Hello my Clone von Anemia ([ Deathstars X Toxic Rose FF]) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- "Nein, Eric, ich glaube nicht, dass du bis zum Trash Fest wieder fit bist. Wir sollten nun doch langsam..." "Quatsch, den Gips muss ich doch nur zur Sicherheit so lange tragen. Und das Trash Fest ist erst in ein paar Wochen." Eigentlich ist es nicht meine Art, anderen Leuten ins Wort zu fallen, aber manchmal kann ich mich einfach nicht beherrschen. Besonders, wenn es um Dinge geht, die einen besonderen Platz in meinem Leben haben. Allen voran ist da natürlich die Musik anzuführen. Schon jetzt leide ich allmählich an Entzugserscheinungen, weil ich meine Klampfe für viel zu viele Tage nicht mehr in der Hand hatte. "Eric, du weißt selbst, dass das Wunschdenken ist." Ich spüre, wie meine Mundwinkel erregt zu zucken beginnen. Emil ist eigentlich ein Typ mit dem man Pferde stehlen kann, aber es gibt Momente, in denen er mich zur Weißglut treibt. So wie jetzt. Würde er gerade vor mir stehen anstatt mich über das Telefon zur Vernunft bringen zu wollen, würden nun wahrscheinlich nicht nur meine Lippen beben. Er müsste fürchten, meine Krallen zu spüren zu bekommen. Niemand hält mich vom Musikmachen ab. Vielleicht sind meine Gedankengänge kindisch. Aber es ist eben das, was ich am meisten liebe. Außer mir. Emil scheint langsam mit seinem Latein am Ende zu sein, denn er schweigt für eine ziemlich lange Zeit. Ob er überlegt, wie er mich am leichtesten in meinen eigenen vier Wänden einsperren könnte, damit ich keine Dummheiten mehr mache? Er wird mich nicht aufhalten können. In drei Wochen werde ich auf den Brettern stehen und die Bude rocken, ohne Rücksicht auf Verluste. Und das sage ich ihm auch. "In drei Wochen", beginne ich, hole tief Luft um etwas ruhiger zu werden, obwohl eine große Explosion in mir schwelt. "In drei Wochen trage ich wenn überhaupt einen Verband. Ich werde keine Schmerzen mehr haben. Der Bruch wird verheilt sein. Emil, ich werde voll einsatzfähig sein. Darauf gebe ich dir Buch und Siegel. Verlass dich darauf." Meine heraufbeschworene Ruhe wird jedoch arg durch Emils tiefes Seufzen am anderen Ende der Leitung zunichte gemacht. Oh, wie das Wutgefühl in meinem Bauch brodelt. Ich bin drauf und dran, einfach aufzulegen, damit der ganze Spuk ein Ende hat. Allerdings vermute ich auch, dass Emil ohne meine Zustimmung keinen Ersatz für mich suchen wird. "Okay, du denkst, ich könnte wieder auf meinen Arm fallen, weil ich alles für die Fans gebe. Das ist es, oder?" "Auch." "Emil, jetzt hör zu. Niemand wird mich ersetzen. Weil es niemanden gibt, der sich mit mir messen kann. Es gibt keinen zweiten Cat Casino. Entweder du lässt mich spielen oder ihr tretet nur zu viert auf." Das ist mein letztes Wort. Dann lege ich einfach auf. Sauer bin ich. Sauer auf Emil, auf den Arzt und auf diese harte, weiße Masse um meinen Arm. Und ein bisschen auch auf mich selbst. Wie konnte ich nur so ungeschickt sein und auf der Bühne über ein Kabel stolpern? Dieser Moment war der peinlichste und schlimmste in meinem gesamten Leben. Meine ganze Contenance war dahin. Als ich da so unglücklich auf der Seite lag und den stechenden Schmerz in meinem Unterarm spürte, überlegte ich noch, wie meine Frisur wohl aussehen würde. Bestimmt glich ich mehr einer Vogelscheuche als einem wahnsinnig gutaussehenden Typen. Der psychische Schmerz überwog also deutlich den physischen. Ehrlich, ich litt wie ein Hund. Und ich leide noch jetzt. Gerade jedoch mehr an überschäumender Wut. Weil Emil sich die ganze Welt einfach so malt, wie sie ihm gefällt. Doch heute rechne ich noch gar nicht damit, dass er bereits gegen meinen Willen handelt Trotzdem tut er es einfach. Weil er mir nicht glaubt. Weil er nicht wahrhaben möchte, dass ich einzigartig bin. Doch das bin ich. Da kann kommen, wer will. ***** "Wir haben nun jemanden gefunden." Fassungslos schüttle ich den Kopf. "Mein lieber Emil", beginne ich, meine Stimme ist leise und drohend. "Ich habe doch gesagt, dass mich niemand ersetzen wird! Und sei es für einen Gig!" Die letzten Worte zische ich nur noch. Meine Hand krallt sich fester um das Handy. So, als könnte sie Emil auf diese Art an die Gurgel gehen. Doch das funktioniert nicht. Emil ist noch immer wohlauf. Ich kann es hören. Denn er redet weiter auf mich ein, wie eine Mutter, die ihren Teenagersohn zu etwas bewegen möchte, gegen das er sich vehement sträubt. Will er etwa mit seiner größeren Anzahl an Lebensjahren argumentieren? Versucht er sich auf diese Art über mich stellen? Nicht mit mir. "Ehe du den Neuen verurteilst, guck ihn dir doch erst einmal an", schlägt Emil vor. Für mich ist jedes Wort, das er von sich gibt ein Schlag in die Magengrube. Ich möchte den Neuen aber nicht angucken. Ich will ihn nicht sehen. Will nicht, dass er überhaupt existiert. Und woher nimmt Emil sich eigentlich die Frechheit, ihn den Neuen zu nennen? "Einen Scheiß werde ich tun", knurre ich. Basta. "Er ist wirklich talentiert, Eric, und es war...eine wirkliche Überraschung, als wir ihn sahen. Aber ich möchte noch gar nicht zu viel verraten. Du wirst ihn mögen, ganz bestimmt. Er wird dich würdig vertreten." "Nein." Meine Ohren sind verschlossen. Ich höre das alles gar nicht. Soll Emil sich mit diesem Ersatz doch zum Teufel scheren. Leider spüre ich, dass nicht nur ich den sturen Bock markiere, sondern auch unser sehr geehrter zweiter Gitarrist. Er ist so verdammt überzeugt von dem, was er tut, dass er all meine Widerworte beflissen ignoriert. Ich weiß jetzt schon, eines Tages werden meine Bandkollegen auf der Matte stehen um mir den Ersatzmann vorzustellen. Bestimmt sind auch Andreas, Jonas und Oskar total begeistert von dem eingetauschten Cat. Tze. Aber ich weiß auch, dass ich meine Krallen schleifen sollte für den Moment unseres Zusammentreffens. Soll er doch kommen, der Cat-Fake. Gehen wird er ganz bestimmt nicht mehr in einem Stück. Darauf kann er Gift nehmen. Kapitel 1: Hello my Anger ------------------------- Und dann ist der Tag wahrhaftig da. Ich habe mich nicht mehr gegen Emils Überredungskünste gesträubt, weil die Zornesfalten sich nicht förderlich auf meine Schönheit auswirken. Ich sollte mich weniger ärgern, das steht fest. Aber kann ich das denn so einfach ausstellen? Vor allen Dingen, wenn da plötzlich einer vor deiner Tür steht, der für dich einspringen soll? Ich balle meine heile Hand zu einer Faust. Dann drücke ich die Klinke nach unten. Zunächst schaue ich lediglich in vertraute Gesichter, die mich allesamt breit angrinsen. Fast so, als hätten sie ein Weihnachtsgeschenk für mich, über das ich mich sehr freuen werde. Doch dem ist nicht so. Ein Geschenk gibt es wohl, aber kein schönes. Ich werde das Papier alias die Kleidung in der Luft zerreißen und den Inhalt alias den Typen gleich mit. Grr. Vor lauter Grr-Gedanken realisiere ich den Neuen gar nicht. Wie gesagt, die Gesichter, die mich weihnachtlich anlächeln, sind mir bereits bekannt. Ich zähle die Köpfe. Eins, zwei, drei, vier, fünf. Fünf. Mh. Finde den Fehler im rechten Bild. Und tatsächlich, außer Jonas' großer Hornbrille, die sich prima in sein schmales Gesicht fügt entdecke ich in Cats wunderschönem Antlitz ein Nasenpiercing. Jenes an der Unterlippe ist dafür verschwunden. Wahrscheinlich ist es gewandert, wer weiß - Halt mal. Hä? Nein. Gerade bin ich etwas verwirrt. Hier wird ein ganz mieses Spiel gespielt, ein noch mieseres, als ich geahnt hätte. "Hahaha, ich habe genug gelacht. Könnte der Kerl nun bitte die Maske abnehmen?" Es ist wirklich nicht sonderlich lustig, wenn sich jemand als Cat verkleidet, nur weil er neidisch auf meine Schönheit ist und für eine bekloppte Band einen detailgetreuen Gitarristenersatz darstellen soll. "Nein, Eric", berichtigt mich Andreas. "Das ist Tom. Tom trägt keine Maske. Er sieht dir wirklich so ähnlich." "Hi", macht dieser Tom zaghaft, hebt seine Hand. Dann stürmen die fünf Typen meine Wohnung. Ich stehe einfach nur geplättet da. Kapiere gar nichts mehr. Wie, der sieht wirklich so aus wie ich? Das gibt es doch gar nicht. Haben die Halunken einen gekauten Kaugummi von mir stibitzt, um Gene zu erhalten und einen Klon von mir anzufertigen? Zutrauen würde ich ihnen das. Aber ist die heutige Forschung überhaupt schon so weit, dass sie eine originalgetreue Kopie eines Menschen herstellen kann? Klar, es gibt Dolly, das Schaf, aber das ist eben ein Schaf und kein Mensch. Und schon gar keine Katze. So kommt es also, dass fünf Typen mein Wohnzimmer entern, sich auf mein gutes Ledersofa fläzen und den Raum mit einer Kneipenatmosphäre versehen. Und ich arme Sau mit meinem noch immer viel zu gebrochenen Arm soll Bardame spielen. Mach ich sogar. Nur kann ich im Schrank leider Gottes lediglich fünf Gläser finden. Schade, da wird Cat Nummer 2 wohl nichts haben, das er sich hinter die Binde kippen kann. Ich komme noch immer nicht darauf klar. Ein wenig hatte ich gehofft, der Typ mit meiner Optik wäre verschwunden, wenn ich wieder aus der Küche komme, aber er schmiegt seinen lederbehosten Arsch noch immer in das Sofakissen und wirkt quietschvergnügt. Das aber soll ein Ende haben. Fünf Gläser stelle ich auf dem Glastisch ab. Fünf Gläser für die Jungs von Deathstars. Die Raubkopie darf leider nicht mitspielen. Ich beschließe, sie zu boykottieren, wo ich nur kann. Und es verschafft mir eine wahnsinnige Genugtuung, als das Grinsen aus ihrem mir so ähnlichen Gesicht verschwindet, so wie ich den Jungs und mir einen kräftigen Schluck Jack Daniels serviere und der Cat-Fake leer ausgeht. Überlegen betrachte ich seine Reaktion von meinem Sessel aus. Nippe an meinem Glas. Dennoch frage ich mich, ob ich auch so blöd aus der Wäsche gucke, wenn ich mal im Nachteil bin. Nein, glaube ich nicht. Ich bin selbst schön, wenn ich Grimassen schneide. Dieser Tim oder wie er heißt verliert im Gegensatz zu mir gerade jegliche Schönheit. Nichts mit Cat-Kopie. Niemand kann mich ersetzen. Niemand. Obwohl das Pokerface des Typen dem meinen tatsächlich zum Verwechseln ähnlich sieht. Es ist wirklich unheimlich. Fast so, als würde ich mir selbst beim Leben zusehen. Mh. Ich presse die Lippen aufeinander. Kann aber nicht mehr lange über das Kunstwerk der heutigen Technik sinnieren. "Tom will auch nen Jackie!" "Kann er nicht alleine sprechen?", grinse ich hämisch in die Runde, bleibe aber schließlich mit meinem Blick wieder bei Tom hängen. Erst als seiner plötzlich mit meinem kollidiert, schaue ich weg. Wirklich, als würde ich mich selbst ansehen. Als wären das meine Augen, die mein Spiegelbild für meine Selbstbewunderung bereithält. Ich muss mich irgendwie von diesem Gruselfaktor ablenken. "Sag bitte, bitte." Oh ja, manchmal bin ich ein fieses, sadistisches Schwein. Vielleicht sollte ich mich besser zügeln, sonst ersetzen meine Jungs mich noch komplett mit dieser lebenden Geisterbahn. Diese rollt nur mit den Augen. Na, wer wird denn gleich arrogant werden? Du bist hier lediglich geduldet, Schätzchen. Ein Gast gegen meinen Willen. Weil ich an meiner Band hänge und ihnen, wirklich nur ihnen, den Gefallen, der aus deiner Anwesenheit besteht, bereite. "Bitte", sagt er schließlich. Wenigstens besitzt seine Stimme eine andere Farbe als meine. Sonst hätte ich nun das aktuelle Kalenderblatt inspiziert, um festzustellen, ob denn heute etwa der erste April ist und die Jungs mich nicht doch irgendwie verarschen. "Gibt nur noch Saftgläser", bemerke ich kühl und stelle das Glas so unsanft auf dem Tisch ab, dass es klirrt. Nun realisiere ich, wie genervt die ganze Mannschaft bereits von mir zu sein scheint. "Eric ist eben sehr speziell", entschuldigt Andreas mit einem breiten Grinsen mein Verhalten, nachdem Tom sich etwas Jack eingeschenkt hat und angepisst an seinem Gläschen nippt. "Unsere Diva. Das Prinzesschen der Band." "Ganz genau", gebe ich meinen Senf dazu. "Und das sind Dinge, die mir niemand nachmachen kann." Meine Augen werden ganz schmal. Ich hoffe, der böse Blick gelingt mir. Tom jedenfalls sieht aus, als würde er sich nicht ganz wohl in seiner Haut fühlen. Gut so. "Okay." Gebannt schauen wir alle zu Emil hin. Der hat sein Glas als erster geleert und lässt es synchron zu seiner Ansage geräuschvoll auf den Tisch sinken. "Ich schlage vor, du weist Tom morgen mal ein bisschen ein, zeigst ihm die Griffe und so. Kriegst du das hin?" Gereizt zuckt meine Augenbraue nach oben. "Mal sehen." "Eric." "Ja, ist ja gut. Ich mach ja." Dann wendet er sich an Tom. "Morgen also 10.00 Uhr im Proberaum. Du weißt ja, wo der ist." Tom nickt stumm. Ob er davor Angst hat, mit mir allein zu sein? Oder ist er einfach nur angepisst, weil ich ihn nicht gleich mit offenen Armen empfangen habe? Morgen wird die Umarmung jedenfalls auch nicht nachgeholt, das kann ich ihm schon versprechen. "Sei pünktlich. Ich hab keinen Bock, Stunden auf dich zu warten." Tom sagt daraufhin nichts. Nur seine Lippen öffnen sich einen Spalt weit. Seine Lippen, die wirklich genau aussehen wie meine. Ich bin schon sehr gespannt, ob er mir wirklich das Wasser reichen kann. Laut Emil soll er Talent haben, aber ich bezweifle das noch. Mutter Natur hat dir zwar meine Augen, meine Nase und meinen Mund geschenkt, aber mit Sicherheit nicht die Gabe, eine Gitarre meisterlich zu spielen. Wenn er morgen schlecht ist, dann werde ich mich mit Händen und Füßen dagegen wehren, dass er mich beim Festival ersetzt. Und wenn ich einhändig Gitarre spielen oder ich den Gips auf eigene Faust entfernen muss und der Bruch nie wieder verwächst. Ja, ich hoffe wirklich, dass er schlecht ist. Und wenn er nicht schlecht ist, dann werde ich ihn schlecht machen. So einfach geht das. Niemand nimmt meinen Posten so einfach ein. Niemand ist dessen würdig. Ohne dein hübsches Gesicht wärst du doch nur eine weitere Null der Musikszene. Erbringe mir den Beweis. Morgen 10.00 Uhr. ***** "Wir fangen am besten mit Night Electric Night an. Die Griffe habe ich dir hier aufgeschrieben. Fertig?" Tom nickt stumm, hält konzentriert die Klampfe auf seinem Schoß, den Blick auf das Blatt vor ihm gerichtet. Ich starte die Musik. Und ich habe mir geschworen, ihn genausestens zu beobachten. Wie er die Seiten greift, wie schnell er wechselt, wie harmonisch sein Spiel aussieht. Ob es mit meinem zu vergleichen ist. Oder doch ganz anders. Okay, zugegeben, er macht die Sache nicht schlecht. Ja, ich sehe ihm sogar gern dabei zu. Nicht nur seine Hände faszinieren mich, viel mehr ist es sein schwarzer Haarschopf, dessen längste Strähnen ihm locker über die Schultern fallen. Ab und an verdecken sie ihm die Sicht, dann schüttelt er den Kopf, als säße eine lästige Fliege auf seiner Nase. Wie gut kenne ich dieses Problem. Meine Haarpracht würde ich dennoch nie im Leben kürzen. Sie verstärkt meinen Sexappealfaktor noch zusätzlich. Und außerdem - "Ach, scheiße! Können wir nochmal?" Schlagartig erwache ich aus den Schwärmereien von meiner gottgleichen Person. Der Idiot hat sich tatsächlich verspielt, ich hätte es beinahe nicht mitbekommen, weil ich so vertieft in meine Gedanken und das Studieren von Toms Optik war. Aber schön, dass er ehrlich ist. Einen Stümper kann ich nicht an meiner Stelle auf die Bühne lassen. Nie im Leben. "Gut, aber das ist die letzte Chance. Wenn du das verkackst, dann bist du raus." Ich weiß ganz genau, dass dieses Ultimatum hart ist, schließlich spielt er den Song gerade zum ersten Mal. Doch wenn ich an die Zeit zurückdenke, als ich bei den Deathstars eingestiegen bin, so kann ich mich ehrlich gesagt nicht daran erinnern, dass ich beim Einspielen des Materials irgendeinen schwerwiegenden Fehler begangen hätte. Wahrscheinlich ist Tom wirklich nur schlecht, und ich brauche mir das gar nicht einzureden. Spielt der überhaupt in einer Band? Und wenn ja, wie lange schon? Egal. Ich muss mich nun wieder auf seine Finger konzentrieren. Zudem auf seinen konzentrierten Blick. Da fällt mir ein, ich habe mich noch nie beim Spielen gesehen. Sollte ich ebenso schmuck aussehen wie Tom, dann habe ich noch einen Grund mehr, vor dem Spiegel zu masturbieren. Wie sich seine Oberarmmuskeln anspannen, wenn er einen Griff ausführt, wie die Hand die Saiten zupft...es ist wirklich sehenswert. Aber darum geht es mir gerade nicht. Besser gesagt, darum sollte es mir nicht gehen. "Danke, aber so geht das nicht", unterbreche ich ihn abrupt. Schalte die Musik aus. Tom schaut verdattert zu mir auf, muss allerdings erst hastig seine Strähnen aus den Augen streichen. Mh. "Das ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Du bist ganz gut, aber nicht gut genug. Lass nur, ich kann auch mit einem Gipsarm allein aufräumen." "Was? Aber ich hab doch gerade erst angefangen!" Natürlich, der Protest bleibt nicht aus. Was habe ich anderes erwartet. "Das genügt mir aber, um zu sehen, dass du nicht der Richtige bist." "Dann sag mir wenigstens, was genau ich falsch gemacht habe." Ein paar Sekunden nehme ich mir, um über diese Forderung nachzudenken. Theoretisch ist da nichts Greifbares, was ich bemängeln könnte, Tom hat ein gutes Rhythmusgefühl und spielt sehr sicher, aber irgendwie... "Es passt einfach nicht." "Na das ist aber ein schlechter Grund." Da platzt mir doch die Hutschnur. "Hör mal zu, mein Zarter", beginne ich, trete einen Schritt näher an Tom heran. "Es steht dir nicht zu, mich zu kritisieren. Ich bin hier der eigentliche Gitarrist und du eine Aushilfe für einen Gig. Hast du überhaupt schon mal professionell etwas mit Musik zu tun gehabt?" "Ich spiele in zwei Bands", erhalte ich die trockene Antwort. Wir sehen uns für einen viel zu langen Moment in die Augen. Und wieder überfällt mich dieses Gefühl der Unwirklichkeit. Mir ist fast so, als würde ich mich mit meinem Spiegelbild unterhalten. Tatsächlich fällt es mir sehr schwer, mit diesem auf diese harsche Art zu sprechen. Weil es doch so schön ist. Die Augen, die vollen Lippen, die zarte Nase. Nur ist bei Tom alles ein Tick maskuliner als bei mir. Nein, ich sollte wirklich aufhören, über diese Dinge zu sinnieren. Ich mag diesen Typen nicht, er möchte sich in meine Band drängen, meinen Platz einnehmen. Bereits nach einem Gig wird es Fans geben, die sich an sein Gesicht erinnern, vielleicht sogar an seinen Namen. Jeder würde ihn als den Cat-Klon bezeichnen. Als meinen geheimen Zwilling. Das würde ich nicht ertragen. Denn es würde beweisen, dass ich nicht von einzigartiger Schönheit bin. "Beim Trash Fest tritt Toxic Rose auf, ich glaube, einen Tag nach euch. Wir sind noch eine ganz junge Band. Emil hat durch die Bekanntgabe des Line Ups von uns erfahren und mich angesprochen, ob ich denn nicht Lust hätte, für einen kranken Gitarristen einzuspringen. Außerdem -" "Ach, spars dir. Interessiert mich nicht. Geh jetzt. Hat sich ja nun eh erledigt. Dein Spiel gefällt mir nicht. Ende aus." Cat, du bist wiedermal hart, aber herzlich. Na, herzlich würde ich sogar streichen. Ehrlich gesagt ist es ein weiteres Talent meinerseits, über Leichen zu gehen. Tom kann froh sein, dass ich ihm nicht in sein hübsches Gesicht gesagt habe, dass er einfach nur schlecht ist. Doch eben das erzähle ich Emil. Der will natürlich am Nachmittag wissen, wie es gelaufen ist. "Er hat sich mehrmals verspielt und ist noch ziemlich unsicher. Ich kann ihn deswegen nicht durchwinken. Das wäre unverantwortlich unserer Glaubwürdigkeit gegenüber. Die Deathstars sind zwar eine Band, die gern mal mit dem Auge zwinkert, aber keine komplette Dödelcombo! Niemand wird uns mehr ernstnehmen." Ich übertreibe maßlos. Doch bei Emil muss man das manchmal. Sonst erreicht man nicht das, was man möchte. Leider merke ich, dass auch die Schlechtredetour nicht sonderlich gut ankommt. Denn er kauft sie mir nicht ab. "Tom spielt seit Jahren in verschiedenen Bands. Denkst du eigentlich, dass ich ihn vorher nicht auch schon geprüft habe? Wie du weißt bist du nicht der einzige Gitarrist der Deathstars..." "..." Scheiße. "Hau raus, was genau passt dir nicht an ihm? Aber bitte ehrlich. Tom ist ein guter Gitarrist. Ist es immer noch, weil du dich für Unersetzbar hältst? Man, Eric, wir reden hier von einem einzigen Gig. Und nicht von Jahrzehnten." Ich seufze. Also schön. Dann eben doch die Wahrheit, wenn er darauf besteht. "Mein Gefühl sagt mir, dass es nicht richtig wäre, ihm den Zuschlag zu geben. Er macht seine Sache ganz gut, aber...es passt nicht. Er spielt so anders als ich. Ich kann es gar nicht so genau benennen. Aber ich will nicht, dass er mich vertritt." Die letzten Worte sage ich mit Nachdruck. Denn es ist mir ernst. "Eric...du kannst nicht erwarten, dass Tom genauso spielt wie du. Er sieht dir zwar sehr ähnlich, aber er ist eine komplett eigene Marke, vergiss das nicht", murmelt Emil, er seufzt ebenfalls tief. Ja, ich bin nicht einfach. Ich bin speziell. Und das Prinzesschen der Band. Ich werde ja wohl mein Image pflegen dürfen. "Wir haben keine andere Wahl. Tom ist bereits fest eingeplant. Und er wird seine Sache gut machen. Ganz bestimmt. Arbeite ihn in den nächsten Tagen noch weiter ein, bis er alles drauf hat. Und bitte sei nicht so garstig zu ihm. Er will uns doch helfen." Garstig, ich? Pah. Jeder so, wie er es sich verdient. "Mh", murre ich. Emils Argumenten und Entschlüssen kann keiner widersprechen. Weil alles einfach so logisch klingt, so vernünftig und auch irgendwie...richtig. Auch wenn es besser wäre, wenn es falsch klingen würde. Aber ich komme dagegen einfach nicht an. Man, ich will das nicht... Doch was ich will, zählt nicht. Die Band hat sich längst entschieden. Vier zu eins. Wer behält da wohl die Oberhand? Kapitel 2: Hello my Reflection ------------------------------ Die Tage vor dem Trashfest scheinen immer kürzer zu werden. Vielleicht auch, weil ich mit Tom fast jede freie Minute im Proberaum verbringe. Er macht unheimliche Fortschritte und kann meiner Meinung nach die Griffe nun beinahe im Schlaf spielen. Eine Blamage an unserem großen Tag wird er uns also ersparen. Allerdings sind wir noch immer nicht die besten Freunde, auch wenn wir uns so häufig sehen und auch den ein oder anderen Witz reißen. Als höflich-distanziert würde ich mein Verhältnis zu ihm beschreiben. Wir sind eine bloße Zweckgemeinschaft, ein Team wider Willen, aus der Not heraus und weil der Rest der Band es so wollte. Und mit jedem Mal, bei dem ich ihn seine Parts spielen sehe, krampft sich mein Magen fester zusammen. Er ist so gut, so verdammt gut. Was, wenn er sogar besser als ich ist? Schon das lässt meine Abneigung ihm gegenüber wachsen. Und auch die Tatsache, dass er immer tiefer in mein Leben eindringt. Man könnte sogar sagen, dass er für meine Mitmenschen langsam aber sicher unverzichtbar und viel zu wichtig wird. Auch den heutigen Tag verbringen wir wieder im Proberaum. Seitdem ich den Gips gegen einen leichten Verband eintauschen durfte, fühle ich mich wieder viel freier und auch attraktiver. Mein angeschlagenes Selbstbewusstsein benötigt das. Denn immer wieder fürchte ich, dieser Klon könnte mir die Show stehlen. "Machen wir eine kurze Pause? Ich muss mal für kleine Gitarristen." Gitarrist. Es klingt hässlich, wenn er sich so bezeichnet. Am liebsten wäre ich der einzige Gitarrist auf der ganzen Welt, damit mir niemand meine Position abspenstig machen kann. In meiner kühlen Art nicke ich. Fläze mich derweil auf das abgewetzte Sofa und betrachte sehnsüchtigen Blickes meine E-Gitarre in der Ecke. Sie wirkt traurig, so allein. Aber bald bearbeite ich dich wieder, mein Schätzchen, verspreche ich ihr gedanklich. Doch wann wird es so weit sein? Unsere Europatour startet im Winter und vorher muss ich wenigstens noch ein bisschen proben. Sonst ist Tom wirklich noch der bessere Gitarrist von uns beiden. Oh, dieser quälende Konkurrenzkampf, dieser Nervenkrieg. Würde ich Tom nicht so furchtbar gern anschauen, hätte ich das Ganze wahrscheinlich schon längst nicht mehr ertragen können. Aber er ist so schön. Das ein oder andere Mal war ich sogar schon versucht, ihm das ins Gesicht zu sagen. Doch dann treffen sich unsere Blicke für einen unsäglich an den Eingeweiden zerrenden Moment, in dem ich feststelle, dass es nicht meine Augen sind, die mich eindringlich anschauen. Seine sind grau, während meine in dem schönsten Blau erstrahlen, welches man sich vorstellen kann. Ein Scheppern ertönt. Stimmen. Ich blicke zu der einen Spalt weit geöffneten Tür. Ein Kichern. "Ach, Camila!" Mein Herz macht einen kleinen Sprung, als meine Liebste den Raum betritt. Es ist fast so, als hätte sie den Frühling mitgebracht und diese Tristesse, die mich erfüllte, vertrieben. Reflexartig springe ich auf und möchte mich ihr nähern. Es wird sie freuen, dass der Gips endlich verschwunden ist, denn der war beim Austausch von Zärtlichkeiten doch eher hinderlich. Camila aber schaut mich an, als hätte sie einen Geist gesehen. Immer wieder zuckt ein kleines Lächeln über ihr Gesicht, welches sich allerdings nicht festigen kann. "Warum hast du mir eigentlich nie erzählt, dass du einen Zwillingsbruder hast?" Sie hat also Tom gesehen. Ich wünschte, diese ewigen Gespräche über den Eindringling würden endlich ausbleiben. So wichtig ist er nicht. In Wahrheit ist er gar nichts. Nur meine Kopie. Sachte schiebe ich meine Hände über Camilas. Ihre großen Ohrringe, die ich auch an mir liebe, funkeln mich erwartungsvoll an. "Tom ist nicht mein Bruder. Keine Ahnung, wieso der so aussieht wie ich." Ich zucke mit den Schultern, signalisiere aber dann, dass ich nicht länger über dieses leidige Thema debattieren möchte. Leider bleibt es nicht bei unserer trauten Zweisamkeit, denn es ist unvermeidlich, dass Tom irgendwann zurückkehrt. Wäre er ins Klo gestürzt, ich hätte es wahrscheinlich beflissen ignoriert. Würde man mich wegen unterlassener Hilfeleistung belangen, hätte ich ja gute Argumente, die ich zu meiner Verteidigung vortragen könnte. Das Problem ist nur, dass mich keiner versteht. Nicht mal meine Freundin könnte meine Ängste und Sorgen nachvollziehen, glaube ich. Sie ist schließlich ganz angetan von unserem Ersatz und wertet schließlich all unsere optischen Gemeinsamkeiten aus. Tom nimmt dies mit einem milden Lächeln hin, ich jedoch starre den anderen lediglich stumm an. Argwöhnisch, aber auch zutiefst bewundernd. Zwei silberne Ohrringe, etwas kleiner, als die, die Camila und ich tragen, schmeicheln seinem Gesicht. Und er trägt eine hautenge Leggings, die kaum mehr Raum für Fantasien lässt. Jedes Mal, wenn er seine Beine bewegt, sauge ich den Anblick in mir auf. Wenn er blinzelt oder auf seiner Unterlippe herumkaut, dann starre ich fasziniert hin. Er ist so schön, dass es in meinem Magen leicht zu prickeln beginnt. Und zum ersten Mal beschleicht mich die Vorstellung, wie es wäre, mit ihm intim zu werden. Ganz kurz nur zuckt der Gedanke durch mein Hirn. Dann ist er wieder weg. Lässt mich geplättet zurück. "Ist was nicht in Ordnung, Eric?" "Alles gut", murmle ich, massiere mir die Schläfen. "Bin nur ein bisschen müde." Das ist eine Ausrede. Aber was soll ich tun, wenn dieser Kerl meinen Klopf so hochgradig verwirrt? Noch lange grüble ich über meine irre Fantasie. Warum sie existiert. Warum sie nicht kapiert, dass ich Tom nicht ausstehen kann. Wieso lässt sie sich von einer schönen Hülle verführen, wo ich doch nur in den Spiegel blicken zu bräuchte, wenn ich Bauchkribbeln fühlen wollte? Manchmal mutet es etwas unheimlich an, wenn ich mit meiner Freundin gesehen werde und fast jeder sagt: Die sieht dir sehr ähnlich. Es ist zwar wissenschaftlich bewiesen, dass wir uns zu Menschen hingezogen fühlen, mit denen wir in optischen Belangen möglichst viel gemein haben, aber ich glaube, diese Menschen aus den Studien lieben sich nicht so sehr wie ich mich. Denn ich liebe mich so sehr, dass ich manchmal versucht bin, mein Spiegelbild zu heiraten. Ohne zu zögern würde ich mich auch küssen, mich anfassen, mit mir schlafen. Doch ich kann es nicht. Selbst Camila löst in mir nicht diese tiefen Gefühle aus, die ich für mich empfinde. Keiner meiner bisherigen Partner konnte mir das Wasser reichen. Auch nicht Andreas. Die Affäre mit ihm entstand durch meine Faszination von seiner Ausstrahlung, seiner Attitüde; da war etwas, das mich reizte. Aber es genügte mir nie, mit ihm zu schlafen. Ich benötigte mein Spiegelbild, um einen Orgasmus zu erleben. Nur wenn ich mir selbst in die Augen sah überrollte mich die Welle des Glücks. Und bis heute hat sich daran nichts geändert. Manchmal flackert diese Zuneigung zu Andreas wieder auf. Besonders, wenn wir zusammen auf dem Sofa sitzen und ich mich an seine Schulter lehne. Ich liebe dieses Dominante an ihm, dieses Starke, bei ihm fühle ich mich noch zarter und femininer, als ich es in Wahrheit bin. Sein Prinzesschen bin ich, das sagt er mir oft genug. Er sagt es gern. Und ich mag es, wenn er dabei auf diese unverkennbare Art lächelt. Das ist ein großes Stück Vertrautheit. Auch wenn zwischen uns seit Camila nichts mehr läuft, so möchte ich seine Nähe nicht mehr missen. Er schafft es, aus dem zickigen, kratzbürstigen Kätzchen einen Schmusekater zu machen. Einen Schmusekater, der der Hand, die ihn krault, so sehr vertraut, dass er ihr sein Herz ausschüttet. Andreas weiß ziemlich genau, wie sehr ich mich selbst liebe. Er versteht es sogar. Denn er kann mir ebenfalls kaum widerstehen. Ich bin der einzige Mann in seinem Leben und werde es auch immer sein. Das hat er mir sehr oft geschworen. Frauen, Frauen, Frauen und eine Katze. "...das verwirrt mich alles so. Einerseits kann ich diesen Tom nicht ab, aber andererseits würde ich am liebsten mit ihm schlafen. Oder ihn wenigstens küssen." "Na ja, Liebe und Hass liegen oftmals sehr nah beieinander. Ich denke, es ist eine natürliche Sache." Ich seufze. Starre die weiße Wand an. "Aber mal ehrlich: Findest du es denn natürlich, dass ich mich nur zu ihm hingezogen fühle, weil er so aussieht wie ich? Weil er mir den Traum vom Sex mit mir selbst erfüllen könnte?" Daran, dass Andreas etwas zu lange schweigt, erkenne ich, dass er überlegt, wie er mir am schmerzlosesten beibringen kann, dass es ziemlich verrückt ist. Er versteht es, weil er mich ebenfalls hochattraktiv findet, andererseits ist er sicher auch der Ansicht, dass man sich selbst nicht mehr lieben dürfte als zum Beispiel den Menschen, mit dem man sein Leben verbringen möchte. "Es ist krank, nicht wahr?" "Nein..." "Irgendwie schon. Mh. Aber ich kann es nicht ändern." Kurze Pause. "Wie findest du eigentlich Tom?" Andreas gluckst ein bisschen auf diese süffisante Art. Das macht er häufig, wenn er eigentlich nicht so richtig mit der Sprache herausrücken will. "Du findest ja selbst, dass er lecker ist", raunt er mit seiner tiefen Stimme. "Wie soll es auch anders sein? Der Cat-Typ liegt mir einfach." Mh. Das dachte ich mir. Allerdings sehe ich es mit gemischten Gefühlen. Was, wenn Andreas auf die Idee kommt, Tom einfach auf den Prinzesschen-Thron zu erheben, weil er mich nicht mehr haben kann? Es nagt an mir. Es macht mich wütend. Er macht mich wütend. Hätte Tom nicht so schöne Augen, ich würde sie ihm gnadenlos auskratzen. Doch das, was man liebt, kann man nicht so einfach zerstören. Ja, ich liebe Tom. Nein, ich liebe ihn nicht. In Wahrheit liebe ich nur mich. Mich und mein fleischgewordenes Spiegelbild. Kapitel 3: Hello my Conflict ---------------------------- Finnland begrüßt uns mit einem gnadenlosen Regenschauer am Tag unserer Anreise. Andreas meint, Schnee wäre ihm lieber gewesen, denn wenn es schneit kokse Gott. Regen hingegen stelle seinen Urin dar. Ich enthalte mich meiner Stimme. Der Freitag verläuft noch ganz gediegen. Die Deathstars werden erst am nächsten Tag die Bühne rocken, heute ist erst mal an Tom samt Mannschaft, das Publikum für uns aufzuwärmen. Ja, okay, für den Rest meiner Band. Ich werde ja bloßer Zaungast sein. Die giftigen Rosen scheinen in Ordnung zu sein. Andy, Michael und Goran werden uns von Tom kurz vorgestellt, dann verziehen sie sich in den Backstageraum, um noch ein wenig zu proben. Vernünftig, besonders Tom sollte etwas tun, schließlich übte er die ganzen Wochen lediglich die Deathstars-Songs ein. Dafür beherrscht er sie nun auch wirklich gut. Im Prinzip kann morgen gar nichts schiefgehen. Die Deathstars werden die gefeierten Helden sein, die Publikumslieblinge. Auch ohne mir. Ohne die Quotenkatze. Die Mädchen werden Tom zujubeln und ich kann ihm dabei zusehen, wie er meinen Applaus empfängt, meine Riffs spielt und meinen Platz einnimmt. Er wird die Songs spielen, als wäre er Cat Casino persönlich, nur seinen individuellen Touch wird er nicht ablegen, wie ich bei den Proben bemerkte. Und in diesen Augenblicken wird er für mich wieder nur das verhasste Miststück sein. Das Miststück, welches nicht zu uns gehört und sich an meine Stelle drängt. Doch wenn ich ihn sehe, seine eleganten Bewegungen, seine Leidenschaft, seine dezenten Oberarmmuskeln, dann wird er für mich ebenfalls der schönste Mensch auf Erden sein. Der Mensch, der mir Erektionen beschert, der mich anmacht, mit dem ich schlafen möchte. Wenn ich mir einrede, dass ich es bin, der dort oben steht, mein zweites Ich, welches ich endlich berühren kann, anfassen wie eine andere Person, dann werde ich so empfinden. Doch dann wird mir schmerzlich bewusst, dass hinter dieser schönen Fassade ein anderes Herz als das meine schlägt. Das möchte ich nicht. Ich möchte mich. Nicht ihn. ***** Noch eine halbe Stunde bis zum Auftritt. Ich habe Lampenfieber, als müsste ich selbst gleich raus. Schminke mich sogar, werfe mich in Schale. Nur, damit ich am Bühnenrand eine gute Figur mache. Natürlich werde ich mir den Auftritt nicht entgehen lassen. Jeder meiner Blicke wird Tom gelten. Wenn er sich auch nur einen Patzer erlaubt, dann - "Eric? Ich soll mir deine Lederjacke ausleihen. Darf ich reinkommen?" Wenn man vom Teufel spricht. Erst schiebt der Schönling lediglich seinen Kopf durch die einen Spalt weit geöffnete Tür, dann aber steht er auch schon, ohne dass ich ihm mein Okay gegeben hätte, neben mir und schaut sich um. "Moment", murre ich, während ich noch mit meinem Eyeliner zugange bin und mental den Kopf schüttle. So weit ist es also schon gekommen. Der falsche Cat soll sich mit den Klamotten des echten Cats verkleiden, damit er sich gut in die Riege der Deathstars einfügt. Wie ein offizielles Mitglied soll er aussehen. Ganz klasse. Warum schmeißen die mich eigentlich nicht gleich ganz raus? Übertriebener Gedankengang, ja - aber es ärgert mich einfach so sehr, dass dieser Fremde alles von mir haben möchte und es auch haben kann. Doch ich gebe ihm meine Lederjacke. Natürlich tue ich das. Aber nur, um des lieben Friedens willen. Einen angepissten Emil kann ich mir nämlich sparen. Wortlos streift Tom sich das Kleidungsstück über. Ich beobachte ihn genau dabei. "Passt", stellt er dann fest. Ja, genau. Passt. So gut wie die Jacke passt, so passt du auch in die Band. Sie sitzt, als wäre sie nur für dich gemacht worden. Und du siehst unheimlich scharf aus. Schau mich an. Oh Gott. Ich liebe deine Augen. Ich werde nicht reagieren auf deinen erwartungsvollen Blick. Ich möchte, dass du am besten nie wieder wegschaust. Als Tom jedoch genau das tut, erwache ich aus meinem leidenschaftlichen Tagtraum. Wahrscheinlich ist ihm sein Spiegelbild gerade wichtiger als meine Bestätigung des guten Aussehens der Jacke an seinem schlanken Körper. Er zupft sich ein bisschen an seinen schwarzen Haarsträhnen herum. Legt die Stirn in Falten. Wiegt den Kopf. "Irgendwie habe ich heute einen Bad-Hair-Day", murmelt er unzufrieden. "Es gibt Tage, da findet man sich selbst so richtig hübsch und an anderen erscheinen einem die Augen winzig und die Haut unrein. Aber ich kann so rausgehen, oder?" Wieder schaut er mich direkt an. Wieder erwartet er eine Reaktion auf sein Gesagtes. Doch ich kann sie ihm nicht wirklich liefern. Ich kann ihn nur anstarren, ihn regelrecht verschlingen, gedanklich mit den Fingerspitzen über seine makellose, weißgepuderte Haut streichen. Meine Lippen auf seine legen. Sie küssen, ihre Wärme fühlen. Und es werden nicht seine Lippen sein. Es wird auch nicht seine Haut sein, die sich so schön anfühlt, so fremd und doch so vertraut. Ich werde es sein. "Natürlich kannst du so rausgehen. Du bist wunderschön." Erst hinterher fällt mir wieder ein, dass Tom dieses Kompliment nun wahrscheinlich auf sich bezieht. Ein kleines Lächeln ziert sein Gesicht und er wirkt ein bisschen verschämt. Leider schaffe ich es nicht mehr, die Situation zu retten, das alles richtigzustellen. Der Soundcheck beginnt. Tom muss weg. "Du packst das", sage ich noch leicht abwesend, während ich ihn an mir vorbeirauschen sehe. Ja, du packst das. Aber wer verspricht mir, dass ich es packen werde? Ich weiß wegen dir doch schon gar nicht mehr, was ich denken soll. Ich liebe mich so sehr in dir. Doch ich hasse dich so sehr in mir. In meinen Augen. Meinem Antlitz. Meinen Klamotten. Meinem Körper. Ich kann es nicht ertragen, dass ich jemand anderes bin. ***** Harmonie. Ja, man kann es wahrhaftig nur mit diesem Wort bezeichnen, was zwischen Tom und den anderen Mitgliedern herrscht. Obwohl sie nur vier, fünf Mal gemeinsam geprobt haben, wirkt es, als wäre Tom schon ewig der zweit Gitarrist der Deathstars. Er ist so gut. So authentisch. Und irgendwie gar nicht so anders als ich. Seine Posen sind den meinen sehr ähnlich. So ähnlich, dass nicht nur ich glaube, mich selbst da oben stehen zu sehen. Im Scheinwerferlicht kann ich Andreas erkennen. Langsam bewegt er sich auf den rechten Bühnenrand zu und somit auch auf Tom. Als die Lichter düsterer werden, scheinen die beiden Silhouetten zu verschmelzen. Andreas steht nun direkt hinter Tom. Umfasst seine Hüften. Berührt ihn auf eindeutige Weise. Mir fällt die Kinnlade herunter. Im Augenblick sehe ich nur noch Tom da oben. Tom und Andreas. Nicht Eric und Andreas. Ich sehe einen Tom, der es gerade geschafft hat, restlos alles an sich zu reißen. Diese Illusion meiner selbst schmiegt sich an meine Ex-Affäre, an den Mann, für den ich der Einzige bin. War. Für jeden ist dieser Typ Cat. Nicht Tom. Weil es jedem egal ist, was in diesem Menschen steckt. Welche Gedanken er entwickelt. Welche Absichten er hegt, welche Sehnsüchte ihn ihm wachsen; es spielt keine Rolle. Doch nicht überall wo Cat drauf steht, ist Cat drin. Mir ist dies bewusst. Andernfalls hätte ich diesem Tom schon längst einen Heiratsantrag gemacht. Mehr muss ich mir nicht geben. Ich habe genug gesehen. Tom in Andreas' Armen schmerzt. Wie ein Fremdkörper kommt er mir vor, kam er mir vor. Wird er mir immer vorkommen. Ich will nicht, dass er existiert. Er soll verschwinden. Und all die Erinnerungen an ihn gleich mit. Vollkommen breit lasse ich mich auf die Couch im Backstageraum sinken. Selbst der Jack Daniels kann die Bilder in meinem Kopf nicht mehr auslöschen. Ständig sind da die beiden Silhouetten, die die Nähe der jeweils anderen genießen. Die sich berühren und küssen und liebkosen. Ich und Andreas. Doch ich spürte ihn nicht. Ich war es nicht, der den Sänger aufreizte, ihn heißmachte. Doch, ich war es. Was soll ich eigentlich noch denken? Was glauben, was fühlen? Soll ich jetzt Trübsal blasen, meine Eifersucht in Alkohol zu ertränken versuchen oder masturbieren, vor den grauen Augen, die mich in Gedanken herausfordernd und wild anstarren? Ich weiß es nicht. Ich glaube allerdings, dass trinken mir guttun wird. Also nippe ich an meinem Glas. Schenke mir erneut ein, bis mir das zu mühselig wird und ich die Flasche in großen Zügen leere. Ich bin ersetzbar, schießt es mir durch den Kopf, duelliert sich der Gedanke mit dem Schwindel, der mich überkommt. Doch ich liebe mich, das ist das einzige, was zählt. Ich möchte mir so gern nah sein. Meine Haut streicheln. Die Hände auf meine nackten Hüften legen. Mich küssen. Ich will Tom. Weil er mir das alles ermöglichen kann. Ich will seinen Körper. Aber seine Seele will ich nicht. ***** Ich liege im Bett, als ich die Augen leicht öffne und durch den milchigen Schleier blinzle. Nein, ich glaube nicht, dass dies hier das meine ist. Irgendetwas sagt mir, dass hier mächtig etwas passiert ist. Etwas ist aus dem Ruder gelaufen. Nur was? Ich kann mich an nichts erinnern. Geschweige denn kann ich darüber nachdenken. Mein Kopf fühlt sich an, als wäre eine Herde Rinder darüber galoppiert, die mir zudem auch noch einen deftigen Tritt in den Magen verpasst hat. Scheiße. Hastig wühle ich in den schwarzen Vorhängen, um sie auseinanderzuschieben. Scheißescheißescheiße. Ist mir schlecht. Doch ich scheine wenigstens einen Engel zu haben, der mir diesen Eimer bereitstellte. Ich kann einfach nicht anders, als ihn zu benutzen. Auch wenn ich somit auch noch meinen letzten Rest Schönheit ruiniere. Vage Bilder erscheinen plötzlich vor meinem geistigen Auge. Sequenzen von Tom. Von Tom mit Andreas. Beinahe hätte ich vergessen, dass es Tom gibt. Aber da mir die Existenz des anderen bewusst geworden ist, habe ich noch einen Grund, mir die Seele aus dem Leib zu kotzen. Das ist nicht nur der Alkohol, von dem ich wahrscheinlich etwas zu viel zu mir genommen habe. Der ganze Scheiß der letzten Wochen möchte aus mir weichen. Die fiesen Gedanken. Die Eifersucht. All das soll beseitigt werden mit einem Brüller in die Schüssel. Es ist doch eh alles egal. "Gott." Ein gedämpftes Murmeln, welches ich kaum wahrnehme. Dann ein recht grober, leicht schmerzhafter Griff in mein Haar. Meine schon halb besabberten Strähnen werden zurückgehalten. Von der ausführenden Person nehme ich allerdings erst Notiz, als ich mich von meinem Kotzanfall beruhigt habe. Durch die Tränen der Anstrengung in meinen Augen kann ich die verschwommenen Gesichtszüge Toms erkennen. Doch es löst im Moment nichts in mir aus. Ich bin zu fertig, um von seiner Schönheit zu zehren, zu fertig, um Hassgefühle zu hegen. Gerade erscheint mir besonders letzteres sinnlos und viel zu anstrengend. "Hier." Er reicht mir ein Taschentuch, mit dem ich meine Tränen trocknen kann. Wer weiß, wie ich aussehe. Bestimmt wie dreimal gestorben und wiederbelebt. "Was mach ich hier?", entweicht es mir stimmlos und heiser. Tom hat sich inzwischen zu mir auf die Bettkante gesetzt und versucht geflissentlich den stinkenden Eimer zu ignorieren. Irgendwie scheint es so. Ja, es tut mir leid. Ich wollte nicht so ekelhaft sein. Es ist gar nicht meine Art. "Du lagst total betrunken im Backstageraum. Wir wollten dich von dort wegbringen, dich nicht einfach dort lassen. Und dein Bett ist leider oben und ich dachte, da leg ich dich einfach in mein Bett. Hast da hoffentlich nichts dagegen..." Ich reagiere nicht. Denn ich weiß nicht, ob es mich stört oder nicht. Mein Kopf gibt mir gerade keine Auskunft. Dort herrscht nur gähnende Leere. "Wieso hast du dich eigentlich so volllaufen lassen, wenn ich fragen darf?" Dieses Mal zucke ich mit den Schultern, dann lasse ich mich zurück auf die Matratze sinken und bedecke meine brennenden Augen mit der Hand. Tom würde einen Lachkrampf bekommen, würde ich ihm sagen, dass einzig und allein meine Eifersucht für die hohe Promillezahl in meinem Blut verantwortlich ist. Es ist absolut bescheuert. Wie kann man nur so bekloppt sein? "Okay, ich geh mit den anderen noch eine Runde feiern. Schlaf ruhig noch ein bisschen, du Abstürzer. Hätte ich eigentlich von dir nicht gedacht, dass du dich so gehen lässt. Ich dachte, du seist einer, der immer und in jeder Situation die Contenance bewahrt." Was war das? Wie nennt er mich? Abstürzer? "Verpiss dich", murmle ich. Ganz leise. "Was?", fragt Tom nach. Hat er es akustisch nicht verstanden oder kann er nicht wahrhaben, dass er sich von mir aus zum Teufel scheren soll? "Verpiss dich", wiederhole ich freundlicherweise. Doch es scheint zwecklos. Entweder Tom möchte es nicht hören oder mit dem Alkohol ist mir auch meine Fähigkeit, mich ordentlich zu artikulieren, abhandengekommen. "Ich geh dann mal", kündigt Tom noch einmal an. Dann erhebt er sich endlich. Ja, gut so. Mach dich vom Acker. Ich will dich nicht mehr sehen. Jemanden, der sich über mich lustig macht, kann ich nicht gebrauchen. Scheiße, mir ist schon wieder speiübel. Oh Mann. Ich durchlebe eine sehr unruhige Nacht. Vielleicht, weil ich mich nicht aufraffen konnte, um mich in mein eigenes Bett zu begeben. Ich hasse es, in fremden Betten zu schlafen. Da ist stets dieser gewisse Ekel vor der fremden Bettwäsche und diesem nicht vertrauten Geruch, den sie umgibt. Nur wenn ich einen Menschen liebe oder mich anderweitig zu ihm hingezogen fühle, kann ich diese Gegebenheiten ertragen. Sogar schätzen. Doch bei Tom kann ich es nicht. Zumal ich, als ich irgendwann wach werde, bemerke, dass der andere neben mir liegt. Ganz dicht neben mir. Ich höre ihn leise atmen. Schnaufen. Dann schnarcht er sogar etwas. Aber seine Haare sind schön. Und das Stück seines nackten Rückens, welches unter der Bettdecke hervorschaut. Ob er ganz nackt ist? Keine Ahnung. Es würde mich etwas befremden. Ganz kurz ziehe ich in Erwägung, dass wir vielleicht etwas miteinander gehabt hätten, aber daran glaube ich nicht wirklich. Mit so einem hässlichen und stinkenden Ding wie ich es heute bin wird so ein Schöner wie Tom nichts anfangen wollen. Vielleicht hatte er ja Andreas. Wer weiß das schon. Und nur, weil mein Gehirn gerade eine einzige weiche Masse ist, nutze ich die Gunst der Stunde nicht aus und erwürge den friedlich Schlafenden wegen dieser Vermutung. Nein, das könnte ich sowieso nicht. Am liebsten würde ich ihn anfassen. Nicht, weil ich in diesem Zustand Sex bräuchte. Nein, nur um es einmal getan zu haben. Ich wage es. Meine Hand ruht auf seinem warmen Rücken. Gleitet ein Stück nach unten. Selbst wenn Tom aufwachen würde, wäre es mir gleich. Mir ist alles so verdammt egal. Nur, dass meine Finger irgendwann den Stoff seiner Unterhose ertasten, missfällt mir irgendwie. Ich fahre wieder weiter nach oben. Ja, so ist es schön. Sehr schön. Wie gut sich das anfühlt. So viel schöner, als wenn ich meinen eigenen Körper berühre. Nun kann ich wieder in Ruhe meine Augen schließen und dem nächsten Morgen entgegenschnorcheln. ***** "...und sie haben dem zugestimmt." "Ach, wie schön." Natürlich ist das blanke Ironie. Ich könnte aus der Haut fahren. Wie sehr hatte ich gehofft, dass ich Tom nach dieser furchtbaren Nacht nie wieder sehen müsste. Aber das fällt nun wohl flach. Der Rest der Band hat es ohne meines Wissen fix gemacht, dass Toxic Rose uns bei unserer Europatour unterstützen werden. Na prima! Hört denn dieser Albtraum nie mehr auf? "Eric...das ist doch immer noch wegen Tom, oder? Verdammt, was hast du gegen den Jungen? Der ist doch in Ordnung und manchmal dachte ich sogar, ihr versteht euch ganz gut. Vor allen Dingen, weil er dich ja auch -" "Falsch gedacht, Emil. Ich möchte Tom nicht mehr sehen. Kapiert?" "Aber jetzt nimmt er dir nicht mal mehr etwas weg. Bitte sag mir, was du gegen ihn hast." Doch ich schweige mich aus. Ich weiß es selbst nicht so genau. Jedenfalls mittlerweile. Meine Abneigung ist bloße Routine geworden. Lediglich die Sache mit Andreas nehme ich ihm noch mächtig übel. Andreas hat zwar mit mir über den Vorfall gesprochen, aber das löscht die Bilder in meinem Kopf auch nicht aus. Es interessiert meine Birne einfach nicht, dass es ein Versehen gewesen sein soll. Eine Reflexhandlung, gesteuert vom Adrenalin, das einem bei einem Gig schon mal in Strömen fließen kann. Etwas, das nichts bedeutet. Ich sei immer sein Prinzesschen, hatte Andreas mir mit Nachdruck zu verstehen gegeben. Aber netter Versuch, dass er zwischen mir und Tom differenzieren möchte. "Tom hat sich so lieb um dich gekümmert, als du total besoffen und mehr tot als lebendig im Backstageraum lagst. Man, es ist nicht selbstverständlich, dass man jemanden fast Fremdes in seinem eigenen Bett schlafen lässt. Eric, Tom mag dich. Und er ist traurig, wenn du immer so gemein zu ihm bist. Gib dir einen Ruck. Du bist doch sonst immer so anschmiegsam. Man denke nur mal an die Fotos, die du mit Darin, Chris und den Jungs von Sonic Syndicate geschossen hast. Die hast du doch auch alle geliebt. Warum dann nicht auch Tom?" Weil er mir zu ähnlich sieht. Weil ich ihn nicht mögen will. Und weil er wir trotz der optischen Ähnlichkeiten viel zu verschieden sind. Tom ist etwas rauer als ich, gröber, maskuliner, was sich auch in seinen Gesichtszügen widerspiegelt. Ich kann es einfach nicht aushalten, dass jemand so scharf ist, den ich nicht leiden kann. Den ich ehrlich gesagt nicht leiden können will. Ach, Mist. Ich kapiere das selbst alles kaum. "Es ist eben so", beharre ich auf meiner Meinung. Gefühle kann man eben nicht erklären. Man kann sie nicht rational beeinflussen. Man kann nur versuchen, sie wegzudrücken. Doch dann überfallen sie einen noch um einiges stärker als jemals zuvor. In den nächsten Wochen muss ich das am eigenen Leib erfahren. Kapitel 4: Hello my Desire -------------------------- Die Sehnsucht wird stärker. Jeden Tag. Ich weiß auch nicht, warum mir dieser Typ nicht mehr aus dem Kopf geht. Vermisse ich das lebendige Abbild meiner selbst wirklich so sehr, dass ich den ganzen Hass über dem Gefühl der Liebe vergesse? Es geht sogar so weit, dass ich das Internet nach Bildern von Tom durchforste und mir meine Fundstücke abspeichere, wenn nicht sogar ausdrucke. Sonst googelte ich immer nur nach Bildern meiner selbst, bewunderte meinen Alabasterkörper, meine Schönheit, verliebte mich jedes Mal aufs Neue in mich. Warum mache ich nicht einfach weiter so? Ist dieses Männlichere in Toms Gesicht so faszinierend, dass ich es meiner schmalen Nase vorziehe? Ehrlich, ich kann es nicht erklären. Ich weiß nur, dass ich mir den Toxic-Rose-Gitarristen verdammt gern anschaue. Die Gefühle, die in meinem Magen kribbeln, wenn ich ihn anschaue, sind ähnlich jenen, die mich verwöhnen, wenn ich mich sehe. Mein Spiegelbild. Mein Foto. Ich bin nahezu besessen von diesem Mann. Und um ehrlich zu sein sehne ich den Tag herbei, an dem wir uns wiedersehen. Diese kleine bisschen Hass, welches noch in mir schwelt, macht mich unerklärlicherweise noch verrückter nach ihm. So verrückt, dass nicht anders kann und versucht bin, es ihm zu zeigen. Bis ich ihm endgültig nicht mehr widerstehen kann. Steif fühlt sich mein Körper an. Steif stehe ich da. Erstarrt. Er ist noch immer so schön, wenn nicht sogar schöner. Vielleicht sind auch nur meine Empfindungen tiefer geworden. Besitzt Sehnsucht nicht denselben Effekt wie ein Entzug? Hat man mir etwa meine Droge weggenommen? So ein Schwachsinn. Aber es fühlt sich beinahe so an. Um alles zu bequatschen - den Ablauf der Tour und sonstige Feinheiten - haben wir uns auf dem Sofa im Tourbus niedergelassen. Es ist viel zu eng für neun Leute, aber ich gehe bekanntlich gern mal auf Kuschelkurs, und dabei ist es egal, ob ein Mann oder eine Frau mich ertragen muss. Um ehrlich zu sein sind es allerdings fast immer Männer, an die ich mich schmiege. Ich mache mir nicht viele Gedanken über meine Sexualität, überhaupt nicht, ich liebe die Menschen, die ich liebe, egal was sie zwischen den Beinen haben. Bei Andreas war es diese Dominanz und das fast schon ein wenig Väterliche, welchem ich verfiel. Bei Camila spielte wahrscheinlich die optische Ähnlichkeit ebenfalls keine zu verachtende Rolle. Und bei Tom ist es nicht anders. Gepaart mit dieser Spannung, die ich verspüre, wenn ich ihn hier so sitzen sehe, freudestrahlend und ab und an laut lachend, verstärkt sich dieses Gefühl sogar. Ich schlucke. Sollte mich zusammenreißen. Doch wer kann das schon, wenn er ein fast identisches Abbild seiner selbst neben sich sitzen hat, welches zudem hautenge Leggings trägt? Um ehrlich zu sein bin ich komplett durch den Wind. Schweigsam und verkrampft. Sogar noch, als der einzige Blondschopf der Band eine Kiste Schokoküsse hervorzaubert. "Nette Geste!", lacht Andreas auf. "Wir haben schon verstanden, dass ihr uns am liebsten knutschen würdet, dafür, dass wir euch die Chance geben, Europa zu rocken." Die Toxic-Rose-Jungs sind allerdings bescheiden. Sie winken lediglich ab. "Guten Freunden gibt man doch ein Küsschen, oder?", meldet sich der Sänger, Andy, zu Wort. "Wo hast du denn das aufgeschnappt?", wird er zugleich bombardiert. Doch er zuckt nur ratlos mit den Schultern. "Guten Freunden gibt man ein Bier, muss es heißen!" Typisch Jonas, unser Berufstrinker. Doch ich sage dazu nichts, schließlich habe ich mich ja beim Trash Fest gnadenlos zulaufen lassen. Das macht mir so schnell keiner nach. Wir machen uns über die sahnige Leckerei her. Schmatzen und mampfen, bis ich acht mit Sahne beschmierte Münder sehe. Zweideutiges Gedankengut keimt in mir auf. Besonders gut steht Andreas die Sahne. Sollte er sich nie wieder abwischen. Aber auch Toms Anblick lädt zum Kopfkino ein. "Wusstet ihr, dass die Österreicher zu den Dingern Schwedenbombe sagen?" "Was? Krass." "Bescheuert, oder?" Tom verschluckt sich fast an seinem Schokokuss. Als er einen erneuten Bissen nehmen möchte, bricht die Schokolade so ungünstig auseinander, dass er sie samt einem total merkwürdigen Quieken gerade noch mit den Lippen schnappen kann. Und er ist voller Sahne. Bis zum Kinn hat er sich besudelt. Es ringt mir ein Grinsen ab. Wie auf Knopfdruck schaut er plötzlich zu mir hin. Als hätte er es geahnt, dass ich ihn ansehe und mich an dem weißen Schaum in seinem Gesicht erfreue. "Eric hat da was!", kräht Oscar plötzlich los, was Tom nun ebenfalls zum Grinsen animiert. Schneller als ich gucken kann hängt er auf meiner Pelle. Sacht aber bestimmt schiebt er seine Hand auf meine Wange. Ich spüre, dass sie ein wenig rau ist. Ganz im Gegensatz zu seinen Lippen. Der folgende Kuss ist intensiv, raubt mir die Fähigkeit zu denken, aber genauso schnell ist er auch wieder vorbei und Tom weicht mit einem frechen Glucksen von mir. "Was denn? Guten Freunden gibt man ein Küsschen. Habt ihr selbst gesagt." Die anderen johlen. Es hat ihnen gefallen. Natürlich hat es das. Aber sie haben nicht so wie ich jetzt erst recht Blut geleckt. Oder besser gesagt, Sahne. "Jetzt hat Eric aber noch mehr Sahne um den Mund", meint Andreas amüsiert und lächelt mich wieder so väterlich wie eh und je an. Doch ich kann es nicht wirklich erwidern. Nicht in diesem Zustand. "Küss ihn doch nochmal, Tom. Leck das Kätzchen sauber." "Ihr seid Schweine", kommt es nun schon viel verschämter von Tom. Ich enthalte mich meiner Stimme und entferne die Sahnerückstände mit einem Taschentuch, welches ich in meiner Hosentasche vorfinde. Kumpels können so peinlich sein. Sie schaffen es immer wieder, einen dastehen zu lassen wie ein verliebtes, 13-jähriges Mädchen. Und sie unterstützen Schwulitäten gnadenlos. Wenn auch aus Spaß. Doch das zwischen Tom und mir, das ist viel zu ernst, um darüber lachen zu können. Ich zumindest empfinde es so. Tom scheint das um einiges lockerer zu sehen. Vielleicht denkt er nun auch, ich hasse ihn wieder, weil ich seinen Kuss im Grunde nicht erwidert habe und mein Pokerface aufließ. Dabei ist es ganz anders. Irgendwie. Es ist nicht so, als würde ich mich selbst küssen. Ganz und gar nicht. Ich beginne immer mehr, in Tom eine eigene Person zu sehen und nicht mehr nur den Cat-Klon, das fleischgewordene Spiegelbild. Denn Tom ist anders als ich. Charakterlich sowieso. Von seiner ganzen Art her. Und das Schlimme ist, es tut meinen komischen Gefühlen keinen Abbruch. Sie sind da, sie blühen und machen mich verrückt. Egal. Ich sollte mich auf die bevorstehende Tour konzentrieren. Aus diesem Grunde probe ich morgen ein wenig. Es ist einfach unglaublich, meine Gitarre wieder in den Händen halten zu können. Wie sehr habe ich ihn vermisst, meinen größten Schatz. Ich könnte die ganze Welt umarmen, als ich die ersten Riffs zu Blood stains Blondes spiele. Nun weiß ich wieder, wofür ich existiere. Das hier ist mein Leben. Anscheinend habe ich alles um mich herum komplett ausgeblendet, vergessen, einfach so. Denn ich habe nicht bemerkt, wie Tom sich zu mir gesellt hat. Kurz schaue ich zu ihm auf, vertiefe mich dann allerdings wieder in meine geliebte Arbeit. Doch ich behalte seine Anwesenheit im Hinterkopf. Spüre, wie sein Blick auf mir ruht. Ja, jetzt kannst du den Meister mal persönlich spielen sehen. Schau mich an, ich bin sexy, wenn ich mit meiner Klampfe zugange bin. Ich bin mindestens so sexy wie du. Oh, wie gut mir schon dieses Ein-Mann-Publikum tut. Ich kann es kaum erwarten, morgen die Bretter zu entern. Der Jubel der Fans wird wie ein Aufputschmittel für mich sein. "Darf ich dir mal einen Tipp geben?" Stumm schaue ich wieder zu Tom hin, unterbreche sogar mitten im Lied. Der Schöne beugt sich zu mir herab. Betrachtet die Gitarre fachmännisch. "Wenn du das so machst, dann klingt es noch -" "Was?" Ich bin total von der Rolle. Stehe total neben der Spur. Was bildet der sich ein? Nur, weil er einmal an meiner Stelle aufgetreten ist, glaubt er wohl, ein besserer Deathstars-Gitarrist zu sein als ich! Das ist doch wohl die Höhe. Niemand kritisiert mein Spiel. Niemand. Jedenfalls nicht ohne Konsequenzen. Es überkommt mich wie ein Reflex. Ich lasse den Gitarrenhals los und verpasse Tom eine zugegebenermaßen ziemlich ungelenke Ohrfeige. Das genügt, um ihn innehalten zu lassen. Fast schon etwas geschockt starrt er mich für einen unendlichen Moment an. Dieses Gesicht. Diese halb geöffneten Lippen. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Meine gerade eben noch schlagende Hand greift nach dem Ring, der an Toms Lederhalsband befestigt ist. Harsch ziehe ich ihn näher zu mir heran. Und er ist so perplex, dass ich ihn einfach küssen kann. Wie ein Wahnsinniger. Wie ein ausgehungerter Tiger. Die ganze Wut auf ihn, dieser akute Rückfall in mein ehemaliges Empfinden vermischt mit dem Testosteron, das sein Anblick durch meine Glieder sendet. Das macht mich verrückt. Er macht mich verrückt. Wie sehr ich ihn will. Egal, ob als Cat oder als Tom. Doch er lässt mich nicht gewähren. Er beendet das Ganze, indem er mich grob von sich stößt. Der schockierte Blick schwelt noch immer in seinem hübschen Gesicht, als er mich stumm anstarrt. Für einen Augenblick glaube ich, dass er etwas sagen möchte, denn seine Lippen beben leicht, dann aber dreht er sich um und geht. Verschwindet einfach so. Lässt mich zurück mit diesem Undefinierbaren, welches ich fühle. Ich habe es verbockt, das ist das Einzige, über das ich mir im Klaren bin. ***** Heute wird ein guter Tag. Ein klasse Abend. Das weiß ich. Denn ich bin verdammt sexy. Vor allen Dingen in diesem gedämpften Licht, welches mein Spiegelbild verfremdet, verschönert. Nie hätte ich gedacht, dass das möglich ist, wo ich mich doch sowieso schon für unwirklich attraktiv hielt. Aber es ist wahr. Ich drehe und wende mich. Alles an mir ist so verdammt perfekt. Von meinem Gesicht über meine Brust bis hin zu meinem nicht zu großen, aber auch nicht zu kleinen Po. Und das, was ich zwischen meinen Beinen vorfinde, ist erst recht nicht von schlechten Eltern. Allerdings reckt es sich bereits in Stückchen in die Höhe. Nur, weil ich so toll aussehe. Besser als jeder andere. Ich vergesse sogar Tom über das Bewundern meines Spiegelbildes. Doch er sorgt schon dafür, dass ich ihn immer in meinem Hinterkopf behalte. Ihn und seine Schönheit, die sich mit meiner mühelos messen kann. Das leise Knarren der Tür, welches einem sachten Anklopfen folgt, ist mir nicht entgangen. Dennoch zeige ich keinerlei Reaktion. Bedecke nicht etwa mit meinem Shirt die Teile meines Körpers, die ziemlich intim anmuten und eigentlich nicht für jedermanns Augen gedacht sind. Nein. Egal, wer jetzt den Raum betritt, soll er mich doch so sehen. Sich an meinem Anblick weiden. Ich habe nichts, das ich verstecken müsste. Nur leider bin ich mir dessen gar nicht mehr so sicher, als ich Toms Silhouette hinter mir im Spiegel erkennen kann. "Oh, sorry", murmelt er betreten, macht aber keine Anstalten, mich allein zu lassen. Zu fasziniert scheint er von mir zu sein. Von diesem erotischen Bild, was sich ihm bietet. Von den geheimnisvollen Schatten, die meine helle Haut stellenweise bedecken. Ich weiß nicht, ob ich möchte, dass er mich so anstarrt. Einerseits breitet sich allmählich ein heftiges, unwiderstehliches Prickeln im Magen deswegen aus, andererseits glaube ich, Tom habe es nicht verdient, mich so zu sehen. Obwohl er sicher genauso aussieht wie ich, wenn er nackt ist. Warum schaut er dann so neidvoll? Oder ist es wirklich eher bewundernd? Oder gar schockiert? Hat er etwa noch nie einen fremden, nackten Mann gesehen? Unter diesen Umständen war er bestimmt auch noch nie selbst vor den Augen eines anderen Mannes nackt. "Komm her", weise ich Tom an. Meine Stimme klingt fest, auch wenn sie leise ist. Ich weiß, dass ich ihm in diesem Ton alles suggerieren kann. Schließlich setzt er sich zögerlich in Bewegung, tritt zu mir in die abgedunkelte Kammer. Steht mit etwas Abstand zu mir vor dem Spiegel. Schweigend, aber seinen Blick in keiner Sekunde abwendend. "Zieh dich aus." Ein fast schon maliziöses Grinsen umfährt meine Lippen. Nein, nicht, weil ich ihn ärgern möchte. Nur, weil ich ihn sehen will. Alles von ihm sehen möchte. Weil ich schon so lange Fantasien von seinem Körper hege. Anscheinend weiß Tom nicht, was er nun tun soll. Er wirkt ratlos. Doch was hat er zu verlieren, wenn er sich nun entblößt? Glaubt er, die Jungfräulichkeit seines Arsches könnte dran glauben müssen? Nein. Davor braucht er keine Angst zu haben. Zufrieden und ziemlich erregt stelle ich fest, dass Tom beginnt, an seiner Hose zu nesteln. Er tut es wirklich. Würde er gerade nicht so sehr mit sich selbst beschäftigt sein und anstelle in den Spiegel blicken, könnte er den wilden Ausdruck in meinem Gesicht erkennen. So aber kann nur ich mich an ihm laben. Wow, wenn ich so schaue, dann möchte ich mir selbst schmutzige Dinge sagen. Doch ich finde, heute soll das zu Toms Aufgabe werden. Auch wenn er gerade ziemlich schweigsam ist, ich werde wenigstens aus ihm herauskitzeln, wie schön er mich findet. Wie sehr er sich zu mir hingezogen fühlt. Dass ihn meine Ohrfeige und meine kratzbürstige Art erst recht anmachen. Dass er es liebt, wenn ich grob zu ihm bin. Denn ich liebe es auch, wenn man mich etwas härter anpackt. Manchmal. Während ich in meine Gedanken vertieft war, hat Tom es endlich geschafft, sich auszuziehen. Komplett. Gierig wandern meine Blicke an ihm auf und ab, immer wieder, ich kann gar nicht genug von ihm bekommen. Er sieht einfach nur toll aus. Geil. Sexy. Wie ich. Nur das Bauchnabelpiercing fehlt. Und das in der Brustwarze. Aber das macht nichts. Das tut dem keinen Abbruch, wie sehr ich diesen Mann will. "Du sieht wirklich aus wie ich", urteile ich sacht, es soll ein Lob sein. Doch irgendwie ist mir so, als würde Tom das nicht so sehen. Er guckt sich selbst nicht so intensiv im Spiegel an wie zuvor mich. Viel mehr riskiert er einen Seitenblick auf meinen nackten Körper. Er frisst mich förmlich auf, das kann er nicht verheimlichen. Dass er mich so ansieht, ist wie Sex für mich. Dieser Blick macht mich endgültig hart. Tom schnaubt leicht. Zweimal. Dann macht er den Mund auf. "Ich sehe nicht aus wie du. Gar nicht. Du bist viel hübscher als ich. Schön bist du. Ein schönes Arschloch." Wahrscheinlich hatte er nicht geplant, dass ich in diesem Zustand, mit einem Ziehen in den Lenden und einem pulsierenden Glied, darauf abfahre, mit Schimpfwörtern besehen zu werden. Doch es ist so. Hätte er mich Schlampe genannt, wäre ich sicher ohne Rücksicht auf Verluste über ihn hergefallen. So geil kann er mich damit machen. Da ich aber nur ein Arschloch bin, geht das Ganze langsamer vonstatten. Meine Mundwinkel vibrieren erwartungsvoll, als ich einen Schritt auf Tom zumache. Ich schaue ihm direkt in die Augen. Verwirrung schwelt in ihnen, das offenbart mir das kleine Restlicht, welches der Winterabend durch das Fenster sendet. Und dann legt sich meine Hand auch schon voller Begierde auf seine makellose Brust. "Lass...", zischt Tom. "Nicht jetzt. In einer Stunde müssen wir raus..." "Du willst jetzt noch abbrechen?", entgegne ich. "Kannst du das überhaupt noch? So spitz, wie du auf mich bist?" Na, platzt da etwa jemandem der Kragen? "Ich schlafe nicht mit solchen Typen wie dir. Denkst du, es macht mich so geil, mich immer von dir beschimpfen zu lassen? Deine Abneigung zu spüren?" "Ja", lautet meine ehrliche Antwort. Tom scheint Mühe haben, sich zu sammeln. Er zieht geräuschvoll Luft in seine Lungen. Sein Brustkorb hebt sich hart unter meiner Hand. "Du liebst das Arschloch in mir. Und ich liebe das in dir. Gestern hätte ich dich am liebsten an die Wand geklatscht, weißt du das? Tom, du bist mir ähnlich. Du bist auch eine Katze." Wahrscheinlich werde ich diese Worte nach der ganzen Szene schnell verdrängen, vergessen wollen. Denn ich kann sie nie und nimmer ernst meinen. "Jetzt lass mich gehen", fordert Tom erneut. "Was, wenn nicht?" Ich spiele Risiko. Aber was habe ich schon zu befürchten? Katzen haben sieben Leben. "Dann -" Er fällt über mich her. Ich kann mich kaum noch retten, so wild und leidenschaftlich küsst er. Als würden sich all seine angestauten Gefühle schlagartig entladen wollen. Ich dränge mich ihm entgegen, obwohl ich kaum mehr atmen kann. Er drängt sich mir entgegen. Unsere Körper berühren sich. Schmiegen sich gierig aneinander, so, als wäre es das einzige auf der Welt, was zählt. Das Gefühl seiner Haut an meiner lässt mich erkennen, dass meine Erektion noch steigerungsfähig ist. So lange, bis ich glaube, zu explodieren. Glücklicherweise brauchen wir uns nur ein paar Schritte weit zum Bett schleppen; im Nachhinein werde ich sehr froh sein, dass wir im Hotel untergekommen sind und dem engen Tourbus Adieu sagen dürfen. Wahrscheinlich hätte sich das Ganze hier ohne diese komfortable Unterkunft niemals zugetragen. "Schließ ab", raune ich in Toms Ohr; um ehrlich zu sein möchte ich nicht, dass er mich jetzt loslässt, aber ich habe keine Lust, den anderen womöglich unfreiwillig eine heiße Show zu bieten. Das mit Tom soll ungestört passieren. Was es sowieso nicht wird, weil ich mich wahrscheinlich eh nicht beherrschen kann und das ganze Hotel zusammenschreie. Nachdem der Schlüssel im Schloss geknackt hat und Tom sich zwischen meine Beine und somit auf mich gelegt hat, geht es nämlich schon los. Verlangend verkrampfen sich meine Finger in Toms elend geilen Haarschopf, während er die Hände auf meine Hüften gelegt hat und sich an meinem Hals hinabküsst. Es ist alles zu langsam, zu wenig, was er tut. Am liebsten will ich ihn gleich richtig. Ein Vorspiel benötige ich nur, wenn mein Partner es nicht bringt. Und von Tom kann man das keineswegs behaupten. Trotz der Lust überlege ich für den Bruchteil einer Sekunde, ob er schon mal einen Mann hatte. Denn er weiß genau, was er zu tun hat, damit ich mich aufbäume, knurre, raune und sogar aufstöhne. Man kann sagen, er ist nicht nur ein Rockstar auf den Brettern. Er ist auch einer im Bett. Eigentlich hätte sein Gitarrenspiel schon darauf schließen lassen können, wie geil er es seinen Partnern besorgt. Aber es sind nicht nur seine Hände, das Gefühl seiner warmen Haut an meiner und den unzähligen Küssen, mit denen er mich besieht; sein Gesicht so nah vor meinem zu sehen ist schon der helle Wahnsinn. Das Feuer in seinen Augen. Die Zunge, die verlangend zwischen seinen Lippen hindurchblitzt, bevor er mich küsst. "Ich hab einen Fetisch von deinen Ohrringen", gesteht er mir plötzlich zusammenhanglos. Grinsend stecke ich meinen Finger durch den Ring an seinem Halsband. "Und ich fahr auf deinen Sadomasoschmuck ab. Kater." Das gefällt ihm offensichtlich. Und da ich es langsam nicht mehr aushalte, gequält zu werden, stelle ich die Frage, die mich erst schon beschäftigte. "Hast du schon mal einen Mann...?" "Ja, hab ich", erhalte ich die unverzügliche Antwort, der ebenfalls ein spitzbübisches, fast schon ein wenig dreckiges Grienen folgt. Nein, nun sieht mir Tom wirklich kein bisschen ähnlich. Aber es ist mir scheißegal. "Tom! Wir müssen in einer halben Stunde raus! Bist du da drin?" Wir halten kurz inne. Doch wir können nicht mehr aufhören. Würde Tom jetzt rausziehen, würde ich ihn wahrscheinlich umbringen müssen. Ich glaube, das sagt ihm auch mein Blick. Falls der nicht schon vollkommen glasig ist und keine anderen Gefühle außer Lust mehr entblößt. "Bin gleich soweit!", schreit Tom etwas atemlos zurück, ehe er sich wieder mir widmet und keine Zeit mehr verschwendet. Wie ein Wahnsinniger stößt er in mich. Immer und immer wieder. Ganz kurz denke ich darüber nach, dass ich kaum mehr Zeit haben werde, mich fertigzumachen, aber das hier entschädigt einen wirklich für alles. Und deswegen genieße ich das, was er mit mir tut. Wie er mich nimmt. Wie der Druck in mir immer stärker wird. Wie ich immer gieriger nach seinen Berührungen werde. Wie es mich schließlich überrollt und ich heiser aufkeuche. Als wir schließlich alle Spuren des Geschehens beseitigt haben, schnappe ich mir noch im Taumel mein Make Up und meine Klamotten, um mich wenigstens noch etwas herzurichten. Mit diesen Haaren könnte ich nirgendwo mehr hingehen. Wie gerade aus dem Bett gekommen schaue ich aus. Stimmt ja auch. Muss man aber nicht unbedingt auf Anhieb erkennen. Tom gibt ebenfalls sein Bestes und ich finde es fast schon schade, dass er wenigstens seine schöne Nacktheit im unteren Bereich seines Körpers verhüllt. Andererseits muss nicht jeder das sehen dürfen, was ich sehen durfte. Wir wechseln noch ein paar vielsagende Blicke, verpassen uns den letzten Schliff und verlassen schließlich das Hotelzimmer. Nur um prompt den restlichen Mitgliedern von Toxic Rose in die Arme zu laufen. "Man, Tom! Was hast du denn so ewig gemacht? Wir haben schon auf Lösegeldforderungen gewartet", wettert Andy gleich los. In voller Montur wirkt das echt ein wenig gefährlich, aber… "Gute Idee!", spreche ich das aus, was mir gerade durch den Kopf geht. Ich hätte Millionär sein können, hätte ich Tom noch ein wenig länger beschäftigt. Die Jungs gucken ein wenig dumm aus der Wäsche, dann aber laufen wir schnell zum Bus, um noch rechtzeitig unseren Auftritt wahrzunehmen. Das Grinsen ist ab nun mein stetiger Begleiter. Genau wie die gute Laune, die ich selbst auf der Bühne nicht verstecken kann. Ich bin ein fröhliches Kätzchen, welches seinen Kater gefunden hat. Oder so ähnlich. Als am Ende des Konzertes die Mitglieder von Toxic Rose sich wie vereinbart zu uns auf die Bühne gesellen, zeige ich wahrscheinlich viel zu deutlich, wer mich vor wenigen Stunden zum Schnurren gebracht hat. Dieses Mal ist es kein Andreas, der hinter mir steht und wegen dem ich fordernd meinen Kopf in den Nacken lege. Heute bilden das fanverrücktmachende Duo Tom und ich. Wir fummeln ein bisschen, knutschen und genießen die Jubelschreie des Publikums in vollen Zügen. Wahrscheinlich werde ich das Funkeln in Toms grauen Augen nie mehr vergessen. Und Tom wird sich als alter Opa noch an jenes in meinen blauen erinnern. Sollte dies allerdings nicht der Fall sein, Andreas' Kommentar wird uns zumindest immer im Gedächtnis bleiben. "This is our new dreamteam. It's the tomcat. Isn’t it cute? Aww! Applause for the tomcat!" Und den Applaus erhält der Kater natürlich. Meine Euphorie kennt keine Grenzen mehr. Das hier ist der beste Abend seit langen. Ich wüsste nicht, was ich mehr wollte. Ich habe Musik, ich habe dieses Kribbeln in meinem Bauch, welches ich immer verspüre, wenn ich hier oben stehe. Und ich habe diesen nagenden Hass endlich beseitigt. Ich glaube, dass er nie wieder zurückkommt. Denn ein Cat und ein Tom können sehr gut nebeneinander existieren. Oder besser aufeinander. Guter Sex und gute Musik - das ist es doch, wofür man lebt. Epilog: Epilog -------------- "Läuft da jetzt eigentlich was zwischen euch, Tom und dir?" Es ist wieder einer dieser geruhsamen Abende, die ich mit Andreas auf der Couch verbringe. Ohne den anderen Bandkollegen und auch ohne Tom. Seit dem Ende der Tour vor zwei Wochen sind wir uns nicht mehr begegnet. Ich habe nicht mal seine Nummer, um ihn gegebenenfalls anrufen zu können, aber danach steht mir eigentlich überhaupt nicht der Sinn. Im Moment genügen mir die Erinnerungen an unser kleines Abenteuer. Es war schön, sehr schön sogar. Es ermöglichte mir auch, mir selbst die kleinsten Details seiner Gesichtszüge einzuprägen. Und wenn ich zurückdenke an unsere Gemeinsamkeiten, aber auch an unsere nicht zu verachtenden Unterschiede, bekomme ich schon noch ein bisschen Gänsehaut auf den Armen. Aber Andreas Frage kann ich ehrlich gesagt nicht eindeutig beantworten. "Ihr ward vor dem ersten Konzert zusammen im Bett, oder?" Woher weiß er das schon wieder? Ob die Toxic-Rose-Jungs etwa so neugierig waren und sich mich den Deathstars darüber beraten haben, was zwei Typen, die augenscheinlich nicht miteinander warm werden, in einem abgeschlossenen Raum tun? Bestimmt war es so. Und ich war der Meinung, nur Mädchen lästern. Und in seltenen Fällen auch ich. Andreas ist nicht blöd. Ohne dass ich irgendwas sagen müsste, bildet er sich sein Urteil anhand meiner etwas verdrucksten Reaktion. "Und, wars gut?" "Mh." Das soll ein nicht zu überschwängliches Ja darstellen. Es wäre peinlich, würde ich nun vom Sofa springen und in Jubelschreie ausbrechen, weil es mir so gut gefallen hat, von Tom gevögelt zu werden. "Und nun ist der Ofen aus?" "Wird das ein Verhör?" Langsam wird mir das Ganze zu bunt. Doch das lasse ich mir nicht allzu deutlich anmerken. Immer schön die Contenance wahren, Cat Casino. Aufregung und Groll machen dich unsexy. "Ich dacht ja nur...und mit Camila? Wirst du es ihr erzählen?" Schief ziehe ich einen Mundwinkel in die Höhe, zucke mit den Schultern. "Nee. Hat doch nichts bedeutet." "Ach, Prinzesschen", seufzt Andreas daraufhin und legt seinen Arm um mich, während er mit schiefgelegtem Kopf an die Wand schaut. "Mach dir nichts vor, im Grunde warst du ganz schön verschossen in deinen kleinen Doppelgänger. Und du bist es immer noch. Oder?" "Keine Ahnung." Ich schlucke. Das ist ehrlich. Ich weiß gar nichts mehr. Vielleicht lasse ich einfach alles auf mich zukommen. Bleibe mit Camila liiert. Und wichse mein eigenes Spiegelbild an. Wahrscheinlich werde ich mich sowieso immer selbst am meisten lieben. Und den Menschen, der mich annähernd so sehr schätzt wie ich mich. Wer dieser Mensch ist, kann ich allerdings noch nicht beurteilen. Camila oder Tom. Oder doch Andreas. "Schade, dass da nichts mehr geht zwischen euch. Irgendwie hatte ich gehofft, euch beide mal vernaschen zu können." Das Ganze unterstreicht Andreas mit einem amüsierten Glucksen. Das Augenzwinkern suche ich jedoch vergeblich. "Meinst du das ernst?" Nun ist es an ihm, mit den Schultern zu zucken. "Mh. Klar. Findest du die Idee nicht gut?" Ich fummle an meinem Daumennagel herum. Schon wieder eingerissen. "Mh." Dies soll kein allzu überschwängliches Ja darstellen. Dieses 'Mh' beschreibt echte Nachdenklichkeit. Doch selbst ich kann nicht abstreiten, dass Andreas hin und wieder echt gute Einfälle hat. "Hast du Toms Nummer?" "Also doch." "Nee...also...hast du sie?" "Frag Emil, der ist doch ganz dicke mit Tom." Ob ich mir allerdings diese Blöße geben möchte? Schließlich habe ich anfangs ein mächtiges Theater wegen dem Ersatzgitarristen veranstaltet. Das muss ich mir noch in Ruhe überlegen. Jetzt aber lehne ich meinen Kopf an Andreas' breite Schulter und versuche, an nichts weiter zu denken. Nur an Tom. Wie er nackt neben mir vor dem Spiegel stand. Ich schmunzle vor mich hin. Das war wirklich fein. Sehr fein. "Frauen, Frauen, Frauen und zwei Katzen", murmelt Andreas plötzlich zusammenhanglos vor sich hin. Ich schweige mich dazu aus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)