Kurayami - [Finsternis] von Puella ================================================================================ Kapitel 4: Chishiki - [Erkenntnis] ---------------------------------- Kapitel IV - Chishiki - [Erkenntnis] Keuchend rannte er die kurze Strecke von Agasa, bis zur Detektei durch. Störte sich nicht an den Blicken der vielen Passanten, die trotz der frühen Morgenstunden zur Arbeit mussten. Seine Gedanken überschlugen sich. Ließen ihn auch mental nicht zur Ruhe kommen. Drehten sich immer wieder im Kreis, um am Ende immer dasselbe Ergebnis zu erreichen. Er war verwirrt. Fühlte sich verloren und gehetzt. Gin wusste ohne jede Zweifel wer er war; Haibara schien auf's genauste zu wissen, was ihm im Beika Park widerfahren war - und eine leise Stimme in den hintersten Winkel seines vernebelten Verstandes sagte ihm, dass das nur bedeuten konnte, dass sie dasselbe Schicksal teilten -; Kaitou Kid hatte ihn zu aller Demütigung in einem Zustand tiefster Verzweiflung und Hilflosigkeit gesehen; wenn auch aus jener gerettet. Seine kleine Hilfsbotschaft lag noch immer in dem halb geordneten Ehezimmer seiner Eltern und wartete nur darauf von Okiya oder anderen ungewollten Personen entdeckt zu werden. Seine Eltern in Amerika hatten nicht die leiseste Ahnung was bei ihrem Sohn auf der anderen Seite der Erdkugel vor sich ging und würden vermutlich bei einem Anruf seinerseits aus allen Wolken fallen. Und dann war da noch Ran. Stolpernd und nach Atem ringend kam er schließlich vor dem blassgelben Gebäude zum stehen. Besah sich die Fassade, die unter dem Zahn der Zeit gelitten und eine leicht gräuliche Farbe angenommen hatte. Die weißen Schriftzeichen schienen ihn regelrecht anzuspringen. Detektei Mōri Kogorō. Mit geröteten Augen sah er zu der im Schatten liegenden Treppe. Da oben, nur ein paar Schritte entfernt, hinter einer grauen Tür, lag die Wahrheit. Und es gab für ihn nur zwei Möglichkeiten. Möglichkeit Eins: In just dem Augenblick, in dem er zur Tür hereintrat, würde er von Kogorō angepöbelt werden, da dieser seinen Fernseher - und somit den Mist den er schaute - nicht mehr hörte. Gleichzeitig würde Ran ihn voller Sorge fragen wo er denn gewesen war. Ihre wunderschönen Augen wären vermutlich getrübt von ihrer steten Traurigkeit. Er würde sie mit seinem Hundeblick anschauen und den kleinen Conan-kun mimen, um ihr wieder ein Lächeln auf die bezaubernden Lippen zu zaubern. Möglichkeit Zwei und an die wollte er lieber gar nicht denken: Sie waren beide bereits tot und nichts als Stille würde ihn empfangen. Er zögerte. War unschlüssig, ob er bereit war, da hoch zu laufen und der besagten zweiten Möglichkeit ins Auge zu sehen. Er wusste, selbst nach unendlich vielen Fällen und den daraus resultierenden Leichen, würde er darauf nie gefasst sein. Vermutlich würde er noch auf der Türschwelle zusammen brechen und nur still darauf warten, dass sie auch ihn holten. Sein Herz raste noch immer, als er schließlich einen Fuß vor den anderen setzte und die Stufen hoch stieg. Jede einzelne kam ihm vor wie eine Bergsteigung. Die Last des Ungewissen schien seinen kleinen Körper schier zu Boden drücken zu wollen. Irgendwann, wie es schien, stand er vor der Eingangstür zum Büro des schlafenden Kogorō. Unweigerlich schnitt er eine Grimasse. Der Alte würde ihm vermutlich den Hals umdrehen, sollte er die Wahrheit irgendwann heraus finden. Sein Blick verfinsterte sich wieder, als ihm etwas auffiel. Von drinnen drangen keine Geräusche nach draußen. Kein Ojisan der lautstark seine Yōko-chan im Fernsehen anfeuerte und gleichzeitig seine leeren Bierdosen im Raum verteilte. Keine Ran-neechan die ihm dafür in ebenso hoher Lautstärke und Hausfrauen Art die Leviten las. Rein gar nichts. Nur Stille hinter der verschlossenen Tür. Shin'ichi merkte, dass seine Hände wieder zu zittern begonnen hatten, als er eine nach dem Türgriff ausstreckte und diesen langsam nach unten drückte. Es quietschte leicht in den Angel, als er Millimeter um Millimeter eintrat. Gefasst auf beinahe alles, was sich ihm nun bei all den Eventualitäten bieten könnte. Und was er sah - erleichterte ihn ebenso, wie es ihn beunruhigte. Es war tatsächlich niemand hier. Weder lebend, noch tot. Er atmete gepresst aus. Merkte erst da, dass er die Luft unweigerlich angehalten zu haben schien. Ohne seine Schuhe ordnungsgemäß auszuziehen, schritt er gänzlich ein und sah sich um. Der Fernseher war aus. Der Anrufbeantworter blinkte. In regelmäßigen Abschnitten ertönte ein Tropfen aus der angrenzenden Küche. Die Uhr über der Tür tickte im üblichen Sekundentakt. Bis auf das Fehlen der beiden anderen Bewohner, schien alles so wie immer. ‚Doch der Schein kann ja bekanntlich trügen..ʼ Zähneknirschend ging er zurück nach draußen und zog die Tür hinter sich zu. Wieder ertönte das Quietschen. ‚Wo sind sie bloß so früh hin? Und dann an einem Samstag..ʼ Er entschied sich, auch oben nachzusehen, ohne voreilige Schlüsse zu ziehen. Diesmal schneller, angetrieben von dem Gedanken heraus zu finden, wo Ran und ihr Vater waren, lief er weiter nach oben. Auch hier wurde er vorerst von einer geschlossenen, grau-silbernen Tür begrüßt. Ohne weitere Umschweife stieß er sie auf und trat ein, nachdem er sich diesmal seinen Schuhen entledigt hatte. Er sah sich um. Auch hier war das Ticken einer Uhr zu hören. Die Große, die im Flur hing und die kleineren, leiseren übertönte. Die, die ihm die ersten paar Tage in der Detektei den Schlaf geraubt hatte. Er sah sie an. 08:36 Uhr. Der Sekundenzeiger tickte unaufhörlich weiter. Shin'ichi spielte mit dem Gedanken aus Versehen mit dem Fußball dagegen zu kommen. Ran-neechan würde ihm mit Sicherheit verzeihen. Er schüttelte den Kopf. Für solche Albernheiten war nicht der richtige Moment. Leise schlich er zur Küche. Alles ruhig. Hier tropfte kein Wasserhahn. Nicht einmal der Kühlschrank summte, wie er es sonst tat. Er ging weiter zu Kogorō's und seinem vorläufigen Zimmer. Links neben der Tür war dessen - wahrscheinlich von Ran gemachtes - Bett. Daneben sein ebenfalls ordentlich zusammen gerollter Futon. Rechts der haselnussbraune Schrank. Er öffnete ihn vorsichtig und linste hinein. Nichts. Alles wie immer. Shin'ichi war kurz davor zu verzweifeln. Wäre Ran irgendwo hin gegangen, hätte sie ihm einen Zettel hinterlegt. Und überhaupt: Machte sie sich keine Sorgen um ihn? Schließlich war er in aller Augen bloß ein sieben-Jähriger Grundschüler. Einer der nun seit gut zehn Stunden wie vom Erdboden verschluckt war. Grübelnd, mit einer Hand am Kinn, blieb er vor Ran's Zimmertür stehen. Er war noch nie dort drin gewesen*. Er wollte nie ihre Privatsphäre verletzen. Nicht mehr, als er es schon tat, wenn er sich ihre Geheimnisse anhörte. Geheimnisse, die zwar Conan, aber nicht - und auf gar keinen Fall - Shin'ichi hören durfte. ‚Du bist ein Häuchler.ʼ, meldete sich wieder seine innere Stimme. ‚Sprichst immer davon, dass es nur eine Wahrheit gäbe, aber belügst das Mädchen das du liebst, jeden Tag auf's Neue.ʼ Er schüttelte den Kopf. Das war doch alles nur zu ihrem Wohl! Und verdammt, er würde höchstpersönlich zur Polizei gehen und sie auffordern nach Ran und natürlich auch Kogorō zu suchen, sollte er nicht in den nächsten drei Minuten wissen, wo sie sich momentan befanden. ‚Der Anrufbeantworter, du Genie.ʼ Er schaute auf. Ein Hoffnungsschimmer erglomm in seinen tiefblauen Augen. ‚Natürlich! Warum habe ich nicht eher daran gedacht?ʼ Schnell zog er sich die Schuhe über und stolperte die Treppe mehr runter, als dass er lief. In kürzester Zeit war er wieder im Büro, wo er ohne irgendwelche Umwege zum Schreibtisch lief und auf diesen drauf sprang, um das Gerät, trotz seiner Körpergröße ohne Probleme erreichen zu können. Er drückte auf den Knopf. Es knackte. Dann hörte er Ran's samtweiche Stimme. Die Digitalanzeige zeigte, dass der Anruf vor knapp einer Stunde eingegangen war. „O'haiō, Conan-kun.“ Er seufzte. ‚Sie lebt.ʼ „Es tut mir unglaublich leid, dass im Moment keiner da ist, um dir Gesellschaft zu leisten. Ich hoffe du hast dir keine Sorgen gemacht.“ Erleichtert ließ er sich von der Tischplatte in Kogorō's Stuhl fallen. ‚Und ob ich mir Sorgen gemacht habe, Dummerchen.ʼ „Leider musste ich heute morgen schon sehr früh raus. Sonokō braucht etwas Hilfe, bei den Vorbereitungen für die anstehenden Prüfungen. Paps ist mit seinen Kollegen Mahjong spielen.“ Er hörte ihren Missmut darüber und konnte sich den passenden Gesichtsausdruck bildlich vorstellen. „Agasa-hakase hatte gestern Abend nach Kaitou Kid's Coup noch angerufen und gesagt, dass du bei ihm übernachten würdest. Ich schätze du hattest schon ein Frühstück. Solltest du dennoch Hunger bekommen: Ich habe dir etwas bereit gestellt. Du brauchst es nur noch warm zu machen. Ein großer Junge wie du, schafft das doch sicherlich.“ Ihr Lächeln war selbst durch diese zweitklassige Aufnahme herauszuhören. ‚Ja.. Ein großer Junge, in einem kleinen Körper.ʼ „Pass bitte auf dich auf, bis ich wieder da bin Conan-kun. Hast du verstanden? Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Dafür bist du mir viel zu wichtig, mein Schatz.“ Es klickte zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit. Die Aufnahme war vorbei. Mein Schatz. Conan lief unweigerlich rot an. So hätte sie ihn als Shin'ichi auf Teufel komm raus nicht genannt. Dann stutzte er. ‚Agasa-hakase hatte gestern Abend nach Kaitou Kid's Coup noch angerufen und gesagt, dass du bei ihm übernachten würdestʼ. ‚Moment mal.. Hakase wusste bis vor einer dreiviertel Stunde selber nichts. Aber, wer?ʼ Nachdenklich blickte der Junge aus dem Fenster nach draußen. Der Groschen fiel einen Augenblick, nachdem eine graue, ganz gewöhnliche Stadttaube an ihm vorbeigeflogen war. ‚Vermutlich hat er einfach mit verstellter Stimme angerufen.ʼ Entschlossen wand er sich von Fenster ab. ‚Du hast hoch gepokert, Kid. Ein Anruf von Ran und dein rettender Plan wäre nach hinten losgegangen.ʼ, Shin'ichi lachte kurz auf. ‚Aber wozu hast du sonst dein Pokerface?ʼ Einige Minuten später befand er sich zum zweiten Mal an diesem Tag unterm Wasser. Dampf stieg diesmal aus der gefüllten Wanne. Kondenstropfen liefen die hellen Fliesen der Wand hinab. Einige fielen von seinen Haarspitzen zurück und Kreise zogen sich auf der schaumigen Oberfläche. Er hob eine seiner Hände aus dem Wasser, streifte sich den weißen, fruchtig riechenden Schaum ab und besah sie sich. Helle Haut. Kleine, zarte Finger. Ein schmales Gelenk, angrenzend an einen ebenso schmalen Arm. Er sah an sich runter. Alles klein, beinahe makellos. So hell wie Porzellan. Stirnrunzelnd strich er über die blass rosa Narbe an seinem Bauch. Und lächelte. Immerhin etwas, dass ein normales Kind nicht hatte. Er machte sich nicht die Mühe, nach weiteren Unebenheiten zu suchen. Da waren einige, vorzugsweise Streifschüsse: Hell, glatt und kaum auffallend, wenn man nicht wusste, dass es sie gab. Frustriert seufzte er auf und atmete den süßlichen Duft ein. Nach außen war er ganz Kind. Die Augen schließend tauchte er unter Wasser und blieb so lange dort, bis seine Lungen schmerzten, nach Luft schrien und zu bersten drohten. Keuchend kam er wieder nach oben. Sah an die helle Decke. Und schloss seine Augen wieder. Wer war er überhaupt? Gab es Kudō Shin'ichi noch? Hatte es Edogawa Conan jemals gegeben? Wer von beiden war er? Oder war er niemand? Ein Mensch, der kein Ich hatte. War das überhaupt möglich? Er seufzte schwer. Er war es leid. Die Lügen, dieses Theater. Das Versteck spielen. Er war müde. Er konnte nicht mehr. Es - ging - einfach - nicht - mehr. Immer, jedes verdammte Mal wenn er dachte, eine heiße Spur gefunden zu haben; dachte, seinem Ziel näher gekommen zu sein, wurde er wieder enttäuscht und schmerzhaft in die Realität zurück befördert. Wenn es so weiter ginge, würde er nie wieder Shin'ichi sein können. Nie mehr mit Ran zur Schule gehen. Sie heimlich im Unterricht beobachten. Sie ärgern. Mit ihr Lachen. Mit ihr zusammen sein, ohne von unten herauf zu schauen. Sie lieben, ohne es verstecken zu müssen. Er wollte sie anrufen, ihr sagen, dass sie ihm wichtig war, dass er nie wieder weg müsste. Ohne den Stimmentransposer. Stattdessen würde er alles von Anfang erleben müssen. Er würde wachsen. Von einem kleinen, schmächtigen Jungen, zu einem kräftigen, jungen Mann, der sich wehren konnte. Dem die Leute zu hörten, wenn er etwas zu sagen hatte. Der nicht am Rockzipfel seiner Neechan ziehen musste, um etwas zu bekommen. Er würde ein zweites Mal siebzehn werden. Eine zweite Pubertät. Aussehen, wie er es eigentlich tun sollen. Und innerlich zehn Jahre älter. Er würde sich als Erwachsener, mit Halbwüchsigen umgeben müssen. Eine zweite erste große Liebe.. Verzweifelt schrie er auf. „Nein! So weit wird es nicht kommen! Ich bin nicht Conan-kun ich bin Shin'ichi, Kudō Shin'ichi verdammt noch mal!“ Wütend warf er die Seife gegen die Wand und schlug mit der flachen Hand auf das Wasser ein. Seine Augen funkelten vor Zorn und neu gewonnener Entschlossenheit. Er hatte sein Ziel wieder anvisiert. Bereit es zu treffen und einer silbernen Kugel gleich, zu zerschmettern. Egal, ob er dabei selbst zerbersten würde. „Ich werde euch für alles bezahlen lassen. Ich werde die Wahrheit ans Licht bringen. Selbst wenn ich dafür von der Dunkelheit verschlungen werde.“ * Ich hatte tatsächlich vergessen, dass Chibi-Shin'ichi im vierten Film bereits in Ran's Zimmer war und da ich unverschämterweise die Filme in den Canon mit einbeziehe, hat mich das dementsprechend auch ziemlich gewurmt; dennoch habe ich die Stelle so gelassen wie es war, einfach weil sie mir auf gewisse Art und Weise wichtig ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)