Hello my Clone von Anemia ([ Deathstars X Toxic Rose FF]) ================================================================================ Kapitel 2: Hello my Reflection ------------------------------ Die Tage vor dem Trashfest scheinen immer kürzer zu werden. Vielleicht auch, weil ich mit Tom fast jede freie Minute im Proberaum verbringe. Er macht unheimliche Fortschritte und kann meiner Meinung nach die Griffe nun beinahe im Schlaf spielen. Eine Blamage an unserem großen Tag wird er uns also ersparen. Allerdings sind wir noch immer nicht die besten Freunde, auch wenn wir uns so häufig sehen und auch den ein oder anderen Witz reißen. Als höflich-distanziert würde ich mein Verhältnis zu ihm beschreiben. Wir sind eine bloße Zweckgemeinschaft, ein Team wider Willen, aus der Not heraus und weil der Rest der Band es so wollte. Und mit jedem Mal, bei dem ich ihn seine Parts spielen sehe, krampft sich mein Magen fester zusammen. Er ist so gut, so verdammt gut. Was, wenn er sogar besser als ich ist? Schon das lässt meine Abneigung ihm gegenüber wachsen. Und auch die Tatsache, dass er immer tiefer in mein Leben eindringt. Man könnte sogar sagen, dass er für meine Mitmenschen langsam aber sicher unverzichtbar und viel zu wichtig wird. Auch den heutigen Tag verbringen wir wieder im Proberaum. Seitdem ich den Gips gegen einen leichten Verband eintauschen durfte, fühle ich mich wieder viel freier und auch attraktiver. Mein angeschlagenes Selbstbewusstsein benötigt das. Denn immer wieder fürchte ich, dieser Klon könnte mir die Show stehlen. "Machen wir eine kurze Pause? Ich muss mal für kleine Gitarristen." Gitarrist. Es klingt hässlich, wenn er sich so bezeichnet. Am liebsten wäre ich der einzige Gitarrist auf der ganzen Welt, damit mir niemand meine Position abspenstig machen kann. In meiner kühlen Art nicke ich. Fläze mich derweil auf das abgewetzte Sofa und betrachte sehnsüchtigen Blickes meine E-Gitarre in der Ecke. Sie wirkt traurig, so allein. Aber bald bearbeite ich dich wieder, mein Schätzchen, verspreche ich ihr gedanklich. Doch wann wird es so weit sein? Unsere Europatour startet im Winter und vorher muss ich wenigstens noch ein bisschen proben. Sonst ist Tom wirklich noch der bessere Gitarrist von uns beiden. Oh, dieser quälende Konkurrenzkampf, dieser Nervenkrieg. Würde ich Tom nicht so furchtbar gern anschauen, hätte ich das Ganze wahrscheinlich schon längst nicht mehr ertragen können. Aber er ist so schön. Das ein oder andere Mal war ich sogar schon versucht, ihm das ins Gesicht zu sagen. Doch dann treffen sich unsere Blicke für einen unsäglich an den Eingeweiden zerrenden Moment, in dem ich feststelle, dass es nicht meine Augen sind, die mich eindringlich anschauen. Seine sind grau, während meine in dem schönsten Blau erstrahlen, welches man sich vorstellen kann. Ein Scheppern ertönt. Stimmen. Ich blicke zu der einen Spalt weit geöffneten Tür. Ein Kichern. "Ach, Camila!" Mein Herz macht einen kleinen Sprung, als meine Liebste den Raum betritt. Es ist fast so, als hätte sie den Frühling mitgebracht und diese Tristesse, die mich erfüllte, vertrieben. Reflexartig springe ich auf und möchte mich ihr nähern. Es wird sie freuen, dass der Gips endlich verschwunden ist, denn der war beim Austausch von Zärtlichkeiten doch eher hinderlich. Camila aber schaut mich an, als hätte sie einen Geist gesehen. Immer wieder zuckt ein kleines Lächeln über ihr Gesicht, welches sich allerdings nicht festigen kann. "Warum hast du mir eigentlich nie erzählt, dass du einen Zwillingsbruder hast?" Sie hat also Tom gesehen. Ich wünschte, diese ewigen Gespräche über den Eindringling würden endlich ausbleiben. So wichtig ist er nicht. In Wahrheit ist er gar nichts. Nur meine Kopie. Sachte schiebe ich meine Hände über Camilas. Ihre großen Ohrringe, die ich auch an mir liebe, funkeln mich erwartungsvoll an. "Tom ist nicht mein Bruder. Keine Ahnung, wieso der so aussieht wie ich." Ich zucke mit den Schultern, signalisiere aber dann, dass ich nicht länger über dieses leidige Thema debattieren möchte. Leider bleibt es nicht bei unserer trauten Zweisamkeit, denn es ist unvermeidlich, dass Tom irgendwann zurückkehrt. Wäre er ins Klo gestürzt, ich hätte es wahrscheinlich beflissen ignoriert. Würde man mich wegen unterlassener Hilfeleistung belangen, hätte ich ja gute Argumente, die ich zu meiner Verteidigung vortragen könnte. Das Problem ist nur, dass mich keiner versteht. Nicht mal meine Freundin könnte meine Ängste und Sorgen nachvollziehen, glaube ich. Sie ist schließlich ganz angetan von unserem Ersatz und wertet schließlich all unsere optischen Gemeinsamkeiten aus. Tom nimmt dies mit einem milden Lächeln hin, ich jedoch starre den anderen lediglich stumm an. Argwöhnisch, aber auch zutiefst bewundernd. Zwei silberne Ohrringe, etwas kleiner, als die, die Camila und ich tragen, schmeicheln seinem Gesicht. Und er trägt eine hautenge Leggings, die kaum mehr Raum für Fantasien lässt. Jedes Mal, wenn er seine Beine bewegt, sauge ich den Anblick in mir auf. Wenn er blinzelt oder auf seiner Unterlippe herumkaut, dann starre ich fasziniert hin. Er ist so schön, dass es in meinem Magen leicht zu prickeln beginnt. Und zum ersten Mal beschleicht mich die Vorstellung, wie es wäre, mit ihm intim zu werden. Ganz kurz nur zuckt der Gedanke durch mein Hirn. Dann ist er wieder weg. Lässt mich geplättet zurück. "Ist was nicht in Ordnung, Eric?" "Alles gut", murmle ich, massiere mir die Schläfen. "Bin nur ein bisschen müde." Das ist eine Ausrede. Aber was soll ich tun, wenn dieser Kerl meinen Klopf so hochgradig verwirrt? Noch lange grüble ich über meine irre Fantasie. Warum sie existiert. Warum sie nicht kapiert, dass ich Tom nicht ausstehen kann. Wieso lässt sie sich von einer schönen Hülle verführen, wo ich doch nur in den Spiegel blicken zu bräuchte, wenn ich Bauchkribbeln fühlen wollte? Manchmal mutet es etwas unheimlich an, wenn ich mit meiner Freundin gesehen werde und fast jeder sagt: Die sieht dir sehr ähnlich. Es ist zwar wissenschaftlich bewiesen, dass wir uns zu Menschen hingezogen fühlen, mit denen wir in optischen Belangen möglichst viel gemein haben, aber ich glaube, diese Menschen aus den Studien lieben sich nicht so sehr wie ich mich. Denn ich liebe mich so sehr, dass ich manchmal versucht bin, mein Spiegelbild zu heiraten. Ohne zu zögern würde ich mich auch küssen, mich anfassen, mit mir schlafen. Doch ich kann es nicht. Selbst Camila löst in mir nicht diese tiefen Gefühle aus, die ich für mich empfinde. Keiner meiner bisherigen Partner konnte mir das Wasser reichen. Auch nicht Andreas. Die Affäre mit ihm entstand durch meine Faszination von seiner Ausstrahlung, seiner Attitüde; da war etwas, das mich reizte. Aber es genügte mir nie, mit ihm zu schlafen. Ich benötigte mein Spiegelbild, um einen Orgasmus zu erleben. Nur wenn ich mir selbst in die Augen sah überrollte mich die Welle des Glücks. Und bis heute hat sich daran nichts geändert. Manchmal flackert diese Zuneigung zu Andreas wieder auf. Besonders, wenn wir zusammen auf dem Sofa sitzen und ich mich an seine Schulter lehne. Ich liebe dieses Dominante an ihm, dieses Starke, bei ihm fühle ich mich noch zarter und femininer, als ich es in Wahrheit bin. Sein Prinzesschen bin ich, das sagt er mir oft genug. Er sagt es gern. Und ich mag es, wenn er dabei auf diese unverkennbare Art lächelt. Das ist ein großes Stück Vertrautheit. Auch wenn zwischen uns seit Camila nichts mehr läuft, so möchte ich seine Nähe nicht mehr missen. Er schafft es, aus dem zickigen, kratzbürstigen Kätzchen einen Schmusekater zu machen. Einen Schmusekater, der der Hand, die ihn krault, so sehr vertraut, dass er ihr sein Herz ausschüttet. Andreas weiß ziemlich genau, wie sehr ich mich selbst liebe. Er versteht es sogar. Denn er kann mir ebenfalls kaum widerstehen. Ich bin der einzige Mann in seinem Leben und werde es auch immer sein. Das hat er mir sehr oft geschworen. Frauen, Frauen, Frauen und eine Katze. "...das verwirrt mich alles so. Einerseits kann ich diesen Tom nicht ab, aber andererseits würde ich am liebsten mit ihm schlafen. Oder ihn wenigstens küssen." "Na ja, Liebe und Hass liegen oftmals sehr nah beieinander. Ich denke, es ist eine natürliche Sache." Ich seufze. Starre die weiße Wand an. "Aber mal ehrlich: Findest du es denn natürlich, dass ich mich nur zu ihm hingezogen fühle, weil er so aussieht wie ich? Weil er mir den Traum vom Sex mit mir selbst erfüllen könnte?" Daran, dass Andreas etwas zu lange schweigt, erkenne ich, dass er überlegt, wie er mir am schmerzlosesten beibringen kann, dass es ziemlich verrückt ist. Er versteht es, weil er mich ebenfalls hochattraktiv findet, andererseits ist er sicher auch der Ansicht, dass man sich selbst nicht mehr lieben dürfte als zum Beispiel den Menschen, mit dem man sein Leben verbringen möchte. "Es ist krank, nicht wahr?" "Nein..." "Irgendwie schon. Mh. Aber ich kann es nicht ändern." Kurze Pause. "Wie findest du eigentlich Tom?" Andreas gluckst ein bisschen auf diese süffisante Art. Das macht er häufig, wenn er eigentlich nicht so richtig mit der Sprache herausrücken will. "Du findest ja selbst, dass er lecker ist", raunt er mit seiner tiefen Stimme. "Wie soll es auch anders sein? Der Cat-Typ liegt mir einfach." Mh. Das dachte ich mir. Allerdings sehe ich es mit gemischten Gefühlen. Was, wenn Andreas auf die Idee kommt, Tom einfach auf den Prinzesschen-Thron zu erheben, weil er mich nicht mehr haben kann? Es nagt an mir. Es macht mich wütend. Er macht mich wütend. Hätte Tom nicht so schöne Augen, ich würde sie ihm gnadenlos auskratzen. Doch das, was man liebt, kann man nicht so einfach zerstören. Ja, ich liebe Tom. Nein, ich liebe ihn nicht. In Wahrheit liebe ich nur mich. Mich und mein fleischgewordenes Spiegelbild. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)