Fünf Jahre von Juju ((K)eine Freundschaft für immer) ================================================================================ Kapitel 25: Bruderzwist ----------------------- „Pssst.“ Zunächst fühlte Kari sich nicht angesprochen. Sie war gerade dabei, das Schulgelände zu verlassen und nach einem anstrengenden Schultag endlich nach Hause zu kommen und sich auszuruhen, als sie dieses seltsame Geräusch von der Seite vernahm. Erst, als es erneut ertönte, drehte sie sich um und hielt nach dem Verursacher des Zischens Ausschau. Dort stand ein junger Mann mit einem Beanie auf dem Kopf und einer großen Sonnenbrille auf der Nase und bedeutete ihr mit einer Kopfbewegung, zu ihr zu kommen. Kari runzelte argwöhnisch dir Stirn und ging zögerlich auf ihn zu. Als sie vor ihm stand, hob er seine Sonnenbrille ein Stück an und erst da erkannte Kari ihn. „Matt!“, rief sie überrascht. Er legte den Zeigefinger auf die Lippen und schob sich schnell die Sonnenbrille wieder zurecht. „Nicht so laut. Ich bin undercover“ sagte er schief lächelnd. „Weißt du, ob T.K. noch kommt?“ „Der musste noch mal in die Bibliothek. Keine Ahnung, wie lange das dauert“, antwortete sie, noch immer verwundert, dass sie Matt hier in die Arme gelaufen war. „Hm“, machte Matt nachdenklich, schob die Hände in die Hosentaschen und lehnte sich gegen die Mauer, die das Schulgelände umgab. „Dann warte ich eben.“ „Was willst du denn von ihm?“, fragte Kari. „Reden“, meinte Matt und hob die Augenbrauen. „Einfach nur reden.“ „Und du glaubst, er lässt sich jetzt darauf ein?“, fragte Kari zögerlich. „Wahrscheinlich nicht. Aber vielleicht ist er so überrascht, wenn ich ihn abfange, dass er vergisst, dass er mich hasst“, antwortete Matt etwas spöttisch. „Ich bleibe gern bei dir und warte mit dir zusammen. Vielleicht kann ich ihn ja überreden, mit dir zu reden“, bot Kari an. „Danke, das ist nett. Deine Hilfe kann ich sicher gut gebrauchen.“ Eine kleine Weile standen sie dort und betrieben ein wenig Smalltalk, bis endlich T.K. auftauchte. Er wollte schon an ihnen vorbeilaufen, doch Kari hielt ihn auf. „T.K.“, rief sie und er blieb überrascht stehen. „Kari, was machst du denn noch...“ Er sprach nicht weiter und sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich, als er erkannte, wer dort neben Kari stand. „Hey, kleiner Bruder“, begrüßte Matt ihn. T.K. schüttelte genervt den Kopf und wollte weitergehen, doch Matt stellte sich ihm in den Weg. „Jetzt hau nicht gleich wieder ab. Ich muss mit dir reden“, sagte er ungeduldig. „Kein Interesse“, murrte T.K. und wollte an ihm vorbeigehen, doch Matt hielt ihn an der Schulter fest. „Lass mich los.“ „Nein. Erst, wenn du mit mir geredet hast“, antwortete Matt ruhig. „T.K., du solltest ihm zuhören“, ergriff Kari nun das Wort und stellte sich neben Matt. „Misch dich nicht ein. Das geht dich wirklich nichts an“, erwiderte T.K. ungewohnt kühl an Kari gewandt, sodass sie ihn überrascht ansah. „Aber ihr seid doch Brüder“, redete sie weiter auf ihn ein. „Ihr müsst doch miteinander reden.“ „Es gibt nichts zu reden, klar?“, fauchte T.K., drängte sich an Matt vorbei und rempelte ihn dabei unsanft an. „Nein, jetzt warte doch!“, rief Kari und wollte ihm nachlaufen, aber Matt hielt sie auf. „Lass ihn“, seufzte er resigniert. „Ich glaube, das wird in diesem Leben nichts mehr.“ Er nahm die Sonnenbrille ab und starrte seinem jüngeren Bruder hinterher, der eiligen Schrittes davonlief. Kari drehte sich zu ihm um. „Hast du vielleicht kurz Zeit, einen Kaffee trinken zu gehen?“ Mit je einem Becher coffe-to-go in der Hand saßen Kari und Matt wenig später auf einer Bank am Meer. Matt hatte nicht in einem Café sitzen wollen, da er keine Lust darauf hatte, erkannt zu werden. Er wollte wenigstens einmal seine Ruhe haben, hatte er betont. Somit hatte Kari ihnen Kaffee besorgt und sie hatten beschlossen, sich ein ruhiges Plätzchen am Meer zu suchen. „Wo wohnst du eigentlich zur Zeit? Bei deinem Vater?“, fragte Kari neugierig. „Nein, ich habe seit letztem Jahr selbst eine Wohnung gemietet“, antwortete er belustigt. „Mein Vater, seine Freundin und ich, das würde nicht gut gehen.“ „Oh, okay“, antwortete Kari nickend. „Wie lang bleibst du jetzt noch hier?“ „Bis zur Hochzeit, denke ich. Eigentlich wollten wir im September durch die USA touren, doch das hat sich ja jetzt erledigt. Jetzt nehmen wir uns erst mal eine Auszeit und geben vielleicht ein paar spontane Konzerte hier in Japan“, antwortete Matt. „Verstehe“, meinte Kari. „Wie geht es dir denn so? Mit deinem Leben als Superstar, meine ich.“ Matt grinste belustigt. „Ich lebe in Saus und Braus, könnte man sagen. Es ist stressig, aber es macht Spaß. Wahrscheinlich sieht man in keinem anderen Beruf so viel von der Welt. Und das Geld stimmt natürlich auch.“ Kari seufzte und konnte nicht leugnen, dass sie ein wenig neidisch war. Matt musste sich nicht mit solch nervigen Problemen wie sie herumschlagen. „Hast du eigentlich eine Freundin?“ Diese Frage war ihr gerade durch den Kopf geschossen, als sie versuchte, sich vorzustellen, wie oft Matt wohl im Monat die Stadt wechselte. „Eine für jeden Wochentag“, antwortete er lachend. „Nur ein Scherz. Für sowas habe ich gar keine Zeit.“ „Hm“, machte Kari. „Dabei könntest du jede haben.“ „Nein, nicht jede“, antwortete Matt mit ein wenig Wehmut in der Stimme. Kari sah ihn fragend an, doch er winkte schnell ab. „Schon gut, vergiss es. Wolltest du eigentlich was Bestimmtes?“ „Oh ähm... ja“, stammelte sie, überrascht von dem plötzlichen Themenwechsel. „Ich wollte eigentlich nur wissen, was zwischen dir und T.K. passiert ist, dass er dich so... dass er nicht gern über dich spricht.“ „Das hast du sehr vornehm ausgedrückt“, meinte Matt sarkastisch. „Das ist eine etwas komplizierte Geschichte.“ „Du musst es mir natürlich nicht erzählen, wenn du nicht willst“, sagte Kari schnell. Sie wollte nicht so neugierig wirken und eigentlich ging es sie ja auch wirklich nichts an. Doch sie konnte sich einfach nicht vorstellen, was so furchtbar sein konnte, dass man seinen eigenen Bruder jahrelang ignorierte und nahezu verabscheute. Das musste doch irgendwie zu ändern sein. Matt tat ihr sehr Leid, denn sie wäre wirklich furchtbar traurig, wenn Tai und sie ein solches Problem hätten. „Vielleicht ist es ganz gut, wenn ich es dir erzähle. Du scheinst ja gut darin zu sein, dich mit T.K. zu versöhnen.“ Er warf ihr einen schiefen Blick von der Seite zu und nippte erneut an seinem Kaffee. Kari verdrehte die Augen. „Der Unterschied ist, dass er sich mit mir versöhnen wollte, mit dir aber nicht“, antwortete sie. „Ich habe dazu eigentlich nicht so viel beigetragen.“ „Egal. Ihr versteht euch wieder und alles andere interessiert doch sowieso keinen mehr“, meinte Matt schulterzuckend. „Ich weiß einfach nicht, wie ich zu ihm durchdringen kann. Ich habe das Gefühl, es kommt eh nichts bei ihm an, was ich ihm sage.“ „Um dir zu helfen, müsste ich erst mal wissen, was du angestellt hast“, antwortete Kari und sah Matt an. Er nickte und senkte den Blick. Es sah aus, als würde er sich bereit machen, Kari etwas Schlimmes zu gestehen. „Er hat sie geschlagen.“ Kari war für einen Moment verblüfft und ließ dir Worte von ihren Ohren in ihr Gehirn sickern. „Wer hat wen geschlagen?“ „Jean meine Mutter“, antwortete Matt düster. Entgeistert runzelte Kari die Stirn und sah ihn an, doch er mied ihren Blick und starrte aufs Meer hinaus, als gäbe es dort etwas Spannendes zu beobachten. „Das... ist furchtbar“, stammelte Kari, nicht wissend, was sie erwidern sollte. „Mhm“, machte Matt tonlos. „Erst war es nur einmal und angeblich tat es ihm total Leid. Deswegen ist sie bei ihm geblieben. Aber dann passierte es noch mal. Und dann noch mal. Und dann immer wieder.“ Karis Augen hatten sich vor Entsetzen geweitet. Mit so etwas hatte sie nicht gerechnet. T.K.s und Matts Mutter war also mehrmals von ihrem Freund geschlagen worden. Das war wirklich schrecklich. Ob Yuuko wohl davon wusste? „Das ist echt schlimm“, murmelte sie. „Wem sagst du das?“, knirschte Matt. „Sie wollte ihn verlassen, aber dann hat er ihr gedroht. Dass er ihren Ruf zerstören würde. Dass er ihr das Leben zur Hölle machen würde. Dass er ihr und T.K. was antun würde.“ „Was?“, stieß Kari hervor und schnappte nach Luft. Voller Entsetzen schlug sie sich die Hand vor den Mund und starrte Matt fassungslos an. „Oh mein Gott!“ „Dann hat sie natürlich Angst bekommen und ist eines Nachts, als er nicht da war, einfach mit T.K. abgehauen. Hat den nächsten Flieger nach Japan genommen“, beendete Matt seine Erzählung. „Und den Rest kennst du. Das war jetzt die Kurzfassung der Geschichte.“ Kari nickte langsam und brauchte eine Weile, bevor sie ihre Sprache wiederfand. „Ich glaube, ich hätte immer noch Angst, dass er mich hier finden könnte.“ „Hat sie ja auch. Aber das ist nahezu unmöglich. In Tokio leben so viele Menschen und es ist so weit weg von Paris. Ich glaube nicht, dass es ihm das wert ist“, meinte Matt. Wieder nickte Kari. Sie versuchte in den nächsten Minuten, in denen keiner von ihnen etwas sagte, sich von dem zu erholen, was sie gerade erfahren hatte. Mit so einer düsteren Geschichte hatte sie nie im Leben gerechnet. Sie hatte gedacht, die Beziehung zwischen Natsuko und Jean war eben einfach gescheitert und Natsuko hatte Sehnsucht nach Japan bekommen. „Das ist alles sehr schrecklich und schlimm, aber...“, fing sie an, „ich verstehe trotzdem nicht, warum ihr zerstritten seid. Eigentlich müsstet ihr doch gerade jetzt zusammenhalten.“ Matt schnaubte leise. „Eigentlich schon. T.K. hat mir irgendwann erzählt, was los ist, obwohl meine Mutter das nicht wollte. Ich weiß nicht, was er sich von mir erhofft hatte, aber irgendwie glaubte er, ich könnte ihm helfen. Er wollte, dass ich etwas unternehme. Nach Frankreich komme. Keine Ahnung.“ Er hob einen kleinen Stein auf und feuerte ihn ins Wasser. „Aber das hast du nicht?“, hakte Kari nach, als er nicht weitersprach. „Nein“, antwortete Matt leise. „Zu der Zeit hat unsere Karriere mit der Band gerade angefangen. Wir hatten viele Konzerte, waren nur unterwegs, wurden in viele Fernsehshows eingeladen, Zeitschriften wollten uns interviewen. Das wollte ich alles nicht absagen, weil ich wusste, dass es meine Zukunft war. Ich war da einfach so mittendrin, dass ich keinen Kopf für irgendetwas anderes hatte. Nicht einmal für meine eigene Familie.“ Kari erinnerte sich, dass T.K. ihr gesagt hatte, Matt wäre nicht da gewesen, als er ihn dringend gebraucht hatte. Das hatte er also damit gemeint. T.K. und seine Mutter hatten in Schwierigkeiten gesteckt und Matt hatte nur Augen für seine Karriere gehabt. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sie hatte keine Ahnung, was sie an Matts Stelle unternommen hätte. „Ich hasse mich dafür, dass ich nicht irgendetwas unternommen habe. T.K. war noch nicht mal sechzehn, als er mich um Hilfe gebeten hat. Er war da ganz allein mit meiner Mutter, die geschlagen wurde und wusste nicht, was er tun sollte.“ Er fasste sich an die Stirn und schüttelte den Kopf, als würde er versuchen, diesen unangenehmen Gedanken auf diese Weise loszuwerden. „Das ist wirklich eine sehr verzwickte Situation“, stimmte Kari zu. „Aber ich finde, er sollte mit dir darüber reden. Hattet ihr denn gar keinen Kontakt mehr, nachdem du ihm nicht geholfen hast?“ Matt zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihm nur geschrieben, ich könnte jetzt nicht nach Frankreich kommen und er sollte doch die Polizei informieren oder Papa anrufen oder keine Ahnung. Als ich ihn ein paar Tage später gefragt habe, wie es läuft und was nun ist, hat er nicht mehr geantwortet. Und irgendwann habe ich dann mitgekriegt, dass er stinksauer auf mich ist. Er hat auf nichts reagiert. Weder auf Anrufe, noch auf Mails, noch auf Briefe. Meine Mutter hat auch mehrmals versucht, zwischen uns zu vermitteln, aber T.K. hat immer abgeblockt.“ Er verzog das Gesicht. „Ich dachte, jetzt, wo sie wieder hier sind, komme ich mal dazu, mit ihm zu reden, weil ich ihm dann persönlich gegenübertreten kann, aber da habe ich mich wohl geschnitten.“ „Das tut mir alles so Leid“, murmelte Kari betroffen. „Du kannst doch nichts dafür“, erwiderte Matt abwinkend. „Ich werde es einfach weiter versuchen. Er kann mich doch nicht für den Rest seines Lebens ignorieren. Immerhin sind wir verwandt.“ „Ich werde auch mit ihm reden. Jetzt, wo ich weiß, was los ist, kann ich euch ja viel besser verstehen. Vielleicht schaffe ich es ja, zu ihm durchzudringen“, sagte Kari motiviert. Sie glaubte, dass T.K. trotz allem noch immer ziemlich viel von ihr hielt, sonst wäre er nicht so erpicht darauf gewesen, sich wieder mit ihr anzufreunden. Nun hatte sie ein schlechtes Gewissen, dass auch sie ihn nicht hatte unterstützen können in dieser schwierigen Sache. Sicher hatte er auch sie gebraucht. Immerhin hatte er sie trotz fünf Jahren ohne jeden Kontakt nicht aufgegeben. Und was hatte sie gemacht? Ihn ignoriert, nur weil sie verletzt gewesen war. Das musste jetzt aufhören. In diesem Moment beschloss sie, nicht länger nachtragend zu sein und T.K. endlich zu verzeihen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)