Der Wind von abgemeldet (Eine wahre Liebe im Krieg der Engel und Dämonen) ================================================================================ Kapitel 1: Der Wind ------------------- Hallo, nach langer Bearbeitungszeit ist die Neubearbeitung von Wind endlich vollbracht. Ich wünsche viel Spaß und Mitleid mit Chay. Der Wind Ein weiterer Hieb landete in Chays Magengrube und schleuderte ihn gegen eine steinerne Hauswand. Blut floss aus einer Wunde am Kopf und die Gruppe Jungen ließ ihn in dieser Verfassung liegen. Der Wind strich durch die zersausten blonden Haare, als sich das Blut in den Kopf zurück zog und die Wunde verheilte. Mühelos, aber wütend stand Chay auf und verließ die dunkle Gasse. Bedächtig klopfte er sich den Staub von der Kleidung als ein Schatten an der Hauswand verschwand. Chay lief die Straße hinunter, bis er zum Wirtshaus kam. Hier bediente seine Angebetete, Miari. Ihr lockiges Haar unterstrich ihre ohnehin schon schlanke Figur und ihre blaugrünen Augen glitzerten wie Juwelen in ihrem Gesicht - noch mehr, wenn sie Chay ansahen. Chay betrat die Wirtsstube und erblickte Miari. Sie gab ihm ein Zeichen und schlängelte sich durch die Tische zum Tresen. Ein paar ältere Männer winkten Chay zu sich und er setzte sich an ihren Tisch. Einer von ihnen, der Stellvertreter des Bürgermeister begrüßte ihn herzlich: "Setz dich zu uns, Junge!" "Gerne", antwortete Chay mit einer klaren fröhlichen leicht melodischen Stimme. "Was hältst du von der neuen Änderung in der Gemeindepolitik?" Fragte ihn einer der Minister. Chay antwortete nicht sofort. Später, so wünschten es sich die Minister und der Bürgermeister, würde er im Rathaus arbeiten. Schon jetzt nötigten sie ihn zu Laufarbeiten, aber Chay liebte das Laufen und so machte ihm die Arbeit Spaß. "Ich finde, es ist eine lohnende Änderung, auch wenn ich diese Arbeitsstunden spezifisch festlegen würde. Wer arbeitet wie viel? Wie alt ist jemand? Wie weit ist er im Voraus belastet? Welches Geschlecht? Auch würde ich sagen, dass sich jeder seine Arbeitsstunden frei einteilen können sollte." "Aber wie sollen die Leute dann wissen, was sie tun sollen?" "Man könnte doch am schwarzen Brett eine Liste der zu erledigenden Arbeiten aushängen und wer etwas machen möchte, meldet sich dann einfach im Rathaus." "Und wenn eine Arbeit von niemanden gemacht werden möchte?" "Dann kann man immer noch die Gemeindemitglieder zwangsverpflichten, eben solche, die noch zu wenige Stunden haben oder welche ein öffentliches Ärgernis darstellen..." "Hier, Chay!" Miari stellte ihm einen Krug Bier vor die Nase, "Der geht aufs Haus." "Da... Danke!" Chays Nasenspitze färbte sich leicht rosa. Miari beugte sich zu ihm runter: "Ich bin bald fertig, dann können wir gehen. Bis später!" Und schon verschwand sie wieder offen lächelnd in der Menge. Chay schaute ihr geistesabwesend nach. "Na, dich hat's ja erwischt. Nur schade, dass sie schon vergeben ist." Der Satz katapultierte ihn wieder in die Realität zurück. Miari war mit Taydo, Chays älterem Bruder, nahezu verlobt und daran ließ sich nichts ändern. Er selbst war für sie gerade mal so viel wie ein kleiner Bruder, vielleicht sogar ein guter Freund. Frustriert griff Chay nach dem Bierkrug und trank gierig. Er und Taydo waren sich spinnefeind und ungleicher als ein Elefant und eine Flieg. War Chay blond und hatte tiefe kastanienbraune Augen, so war Taydo schwarzhaarig und hatte eisblaue Augen. Sagte der eine ja, vertrat der andere nein. Meist spielt Chay dabei den Guten und Taydo den Bösen. "Die Idee ist nicht schlecht", setzten die Minister ihre Unterhaltung fort. "Sie fördert vor allem das Verhältnis zwischen der Gemeinde und uns. Sehr gute Idee, Chay." Chay hatte gerade erst ausgetrunken, als Miari auch schon neben ihm stand: "Gehen wir?" Chay stand auf und verbeugte sich leicht: "Gute Nacht, meine Herren!" Der Gruß wurde erwidert und Chay und Miari verließen das Wirtshaus. Die Nacht war sternenklar und wie geschaffen für einen romantischen Spaziergang bei Nacht. Ebenso war sie geschaffen um das Erröten von Chay zu verbergen, als Miari seine Hand ergriff. Schweigend liefen sie nebeneinander her. Chay und sein Bruder wohnten am Ende des Dorfes in einem kleinen Haus am Waldrand. Das Dorf selber lag auf einem Plateau nahezu am Fuß eines großen Berges. Eine steile Felswand grenzt das Dorf nach Norden hin ab. Ein kleiner Waldweg schlängelte sich von Südwesten her hoch. Im Osten und Westen befanden sich Wälder und Felder. Chay verdiente seinen Lebensunterhalt mit der Arbeit auf einem Feld. Frühmorgens stand er auf und arbeitete bis zum Mittag. Nach einer kurzen Pause ging es dann weiter bis zum Nachmittag. Meistens rannte Chay danach in die Bibliothek um die alten Schriften zu studieren. Politik, Geschichte und Geographie waren dabei seine Vorlieben. Doch gerne beschäftigte er sich nebenher mit den Mystikern, von denen es leidlich wenige in diesem Zeitalter gab. Trotzdem fanden einige Theorien ihren Weg ins Dorf. Das kleine Haus wurde von zwei ausladenden Eschen beschattet. In einem der kleinen Fenster brannte das Licht mehrerer Kerzen. Miari löste sich aus Chays Hand und rannte auf die Tür zu. Das Klopfen ertönte leise und wenig später wurde die Tür von einem großen Mann mit langem schwarzen Haar. Miari fiel ihm sogleich um den Hals und beide versanken in einen innigen Kuss. Chay quetschte sich an den beiden vorbei durch die Tür und stand im Flur: "Schließt bitte die Tür, wenn ihr fertig seid!" Sein Bruder löste sich von Miari und tätschelte Chays Kopf: "Wie gewissenhaft du doch bist, Kleiner!" Chay wurde knallrot und tauchte unter Taydos Hand weg und verschwand in sein Zimmer. Das Knallen der Tür dröhnte in seinen Ohren. Erschöpft sank er zu Boden. Wieso ließ er sich nur immer so von Taydo demütigen? Nun, Taydo war größer und stärker und er würde ihn gehörig verprügeln, sollte er es je wagen, aber einen Versuch war es doch wert. Auf seinem Tisch lagen einige Unterlagen, denen er sich jetzt verbissen widmete. Doch immer wieder glitten seine Hände zu einem Stapel weißen Papiers und fingen an zu zeichnen. Wollte er eigentlich nur etwas dahin kritzeln, so glichen diese Kritzeleien immer nur Miari. Draußen hörte er das Gelächter der beiden, welche sicherlich noch etwas zusammen aßen. Chays Magen knurrte. Wütend knüllte er die Zeichnungen zusammen und schmiss sie vom Tisch. Seine Unterlagen waren ihm plötzlich zuwider, als Taydo die Tür öffnete, starrte er ihn zornig an. Taydo machte eine übertriebene Schutzgeste: "Guck mich nicht so böse an! Ich kann nichts dafür, dass du immer gleich knallrot wirst." "Aber für deine Straßenbande kannst du was!" Kläffte Chay zurück. Taydo spielte gelangweilt mit dem Blatt einer Zimmerpflanze: Haben sie dich etwa wieder belästigt? Dann muss ich wohl mal mit ihnen reden." "Du schickst sie doch aus um sich mit mir anzulegen." "Wie kommst du denn auf so eine widerwärtige Idee? Ich bin doch dein lieber großer Bruder", unschuldig klimperte er mit den Augen. "Du bist widerwärtig!" "Na, na, so nicht, Brüderchen! Eigentlich hat jemand diese Briefe für dich abgegeben" , er zog ein Bündel Briefe hervor. "Gib her!" "Wie heißt das?" Chay verlor den Kopf: "Gib mir die verdammten Briefe, Mistkerl!" Augenscheinlich wurde es mucksmäuschenstill. Taydo löste sich von der Tür und schritt mit kalten blauen Augen auf Chay zu. Blaue eiskalte Augen trafen auf braune leicht trotzige Augen. Taydo packte Chay an der Schulter und schleuderte ihn gegen eine Wand. Dann schlug er auf ihn ein. "Taydo!" Miari stand erschrocken an der Tür. Doch sobald Taydo inne hielt, rannte sie auf ihn zu und ohrfeigte ihn. Chay blieb keuchend, aber lächelnd an der Wand stehen. "Bist du verrückt, Taydo? Er ist dein kleiner Bruder. Du kannst ihn doch nicht so grob behandeln", Miari schute ihn vorwurfsvoll an. Taydo hob belustigt eine Augenbraue und deutete auf Chay: "Ach ja? Dann sieh doch mal genauer hin!" Chays Schrammen und Kratzer waren verschwunden. Miari schlug die Hände vor den Mund: "Wie ist das möglich?" Sie trat an Chay heran und betastete ihn. "Du hast ihn doch mehrmals geschlagen und er hatte Wunden. Es war doch so? Ich habe es doch gesehen? Oder?" Taydo nickte und Chay wartete gespannt darauf, was oder wie viel Taydo Miari verraten würde. "Setze dich!" Also, Chay und ich sind Magie. Er beherrscht die Weiße Magie und ich die Schwarze Magie. Die Weiße Magie ist rein und zur Verteidigung gedacht. Chay hat damit heilende Kräfte wie alle Magier der Weißen Magie. Die Schwarze Magie ist zum Angreifen gedacht, aber bei Chay ist ihre Anwendung nicht nötig. Ich werde es dir demonstrieren." Er ergriff ein spitzes Instrument und stieß es Chay in den Oberarm. Die Spitze bohrte sich fast durch den ganzen Arm. Chay schrie auf. Taydo entfernte sich wieder. Miari wollte zu Chay gehen, aber Taydo hielt sie zurück. Langsam zog sich das Blut zurück und die Wunde verschwand. Chay keuchte vor Anstrengung, das Blut verschmierte Instrument fest in der Hand haltend. Taydo nickte zufrieden, nahm Miari an der Schulter und wollte sie zurück führen. "Dann ist Chay also ein guter Magier und du ein böser?" Taydo verdrehte kurz die Augen: "Ja, wenn dir das so lieber ist. Meine Mutter war genauso wie ich und mein Vater so wie Chay. "Als vor 18 Jahren alle Magier aus dem Weg geräumt wurden, traf es auch unsere Eltern. Sie starben." Miari wollte Taydo schon in den Arm nehmen und ihn über den Verlust seiner Eltern hinweg trösten, als Chay wütend dazwischen blaffte: "Du hast doch auf dem Gewissen!" "Na, na, wie soll denn bitte ein unschuldiger fünfjähriger seine Eltern töten?" "Du hast es selbst stolz erzählt." "Miari, geh bitte nach Hause! Sofort! Ich muss hier etwas klären", Taydo schubste sie nahezu hinaus. "Und nun zu dir!" Er schritt auf Chay zu und schmetterte ihn ein zweites Mal an die Wand. Chay sackte zusammen, aber Taydo wurde von einer unsichtbaren Wand aufgehalten. Er schüttelte lächelnd den Kopf. Dann ging er zurück und öffnete die Tür. Miari kauerte ängstlich davor. "Ich sagte, geh nach Hause! Das geht nur mich und meinen kleinen Bruder etwas an", sagte er sanft. Miari stand auf und ging hastig zur Tür. Bittend sah sie ihn nochmal an, bevor sie das Haus verließ. Taydo betrat wieder Chays Zimmer. Chay rappelte sich gerade auf. Chay, du kannst doch nicht einfach den Coming True Charm mit Miari machen? Das war nicht nett." Taydo packte Chay an der Gurgel und schmetterte ihn diesmal mehrmals gegen die Wand. Chay sank bewusstlos zu Boden. Taydo setzte sich neben ihn und beobachtete schweigend seine Gesichtszüge: "Ach, Chay. Wieso sagst du nicht einmal, dass ich aufhören soll: "Nicht ein einziges Mal." Plötzlich regte sich Chay und drückte Taydo gegen die Wand. Gefährlich leise zischte er: "Wenn ich einen Multiplication Charm mit einem Coming True Charm kombiniere, kann ich auch meine eigenen Wünsche erfüllen und dann gnade dir Gott!" Damit ließ er Taydo los und beachtete ihn nicht weiter. Nahezu schleichend verließ Chay das Zimmer. Später in der Nacht betrat Taydo das Zimmer seines kleinen Bruders nochmal. Chay schlief tief und fest. "Wenn das so ist, mein Kleiner, dann ist es wohl an der Zeit für den letzten Schritt." Er hob die Arme und eine dunkle Aura, noch dunkler als die Nacht, umgab ihn. Dann jagte ein schwarzer Ball der Finsternis auf Chay zu und verschwand in dessen Brustkorb. Chay bäumte sich auf. Wenig später verließ ein strahlend weißer Ball Chays Körper. Taydo keuchte und langsam, sehr langsam, als würde jede Verbindungsfaser einzeln reißen, stieg der weiße Ball in die Höhe. Auf Chays Gesicht bildeten sich tiefe Furchen des Schmerzes und schließlich fiel er wieder ins Bett. Der weiße Ball verschwand genau wie der schwarze in Taydos Händen. Taydo kniete schnell atmend nieder. Erst als er sich und seinen Puls beruhigt hatte, stand er auf und verließ taumelnd das Zimmer. Chay schlief weiter. Doch war sein Schlaf unruhiger denn je. Ein paar Tage später wurde Chay wieder von Taydos Freunden in eine Ecke gedrängt. Chay verdrehte die Augen, als der Anführer ihn auch schon hinunter schlug. Keuchend landete er flach auf dem Boden und wurde an seinen blonden Haaren herauf gezogen. Mehrmals schlug die Faust in seinen Magen, bis Chay Blut spuckte. "So, du kleiner Mistkerl, wegen dir müssen wir nähstes Wochenende für die Gemeinde arbeiten. Ich werde dafür sorgen, dass du nie wieder arbeiten kannst." Die anderen lachten gehässig, als Chay, von einem der Jungen fest gehalten, jeder Finger einzeln gebrochen wurde. Chays Schreie gellten laut durch die Finsternis, so dass ihm sein Hintermann den Mund zu hielt. Doch konnte keiner den Schmerz in seinen weit aufgerissenen Augen vertuschen. Chay sank entkräftet zu Boden, als sich jeder mit einem Tritt verabschiedete und verschwand. Salzige Tränen rannen ihm die Wangen hinunter, während er verzweifelt seine Heilzauber versuchte - ohne Erfolg. Um die Ecke lugte Taydo und als er Chay so sitzen sah, kam er langsam näher. Es tat ihm weh zu sehen, wie Chay vor einer Berührung intuitiv zurück zuckte. "Hey, Chay! Ich bin's doch. Taydo." Chay hob langsam den Kopf und blickte Taydo aus seinen großen braunen Augen an, in denen nur eine Frage geschrieben stand - Wieso? Taydo konnte den Blick nicht ertragen und wandte den Kopf ab. "Wa... rum...? Taydo ... antworte mir!" "Ich habe den Magic Extracting Charm angewendet, um dir deine Magie zu entziehen und zwar, weil du mir zu stark geworden bist." Chay nickte betäubt: "Und wie soll ich bitte wieder gesund werden? Meine Hände. Sie..." "Ich kann deine Hände mit einem Geist besetzten, der dich keine Schmerzen empfinden und ganz normal agieren lässt. Allerdings werden sie schneller warm und du wirst sie nicht spüren. Sie könnten sir auch nicht gehorchen, jedenfalls nicht immer." Chay streckte seine Arme von sich und neigte den Kopf zur Seite: "Mach!" Tief einatmend beschwor Taydo Schwarze Magie und Chays Hände wurden etwas dunkler und transparenter. Chay bewegte langsam die einzelnen Glieder, als er husten musste. Blut tropfte auf den Boden und kurzerhand nahm Taydo seinen kleinen Bruder über die Schulter und trug ihn nach Hause. Chay wehrte sich nicht. Chay saß mit dem Rücken an einem Baum im Grünen. Der Wind spielte mit seinen Haaren. In seinen Händen hielt er einen Skizzenblock. Rasch machte er die nötigen Bewegungen um die Landschaft vor ihm einzufangen und wie schon die Tage zuvor rutschte er ab und verzweifelte. Wieder einmal rannen ihm Tränen über die Wangen, so dass er den Block zusammen packte und aufstand. Der Wind wehte stärker und trocknete die Tränen. Chay rannte nach Hause. "Wo warst du?" Fragte Taydo barsch, als Chay die Tür öffnete. "Ich habe gezeichnet, falls es dem Herrn nichts ausmacht." "Was ist los mit dir?" Chay starrte ihn verständnislos an und rang mit den Händen: "Was mit mir los ist? Du fragst ernsthaft, was los ist? Mein ganzes Leben lang hast du versucht mich zu zerstören. Wegen dir wurde mir jeder Finger einzeln gebrochen. Wegen dir kann ich meine Hände nicht heilen. Wegen dir habe ich diese dunklen Geisterhände, die nicht mal ansatzweise das Wort Genauigkeit kennen. Und da fragst du noch, was mit mir los ist?" Taydo blieb äußerlich ruhig: "Wozu brauchst du Genauigkeit mit Händen?" "Mal bitte einen Kreis mit ungenauer Fingerführung!" "Du malst?" "Ja, hatte ich das nicht erwähnt?" Weiterhin ruhig fragte Taydo: "Wozu?" Damit nahm er Chay den Wind aus den Segeln: "Was meinst du mit wozu?" "Wozu zeichnet jemand wie du? Ich kann verstehen, dass du dich für die Gemeinde einsetzt und ich kann verstehen, dass du diverse Studien durch gehst, aber ich kann nicht verstehen, was dir das Zeichnen bringt und erzähl mir nicht, es ist nur ein Hobby!" "Aber es ist eines. Ich zeichne gerne Landschaften, weil... weil ich die freie Natur liebe. Beim Zeichnen kann ich mich entspannen und mir selbst freien Lauf lassen. Es beruhigt im Wind zu sitzen und zu zeichnen." "Im Wind? Ist es das, was sich nach draußen zieht?" Chay nickte: "Ich liebe den Wind!" "Warum?" "Er trocknet die Tränen", antwortete Chay leise und verschwand in seinem Zimmer. Taydo griff nach dem von Chay vergessenen Skizzenblock und blätterte ihn durch, als auch schon Chay zurück kam und ihm den Block aus der Hand riss. "Hör auf in meinen Sachen rum zu stöbern! Das geht dich nichts an", schnaubte Chay wütend. Taydo hob belustigt die Hände: "Entschuldige! Ich habe auch nicht die Portraits von meiner Freundin gesehen." Chay drehte sich wütend um und wollte davon stapfen, als Taydo sich noch einmal räusperte. Entnervt fragte er: "Was noch?" Taydo spielte mit einer Strähne seines langen schwarzen Haares: "Miari will heute Abend kommen. Könntest du nicht die Nacht woanders verbringen?" "Wo denn?" "Ist mir eigentlich egal, aber du bist doch so beliebt. Da wirst du schon ein Plätzchen finden." Das Knallen der Haustür war die einzige Antwort die Taydo bekam, woraufhin er amüsiert lächelte. Die Sonne ging gerade unter, als Miari klopfte und von Taydo hinein gelassen wurde. Neugierig fragte sie: "Was ist los?" "Was soll los sein?" "Ich seh dir an der Nasenspitze an, das etwas nicht stimmt." "Ich muss mit dir reden!" Er zog sie in sein Zimmer. "Sag ich doch." Sie setzten sich auf seine Couch. Taydo schaut sie ernst an: "Er hat es getan", Miari verstand nicht ganz. "Er hat geweint. Er hat mir gezeigt, dass er es nicht mehr aushält und er ist ausgerastet. Ich rede von Chay. Du weißt, dass ich nicht gerade ein Musterbeispiel an Mensch bin und ich habe schon viele Leute einfach nur aus Spaß nieder gemacht, in den Wahnsinn getrieben und umgebracht", Miari guckte ihn bestürzt an, hielt aber klugerweise den Mund. "Bei Chay war es anders. Er war der einzige, den ich gezielt angreifen ließ und jedesmal habe ich es noch weiter getrieben. Nun ja, ich habe zu weit getrieben. Ich habe dir ja erzählt, dass er Magie ist und ich habe ihm seine Magie entzogen. Daraufhin haben ihm meine Jungen jeden Finger einzeln gebrochen", Miari schlug die Hände vor den Mund, doch Taydo ließ sich nicht beirren. Mit einem Mal sprudelte sein gesamtes Gewissen hervor: "Er saß da. Tränen liefen ihm die Wangen hinunter und in seinen großen braunen Augen stand die ewige Frage nach dem Sinn geschrieben. Es lief mir eiskalt den Rücken hinunter und ich tröstete ihn. Ich, Taydo, der Männer ohne mit der Wimper zu zucken umgebracht hat, habe meinen kleinen Bruder getröstet. Dann gab ich ihm Geisterhände und er hat alles stumm ertragen und das zerbrach mir das Herz. Vorhin ist er dann ausgerastet, aber damit kann ich wiederum umgehen." Miaris Blick war steinhart: "Wo ist er?" "Chay? Er ist gegangen. Ich weiß nicht, wohin." Miaris zog ihn hoch: "Wir müssen ihn suchen. Er könnte sich was antun!" "Sei nicht so naiv. Chay tut sich nichts an. Er ist stärker, als du glaubst und als es scheint. Er kann genauso eiskalt sein wie ich", Taydos Gesicht wurde plötzlich von einem besorgten Ausdruck überzogen. "Aber vielleicht tut ihm etwas an." Chay stand auf der kleinen Brücke, die den Fluss überspannte, welcher aus dem Gebirge ins Tal hinunter floss. Kleine und große Steine zwangen das Wasser zum Fall. Trotzdem war es an dieser Stelle relativ tief. Die Lichter der Häuser drangen nicht bis hierher. Die Straße führte zu den großen Städten des Westens und einmal im Monat kam ein Warenzug in das kleine Dorf, um Lebensmittel und andere vom Bürgermeister bestellte Waren zu bringen. Das ein oder andere Mal befand sich ein Buch oder einige Schriften zwischen den anderen Waren. Chays Hände umschlossen das Geländer. Der Wind verwehte seine Haare, während er die Augen geschlossen hatte und das Gefühl offensichtlich genoss. Zwar hörte er das unnatürliche Plätschern des Flusses, doch schenkt er ihm keine Beachtung. Dieser Fehler ließ ihn nicht bemerken, wie sich ein Tentakel seinem Hals näherte. Als sie sich um ihn schlang, war es bereits zu spät. Chay rang nach Luft und versuchte den Tentakel zu lösen - doch die Finger rutschten ab. Der Tentakel drückte immer fester zu. Vor Anstrengung traten Chays Ader und Muskeln hervor. In Verzweiflung durch die akute Atemnot, welche sich in dem bläulichen Gesichtston bemerkbar machte, trat er um sich und traf den Tentakel. Augenblicklich löste sich der Griff um Chay und er überschlug sich durch die fehlende Stütze auf dem Geländer. Mit einem verzweifelten Aufschrei fiel er ins eiskalte Wasser, nur um von mehreren Tentakeln unter diesem gehalten zu werden. Eine schlang sich um seinen Oberkörper, während sich eine weitere zwischen Chays Beinen durch schlängelte. Auch ein Arm wurde nach hinten gezogen, so dass das Gelenk knapp einem Auskugeln entging. Chays Versuch an Luft zu gelangen wurde vereitelt durch das Heranziehen der Tentakeln an den schleimigen Körper des Wesens. Die letzten Luftblasen bahnten sich ihren Weg nach oben und Chays Mund füllte sich mit Wasser. Seine Brust schmerzte wie von tausend Nadeln durchstochen. Schließlich senkte sich die süße Leere der Bewusstlosigkeit auf Chay hernieder. Taydo zog den leblosen Körper seines kleinen Bruders an Land. Das Wesen lag mit seinen fünf Tentakeln ausgebreitet im Wasser. Am gesamten Körper hatte es Brandblasen und am Leben war es offensichtlich nicht mehr. Auch Chay hatte einige abbekommen, doch sein Brustkorb hob und senkte sich langsam. Miari hockte am Ufer und weinte. Taydo nahm Chay in die Arme und begann den Heimweg. Ihre Röcke raffend lief Miari den beiden hinterher: "Was ist mit dem Monster? Warte!" Taydo blickte sich hart um und meinte unwirsch: "Es ist tot und ich bring Chay erst einmal nach Hause. Du solltest auch nach Hause gehen!" "Wie geht es ihm?" "Nicht gut, oder wie würde es dir gehen, nachdem du erwürgt, ertränkt und verbrannt wärst?" Miari blieb stehen und Taydo setzte seinen Weg unbeirrt fort. Langsam verschwand seine Silhouette in der Nacht. Die Tür zum Haus der beiden Brüder stand durch den eiligen Aufbruch sperrangelweit offen, so dass Taydo ohne Mühe hinein kam. Gezielt ging er auf Chays Zimmer zu und legte den immer noch bewusstlosen Jungen in sein Bett. Nahezu liebevoll deckte der Ältere ihn zu und betrachtete noch eine Weile Chays friedvolles Gesicht. Dann verließ Taydo das Zimmer um die Tür zu schließen. Seine Gedanken schwirrten um die letzten Jahre und er musste hart an sich halten, wenn er nicht in Tränen ausbrechen wollte. Das gleiche Gefühl wie vor einer Stunde überkam ihn und führte ihn dazu, den Rückweg schneller zu beschreiten. Es hatte sechs Pfoten, an denen messerscharfe Krallen blitzten, und aus seinem Maul ragten zwei riesige Hauer. Eine Kralle hatte sich ihren Weg in Chays Bein gebahnt, eine weitere in seine Brust. Chays Augen waren weit aufgerissen und ihn stand das Grauen geschrieben. Taydo schickte Feuerbälle aus seinen Händen auf das Monster, während Chay sich die Seele aus dem Leib schrie. Taydos Hände schwitzen, während er immer und immer wieder Feuerbälle auf das Wesen warf. Schließlich sammelte er seine gesamte Kraft und formte eine Feuerlanze. Diese durchdrang das Monster und brachte es zu Fall. Chay keuchte. Panisch rannte Taydo auf ihn zu, doch mitten im Raum prallte er von etwas Unsichtbarem ab. Verwirrt blickte er auf Chay, der sich vor Schmerzen krümmte. Einige spärliche Feuerbälle prallten ebenfalls ab. Ein hohes falsches Kichern ertönte und aus dem Schatten löste sich ein Mädchen. Sie war zierlich gebaut, aber nur wenig kleiner als Chay. Langes pechschwarzes Haar viel ihr in Korkenzieherlocken über die Schultern. Ihre Augen, welche schwarz wirkten, aber dunkelgrün waren, schienen die Dunkelheit zu durchbohren. Ein knappes schwarzes Kleid enthüllte mehr anstatt zu verhüllen und auf ihrem Rücken spannten sich zwei übergroße schwarze Fledermausflügel. "Alles muss man selbst machen", meinte sie mit einer aufgesetzt kindlichen Stimme. Sie schritt zu Chay und fasste ihn an der Schulter. Es dampfte und der Geruch von verbranntem Fleisch hing in der Luft. Chays blutüberströmter Körper bäumte sich auf und Taydo musste hilflos mit ansehen, wie sein kleiner Bruder ermordet wurde. Mit einem letzten Schmerzensschrei bildeten sich auf Chays Rücken zwei kleine weiße Schwingen. Doch mit einem Mal breiteten sie sich aus und das Mädchen wurde zurück gestoßen. Taydo seufzte erleichtert auf. Doch, als Chay durch den hohen Blutverlust bewusst wurde, packte das Mädchen Chay und löste sich mit ihm zusammen in Luft auf. Taydo schrie auf und schlug mit beiden Fäusten auf den Boden. Schließlich ließ er Chays Magie ausströmen. Er wusste, dass die Magie Chay auch dort erreichen würde, wo dieses Mädchen ihn hin brachte, an einen Ort, an den Taydo nicht folgen konnte. Als Chay erwachte, befand er sich in einem dunklen Raum, der nur wenig von dem Licht, welches von den hohen Kerzenständern gespendet, erhellt wurde. Das bisschen Licht reichte gerade aus, damit er den Raum inspizieren konnte. Der Raum war kreisrund und in der Mitte befand sich ein fußhoher Sockel, auf welchem Chay stand. Seine Hände waren an die Decke gefesselt. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich weiter umzusehen. An den Wänden befanden sich Bücherregale. Ansonsten war der Raum leer. Es gab nicht einmal Fenster, geschweige denn eine Tür. Erst später bemerkte Chay die riesigen weißen Schwingen an seinem Rücken. Sie waren federleicht gewesen, so dass er sie auch jetzt kaum spürte. Er selbst trug nur noch eine Hose. Brandblasen und tiefe Fleischwunden bedeckten seinen Körper. Chay fühlte wahnsinnig erschöpft. "Ich dachte ja erst, dass du keine Magie besitzt, aber so kann man sich täuschen", vor ihm stand das seltsame Mädchen. Sie sprach mit einer hellen Mädchenstimme: "Diese wunderschönen Schwingen sind das wahre Erscheinungsbild deiner Magie. Sie sind wirklich ungewöhnlich schön für einen Magie." "Wie meinst du das?" Fragte Chay schwach. "Na, hör mal! Du darfst mich nicht duzen. Das ist doch unsittlich. Deine Frage ist zwar etwas ungenau formuliert, aber im Angesicht deiner Verfassung will ich trotzdem versuchen sie zu beantworten. Also, hör gut zu! Ich sage es nicht noch einmal. Wie du weißt, gibt es Magie der Weißen Magie und Magier der Schwarzen Magie. Außer diesen zwei Klassen der Magie gibt es noch die zwei Erscheinungsbilder. Das erste ist das übliche oberflächliche Erscheinungsbild, mit dem du normalerweise die Zauber ausführst. Sie werden jedoch stärker, wenn du sie mit dem wahren Erscheinungsbild sprichst. Bei Magiern der Weißen Magie sind das solche schneeweißen Engelsschwingen, wie du sie gerade besitzt. Bei den Magiern der Schwarzen Magie sind es pechschwarze Dämonenflügel, so wie ich sie habe. Aus dem Grund verwechseln viele Magier desöfteren mit Engeln oder Dämonen. Aber kein Schwarzer Magie hat so schöne Flügel wie ich." "Du bist also ein Dämon." "Ich habe dir immer noch nicht erlaubt mich zu duzen und ja ich bin ein Dämon. Ich bin sogar die Prinzessin der Dämonen. Du hast die leibhaftige Tochter Satans vor dir, Kleiner. Außerdem ist mein Name Estell. Sag doch mal, wieso hat dein Bruder bei dir den Magic Extracting Charm angewandt? Er ist doch dein Bruder!" Chay wich ihrem durchdringenden Blick aus: "Wir haben kein sehr gutes Verhältnis. Er meinte, ich wäre ihm zu stark geworden. Vielleicht hatte er Angst, dass ich mich rächen würde." Estell lachte laut und ehrlich amüsiert: "Und wie soll das bitte funktionieren? Weiße Magie tötet Schwarze? Wirklich, so etwas habe ich meinen Lebtag noch nicht gehört. Ach, komm schon, Junge! Das weiß doch jedes Kind und du guckst, als hätte ich dir erzählt, du wärst in Wirklichkeit ein Frosch. Obwohl du auf diese Art unheimlich süß aussiehst. Die Weiße Magie ist die Magie des Geistes und wird auch Verteidigungsmagie genannt. Die Schwarze Magie hingegen ist die des Körpers und wird auch Angriffsmagie genannt. Für Schwarze Magie ist es verdammt schwierig Weiße Magier umzubringen, wegen der Verteidigung, aber wie bitte schön, mein Kleiner, funktioniert das anders herum? Und warum um alles auf der Welt sollten sich Magier beider Kräfte überhaupt bekriegen?" Chay war sehr erstaunt über diese Frage: "Na, Taydo hat mir mal gesagt, dass Weiß gut und Schwarz böse ist." Wieder lachte Estell: "Ich glaube, dass entweder dein Bruder ein totaler Schwachkopf ist oder er dich einfach nur glauben machen wollte, es sei so. Aber so oder so, ihr Magier seid nun mal Menschen und Menschen sind weder gut noch böse und ich habe dir ja schon gesagt, wo der Unterschied liegt. Langsam weiß ich nicht mehr, was ich von dir halten soll, beziehungsweise wird mir anderes um einiges klarer. Anderes Thema! Du fragst dich doch sicherlich, aus welchen Gründen du das Privileg besitzt in die Gemächer der Prinzessin der Dämonen geladen zu werden?" Chay nickte müde, denn seine gesamte Welt war auf den Kopf gestellt worden und er fühlte sich elend. Estell fuhr fort: "Vor ungefähr sechzehn Jahren haben die Dämonen, mich ausgeschlossen, da man mich für zu jung hielt, beschlossen alle Magier zu töten. Denn die Magie meinten, sie könnten die Welt verbessern, indem sie die Dämonen bannen und deshalb haben wir sie ausgemerzt. Allerdings wurde vor Satan, meinem Papi, verschwiegen, dass ein Dämon niemals zurück kam. Mein Papi fand es jedoch jetzt heraus und schickte mich um die Ursachen dafür zu finden und zu beseitigen. Der Dämon wurde ermordet und zwar von dir!" Einer ihrer schlanken Finger berührte seine entblößte Brust, während Chay sie verwirrt anstarrte. "Und jetzt frage ich dich, wie?" Chay, immer noch träge von dem Schmerz in Leib und Seele, zuckte mit den Achseln: "Ich war doch gerade mal ein Jahr alt." "Hmm. So kommen wir aber nicht weit. Sag mir doch mal, warum dein Bruder Angst vor dir hatte? Wie hättest du ihn verletzen können?" Seufzend erzählte Chay mit lahmer Stimme: "Eine der mächtigsten Zauber der Weißen Magie ist der Coming True Charm. Damit kann man die Wünsche anderer Personen erfüllen. Will man jedoch seine eigenen Wünsche erfüllen, hilft nur der Multiplication Charm, mit dem man ein Ebenbild von sich erstellt, welches wiederum die selben Wünsche hat wie man selbst. Aber das kann ich auf keinen Fall gemacht haben. Ich war doch fast noch ein Baby." "Ich denke, ich verstehe. Aber nehmen wir doch mal an, dein ach so netter Bruder hat sich nichts sehnlicher gewünscht als den Tod des Dämons. Hättest du nicht aus Versehen diesen Wunsch erfüllen können?" "Rein Theoretisch schon, aber wie gesagt, ich war fast ein Baby und den Coming True Charm aus Versehen ein zu setzen würde von großer Begabung zeugen." "Wer weiß, vielleicht besitzt du ja eine große Begabung." Augenblicklich wurde Chay sich bewusst, dass er immer noch halbnackt und gefesselt vor einem Dämonenmädchen stand und fast im selben Moment dieser Erkenntnis, spürte er ihre weichen warmen Lippen auf den seinen. Die Wärme, welche von Estell kam, wollte sich in ihm verbreiten, doch da ließ sie auch sie schon wieder ab und verschwand. Chay holte tief Luft. Schon seit Stunden zögerte Miari vor der Tür ihres Geliebten mit dem Anklopfen. Zwar war die Tür angelehnt, jedoch traute sie sich noch nicht hinein zu gehen. Zu tief saß der Schock um das Geschehene. Schließlich schob sie vorsichtig die Tür einen Spalt weit auf. Dahinter gähnte nur tiefe Dunkelheit. Sie öffnete die Tür vollständig und setzte einen Fuß über die Türschwelle. Der Flur lag gespenstisch still da, so dass Miari ihn entlang schlich. Langsam näherte sie sich Chays Zimmer. Die Tür stand weit offen und Taydo kniete starr auf dem Boden. Chays Bett war zerwühlt, blutig und leer, so dass Miari das Herz in die Knie sank. Taydos Anblick erfreute sie auch nicht wesentlich. Seine Augen starrten stur geradeaus. Das Gesicht war bleich, der Mund eine dünne Linie. "Taydo?" Fragte Miari besorgt. Sie hatte sich vor ihn gehockt, aber Taydo zuckte nicht mal mit der Wimper. Der Anblick traf Miari so sehr ins Herz, dass sie ihn zu sich zog und ihm sanft den Rücken streichelte. Langsam flossen die Tränen und Taydo weinte bitterlich. "Taydo, was ist passiert? Wo ist Chay? Komm, lass uns wenigstens hier raus gehen!" Sie führte den heftig zitternden Taydo aus dem verunstalteten Zimmer und brachte ihn in sein eigenes. "Vor sechzehn Jahre"; begann Taydo mit monotoner Stimme, "als Chay fast noch ein Baby war, griff ein Dämon unsere Familie an. Sie hatten den Plan gefasst alle Magier aus der Welt zu schaffen und mein Vater war ein Weißer Magier und meine Mutter eine Schwarze Magierin. Mein Vater starb bei der Verteidigung unserer Familie und die Angriffe meiner Mutter hatten dem Dämon kaum Schaden zugefügt. Ich hatte Chay auf dem Arm und hockte in meinem Versteck. Der Dämon hätte uns sicher gefunden, aber bevor dies geschehen konnte, geschah etwas Unglaubliches. Verzweifelt wünschte ich mir, dass der Dämon starb und genau dies geschah in dem Moment, in dem ich es mir am intensivsten gewünscht hatte. Chay weinte und er war leichenblass. Ich hatte Angst um ihn und rannte zu meiner Mutter. Sie lag im Sterben, doch sie sprach zu mir von Chays Tat. Er hatte den Coming True Charm angewendet ohne ihn je gelernt zu haben und das als Baby. Meine Mutter warnte mich noch vor einer möglichen Entdeckung durch die Dämonen, deshalb sprach sie noch einen Verhüllungszauber über den Dämon. Sie starb kurz darauf. Ich begrub meine Eltern und zog mit Chay weit weg in dieses Dorf. Chay wurde von mir aufgezogen und ich trainierte ihn mit der nötigen Härt, indem ich ihn immer wieder angriff. Schnell lernte er den Cure Charm und um einen größeren Fortschritt zu erreichen, erzählte ich ihm, ich hätte unsere Eltern getötet und dass ich böse wäre. Er hat es mir geglaubt, denn ich war der einzige der etwas darüber wissen konnte und ich benahm mich a nun nicht gerade wie ein Heiliger. Er hat nie verstanden, dass nicht die Form einer Magie sondern die Art ihrer Benutzung entschied ob ein Mensch gut oder böse war. Es gab auch böse Weiße Magier. Chay wuchs auf in diesem kleinen Dorf und er ist einer der besten Menschen, die ich je kenne gelernt habe und das trotz meiner Behandlung. Und anstatt ihn zu unterstützen habe ich ihm das Leben schwer gemacht und dann beging ich auch noch meinen größten Fehler. Ich entnahm ihm seine Magie. Das hätte ihn beinahe umgebracht. Erst das Monster im Fluss, dann das Monster in seinem Zimmer und schließlich die Tochter Satans persönlich. Sie hat ihn entführt, aber wenigstens hat er die vollkommene Magie erreicht - Seine Innere. Ich hoffe, er überlebt das alles." "Lebt er denn noch?" Fragte Miari, immer noch geschockt von Taydos unerwarteten Geständnis. Taydo nickte, ein neuer Funke brannte in seinen Augen: "Ja und bald wird er wieder der Alte sein. Es tut mir Leid, Miari, dass ich dir nicht vertraut und dich auch noch belogen habe." Miari lehnte sich zu ihm rüber und küsste ihn. Chay erwachte. Es war dunkel. Langsam schälte sich aus der Finsternis in seinem Kopf die Erkenntnis, wo er war. Auch spürte er, was ihn geweckt hatte. Seine Hände waren wieder heil, der Geist verschwunden. Er fühlte wieder die Wärme seiner Magie. Die Leere in seinem Körper und Geist war entwichen. Plötzlich hörte er Schritte, zu schwer für Estell. Er versuchte sich um zu drehen, aber die Schwäche, welche auf seine zahlreichen Wunden gefolgt war, hatte ihn noch nicht ganz verlassen. Jede Bewegung schmerzte und es war ihm unmöglich den Neuankömmling zu betrachten. "Sieh an, sieh an! Was hat meine Tochter sich denn da ins Haus geholt? Ein Engelchen", ertönte zischend eine Stimme. Schrilles Gelächter antwortete ihr. Nahezu sofort erkannte Chay, dass es sich um Satan handeln musste und kurze Zeit später spürte er einen Schmerz bis aufs Mark. Er keuchte und kalter Schweiß lief ihm über die Stirn. Wieder ertönte das Gelächter. Eine weiße Feder schwebte zu Boden. Satan schritt um Chay herum und blickte ihm direkt in die Augen. Chay schwitzte noch mehr und er konnte Satans durchdringendem Blick nicht ausweichen. Satans Finger glitt an Chays Wange entlang und hinterließ eine rote Spur, welche augenblicklich verschwand. Dass Chay Magie anwandte, bemerkte Satan nicht. "Nun gut, mein kleiner Engel, was machen wir jetzt mit dir?" Chay atmete heftig: "Ich bin kein Engel!" Satan ignorierte seinen Einwand und fuhr mit dem Ausreißen der Federn fort. Letztendlich schrie Chay die Worte hinaus: "Ich - bin - kein - Engel!" Plötzlich fühlte er, wie die weißen Schwingen wieder in seinem Rücken verschwanden. Satan trat verdutzt einen Schritt zurück und zum ersten Mal stotterte er: "Du ... du ... du bist ... ja gar kein ... Engel. Du ... du bist ein ... Magier!" "Das hat er dir doch gesagt, Papa!" Estell war vor ihnen erschienen. "Außerdem habe ich dir schon einmal gesagt, dass du mein Eigentum nicht beschädigen sollst!" Estell wurde zornesrot. "Beruhige dich doch, Schätzchen! Ich wusste doch nicht..." "RAUS HIER!" Der Raum wurde von Blitzen erhellt und Satan flüchtete . Estell ließ ihrem Ärger freien Lauf: "Der tut immer so, als wäre er unheimlich wichtig. Das war genauso wie vor zehn Jahren. Da habe ich mir so ein kleines Mädchen ins Haus geholt und nur zwei Tage später, hatte mein Papi ihr das Genick gebrochen. Väter können ja sowas von nerven. Meinst du nicht auch, Kleiner?" Das kann ich nicht so sagen. Ich habe meinen Vater nie kennen gelernt." "Oh, das hatte ich vergessen", dann änderte sich ihre Fröhlichkeit in ehrliches Mitleid, "tut mir Leid, Kleiner. Sag mal, wie heißt du eigentlich?" "Chay." "Chay. Das ist ein passender Name für einen so süßen Jungen wie dich." Ihre Lippen berührten die seinen. Er spürte, wie ihre Zunge in ihn eindrang und er erwiderte den Kuss. Ihre Hand strich über die Stelle, wo seine Flügel im Rücken verschwunden waren. Sie glitt nach oben durch seine kurzen blonden Haare und verweilte eine Weile dort. Dann griff sie blitzschnell in die Fesseln und durchtrennte sie. Chay sank in seiner Schwäche zu Boden, Estell mit ihm. Beide lagen nun auf dem Podest in inniger Umarmung. Chay war erstaunt darüber, wie sehr er sie plötzlich begehrte. Seine Hände fuhren durch ihr langes schwarzes Haar über ihre schwarzen Flügel. "Ich will dich!" Raunte Estell. Chay nickte atemlos und beide versanken in einen innigen Kuss. Am nächsten Tag wachte Estell auf und blickte sofort in Chays schlafendes Gesicht. Sanft hauchte sie ihm einen Kuss auf die Wange. Ein Räuspern ertönte. "Papi!" Fauchte Estell. Satan saß bequem in einem großen Lederssessel. "Wie lange guckst du uns schon zu?" Satan zuckte mit den Schultern und schaute verächtlich auf Chay hinab: "Dass du dich solchem Abschaum widmest, ist wirklich widerlich und das auch noch als meine Tochter. Ich dachte, wir hätten sie ausgerottet, aber sie scheinen recht widerspenstig zu sein." "Papi, wenn du ihn nicht in Ruhe lässt, dann wirst du dir wünschen mich nie gezeugt haben. Also, akzeptiere ihn wenigstens als meinen Liebhaber!" "Wie du willst. Hey, Magier, wach auf!" Satan stieß mit dem Fuß in Chays Rippen. Stöhnend öffnete Chay die Augen. Als er Satan erkannte, setzte er sich schnell auf. Estell warf ihrem Vater einen vernichtenden Blick zu. Satan hingegen hockte sich vor Chay und guckte ihn durchdringend an: "Hör mir gut zu, Magier! Ich werde dich am Leben lassen, dafür wirst du aber in meinen Diensten stehen. Dir ist geläufig, dass Engel und Dämonen momentan im Krieg stehen und im Krieg gibt es Verwundete. Du wirst sie heilen und du wirst hier bleiben. Hast du mich verstanden? Das hier ist jetzt dein Zuhause oder ich werde dir jede Feder einzeln ausreißen. Wir verstehen uns doch?" Chay gelang es kaum zu nicken und Satan wandte sich voller Abscheu ab. Während Estell zu Chay kroch, verließ er den Raum. "Es tut mir Leid, dass du nun Probleme mit deinem Vater hast." Estell lachte: "Wieso entschuldigst du dich für etwas, an dem ich die Schuld trage. Wir verstehen uns selten gut. Mir tut es nur so Leid, dass er dich so mies behandelt." Chay nickte bedächtig: "Krieg. Hmm. Geht der nicht schon seit Ewigkeiten? Zeig mir, wo die Verwundeten sind." Estell küsste ihn und bald drauf fanden sich die beiden in einem höhlenartigen Gebilde wieder. In jeder noch so kleinen Nische befand sich ein blutiges Lager. Der Boden war voll von Verletzten. Wie Estell es vollbracht hatte, nicht auf einem zu landen, war Chay ein Rätsel. Einige Dämonen gingen vorsichtig durch die Reihen um hier und da akute Schmerzen zu behandeln. Neben Chay lag eine junge Frau. Stöhnend wälzte sie sich in den blutigen Leinen umher. Erst als sich ihre Blicke kreuzten, merkte Chay, wie er sie angestarrt hatte. Ihr Blick war dumpf, aber für einen kurzen Moment schienen ihre Augen auf zu flackern. Ihr Mund öffnete sich, doch nur Blut sickerte hervor. Chay ließ sich hinab sinken. "Halt! Was machen Sie da?" Einer der Heiler blieb in plötzlicher Erkenntnis stehen. Sofort ließ er sich auf ein Knie fallen und beugte den Kopf, doch Estell winkte ihn genervt hoch und bedeutete ihm zu schweigen und zu schauen. Chay glitt mit seinen Händen über den Körper der Frau und heilte sie. Sie schlug die Augen auf und schaute ihn kurz dankbar an. Dann breitete sie die schwarzen Schwingen aus und verschwand. Verwirrt sah Chay Estell an: "Wohin ist sie gegangen?" "Sie kehrt zurück zu ihrer Einheit. Wie gesagt, wir sind im Krieg und da wird jeder gebraucht", berichtete sie sachlich. Chay hingegen wurde langsam wütend: "Ich soll diese Dämonen also nur heilen um sie wieder in den Krieg zu schicken, wo sie das das nächste Mal vielleicht sterben?" Estell nickte kaltblütig. Chay schluckte, doch dann verhärtete sich auch sein Blick und er ging zum nächsten Verwundeten. Einige Zeit später saß Chay erschöpft auf dem Boden und ließ sich von Estell etwas zu trinken einflößen. Gerade wurden drei neue Verletzte herein getragen. Chay ließ seinen Kopf sinken. Erschöpfung zeichnete ihn in diesen späten Stunden. "Ich bin jetzt seit drei Wochen hier und der Fluss der Verwundeten will einfach nicht abbrechen. Was hat das überhaupt für einen Sinn?" Estell legte tröstend einen Arm um ihn: "Ihr Menschen gebt wohl nie auf, nach dem Sinn zu fragen. Für alles, was geschieht braucht ihr einen Erklärung. Es geschehen nun mal Sachen, die unerklärlich sind. Zum Beispiel dieses warme Gefühl, wenn ich dich angucke." Chay lächelte müde: "Wahrscheinlich hast du Recht. Ich liebe dich, Estell!" Sie versanken in einen innigen Kuss. Miari und Taydo wachten eng umschlungen auf. Zwei Wochen waren seit Chays Entführung vergangen und in diesen zwei Wochen hatten die beiden sich gegenseitig Trost gespendet. Zudem erreichte ihre Beziehung endlich eine festere Basis, eine, die auf Vertrauen beruhte. Sie waren fast glücklich. An diesem Tag jedoch wurde die Erde erschüttert. Feiner Staub rieselte von der Decke hinab. Doch Taydo spürte noch etwas anderes: Eine Störung im Fluss der Magie. Er sprang aus dem Bett, stieg in eine Hose und war aus dem Haus, bevor Miari auch nur daran dachte, zu fragen, was los sei. Vor seiner Haustür offenbarte sich Taydo ein Anblick des Schreckens. Die Bäume hatten angefangen lichterloh zu brennen. Die schönen Wälder waren ein trostloser Schatten von dem, was sie einst waren. Der Blick aufs Dorf hinunter war auch nicht fröhlicher. Einige Häuser waren zerstört, andere brannten. Die Menschen hatten sich auf dem großen Marktplatz zusammen gefunden und kauerten sich ängstlich zusammen. Kinder schrieen, Frauen weinten, Männer bewaffneten sich und bildeten einen Kreis um Frauen und Kinder. Dann sah Taydo auch den Grund für dieses Durcheinander. Am Himmel und auch auf dem Boden wimmelte es von Dämonen und Engeln, die sich gegenseitig bekämpften und dabei auf nichts und niemanden Rücksicht nahmen. Miari drückte sich ängstlich an ihn. Er spürte das ängstliche Erbeben ihres Körpers und hielt sie fest. Nur langsam begannen seine Gedanken wieder zu arbeiten. Immer schneller und schneller, bis sie durcheinander wirbelten. Dann schließlich fasste er einen Entschluss. Er war ein Magier und er würde seine Gabe auch benutzen. Er zog Miari mit sich hinunter und zusammen rannten sie die Strecke zum Marktplatz. Die Dorfbewohner beäugten ihn argwöhnisch, doch bei Miaris Anblick ließen sie die beiden in ihre Mitte. Gezielt suchte Taydo nach dem Bürgermeister, welcher gerade einer älteren Frau Mut zusprach. Taydo wartete geduldig, bis er sich ihm zuwandte. "Nun, wo ist er?" Für den ersten Moment wusste Taydo nicht, was der Bürgermeister von ihm wollte, doch dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Seit zwei Wochen war kein Lebenszeichen von Chay zu hören gewesen. Auch jetzt war er nicht bei ihnen. Taydo schluckte: "Er wurde entführt, von einem dieser Wesen. Ich weiß nicht mal, ob er noch lebt." Der Bürgermeister schnaubte: "Als, ob dich das interessieren würde." "Er liebt seinen Bruder über alles", mischte Miari sich ein. "All das hat er nur getan um Chay zu stärken. Es war nicht die richtige Methode, aber eine wirkungsvolle. Er liebt ihn." "Und er hat versagt", gab Taydo resigniert von sich. "Ich weiß, dass ich nicht immer der liebe Junge von nebenan war. Aber ich habe oft genug in meinem Leben versagt. Ich will endlich mal was richtig machen." Der Bürgermeister nickte bedächtig, war aber noch lange nicht überzeugt: "Und wie willst du das anstellen?" "Ich bin ein Magier. Ich habe magische Kräfte und ich werde sie für dieses Dorf einsetzen. Wenn ihr mich nun gewähren lasst." "Versuch dein Glück!" Und dann winkte er Taydo hinfort. Taydo konnte sich ein seichtes Lächeln nicht verkneifen, doch dann kam eine Energiekugel auf eine Gruppe von Kindern hinzu und Taydo musste blitzschnell handeln. Mit einem Feuerball lenkte er den feindlichen Angriff ab. Und dann war keine Zeit mehr für irgendetwas anderes. Die Angriffe prasselten auf sie nieder, jeder von einem Gegenangriff abgelenkt. Der Schweiß lief Taydo übers Gesicht: "Wer sagte bloß Angriff sei die beste Verteidigung?" Schließlich kam es zu einer Gefechtspause. Taydo ließ sich erschöpft auf den Boden sinken. Miari flößte ihm etwas Flüssigkeit ein. Der Bürgermeister schritt auf Taydo zu: "Wirklich gut. Danke! Aber sag doch, wieso greifen uns diese Wesen an?" "Das tun sie gar nicht. Engel und Dämonen bekriegen sich schon seit Ewigkeiten. Wir sind ihnen vollkommen egal", erklärte Taydo knapp. Sich hinsetzend fragte der Bürgermeister weiter: "Und Chay? Ist er auch ein Magier?" Traurig nickte Taydo: "Ja, das ist er. Nur wäre er uns bei weitem hilfreicher. Durch meine Angriffe könnte ich ihre Aufmerksamkeit auf uns gelenkt haben. Chay hätte uns verteidigen können." "Es tut mir Leid!" Meinte der Bürgermeister und klopfte Taydo auf die Schulter. Dann verließ er ihn wieder. Chay lag auf dem Rücken und betrachtete die Höhlendecke. Estell kam zu ihm gekrochen und bedeckte seinen Körper mit Küssen. Er zog sie zu sich. Plötzlich hörten die beiden Geräusche näher kommen. Estell zog Chay in eine Nische. Die Dunkelheit verbarg ihre Körper. Wenig später kamen zwei Dämonen vorbei. "Also, haben sich die Armee der Engel in den Lichterwald zurück gezogen. Welche Nachrichten gibt es von der Westfront?" "General Hoker hat die Verfolgung aufgenommen und versucht die Engel in einen Engpass zu treiben." Ihre Schritte entfernten sich wieder. Estell kicherte, doch Chay lächelte nicht einmal. "Was ist los?" Fragte sie besorgt. "Der Lichterwald ist gleich neben meinem Dorf. Estell, ich muss zu ihnen!" Estell schaute ihn erschrocken an: "Aber du hast meinen Vater versprochen hier zu bleiben." Chay blieb stur: "Ich soll also einem Volk helfen, dass mich ohne mit der Wimper zu zucken umbringen würde, aber mein eigenes soll ich in den Untergang laufen lassen. Das kann er nicht von mir verlangen. Estell, bring mich nach Hause!" Sie guckte ihn kühl an: "Dann komm, Magier!" Es war eine schreckliche Woche gewesen. Die Angriffe waren gerade abgeebbt und Taydo begann einige Notunterkünfte aufzubauen. Miari versorgte die Kinder und Frauen und zeigte wahre Stärke in dieser Not. Die Feuer waren ausgebrannt und so blieben nur die schwarzen Baumstümpfe. Auf diesen Waldpfaden würde der Wind nicht mehr wehen. Der Wind, der Chay so lieb gewesen war, war aus dem Dorf für immer verschwunden. Taydo sank erschöpft zu Boden. Plötzlich war alles so sinnlos geworden. Selbst, wenn der Krieg weiter ziehen würde, so war dieser Ort nicht mehr seine Heimat. Er müsste schon wieder von vorn anfangen, doch diesmal ohne den kleinen blonden Jungen von damals. Dann griffen sie wieder an. Taydo sah die geballte Kraft der Dämonen und Engel auf sich nieder kommen und konnte nichts dagegen tun. Er kniff die Augen zu und wartete auf den Aufprall. Der Aufprall, der niemals kam. Das aufgeregte Raunen der Dorfbewohner machte ihn neugierig, so dass er die Augen wieder öffnete. Täuschte er sich, oder war der Himmel mit einem leichten Grünton belegt? Dann erkannte er es. Ein Schutzschild. Mit einem leuchtendem Glitzern in den Augen drehte er sich um und da stand er. Sein kleiner Bruder. Chays ganze Gestalt war um einiges erwachsener geworden und sein Gesicht hatte endlich Zufriedenheit kennen gelernt. Hinter Chay sah er ein Dämonenmädchen weg fliegen. Miari schrie vor Freude auf und auch Taydo überbrückte die Distanz zu seinem Bruder mit schnellen Schritten. Dann umarmten sich die beiden Brüder, wie sie es noch nie getan hatten. Erst nach einiger Zeit ließ Taydo seinen kleinen Bruder los. Chay umarmte noch Miari und dann wurde er auch schon freudig von den Dorfbewohnern aufgenommen. Von dem Schutzschild beschützt konnte Taydo endlich schlafen, doch blieb er lieber auf um mehr Zeit mit Chay zu verbringen. Es wurde ein lustiger Abend. Doch am nächsten Tag holte sie der Krieg wieder ein. Satan persönlich zerriss den Schutzschild und stürmte auf Chay zu. Dieser versuchte die Dorfbewohner zurück zu drängen, doch Satan kam nur für ihn. Er packte Chay am Kragen und zog ihn vom Marktplatz. Sein Gesicht war eine wütende Maske und seine Stimme zischte, als er Chay anschrie: "Du! Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Erst brichst du dein Versprechen und dann schickst du meine Tochter in den Tod. Ich würde dich hier und jetzt zerreißen, wenn Estell dich nicht sehen wollte. Jetzt komm!" Im nächsten Moment waren sie in Estells runden Raum. Auf weichen Laken gebettet lag sie da. Ihr Blick glasig. Chay sank geschockt zu Boden. Satan verließ die beiden. Bei Chays Anblick lächelte sie: "Du bist gekommen." Chays Augen füllten sich mit Tränen: "Was ist passiert?" "Ich wollte diesen Krieg beenden. Papi hat mir zugesagt, er würde Verhandlungen nicht ablehnen, sollten die Engel sie anbieten", sie spuckte Blut. "Sie wollen nicht, wie du siehst." Sie versuchte zu lachen, aber nur Blut kam hervor. "Hey, nicht weinen, Kleiner! Ich liebe dich doch, Chay!" "Ich liebe dich auch, Estell. Bitte, bleib jetzt hier. Du darfst nicht gehen." Aber es war bereits zu spät. Chay brach unter Tränen zusammen. Verbittert stand Chay vor Satan und trotzte seinem Blick. "Du hast sie also sterben lassen?" Fragte Satan kühl. Chay blieb trotz der Anklage ruhig: "Sie ließ sich nicht heilen. Ich habe es versucht." Satan erhob sich. Dann sprach er zu seinem Volk: "Die Engel haben meine Tochter getötet. Lasst uns sie rächen!" "NEIN!" Chay atmete heftig: "Estell wollte, dass dieser Krieg beendet wird. Wollt ihr, dass sie umsonst gestorben ist?" Nach einer kleinen Denkpause, setzte sich Satan wieder: "Vielleicht hast du Recht, Magier. Geh und komm nie wieder zurück!" Chay drehte sich um und verschwand. Als er wieder ins Dorf kam, lief ihm Miari aufgeregt entgegen. In Tränen aufgelöst, berichtete sie: "Chay, er ist zu ihnen gegangen. Er wollte diesen Krieg beenden. Du musst ihm helfen." Um Taydo zu retten, schwang Chay sich mit seinen weißen Schwingen in die Höhe. Er brauchte eine Weile, doch dann fand er ein schwarzes Paar Flügel, attackiert von den Engeln. Ohne zu denken warf Chay sich vor ihn. Als die Engel die weißen Schwingen sahen, hielten sie inne. Chay sprach mit gebrochener Stimme: "Hört mir zu! Wir beide sind Magie, keine Dämonen oder Engel. Im Sinne aller Menschen bitte ich euch, hört mit diesem Krieg auf. Es gibt doch auch anderes im Leben. Zumindest wollen wir nicht wegen euch leiden müssen. Die Dämonen sind bereit Verhandlungen aufzunehmen. Nun liegt es an euch." Schützend hob er den Arm, aber die Engel machten kehrt und flogen davon. Chay seufzte erleichtert, doch dann verschwanden seine Flügel und er fiel in Taydos Arme. Besorgt flogen er mit Chay zurück zur Erde. Unten angekommen fiel ihm die stark blutende Wunde auf. Doch gefährlicher war seine Erschöpfung. "Danke, großer Bruder!" Wisperte Chay. "Wofür denn? Du hast mir doch das Leben gerettet." Chay lächelte: "Für alles, was du für mich getan hast, auch wenn ich es nicht immer gewertet habe." Taydo war erstaunt: "Dann weißt du alles?" Chay nickte kaum merkbar: "Estell hat es mir erzählt." Beschämt blickte Taydo weg. "Taydo? Ich habe was zu erledigen." Leicht gereizt antwortete Taydo: "Nichts wirst du machen oder willst du sterben?" Chay lächelte Taydo an. Seine braunen Augen blickten ihn entwaffnend an: "Immer noch der Alte, wie?" Dann wurde er wieder ernst: "Ja, Taydo, ich will sterben. Ohne Estell kann ich nicht leben. Aber ich will auch nicht wie ein Feigling einfach verschwinden. Ich möchte heilen, was der Krieg zerstört hat. Ich will, dass der Wind hier wieder weht." Taydo schüttelte energisch den Kopf: "Nein Chay! Du wirst nicht den Life Charm benutzen. Das ist die allergrößte und vor allem Energie aufbrauchendste Weiße Magie." "Ich weiß!" Chay lächelte Taydo noch einmal an und mit einem Mal wuchsen die Bäume um sie herum und grünten. Taydo blickte sich überwältigt um. Ein leichter Windzug erinnerte ihn an Chay. Doch dieser lag mit einem Lächeln auf den Lippen in seinen Armen. Seine blonden Haare waren glanzlos und seine Augen geschlossen. Er war tot. "Nein, Chay! Tu mir das nicht an! Das ist unfair. Ich will nicht der einzige Magier auf Erden sein. Bitte nicht. Komm zurück!" Taydo brach in Tränen aus, doch Chay antwortete nie wieder. Nie wieder würde er in Chays warme Augen sehen. Nie wieder seiner melodischen Stimme zuhören. Nie wieder durch seine blonden Haare wuscheln und dafür einen bösen Blick ernten. Erst jetzt bemerkte er, wie sehr er wirklich an dem kleinen Jungen gehangen hatte. Wäre Miari nicht gewesen, er hätte sich umgebracht. Es war ein sonniger Tag, als Taydo am Grab seines Bruders und Estells stand. Die Bäume grünten und Vögel zwitscherten. Dämonen und Engel waren in Friedensverhandlung über gegangen. Die Welt war wieder in Ordnung. In großen schwarzen Buchstaben stand auf dem grauen Stein: Estell und Chay Dämonenprinzessin und Weißer Magier Dämonenflügel und Engelsschwingen Auf ewig verbunden und vereint. Taydo legte Blumen auf das Grab, dann wandte er sich ab. An der Felskante ließ er seinen Blick auf das weite Land gleiten. Die Blätter bewegten sich im Wind. "Was machst du nun?" Fragte Miari zaghaft. Taydo blickte weiter hinaus in den Wald: "Den Wind spüren." Eine Träne tropfte auf den Boden. "Warum?" Mehrere folgten ihr. "Er trocknet die Tränen." -Fin- Danke fürs Lesen und über ein paar Kommis würde ich mich auch ganz doll freuen. Caris ^('v')^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)