Intrigo e amore von -Amber- (And it's with you that I want to stay forevermore) ================================================================================ Kapitel 112: London 3 - Katerstimmung ------------------------------------- Tancrèd [[BILD=8258113.jpg]] Als Tancred einige Zeit später wieder auf der Straße stand, fühlte er sich besser. Er wusste zwar nicht, ob es wirklich viel Sinn gemacht hatte, dem alten, störrischen Mann etwas von seiner Meinung aufzuzwingen, doch wenigstens seine Drohung hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Mr. Forbes würde sich hüten, schon allein um seiner selbst willen, diesen Auftrag irgendwie in Gefahr zu bringen. Da John nicht in der Apotheke gewesen war, vermutete Tancrèd ihn an der Adresse, die er auf dem Zettel gefunden hatte. Also machte er sich auf den Weg, der sich als erstaunlich kurz herausstellte. Anscheinend hatte es John nicht sehr weit von seinem Elternhaus weggezogen. Etwas erstaunt betrat Tancred ein Gasthaus, in dem um diese Zeit noch nicht wirklich viel los war. Er schlenderte gemächlich zum Tresen, an dem eine ältere Frau energisch verschüttetes Bier vom polierten Holz schrubbte. "Entschuldigen sie bitte..", sprach er sie an, woraufhin sie mit freundlichem Lächeln den Kopf hob. "Ich suche einen John Forbes…" "Oh ja. Er wohnt über unseren Stallungen." Sie deutete in den Hinterhof. "Aber ich glaube nicht, dass er da ist. Zumindest habe ich ihn heute noch nicht gesehen." Tancred nickte und zückte den Schlüssel. "Er erwartet mich, aber wir haben keine wirkliche Uhrzeit ausgemacht. Ich werde einfach oben auf ihn warten." Da Tancred ihr nicht den Eindruck machte, ein Einbrecher zu sein, und da sie eher glaubte, dass bei dem jungen Arzt nicht viel zu holen war, ließ sie Tancrèd zum Hinterhof durch. "Achten sie auf den Hund!", rief sie ihm noch nach, ehe die Tür wieder zufiel. Tancrèd fand sich in einem mehr als Abstellplatz genutzten Hinterhof wieder und ging zu den leeren Stallungen hinüber. Dort fand er eine Holztreppe, die hinauf in anscheinend bewohnte Räume führte. Vor der Treppe lag ein riesiger Hund. Dieser schien behaglich in einem Haufen alten Strohs geschlafen zu haben und sah auf, als Tancrèd hinzukam. Der Franzose hatte nicht wirklich Angst vor Hunden, und dieses Exemplar wirkte nicht sonderlich gefährlich. Tancrèd streckte die Hand aus und ließ den Hund schnuppern, wurde schon kurz darauf quasi überfallen und musste das Tier erst einmal ordentlich kraulen, ehe es ihn zur Außentreppe ließ. Tancrèd stieg hinauf zum Freigang, öffnete mit dem Schlüssel die einzige Tür und fand tatsächlich eine leere Wohnung vor. Anscheinend war John wirklich nicht zu Hause. Er schloss die Türe hinter sich und sah sich um, interessiert betrachtete er Johns Tisch, auf dem er offensichtlich lernte oder Aufzeichnungen machte. Es roch nach Kräutern, ein sehr angenehmer Geruch. Ein rustikales Bett stand in einer Ecke des Zimmers. Tancrèd sah zur Tür, dann wieder zum Bett und entschied, dass es für ein Nickerchen nie die falsche Zeit gab. Er zog sich die Jacke und die Hose aus, stellte die Stiefel neben das Bett und hängte den Hut an einen Pfosten, ehe er sich auf die erstaunlich bequeme Matratze fallen ließ und die Augen schloss, um zu dösen. John [[BILD=8240521.jpg]] Gott, er verfluchte den Alkohol!!!! Wie hatte er sich nur darauf einlassen können, noch den Abend zu bleiben. Sein Schädel dröhnte, als er sich aus dem Bett rollte und mit schweren Gliedern hinaus auf den Hof trat, um sich kalt am Brunnen zu duschen. Vielleicht würde das seine Lebensgeister wecken, schließlich musste er in die Apotheke, um seinem Vater bei der Lieferung zu helfen. Die war bestimmt schon da und sein Vater überlegte vermutlich bereits, ihm das Gehalt zu kürzen. Aber kürzer durfte es kaum sein, wenn John wirklich auf eigenen Beinen stehen wollte. Vielleicht sollte er im Chamber's fragen, ob sie noch einen Nebenjob für ihn hatten, damit er finanziell wirklich sicherer dastand. Dass Dominico ihm zugesichert hatte, dass die Apotheke genug Arbeit bekam, kam ihm selbst zwar auch zugute, aber am meisten profitierte definitiv sein Vater davon. Er würde genug zu tun haben, aber ein Nebenjob würde ihn ein wenig entlasten, was seinen Vater betraf. "Streuner?", fragte er halblaut, aber der Hund war nicht da. Er hatte ihn schon am Abend vermisst, als er ins Bett gewankt war. Normalerweise legte er sich immer zu ihm. Ob er alleine unterwegs war? Nun, letztlich war es nicht 'sein' Hund, sondern ein freier Hund. Aber irgendwie hatte er sich so an seine Anwesenheit gewöhnt... Vielleicht tauchte er wieder auf. John kehrte leicht schlotternd ins Labor zurück und zog sich sein Hemd und seine Hose an. Er roch den Alkohol und die Zigaretten daran und er wusste, dass er noch nach Hause müsste, wenn er nicht so bei seinem Vater auftauchen wollte - was keine gute Idee wäre. Sein Vater schaute ihn ohnehin immer so misstrauisch an. Die Kapelle des Anwesens sagte ihm, dass es bereits Mittag war. Er musste dringend nach Hause! Der Abend war gestern einfach zu lang und mit zu viel Alkohol verbunden gewesen. John packte seine Sachen zusammen und ging zum Stall, sattelte sein Pferd, wobei ihm einer der Angestellten half und kurze Zeit später war er auf dem Heimweg. Streuner war, obwohl er noch öfters gerufen hatte, nicht aufgetaucht. Der Abend war ganz anderes verlaufen, als er es womöglich am gestrigen Morgen noch gedacht hätte. Kierans Worte hatten sie beide gerügt und zum Nachdenken gebracht - aber dass er an diesem Abend noch mit Dominico auf ein Band der Freundschaft angestoßen hatte, daran war definitiv der Alkohol schuld gewesen. Und Kieran, der darauf bestanden hatte. Wobei es ihn jetzt auch nicht wirklich störte. Sie hatten es tatsächlich geschafft, sich ein wenig normal zu unterhalten. Dieses elendige Gefühl, von allen allein gelassen zu werden, war weit weniger schlimm, als noch vor ihrem Streit. Er war erstaunt gewesen, wie abgeklärt und klar Dominico manche Dinge sah. Er hatte ihm einen verklärteren Blick zugedacht. Aber so konnte man sich täuschen. Das, was Alessandro und er für ihn und die Apotheke taten, rechnete er ihnen hoch an, auch wenn sein Vater das niemals verdient hatte. Dennoch war ihm die Apotheke wichtig. Der Rest waren Befindlichkeiten. Jetzt würde es an ihm liegen, was er tun würde, wenn es soweit war. Würde er mitgehen oder nicht? Er stieg vom Pferd ab und beschloss, es erstmal zu behalten. Vielleicht würde er noch einmal zum Hafen reiten. Schließlich würde Tancrèd in drei Tagen auslaufen und ob der Kapitän dann noch Zeit hatte, zu ihm zu kommen, bezweifelte er stark. Sicher war er wieder mit seiner Crew beschäftigt, das Schiff auf Vordermann zu bringen. Einen Moment tauchte der Lockenkopf vor seinem inneren Auge auf, doch er schob den Gedanken an Kadmin schnell wieder zur Seite. Sie hatten darüber geredet. Es war geklärt. Und Tancrèd hatte ihn noch nie belogen. Er führte das Pferd also in den Hinterhof, wo Streuner auf ihn wartete. "Hier bist du also!", sage er und spürte eine gewisse Erleichterung in sich aufsteigen. Er hatte das große Zotteltier irgendwie in sein Herz geschlossen. Vielleicht weil es ihn beeindruckte, wie sehr er auf ihn fixiert war. So etwas war ihm noch nie passiert. Der Hund schien genau zu wissen, wen John mochte und wen nicht, wie es ihm ging und was er machen wollte. So etwas hatte er noch nie erlebt. Er versorgte das Pferd in der Box und Streuner schien ganz aufgedreht zu sein. Als er die Treppe hinaufstieg, kam er jedoch nicht mit. "Ich komme gleich, dann gehen wir in die Apotheke und machen vorher einen Umweg, damit du ein wenig Auslauf hast", sage er zu ihm herunter, dann drehte er sich um und schloss sein Zimmer auf. Dass irgendwas anderes war, das merkte er sofort, aber im ersten Moment sah er nicht was. Bis sein Blick auf den Hut am Bettpfosten fiel, er dann die Stiefel sah und dann schließlich den Mann, der es sich in seinem Bett gemütlich gemacht hatte. Sein Herz schlug hart gegen seine Brust, und John wusste nicht so genau, ob es da seltsame Gefühl gewesen war, dass jemand in seinem Zimmer war, oder die Freude darüber, wen er da sah. John schlüpfte schon an der Tür aus den Schuhen und ging so mit leiserer Sohle ins Zimmer. Der Kapitän hatte sich noch nicht geregt. War jener die ganze Nacht hier gewesen? Wenn, dann würde er sich verdammt ärgern, dass er nicht doch einfach nach Hause geritten war... Er ließ sich an der Bettkante nieder und betrachtete den Mann, der dort so friedlich und entspannt lag. Eine seltsame Situation, dass der Franzose hier lag. Allerdings hatte er ihm ja den Schlüssel gegeben. Und letztlich freute es ihn ungemein, dass jener auch davon Gebrauch machte. Er zog sein Hemd über den Kopf, schlüpfte aus der Hose und legte sich dann dazu. Der ohnehin schon geringe Wille, zur Arbeit zu gehen, war gerade auf Null gesunken. Und so beugte er sich vor und küsste Tancred sanft auf die ihm so wohlbekannten und bereits vermissten Lippen, bevor er sich an ihn kuschelte und mit einem Lächeln genoss, dass jener reagierte, indem Arm um ihn legte und so festhielt. Unwillkürlich atmete John tief ein und aus und entspannte sich. Er war zu Hause. Tancrèd [[BILD=8258113.jpg]] Wirklich einschlafen fiel dem Franzosen an Land immer schwer, doch Johns Bett roch nach John und fühlte sich nach John an, auch wenn der noch gar nicht so lang hier wohnte. Zu liegen tat nach dem langen Ritt sehr gut und er genoss es einfach, ein wenig zu faulenzen und nicht wieder in den Wanten herumsteigen zu müssen. Er würde noch einige Dinge hier in London zu erledigen haben, neben der Hinrichtung von Cromwell natürlich. Ein Ereignis, bei dem er eigentlich auch plante, anwesend zu sein... je nach dem, wann seine Anwesenheit auf dem Schiff gefordert wurde, weswegen er dringend auch noch den Sforzabrüdern einen Besuch abstatten musste. Offiziell natürlich nur, um sein Beileid auszudrücken. Sicher würde das der halbe Adelsstand Londons tun, weswegen es heikel sein würde, Alessio irgendwie zu treffen. Doch so umsichtig wie der Kardinal ihn kontaktiert hatte, glaubte Tancred nicht, dass Alessio jetzt unvorsichtig wurde. Über diese Gedanken hin war er eingedöst und erst wieder aufgewacht, als es unten Geräusche gegeben hatte. Der Stimme nach zu urteilen war es John und den Schritten, die einige Zeit später auf der Treppe zu hören waren, war er allein. Ein Grund mehr für Tancrèd , einfach liegen zu bleiben und auch die Augen nicht zu öffnen. Die Türe quietschte leicht in den Angeln als John eintrat und offensichtlich kurze Zeit später bemerkte, dass er nicht mehr ganz so alleine in seiner Wohnung war wie zunächst angenommen. Tancrèd schmunzelte in sich hinein, als er Johns leise Schritte auf den Dielen spürte und dann sein Gewicht neben sich auf dem Bett. Noch immer rührte er sich nicht, gab sich Mühe entspannt zu atmen, so zu tun, als würde er schlafen. Das hatte er auf dem Schiff tatsächlich perfektioniert. Denn wenn seine Männer ständig wegen jedem Mist hereinkamen, war es manchmal hervorragend einfach, ignorant weiterzuschlafen. Doch John wollte ihn nicht wecken. Stattdessen spürte er, wie John sich neben ihm auszog und dann ausstreckte und ihm einen Kuss auf die Lippen hauchte. Ein Kuss der nach Alkohol und Zigaretten schmeckte. Tancreds Augenbrauen zogen sich zusammen. War da wohl jemand in der letzten Nacht um die Häuser gezogen? Er zog John näher an sich und blinzelte dann. "Hmn.. Weinbrand und Tabak sind deine besten Freunde, was?" Seine Stimme klang rauchig dunkel, weil er auch einige Stunden nicht gesprochen hatte und er sog tief Johns Geruch ein. "Dein Bett ist wirklich bequem... Ich hoffe, ich bin dein Gast für die nächsten Tage. Ich habe vor, bis zum Tag von Cromwells Hinrichtung hierzubleiben." Er lächelte und drehte sich etwas, so dass er mehr Körperkontakt zu John bekam. Als sich ihre Blicke trafen merkte man deutlich, dass den Kapitän ein gewisser Schuh drückte Tancred konnte und wollte mit dem, was in der Apotheke geschehen war, nicht hinterm Berg halten. "Ich muss dir etwas gestehen...", gab er deswegen unumwunden zu, "Und ich will es gleich loswerden, um es hinter mich zu bringen... Ich war bei deinem Vater." Tancrèd sah John aufmerksam an, konnte in seinem Blick bereits den Widerwillen erkennen. "Es tut mir leid, aber ich konnte nicht anders. Das was du mir erzählt hast.. das konnte ich so nicht stehen lassen. Ich bin sicher, du denkst, dass es falsch war, und vielleicht hätte ich mich wirklich nicht einmischen sollen, aber ich kann nicht mit ansehen, wie er dich grundlos schlecht behandelt." Noch bevor John nachfragen konnte, setzte Tancrèd nach. "Ich habe nur gesagt, dass du bei der Arbeit an Bord von der Planke gefallen bist und wir dich nicht einfach herausziehen konnten. Das ich deine Panik nicht verstanden und nachgefragt habe und so hinter das gekommen bin, was er getan hat. Und ich habe ihm gesagt, dass ein Kind für die Schuld seiner Eltern nichts kann... und dass er es nicht wagen soll, noch einmal etwas derart zu tun, weil ich ihm sonst den Auftrag entziehe..." John [[BILD=8240521.jpg]] Der Kommentar des anderen zur Begrüßung, die Tatsache, dass jener gleich redete, ließ John wissen, dass Tancrèd nicht geschlafen hatte, dass er nur so getan hatte. Dafür ging ihm die Stimme des anderen durch und durch. Ein wohliger Schauer jagte ihm den Rücken hinunter und er musste schmunzeln. "Vielleicht nicht die besten...", sagte er mit einem Seufzen in der Stimme. "Und so bald rühre ich auch keinen Tropfen mehr an. Vor allem nicht von diesem italienischen Gesöff namens Grappa." Dieses elendige Zeug, das gebrannt hat wie die Hölle, hatte ihm den Rest gegeben. Sicher hatte er nur deswegen diese verdammten Kopfschmerzen. Wer hatte die Flasche eigentlich geholt? Kieran war klüger gewesen und vorher ausgestiegen. Als Tancrèd ihm offenbarte, dass er noch zwei Nächte bleiben würde und ganz offensichtlich vorhatte, bei ihm zu nächtigen, merkte er, dass ihn das freute. "Tztztz", antwortete er. "Kommt einfach daher, legt sich in mein Bett und will hier auch noch länger bleiben. Ich hoffe, dir ist klar, dass das nicht ganz kostenlos ist." Seine Finger wanderten über den Oberkörper des anderen. "Aber was die Bezahlung betrifft, bin ich sehr flexibel." Er grinste etwas, doch als der andere sich ihm zuwandte und leicht drehte, erlosch das Grinsen. Tancred war deutlich anzusehen, dass ihn etwas beschäftigte. John sah ihn fragend an und der erste Satz sorgte für ein sehr, sehr seltsames Gefühl in seiner Magengegend. Etwas gestehen? Was würde jetzt wohl kommen? War etwas geschehen? War etwas anders zwischen ihnen? Hatte er etwas falsch gemacht? Gott, wo kamen diese schrecklich dummen Gedanken her? John wischte sie zur Seite, lauschte den Worten, die nun folgten. Mit jedem dieser wenigen Worte schien irgendjemand eine Hand um seinen Magen zu legen und langsam aber unbarmherzig zuzudrücken. Bei seinem Vater? Was hatte er da getan?! Sicher nicht um seine Hand angehalten... John distanzierte sich fast automatisch vom anderen und rutschte etwas weg, während der sich und sein Handeln erklärte und ihm mitteilte, dass sein Vater wusste, dass er über früher geredet hatte. Tancrèd war der erste Mensch, dem er das so erzählt hatte, bei dem er offen hatte reden können. Selbst Kieran wusste nicht so viel davon! Was machte Tancrèd mit dem Vertrauen, das er ihm entgegengebracht hatte? John zog seine Hand zurück. Mochte sein, dass er schlecht behandelt wurde, vielleicht auch grundlos, aber war das nicht seine Sache? Er wollte etwas sagen, fand aber kaum Worte für das, was er empfand und so war Tancrèd schneller und erklärte ihm, was er seinem Vater erzählt hatte. John schloss den Mund wieder und senkte den Blick. Seine Augen wanderten unruhig hin und her, während er sich vor seinem inneren Auge ausmalte, was sein Vater nun dachte, wie er reagieren würde. Ausgerechnet die Sache mit dem Wasser... Hatte ihn sein Vater nicht sehr nachdrücklich eingebläut, dass solcherlei Dinge in der Familie blieben und niemandem erzählt werden durften! Sicher, heute würde er nicht mehr körperlich werden, würde ihm nicht mit Schlägen klar machen, dass Familienangelegenheiten niemanden etwas angingen. Aber er würde ihn psychisch umso mehr verletzten. Auch wenn er es gewohnt war und es in gewisser Weise überhören konnte - Tancrèds Einsatz für ihn würde ihm neuen Inhalt geben. Wenn er diesen für seine Schikanen missbrauchte, wusste er nicht, wie er darauf reagieren würde. Der Franzose sprach weiter und John hatte das Gefühl, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen. Tancrèd hatte seinem Vater auch noch gedroht? Als jener endete, blickte ihn John fassungslos an. Seine Gedanken überschlugen sich und er wusste nicht was er sagen sollte. "Ist dir eigentlich klar, was du da getan hast?", fragte er und merkte, dass seine Stimme bebte. Er versuchte ruhig zu bleiben, aber es war nicht sehr einfach. "Er hat mir immer gedroht, mir immer gesagt, dass ich mit niemandem über die Familie sprechen darf. Du warst der erste, Tancrèd, dem ich das erzählt habe. Selbst Kieran weiß nicht so viel, wie du. Und dann rennst du gleich los, und konfrontierst ihn damit? Dazu hast du kein Recht! Weißt du, was er machen wird? Er wird mich bei der nächsten Gelegenheit hinauswerfen, er wird mich jetzt hinauswerfen, schließlich sollte ich jetzt nicht hier liegen, sondern ihm helfen. Sein argwöhnischer Blick verfolgt mich und das wird sich sicher nicht ändern, nur weil du mit ihm geredet hast. Er wird das so nicht hinnehmen und er wird mich bestimmt nicht anders behandeln. Ganz im Gegenteil. Vielleicht wird er vordergründig höflich sein, aber er wird keine Situation auslassen, mich zu schikanieren und mich dazu zu bringen, selbst zu gehen. Und damit wird er warten, bis du weg bist, bis alle weg sind! Und dann sitze ich hier und darf mir überlegen, was ich ohne Job, ohne Geld und ohne Familie mit meinem beschissenen Leben anfangen darf!" Dann kam ihm noch ein Gedanke, der ihm noch mehr Angst machte. Der Argwohn seines Vaters schlug gerade in eine bestimmte Richtung aus: in der Kirche am Sonntag war ausgiebig davon gepredigt worden, der Sodomie keine Chance zu geben. Auch in London kam die Sodomistenverfolgung immer mehr an. Sein Vater wusste vermutlich, dass er anders tickte, bzw. er würde ihm alles zutrauen. Aber würde er Tancrèd auch schaden? Würde er sie beide in Verbindung bringen? "Und außerdem traue ich ihm durchaus zu, dass er auch dich ins Visier nimmt. Er ist auch nicht machtlos und kennt unglaublich viele Menschen. Es muss nur ein falscher Satz irgendwo fallen und deine Reputation ist Geschichte." Seine eben noch so große Wut wich einer unbekannten Sorge. Tancrèd [[BILD=8258113.jpg]] Dass er damit wohl mehr zerstört als gut gemacht hatte, ahnte Tancred bereits. Nur war es ihm anders einfach nicht möglich gewesen. Er hatte es nicht stillschweigend tolerieren können, auch wenn John vielleicht jetzt mehr Probleme hatte als vorher. Zumindest was die Momente anging, in denen er mit seinem Vater allein war. Er ließ zu, dass John von ihm abrückte, wandte aber den Blick nicht ab. "Es war ein Fehler und es tut mir leid. Aber ich würde es wieder tun." Das konnte er ruhig zugeben, denn es war schlicht und ergreifend die Wahrheit. "John, du bist ihm gar nichts schuldig. Ich gebe zu, nicht nachgedacht zu haben, als ich zu ihm gegangen bin, und vielleicht bin ich in dem Punkt zu weit gegangen, ihm zu drohen, aber das, was er dir antut, ist UNRECHT. Er lässt dich büßen für etwas, das deine Mutter getan hat, etwas, für das du rein gar nichts kannst. Wenn du aussiehst wie dein Erzeuger, dann ist es noch lange kein Grund, den Versuch zu wagen, dich zu töten. Ich wollte dein Vertrauen nicht missbrauchen, aber ich konnte es einfach nicht stehen lassen, ich konnte einfach nicht." Er griff nach Johns Hand und hielt sie fest, auch wenn John sie ihm erneut entziehen wollte. "Bitte, John... Ich kann nicht mit ansehen wie du dich von ihm knechten lässt, während er dir rein gar nichts als Hass entgegenbringt. Du brauchst diesen Mann nicht, du bist ein großartiger Arzt." Es war nicht leicht dort auf Selbstwertgefühl zu hoffen, wo schlicht und ergreifend keines war. John war nicht so erzogen worden, hatte nie Anerkennung von seinem Vater bekommen und letztlich war es doch das, nach dem alle Kinder strebten: der Stolz der Eltern zu sein. Nun, wenn einer definitiv nicht der Stolz seiner Eltern war, dann war das Tancrèd. Er hatte nicht nur sein Erbe verprasst für nichts und wieder nichts, sondern sich mit seinen militärischen Aktivitäten ganz bewusst gegen seine Familie und jetzt sogar gegen sein Land gerichtet. Er hatte niemanden gehabt, aber seine Kindheit war etwas anders verlaufen als Johns und daher hatte er die Stärke gehabt, den Weg zu gehen, den er am Ende ja auch gegangen war. Als John davon sprach allein und einsam in London zu sein, wurde Tancreds Griff fester. "Ein Wort von dir und ich habe das Schiff morgen verkauft. Ich gehe nicht weg John, ich habe es dir versprochen. Ich werde ganz sicher nicht zulassen, dass er dir schadet - ganz egal was mich das auch kosten mag. Für dich ist es vielleicht seltsam, dieses Maß an Selbstaufgabe bei einem anderen und für dich zu sehen, aber es ist mein Ernst. Mich hält hier gar nichts außer Du! Wenn er glaubt, er schadet mir damit, dass er meine Reputation zunichtemacht, dann kennt er mich nicht. Ich weiß aber, dass ich von mir nicht auf dich schließen darf. Aber ich wünsche mir einfach so sehr, dass du den Mut in dir findest, ihm zu zeigen, dass du mehr bist als nur sein Lakai. Dass er ohne dich nicht den Dreck unter seinen Schuhsohlen wert ist." Er wusste, dass er im Grunde gegen eine Wand redete. John musste all diese Entscheidungen von alleine treffen, er durfte sich da eigentlich gar nicht einmischen. Es war allerdings wirklich leichter gesagt als getan und Tancrèds Gerechtigkeitsempfinden spielte vielleicht eine zu große Rolle für den Franzosen, der in seinem Leben so viel Unrecht hingenommen hatte. "Du musst keine Angst vor ihm haben, wirklich nicht." John [[BILD=8240521.jpg]] John hob die Augenbrauen, als Tancrèd zugab, einen Fehler gemacht zu haben. Doch er würde ihn jederzeit wieder machen? Was sollte das?! Doch bevor er aufbrausend werden konnte, sagte der Franzose Dinge, die er wusste, aber bei denen er nie zugelassen hatte, dass sie sich in den Vordergrund drängen. Denn hätten sie das, dann wäre er jetzt wirklich ein Nichts und Niemand. Sicher, es war Unrecht, was sein Vater tat - das wusste er auch. Aber der saß am längeren Hebel. Er hatte es ertragen, war davon gelaufen vor der Konfrontation, hatte seine Wut an anderen ausgelassen - aber dafür hatte er ein Dach über dem Kopf, ein Bett und etwas zu essen gehabt, eine Ausbildung erhalten. John schloss einen Moment die Augen, um dem Blick des anderen zu entgehen, und wartete, bis Tancrèd aufhören würde, all diese Dinge zu sagen, die vielleicht mehr oder weniger stimmen mochten, ihm aber nichts brachten. Die Berührung an der Hand, ließ ihn diese zurückziehen, aber Tancrèd hielt sie zu fest. Er brauchte ihn nicht? Aber was bliebe ihm dann? Nichts! Sein Kopf schmerzte und ihm war übel. Als Tancrèd weitersprach, blickte er doch wieder unwillkürlich auf. Was sprach er da? Vollkommener Unglaube stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er würde sein Schiff für ihn verkaufen? Würde für ihn hierbleiben? Würde sich für ihn vollkommen selbst aufgeben? John war gerade überfordert. Hatte Tancrèd das soeben wirklich zu ihm gesagt? Das wäre das letzte, was er wollen würde - das konnte er gerade vermutlich als einziges sicher sagen. Aber dass der andere das tun würde? Und er sagte das mit vollkommenem Ernst. John schluckte und hörte den folgenden Worten nun wesentlich deutlicher zu, als der Lobhudelei, die er am Anfang hatte hören dürfen und die er für sich einfach nicht akzeptieren konnte. Es fiel ihm einfach schwer, sich selbst in einem guten Licht stehen zu sehen. Sicher, sein Vater trug daran die Schuld. Aber es war ihm einfach so in Fleisch und Blut übergegangen... John fielen die Worte ein, die Tancred am Jahrmarkt verwendet hatte, als er von seiner Familie und ihrer Beziehung zueinander gesprochen hatte: "Ich bin Kreuzritter geworden, weil ich meiner Familie und den Spaniern entkommen wollte, ich wollte weg von ihnen, einfach nur weg und sie nie wieder sehen. Aber ich musste erkennen, dass man vor den Spaniern und all den Problemen mit der Familie nicht einfach so davonlaufen kann." John lief letztlich auch nur davon, nur dass er das nicht räumlich tat, sondern im Kopf. Er hatte die absolute Konfrontation vermieden, immer. Aus Angst, das bisschen zu verlieren, was er immerhin hatte. Er hatte anders protestiert, sich anders und an anderen abreagiert. Während Tancrèd sich seinen Problemen schließlich mit Hilfe der Raashno gestellt hatte. Vielleicht hatte Tancred damit Recht, dass er sich seinem Vater anders stellen musste. Es reichte nicht aus, auszuziehen und in ein Angestelltenverhältnis zu wechseln, wenn das eigentliche Problem sich nicht änderte. Mochte sein, dass sein Vater akzeptiert hatte, dass er ausgezogen war. Aber deshalb sah er ihn nicht als gleichwertig an. Er übte letztlich nur noch mehr Macht auf ihn aus, weil er ihm den Geldhahn jederzeit zudrehen konnte. Letztlich war es auch genau das, was ihn an der ganzen Sache am meisten störte. Brauchte er wirklich keine Angst zu haben? Er hatte immer Angst gehabt, immer. Aber das war auch eine lange vorbereitete Angst gewesen, die sein Vater über Jahre hinweg in ihn hineingeflüstert und -prügelt hatte. War jetzt die Zeit gekommen, sie zu durchbrechen? Tancrèd hatte ihm dafür den Steigbügel gehalten. Ob er auf das Pferd aufstieg, das ihn in diese Schlacht bringen würde, würde er noch sehen müssen. "Sag nie wieder, dass du dich für mich aufgeben würdest", sagte er schließlich leise. "Und wenn ich das jemals von dir verlangen würde, dann zweifle bitte meine Gefühle für dich an, bitte! Denn das wäre das letzte, was ich wollen würde!" Er sah den anderen eindringlich an. Langsam entspannte er sich wieder, merkte, dass er die Hand in der des anderen ruhig hielt. Er dachte an die Worte, die er auf dem Schiff im Bett gehört hatte - das Versprechen, das jener ihm gegeben hatte. Und deswegen John bist du hier immer willkommen. Ganz egal was zwischen dir und mir sein wird, ob du in London bleiben wirst oder dein Weg dich in ein anderes Land führt - wenn du jemanden brauchst oder einen Ort brauchst, an dem du immer willkommen bist, dann komm zum Hafen und ich werde da sein." "Es wird sich zeigen, was geschehen wird", sagte er dann ruhig. "Im Moment brauche ich ihn noch, weil er mein Leben gewährleistet. Aber so wie die Dinge bald stehen werden, wird das hinfällig sein. Wenn ich dann zum Hafen komme, und nach dir rufe, dann möchte ich nicht, dass du dein Schiff verkaufst, sondern dann möchte ich, dass du mich mitnimmst und fortbringst von diesem schrecklichen Ort, an den ich kaum gute Erinnerungen haben werde." Er sah den anderen nachdrücklich an. "Und bis dahin muss ich noch ein wenig kämpfen und mich behaupten, mich seinen Schikanen stellen. Vielleicht gelingt es mir ja wirklich, ihm zu zeigen, dass ich auch so etwas wie eine Daseinsberechtigung habe." Er lächelte matt. "Warum muss ich eigentlich zur Zeit ständig so emotional anstrengende Gespräche führen?", murmelte er dann und schloss die Augen, um den Kopfschmerzen ein wenig Herr zu werden. John konnte es insgeheim immer noch nicht fassen, was Tancrèd ihm da gerade gesagt hatte - aber während das Verhalten des sandeten ihm sorgen und auch wir bereiteten, machten ihn dessen Worte auch ein wenig glücklich, ein wenig sehr. Tancrèd [[BILD=8258113.jpg]] Vermutlich hätte ihn der John, den er damals in der Taverne kennen gelernt hatte, bei solchen Worten einfach hinaus geworfen. Vermutlich auch zu Recht, denn immerhin hatten sie sich damals noch gar nicht richtig gekannt. Jetzt stellte sich das alles ein wenig anders dar und Tancrèd war froh, dass sein Geständnis John wachrüttelte und er nicht erneut die Augen und die Ohren vor dem verschloss, was so offensichtlich war. Eine Stimme in Tancreds Hinterkopf, vermutlich sein Gewissen in Form von Kadmin, fragte ihn gerade, ob er noch ganz richtig tickte. Ob er wirklich sein Schiff und sein Leben bereit war aufzugeben für diesen Kerl, der ihm mehr als einmal einen Korb gegeben hatte. Aber Tancrèd wusste, was er tat, und er bekam die Antwort, die er im Grunde erwartet hatte: John wollte auf keinen Fall, dass er sein Leben für ihn aufgab und das Schiff verkaufte. Denn so war es doch in einer gleichberechtigen Beziehung, die beide wollten, oder? Man wünschte dem Partner nur das Beste und dass er niemals etwas von seinen Träumen aufgeben musste, während man selbst bereit war, alles auf die Waagschale zu werfen, um für das Glück des anderen zu garantieren. Aber seine Worte hatten zumindest den richtigen Effekt. Johns Blick schien sich hinsichtlich seines Vaters zu klären und er schien auch zu verstehen, dass er nicht alleine war. Sie schwiegen eine Weile, John schien sich ein wenig zu sammeln und seine nächsten Worte zeugten von einer gewissen Distanz, die er jetzt zwischen sich und seinen Vater brachte. Eine gute und sehr notwendige Distanz, wie Tancrèd fand. "Du wirst ja nicht alleine sein... Kieran ist noch da. Und so wenig es dir auch gefällt, ich bin sicher, dass Lord Sforza jederzeit für dich in die Bresche springen würde. Zumindest will ich ihm das geraten haben, sonst landen seine teuren Möbel irgendwo auf dem Grund des Meeres." Er schmunzelte, weil er selbst das Thema etwas auflockern wollte. "Was diese Themen angeht, dafür kann ich sicher gar nichts. Vielleicht häuft es sich ja nur, weil du es immer so lange aufgeschoben hast." Ziemlich sicher tat es das. Sanft zog er Johns Hand an seine Lippen und küsste sie. "Bei all den Mittelchen, die du hier hast, hast du nichts was dir bei deinem Kater helfen kann? Zumindest solltest du Wasser trinken...", sinnierte er leise. "Wieso hast du überhaupt so viel über den Durst getrunken?" Er hatte Johns Hand losgelassen und sich aufgesetzt. Neben dem Bett hatte er einen Wasserkrug gesehen und füllte John jetzt einen Becher voll ein. Er konnte nicht viel mit Medikamenten anfangen, aber rudimentäre Kenntnisse hatte er auch, einige sogar dank Kieran. Er reichte John den Becher und gab sich nicht eher zufrieden, bis der den Becher auch geleert hatte. "Und wie genau stehen denn die Dinge bald? Es klingt beinahe ein bisschen so, als hätte ich etwas verpasst..." Dass er zweifelsohne etwas verpasst hatte, wusste er ja selbst. Inzwischen war Kardinal Alessandro Sforza gestorben und John hatte dabei tatkräftig mitgewirkt. Ihm dämmerte auch bereits, dass John deswegen so betrunken gewesen war. Sicher war auf diese erfolgreiche Entwicklung der Dinge angestoßen worden, und das nicht zu knapp. Aber was hatte das letztlich mit John zu tun? Hatte ihm Alessandro eine ebenso hohe Belohnung dafür versprochen, wie ihm für die Überfahrt? Nun, ein wenig Geld würde John sicher gut zu Gesicht stehen. Tancrèd hatte es sich auch schon überlegt, dem jungen Mann finanziell unter die Arme zu greifen, aber das wäre einfach nur falsch gewesen. Er wollte John nicht kaufen, zumal das wirklich ein schlechtes Licht auf sie beide geworfen hätte. Tancrèd war nicht blind für das, was in London immer mehr Gestalt annahm und er wusste, dass er, solange er hier in London war, aufpassen musste, mit wem er sich wie oft und vor allem wo zeigte. Doch hier hinter verschlossenen Türen war ihm das einfach vollkommen egal. Er ließ sich wieder auf das Bett sinken und wartete darauf, dass John ihm ein wenig mehr von den letzten Tagen berichtete, an denen sie sich nicht gesehen hatten. John [[BILD=8240521.jpg]] Das Bild der im Meer versinkenden Möbel löste ein leises Grinsen aus. „Ja. Kieran ist da – noch“, sagte er halblaut. „Er wird Dominico nach Italien folgen, sobald das möglich ist. Aber noch ist er da. Du hast recht, bzw. du hast mehr Durchblick, als ich das hatte.“ Er dachte an den Mittag, an den Disput mit Dominico und letztlich seine Kurzsicht. Er hatte den Überblick verloren und nur gesehen, wie alle anderen damit beschäftigt waren, sich ein neues Leben aufzubauen. Und was war mit ihm? Dass jemand an ihn dachte, daran war er nicht gewohnt. Das hatte man ja auch gerade eben bei Tancrèd gesehen. Jener dachte über ihn und seine Situation nach. Das zu akzeptieren und auch zuzulassen, fiel ihm schwer, aber es tat auch ein wenig gut. Dominico war auch selbst ein wenig schuld. Schließlich konnte er ja wirklich nicht damit rechnen, dass Dominico an IHN dachte, nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war. Wobei sich John sicher war, dass er es vor allem Alessandro zu verdanken hatte, dass er in den Vorkehrungen eine Rolle spielte. John nickte leicht auf Tancrèds Worte hin. Das stimmte, er hatte es zu lange aufgeschoben, dass er über solche Dinge redete. Er hatte sein Leben damit zugebracht, sich zu verbarrikadieren und seinen eigentlichen Problemen davonzulaufen, in der Hoffnung, dass auf diese Weise etwas besser wurde. Aber nichts war besser geworden, sondern nur schlechter. Irgendwann hatte er resigniert – bis Kieran in der Tür stand und bis Tancrèd sich in seinem Leben eingemischt hatte. Wieso hatte dieser Mann hier neben ihm auch so eine Ausdauer darin, sich von ihm nicht vertreiben zu lassen? Was fand er an ihm? Er wurde aus dem Gedanken gerissen, als er die weichen Lippen des anderen auf seiner Hand spürte und den anderen ansah. Meine Güte, wie schaffte es dieser Mann ihn mit so kleinen Dingen so zu berühren?! Über so etwas hätte er bis vor kurzem gelacht, hätte eine Bemerkung parat gehabt, die den anderen von sich gestoßen hätte. „Doch, das habe ich“, murmelte er noch immer irgendwie verwirrt. Sein Hirn war auch wirklich einfach nicht ganz auf der Höhe. John seufzte auf die Frage hinsichtlich seines Alkoholkonsums. „Das frage ich mich jetzt auch“, knurrte er und richtete sich etwas auf, nahm das Wasserglas, das ihm der andere reichte und trank in langen Zügen. Hm, das tat wirklich gut. Einen Moment sah er den Franzosen an. „Hm, verpasst“, überlegte er dann, nicht wissend, wo er anfangen sollte. „Meine Medikation hat funktioniert. Der ganze Plan hat funktioniert“, begann er schließlich. Und sich selbst das so sagen zu hören, machte ihn irgendwie ein wenig stolz. Erst jetzt wurde ihm klar, dass es wirklich ER war, der diesen Plan hatte funktionieren lassen. „Als die Sforza-Brüder zurückkamen, war Alessandro noch nicht aufgewacht. Aber er lebte, es war alles in Ordnung. Als Dominico zu uns kam, fuhr er mich an, wie lange er noch schlafen würde. Irgendwie hat mich das wütend gemacht – unser Verhältnis ist ja ohnehin nicht so besonders. Er hat mich so genervt, weil er so emsig damit beschäftigt ist, seine Dinge zu regeln und hier abzuhauen und mir Kieran einfach so wegzunehmen, ohne darüber nachzudenken, ohne mit ihm darüber zu reden. Er macht die Dinge einfach, ohne mit den Betroffenen zu sprechen. Das macht mich teilweise immer noch wütend.“ John war wieder zurück ins Kissen gesunken und blickte zur Decke, ließ die Diskussion vor seinem inneren Auge noch einmal geschehen. „Wie auch immer. Ich glaube, wenn er gekonnt hätte, wäre mein Gesicht jetzt etwas mitgenommen. Aber seines sähe sicher nicht besser aus.“ Einen Moment schwieg er. „Zum Glück ist Alessandro in dem Moment aufgewacht und ich habe mich verabschiedet. Aber Dominico hat mich aufgehalten und mir erklärt, dass er niemanden vergessen habe. Ich vermute Alessandro hat ihm gesagt, dass er endlich mit offenen Karten spielen sollte. Wenn die Brüder England verlassen, wird die Apotheke und mein Vater finanziell abgesichert sein - auch wenn er das kaum verdient hat. Die Aufträge bleiben bestehen und auch das Labor etc. wird ihm weiter zur Verfügung stehen." Ihm kam der Gedanke, dass Tancrèds Drohung vermutlich dem entgegen stand. Aber das wusste sein Vater ja nicht. "Und wenn Kieran nach Italien aufbrechen wird, wird jedem, den er mitnehmen will, die Überfahrt gesichert sein. Letztlich liegt es nun an mir, wie ich mich dann entscheiden werde.“ Er konnte das immer noch nicht so ganz glauben, was da offensichtlich in das Testament von Alessandro verankert worden war. Gut, er hatte ihnen geholfen, aber das als Lohn dafür? Damit hätte er nicht gerechnet. „Nun und dann konnte ich nicht einfach abhauen und abends gab es eine kleine Feier. Dominico und ich haben uns in gewisser Weise versöhnt und das musste begossen werden.“ Er strich sich die Haare aus der Stirn, dann sah er wieder zu Tancrèd, der noch neben ihm saß und ihm zugehört hatte. Tancrèd [[BILD=8258113.jpg]] Der Franzose lehnte sich nach hinten gegen das Kopfende des Bettes, als John ihm den Becher abnahm und gierig anfing zu trinken. Vermutlich brauchte sein Körper einfach Wasser und Flüssigkeit, um der Schmerzen Herr zu werden. Dass John etwas durch den Wind war, das hatte Tancrèd schon in dem Moment gesehen, als er die Augen geöffnet hatte. Aber da er nicht gewusst hatte, wo John gewesen war, hatte er angenommen, es habe an dem Treffen mit seinem Vater gelegen, doch John war anscheinend noch nicht in der Apotheke gewesen. Dabei hatte Mr. Forbes eindeutig auf ihn gewartet. Tancrèd nahm an, dass John das ein wenig teurer zu stehen kommen würde, seinen Vater sitzen gelassen zu haben, doch er hoffte trotzdem, dass seine Ansprache nicht ganz auf taube Ohren gestoßen war und sich Mr. Forbes ein wenig vorsah. Ein wenig in Gedanken folgte Tancrèds Blick einem Wassertropfen, der sich von Johns Kinn einen Weg nach unten bahnte und über dessen nackte Brust lief. Wie konnte ein Mensch so schön sein wie John? Vielleicht sah er die Sache wirklich ein bisschen zu verklärt, doch Johns helle, schöne, ebenmäßige Haut wirkte auf ihn wie aus feinstem Perlmutt und seine langgestreckte Gestalt, die auf andere vielleicht schlaksig wirken mochte, wirkte für ihn wie das Gemälde eines Künstlers. Erst als John zu sprechen begann, sah Tancrèd wieder auf. "Herzlichen Glückwünsch", kommentierte er Johns Erfolg, den der junge Mann jetzt erst selbst zu begreifen schien. John war perfektionistisch in seiner Arbeit und anscheinend hatte ihn der Alkohol auch für den eigenen Erfolg blind gemacht. Zumindest sah er gerade ob der Erkenntnis alles "richtig" gemacht zu haben, wie ein Lächeln über Johns Gesicht zuckte. Die Enthüllungen über die letzten beiden Tage, die Tancrèd mitbekam, ließen ihn einerseits innerlich zufrieden aufseufzen, andererseits hellhörig werden. ...und mir Kieran einfach so wegzunehmen, ohne darüber nachzudenken... Tancrèd wusste, wie sehr John an Kieran hing. Sie waren gute Freunde, ein eingeschworenes Team. Doch Kieran hatte für John auch eine ganz andere Bedeutung, nämlich eine, die den Startpunkt markiert hatte, an dem John angefangen hatte, sein Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Mit Kieran war John nicht mehr allein gewesen und Tancrèd verstand, wie wenig er diesen Mann aufgeben wollte, der die Türe zu all dem aufgestoßen hatte, was John jetzt widerfuhr. Dass Nico und Alessandro vorgesorgt hatten, auch für John, das hatte Tancrèd angenommen. Von dem Moment an, an dem er sie alle in seinen Plan eingeweiht hatte, war das fast unvermeidlich gewesen. Alessio musste sich absichern, dass niemand nach ihm suchte, bis er über alle Berge war. Gerade Tancrèd würde er extra bestechen müssen. Zwar war der Franzose aus anderen Gründen loyal als wegen des Geldes, doch er war der einzige, der sagen können würde, wo die Männer sich aufhielten. Auf einer einsamen Insel waren Alessandro und all die Leute, die er dort hinzuholen gedachte, einem Angriff schutzlos ausgeliefert. Das würde zwar nur über seine Leiche passieren, aber Alessandro hatte trotzdem vorgesorgt und er beschwerte sich nicht über zusätzliches Geld. Dass Alessandro und Nico auch so vollkommen an die Apotheke und Johns Vater gedacht hatten, freute den Franzosen. Vielleicht war ein Alessandro Sforza auch einfach feinfühliger. Der Kardinal hatte eine unglaubliche Beobachtungs- und Auffassungsgabe und wer konnte schon wissen, was Alessio sich bei John gedacht hatte? In jedem Fall hatten sie ihm die Freiheit geschenkt, irgendwann dann, wenn Nico gehen würde. "Du hast mit Dominico zusammen getrunken? Ich glaube eher dein Schädel ist seine Art der Rache für sein blaues Auge..", murmelte er mit einem Grinsen im Gesicht. "Und jetzt beraubt er mich meiner herrlichen Nachmittagsbeschäftigung..." John [[BILD=8240521.jpg]] "Damit könntest du recht haben", knurrte John und richtete sich auf. "Und das ist mindestens eine gleichwertiger Schmerz." John stand auf und ging zu einer Kommode, von dem ein Fläschchen nahm. Als Tancred ihm offenbarte, dass er seiner "Nachmittagsbeschäftigung" beraubt wurde, hob er die Augenbrauen und blickte den anderen an. "Bin ich das für dich? Deine Nachmittagsbeschäftigung?" Er trank den Trank und trat wieder ans Bett. Seine Hand glitt wie zufällig über seinen Oberkörper und er streckte sich leicht. "Schon schlimm, immer diese Verpflichtungen. Dabei fallen mir so einige nette Dinge ein, die wir stattdessen tun könnten", schnurrte er dann, während Tancrèd näher zur Bettkante rutschte. John griff zu einem frischen Hemd, das auf einem Regalbrett neben dem Bett lag, und zog es über. "Allerdings habe ich auch ein paar Verpflichtungen", sagte er dann und griff zur Hose, während Tancred vor ihm saß. "Aber bist du heute Abend dann da? Oder wird es spät bei dir? Ich fürchte, ich werde heute nicht alt. Und wenn ich morgen wieder den halben Tag ausfalle, dann bin ich wirklich selbst schuld, wenn ich keinen Job mehr habe." Während er sprach, zog er sich die Hose an. "Aber es wäre schön, deinen Atem heute Nacht neben mir zu hören, und nicht den von Streuner." Als Tancred aufstand beugte sich John vor, um ihn zu küssen. "Und auf morgen Abend erhebe ich dringenden Anspruch", wisperte er gegen die Lippen. "Es ist vielleicht der letzte Abend." Zumindest der letzte Abend, bevor Tancrèd Alessandro und Rodrego nach Italien bringen würde. Und wer wusste schon, was passieren würde. John merkte, dass ihm dieser Gedanke Angst machte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)