nicht. „Pack dein Fußvolk und geh! Ich will dich hier nie wieder sehen!“. Einen Augenblick herrscht Stille auf der Straße und dann geschieht, womit ich nicht rechne, der Anführer gibt dem Hünen ein Zeichen. Er geht gekrümmt, aber reißt sich zusammen und packt den Duraner am Bein und schleift ihn hinter sich her. Sie entschwinden in der Dunkelheit und in diesem Augenblick gibt mein Bein nach. Die alte Frau, die die ganze Zeit über verängstigt auf dem Boden hockte steht endlich auf, schnappt sich die Gehhilfe und humpelt langsam zu mir. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragt sie zaghaft. Verdammt, sollte ich ihr nicht diese Frage stellen? Doch das Gift breitet sich langsam in meiner Brust aus. Ich gebe mir noch eine Minute. In meiner Sporttasche habe ich ein Universalgegengift. Es wirkt gegen so ziemlich alles, vermutlich auch gegen Duranergift, aber sicher bin ich mir nicht. Für gewöhnlich habe ich es mit anderen Rassen zu tun. Ich antworte ihr nicht, sondern zwinge mich dazu aufzustehen und Richtung Terrasse zu humpeln. Meine Sachen muss ich später aufsammeln, erst mal muss ich an die Sporttasche kommen. Auf einmal kommt mir der Weg so lang vor. Ich spüre mein rechtes Bein nicht mehr. Endlich erreiche ich die Treppe. Die Stufen krieche ich fast hinauf. Fahrig öffne ich die Tasche und wühle herum. Warum um alles in der Welt muss ich die wichtigen Sachen immer nach unten Packen. Ungelenk beschließe ich, die Sache zu beschleunigen und kippe den Inhalt aus. Ich atme nur noch stoßweise. Kein gutes Zeichen. Bücher, Kulturbeutel, Unterwäsche, aber kein Etui mit Spritze und Gegengift. Ich schwitze wie ein Schwein. Mein Körper wehrt sich, allerdings wird dies für umsonst sein, wenn ich das Gesuchte nicht finde! Endlich komme ich auf die Idee in den Seitentaschen nachzusehen. Meine Finger umschließen einen metallenen Quader. Das muss es sein! Zitternd fingere ich ihn heraus. Ich habe Probleme den Verschluss zu öffnen und so langsam dämmert mir, dass ich es nicht schaffen werde mir die Spritze aufzuziehen und ordentlich zu setzen. Mein Körper verkrampft sich und ich stöhne. Ich will nicht sterben. Da steht plötzlich die alte Frau neben mir und nimmt die Spritze aus meiner zitternden Hand und zieht sie auf. Sie will sie neben der Giftinjektion setzten, aber ich schüttele den Kopf. „Nein!“, stöhne ich „Neben das Herz!“. Sie nickt. Ich spüre die Injektion nicht und auch die Krämpfe lassen nicht nach. Schöner Urlaub! Auf Artemis wäre mir das nie passiert! Ich schließe langsam mit meinem Leben ab. „Bleiben Sie hier! Ich rufe den Krankenwagen!“, dringt eine alte Stimme durch die Watte in mein Ohr. Ich greife nach der Frau. „Nein!“, stoße ich aus „Das wird schon!“. Das letzte was ich jetzt brauchen kann, sind übereifrige Ärzte. Ich will meine Ruhe. Mein Körper hört auf sich zu verkrampfen und übrig bleibt Schmerz. Langsam weicht die Lähmung zurück. Ich ziehe mich am Treppengeländer hoch „Sehen Sie?“, sage ich mit zusammengepressten Zähnen. Die Frau schaut mich skeptisch an. Ich steige langsam die Treppe hinab. Es wird Zeit mein Baby und seine Tragetasche wieder aufzuheben. Die Frau folgt mir auf Schritt und Tritt. Das macht mich nervös, aber ich verkneife mir eine entsprechende bissige Bemerkung. Zuerst erreiche ich die Tasche und schultere sie mir. Ich merke, wie mir die Bewegung gut tut. Sie lockert die Muskeln, auch wenn jeder Schritt und jeder Atemzug schmerzt. Dann hebe ich mein Gewehr auf. Es sieht nicht mehr allzu gut aus. Ich werde mir ein paar Ersatzteile besorgen müssen, die Zähne des Duraners haben mächtige Löcher hineingebohrt. Zart streichle ich meinen Freund. Wieder einmal hat es mir das Leben gerettet. Behutsam packe ich es in seine Tasche zurück. Hinter mir steht noch immer diese Frau. Ich knirsche mit den Zähnen. Will die mir wie ein Schatten folgen? Ich drehe mich zu ihr um „Wollen Sie noch was?“, meine Stimme klingt angespannt und gepresst. Verdattert schaut mich die Alte an. Ihre Lippen beben, als wollte sie etwas sagen, dass ihr schwer fällt. „Ich kenne Sie!“, stellt sie dann einfach fest. Ich krame den herablassendsten Blick hervor, den ich gerade auf Lager habe. Was soll ich mit dieser Information anfangen? „Sie sind das kleine Reyer-Mädchen! Sie haben früher immer mit meinem Mario gespielt!“. Genervt puste ich mir eine verklebte Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich werde ewig brauchen mir das Sekret von Haut und Haaren zu waschen. „Und?“, frage ich unfreundlich. Die Frau hadert mit sich selbst. Zu meinem Leid überwindet sie die Scheu. „Er ist beim Militär, genau wie Sie. Ich hab schon so lange keine Nachricht mehr von ihm erhalten. Haben Sie ihn vielleicht mal gesehen?“. Sie hat mir geholfen, sie verdient eine ehrliche Antwort. „Nein!“, sage ich. Die Frau kann ihre Enttäuschung nicht verbergen und der Blick bohrt sich tief in mein Herz. Wenn das Tony wüsste. Tony ist mein Pilot und bezeichnet mich gern als herzlos. Ich zwinge meine Stimme zu einem weicheren Tonfall: „Es sind viele Soldaten bei uns stationiert und es gleicht einem Wunder ein bekanntes Gesicht zu sehen. Kennen Sie seine Einheit?“. Die Frau schüttelt den Kopf. Ich lächle bedauernd „Dann kann ich Ihnen leider nicht helfen! Sollte ich ihn aber mal sehen, dann sage ich, er soll sich bei Ihnen melden!“. Einen Scheiß werde ich, aber das muss ich ihr nicht sagen. Es wird schon einen guten Grund geben, weshalb er sich nicht meldet. Wenn jemand zu mir käme und mir sagt, ich soll meiner Familie gefälligst ein Lebenszeichen senden, ich würde ihm die Leviten lesen. Meine Leben, meine Entscheidungen. Keine Einmischung, so mag ich es. Man sieht ja hier, wohin das führt. Tod durch Urlaub! Das klingt doch mal toll. Ich merke, wie es mir immer besser geht. Wer hätte das gedacht? „Was wollten die Typen überhaupt von Ihnen?“, frage ich die Frau. Einen Augenblick ist sie wegen des plötzlichen Themenwechsels irritiert, doch dann antwortet sie: „Geld, nehme ich an, oder Spaß. Ich muss Ihnen für Ihre Hilfe danken. Normalerweise schauen alle weg, denn die Angst als nächstes dran zu sein ist zu groß. Geht es Ihnen wirklich gut?“. Geistesabwesend nicke ich. Steht es wirklich so schlecht um die Erde? Ich habe von einigen Urlaubern gehört, die von Banden und Gangs erzählt haben. „Danke für die Injektion!“, sage ich und deute auf mein Herz. „Nichts zu danken, ohne mich hätten Sie die gar nicht gebraucht!“, die Frau winkt ab. Da hat sie allerdings Recht. „Ich muss mich jetzt ausruhen. Man sieht sich!“, ich wende mich ab und gehe zurück zum Haus. Meine Beine sind nicht mehr steif. Ich kann mich normal bewegen. „Warten Sie!“, ruft die Frau. Ich reagiere nicht. „Gehen Sie morgen bitte zum Arzt und passen Sie bitte gut auf Ihre Familie auf!“. Ich ignoriere sie. Kapitel 2: Rückfall ------------------- Gespannt wie sie reagieren würden ging ich die Treppe hinauf und schloss die Tür auf. Naja, eine große Überraschung wäre die Reaktion nicht. Vor meinem geistigen Auge konnte ich es schon sehen. Mama würde in Tränen ausbrechen und Papa einen seiner berühmten Tobsuchtanfälle bekommen. Hätte ich nicht gewusst, was auf mich zukommt, hätte ich es nicht getan. Ich warf meine Umhängetasche so ab, dass sie quer über die Fliesen in die nächste Ecke schlitterte. So wie ich es immer tat und Mama nicht leiden konnte. Doch einmal angewöhnt brachte ich nicht die Disziplin auf es anders zu tun. „Bin wieder da!“, rief ich laut, so dass auch die Nachbarn von meiner Ankunft hören mussten. Ohne die Schürsenkel zu öffnen schlüpfte ich aus meinen Schuhen und tapste in Strümpfen über den kalten Boden in die Küche. Meine Eltern saßen da und tranken Kaffee. Ich nahm mir eine Tasse aus dem Schrank und goss mir aus der schlichten weißen Kanne auch etwas ein. „Was gibt es neues?“, fragte ich und setzte mich auf meinen Platz. „Hallo, erst mal!“, sagte mein Vater. Ich grinste entschuldigend und sagte: „Hallo!“. Meine Mutter sah mir sofort an, dass was im Busch war. Misstrauisch schielte sie zu mir herüber. Doch ich hielt es nicht für den passenden Augenblick die Bombe platzen zu lassen. Stattdessen schlurfte ich genüsslich mein Getränk. „Wir haben heute von Leos Verurteilung erfahren.“, sagte Vater. In mir zog sich alles zusammen. „Und?“, fragte ich, denn von allein sprach er nicht weiter. Mein Magen krampfte sich zusammen. „Für immer.“, sagte Vater und Mama unterdrückte ein Schluchzen. Das war klar. Leo konnte froh sein, dass die Todesstrafe abgeschafft wurde. Auf der anderen Seite war es wohl besser zu sterben, als sein restliches Leben in einer Plasmazelle zu verbringen. Ich wollte auf jeden Fall lieber sterben. Lustlos kippte ich meinen Kaffee herunter und stellte die Tasse etwas zu wuchtig ab, denn ich handelte mir einen tadelnden Blick von Vater ein. Leo, du Dummkopf! Rebellieren war ja in Ordnung, aber sobald man sich erwischen ließ… Tja, Pech, großer Bruder. Meine Gedanken klangen herzlos, das musste ich zugeben, aber das war meine Art damit umzugehen. Konnte ich es in diesem Augenblick verantworten meine Eltern in meine Pläne einzuweihen? Natürlich nicht, aber jetzt waren sie einmal am Tiefpunkt und warum ihnen Zeit zum Aufbauen geben, wenn sie dann in den nächsten Abgrund gestürzt werden? „Na dann ist das Haus hier bald leer!“, sagte ich. Verständnislose Blicke trafen mich. „Ich hab mich heute verpflichten lassen. In einem Monat beginne ich mit der Grundausbildung und dann reise ich ins Nero-System.“. Schweigen. Zerbrechendes Porzellan. Mutter hatte ihre Tasse fallen gelassen. Ich vermied jeden Blick in ihre Richtung. Stattdessen starrte ich Vater an. Starrten in das richtige Wort. Wir lieferten uns ein Blickduell, wie wir es immer taten, wenn er mit meinen Entscheidungen nicht einverstanden war. Normalerweise gewann er und ich ließ von meinem Vorhaben ab, aber nicht dieses Mal. Abgesehen davon hatte ich sowieso keine andere Möglichkeit mehr. Einmal verpflichtet, immer verpflichtet. Manchmal sogar über den Tod hinaus. Ich glaub, wir würden uns noch heute so anstarren, wenn nicht Mama auf eine höchst eigenwillige Art und Weise den Streit, anders konnte ich dieses Anstarren nicht bezeichnen, beendet hätte. Sie kippte einfach vom Stuhl. Sofort sprangen wir beide, Papa und ich auf und liefen um den Tisch herum, um zu sehen was los war. Ein Glück, sie hatte sich nicht verletzt. „Ohnmacht!“, stellte ich fest. Papa verscheuchte mich mit einer unwirschen Armbewegung und hob Mutter hoch, um sie in die Stube zu bringen, wo das Sofa stand. Ich folgte unauffällig. Als Papa seine Frau so auf das Sofa gelegt hatte, dass es bequem aussah, wandte er sich zu mir. „Das ist deine Schuld!“, sagte er und Hass schlug mir aus seinen Augen entgegen. Zornig funkelte ich zurück. „Nicht Leos?“, fragte ich. „Er kam nicht munter nach Hause spaziert und konfrontierte seine depressive Mutter mit einer Verpflichtung!“ „Nein, er kam einfach gar nicht Heim, bescherte uns Polizeibesuch und einen Haufen unangenehmer Fragen! Seinetwegen stand unsere ganze Familie unter Verdacht Landesverräter zu sein und deine rassistischen Ansichten haben uns auch nicht wirklich geholfen!“, ich hätte das am liebsten geschrien, aber ich blieb in einem ruhigen sachlichen Tonfall. Jetzt ausrasten brachte nichts, außer noch mehr Ärger. Noch nie zuvor hatte ich mich getraut meinem Vater offen die Meinung zu sagen. Immer duckte ich mich ab. Er hatte Recht und ich meine Ruhe, oder wie ging das Sprichwort doch gleich? Dieses Mal hatte ich keine Ruhe. Dieses Mal spürte ich eine schallende Ohrfeige. Mein Kopf flog von der Wucht herum und ich musste mir die Schmerzenstränen verkneifen. Ich biss die Zähne so stark zusammen, dass es knirschte. Mein Vater holte ein weiteres Mal aus, aber ich duckte mich unter seiner Hand hinweg und verließ auf schnellstem Wege das Zimmer. Nicht nur das, im Flur griff ich nach meiner Tasche, die noch immer in ihrer Ecke lag, schlüpfte in meine Schuhe und war mit einer laut hinter mir zuschlagenden Tür verschwunden. Wenn es nach mir ginge für immer. In diesem Augenblick denke ich daran. Es hätte alles anders verlaufen können. Meine Eltern hätten mich am Flugplatz verabschieden können, so wie die Familien der anderen Soldaten, aber seit diesem Tag bin ich tatsächlich nicht mehr aufgetaucht. Wenn man mich heute fragt, was ich diesen einen Monat getan habe, kann ich es nicht sagen. Wo war ich? Überall und nirgendwo. Was tat ich? Alles und nichts. Zögernd streckt sich mein Finger nach der Klingel aus. Eigentlich will ich das nicht. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, habe ich Angst. Ich muss mich den Ereignissen stellen, vor denen ich fast acht Jahre geflohen bin. Ding-Dong!, zu meinem Bedauern funktioniert die Klingel. Doch hinter der Tür regt sich nichts. Ich bin mir nicht sicher, ob ich erleichtert oder enttäuscht bin. Erleichtert, weil sich der Zeitpunkt der erneuten Konfrontation so hinausschieben lässt, enttäuscht, weil ich es endlich hinter mir haben will und mir nicht sicher bin, ob ich es schaffe noch einmal hierherzukommen. Ermutigt, weil nichts passiert ist klingele ich noch einmal. Ungehört verhallt das Geräusch im leeren Haus. Unsicher spiele ich mit dem Schlüssel in meiner Jackentasche. Wenn ich aufschließe und einfach hineingehe, dann fühle ich mich wie ein Einbrecher, aber ich möchte heute keinen weiteren Straßenkampf erleben. Einmal pro Tag fast draufgehen reicht im Urlaub, finde ich zumindest. Außerdem will ich mich ausruhen. Meine Familie wird es mir schon verzeihen. Mit zitternden Fingern hole ich den Schlüssel hervor, hoffe, dass er noch passt und schließe die Tür auf. Meine Sporttasche befördere ich nach alter Gewohnheit in die Ecke und als die Tür hinter mir wieder zu ist, rufe ich: „Bin wieder da!“. Sogar nach acht Jahren und dem Gefühl nicht mehr hierher zu gehören kann ich diese alte Gewohnheit nicht ablegen. Alles ist so vertraut und wenn ich nicht so genau auf mich achte, könnte tatsächlich nicht ein Tag vergangen sein, seit ich weg war. Nur meine Schuhe kann ich nicht so einfach abstreifen und das Gewehr setze ich vorsichtig ab und lehne es gegen die Wand. Während ich die Schuhe öffne, lausche ich ins Haus hinein. Es ist alles still. Anscheinend ist wirklich niemand da. Endlich gewinne ich den Kampf mit den Schnürsenkeln und ich kann meine Füße aus ihrem Gefängnis befreien. Erleichtert atme ich aus und strecke meine Zehen. Ich liebe diese Schuhe. Sie sind resistent gegen so ziemlich alles und nach dem ersten Einsatz in der Regenperiode passen sie sogar. Sie sind das einzige meiner Ausrüstung, das ich noch von meiner Grundausbildung habe. Mein Offizier hat schon oft versucht mir andere zu geben, aber was diese Teile angeht, bin ich noch sentimentaler, als beim Gewehr. Sie haben mich schon aus so viel Scheiße herausgetragen… Nur beim An- und Ausziehen verfluche ich sie. Ich schaue in die Küche und in die Stube, ob vielleicht doch jemand da ist, der sich nicht getraut hat auf sich aufmerksam zu machen. Niemand. Ich nehme meine Gewehrtasche und steige die Treppe hinauf in mein Zimmer. Die Tür steht offen. Automatisch greift meine Hand nach dem Messer, dass noch von der grünen Flüssigkeit der Doraners benetzt ist, wenn sie auch schon trocken ist. Doch als ich vorsichtig die Tür öffne, starren mich nur zwei müde grüne Augen an. „Bastet…“, flüstere ich. Also lebt dieses zähe Vieh immer noch. Die Katze war doch schon alt, als ich von hier weg bin! Ich betätige den Lichtschalter. Mein Zimmer ist aufgeräumt und einige Sachen fehlen. Mama konnte es wohl nicht lassen. Ich schiebe die Gewehrtasche in den Bettkasten, lasse mein Messer achtlos fallen und werfe mich neben sie Katze. Sie protestiert erst, doch als ich anfange sie hinter den Ohren zu kraulen, akzeptiert sie mich neben sich und schnurrt. Langsam fallen meine Augen zu. Eigentlich muss ich mir das grüne Sekret von der haut schruppen und mir Zivilkleidung anziehen, aber ich bin so… Ich wache von einem Schrei wieder auf. Bastet hat sich an mich gekuschelt und ist jetzt ebenfalls wach. Der Schrei wiederholt sich nicht. Jemand zieht sich die Schuhe aus. Das muss Vater sein, denn Mama macht das immer schon draußen, damit die Fliesen nicht schmutzig werden. „Elena?“, höre ich einen zaghaften Ruf. Ja, das ist Mutters Stimme. Ich lächle. Wie lange habe ich diesen Klang nicht mehr gehört? Mir wird bewusst, wie sehr ich ihn vermisst habe. Mühsam erhebe ich mich und mit mir die Katze. Sie rennt herunter. Erholt fühle ich mich von dem Schlaf nicht. Leise verlasse ich mein Zimmer und gehe zur Treppe, bevor Mama noch mal ruft. Ich merke gar nicht, wie ich die Stufen herabsteige. Alles fühlt sich an wie ein Traum. Ohne, dass ich es will gehe ich auf meine erstaunt und vielleicht auch geschockt blickende Mutter zu und finde mich in ihrem Armen wieder. Ich beiße einmal mehr die Zähne zusammen, um nicht losheulen zu müssen. Über die Schulter meiner Mutter blicke ich in die Augen meines Vaters, nur, dass es nicht dessen sind, sondern- „Leo?“. Kalt schaut mich mein Bruder an. Ich verstehe nicht. Er darf nicht hier sein! Er sitzt doch für den Rest seines Lebens in den Plasmazellen! Zögernd befreie ich mich aus den Armen meiner Mutter. Nur ungern lässt sie mich los. Sie mustert mich von oben bis unten. „Dünn bist du geworden!“, sagt sie, als wäre es selbstverständlich, dass ich nach acht Jahren wieder da bin. „Und dreckig!“, fügt Leo unnötigerweise hinzu. Ich schaue an mir herab und muss ihm Recht geben. Ich hätte mir das grüne Sekret abwaschen sollen. Es fängt schon langsam an zu müffeln. „Wo ist Vater?“, möchte ich fragen, aber ich tue es nicht. Liegt es daran, dass ich ihn gar nicht sehen will oder, dass ich merke, dass hier etwas nicht stimmt? „Hat man dir endlich Urlaub gegeben?“, fragt Mama. Sie will das Gespräch nicht abreißen lassen, ein Gespräch, das niemals wirklich anfangen wird. Ich nicke. Wenn ich ihr sage, dass ich nicht freiwillig hier bin, bricht vielleicht ihr Herz. „Ist Kelly auch da?“, frage ich. Bastet streicht mir um die Beine. Mama schüttelt den Kopf „Sie ist direkt nach der Beerdigung gefahren. Sie muss sich um die Kleinen kümmern.“ „B… Beerdigung?“, das Wort kommt mir fast nicht über die Lippen. „Du weißt es gar nicht?“, fragt mich Mutter entsetzt. „Was wissen?“, hilfesuchend huscht mein Blick zu Leo. „Vater starb vor drei Wochen!“, teilt er mir mit. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Viele meiner Kameraden sind gestorben und zu einigen hatte ich ein engeres Verhältnis aufgebaut, als zu meinen eigenen Vater. Doch es handelt sich eben um Papa. Plötzlich sehe ich nicht mehr, wie es zuletzt zwischen uns war, sondern ich erinnere mich an den liebvollen Papa, der mit seiner kleinen Tochter spielte und sie gern neckte. Ich stehe unter der Dusche. Heiß prasselt das Wasser auf meine Schultern und statt meine Haut abzuschrubben, starre ich in die Leere. Sollte mein Offizier etwas geahnt haben und hat mich darum heim geschickt? Das ist unmöglich! Ich weiß nicht, wie Vater gestorben ist, ich habe nicht nachgefragt, aber wenn er wirklich schlimm krank gewesen wäre, hätte Mama mir geschrieben. Dann ist da noch die Sache mit Leo. Die plötzliche Nachricht von Papas Tod kann den Gedanken, dass hier etwas Seltsames vor sich geht nicht verdrängen. Ich mache das Wasser aus. Mechanisch seife ich meinen Körper ein. Meine Hände und das Gesicht schrubbe ich besonders gründlich. Ich werde nicht weinen, nicht wegen ihm! Nicht wegen so einen engstirnigen Idioten. Wegen Leo habe ich nicht geweint und auch nicht, als Fay neben mir fiel, oder Tony oder Alex oder… Da sind so viele Gesichter, so viele Namen. Unbewusst balle ich meine Hände zu Fäusten. Ich zittere. Schnell mache ich das Wasser wieder an, aber es nützt nichts gegen die Kälte, die meine Glieder befällt. Ich kann Schreie hören. Unzählige Schreie! Doch noch schlimmer sind das Stöhnen und Röcheln. Ein ersticktes Schluchzen bahnt sich den Weg über meine Lippen. Ich sinke auf die Knie und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Gerade als ich loslassen will, klopft es an der Tür. Ich taste nach dem Wasserhahn und drehe das Wasser ab. „Elena?“, dumpf schallt Mutters Stimme durch die Tür. „Ja?“, rufe ich mit erstickter Stimme und hoffe, dass sie nicht hört, dass ich den Tränen nahe bin. „Es gibt Abendessen, wenn du fertig bist!“ „Ja! Ich komme gleich runter!“ Ich höre, wie Mutter von der Tür weggeht. Noch einmal wische ich mir über die Augen. Hoffentlich sind sie nicht allzu gerötet. Ich stehe auf und greife nach meinem Badetuch. Gründlich trockne ich mich ab und gehe zum nächsten Spiegel. Er ist ganz beschlagen und so kann ich nicht viel erkennen. Meine Hände zittern noch immer. Ich kann nichts tun. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Bilder aus meinem alten Leben vermischen sich mit denen von der Front. Blut, Schreie, Tränen, Streit, Hass… Ich weiß nicht, wie lange ich den Schemen im Spiegel angestarrt habe, doch irgendwie gelingt es mir mich von ihm loszureißen. Schnell ziehe ich mich an. Es gibt keinen Grund Mama noch länger warten zu lassen und die Nacht ist schon fortgeschritten. Es sind meine alten Sachen. Sie sind mir zu weit. Doch es erscheint mir nicht richtig mit der Uniform diese friedliche Welt zu stören. Ich verlasse das Bad und gehe die Treppe hinab, in die Küche. Bleierne Müdigkeit steckt mir in den Gliedern, aber nach der Dusche fühlt sich mein Körper zumindest ein wenig besser. Ich fühle mich unwohl in meiner alten Kleidung. Der dünne T-Shirt Stoff kann unmöglich Schutz bieten vor… Ich wische den Gedanken beiseite. Wer soll mich hier schon angreifen? In der Küche lasse ich mich auf meinen Stammplatz fallen. Mama hat den Tisch reichlich gedeckt. Doch der Appetit bleibt aus. Aufmunternd schiebt sie mir den Brotkorb zu. Ich nehme mir eine Scheibe und bestreiche sie mir mit Butter und streue etwas Salz darüber. Lustlos nage ich an der Kruste. „Wo ist Leo hin?“, frage ich. „Er ist zu Bett gegangen. Es war ein langer Tag.“, Mama schüttelt den Kopf. Verständnisvoll nicke ich, jedenfalls hoffe ich, dass es so wirkt. Den Tee, den Mama gekocht hat trinke ich gerne. Niemand von uns beiden sagt ein Wort. Ich spüre, dass Mama gerne mit mir reden möchte, sie sitzt wie auf heißen Kohlen, doch sie traut sich nicht. Nachdem ich die halbe Scheibe gegessen habe wird mir schlagartig übel. Ich lasse das Brot fallen und kann mit Mühe ein würgen unterdrücken. Eine kühle Hand streicht mir über die Stirn. „Du bist heiß Kind!“, stellt Mama fest. Ich drücke ihre Hand weg „Mir geht es gut!“. Ich muss nicht einmal in Mutters Gesicht schauen um zu wissen, dass sie mir nicht glaubt. Ich stehe auf und fange an abzuräumen. Meine Mutter nimmt mir den Teller aus der Hand. „Geh bitte hoch und ruh dich aus. Ich räume das hier weg!“. Einen Augenblick sehe ich ihr in die Augen, doch ich muss sie senken. Den Kampf hat sie gewonnen. Ich fühle mich viel zu ausgelaugt um noch etwas anderes zu tun, als mich in mein Bett zu werfen. Ich verlasse die Küche und starre die Treppe hinauf, als sei sie ein unüberwindliches Hindernis. Die Welt dreht sich. Ich stütze mich an der Wand ab, um nicht zu stürzen. Mein Magen zieht sich zusammen und ich würge erneut. Langsam rutsche ich die Wand hinunter. Mir ist kalt. Eine Tür geht auf und ich höre aufgeregte Rufe. Jemand hebt mich hoch. „Lass mich!“, nuschle ich „Mir geht es gut!“. Die Worte klingen seltsam verzerrt und falsch in meinen Ohren. Die Welt dreht sich immer weiter. Wenn ich die Augen schließe, wird es noch schlimmer, also lasse ich sie offen. Ich werde abgeladen. Der Untergrund ist weich und bequem. Ich werde auf die Seite gedreht. Kurz regt sich in mir Widerstand. Ich hasse es nicht Herr meiner selbst zu sein, aber ich kann mich nicht bewegen. Nur die Übelkeit bleibt. Meine Augen fallen zu und ich in die Tiefe der Dunkelheit. Kapitel 3: Piep --------------- Mein Bewusstsein kehrt aufgrund eines gleichmäßigen nervenraubenden Piepens, zurück. Noch bin ich in Dunkelheit gefangen, doch es wird nicht lange dauern und meine Augen werden sich öffnen und wehe, man hat mich ins Lazarett gebracht! Doch dieses Piepen kenne ich nur aus dem Lazarett. Naja, ich kenne es auch aus diesen alten Filmen, in denen Bomben einen digitalen Timer tragen… Schlagartig setze ich mich auf und ich spüre, wie einige Kabel von meinem Körper abreißen. Das Piepen wird schneller und einige überraschte Ausrufe gesellen sich zu ihm. Vermutlich keine Bomben. „Ganz ruhig Frau Reyer! Bitte legen Sie sich wieder hin!“, sagt da ein Mann mit sanfter Stimme zu mir und legt sachte eine Hand auf meine Schulter, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Unwirsch schlage ich die Hand weg und beginne weitere Kabel von mir zu rupfen. Ich bin in keinem Lazarett, aber auf dem besten Weg dorthin. Irgendwer hat einen Krankenwagen gerufen. „Frau Reyer!“, der Mann klingt ehrlich entrüstet. „Halten Sie an und lassen Sie mich raus!“, verlange ich in strengen Ton. Beim Militär zieht das für gewöhnlich. Der Arzt oder was auch immer das ist, zeigt sich nicht im Geringsten beeindruckt. „Zu Ihrem eigenen Wohl! Legen Sie sich bitte wieder hin!“, sagt er. Ich werfe ihm nur einen bitterbösen Blick zu und reiße das letzte Kabel ab. Das Piepen steigert sich ein letztes Mal in Lautstärke und Geschwindigkeit und stirbt endlich ab. Ruhe! Zufrieden halte ich in meinem Tun inne und bemerke gerade noch, wie der Mann einer der Frauen zunickt, als er denkt, dass ich es nicht sehe und sie geht mit einer Spritze auf mich los. Ich will mich weckducken, doch in dem Wagen ist es zu beengt und so erwischt sie mich am Arm. Lautstark fluche ich. Ein Bildschirm flackert auf und das Gesicht einer hübschen jungen Frau ist zu sehen. „Ist alles in Ordnung da hinten?“, fragt sie. Der Mann nickt. „Wir haben es nur mit einer aufmüpfigen Patientin zu tun. In zwei Minuten schläft sie wieder tief und fest!“ „Von wegen!“, knurre ich erbost und strecke meine Hände nach der Gurgel des vorwitzigen Arztes aus, doch ich merke selbst wie schwach und fahrig meine Bewegungen schon sind. Mit sanfter Gewalt schuppst mich der Mann um und ich liege wieder auf dem Rücken. Mit flinken Fingern werden alle Kabel wieder an meinen Körper geheftet und ich kann nichts tun. Meine Augen rollen von dem grellen Licht weg, das die Lampe an der Fahrzeugdecke verströmt. „Lasst mich! Mir geht es guuuuht!“, das letzte Wort spreche ich stark gedehnt, ohne dass ich es will. „Ich weiß, Frau Reyer! Ich weiß!“, seufzt der Mann und tätschelt meinen Arm. Keine Ahnung wie, aber ich schaffe es ihn deswegen finster anzustarren. „Können Sie sich erinnern in den letzten 24 Stunden Kontakt mit einer fremdartigen Substanz gehabt zu haben?“, fragt er mich und unterlässt das Tätscheln. Schwach nicke ich und flüstere: „Duranergift. Gegen acht Uhr abends. Wenige Minuten später gelang es mir Präparat 078 zu spritzen.“. Mir scheint es, als gingen die Worte in dem Piepen unter, aber der Mann nickt ernst, oder erstaunt? Ich kann es nicht genau sagen. Meine Augen fallen schon wieder zu und weg bin ich. Mein letzter Gedanke ist, beim nächsten Erwachen alles Kurz und Klein zu schlagen, wenn die mich hier nicht raus lassen! „Abwurf in 3 … 2 … 1… Jetzt!“, erklang Tonys Stimme in meinem Kopfhörer. Tatsächlich ging mit dem „Jetzt“ ein Ruck durch das Gefährt und ich hatte das Gefühl meinen Magen irgendwo auf dem Jupiter gelassen zu haben. Ein Blick in die Runde verriet mir, dass es mindestens 50 Prozent meiner Kameraden ebenso erging. Das war mein erster Einsatz und zu der Übelkeit, die durch Aufregung verursacht wurde, gesellte sich auch noch das Gefühl vom freien Fall. Keine gute Kombi. Schon bei den Übungen auf der Erde, hatte ich beim Abwurf zu tun nicht meinem Frühstück „Hallo“ zu sagen, aber jetzt… Es folgte ein gefederter Aufprall und die Tür öffnete sich. Ich war entgegen aller Vorschriften als erste draußen und übergab mich. Der Rest meiner Truppe folgte mir auf den Fuß. Meine Kameraden spöttelten über mich. Alles klar, ich hatte meinen Spitznamen weg… und das für den Rest meiner militärischen Karriere! „Na Auko? Alles draußen?“, fragte mich der Teamführer und wuschelte mir durchs Haar. Ich würgte noch ein wenig, aber als ich sicher war, es würde nichts mehr kommen, richtete ich mich wieder auf und wischte mir mit einem Taschentuch den halbverdauten Haferbrei vom Kinn. „Tu mir einen Gefallen und lauf das nächste Mal nicht einfach so hinaus, ja?!“, fuhr der Teamführer fort „Mit etwas Pech rennst du direkt ins Feuer der Ureinwohner. Ich fände es Schade jemanden unter meinem Kommando zu verlieren.“. Ich nickte um zu zeigen, dass ich verstanden hatte. Ed, so nannten wir den Teamführer, wenn niemand Offizielles zuhörte, wandte sich ab und gab den Statusbericht an den Unteroffizier durch: „Team 11-156 hat Landepunkt C erreicht. Beginnen mit der Suche im Süden!“. Ich konnte nicht verstehen, was der Unteroffizier erwiderte, aber er musste seine Zustimmung gegeben haben, denn kurz darauf gab Ed uns das Zeichen uns zu verteilen. Ich hatte noch immer den Geschmack von Erbrochenem im Mund, doch ich wollte nicht meckern. Ein Spitzname am Tag reichte. Gehorsam nahm ich meinen Platz ein und begann mich durchs hohe Gras zu kämpfen, das Gewehr stets schussbereit. Wir waren ein Dutzend Soldaten im Team und hatten die Mission herauszufinden, was mit dem Einsatztrupp Gamma geschehen war. Mehr wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht. Später allerdings erfuhr ich, dass bekannt war, dass niemand von Gamma noch lebte. Wir sollten lediglich die Leichen bergen und herausfinden, was mit ihnen geschehen war. Es hätte mich stutzig machen sollen, dass ganze fünf Landungstrupps dafür zum Einsatz kamen, aber wie ich schon erwähnte, es war mein erster Einsatz. Mein aufgeregt schlagendes Herz beruhigte sich, als wir uns durch das unendlich scheinende Gestrüpp schlugen und einfach nichts geschah. Auch mein Magen beruhigte sich wieder. Wir hielten die Augen offen, doch niemand sah etwas Verdächtiges. Die Umgebung sah so unschuldig aus. Mich hätte es ehrlich nicht verwundert, wenn ich am Horizont plötzlich die Spitze eine Mayapyramide gesichtet hätte. Doch ich sah nichts dergleichen. Abgesehen von den Pflanzen war dieser Planet scheinbar tot. „Ed?“, rief plötzlich jemand am anderen Ende der Reihe „Hier ist etwas!“. Alarmiert blieb der Teamleiter stehen und alle anderen, mich eingeschlossen, taten es ihm gleich. Gespannt warteten wir, wie Ed zu dem Rufer hinüberstapfte und in die Hocke ging. Alle Augen ruhten auf ihm. Ich nahm es zunächst nicht wahr, aber mein Hirn schickte mir ein Bild von der Erde, das mich unwillkürlich gen Himmel sehen ließ. Es klang ein wenig wie eine Hundepfeife, oder vielmehr, und das Bild hatte ich im Kopf, wie ein Raubvogel, der seinen heißeren Ruf ausstieß. Der Himmel war leicht orangegelb gefärbt. Diesen Zustand nannten wir Nacht, denn lediglich so etwas wie eine Abenddämmerung existierte auf diesem Planeten. Es war außergewöhnlich. Ging die Sonne unter, so erhellte der Nachbarplanet diesen hier. Er warf das Licht der hiesigen Sonne zurück, so wie es bei der Erde der Mond tat, nur sehr viel stärker. Das war sehr günstig, denn so blieben unsere Einsätze unabhängig von der Tages- bzw. Nachtzeit. Die leuchtende Farbe des Himmels brannte sich in meine Netzhaut. Zwei kleine Punkte umkreisten sich in unendlicher Höhe. Ich versuchte mehr zu erkennen, aber meine eigene Sehkraft reichte nicht aus. Also packte ich meine Schrotflinte beiseite und missbrauchte den Zoom meines Scharfschützengewehrs als Fernrohr. Ich brauchte einige Augenblicke, bis ich ein scharfes Bild bekam, doch dann erkannte ich echsenartige Flugobjekte. Hätte ich es nicht besser gewusst, ich wäre jede Wette eingegangen, dass Drachen da oben flogen, aber wir befanden uns auf einem fremden Planeten, nicht in einer Märchenwelt! „Ed!“, rief ich „Da oben fliegt was!“. Erneut ertönte das Raubvogelgeräusch. Täuschte ich mich, oder hatte eines der Flugwesen wenige Augenblicke zuvor das Maul geöffnet? Ich ließ die Beiden nicht mehr aus den Augen. Unweit von mir wurde diskutiert. Da war Eds Stimme und die von Josh. Gegen meinen Instinkt musste ich meine Neugierde befriedigen und schauen, was da los war. Da ich nicht wie ein Chamäleon schielen kann, setzte ich mein Gewehr ab und sah hinüber. Ed diskutierte mit Josh. Unser Teamführer hielt zwei Gewehre in der Hand. Das eine war sein eigenes, gut in Schuss und wie neu. Doch das andere sah schon recht modrig aus und ich hätte nichts darauf gewettet, dass es noch funktionierte. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagten, denn dieses erbärmliche Pfeifen hing mir nach wie vor im Ohr. Mit dem kleinen Finger bohrte ich darin, erreichte aber wie erwartet nichts. Ich sah gen Himmel, ohne Gewehr, konnte aber keine Punkte mehr ausmachen. Zur Kontrolle blickte ich noch einmal durch den Zoom, sah aber nichts Verdächtiges. Doch das Pfeifen war noch da. Vermutlich irrte ich mich und das eine hatte mit dem anderen nichts zu tut. „Auko! Nicht träumen!“, kam ein Befehl von der Seite. Wir zogen weiter und so beeilte ich mich nicht zurückzubleiben. Mir fiel gar nicht auf, dass Ed meine Meldung ignorierte. An alles was danach geschah, erinnere ich mich nicht mehr. Das nächste, was ich weiß ist, dass ich von einem Piepen geweckt wurde, wie es mir auch jetzt wieder in den Ohren hängt. Starr blicke ich an die kalte weiße Decke des Krankenhauses. Man hat mir erklärt, dass mein Herz kontrolliert wird, durch das Gerät, welches diese schrecklichen Geräusche von sich gibt. Auf meine Bitte, es doch wenigstens durch ein leiseres Gerät zu ersetzen, ging man nicht ein. Ich resigniere. Wenn dieses Geräusch nicht bald verstummt, dann werde ich eigenhändig dafür sorgen, dass dies geschieht! In meinen Händen kribbelt es schon gefährlich. Aber ich kann mich nicht rühren. Man hat mir vorsorglich irgendein Mittel gegeben, das mich ruhig liegen lässt. Ich fühle mich gut und bin stinksauer. Wenn ich denjenigen in die Finger bekomme, den ich diese Demütigung verdanke… Welch ein Glück, dass ich auf der Intensivstation liege und keinen Besuch bekomme. Ich hab keinen Plan, wie lange ich schon hier bin. Seit meinem Erwachen kamen unzählige Ärzte und Krankenpfleger vorbei. Sie behandeln mich wie eine giftige Viper, die jederzeit zubeißen kann. Vermutlich tun sie gut daran. Und dieses Piepen! Piep… Piep… Piep… Meine Finger zucken tatsächlich. Die Wirkung des Mittels scheint nachzulassen. Wenn ich mich ruhig verhalte, dann fällt es vielleicht niemanden auf und ich kann mich meinem Problem entledigen. Meine Lippen bewegen sich leise zu dem Ton. Leider habe ich die Rechnung ohne den zuständigen Arzt gemacht. Der Mann betritt den Raum. „Wie fühlen Sie sich?“, fragt der Mann in Weiß. Ich spare mir eine Antwort und so muss er sich mit einem mürrischen Blick meinerseits begnügen. Er kontrolliert die Bildschirme und tippt irgendwas auf ihnen ein. Stumm schmolle ich vor mich hin. Piep… Piep… Piep… Das Piepen hängt zwischen unserem Schweigen. Ich balle die Hand zur Faust. „Ist es denn wirklich notwendig, dass dieses dämliche Gerät an bleibt?“, frage ich. Ruhig schaut mich der Arzt an. „Ja!“, sagte er einfach. Genervt schnaube ich. „Sie haben nicht geschlafen?“, fragt er verwundert, den Blick auf einen Monitor gerichtet. „Ihnen bleibt wohl nichts verborgen, was?“, spotte ich. Ich kann den Seitenblick, mit dem diese Aussage quittiert wird nicht so recht deuten. Der Arzt nimmt sich einen Stuhl zieht ihn an mein Bett heran und setzt sich. „Was ist Ihr Problem?“, fragt er. „Sind Sie auch noch Psychiater?“. Ganz eindeutig, ich habe schlechte Laune. Auf seinem Namensschild kann ich lesen, dass er Wagner heißt. „Nein.“ Ich schaue ihn an und für einen kurzen Augenblick vergesse ich das Piepen über die Wut auf diesen aufdringlichen Typen. Doch dann dringt es wieder in meine Gedanken. Piep… Piep… Piep… „Mein Problem ist das Piepen!“, sage ich und das nicht zum ersten Mal seit ich hier bin. Mittlerweile nervt mich nicht nur das Geräusch, sondern auch die Tatsache, dass sich meine Gedanken um nichts anderes drehen. Ernst nickt Dr. Wagner. Sollte er sich tatsächlich dafür interessieren? Das bezweifle ich. „Sie sagten im Krankenwagen, dass Sie Duranergift injiziert bekommen haben?!“. Ich nicke. Die Miene des Arztes ist unergründlich. „Sie hatten verdammtes Glück Präparat 078 griffbereit gehabt zu haben.“ „Griffbereit würde ich nicht sagen!“, brumme ich. Mit hochgezogener Augenbraue sieht der Arzt mich fragend an. „Ich musste wieder zurückkriechen. Gute hundert Meter. Wäre die alte Frau nicht gewesen, die mir das gespritzt hat… Ich war da schon nicht mehr fähig das richtig aufzuziehen.“, erkläre ich brummig. „Eine alte Frau?“, hakt Dr. Wagner nach. Ich seufze und erzähle ihm die ganze Geschichte von vorn. Er hätte ja auch direkt sagen können, was er will! Er macht sich zu meiner Berichterstattung Notizen. „Und?“, frage ich, als ich fertig bin. „Was und?“, will der Arzt wissen. „Darf ich hier wieder raus? Bei aller Liebe, so habe ich mir meinen Urlaub nicht vorgestellt!“ Ungeduldig fange ich an mit dem Mittelfinger auf das Bettlaken zu tippen. Nach wie vor sind die Finger das einzige, abgesehen von meinem Kopf, das ich bewegen kann. Dr. Wagner folgt meinem nervösen Tick. Mist! Ich habe mich verraten. Sofort unterlasse ich die Bewegung. Zu spät! „Wenn sie mir versprechen, dass sie liegen bleiben und die Geräte nicht zerschlagen oder die Kabel von sich reißen, dann verzichte ich auf ein weiteres Beruhigungsmittel.“, sagt er. Ich zucke mit den Achseln oder hätte es, wenn ich meine Schultern bewegen könnte! „Kommt darauf an, wie lange ich hier bleiben muss! Ich fühle mich ganz fantastisch!“, erwidere ich. „So haben sie sich sicherlich auch nach der Injektion von Präparat 078 gefühlt, oder?“, will Dr. Wagner wissen. „Ja!“, gebe ich zu. „Aber das mit der Ohnmacht lag an den besonderen Umständen.“, versuche ich mich rauszureden. Irgendwie klinge ich trotzig. „Nein, ich bin nicht Schwanger!“, füge ich hinzu, als ich merke, wie der Satz klingt. „Sie meinen, dass Sie zum ersten Mal nach acht Jahren wieder auf der Erde sind?“ Ich nicke. „Und das Sie von dem Tod Ihres Vaters erfahren haben?“ Ich zögere. Eigentlich nein. Doch schadet es ein wenig auf die Tränendrüse zu drücken? „Also schön“, meint der junge Arzt ohne auf eine Antwort von mir zu warten „Wir hätten Sie gerne bis Morgen zur Beobachtung da. Wenn bis dahin nichts Auffälliges passiert, dann dürfen Sie gehen.“ Na das war doch mal ein Wort! „Gut, dann werde ich bis morgen hier liegen bleiben!“, versprach ich mit liebenswertem Lächeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)