Fünf Jahre von Juju ((K)eine Freundschaft für immer) ================================================================================ Kapitel 17: Arschlöcher und Mauerblümchen ----------------------------------------- Ihr kamen die Tränen, doch sie wollte nicht weinen. Schließlich war sie selbst schuld an dieser Misere. Mit zusammengebissenen Zähnen schluckte sie die Tränen herunter und blinzelte heftig, um das brennende Gefühl in ihren Augen loszuwerden. So schnell sie konnte, lief sie nach Hause, um sich in ihrem Zimmer zu verkriechen. Sie hoffte inständig, dass ihre Mutter nicht da war, um nichts erklären zu müssen. Momentan war sie ohnehin nicht gut auf Kari zu sprechen nach der Sache von Samstag. Diesmal hatte Kari allerdings Glück. Vermutlich war ihre Mutter gerade einkaufen oder beim Sport. Unachtsam streifte sie ihre Schuhe ab und lief in ihr Zimmer, die Tür lautstark hinter sich zuknallend. Die Tasche wurde in eine Zimmerecke befördert und Kari warf sich aufs Bett. Sie presste das Gesicht ins Kopfkissen und versuchte immer noch, nicht zu heulen. Stattdessen versuchte sie, darüber nachzudenken, was sie an dieser Sache überhaupt am meisten störte. Ihre verlorene Jungfräulichkeit? Dass Shinji sie abgefüllt und flachgelegt hatte? Die Wette? Oder etwa sie selbst, die allen beweisen wollte, dass sie nicht nur das nette, schüchterne Mädchen von nebenan war? Kari hatte keine Ahnung, wie lange sie dort mit dem Kopf im Kissen gelegen hatte. Jedenfalls ließ die Türklingel sie zusammenzucken und sich aufsetzen. Wer sollte das sein? Sie wollte jetzt nicht so von irgendjemandem gesehen werden. Andererseits war es vielleicht ihre Mutter, die wieder einmal den Hausschlüssel vergessen hatte. Schwerfällig kletterte Kari aus dem Bett und ging zur Tür. Ohne vorher durch den Spion zu blicken öffnete sie. Und ärgerte sich, dass sie nicht doch vorher nachgesehen hatte. „T.K.“, murmelte sie überrascht. Er stand da in seiner Schuluniform, die Hände in den Hosentaschen und die Sporttasche über der Schulter. „Kann ich reinkommen?“, fragte er, während Kari ihn nur anstarrte. Sie brauchte eine Weile, um zu reagieren. Außerdem war sie sich nicht sicher, ob sie ihn wirklich hereinlassen wollte. Eigentlich hatte sie keine Lust, jetzt mit ihm zu reden. Fragend hob er die Augenbrauen, sodass Kari schließlich doch zur Seite trat und er hereinkommen konnte. Bestimmt ging er an ihr vorbei, zog sich die Schuhe aus und marschierte schnurstracks in ihr Zimmer. Kari folgte ihm unschlüssig. „Warum bist du hier?“, fragte sie, als er auf ihrem Bett Platz nahm. „Ich wollte sehen, wie's dir geht. Du warst so plötzlich weg, nachdem du mit Shinji... gesprochen hast“, antwortete er und sah sie durchdringend an, sodass sie den Blick abwandte. „Gut geht’s mir. Alles super“, log Kari. Sie spielte mit ihren Fingern und stand noch immer verloren in der Mitte ihres Zimmers herum. „Was machst du denn eigentlich schon hier? Ihr müsstet doch noch Training haben.“ T.K. zuckte mit den Schultern, streckte die Beine aus und ließ den Blick durch ihr Zimmer schweifen. „Vielleicht bin ich rausgeflogen.“ „Warum?“, fragte Kari verwirrt. „Ist doch egal“, murmelte er. Dann durchbohrte er sie wieder mit seinem Blick. „Er ist ein Arschloch. Hätte ich von der Wette gewusst, hätte ich verhindert, dass er... dass du zu ihm nach Hause gehst.“ Resigniert ließ Kari den Kopf hängen und setzte sich nun neben T.K. auf die Bettkante. „Es wissen also alle davon?“ „Er hat vor den Basketballern damit angegeben, dass er diese blöde Wette gewonnen hat“, erklärte T.K. mit finsterer Miene. „Und Fotos von mir hat er auch herumgeschickt, nicht wahr?“, fragte Kari leise. „Mhm“, machte T.K., ohne sie anzusehen. Kari seufzte und starrte auf ihre Füße. Sie würde wohl die Schule wechseln müssen, aber es war ja ohnehin das letzte Schuljahr für sie. „Tut mir Leid“, sagte T.K. plötzlich und Kari sah ihn überrascht an. „Was? Wieso?“, fragte sie. Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe das Gefühl, ich hätte es verhindern können, wenn ich Samstag Abend hartnäckiger gewesen wäre. Ich hatte echt keine Ahnung, dass er sowas abzieht.“ „Nun hör' aber auf. Das war doch nicht deine Schuld, sondern ganz allein meine. Aya hat erzählt, ich habe dich und Matt angeschrien. Da wäre ich mir auch nicht nachgelaufen an eurer Stelle“, widersprach Kari ihm. T.K. biss sich auf die Unterlippe und schüttelte unwirsch den Kopf, als wollte er einen unangenehmen Gedanken vertreiben. „Weshalb kümmert dich das überhaupt? Also ich meine, das könnte dir doch egal sein“, sagte Kari und musterte ihn von der Seite. Dabei fiel ihr wieder einmal auf, wie erwachsen er mittlerweile geworden war und wie anders sie ihn in Erinnerung hatte. Er lächelte müde. „Keine Ahnung. Vielleicht stecke ich noch ein bisschen in der Vergangenheit. Vielleicht würde es mich aber auch dann nicht in Ruhe lassen, wenn ich dich nicht schon ewig kennen würde.“ Kari runzelte die Stirn. Was redete er da? „Kari, ich weiß, dass es für dich unverzeihlich ist, was vor fünf Jahren passiert ist, aber deswegen kann ich trotzdem versuchen, das wieder gutzumachen“, erklärte er. Sie sahen sich in die Augen und Kari wurde die Situation langsam unangenehm. Das Gesprächsthema gefiel ihr fast noch weniger als das davor und nun auch noch dieser Blickkontakt. Sie musste sich bemühen, nicht vor Erleichterung zu seufzen, als die Türklingel diesen Moment unterbrach. Schnell sprang sie auf und lief zur Tür. Das war jetzt bestimmt ihre Mutter. Schwungvoll riss sie die Tür auf, doch dort stand nicht Yuuko, sondern Nana. „Kari!“, rief sie und warf ohne Vorwarnung die Arme um sie. „Ich hab' das mit der Wette erfahren. Tut mir echt Leid. Deswegen bist du abgehauen, oder?“ „Ähm... ja, also...“, murmelte Kari, als Nana sie endlich wieder losließ und an ihr vorbei in die Wohnung marschierte. „Du glaubst nicht, was noch passiert ist. Takeru hat... oh, hallo, Takeru!“ T.K. war im Flur erschienen und hatte Nana nur durch sein Auftauchen zum Schweigen gebracht. Mit fragendem Blick drehte sie sich zu Kari um. „Entschuldige. Ich wusste nicht... ich wollte nicht stören“, stammelte sie. „Schon gut. Ich wollte sowieso gerade gehen“, erwiderte er abwinkend, schlüpfte in seine Schuhe, lächelte Kari flüchtig an und verschwand aus der Wohnung. Perplex betrachtete Kari die Tür, die gerade hinter ihm ins Schloss gefallen war. „Was wollte er hier?“, fragte Nana. „Keine Ahnung“, antwortete Kari ratlos und schüttelte langsam den Kopf. Dann drehte sie sich zu Nana um. „Und was willst du hier?“ „Oh, das hätte ich ja fast schon wieder vergessen. Komm mit, vielleicht ist es besser, wenn du dich hinsetzt“, rief sie aufgeregt und ging voraus in Karis Zimmer. Sie setzte sich auf den Platz, auf dem T.K. bis vor wenigen Minuten noch gesessen hatte und wartete, bis Kari neben ihr saß. „Takeru ist rausgeflogen!“, eröffnete sie das Gespräch und machte große Augen. „Ich weiß. Das hat er mir auch schon erzählt“, sagte Kari unbeeindruckt. „Hat er dir auch gesagt, warum?“ „Nein, er meinte, es wäre egal.“ Auf Nanas Lippen schlich sich ein breites Lächeln, sodass Kari etwas mulmig zumute wurde und sie unwillkürlich ein paar Zentimeter von ihr weg rutschte. „Er hat Shinji die Nase gebrochen!“, platzte sie heraus. Ihre Augen funkelten euphorisch. „Was?“, rief Kari verblüfft. „Im Ernst? Oh mein Gott.“ „Ja! Als du rausgerannt bist, ist Takeru zu ihm gegangen. Dann gab's einen kurzen Streit, hab nicht alles verstanden, und zack“, sie ließ ihre Faust durch die Luft wirbeln, „lag Shinji am Boden.“ Kari schlug sich eine Hand vor den Mund. „Autsch. Das hat sicher weh getan.“ „Davon kann man ausgehen, ja. Der Trainer hat Takeru rausgeschmissen, aber ich glaube, er wollte sowieso gehen. Und Shun hat Shinji ins Krankenhaus gebracht. Also ich weiß natürlich nicht, ob seine Nase wirklich gebrochen ist, aber er hat gejammert und geblutet wie verrückt.“ Sie kicherte. „Das war vielleicht ein Spektakel.“ Kari saß nur mit offenem Mund dort auf ihrem Bett und versuchte, sich die Szene vorzustellen. Es war ihr, als könnte sie das Knacken hören, mit dem Shinjis Nase zu Bruch gegangen war. „Was ist denn los? Du sagst ja gar nichts“, fragte Nana irritiert und musterte sie erwartungsvoll. „Wieso hat er das gemacht?“ Diese Frage richtete sie mehr an sich selbst als an Nana. „Was sollte das?“ „Wer? Takeru oder Shinji?“ Nana machte ein verwirrtes Gesicht. „Takeru. Wieso hat er ihm eine reingehauen? Sie haben sich doch heute auf dem Schulhof schon geprügelt“, sagte Kari stirnrunzelnd. „Also wenn du mich fragst, ich glaube, er hat's für dich gemacht“, antwortete Nana bestimmt. „Ich meine, er sah ziemlich wütend aus, nachdem du rausgegangen bist. Und heute auf dem Schulhof schien er ja auch echt sauer.“ „Ja, ich weiß, dass ihn das mit der Wette stört und er Shinji nicht leiden kann. Aber warum um Himmelswillen mischt er sich da so ein? Ich meine, das ist doch kein Grund sich zu prügeln. Er tut ja geradezu so, als wäre er Teil der Wette gewesen“, erklärte Kari. „Du klingst, als würdest du es nicht ziemlich cool finden, dass sich jemand für dich geprügelt hat“, meinte Nana und hob eine Augenbraue. „Finde ich ja auch nicht“, erwiderte Kari mit finsterer Miene. „Ich bin auch wütend auf Shinji, weil er mich verwettet hat, aber deswegen möchte ich trotzdem nicht, dass er verletzt wird. Außerdem geht T.K. das gar nichts an. Ich kann mich auch selbst verteidigen. Ich brauche niemanden, der sich für mich prügelt.“ Nana sah sie an, als wäre sie ein Alien. „Weißt du, ich glaube, du bist die einzige Frau auf dieser Welt, die so denkt. Freu' dich doch, dass er sich so um dich sorgt und dass ihm die Sache so nahe geht, obwohl du seit fünf Jahren nicht mit ihm geredet hast.“ „Nein, ich freue mich nicht! Das ist einfach kein Grund, jemanden zu verletzen. Und eine gebrochene Nase ist auf jeden Fall eine Verletzung“, begehrte Kari auf. „Boah, Kari!“, rief Nana ungeduldig. „Das sagst du nur, weil du nicht weißt, worum es bei der Wette ging. Zufälligerweise warst du nicht das einzige Mädchen, das da mit hineingezogen wurde.“ „Worum ging es denn?“, fragte Kari, obwohl sie es eigentlich gar nicht wissen wollte. „Shinji, Shun und Nintaro haben darum gewettet, wer es als erstes schafft, mit einem Mauerblümchen aus der Schule zu schlafen“, antwortete Nana. „Mit einem Mauerblümchen?“, fragte Kari langsam. „Nimm das jetzt bitte nicht so ernst. Du bist kein Mauerblümchen. Die spinnen einfach nur“, sagte Nana unwirsch. „Und Shinji hat sich mich ausgesucht?“, fragte Kari weiter, ohne auf ihre Antwort einzugehen. „Ja und Shun hat sich Emi aus der Parallelklasse ausgesucht und Nintaro Kimiko aus der elften Klasse“, antwortete Nana. Kari überlegte, wer genau Emi und Kimiko waren, was eigentlich schon alles über diese beiden Mädchen aussagte. Mit keiner von beiden hatte sie je ein Wort gewechselt und sie waren ihr auch nie irgendwo aufgefallen. Emi war im letzten Schuljahr auch im Tanzverein gewesen, doch sie hatte eigentlich nie etwas gesagt und war auch nicht besonders gut im Tanzen gewesen. „Darauf brauchst du nichts geben, Kari. Die drei sind einfach nur nicht mehr ganz dicht“, sagte Nana nachdrücklich. Kari zuckte mit den Schultern. Was sie gerade erfahren hatte, bestätigte nur das, was sie ohnehin schon von sich dachte. Und anscheinend dachten alle anderen auch so über sie. „Ist beim Training irgendwas Besonderes passiert?“, wechselte sie schließlich das Thema und tat möglichst gleichgültig. „Ähm... nein, nichts weiter. Ich hab' dich entschuldigt. Und Nobuko hat noch einmal erzählt, dass nach den Sommerferien die Talentsucher der Sportschulen zu uns kommen und gesagt, wir sollen uns überlegen, ob wir uns bewerben wollen“, erzählte Nana. Ach ja, die Sportschulen. Das brachte Kari wieder auf andere Gedanken. Wenn sie gut genug war, würde sie vielleicht an einer Schule im Ausland aufgenommen werden. In Russland zum Beispiel. Oder England. Oder den USA. Das war alles sehr weit weg, doch dort kannte sie niemand. Sie könnte diesen ganzen Mist hier vergessen und noch einmal neu anfangen. Einfach alles hinter sich lassen. Diese Vorstellung erschien ihr gerade sehr verlockend. „Alles okay? Du siehst so nachdenklich aus“, unterbrach Nana ihre Gedanken. „Nein, alles in Ordnung“, murmelte Kari. „Ich glaube nur, dass ich mich gern im Ausland bewerben möchte.“ „Was? Wirklich?“, fragte Nana überrascht. „Dafür musst du richtig gut sein. Ich meine, du bist super, aber es ist echt hart an diesen Schulen.“ „Ja, schon. Aber ich stelle es mir toll vor, das Tanzen zu meinem Beruf zu machen.“ „Du hast dann vorgeschriebene Ernährungspläne. Und jeden Tag Training. Du wirst keinen Mann finden, weil du keine Zeit hast, jemanden kennen zu lernen und die Männer an deiner Schule alle schwul sind.“ „Damit kann ich leben“, antwortete Kari. Sie war ohnehin kein großer Esser, das Training machte ihr Spaß, sie war ehrgeizig und Männer brauchte sie auch keine. Sie hatte ja immer noch Tai und Davis und Ken, die sie sicher ab und zu sehen würde. Das reichte ihr. Mehr Männer brauchte sie in ihrem Leben nicht. „Ich glaube, das werde ich mal ins Auge fassen.“ Hosted by Animexx e.V. 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