Fünf Jahre von Juju ((K)eine Freundschaft für immer) ================================================================================ Kapitel 12: Der dritte Brief ---------------------------- Kari, Tai und ihre Eltern reisten am nächsten Morgen nach einem zeitigen Frühstück ab. Glücklicherweise verlief die Fahrt ohne Komplikationen und so konnten sie Tai am frühen Nachmittag vor seinem Studentenzimmer absetzen. Kari war traurig, sich schon wieder von ihm verabschieden zu müssen, denn es würde wohl eine Weile dauern, bis sie ihn wiedersah. Demnächst standen bei ihm die Klausuren an und das hieß für ihn lernen bis zum Erbrechen. Als sie eine Stunde später zu Hause ankamen, wartete Nana schon mit ein paar Tüten beladen vor dem Haus und grinste sie an. „Na? Wie war's?“, fragte sie, als sie wenig später in Karis Zimmer auf dem Boden saßen, umgeben von Kleidern. „Schön, aber auch anstrengend“, seufzte Kari und hielt ein rotes Kleid mit Trägern hoch. „Anstrengend? Wieso das?“, fragte Nana stirnrunzelnd. „Naja, mein Bruder will heiraten und...“ „Was? Dein Bruder will heiraten?“ Nana machte große Augen. „Ich dachte, er ist nur drei Jahre älter als du.“ „Ist er ja auch. Jedenfalls waren er und seine Freundin und deren Eltern auch bei meinen Großeltern und da haben sie die Bombe platzen lassen“, erzählte Kari. „Und der Vater seiner Freundin ist gegen die Hochzeit.“ „Oh“, machte Nana mitleidig. „Und jetzt heiraten sie doch nicht?“ „Nicht, bevor Tai nicht die Zustimmung von Mimis Vater hat“, sagte Kari kopfschüttelnd. „Hm“, machte Nana und legte die Stirn in Falten. Einige Sekunden sagte sie nichts. „Ich glaube, ich würde einfach trotzdem heiraten. Tais Freundin ist doch volljährig, oder? Dann kann sie doch ohnehin machen, was sie will.“ „Aber Tai will nicht, dass Mimi sich seinetwegen mit ihrer Familie streitet. Oh mein Gott, dieses Kleid ist aber nicht dein Ernst, oder?“ Kari war aufgestanden und hatte sich das rote Kleid an den Oberkörper gehalten. Es war so kurz, dass es wohl gerade so ihren Hintern bedecken würde und sah obendrein auch noch verdammt eng aus. Nana war ob des plötzlichen Themenwechsels einen Augenblick verwirrt, fing sich aber schnell wieder. „Klar ist das mein Ernst. Probier' es doch mal an. Du bist doch dünn, du kannst es tragen.“ Kari schnaubte, legte aber schnell ihre aktuellen Sachen ab und zog das Kleid an. Sie musterte sich vor dem großen Spiegel an der Wand. „Es steht dir total gut!“, rief Nana und nickte eifrig. „Nein“, sagte Kari entschieden und musste schon das erste Mal am Saum des Kleides ziehen, weil es sonst einen Teil ihres Pos freigeben würde. „Darin sehe ich doch aus wie eine Nutte.“ „Quatsch. Du siehst heiß darin aus“, meinte Nana überzeugt. „Wäre ich Shinji, würde ich dich sofort in mein Bett zerren.“ „Nana!“, rief Kari empört und Nana lachte. „Das versucht er doch morgen bestimmt. Darauf würde ich wetten“, sagte sie. „Oh, meinst du wirklich?“ Kari sah ihre Freundin unsicher an. Sie hatte doch noch nie... „Ich glaube schon“, meinte Nana nun ein wenig ernster. „Und du brauchst nicht gleich rot zu werden.“ „Tz, das soll er mal versuchen“, murrte Kari und wandte sich ab. Sie zog das Kleid wieder aus und griff ein grünes. Bevor sie es anzog, ging sie zu ihrem Kleiderschrank und zog die wenigen Kleider heraus, die sie in den letzten Jahren gesammelt hatte. Davon waren gerade mal zwei gut genug, sie morgen anzuziehen. Sie warf sie auf den Kleiderstapel und Nana griff sogleich danach, während Kari das grüne Kleid anzog. „Das ist aber hübsch. Das habe ich noch nie an dir gesehen“, sagte Nana bewundernd und hielt sich Karis nachtblaues Kleid an den Körper. „Das ist mir auch ein bisschen zu groß“, erwiderte Kari. „Versuch' es doch mal.“ Während Nana also das blaue Kleid anprobierte, betrachtete Kari ihr Spiegelbild. „Grün steht dir nicht“, kommentierte Nana. „Finde ich auch“, stimmte Kari ihr zu und zog es wieder aus. Anschließend betrachtete sie Nana in dem blauen Kleid. „Dir passt es wie angegossen. Sieht super aus.“ „Findest du?“ Nana drehte sich vor dem großen Spiegel hin und her. „Ich glaube, dann werde ich es anziehen, wenn ich darf.“ „Klar darfst du.“ Nana grinste zufrieden und schlüpfte wieder in ihre alten Klamotten, während Kari immer noch kein Kleid gefunden hatte. „Wie wäre es denn mit dem? Ich glaube, die Farbe steht dir super gut“, schlug Nana vor und zog ein hellrosafarbenes Ballonkleid aus dem Haufen heraus. Zweifelnd begutachtete Kari das Kleid, probierte es aber doch an. „Das musst du nehmen. Das ist ja fast noch besser als das rote“, sagte Nana und beobachtete, wie Kari ihr Spiegelbild musterte. Das Kleid hatte keine Träger und war in der Taille zusammengerafft. Es ging Kari bis zur Mitte der Oberschenkel. „Findest du? Aber darin sehe ich so unschuldig aus“, erwiderte Kari kritisch. „Du bist doch auch die Unschuld in Person.“ Nana grinste sie an. Kari stutzte und sah sie mit gerunzelter Stirn an. Sicher hatte Nana das nur sehr beiläufig gesagt, doch irgendwie fühlte Kari sich von diesem Kommentar getroffen. „Meinst du echt?“ „Ja, Kari. Du bist doch immer so süß und ruhig und lieb zu jedem außer Takeru.“ Nana achtete kaum auf das, was sie sagte, sondern ging um Kari herum und betrachtete das Kleid. „Ist wie für dich gemacht.“ Kari jedoch war noch immer verwirrt von Nanas Aussage über ihre Unschuld. War sie denn wirklich so ein zahmes Lamm? Eine graue Maus? Ein ruhiges, zurückhaltendes, liebes Mädchen? Sahen andere sie auch so? Am frühen Abend war Nana mit Karis Kleid im Gepäck wieder gegangen. Das rosafarbene Kleid hing nun über Karis Schreibtischstuhl und wartete darauf, von ihr getragen zu werden und ihr Wesen zu unterstreichen. Es schien förmlich „Unschuld“ zu schreien. Missmutig schaltete Kari ihren Computer an und loggte sich in ihren Facebook-Account. Ihr Herz machte einen Aussetzer, als ihr das kleine Symbol oben links verkündete, dass sie eine Nachricht erhalten hatte. In der Erwartung gleich etwas von T.K. zu lesen, klickte sie auf das Symbol, doch die Nachricht war von Shinji. Kari war fast schon ein wenig enttäuscht. hey kari, wie geht’s dir? soll ich dich morgen vor dem ball abholen kommen? :) Darauf wusste Kari auch keine wirkliche Antwort. Sollte er sie abholen kommen? Lieber nicht, sie musste morgen ohnehin schon viel Zeit mit ihm verbringen. danke, aber das brauchst du nicht. wir treffen uns dann einfach in der schule Sie schickte die Nachricht ab und überflog dann ihre Startseite. Dort war jedoch nichts weiter Spannendes außer ein paar abgeschriebener Zitate und „Eis essen mit xyz“-Verkündungen. Wieder einmal mehr fragte Kari sich, warum die Leute dachten, das würde alle so sehr interessieren, dass sie es im Internet erzählen mussten. Sie schaltete ihren Computer wieder aus und kramte in der untersten Schreibtischschublade nach den Briefen. Zwei waren nun schon geöffnet. Sie fischte den dritten heraus und öffnete ihn entlang der Umschlagkante mit einem Stift. Bei den anderen beiden Briefen war sie noch ziemlich aufgeregt, bevor sie sie gelesen hatte, doch nun war es fast schon zu einer Gewohnheit geworden. Da waren eben noch Briefe, die gelesen werden mussten. Sie zog die Papierbögen heraus und faltete sie auseinander. Hi Kari, alles Gute zu deinem 15. Geburtstag! Ja, ich schreibe dir immer noch. Ich hoffe, der Brief kommt pünktlich am 25. an, sodass du ihn gleich lesen kannst. Falls du ihn überhaupt liest. Ich hoffe, es geht dir gut und du machst dir heute einen schönen Tag, kriegst viele Geschenke, leckeren Kuchen und ein paar Geburtstagslieder. Ich würde ja auch für dich singen, aber wie du weißt, bin ich nicht so der Sänger. Ich glaube, ich habe in dem Brief vom letzten Jahr ein paar ziemlich miese Sachen geschrieben. Das heißt, ich kann mich eigentlich an fast jedes Wort erinnern. Ich bereue, was ich geschrieben habe. Echt jetzt. Es tut mir Leid. Ich war in dem Moment einfach so sauer auf dich und darauf, dass du mir nicht schreibst, dass ich dir unbedingt die Meinung sagen musste. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung dafür, dass ich gleich so fies geworden bin, aber vielleicht eine Erklärung? Jedenfalls war es nicht so gemeint. Ich war natürlich nicht froh, dass ich aus Japan weggezogen bin, auch wenn ich das geschrieben habe. Obwohl ich jetzt schon seit drei Jahren nichts mehr von dir gehört habe, fehlst du mir irgendwie immer noch. Und Japan fehlt mir auch. Ich meine, hier in Paris ist es ziemlich cool und ich habe mich gut eingelebt. Ich brauche echt lange, diesen Brief hier zu schreiben, weil mir manche Wörter nur noch auf Französisch und nicht mehr auf Japanisch einfallen. Und viele Leute kennen gelernt habe ich auch. Aber es ist trotzdem nicht so wie Japan. Und eine zweite Kari habe ich auch noch nicht gefunden. Ich hoffe, dass du mir trotzdem noch irgendwann schreibst. Und ich hoffe, der Brief kommt überhaupt an. Vielleicht wohnt ihr ja gar nicht mehr da, wo ihr immer gewohnt habt. Viele Grüße T.K. P.S.: Im Brief ist noch ein klitzekleines Geschenk. Kari seufzte leise und legte den Brief weg, um den Umschlag in die Hand zu nehmen. Darin befand sich noch eine Postkarte aus Paris und... ein Armband. Es war ein schwarzes Lederbändchen mit einem winzigen Anhänger in Form des gallischen Hahns in den Farben der französischen Nationalflagge. Kari betrachtete es eingehend, bevor sie es sich um ihr Handgelenk band. Den Brief verstaute sie sorgfältig wieder in der Schublade und lehnte sich auf ihrem Schreibtischstuhl zurück. Dieser Brief hatte sie irgendwie berührt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)