Fünf Jahre von Juju ((K)eine Freundschaft für immer) ================================================================================ Kapitel 6: Komplimente ---------------------- In den folgenden zwei Wochen ignorierte Kari T.K. konsequent und er tat es ihr gleich. In den Pausen saß sie mit Davis und Ken zusammen, manchmal auch mit Nana. T.K. hatte sich mit ein paar Jungen aus dem Basketballteam angefreundet und auch mit den Jungen aus ihrer Klasse kam er gut klar. Sie mochten ihn alle aus irgendeinem Grund. Und was Kari besonders aufgefallen war, war Aya, die T.K. ständig hinterherrannte. Aber Kari war das egal. Sollte er doch mit dieser Tussi glücklich werden. Schwierig war es im Unterricht, vor allem in Phasen der Partnerarbeit. Dann konnten sie sich schließlich nicht einfach ignorieren, sondern waren gezwungen, zusammenzuarbeiten, da sie nebeneinander saßen. Dann jedoch sah Kari T.K. nicht einen Augenblick lang an und beschränkte ihr Gespräch auf das Allernötigste. Davis und Ken hatten zum Glück damit aufgehört, sie auf ihn anzusprechen. Sie hatte ihnen nicht erzählt, was an jenem Abend vorgefallen war, doch selbst Davis musste gemerkt haben, dass etwas passiert war. Nur Tai hatte sie davon berichtet, doch der hatte zur Zeit mit eigenen Problemen zu kämpfen. Mimi war nämlich immer noch sauer, dass er sie nicht heiraten wollte. „Mensch, Kari, jetzt lass das an. Du siehst gut aus“, sagte Nana genervt, die auf Karis Bett hockte und ihr dabei zusah, wie sie sich ständig umzog. Aber Kari war irgendwie nicht zufrieden mit ihrem Outfit für die Party am heutigen Abend. „Ich weiß nicht“, murmelte sie und drehte sich vor dem Spiegel hin und her, um sich von allen Seiten begutachten zu können. Sie trug gerade ein kurzes gemustertes Kleid mit Ärmeln und einer dunklen Strumpfhose. Aber irgendetwas fehlte ihr noch. Nana seufzte und erhob sich. Sie kramte in Karis Kleiderschrank herum, obwohl die Hälfte der Klamotten schon auf dem Teppichboden verstreut lag, zog eine Strickjacke heraus und drückte sie Kari in die Hand. „Zieh die noch drüber“, befahl sie. Dann kramte sie in ihrer eigenen Handtasche herum und holte ein paar Armbänder heraus, die sie Kari über die Hand streifte. „So.“ Kari warf erneut einen prüfenden Blick in den Spiegel. Ja, jetzt sah sie schon besser aus, fand sie. „Und was mache ich mit meinen Haaren?“, fragte sie und drehte sich zu Nana um. Diese kniff die Augen zusammen und musterte sie einen Augenblick lang. „Lass sie doch offen, so wie immer“, antwortete sie dann schulterzuckend. „Ich finde, das steht dir am besten.“ Kari betrachtete ihre Haare im Spiegel. Sie hatte sie in den letzten Jahren ein wenig wachsen lassen, sodass sie ihr jetzt über die Schulter fielen und die Leute ihr noch öfter sagten, wie ähnlich sie doch ihrer Mutter sah. „Na gut, dann lasse ich sie eben offen.“ „Und jetzt lass uns gehen. Alle anderen sind bestimmt schon da“, sagte Nana und lief zur Tür. „Jaja“, murrte Kari und ging ihr hinterher. Sie durchquerten den Wohnraum, wobei sie an Karis Eltern vorbeiliefen. Yuuko sprang auf und folgte ihnen zur Wohnungstür. „Passt auf euch auf“, sagte sie und machte wie immer ein besorgtes Gesicht. „Und geh nicht allein nach Hause, hörst du?“ „Ja“, antwortete Kari gedehnt. Mittlerweile konnte sie diese Rede schon fast mitsprechen. Ihre Eltern machten sich einfach immer viel zu viele Sorgen. „Du kannst mich auch anrufen und dann hole ich dich ab“, rief Susumu vom Sofa aus. „Papa, ich rufe dich bestimmt nicht an, nur damit du mich abholst“, entgegnete Kari kopfschüttelnd. Zu schlecht wäre ihr Gewissen, dass sie ihn aus dem Schlaf gerissen hatte, wo er doch immer so viel arbeitete und Geld für die Familie heranschaffte. „Das ist immer noch besser, als allein nach Hause zu gehen“, erwiderte Yuuko streng. „Macht euch doch nicht so viele Gedanken. Bisher bin ich doch immer heil nach Hause gekommen“, sagte Kari abwinkend. Dass sie meistens doch allein gefahren war, ließ sie allerdings unerwähnt. „Hast ja Recht“, meinte Yuuko resigniert. „Dann bis morgen. Und viel Spaß euch.“ Kari und Nana verließen die Wohnung der Yagamis und Kari seufzte. „Anstrengend.“ Nana kicherte. „Besser, als wenn sie sich nicht um dich scheren würden.“ „Da hast du allerdings Recht.“ Nur wenige U-Bahn-Stationen mussten sie fahren, bis sie an ihrem Ziel ankamen. Sie waren in einer Villengegend gelandet, der man schon beim Verlassen der U-Bahn-Station ansah, dass die Bewohner mindestens das Zehnfache von Karis Vater verdienten. Viele Häuser hier hatten ausschweifende Gärten mit hübschen Blumenbeeten und einem Blick aufs Meer. Die Straße war gepflastert und von Ahornbäumen gesäumt. Kein Mensch war unterwegs, doch in den Fenstern brannten Lichter, die verrieten, dass sich die Bewohner in ihren Häusern aufhielten. Zu einem dieser Häuser waren Kari und Nana gerade unterwegs. „Es muss hier irgendwo sein“, murmelte Nana und sah sich um. „Unglaublich, dass Masami noch nie zuvor eine Party gegeben hat, wo sie doch in so einer Hütte lebt“, meinte Kari, die sich die ganze Zeit staunend umsah. „Was glaubst du wohl, warum das so ist?“ Nana sah sie fragend an. „Ihre Eltern erlauben es ihr nicht. Aber sie sind gerade im Urlaub und deswegen schmeißt sie heimlich eine Party.“ „Darauf hätte ich auch selbst kommen können“, sagte Kari grinsend und kratzte sich am Kopf. „Schon gut. Dafür hast du ja mich“, erwiderte Nana und tätschelte ihr die Schulter. „Ah, guck mal, das ist die Straße.“ Sie deutete auf ein Schild. „Dann müssen wir jetzt nur noch die Nummer Fünf suchen“, stellte Kari fest. Nach ein paar weiteren Gehminuten hatten sie das richtige Haus gefunden. Die Musik, die zu ihnen nach draußen dröhnte, versicherte ihnen, dass es sich um das richtige Haus handeln musste. Sie passierten die Zauntür, gingen über den Weg zur Haustür und fanden einen Zettel vor, der sie aufforderte, nach hinten auf die Terrasse zu kommen. Kari und Nana sahen sich kurz an und folgten dann einem Weg hinter das Haus, wo der Lärm allmählich anschwoll. Kari wunderte sich, dass sich noch kein Nachbar über die Musik beschwert hatte. Die ersten beiden Personen, die Kari erblickte, ließen sie sich so unbehaglich fühlen, dass sie am liebsten sofort wieder gehen wollte. Auf einer Bank saßen Aya und T.K. mit Drinks in der Hand und unterhielten sich. Sie warfen Kari und Nana nur einen kurzen Blick zu, bevor sie sich wieder ihrem Gespräch widmeten. Kari zog die Augenbrauen hoch und wandte sich ab. Der Anblick des restlichen Gartens erschien ihr wesentlich angenehmer. Überall waren Laternen aufgehängt worden, sodass ein gemütliches Licht den gesamten Garten erhellte. Es gab sogar einen Pool, doch die Nächte waren noch zu kalt und die Gäste noch nicht betrunken genug, weshalb niemand badete. Die Partygäste befanden sich drinnen und draußen. Von innen dröhnte die Musik auf die Terrasse, damit auch die Freigänger etwas davon hatten. Kari schätzte die bisher anwesenden Personen auf irgendwas zwischen dreißig und vierzig Leuten, wobei aus ihrem und aus Masamis Jahrgang ungefähr gleich viele Leute anwesend waren. „Los, gehen wir erst mal Masami suchen“, beschloss Nana und ging voraus. Im Vorbeigehen grüßten sie die anderen Partygäste mehr oder weniger flüchtig und traten in das geräumige Wohnzimmer von Masamis Familie. Sie kam gerade mit zwei Flaschen in den Händen durch das Zimmer gelaufen und blieb bei Nana und Kari stehen. „Hallo“, begrüßte sie sie fröhlich. „Ich dachte schon, ihr kommt nicht mehr.“ „Kari ist nicht aus dem Knick gekommen“, erklärte Nana grinsend und Kari verdrehte die Augen. Masami kicherte nur. „Die Getränke sind alle draußen. In der Küche findet ihr noch was zu essen, wenn ihr Hunger habt“, sagte Masami und ging weiter. „Oh, ich habe Hunger“, stellte Nana fest und eilte aus dem Wohnzimmer. „Das ist ja wieder typisch“, sagte Kari und lief ihr hinterher. Es war leicht, die Küche zu finden, obwohl das Haus so groß war, doch es war der einzige Raum neben dem Wohnzimmer, in dem noch Licht brannte. Die Küche war riesig und modern. Auf einer Kochinsel in der Mitte des Raumes waren einige Snacks ausgebreitet. Der Boden war bereits voller Krümel und Masami tat Kari Leid, da sie das alles wieder sauber machen musste. „Lecker“, kommentierte Nana die Snackauswahl und schaufelte sich ein paar der Snacks auf die Hand. „Willst du gar nichts essen?“ Sie drehte sich zu Kari um, die in der Tür stehen geblieben war und den Raum betrachtete. „Nein, ich hab' doch vorhin noch was gegessen“, antwortete Kari. „Das ist doch kein Grund“, kicherte Nana und stopfte sich einen ihrer Snacks in den Mund. „Wollen wir wieder raus gehen und gucken, wer noch so da ist?“ „Na, ich bin bestimmt nicht hergekommen, um hier in der Küche mit dir zu essen“, neckte Kari sie. So verließen sie die Küche wieder und gesellten sich zu den anderen Gästen auf die Terrasse. „Hey Kari, du bist auch hier?“ Kari zuckte zusammen und drehte sich zu Ken um, der sie anlächelte. „Ja. Ich wusste nicht, dass du auch kommst“, sagte sie und musterte ihn. Er sah gut aus, aber das tat er ja immer. Er trug einen hellen Pulli und eine dunkle Jeans. „Tja, ich war auch etwas überrascht, dass Masami mich eingeladen hat“, sagte er und sah sich um, als befürchtete er, Masami könnte sie belauschen. „So?“ Kari warf Nana einen vielsagenden Blick zu. Sie beide hatten schon einmal den Verdacht gehegt, dass Masami in Ken verknallt war. Ken zuckte nur mit den Schultern und nippte an seinem Drink. „Wollt ihr auch was?“, fragte er und hielt seinen Becher in die Höhe. „Ja“, sagten Kari und Nana wie aus einem Munde. „Das gleiche wie du“, fügte Nana hinzu. Ken drückte Kari seinen Becher in die Hand und ging hinüber zu den Tischen, auf denen Getränke und Plastikbecher standen. „Wie aufmerksam von ihm“, fand Nana, die ihm hinterhersah. „So ist Ken eben“, antwortete Kari. „Nach wenigen Augenblicken kam Ken zurück und gab Kari und Nana ihre Drinks. „Ich gehe mal eben zu Kayoko“, verkündete Nana und verschwand zu einer Gruppe Mädchen. Kari probierte den Drink, den Ken ihr gebracht hatte, und stellte fest, dass er eine gute Mädchenmischung hinbekommen hatte. Süß und nicht zu sehr nach Alkohol schmeckend, wie Kari es am liebsten mochte. „Du siehst übrigens sehr hübsch aus. Willst du jemanden verführen?“, fragte Ken und lächelte amüsiert. „Nein“, erwiderte Kari schnell und bekam heiße Wangen. „Ich sehe doch aus wie immer.“ „Also ich glaube, das Kleid kenne ich noch nicht an dir“, stellte Ken fest und musterte ihr Outfit eingehend. „Das hatte ich noch nicht oft an“, stammelte Kari und zupfte mit der freien Hand am Saum ihres Kleides herum. Mit Komplimenten konnte sie nicht allzu gut umgehen. Sie wurde dann nur immer verlegen und wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Meist war es ihr lieber, die Leute dachten sich ihren Teil nur. „Du siehst übrigens auch gut aus.“ „Ken, kommst du mal kurz?“, rief ein Junge aus dem Fußballverein, dessen Name Kari gerade nicht einfiel, und winkte Ken zu sich heran. Dieser warf Kari einen entschuldigenden Blick zu, bevor er sie stehen ließ und zu dem Jungen ging. Kari stellte sich unterdessen an die Hauswand, lehnte sich dagegen und betrachtete das Spektakel in Masamis Garten. In einer dunklen Ecke konnte ein Pärchen gerade nicht die Finger voneinander lassen. Beim näheren Hinsehen erkannte Kari die beiden. Sie waren aus der Parallelklasse und flirteten seit einigen Wochen miteinander. Offenbar hatte nun einer der beiden unter Alkoholeinfluss endlich genug Mut besessen, die Initiative zu ergreifen. Eine Weile beobachtete Kari die beiden verstohlen und gedankenverloren, bis sie plötzlich mehr spürte als sah, dass sie jemand ansah. Sie wandte den Kopf und ihr Blick fand T.K., der sie anscheinend beobachtet hatte, sich nun aber schnell wieder Aya zuwandte, da Kari ihn erwischt hatte. Unwillkürlich wurde Kari von Wehmut ergriffen. T.K. und Aya, wie sie da auf ihrer Bank saßen, sich unterhielten und lachten, als wären sie eng miteinander befreundet. Vermutlich war ihre Bindung jetzt schon wesentlich enger als die zwischen ihm und Kari. Aber das spielte keine Rolle. Es war vorbei. Sie und T.K. hatten sich nichts mehr zu sagen. „Warum so traurig?“ Kari zuckte zusammen und drehte den Kopf in die Richtung, aus der die Frage gekommen war. Neben ihr stand Shinji, ein Junge aus ihrer Klasse, der auch im Basketballteam war und mit dem sie eigentlich nicht viel zu tun hatte. „Nicht traurig, nur nachdenklich“, antwortete sie ausweichend und nippte an ihrem Getränk. „Und worüber denkst du nach?“, fragte er neugierig und lehnte sich nun ebenfalls an die Hauswand. „Über dieses und jenes“, murmelte Kari. „Du willst also nicht mit mir reden“, stellte er fest und zog die Augenbrauen hoch. Kari presste die Lippen aufeinander und wusste nicht, was sie sagen sollte, da sie diese Feststellung überrascht hatte. „Gut siehst du aus“, redete Shinji weiter. „Danke“, murmelte Kari. Schon wieder ein Kompliment. „Du bist eben erst gekommen, oder? Hab' dich vorhin noch gar nicht gesehen“, sagte er. „Mhm“, machte Kari und nippte erneut an ihrem Getränk, nur um nicht so viel sagen zu müssen. Wenn das so weiterging, war sie in einer Stunde betrunken. „Weißt du eigentlich, dass ich euch echt gern beim Tanzen zusehe? Du bewegst dich wirklich toll“, meinte er. Kari runzelte die Stirn. Was sollte das nun wieder werden? Wollte er mit ihr flirten? Sie setzte gerade zu einer Antwort an, als ihr Handy klingelte. „Entschuldige“, sagte sie rasch, entfernte sich ein paar Schritte von ihm und kramte ihr Handy aus der Handtasche hervor. „Hallo?“ „Hey, Schwesterchen“, meldete sich die Stimme ihres Bruders. „Hi. Du kommst wie gerufen“, antwortete Kari. „Wieso das denn? Brauchst du mal wieder meinen wertvollen Rat?“ Kari kicherte. „Nein, ich wurde nur gerade vollgequatscht.“ „Okay? Von wem denn?“ „Ach, so ein Typ aus meiner Klasse. Was gibt’s denn?“ „Aus deiner Klasse? Wo bist du denn gerade? Ist ja so laut im Hintergrund.“ „Bin auf Masamis Party. Ken ist auch da. Masami wohnt in einer Villa, das glaubst du nicht. Riesengroß. Und einen Pool haben sie im Garten.“ „Wow. Sag ihr, das nächste Mal will ich auch eingeladen werden.“ „Mach ich. Aber weswegen rufst du denn nun an?“ „Ach, nichts Wichtiges. Ich wollte dir nur verkünden, dass Mimi in wenigen Monaten offiziell deine Schwägerin ist.“ „WAS?“, platzte Kari heraus und machte große Augen, was Tai natürlich nicht sehen konnte. Im ersten Moment glaubte sie, sich verhört zu haben. „Echt? Das ist ja... oh, Tai! Herzlichen Glückwunsch!“ „Danke“, sagte Tai und sie konnte das Grinsen aus seiner Stimme heraushören. „Das ist echt toll. Ich freue mich für euch. Wie kam es jetzt dazu? Erzähl.“ „Ich habe ihr einen Rückantrag gemacht“, erzählte Tai. „Das Wort hast du doch gerade eben erfunden.“ „Kann sein. Jedenfalls war sie ziemlich enttäuscht darüber, dass ich nicht ja gesagt habe. Nun ja, gestern Abend habe ich ihr einen neuen Antrag gemacht.“ „Heißt das jetzt, du heiratest sie, um dich wieder mit ihr zu versöhnen?“ Kari runzelte ungläubig die Stirn. Tai lachte. „So könnte man es ausdrücken. Nein, ich heirate sie, weil ich sie liebe. Bestimmt hätte ich sie in zwei oder drei Jahren sowieso gefragt. Immerhin sind wir jetzt schon vier Jahre zusammen.“ Kari grinste. „Ich hoffe, ich bekomme bald eine Einladungskarte.“ „Ja, die bekommst du. Mimi ist seit gestern Abend am Planen. Demnächst will sie mit Sora ein Kleid kaufen gehen.“ „Oh, wie schön“, seufzte Kari träumerisch. „Naja... wie man's nimmt“, meinte Tai. „Hast du es unseren Eltern schon gesagt?“, fragte Kari. „Nein. Du solltest die Erste sein, die es erfährt“, antwortete Tai und Kari fühlte sich geschmeichelt. Mit diesem Kompliment konnte sie umgehen. „Ich bin gespannt, was sie sagen werden“, sagte sie. „Ich erst. Ich werde jetzt wieder auflegen, will dich nicht auf deiner Party stören. Grüß alle, die ich kenne. Und tu nichts, was ich nicht auch tun würde.“ „Also eigentlich hatte ich nicht vor, mich heute besinnungslos zu trinken“, scherzte Kari. „Wenn du so weiter machst, kriegst du keine Einladung, Fräulein“, drohte Tai. „Mach's gut, du Spinner.“ „Du auch, Schwesterherz.“ Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen steckte Kari ihr Handy zurück in die Tasche. Ihr Bruder heiratete! Nach all dem Auf und Ab, das seine Beziehung in den letzten vier Jahren überstehen musste, waren sie so weit, sich das Ja-Wort zu geben. Sie freute sich so sehr für ihn, dass sie ihren Frust über T.K. vergaß. „Was ist denn mit dir los? Hast du gerade in Endorphinen gebadet?“, fragte Shinji und grinste sie an. „So ähnlich.“ Kari kicherte. „Los, lass uns was trinken.“ Für einen kurzen Moment wirkte er überrascht, ließ sich dann aber von ihr zu den Tischen ziehen, auf dem die Getränke drapiert waren. Ohne zu fragen goss sie beiden einen fruchtigen Schnaps ein und stieß mit ihm an, bevor sie ihn im Ganzen herunterschluckte. „Sag mal, Kari“, fing Shinji an und stellte seinen Becher weg, „hast du nicht Lust, mal was trinken zu gehen?“ Verwundert sah sie ihn an. „Aber wir haben doch gerade was getrunken.“ „Ich meinte, irgendwann mal. Vielleicht nächstes Wochenende oder so“, sagte Shinji. Auf einmal wirkte er ein wenig verlegen. „Achso. Klar, warum nicht?“ Sie lächelte fröhlich und goss sich den nächsten Drink ein. Erst wenige Augenblicke später wurde ihr klar, dass Shinji sie da gerade um ein Date gebeten hatte. „Ähm, ich gehe mal zu Nana.“ Sie drehte sich um und ließ ihn einfach stehen. Nana stand bei einer Gruppe Mädchen, die sich gerade unterhielten. Sie blickte auf, als Kari sich näherte. „Shinji hat hat mich gefragt, ob ich mit ihm nächstes Wochenende was trinken gehen will“, sagte Kari leise, sodass nur Nana es hören konnte. Diese machte große Augen. „Was? Echt? Und was hast du gesagt?“ Kari zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, ich gehe hin. Vielleicht wird es ja ganz gut. Er ist ja nett.“ „Du musst mir unbedingt erzählen, wie es war. Ach, jetzt wo du hier bist“, sie sah sich suchend um, „los, lass uns mal zu Ken gehen.“ Sie hakte sich bei Kari unter und zog sie mit sich mit zu Ken. Kari war verwirrt. Was hatte sie denn jetzt mit Ken zu tun? Sie hätte doch auch allein gehen können. Sie blieben bei Ken stehen und Nana schob Kari ein Stück nach vorn. Ken sah sie fragend an. „Na, was gibt’s?“, fragte er. „Keine Ahnung“, antwortete Kari und sah Nana stirnrunzelnd an. „Wie geht’s dir denn so? Ich wusste gar nicht, dass du auch hier bist“, plapperte Nana los und grinste Ken an. „Wie schön, dass Wochenende ist, oder? Diese Woche war besonders stressig.“ „Ähm... ja, stimmt“, murmelte Ken und warf Kari einen irritierten Blick zu. „Und wie war euer Spiel heute? Ihr habt doch gegen diese eine Schule da gespielt.“ Kari wandte sich von den beiden ab, noch immer ein wenig verwirrt. Erst jetzt fiel ihr auf, dass T.K. auch bei der Gruppe stand, Aya war jedoch nirgends zu sehen. Er schien gemerkt zu haben, dass sie ihn ansah, denn er fing ihren Blick auf und starrte zurück, sodass Kari sich schnell wieder abwandte. Was für ein lächerliches Spiel. Sie fühlte sich wie eine Dreizehnjährige. Sie entfernte sich von der Gruppe und beschloss, das Badezimmer aufzusuchen. Es dauerte eine Weile, ehe sie in dem riesigen Erdgeschoss den richtigen Raum erwischte, doch als sie näher trat, hörte sie Geräusche. Es klang, als ob jemand weinte. Ohne nachzudenken klopfte Kari an die Tür und lauschte auf eine Antwort. Das Weinen verstummte, stattdessen hörte sie Schritte, der Riegel wurde gedreht und die Tür ging auf. Zu Karis Überraschung blickte sie direkt Aya in das verweinte Gesicht. Diese wirkte ebenso überrascht, Kari hier anzutreffen, allerdings schien es für sie keine freudige Überraschung zu sein. „Was willst du, Yagami?“, schnappte sie. „Ich muss aufs Klo?“, antwortete Kari, die von Ayas Tonfall augenblicklich genervt war. Diese verdrehte die Augen und drängte sich an ihr vorbei aus dem Badezimmer. Kari sah ihr unschlüssig hinterher. „Was ist denn los?“, fragte sie, nun doch ein wenig mitleidiger. Wer weinte, der war nach Karis Auffassung sehr verstört wegen irgendetwas. Oder irgendwem. „Geht dich einen Dreck an“, antwortete Aya, ohne sich umzudrehen. Kari runzelte die Stirn. Ob T.K. sie wohl zum Weinen gebracht hatte? Als Kari wieder auf der Terrasse war und Aya suchte, stand diese wieder bei T.K., Ken und den anderen Leuten aus der Gruppe und tat so, als wäre nichts gewesen, doch als sie bemerkte, dass Kari sie ansah, warf sie ihr einen feindseligen Blick zu. Kopfschüttelnd gesellte Kari sich wieder zu Nana, behielt ihre Entdeckung aber für sich. Unterdessen plauderte Nana noch immer mit Ken und machte keine Anstalten, Kari in das Gespräch einzubeziehen. Somit setzte sie sich einfach samt ihres Getränks auf einen Stuhl, beobachtete die Gäste und dachte über Aya nach. Sie hatte sie noch nie weinen oder überhaupt unglücklich gesehen. Warum sollte sie auch einen Grund haben, unglücklich zu sein? Sie hatte doch alles, was man sich wünschen konnte. Schönheit, Intelligenz, super Noten und, soweit Kari wusste, auch noch reiche Eltern, genau wie Masami. Und bei den Jungs war sie auch noch beliebt. Was also konnte so jemanden zum Weinen bringen? Kari schüttelte unwirsch den Kopf. Wahrscheinlich hatte sie nur irgendwelche Luxusprobleme. Vielleicht war ihr superteurer Laptop kaputt. Oder sie hatte ihr schickes Kleid bekleckert. Oder ihr Daddy hatte plötzlich beschlossen, ihr doch kein neues Auto zu kaufen. Kari kicherte bei dieser Vorstellung. Solche Probleme hätte sie auch gern. Stattdessen bestand ihr größtes Problem derzeit darin, ihrem ehemals bestem Freund aus dem Weg zu gehen, der sie einfach so vor fünf Jahren verlassen hatte. „Du bist ja schon wieder allein.“ Kari zuckte zusammen und entdeckte erneut Shinji. Herrje, was hatte er nur auf einmal? In der Schule konnte man die Wörter, die sie miteinander gewechselt hatten, an einer Hand abzählen und hier suchte er ständig ihre Nähe. Sie zuckte nur mit den Schultern. „Sag mal, willst du vielleicht meine Begleitung für den Frühlingsball sein?“ Kari zog die Augenbrauen hoch und sah ihn an. Frühlingsball? Den hatte sie ja komplett vergessen. Ihre Schule schloss jedes Jahr am Samstag die Golden Week mit einem Frühlingsball ab. Sie war die letzten zwei Jahre ohne feste Begleitung, sondern immer gemeinsam mit Davis und Ken dorthin gegangen. „Ähm, ja, also... warum fragst du gerade mich?“, fragte Kari und kratzte sich verlegen am Kopf. „Hm naja“, machte Shinji und zögerte eine Weile, bevor er weitersprach. „Ehrlich gesagt finde ich dich ganz süß und würde dich gern mal kennen lernen. In der Schule bekommt man von dir immer nicht so viel mit.“ Er grinste sie verlegen an und Kari spürte, dass sie rot wurde. „Ich hab halt nicht so viel zu sagen“, stammelte sie zu ihrer Verteidigung. „Schon okay, das sollte keine Kritik sein“, antwortete Shinji und hob abwehrend die Hände. „Was ist nun? Willst du mit mir hingehen?“ „Ähm... okay“, sagte Kari zögerlich. So ganz sicher war sie sich nicht, aber dass sie mit ihm dorthin ging, hieß ja nicht, dass sie die ganze Zeit nur mit ihm tanzen durfte und neben ihm sitzen musste. „Super, freut mich.“ Shinjis Augen leuchteten vor Begeisterung und Kari fragte sich, ob er sie schon länger beobachtet hatte. Sie lächelte, blickte sich um und wieder fand sie T.K. Es war, als würde er ihre Blicke irgendwie magnetisch anziehen. „Wie findest du den Neuen so?“, fragte Shinji, der anscheinend mitbekommen hatte, dass sie ihn ansah. „Keine Ahnung. Hab nichts mit ihm zu tun.“ Das entsprach zumindest teilweise der Wahrheit. „Echt nicht? Aber er sitzt doch neben dir.“ „Du weißt doch, ich rede nicht so viel“, antwortete sie. T.K. stand immer noch in der Gruppe und redete mit Aya. Diese sah ihn viel zu oft an, berührte ihn am Arm, lachte übertrieben und fuhr sich ständig durch die langen Haare. „Er hat ja anscheinend schon ein paar enge Freunde gefunden“, bemerkte Shinji, der die beiden ebenfalls beobachtete. „Sieht so aus“, meinte Kari trocken und stand von ihrem Stuhl auf. „Weißt du, ich werde jetzt nach Hause gehen. Muss ja morgen fit sein für den Auftritt und so.“ Shinji sah sie überrascht an. „Okay? Was für ein Auftritt?“ „Bei uns im Theater in Odaiba ist morgen Tanztag. Wir treten da auf“, erklärte sie ihm kurz angebunden. „Achso? Um wie viel Uhr denn?“ Kari sah ihn skeptisch an. Wollte er etwa kommen und sich den Auftritt ansehen? „Um vier beginnt es.“ „Vielleicht schaue ich ja mal vorbei, wenn ich Lust habe.“ Sie nickte nur und suchte Nana. Schnell fand sie sie und verabschiedete sich von ihr. „Warum willst du schon gehen? Gefällt es dir nicht?“, fragte sie überrascht. „Ich habe einfach keine Lust mehr“, murmelte Kari und nickte kaum merklich Richtung T.K. Nana stieß einen lauten Seufzer aus und schüttelte den Kopf. „Du hast ein echtes Problem, meine Liebe. Vielleicht solltest du mal über professionelle Hilfe nachdenken.“ „Wie bitte?“ Kari starrte ihre Freundin entgeistert an. Der Rest der Gruppe, in der sich noch immer Ken, T.K. und Aya befanden, interessierten sich nun auch teilweise für ihr Gespräch, sodass Nana Kari am Arm packte und sich ein paar Schritte von ihnen entfernte. „Kari, T.K. scheint echt in Ordnung zu sein. Du musst einfach mal mit ihm reden und dann klärt sich das bestimmt.“ „Oh, wirklich? Rede weiter, diesen Satz habe ich erst tausendmal gehört“, entgegnete Kari sarkastisch und zog die Augenbrauen zusammen. „Weil es die Wahrheit ist“, sagte Nana ruhig und verschränkte die Arme vor der Brust. „Echt, Kari, ich verstehe dich einfach nicht. Das bist nicht du.“ „Und wer soll das bitte sonst sein?“ „Was weiß ich. Wahrscheinlich eine pubertierende Dreizehnjährige, die noch in deinem Kopf steckt, obwohl sie schon längst verschwunden sein sollte.“ Kari starrte sie gekränkt an. So etwas hatte sie von Nana am allerwenigsten erwartet. Eigentlich hatte sie sich mehr Mitgefühl für ihre Situation erhofft, aber offenbar hatte sich nun selbst Nana auf die andere Seite geschlagen. „Tschüss“, sagte sie kalt, drehte sich um und ging in Richtung Gartentor davon. „Er hat übrigens gesagt, dass du hübsch aussiehst!“, rief Nana ihr hinterher, doch Kari ignorierte sie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)