Kristallflügel von Flordelis ================================================================================ Kapitel 4: Endlich Antworten ---------------------------- Noch nie zuvor in ihrem Leben, war Elaine von so viel Metall und Eisen umgeben gewesen. Schon direkt nachdem sie an Bord gekommen war, hatte sie alles aufmerksam gemustert, als ginge es darum, den Fehler in der Konstruktion zu finden. Unverkleidete Zahnräder in unterschiedlichen Größen arbeiteten unermüdlich im Maschinenraum und trieben damit das Luftschiff an. Am Liebsten hätte sie gefragt, wie genau es funktionierte, aber sie glaubte nicht, dass Aras es wusste oder dass sie die komplette Erklärung verstehen würde. Deswegen stellte sie keine Fragen, als sie ihm folgte und dabei all die Arbeiter bemerkte, die emsig damit beschäftigt waren, das Schiff in der Luft zu halten. Sie arbeiteten konzentriert vor sich her, schafften es aber dennoch ab und an, sich selbst loszureißen, um etwas zu sagen, das alle anderen zum Lachen brachte. Elaine war beeindruckt, so etwas kannte sie von den verkniffenen Arbeitern in Nersrose nicht. Das Schiff war definitiv nicht dafür ausgestattet, Passagiere zu befördern. Dabei mangelte es nicht an der Größe, sondern vielmehr am Aussehen und der Sicherheit. Gefährlich dünne Stege verbanden breitere Laufwege, Kabel hingen sichtbar von der Decke, Ölflecken waren auf manchen Wänden zu sehen und alles war blankes Metall, ohne jede Form von Verkleidung, um zumindest den Anschein von Eleganz zu geben. Von außen hatte es wesentlich schicker ausgesehen. Aber – und das konnte sie nicht verleugnen – es flog und das war immerhin die Hauptsache bei einem Luftschiff. Aras führte sie nicht auf die Brücke, wie sie gehofft hatte, sondern in einen Raum, der die Bezeichnung Kapitänskajüte trug. Sofort begann ihr Herz schneller zu schlagen. Sie war davon überzeugt, dass sich Caleb Blackthorne darin befand und sie ihm gleich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen würde. Dabei erinnerte sie sich, überraschend schnell, an all die Gerüchte, die über ihn die Runde machten. Es hieß, sein Blick wäre so einschüchternd, dass sogar Giganten darunter schrumpfen würden. Seine Stimme so laut, dass sie mühelos durch ein Schloss hallte. Und sein Verstand so scharf wie seine Zunge, um seine Gegner verbal auseinanderzunehmen und sie geradewegs in die Raserei zu treiben, um ein leichteres Spiel mit ihm zu haben. Seine Gnade dagegen wäre nicht im Mindesten präsent, sie war lange zuvor von ihm gegen etwas eingetauscht worden, das ihm helfen sollte, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Am Liebsten wäre sie eingeknickt und vom Luftschiff gesprungen, aber Aras schob sie in die Kajüte hinein, so dass sie nicht ausweichen konnte. Hinter einem großen Schreibtisch stand ein Ledersessel, der mit dem Rücken zu ihr gekehrt war. Sie schluckte schwer, bereitete sich innerlich auf den Anblick dieses furchtbaren Mannes vor – und stieß einen überraschten Laut aus, als der Sessel umgedreht wurde und sie eine junge Frau vorfand. Ihr langes schwarzes Haar war zu mehreren Pferdeschwänzen gebunden und sogar zu kleineren Zöpfen geflochten, was ihr Aussehen individueller machte, als alles, was Elaine bislang gesehen hatte. Ihre grün-blauen Augen glitzerten vergnügt und nahmen ihr schlagartig jede Furcht. Wer immer diese Person war, die sie da gerade anlächelte, sie führte bestimmt nichts Böses im Schilde. Gespielt professionell beugte diese Fremde sich vor, legte die Unterarme auf den Tisch und faltete die Hände. „Herzlich Willkommen, Elaine. Du hast sicher jede Menge Fragen.“ „Ja. Wer bist du?“ Die Worte kamen schneller über ihre Lippen, als sie darüber nachdenken konnte. Die Unbekannte lächelte, als hätte sie mit dieser Frage gerechnet und fühlte sich gar nicht von der fehlenden Höflichkeit angegriffen. „Mein Name ist Garnett Weaver. Ich bin die rechte Hand von Caleb Blackthorne – und den kennst du ja sicher.“ „Zumindest vom Namen her“, bestätigte Elaine murmelnd und wich zurück, bis sie beinahe gegen Aras stieß, der an der Tür stehengeblieben war. „Was will Nimbatus von mir?“ Garnett seufzte schwer und lehnte sich wieder zurück, sie legte ihre Arme auf die Sessellehnen. „Jetzt weiß ich, warum Caleb mich geschickt hat. Von wegen, ich käme besser mit Menschen zurecht.“ Sie schien wirklich empört darüber, dass sie ihm das geglaubt und sich deswegen dazu hatte breitschlagen lassen, nun hier zu sein. Aber Elaine konnte das nicht gleichgültiger sein, ihr waren Antworten wichtiger, als Garnett darin zu beruhigen, dass sie ihr nichts erzählen müsste, wenn es ihr zu kompliziert war. Bevor sie allerdings wirklich aus Mitleid nachgeben könnte, räusperte Garnett sich. „Fein, nach allem, was du durchgemacht hast, verdienst du es sicher, dass wir dich ein wenig aufklären. Deswegen bin ich offenbar hier. Caleb hasst es, Leuten etwas erklären zu müssen.“ Sie schnitt eine Grimasse, die Elaine sagte, dass Garnett das bereits am eigenen Leib erlebt hatte und plötzlich war sie noch wesentlich glücklicher darüber, dass dieser Mann nicht hier war. „Also, ich muss ein wenig ausholen“, sagte Garnett. „Du kennst sicher diese ganze Geschichte über den Krieg, wie die Kirche sie erzählt, ja?“ Elaine war davon überzeugt, dass jeder sie kannte. Einst hatten Drachen in dieser Welt gelebt und Jagd auf Menschen gemacht. Um sich diesen furchterregenden Wesen entgegenzustellen, wandten die Menschen sich an die Lenees – Elaine erinnerte sich oft daran, wie ihre Mitschüler bei diesem Namen gekichert hatten – eine wesentlich weiterentwickelte und technisch versierte, menschenähnliche Rasse. Diese erschufen mächtige Golem für die Menschen, um gegen die Drachen anzugehen. Eine solche Kampfmaschine erschlug den letzten Drachen und rief damit das Nebelerwachen herbei. Es war der letzte Strohhalm der Feinde gewesen, um dennoch so viele Menschen wie möglich auszulöschen. Die Kirche von Ners lehrte diese Geschichte, damit die Menschen nie ihren Hass auf die Drachen vergaßen und sich gleichzeitig daran erinnerten, dass diese Situation jederzeit wieder eintreten könnte. Möglicherweise war deswegen ein Drache unter der Kirche eingesperrt gewesen, die Mitglieder wollten verhindern, dass sie sich erneut ausbreiteten. Und die Wesen im Kerker, gehörten ebenfalls in dieses Spektrum. Die Kirche war gut, wie viele Beweise wollte Nimbatus noch? „Dein Blick sagt mir, dass du sie kennst“, bemerkte Garnett. „Die offizielle Version jedenfalls. Aber weißt du, dass sie gar nicht stimmt?“ „Ihr lügt.“ Sie sprach selten so überzeugt, aber in diesem Moment war sie es vollauf – allerdings war sie auch neugierig. „Was ist eure Variante?“ Wenn sie nun schon hier war, könnte sie sich auch anhören, welche Version, deren Verbreitung unter Strafe verboten war, Nimbatus erzählte. Sie hatte erwartet, dass Garnett wütend über ihren Einspruch sein würde, aber sie lächelte immer noch sanft. „Unsere ist die Wahrheit. Es stimmt nämlich nicht, dass die Drachen gegen die Menschen und gegen die Golem gekämpft haben.“ „Aber der Krieg...“, wandte Elaine ein, sprach jedoch nicht weiter. „Es gab damals einen Krieg, aber er wurde zwischen den Menschen und den Lenees ausgetragen.“ Das konnte sie nicht glauben. Unter diesen Voraussetzungen würde die Kirche gelogen haben, aus einem Grund, den sie nicht einmal erahnen konnte. Was sollten sie davon haben? Es gab immerhin keinen Grund, gegen die Drachen zu hetzen. „Es ging darum, dass die Menschen eine Energiequelle in den Drachen sahen“, erklärte Garnett ungefragt. „Sie fanden Mittel und Wege, diese Wesen zu ihren Zwecken einzusetzen und ihnen Lebensenergie zu entziehen, um damit Strom zu erzeugen.“ Elaine dachte wieder an die Kirche, in der Lichter ohne Feuer gebrannt hatten, der Raum vor der Drachenhöhle und schließlich das Wesen, das sich in Stein verwandelt hatte. War er wirklich deswegen dort eingesperrt gewesen? „Die Lenees wollten das nicht akzeptieren und forderten die Menschen auf, die Jagd auf Drachen und das Ausnutzen dieser einzustellen. Weil sie es nicht taten, kam es zum offenen Krieg, in dem die Lenees schließlich die Golem einsetzten.“ „Aber wie kam es zum Nebelerwachen?“ Sie war entschlossen, das alles erst zu glauben, wenn man ihr auch das erklären konnte, denn der Nebel hatte weithin seine Spuren hinterlassen, die ein nicht abzustreitender Fakt waren. Alles andere konnte nur das Ergebnis von zu wilden Geschichten sein, aber der Nebel war eine Tatsache. „Ich fürchte, das kann dir nur Caleb wirklich beantworten.“ Garnett lächelte entschuldigend. „Diese Information wird geheimgehalten.“ „Von wem?“ Garnett warf Aras einen Blick zu, den Elaine nicht zu deuten wusste, aber sie hoffte, dass es kein geheimes Zeichen war, sie aus dem Weg zu räumen. Da nichts weiter geschah, war es das wohl nicht, aber entspannen konnte sie sich dennoch nicht. „Du bist ziemlich neugierig, was?“, bemerkte Garnett amüsiert schmunzelnd. „Das ist eine gute Eigenschaft, ich war früher auch so. Okay, vielleicht bin ich es heute noch.“ Wirklich beruhigt fühlte Elaine sich davon noch nicht, mit stoischem Gesichtsausdruck wartete sie nach wie vor auf ihre Antwort. Aber Garnett seufzte leise. „Du wirst es mir ohnehin nicht glauben, aber es ist die Kirche selbst, die es geheimhält – und selbst Caleb hält sich daran.“ Dann war Caleb einmal ein Mitglied der Kirche? Diese Sache wurde immer seltsamer. Der Anführer der Rebellen war einst ein Mitglied der Kirche gewesen und hatte sich dann gegen sie gewendet, aus Gründen, die sie nicht kannte. Vielleicht, weil er die Wahrheit erfahren hatte? Oder kannten die Oberhäupter der Kirche die Wahrheit bereits und er wollte nur keine Lüge mehr leben? Das ist Unsinn!, rief sie sich selbst zur Ordnung. Es gibt keinen Grund, dass die Kirche lügt. Viel eher ist es Nimbatus, die sich etwas ausgedacht haben. Allerdings konnte sie das nun nicht aussprechen. Erst einmal musste sie die Ruhe bewahren und gute Miene zum bösen Spiel machen, bis sich ihr die Gelegenheit zur Flucht bot. Elaine atmete durch. „Gut, ich gehe einfach mal davon aus, dass das alles stimmt, auch wenn ich es nicht glaube. Was habe ich damit zu tun?“ Garnett schien nur auf diese Frage gewartet zu haben und ratterte einen Text herunter, den sie offenbar auswendig gelernt hatte: „Nimbatus will die Drachen und die Lenees um Vergebung für das bitten, was damals geschehen ist, damit sie mit vereinten Kräften die Welt wieder herstellen. Dafür benötigen sie aber einen Vermittler, jemand der von den Drachen als gleichwertig angesehen wird. Hin und wieder gibt es solche Menschen, die mit der Seele eines Drachen geboren werden und deswegen auch mit ihnen kommunizieren können.“ Die Stimme des Drachen kam ihr wieder in den Sinn. Sie hatte angenommen, dass es allen Menschen möglich war, mit ihnen zu sprechen, aber wenn nur manche über diese Gabe verfügten... „Moment mal! Mit der Seele eines Drachen geboren?!“ Elaine hatte so etwas noch nie gehört, es klang geradezu lächerlich, aber allein der Gedanke, dass sie zu dieser Art gehören sollte, jagte ihr eiskalte Schauer über den Rücken. Garnett lachte dagegen vergnügt. „Ich dachte schon, du würdest gar nicht darauf anspringen. Ja, es gibt Menschen, die mit der Seele eines Drachen geboren werden. Niemand weiß so recht, weswegen, aber es heißt, dass sie eigentlich aussehen wie Drachenmenschen.“ Elaine griff sich sofort ans Gesicht, um dieses nach den Schuppen abzutasten, die sie bei den Gefangenen gesehen hatte. Vielleicht hatte sie sich all die Jahre nur eingebildet, wie ein normaler Mensch auszusehen – aber zu ihrer Erleichterung ertastete sie keine. „Was ist mit den Menschen im Kerker?“, fragte sie. Warum waren sie allesamt eingesperrt worden? Warum wurden sie von Nimbatus nicht befreit? Garnett sah wieder zu Aras, der auf ihre unausgesprochene Frage antwortete: „Es waren noch andere Leute eingesperrt und von Elaines Reaktion ausgehend würde ich sagen, dass es auch Drachenmenschen waren. Für mich sahen sie aber normal aus.“ Diese Aussage ließ Garnett die Stirn runzeln. „Damit hatte ich nicht gerechnet. Sie haben anscheinend versucht, jemand Bestimmtes mit einer Drachenseele zu finden.“ „Ja, mich“, sagte Elaine, als sie sich wieder an Magdalenas Reaktion zurückerinnerte. „Aber weswegen?“ Garnett schien mit sich zu kämpfen, irgendetwas lag ihr auf der Zunge, aber sie durfte es offenbar nicht sagen und sie wollte sich auch unbedingt daran halten und gleichzeitig doch ihr Wissen teilen. Gerade, als sie den Mund aufmachte, um ihrem Drang nachzugeben – so hoffte Elaine jedenfalls – fuhr eine Erschütterung durch das Luftschiff, die derart heftig war, dass sie mit einem erschrockenen Schrei zu Boden stürzte. „Was...?!“ Ein Alarm erfüllte das Schiff und das gefiel Elaine noch wesentlich weniger. „Was passiert jetzt?“, fragte Aras, der sich inzwischen auf den Boden gekniet hatte, um nicht zu stürzen. Er musste gegen das anhaltende Schrillen der Sirene anschreien. Garnett klammerte sich an den Tisch, um nicht aus den Sessel zu stürzen. „Wir stürzen ab!“ Sie klang viel zu ruhig, wie Elaine fand, als ob sie schon mehrmals abgestürzt wäre und obwohl sie es für unangenehm befand, sah sie kein weiteres Problem darin. Wäre ich nur niemals eingestiegen, durchfuhr es Elaine, während sich das Luftschiff viel zu schnell dem Boden näherte. Ich hätte lieber im Kerker bleiben sollen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)