Intrigo e amore von -Amber- (And it's with you that I want to stay forevermore) ================================================================================ Kapitel 130: London 4 - Mein fremdes Land ----------------------------------------- John Kurz war John irritiert gewesen, als er in das Auge des anderen geblickt hatte. Er konnte es nicht zuordnen, das Gefühl, das dieses ausdrückte. War das Schmerz? Oder bildete er sich das nur ein, weil er darauf hoffte, dem anderen nicht gleichgültig zu sein? Warum sagte er dann nichts? Warum war er nicht ehrlich zu ihm? Aber Tancred war immer ehrlich zu ihm gewesen... Also doch auch in diesem Moment, oder? Er sollte gehen und sich keiner Illusion hingeben. Das hatte er schon zu lange getan. Und daher ging er auch, eilte heraus und einen Moment meinte er eine Hand zu spüren, die ihn festhalten wollte, doch sofort wieder losließ, als auch er den Mann sah, der die Treppe hinaufkam. John rannte die Treppe hinunter. Seine Schritte waren so laut auf der Holztreppe, dass er sich zwang, unten ruhiger zu gehen. Er hatte sich vorhin als Apotheker vorgestellt, der mit dem Kapitän die Lieferung für sein Schiff besprechen müsse. Diese Tarnung wollte er nicht zerstören oder in Frage stellen. Also grüßte er den Gastwirt und lief erst dann wieder schneller, als er um die nächste Ecke abgebogen war. Seine Füße führten ihn in sein Zimmer, wo er sich in das Bett legte, sich unter der Decke einrollte und die Augen schloss. Wenn er wartete, würde der Schmerz sicher irgendwann nachlassen. Dieser Mann hatte es zum zweiten Mal in seinem Leben geschafft, dass er weinen musste, obwohl er doch schon vor so langer Zeit gelernt hatte, dass das nichts brachte. Dennoch hatte das ein wenig reinigende Wirkung auf ihn. Er musste nach vorne schauen und vergessen, was nicht zu ändern war. Tancred wollte ihn nicht mehr - nun, dann musste er mit dem Hier und Jetzt klarkommen. Streuner hatte sich vor seinem Bett postiert und schien ihn zu bewachen. Das leise Fiepen sagte ihm, dass zumindest er bei ihm bleiben würde. Es war bereits Nachmittag, als er die Apotheke wieder betrat und schweigend ins Labor ging. Sie hatten heute, am Sonntag, geschlossen und würden erst morgen wieder öffnen. Aber dadurch, dass die Flotte in nunmehr 6 Tagen in See stechen würde, hatten sie alle Hände voll zu tun. In drei Tagen würde die letzte Lieferung nach Gravesend entsendet werden, damit sie rechtzeitig ankam. Bis dahin stürzte sich John in die Arbeit. Er sprach nicht mehr, mit niemandem. Er brauchte Zeit für sich und irgendwie hatte er es leid, zu reden. In Momenten, in denen die Tür aufging und die Schritte, die in den Laden kamen, ihm scheinbar vertraut vorkamen, ertappte er sich, dass er noch immer hoffte, dass es doch mehr zu reden gab, als das, was sie einander gesagt hatten. Gleichzeitig schalt er sich einen naiven Dummkopf, der nicht einsehen konnte, dass er dem anderen nichts bedeutete. Und doch gab es diese stille Hoffnung, der Blick des anderen, den er immer noch nicht begriff, die Hand, die ihn doch festgehalten hatte, oder? Das waren die Dinge, die ihn beschäftigten, während er schweigend dasaß und zwar reagierte, wenn man mit ihm sprach, aber nichts eben selbst nicht sprach. "Das hat er früher auch oft gemacht", hörte er seinen Vater zu Patricia und Kieran sagen, die sich um ihn sorgten. Und er war es leid, diese Blicke zu sehen und das Flüstern zu hören, wenn sie über ihn sprachen. Konnten sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen? Kieran war kaum da, denn dadurch, dass die Kriegstreiberei des Königs nun so weit vorangeschritten war, verbrachte er jede freie Minute mit Nico. John konnte das verstehen, und doch hätte er jemanden bei sich gehabt, der ihn hielt. Patricia hatte keine Scheu, ihm nachts die Hand zu geben, und ihm zuzuflüstern, dass es ihr leidtue und es sich wieder geben würde, wenn sie meinte, dass er schliefe. Schließlich war es doch Kieran, der zu ihm kam, als er in seinem Zimmer saß und dort im Labor arbeitete. "Du bist der größte Idiot auf der ganzen Erde, John Forbes!", begann er seine Predigt darüber, dass er gerade alle Hoffnung zunichte machte, die er noch besaß. Dann folgte ein Monolog, der John erklären sollte, wieso Tancred so handelte, wie er handelte. Kieran erzählte ihm, was er von Nico wusste über das heilige Band der Ehe für Menschen deren Standes, und dass Tancred wider seiner Prinzipien handeln würde, wenn er einen verheirateten Mann verführen und dessen Frau Schande bereiten würde. John schwieg immer noch, doch er dachte lange darüber nach. Kieran saß neben ihm, die ganze lange Zeit, bis John ihn ansah. "Ich mache mir keine großen Hoffnungen, du hättest ihn hören sollen... aber ich werde ihm schreiben." Wenn er vielleicht doch noch etwas für ihn empfand, dann würde er sich noch einmal bei ihm melden, bevor sie in See stachen. Also schrieb er einen Brief, den er dem Kutscher, der die Arzneien nach Gravesend brachte, für Tancred übergab, mit dem Hinweis, dass er nur für den Kapitän bestimmt sei und darin Anweisungen für die Medikamentenverteilung wären. Er ließ sich das Versprechen geben, diesen Brief auch nur Tancred auszuhändigen. Den Brief selbst formulierte er so, dass man daraus nichts Eindeutiges würde lesen können, falls er in falsche Hände gelangen würde. Tancred, ich habe es sehr geschätzt, dass du immer ehrlich zu mir gewesen bist. Du hast mir nie Lügen oder Halbwahrheiten erzählt, sondern immer die schonungslose Wahrheit, auch wenn ich sie nicht immer hören wollte. Diese Ehrlichkeit hat mich wachsen lassen und mich selbst mehr reflektieren lassen. Sie hat mir geholfen, mich neu zu finden, mich überhaupt zu finden. Sie hat mir gezeigt, was mir wichtig ist, was mein Leben ausmacht und wie ich mein Leben führen möchte, mit wem ich es verbringen möchte. Ich danke dir dafür. Aber ausgerechnet jetzt verwehrst du mir diese Ehrlichkeit und es fühlt sich unfassbar schmerzhaft an. Denn eigentlich gibt es nur eine Wahrheit, nur eines, was ich möchte: Ich will ein fremdes Land bereisen, seine Berge bewandern, seine Küsten erforschen, die rauen Klippen besteigen und Halt finden am lebensrettenden Vorsprung. Ich will die fremden Winde spüren und den warmen Regen auf meinen Wangen. Meine Hände will ich in seine Erde graben. Seine Wurzeln fühlen will ich, schmecken sein Salz und riechen den Duft seiner weiten Täler. Und ich will kämpfen mit dem Land, mich messen mit seinem Willen, seine und meine Grenzen erforschen, bis ich müde werde und ich mich bette auf den Blättern seines Herbstes. Aber die Hoffnung darauf, dass mir das zuteil wird, schwindet. Ich habe diesen Schritt nicht gemacht, ohne an dich zu denken. Ich habe diesen Schritt nicht gemacht, ohne an Patricia zu denken. Ich wünschte, du würdest mir zuhören und mir glauben, dass ich das alles nur gemacht habe, um zu schützen, was mir das Wertvollste im Leben ist. Ich hoffe darauf, dass du mir das verzeihen kannst. Und ich hoffe darauf, dass ich noch einmal die Chance erhalte, das fremde Land zu bereisen, in dem ich mich für einen Moment schon umsehen durfte, das ich vermisse und nach dem ich mich sehne, weil es für mich zum Wertvollsten geworden ist. Wenn diese Hoffnung nicht umsonst ist, wäre ich dankbar für ein Zeichen, bevor du deinen Pflichten nachkommst und in See stichst. Wenn ich nichts von dir höre, so hoffe ich, dass das fremde Land jemand bereisen darf, der diesem gerecht wird, der dieses wirklich verdient hat, der dieses glücklich macht. Immer der Deine John Nun hieß es warten. Mehr war er nicht bereit zu tun, denn auch wenn er Fehler gemacht hatte, so war er auch verletzt worden. Tancrèd Tancred wusste, dass Kadmin recht hatte mit dem was er sagte. Letztlich war es auch jetzt seine Erziehung, die ihm half, das herunterzuschlucken, was er gerade durchgemachte. Wenn er in wenigen Stunden vor den Kronrat trat, dann sollte er nicht so aussehen als habe ihn die Liebe seines Lebens sitzen lassen. Er musste fokussiert über den Stand der Dinge und die Probleme, die auf sie zukommen würden, sprechen können. Also wusch er sich, zog sich an und verließ mit Kadmin das Gasthaus eine Stunde später, um dem König und seinen Beratern Rede und Antwort für die Dinge zu stehen, die den Krieg betrafen den Henry zu führen gedachte. Offensichtlich beherrschte er seine "Rolle" noch immer sehr gut und der König war zufrieden mit ihm - so dass er Tancred den ersehnten Freibrief tatsächlich aushändigte, als die Ratssitzung beendet war. Eigentlich hatte der Franzose damit gerechnet, den Brief erst zu erhalten, wenn er sich an der Seite der Engländer gut geschlagen hatte - doch anscheinend hatte Henry heute einen sehr gönnerhaften Tag und in Tancreds Augen war dieser Brief gerade ein sehr sehr deutliches Zeichen für ihn. Er verließ nach einer weiteren Unterredung mit Charles Brandon und Dominico Sforza den Palast und auch wenn es bereits spät war, so hielt ihn nichts mehr in London. Kadmin begleitete ihn auf dem Weg zurück. Nicht weil er an London keinen Gefallen mehr gefunden hatte, sondern weil er sich wirklich sorgen um seinen Kapitän machte, der auch in den nächsten Tagen nicht wirklich viel sprach oder tat. Dafür schien er ganz bei der Sache zu sein, wenn es um die Arbeit am Schiff ging und als nach vier Tagen die Lieferung der Medikamente kam, war Tancred sehr schnell dabei sie zu verteilen. Kadmin hatte in den letzten Tagen versucht, etwas mehr aus dem Mann herauszubekommen, der nicht nur sein "Vorgesetzter" war, sondern auch sein Freund. Doch Tancred schien sich irgendwo in sich vergraben zu haben. Als er ihm nachsah, bepackt mit einer Kiste voll Verbandsmaterial und Salben auf dem Weg zu einem Schiff das weiter vorn am Kai lag, sprach der Kutscher ihn direkt an. Das0s er einen Brief habe, aber das Tancred den nur angesehen und dann gesagt habe, er solle ihm seinem ersten Maat weitergeben. Kadmin nahm den Umschlag entgegen und steckte ihn vorerst in die Innentasche der Jacke, die er trug, um weiter beim Verteilen der Rationen zu helfen. Als er sich nach getaner Arbeit vor seinem Wachdienst an Deck wieder auszog, fiel ihm der fast vergessene Brief in die Hände. Er erhob sich wieder von seinem bequemen Platz am Bug und ging hinunter zu Tancreds Kajüte. Der Kapitän hatte sich wieder dorthinein verzogen und es abgelehnt mit seinen Männern trinken zu gehen, da er später noch mit einigen anderen Kapitänen ein Treffen auf einem der anderen Schiffe hatte. Kadmin trat ein ohne zu klopfen und fand Tancred auf dem Bett liegend, nachdenklich ein Messer zwischen den Fingern drehend. "Ich kann verstehen, dass der Kardinal dir den Arsch versohlt hat, wenn du bei ihnen auch immer ohne anzuklopfen hereingeplatzt bist", kam es sehr patzig vom Bett und Kadmin zuckte nur mit den Schultern. "Vielleicht habe ich das ja beabsichtigt. Hier ist ein Brief." Er zückte ihn und wedelte damit am Fußende des Bettes herum. "Den kannst du wegwerfen", erwiderte der Kapitän ohne noch einmal hinzusehen. "Ich dachte es geht um die Verteilung und Dosierung der Medikamente. Sollte das nicht wichtig sein?" Tancred schüttelte nur den Kopf. "Diese Dosierungen haben wir längst durchgesprochen. Der Brief ist von John und es geht darin sicher nicht um Medikamente." Kadmin ließ sich auf Tancreds großem Schreibtisch nieder und drehte das Papier nachdenklich in den Händen. "Und? Willst du ihn nicht lesen?" "Nein." "Wieso nicht?" "Weil ich dann auf das nächste Pferd steige, einer absolut unschuldigen Frau den Mann aus ihrem Ehebett stehle und auf dem Weg nach draußen ihren Schwiegervater von seinen vermaledeiten Eiern bis zur Kehle aufschlitze - deswegen." Das Messer landete in der Holzwand auf der anderen Seite der Kajüte und Tancred erhob sich ruckartig vom Bett. "Und jetzt tu mir den Gefallen und lass die Sache auf sich beruhen. Es geht dich nichts an, Kadmin, es ist meine Sache. Solltest du nicht froh sein, dass mein Bett wieder leer ist?" Tancred packte seine Jacke und noch bevor Kadmin antworten konnte war er hinaus. Der erste Maat sah nachdenklich auf das Papier und musste dann unweigerlich Schmunzeln. Seinen Kapitän hatte es wirklich erwischt. Er haderte mit den Regeln, die er nicht nur sich selbst, sondern auch seiner Mannschaft aufgedrückt hatte und die zu brechen Verrat an sich selbst bedeutete. Aber hatte es Tancred nicht auch verdient, glücklich zu sein? Und noch wichtiger: War er selbst froh, dass das Bett seines Kapitäns wieder leer war? War es gut "Ersatz" für John zu sein? Nein, definitiv nicht. Überhaupt nicht! Kadmin klappte den Brief auseinander und fing an ihn zu lesen. Nicht weil er neugierig war oder sich an Johns Leid ergötzen wollte, sondern weil er wissen wollte, ob sein Kapitän nicht etwas übersah. Schließlich fand er, was er suchte in Worten, die selbst ihn, der Gefühle für sich selbst nicht zuließ, beinahe zu Tränen rührte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)