Fünf Jahre von Juju ((K)eine Freundschaft für immer) ================================================================================ Kapitel 68: Eingeständnis ------------------------- Am nächsten Morgen wurde Kari vom Duft nach Gebäck wach, der sich in T.K.s Zimmer ausgebreitet hatte und sich in ihrer Nase festsetzte. Sie schlug in dem Moment die Augen auf, als T.K. mit einem Tablett in den Händen ins Zimmer trat. „Morgen“, begrüßte er sie und lächelte leicht. Er war in Jogginghose und T-Shirt gekleidet, während Kari noch komplett nackt unter der Decke lag. Vorsichtig transportierte er das voll beladene Tablett zu seinem Nachttisch, wo er es abstellte, bevor er zu Kari unter die Decke schlüpfte und sie aufs Haar küsste. „Hast du gut geschlafen?“ „Geht so“, gab Kari zu. „Gibst du mir mal bitte meine Unterwäsche?“ Er musterte sie einen Augenblick lang, bevor der Hauch eines frechen Grinsens seine Lippen umspielte. „Wenn ich es mir recht überlege, nein.“ „Aber du bist auch angezogen. Das ist nicht fair“, beschwerte sie sich. „Ich war ja auch schon draußen und habe unser Frühstück besorgt“, erwiderte er schulterzuckend. „Was? Seit wann bist du denn wach?“, fragte sie irritiert. „Seit zwei Stunden oder so.“ „Zwei Stunden? Wie spät ist es denn?“ Er warf einen Blick auf den Wecker auf seinem Nachttisch. „Halb zwölf.“ „Halb zwölf?!“ Erschrocken fuhr Kari hoch und starrte ihn an. „Ah, ich muss nach Hause. Ich habe noch so viele Hausaufgaben zu machen und eigentlich wollte ich nach dem Frühstück gehen und Tai wollte ich auch noch anrufen und ich habe meinen Eltern gesagt, dass ich spätestens um zehn zu Hause bin und...“ „Hey.“ T.K. legte eine Hand auf ihren Oberschenkel, um sie zu unterbrechen. „Komm' wieder runter. Es ist Sonntag. Es ist gerade mal halb zwölf und hier wartet eine Ladung Zimtschnecken darauf, von dir gegessen zu werden. Deine Eltern haben bestimmt nichts dagegen, wenn du ein bisschen später kommst.“ „Ein bisschen später? Ich bin jetzt schon eineinhalb Stunden zu spät“, protestierte Kari, beugte sich über T.K. hinweg und hob ihren BH und ihren Slip vom Boden auf, um sie so schnell wie möglich anzuziehen. „Selbst, wenn ich in zehn Minuten hier losgehe, komme ich zwei Stunden zu spät. Zwei Stunden! Da kann man nicht einmal mehr von verschlafen reden. Nicht um die Uhrzeit. Und außerdem...“ T.K. hatte sie an sich gezogen und sie mit einem Kuss zum Schweigen gebracht. Es war ein süßer Kuss, voller Liebe und Zärtlichkeit, der ihr ein Gefühl von Geborgenheit vermittelte. T.K. schmeckte nach Zahnpasta und nun, da sie ihm so nahe war, konnte sie einen deutlichen Geruch nach Zimtschnecken auf seiner Haut ausmachen. „Du bist total manipulativ, weißt du das?“, murmelte sie, nachdem sie sich voneinander gelöst hatten. „Ich will einfach nur noch fünf Minuten mit dir frühstücken. Dann kannst du sofort verschwinden, wenn du willst“, antwortete er leise und sah ihr in die Augen. Kari verlor sich in seinem Blick. Sie befanden sich hier bei ihm zu Hause in seinem Bett, schon seit gestern Abend. Zum ersten Mal seit über einem Monat hatten sie wieder miteinander geschlafen, richtig miteinander geredet, Zeit miteinander verbracht und sich beide wohl gefühlt. Das letzte gemeinsame Frühstück war ebenfalls eine Ewigkeit her. Und außerdem schien T.K. sich tatsächlich ein wenig besser zu fühlen. Zumindest redete er mehr und sein leichtes Lächeln erreichte wieder seine Augen, wenn er sie ansah. Sie beschloss, diesen Moment noch so lange zu genießen, wie es nur möglich war, bevor sie in die Realität zurück und sich den Nachwirkungen von Matts Tod stellen musste. „Na gut. Fünf Minuten.“   T.K. hatte nicht nur Zimtschnecken aufgetischt, sondern auch noch Kekse, Schokolade, selbstgemacht Crêpes mit Marmelade, Obst und heißen Kakao. Eine halbe Stunde später lagen sie beide völlig übersättigt in seinem Bett, unfähig, sich auch nur einen Millimeter zu rühren. „Ich glaube, wegen dir habe ich jetzt auf einen Schlag fünf Kilo zugenommen“, warf Kari ihm vor und tastete mit einer Hand ihren Bauch ab, der sich ganz aufgebläht anfühlte. „Ich dachte, wir könnten vielleicht beide ein bisschen Zucker gebrauchen“, erwiderte T.K. schulterzuckend, aber ohne sie anzusehen. „Außerdem musst du ja sicher bald so sehr auf deine Ernährung achten, dass in deinem Plan für solche Sachen kein Platz mehr ist. Da dachte ich, du solltest das noch mal genießen.“ Kari drehte den Kopf zur Seite und sah ihn an. Er hatte es angesprochen, das Thema, das sie beide bisher geschickt unter den Teppich gekehrt hatten, und das nicht nur, weil momentan Matts Tod im Vordergrund stand. T.K.s Finger spielten mit der Bettdecke, kratzten an einem unsichtbaren Fleck herum. Sein Blick war starr auf seine Finger gerichtet, als bräuchte er seine ganze Konzentration für die nicht notwendige Reinigung der Bettdecke. „Das ist lieb von dir“, sagte Kari und lächelte leicht. Dann schwiegen sie beide für einen Moment. Keiner wusste, wie es weitergehen sollte, wo sie anfangen sollten. Zu komplex war das Thema Zukunft, obwohl sie direkt vor der Tür stand. Sie hatten nur noch einen Monat Schule, danach würde in Japan für die meisten ihrer Mitschüler schon das Studium beginnen. Viele waren schon dabei, sich die erste eigene Wohnung zu suchen, hatten sich an Unis eingeschrieben und redeten über den kommenden Unialltag. Alle schienen sie voller Vorfreude und Spannung auf den neuen Lebensabschnitt. Kari jedoch blickte der Zukunft zur Zeit äußerst verunsichert entgegen. „Hör' mal. Ich weiß nicht, ob du darüber reden möchtest, aber ich dachte... also vielleicht ginge es ja... New York ist ziemlich groß. Da kann man alles Mögliche studieren und machen. Bestimmt würdest du da auch einen Studiengang finden, der dich interessiert. Vielleicht sind die Unis da ja sogar besser geeignet als hier. Und Mimi schwärmt immer so von New York, dass ich glaube, es ist eine echt tolle Stadt, wo ich... wo wir gut leben könnten“, stammelte Kari. Ihr Herz flatterte und ihre Hände zitterten, hatte sie doch endlich das ausgesprochen, was sie sich schon seit Monaten insgeheim dachte. T.K. jedoch seufzte leise und Kari fürchtete sich vor seiner Antwort. „Kari, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Ich hatte eigentlich vorgehabt, mit dir mitzukommen. Du hast Recht, New York ist sicher super und ich könnte da Journalismus studieren. Aber“, er machte eine kurze Pause, „ich kann meine Mutter hier einfach nicht allein lassen. Nicht nach allem, was passiert ist.“ Seine Worte sickerten in ihren Verstand und Hoffnung wurde von Enttäuschung abgelöst. Natürlich konnte sie ihn verstehen. Sie hätte wahrscheinlich an seiner Stelle genauso gehandelt. Natsuko hatte erst vor kurzem einen Sohn für immer verloren. Wie würde es ihr erst gehen, wenn nun auch ihr zweiter Sohn sich so weit von ihr entfernte, dass sie sich nur noch ein oder zwei Mal im Jahr sehen würden? „Schon okay“, antwortete Kari, bemüht um einen lockeren Tonfall. „Das verstehe ich gut. Ich denke, es ist wirklich besser, wenn du hier bei ihr bleibst.“ Er nahm ihre Hand und verschränkte ihre Finger ineinander. Ihre Blicke begegneten sich. „Tut mir Leid.“ „Das muss dir nicht Leid tun. Ich habe doch gesagt, dass ich dich verstehen kann. Du kannst deine Mutter wirklich nicht allein lassen“, erwiderte Kari kopfschüttelnd. „Vielleicht sollte ich das Stipendium einfach nicht annehmen und hier bleiben. Wer weiß, ob ich für immer...“ „Nein!“, unterbrach er sie heftig, sodass sie zusammenzuckte. „Das ist eine riesige Chance für dich. Das ist genau das, was du wolltest. Dein Traum. Das darfst du auf keinen Fall aufgeben, schon gar nicht wegen mir.“ Mit großen Augen sah sie ihn an und wusste nicht, was sie erwidern sollte. Ja, es war eine Zeit lang ihr Traum gewesen, das stimmte. Sie hatte dafür gekämpft und es hatte sich gelohnt, die Juilliard wollte sie als Studentin aufnehmen. Doch dieser Traum hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt und ihr Denken vereinnahmt, bevor sie sich in T.K. verliebt hatte. „Kari, weißt du, wie viele Menschen so eine Chance in ihrem Leben bekommen?“, sagte er nun ruhiger. „Du musst nach New York. Du wirst da hin ziehen, neue Leute kennen lernen, in einer neuen Stadt leben, ein neues Leben führen. Du wirst so unglaublich viel erleben, dass du dich keine Minute lang nach Japan zurücksehnst. Du wirst gar keine Zeit dazu haben, weil so viel passieren wird. Und danach wartet eine riesige Karriere auf dich. Du kannst auf den größten Bühnen neben den besten Tänzern der Welt auftreten. Du kannst durch die Gegend reisen, wirst so viel sehen und so viel erleben. Das wird so cool.“ „Und wo bist du in diesem neuen Leben?“, platzte Kari heraus. Aus seinem Blick wich die Euphorie und machte Ernüchterung Platz. Er atmete hörbar aus und lehnte den Kopf gegen die Wand hinter sich. „Man sollte sein ganzes Leben nicht nach einem Menschen richten. Das kann ziemlich... unschön ausgehen.“ Nachdenklich kaute Kari auf ihrer Unterlippe herum. T.K. hatte erlebt, was passieren konnte, wenn jemand sein ganzes Leben für einen Menschen änderte. Seine eigene Mutter war wegen eines Mannes nach Frankreich gezogen und erlebte jetzt die Hölle auf Erden. Ob sie ihre Entscheidung von vor fünf Jahren wohl bereute? Wahrscheinlich schon. Und vermutlich hatte T.K. Recht und Kari sollte ihre Berufsvorstellungen nicht seinetwegen über den Haufen werfen. Aber ein Leben ohne ihn konnte sie sich so gar nicht mehr vorstellen. „Aber... wenn ich in New York bin und du in Tokio... was wird dann aus uns?“, fragte sie langsam. „New York ist so weit weg. Wir könnten uns nur alle paar Monate sehen. Und es bleibt ja nicht bei vier Jahren New York, sondern geht danach mit Reisen weiter.“ Sein Blick wanderte zu einem unbestimmten Punkt irgendwo in seinem Zimmer. „Ich schätze, wir müssen die Zeit, die wir noch haben, eben genießen. Ist ja immerhin noch ein halbes Jahr.“ Resigniert biss Kari sich auf die Unterlippe. Sie hatte gehofft, er würde vielleicht auf eine Fernbeziehung plädieren und ihr versichern, dass sie das auf jeden Fall schaffen würden. Gern hätte sie von ihm gehört, dass nichts und niemand sie jemals trennen konnte, auch wenn sie wusste, dass das nicht nur extrem schwierig, sondern schlichtweg unrealistisch war. Es wäre praktisch eine Fernbeziehung für die nächsten zehn Jahre oder mehr. Zehn Jahre, in denen sie sich nur zu ganz besonderen Anlässen sehen konnten. Nein, das wäre sinnlos und unvernünftig. Auf diese Weise würde keiner von ihnen glücklich werden. Sie kuschelte sich an ihn und lehnte den Kopf gegen seine Schulter. Wie sollte sie nur die nächsten sechs Monate genießen, wenn sie doch wusste, dass ihre gemeinsame Zeit abgelaufen war, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)