Intrigo e amore von -Amber- (And it's with you that I want to stay forevermore) ================================================================================ Kapitel 27: London - Ankunft in London -------------------------------------- Kieran[[BILD=^8207133.jpg]] Vergiss mich niemals, versprich mir das.. und ich werde dich nie vergessen. Es wäre gelogen, würde Kieran behaupten, dass er nicht an jene Nacht zurückdachte, an diese unfassbare Nacht mit diesem unfassbaren Mann. Er dachte täglich daran, stündlich, schier minütlich… Und je mehr er sich vornahm, es einfach zu vergessen und nicht mehr daran zu denken, desto mehr musste er daran denken. Wie sollte man das vergessen? Und das Fatale war auch das Reisen: man hatte so viel Zeit, um nachzudenken und seinen Gedanken nachzugehen. Fatih versuchte ihn abzulenken, was ihm bedingt auch gelang. Kieran merkte, wie seinen Bruder und besten Freund die Neugierde trieb, dass jener gerne gefragt hätte, was nun gelaufen war, ob es vorbei war, was noch kommen würde und so weiter und so weiter… Aber Kieran wollte nicht reden. Nicht, weil es ihm unangenehm war, darüber zu reden, dass er eine unglaubliche Nacht mit einem Mann erlebt hatte, sondern weil er Angst vor den eigenen Antworten hatte. Er wollte sich nicht sagen hören, dass Dominico ihn in jeglicher Hinsicht überrascht und umgehauen hatte. Und er wollte sich nicht sagen hören, dass er keine Ahnung hatte, ob er ihn wiedersehen würde, es aber hoffte. Und er wollte sich vor allem nicht sagen hören, dass es keine Zukunft hatte und sich niemals wiederholen würde, was sie sich in der letzten Nacht erlaubt hatten. Dominico war in einer gesellschaftlichen Schicht, in die er nie reinkommen würde, unabhängig davon, dass der andere verheiratet und ein Mann war. Es würde niemals gehen, niemals, schlichtweg niemals… Nicht, ohne dass sie sich immer wieder mehr oder weniger freiwillig verletzten. Und im Moment war das auch noch alles so irritierend und unerwartet heftig. Dass er sich darüber überhaupt Gedanken machte, war dumm. Also ließ er Fatih in seiner Neugierde unbefriedigt und versuchte erst einmal für sich, klar zu machen, was jetzt eigentlich passiert war. An den drei Tagen, die sie gen London zogen, war Fatih bei ihm, ohne ihn zu bedrängen, während er seinen Vater bewusst mied. Er war ihm noch so einige Erklärungen schuldig und er musste mit ihm noch so einiges erklären, was seine Zukunft betraf. Kieran war sich sicher, dass seine Mutter Timothy bereits darauf vorbereitete, dass Kieran sich in London von seiner Familie lösen würde, aber er würde es mit ihm persönlich besprechen müssen. Anders wäre es nicht möglich und unhöflich. Er war sein Sohn, etwas anderes hatte er ihn nie spüren lassen. Wer wäre er, wenn er sich einfach davon machen würde? Timothy, Dada, Fatih und all die anderen waren seine Familie, das Wichtigste und Sicherste, was er sein eigen nennen konnte. Er musste klären, wie die Zukunft aller Beteiligten nun aussehen könnte. Gregor hielt die Füße still. Offenbar hatte Timothy ihm das Messer auf die Brust gesetzt. Aber wenn sich ihre Blicke trafen, spürte er den schier blanken Hass des anderen deutlich. Sie zogen nach Tottenham, einem kleinen Ort, wo Timothy Verwandtschaft hatte. Sie würden binnen einer Stunde in London sein können, aber waren mit ihren Tieren, ihren Zelten nicht zu nahe an der Stadt dran. Es würde eine gute Mischung aus Stadtnähe und Landleben sein. Sie richteten sich so ein, dass sie länger hier bleiben würden, ohne auf ihre Zelte zu verzichten. Ein Haus wäre nichts für sie. Und so schlug auch Kieran sein Zelt auf, an genau der Position im Kreise der Familie, wo es immer stand. Aber er wusste, dass er hier bald nicht mehr schlafen würde. Und es war am Abend ihrer Ankunft in Tottenham, als sein Vater zu ihm ins Zelt kam und sie endlich redeten. Kieran hatte sich vorgenommen, nichts zu beschönigen und er erzählte ihm alles, was seit dem Treffen auf dem Marktplatz geschehen war. Timothy war nicht übermäßig glücklich über manche Dinge, aber er reagierte auch nicht verärgert darüber. Es war ein angenehmes Gespräch, ein offenes Gespräch, ein Gespräch, in dem sie auch über Vergangenes redeten, über Kathy, und über Zukünftiges, sein Verhältnis zu Nico, seine Hoffnungen, die keine waren, die Verpflichtungen und Chancen ihrer Gruppe, inwieweit er darin Teil sein sollte und musste. Sein Vater riet ihm nicht, sich irgendwas aus dem Kopf zu schlagen, er versuchte nicht, ihn davon abzubringen, sich als Arzt in London zu versuchen, Nico zu vergessen oder sonst irgendwelche Dinge nicht zu machen. Er sagte ihm zu seinen Plänen nur, dass er das Beste geben sollte und dass er hier bei ihnen immer ein Zelt vorfinden würde, zu dem er zurückkehren könne. An diesem Abend sprach er auch endlich mit Fatih und mit seiner Mutter. Und langsam aber sicher wich dieses beklemmende Gefühl in seinem Magen der Vorfreude vor dem, was auf ihn zukommen würde. London würde heftig sein für ihn, aber er mochte die Herausforderung. Kieran schlief in dieser Nacht das erste Mal ruhig und tief und ohne den warmen Körper zu vermissen, den er vor ein paar Tagen nachts neben sich hatte spüren dürfen – nun zumindest nicht ganz so arg. Er musste wohl einfach akzeptieren, dass es nicht ganz ohne Schmerz ging. Er hatte es vorher nicht wissen können, hatte es zwischendrin vermutet, aber nicht verhindert, und jetzt musste er es einfach akzeptieren. Jammern half nicht und jammern passte auch nicht zu ihm. Kieran war motiviert und so machte er sich bereits am nächsten Morgen nach London auf. Er musste sich ein wenig zurechtfinden. Das Geld, das Timothy für ihn gespart und zurückgelegt hatte, würde ihm einige Zeit helfen, über die Runden zu kommen, aber er wollte es auch nicht unnötig verschwenden. London war größer, als er erwartet hatte. Man merkte die Präsenz der Kirche. Die meisten großen Anlagen waren kirchliche Einrichtungen. Und man merkte die Präsenz des Königs. Was Kieran von den Anlagen des Königs sah war gigantisch. Dabei konnte er vom Palast so gut wie kaum etwas sehen. Aber was er sah, an Regierungsgebäuden, Stallungen etc. war mehr als beeindruckend. Allerdings war das nicht sein Hauptaugenmerk. Seine Mutter hatte gesagt: „Geh sehend durch die Stadt.“ Und er bemühte sich, genau das zu tun. Die ersten Tage war er nur damit beschäftigt, sich zu orientieren, die Nischen, die Orte zu finden, an denen er sich wohlfühlte. Er fand zumindest schon einmal eine Schmiede in der Nähe des Schlosses, in der er Niamh guten Gewissens unterstellen konnte und die überraschend günstig war, wenn er mit anderen verglich. Außerdem fand er einen Schneider, der zu angemessenen Preisen ihn neu einkleidete. Er musste die Möglichkeit haben, sich entsprechend anzuziehen, falls er jemals an die Uni kam, oder vielleicht sogar an den Hof. Was wusste er schon? Aber dann ging es nicht an, dass er dann erst Klamotten orderte. Die Kleidungsstücke, die Dominico ihm gegeben hatte, halfen ihm jetzt zu Beginn nicht für einen Landstreicher gehalten zu werden. Aber langfristig würde er, so hoffte er, mehr brauchen, als nur diesen einen Anzug. Nach ein paar Tagen merkte er, dass er nicht weiterkam, wenn er jeden Nachmittag zurück in ihr Lager kehrte. Und so schaffte er es, in einer dieser Wohnungen einen Schlafplatz zu bekommen, in denen sich acht Parteien einen Raum teilten, in dem jeder in etwa auf 2m² ein Bett und eine kleine Kommode stehen hatte. Es waren Auffanglager für die vielen Flüchtlinge, die zumeist aus dem Süden Englands nach London kamen, in der Hoffnung dort Arbeit zu finden. Es war besser als nichts, definitiv. Aber es war auch nicht sehr angenehm. Das vordere Bett war von einer Hure, die manchmal nachts einen ihrer Freier mitbrachte. Am Fenster lag ein Mann, der so hustete, dass Kieran sicher war, dass er bald sterben würde. Eine alte Frau lag schnaufend in einem der anderen Betten und redete ständig mit sich selbst. Kieran schützte sich vor den Wanzen, die in der Strohmatratze nach seinem Blut lechzten, mit Zitrone und Lavendel. Die Folge davon war, dass ein junger Mann, der offenbar in einer großen Schmiede arbeitete, ihm immer ein „Schwanzlutscher“ oder „Arschficker“ nachflüsterte. Kieran ignorierte es. Es war ja so, also was sollte es. Zumindest hielten sich die Bisse in Grenzen, die anderen sahen viel Schlimmer aus. Kieran verbrachte nur die nötigste Zeit dort. Abends erkundete er London bei Nacht, entdeckte Etablissements, in denen eher jüngeres Publikum war, wo man diskutierte, redete, sich unterhielt, wo es Studenten hinverschlug und junge Männer aus der höheren Mittelschicht, junge Frauen mit einem gewissen Charakter, der es ihnen möglich machte, dort zu sein, sich zu behaupten und dennoch nicht als Huren abgetan zu werden. Es war eine angenehme Atmosphäre, auch wenn es manchmal anstrengend war, weil viele doch dazu neigten, zu schauspielern, um etwas vorzugeben, was sie vielleicht doch gar nicht waren, nämlich intellektuell. Er musste in seiner Herberge spätestens um 23:30 sein, dann wurde die Tür abgesperrt, so dass er oft der letzte war, der in sein Bett kroch, und morgens oft der erste, der wieder auf Tour ging, um sich London weiter zu eigen zu machen. Dennoch wusste er, dass er nichts lernen konnte, nicht weiterkäme, wenn er nicht bald aus diesem Loch herauskam. Was ihn letztlich dort rausholte, war reiner Zufall gewesen. Seine Mutter hatte recht gehabt: Sehenden Auges durch die Stadt laufen! Und was er sah war ein älterer, durchaus rüstiger Mann gewesen, ein Mann, der gut angezogen war, intelligent war, definitiv wohlhabend und dennoch nicht zum Hof gehörend. Der Mann wirkte streng, etwas vom Leben gezeichnet, aber dich freundlich. Er hatte einen Laden, in dem Arzneien verkauft wurden, eine „Drogerie“, wie auf dem Schild stand. Als er ihn sah, beriet er gerade eine ältere Frau auf den Stufen zu seiner Ladentür. Kieran hörte es zufällig, wie sie sich über ihre Kinder unterhielten und dass der Mann klagte, dass sein Sohn, der ihm sowieso oft keine große Hilfe war, ihm nun noch weniger unter die Arme greifen konnte, seit er Medizin studiere. Kieran hörte trotz der Vorwürfe auch einen gewissen Stolz, der mitschwang, was ihm wieder bestätigte, dass der Mann nicht dem Adel angehörte, der seine Söhne einfach so zum Studieren schicken konnte, wie er wollte. Kieran war direkt zu ihm gegangen und hatte ihm seine Hilfe angeboten. Überrascht war der Mann und blickte ihn aus kühlen Augen musternd an. Es war ein durchdringender Blick, als könne er ihm direkt in den Kopf blicken. Aber offenbar war der Mann, der sich als Mr. Forbes vorstellte, neugierig und so gab er ihm eine Chance. Und Kieran bewährte sich, so dass er von nun an in der Drogerie mithalf. Es war eigentlich dreierlei: ein heller, freundlicher Laden, in dem in hohen Schränken alles mögliche und unmögliche zu kaufen war; ein Labor, in dem vor allem sein Sohn Arzneien kredenzte; und eine Arztpraxis, denn alle Menschen aus der Umgebung kamen zu ihnen, um Medikamente zu bekommen, die sie aber nicht bekamen, wenn sie sich nicht vorher haben untersuchen lassen. Kieran war genau in seinem Element und es machte ihm ungeheuer viel Spaß. Und Mr. Forbes schien glücklich, jemanden so kundigen und engagierten gefunden zu haben. Bald dürfte er den wenig herzlichen, aber sehr fachkundigen Mann auch zu Patienten nach Hause begleiten. Die Menschen, zu denen er nach Hause ging, gaben ihm meist als Bezahlung etwas Selbstgemachtes, sei es Essen, sei es etwas Handgearbeitetes, sei es etwas wie liebe Worte. Mr. Forbes kannte alle Menschen des Viertels, und kündigte ihm schon immer an, was die Leute wohl tun würden, um ihre „Schuld“ zu begleichen. In Mr. Forbes selbst hatte er eine Koryphäe gefunden. Er war ein wandelndes Lexikon über Kräuter, Arzneien, Rituale und auch Mythen. Er hatte eine ungeheure Erfahrung und war sogar bei den Ärzten des Königs angesehen. Mr. Forbes kümmerte sich jedoch nur um das Personal am Königshofe, nicht um die Adeligen dort selbst. Er war ja nicht studiert, auch wenn Kieran klar war, dass Mr. Forbes vermutlich der beste Arzt der Stadt war. Kieran lernte jedenfalls eine Menge von ihm und ihre Gespräche waren tiefgründig und für Kieran mehr als ergiebig. Und auch so verstanden sie sich gut. Bald hatte Kieran das Gefühl, wie eine Art Sohn behandelt zu werden. Oft lud er ihn zu sich in die Wohnung ein, um gemeinsam zu Mittag zu essen, wobei jener davon profitierte, dass Kieran ihm etwas kochte. Mr. Forbes erzählte ihm, dass seine Frau war vor etlichen Jahren an einer Krankheit gestorben sei und sein Sohn ihm nur bedingt eine Hilfe sei. Immer mehr eingespannt und irgendwann auch abends im Laden, dauerte es nicht lange, bis Kieran auch den Sohn des Hauses kennenlernte, der oft spät von der Universität heimkam: John Forbes, ein junger Mann in seinem Alter, der Kieran auf Anhieb sympathisch war. [[BILD=8207131.jpg]] Und die Sympathie beruhte wohl auf Gegenseitigkeit, denn ihm hatte Kieran es zu verdanken, dass er umziehen konnte. John war es, der seinem Vater vorschlug, Kieran den Dachboden zu überlassen. Oben lag nur Gerümpel, aber der Raum waren groß genug, dass er genügend Platz haben würde. Mr. Forbes ließ sich nicht lange bitten, fragte Kieran, ob ihm das recht sei, er habe nur die Bedingung, dass kein Frauenbesuch mit hierher gebracht werden würde. Kieran konnte mit einem Lächeln in der Stimme ihm dies versichern. Und es war wohl dieses Lächeln, das John wahrnahm und mit einem fragenden Blick beantwortete. Kieran zwinkerte ihm zu und jener quittierte sein „Verstehen“ mit einem wissenden Lächeln. Mr. Forbes bekam davon nichts mit, ging mit Kieran die Stiege unters Dach hinauf. Das Haus hatte drei volle Stockwerke und eben jenen Dachboden. Kierans Augen begannen zu leuchten. Das war genau das, was er sich nur hatte erträumen können. Das nächste Wochenende verbrachten er und John damit, den Dachboden freizuräumen. Es war nicht viel gelagert, aber sie schleppten doch ganz schön. Dann putzte er und begann sich zu überlegen, wie er es gestaltete. Heraus kam ein gemütliches Zimmer, in dem im hinteren Teil in einer Nische eine Matratze lag, auf der Kieran verdammt gut schlafen konnte. Im vorderen Bereich stand ein Tisch mit Stühlen, auf dem mittlerweile meistens seine Bücher lagen oder Kräuter zum Trocknen, oder die Tageszeitung ausgebreitet war – er musste üben, flüssiger zu lesen und zu schreiben. Er hatte einen Anschluss an den Kamin und damit einen Ofen, auf dem er kochen konnte und der ihn in den kalten Nächten warm halten würde. Er hatte sogar eine Couch, die auf dem Dachboden gestanden hatte und die Mr. Forbes ihm vermachte, als Kieran gehört hatte, dass er sie sonst anderweitig hergeben würde. Duschen konnte er im Hinterhof und wenn er wolle, dürfe er hin und wieder auch den Zuber benutzen, wenn es gerade passte. Kieran hatte auf seinen Streifzügen ohnehin schon die öffentlichen Badehäuser erkundet. Er brauchte Wasser, um sich zu entspannen. So war es eben. Nun eingerichtet holte Kieran seine Sachen aus Tottenham. John war fasziniert von den Abschriften, die Kieran vom König erhalten hatte und die er fleißig bemüht war, zu studieren. Gemeinsam verbachten sie Abende damit, darin zu lesen, ihre Erfahrungen auszutauschen und einfach so zu reden. Es war seltsam, denn wenn er an die Worte dachte, die Mr. Forbes für seinen Sohn übrig hatte, so hätte dieser ein Tagedieb, Taugenichts und Tunichtgut sein müssen, der von Glück sagen könnte, dass er das Studium bekommen hatte. Wen Kieran aber in ihren gemeinsamen Abendstunden kennenlernte, war ein intelligenter, fachkundiger Mann, der mit zynischer Zunge die Welt sehr realistisch betrachtete. Etwas musste zwischen den beiden vorgefallen sein, dass sein Vater so wenig gute Worte für seinen Sohn fand, der redlich bemüht war jeglichen Ansprüchen zu genügen. Wenn er versuchte, darüber etwas Geräts zu finden, blickte John ab. "Es ist wie es ist. Lass gut sein!" John wollte eigentlich schon gerne die Drogerie weiterführen, aber ohne das Studium wurde sein Vater das nicht erlauben. Das Studium sagte ihm in keinster Weise zu, aber dennoch ackerte er auch dafür. John gestand Kieran, dass er kein Blut sehen konnte und die Stunden, die er in der Anatomie verbrachte, in denen an Leichen, meist von Obdachlosen und Bettlern, herumgeschnitten wurde, bereiteten ihm Grauen. Er ekelte sich vor offenen Verletzungen und vor Menschen, die vor sich hinsiechten. John liebte sein kleines aber feines Labor. Er experimentierte viel und kredenzte wirklich gute Arzneien und Elixiere. Kieran nötigte John dazu, ihm so viel es ging von dem Studium und seinen Inhalten zu erzählen, saugte das Wissen auf. Wenn er schon selbst nicht einfach so studieren konnte, so konnte er vielleicht so ein wenig dazulernen. Und John könnte dadurch die Stoffmenge bewältigen - Lernen durch Lehren. John und Kieran waren sich nicht nur sympathisch, sondern sie verbrachten nun viel Zeit miteinander, rein freundschaftlich. Obwohl Kieran merkte, dass John sich vielleicht auch mehr vorstellen konnte, ging er nicht darauf ein. Zu frisch waren die Erinnerungen an Dominico und außerdem wäre es unklug, ausgerechnet mit dem Sohn seines Chefs und Vermieters etwas anzufangen. Die Freundschaft, die sich immer mehr festigte, war ihm mehr wert, als mit ihm ins Bett zu steigen. Zumal das ohnehin nur Ablenkung gewesen wäre. Ablenkung von dem fehlenden warmen Körper, den streichelnden Händen, den küssenden Lippen, die er eine Nacht hatte genießen dürfen. Und das war nicht fair - John gegenüber. Es würde alles zerstören, was ihn gerade so glücklich machte. Wobei John vieles was das betraf offenbar gar nicht so ernst zu nehmen schien... Während Kieran die Tage damit verbrachte, als „Arzt“ zu arbeiten, in der Drogerie Arzneien herzurichten und Mr. Forbes unter die Arme zu greifen, verbrachte er die Abende damit, zu lernen und mit John Zeit zu verbringen. Die Wochenenden, an denen er zu seiner Familie anfangs immer bei seiner Familie war, wurden weniger und er blieb immer öfter in London selbst. Und so kam es schließlich, dass er sich John anschloss, der über das Wochenende nachts offenbar nie zu Hause war. So zogen sie nun nachts auch gemeinsam um die Häuser. John kannte die „junge Szene“ Londons gut, stellte Kieran anderen Studenten vor, die mit ihm Medizin studierten. Aber nicht nur hinsichtlich der „Bildungs-Schicht“ kannte sich John in London aus. Er wusste auch, wo man als Mann hingehen musste, wenn man andere Männer treffen wollte. Er dachte oft an Nico, an jene Nacht, an die Erwignisse in Cambridge. Auch an Alessio und Finley. Wie es da wohl weitergegangen war? Aber je länger das alles und jene Nacht zurücklag, desto bewusster wurde ihm, dass es eine einmalige Geschichte sein würde. Er hatte sie genossen und würde wohl noch oft daran denken, aber es war selbstzerstörend, sich Hoffnungen auf mehr zu machen. Es nagte an ihm, es schmerzte, aber es war nun mal die Realität und er hatte ja gewusst, worauf er sich einließ, zumindest teilweise. Klar, er hatte nicht gewusst, wie unglaublich sie irgendwie zusammengepasst hatten, wie tief Dominico ihm unter die Haut gehen würde, aber jetzt war es so, wie es war und er musste nach vorne schauen. Und vielleicht lag es daran, dass er Dominico nicht so einfach vergessen konnte, wie er es gehofft hatte, dass er an einem Abend das Angebot annahm, das ihm ein anderer junger Mann machte. Er musste sich ein wenig ablenken, musste sehen, dass es auch etwas anderes gab, außer Dominico, der unerreichbar war. Und so hatte er nun hin und wieder Sex. Sex, um den Kopf frei zu bekommen, reinen unkomplizierten, praktischen Sex, der Befriedigung willen. Und doch verglich er und wusste, dass es so viel mehr geben konnte, wenn man sich auf einer anderen Ebene nah war, so wie er und Dominico sich nah gewesen waren in jener Nacht. Dennoch tat es ihm gut, wenigstens bei einem Quicky, einem One Night Stand wieder das Gefühl zu haben, begehrenswert zu sein, auch wenn er sich oft dabei ertappte, an jemanden anderen zu denken, an Dominico zu denken. Eines Abends, als sie wieder unterwegs waren, fragte ihn John direkt, ob er nicht auf der Suche nach einer festen Beziehung sei, fragte ihn, warum er sich auf die schnellen Nummern einließe. "Es passt nicht zu dir und dein Gesicht davor und danach verrät mir, dass ich recht habe." Kieran war überrascht, wie gut John ihn durchschaute. Er überlegte einige Zeit und John hatte wohl schon die Hoffnung aufgegeben, überhaupt noch eine Antwort zu bekommen, als Kieran sagte: „Es gibt wohl nur einen Mann, mit dem ich mir momentan etwas Festes vorstellen könnte. Und der ist so weit weg von mir, wie die Sterne, so unerreichbar wie der Mond. Ich weiß, dass es niemals möglich sein wird. Ich weiß, dass ich, selbst wenn ich ihn wiedersehen werde, mich nicht auf ihn einlassen darf, weil es mich sonst kaputt macht. Rational weiß ich das alles. Aber ich bin dennoch nicht darüber hinweg.“ John nickte und sie schwiegen eine Weile, bis der andere sagte: „Sag mir bitte, wenn du über ihn hinweg bist. Dann feiern wir mit freiem Kopf.“ Kieran lächelte, erwiderte aber nichts. Er wusste, dass John eine Freiheit genoss und sich bewusst auf niemanden tiefer einließ. Dass sie so gut befreundet waren, obwohl sie so verschieden waren, war eigentlich ein Wunder. Oder vielleicht gerade deshalb? Sie gaben sich gegenseitig, wozu sie sonst nicht fähig waren. John öffnete sich ihm und Kieran schaffte es dank John, sich wieder etwas freier zu fühlen. Denn John hatte recht damit, dass die schnellen Nummern für ihn nichts waren. Und so verging die Zeit schneller, als er geglaubt hätte. Und der Gedanke an das, was er Dominico versprochen hatte, drängte sich ihm mehr und mehr ins Bewusstsein. Mr. Frobes hatte angekündigt, ihn demnächst mit zum Hof zu nehmen, damit er ihm bei den Kranken der Angestellten helfen konnte. Wenn er Dominico dort begegnete, wäre es ihm unangenehm, wenn er sich vorher nicht gemeldet hätte. Zumal er Angst hatte, dass Amadeo doch irgendwann bei seinen Eltern auftauchen würde, dort aber keine Nachricht hinterlassen hätte. Wahrscheinlich würde ihm seine Mutter dann sagen, wo er zu finden wäre. Sie kannte die Adresse, sie wusste, dass es ihn nicht stören würde, wenn sie die Daten weitergab. Dennoch wollte er ihm selbst schreiben, ihm mitteilen, dass er in London angekommen war und auf dem richtigen Weg war, Arzt zu werden. Und so schrieb er ihm schließlich eine Nachricht, einen Brief, in dem einzig und alleine seine Adresse stand und in den er eine getrocknete Arnikablüte mit hineinlegte. Dominico würde wissen, was das zu bedeuten hatte. Und entweder würde Amadeo kommen, oder eben nicht. Letztlich legte er Dominico nun in die Hände, was die Zukunft bringen würde. Vielleicht würde er ihm auch einfach nur eine Nachricht zukommen lassen, oder er würde ihn besuchen oder vielleicht würde Amadeo auch nie auftauchen und Dominico würde es dabei belassen, was sie gehabt hatten. Und egal, was wäre, Kieran würde es akzeptieren. Wenn er keine Lust auf Lernen oder Arbeiten oder Ausgehen hatte, dann setzte er sich an seinen Lieblingsplatz, zu dem auch John nicht mitkam. Er öffnete das Dachfenster, stieg auf einen Stuhl und zog sich auf das Dach hinauf, kletterte über die Stiege der Schornsteinfeger hinauf auf den First, um sich an den Schornstein zu lehnen und über London zu blicken. Er liebte diesen Ort, weil er hier ein wenig das Gefühl von Freiheit hatte, das ihm so oft fehlte. London war toll für ihn, er merkte, dass es ihm gut tat. Und doch fehlten ihm viele Dinge, die er vorher gehabt hatte. Es war alles beengter hier, die Arbeit war disziplinierter, kostete ihn viel Zeit, schöne Zeit, sicher, aber auch anstrengende Zeit. Er merkte, dass sein Körper die Bewegung vermisste, die er vorher gehabt hatte, so dass er jede Gelegenheit wahrnahm, sich einen Ausgleich zu verschaffen. Und London erdrückte ihn ein wenig: die vielen Menschen, die engen Gassen, das große Leid auf der einen, der große Reichtum auf der anderen Seite. Manchmal gab es Tage, an denen der immerwährende Gestank von Exkrementen, Fäulnis und Müll ihm die Kehle zuschnürte, wo er dann auf das Dach stieg und die frischere Luft, den leichten Windhauch genoss, der ihm dort um die Ohren wehte. Oft verbrachte er seine Mittagspause in den öffentlichen Grünanlagen, diejenigen, die die Kirche dem Volk zugänglich hielten. Am Wochenende besuchte er seine Familie, trainierte mit ihnen, auch wenn er nicht mehr die tragende Rolle im Programm war, so war er immer noch Teil dieses und er würde jederzeit einspringen können, wenn es notwendig war. Es tat ihm gut, immer wieder seine Mutter zu sehen, Fatih und seinen Vater und all die anderen, auch wenn ihm der Blick von Gregor missfiel, der ihm immer noch vorzuwerfen schien, zum einen, dass er an Männern interessiert war, zum anderen dass er eine Hure des Adels war. Aber was sollte Gregor tun? Er profitierte immerhin von der Gesamtsituation und so schwieg er letztlich. Kieran war es egal. Er hatte Timothy die Wahrheit gesagt und wenn Gregor etwas anderes glaubte, dann war das nicht sein Problem. Mehr regte ihn auf, dass Felicitas ihrem Mann nicht eine klare Ansage machte und Kieran nicht in Schutz nahm. Aber sie war leider immer schon ein wenig zu sehr ein Fähnchen im Wind gewesen und Kieran wusste, dass sie ihrem Mann nichts entgegenzusetzen ja vielleicht sogar Angst vor ihm hatte. Seine Familie jedenfalls würde bald ihre ersten Gelegenheiten haben, bei Hofe aufzutreten und Kieran war mehr als stolz auf das, was seine Familie da auf die Beine gestellt hatte. Und vielleicht nahm er die Gelegenheit wahr, mit an den Hof zu gehen. Aber nur, wenn er bis dahin etwas von Dominico gehört hätte oder seine Familie ihn wirklich brauchen würde. In Summe war London eine Wohltat, er merkte, wie er daran wuchs, wie er… ja… irgendwie erwachsener und selbstständiger wurde. Der Lohn, den er erhielt, reichte, um sich gut zu versorgen und etwas zur Seite zu legen. Andere Männer würden sich jetzt Frauen suchen und Kinder zeugen… Und er? Er hing noch immer dieser Nacht nach. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb er erst jetzt Dominico geschrieben hatte. Er fürchtete sich ein wenig davor, ihn wieder zu sehen. Wie schmerzhaft würde es werden? Jener hatte sich sicher schon mit den vielen Möglichkeiten zerstreut, die er bei Hofe hatte. So, wie es Männer in seiner Position eben taten. Aber das war ja auch sein gutes Recht. Kieran zerstreute sich ja auch. Vielleicht würde er sich auch gar nicht bei ihm melden. Kieran wusste, dass Dominico all die Sachen, die er gesagt hatte – mit Italien/Spanien etc. – so gemeint hatte. Aber würde er ihn wirklich mitnehmen können? Kieran gab sich keiner Illusion hin. Und was sollte er tun, wenn er Dominico wiedersehen würde und wenn der andere ihm nahe kommen würde? Er dachte oft darüber nach, was wäre wenn… Aber zu einem endgültigen Schluss war er noch nicht gekommen. Für ihn wäre es das Beste, wenn sich eine solche Nacht nicht wiederholen würde. Aber würde er das können? Würde er widerstehen können? Andererseits: Was wäre, wenn er sich hin und wieder dazu hinreißen ließe, mit Dominico das Bett zu teilen? Wie würde es ihm dabei gehen? Warum könnte er nicht einfach nehmen, was er bekam und sich daran erfreuen? Hin und wieder ein wenige Nähe, ein wenig Zärtlichkeit? Könnte er das nicht einfach? Er stand doch sonst immer gerne über den Dingen. Warum hier nicht einfach egoistisch sein und Dominico letztlich benutzten? Aber der Gedanke kam ihm abwegig vor. Eine reine Fickbeziehung konnte er sich einfach nicht vorstellen. "Es passt nicht zu dir." - hörte er Johns Worte und sah dessen musternden, ehrlichen blauen Augen vor sich. Und selbst wenn, eines war klar: So oder so, wären sie wirklich zusammen oder würden sie sich einfach nur bei Gelegenheit nahe sein, würde es schmerzhaft sein. Er wollte Dominico gerne noch einmal so nahe sein, sich mit ihm auf gleicher Augenhöhe unterhalten, Sex mit ihm haben. Aber er wollte auch nicht das Gefühl haben, ein Lustknabe zu sein, den man bei Bedarf vögelte und ansonsten darauf bedacht war, ihn zu verstecken. Das, was ihn dabei am meisten verletzen würde, wäre, dass Dominico nie zu ihm stehen könnte. Er würde ihm daraus keinen Vorwurf machen, schließlich war die Gesellschaft schuld daran, dass es so war, und sie nur Opfer eben dieser. Und dennoch wollte er sich diesen Schmerz ersparen. Oder? Aber er sollte nicht über Dinge nachdenken, die ohnehin nicht zur Debatte standen. Es war eine einmalige Geschichte gewesen, nicht mehr und nicht weniger. Und irgendwann würde er das auch wirklich abschließen können - vermutlich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)