Gathering Storms von Starwings ================================================================================ Prolog: -------- Diese Geschichte ist ein MMFF Projekt von FF.de, es sind also nicht alle Charaktere auf meinem Mist gewachsen. Der Käpt'n der Bande gehört allerdings mir. Und damit auch schon viel Spaß. ______________________________________________________ Noch ein paar Wochen mehr und die kleine Insel wäre komplett vom Packeis eingeschlossen. Selbst die großen Eisbrecher der Marine hatten Mühe sich bis zum Hafen durchzukämpfen und die kleine Schneise fror in den langen Nächten bereits fast gänzlich wieder zu. Kelkrym war eine der nördlichsten Inseln innerhalb des North Blue und vor allem bekannt für den Verkauf hochwertiger Fälle und exotischen Fischfleisches. Durch die Exporte hatte sie sich einen Namen machen können und beherbergte trotz ihrer geringen Größe ein eigenes Marinefort. Die kleine Kneipe im Ort war überlaufen, weil die Soldaten im Winter meistens nichts mit sich anzufangen wussten und viele aus reiner Langeweile begannen zu trinken, was nicht selten in Gewalt ausartete. Aus diesem Grund waren die meisten Menschen im Ort der Marine über nicht sehr zugetan und kümmerten sich vorwiegend um ihre eigenen Belange. Man tolerierte die Anwesenheit der Soldaten, aber mehr auch nicht. "Zahlen bitte...", hörte man eine tonlose Männerstimme vom Tresen her und der dicke Wirt schob sich ans Ende zu dem seltsam stillen Gast. "Ach Rem, du bist's", hellte sich das fleischige Gesicht auf und der Wirt griff nach dem Geld, das der junge Mann auf das abgenutzte Holz geklatscht hatte, "Wie war die Jagd. Ich hab gehört, die Wölfe kommen wieder runter bis ins Dorf." Der junge Mann nickte, starrte aber weiterhin durch das Fenster hinaus zum Hafen. Dichte Flocken fielen vom Himmel und die Straßen waren bereits vollkommen zugeschneit. Das rechte Augen wurde von einer Augenklappe verdeckt und einige braune Strähnen hingen ihm ins Gesicht. "Das stimmt...", meinte er schließlich und erhob sich. Er stellte den Kragen seines Mantels auf und zog die bepelzte Kapuze über den Kopf, "Ihr solltet aufpassen. Ich glaube kaum, dass die Marine sich darum kümmern wird." Der Wirt stutzte, während er das leere Bierglas vom Tresen räumte und das Geld in seiner Tasche verschwinden ließ: "Das hört sich fast an als würdest du dich aus dem Staub machen wollen." "So könnte man das sagen", huschte ein unheimliches Grinsen über die sonst immer ernsten Züge und er schmiss eine Hand zum Abschied in die Luft. Als er die Tür aufzog wehte ihm ein eisiger Wind entgegen. Rem konnte nicht länger warten. Wenn er es durch das Packeis schaffen wollte, würde er sofort aufbrechen müssen. Sonst würde er den ganzen Winter hier verbringen. Er hatte angespannt auf das Marineschiff gewartet, bis es heute Morgen endlich im Hafen angelegt hatte. Diese Fahrspur war sein Ticket in das Abenteuer, auf das er sich seit nunmehr drei Jahren vorbereitete. Eiligen Schrittes stapfte er durch den hohen Schnee und steuerte im Hafen auf ein kleines Segelboot zu. Das meiste hatte er bereits heute Morgen oder schon vor ein paar Tagen an Bord gebracht. Es war also alles vorbereitet für den Aufbruch. Er wickelte das Tau los und sprang geschickt in das Boot. Mit einem prüfenden Blick zum Himmel hisste er die Segel und stellte sich hinter das Ruder. Die nächste Insel lag bereits fest und er würde sich dort nach Mitgliedern für seine Crew und einem größeren Schiff umsehen. Kapitel 1: Warum man während des Segelns nicht einschlafen sollte. ------------------------------------------------------------------ Hinter Rem lag eine ziemlich ereignislose Woche. Das Meer war bis auf den schwächeren Blizzard kurz nach seiner Abreise außerordentlich ruhig gewesen. Vielleicht sogar schon ein wenig zu ruhig. Bis auf ein paar kleinere Kurskorrekturen hatte er einfach nichts zu tun gehabt und ewig auf das Meer zu starren hatte ihm nichts als Ärger eingebracht. Zweimal war er dabei eingenickt und so jetzt ein gutes Stück von dem Kurs abgekommen, den er eigentlich vorgesehen hatte. Allerdings musste man, um ganz ehrlich und präzise zu sein, vielmehr sagen, dass er völlig vom Kurs abgekommen war und schlussendlich auf der Insel gelandet war, die er eigentlich unter allen Umständen hatte meiden wollen. Vor ihm lag eine Stadt aus weißem Stein und roten Dachschindeln, ohne nennenswertes Relief oder sonstige Sehenswürdigkeiten. Einzig und allein die hohen, blauen Mauern des Marineforts unterbrachen die Idylle der Insel. Seufzend blickte Rem also auf die Hafenstadt Taris auf der Insel Oliastris. „Da versucht man diesen Leuten aus dem Weg zu gehen und was passiert? Man rennt ihnen quasi vor die Haustür“, brummte er vor sich hin, während er sein kleines Boot mit einem Tau an dem steinernen Steg befestigte. Bevor er von Bord ging schloss er die Kabinentür ab und entfernte alle Wertsachen von Deck. Wer wusste schon, wer alles in so einer Stadt unterwegs war. Rem hatte nur einige Geschichten über die Stadt gehört, die eigentlich alle recht positiv waren. Im Gegensatz zu seiner Heimatinsel schien die Marine hier tatsächlich für so etwas wie Recht und Ordnung sorgen zu können. Um nicht gleich negativ aufzufallen ließ Rem seine Dolche und den Bogen auf dem Schiff, wurde aber trotzdem schief angesehen, kaum dass er die Stufen hinauf zur Promenade genommen hatte. Es blieb ihm jedoch nichts anderes übrig als die Blicke zu ignorieren und sich allein auf das zu konzentrieren, was gerade am wichtigsten war. Sobald er seine Vorräte aufgestockt hatte, würde er die Insel wieder verlassen. Während er über die Hauptstraße schlenderte nahm er sich die Zeit und schaute sich ein wenig genauer um. Taris unterschied sich vom Baustil her sehr von seinem Heimatdorf. Anstelle von Holzbauten dominierten hier Steinhäuser, denn trotz des Verkaufs der hochwertigen Felle, war die Stadt auf Kelkrym immer sehr einfach geblieben. Die Bauweise dort war massiv, um im Winter die Schneelasten tragen zu können. Hier legte man aber offensichtlich ein wenig mehr Wert auf den äußeren Schein. Überdachte Häusereingänge mit nichts als dürren Stahlstreben als Stützpfeiler, weit herausragende Balkone und Blumenkästen vor den Fenstern. Vom Meer her wehte ein kalter Wind hinauf in die Stadt, doch er war lange nicht so kalt wie auf Kelkrym. Außerdem konnte Rem bis auf ein paar Schneereste in einigen Häuserecken nichts finden, dass auf einen richtigen Winter hindeutete. Mit seinem üblichen ausdruckslosen Gesichtsausdruck lief er weiter die Straße entlang und schaute sich in einigen Schaufenstern die Ware der örtlichen Händler an. Auch hier warfen ihm die Leute hin und wieder leicht verängstigte Blicke zu. Der Braunhaarige konnte darauf jedoch nur sein linkes Auge verdrehen. Es mochte ja sein, dass er nicht unbedingt freundlich aussah, aber die sahen ihn ja an als wäre er ein Verbrecher. Rein objektiv betrachtet musste er jedoch zugeben, dass er mit dem dunklen langen Mantel und der Augenklappe und dem chronisch abwesenden Lächeln auf seinem Gesicht vermutlich wirklich nicht sehr nett aussah. Kam diesen Leuten überhaupt der Gedanke, dass auch normale Leute so rumliefen? Aber es lohnte sich nicht, sich darüber aufzuregen, was die Leute von ihm hielten. Solange sie ihm keine Probleme machten, war es ihm egal. „Was für eine langweilige Insel“, lehnte Rem ein paar Stunden später an der steinernen Mauer der Promenade und schaute hinaus auf das Meer, das unter dem strahlend blauen Himmel silbern auf der Oberfläche schillerte. Im Hafen lagen kaum mehr Schiffe als sein eigenes und ein paar kleinere Handelsschiffe. Etwa einen Kilometer in westlicher Richtung lagen einige Marineschiffe vor Anker, aber auch diese waren nicht besonders eindrucksvoll. Hinter ihm führte der Weg zum Fort, dass auf einer kleinen Anhöhe lag. In der Mittagssonne war es ihm in seinem dicken Wintermantel fast schon ein wenig zu warm, also knöpfte er ihn auf und ließ ihn vom Wind nach hinten wehen. Darunter kam ein schwarzes enges Sweatshirt zum Vorschein mit einem ebenfalls eng anliegenden Kragen. Den dunkelbraunen Gürtel zierte eine silberne Gürtelschnalle und seine hellbeige Hose verschwand in ebenfalls dunkelbraunen Stiefeln, die ihm etwa bis zur Hälfte seiner Unterschenkel reichten. Froh aus der lärmenden Stadt heraus zu sein, wollte er eigentlich nur die Ruhe genießen, leider hätte ihm klar sein müssen, dass sich mal wieder jemand einmischen würde. Schon von weitem konnte er laute Stimmen hören, die von der Stadt her ausgerechnet in seine Richtung kamen. Und nicht nur das, auch die weißen Uniformen konnte man nicht übersehen. „Die Marine, natürlich…“, schnaufte Rem und beobachtete aus den Augenwinkeln heraus die Patrouille. Was auch immer sie da im Schlepptau hatten, beschwerte sich nicht gerade leise über seine Behandlung. Der junge Mann hatte silberne Haare und zerrte an dem Seil, das man ihm um die Handgelenke gebunden hatte. Gerade als Rem einen genaueren Blick auf ihn werfen wollte, dieser einem der Soldaten einen Tritt in den Magen und warf den mit dem Seil in der Hand einfach vornüber als er seine Arme schwungvoll nach vorne riss. Seine kurzen silbernen Haare leuchteten in der Sonne und ein verschmitztes Lächeln huschte dem jungen Mann über das Gesicht. Allerdings verging ihm der Spaß kurz darauf auch schon wieder als ihm jemand ein Gewehr ins Kreuz drückte und ihn freundlich darauf hinwies mit dem Unsinn aufzuhören. Wie Rem es jedoch nach dieser Aktion erwartet hatte, verpasste der Silberhaarige dem Soldaten hinter ihm eine saftige Kopfnuss, ehe man ihm mit einem Gewehr selbst einen über den Schädel zog. Fluchend ging der junge Mann in die Knie und kippte dann vornüber. „Schaffen wir ihn endlich ins Fort. Ich hab keine Lust mehr mich mit ihm herum zu schlagen. Dieser Typ hat einfach keine Ahnung, wann man aufgeben sollte“, murrte einer der Soldaten. Die anderen nickten kurz, hätten sich jedoch vorher überlegen sollen, wie sie jemanden, der in etwa 1,80 m groß sein musste und sicherlich nicht allzu leicht, überhaupt jetzt noch den Weg weiter hoch zum Fort bekommen sollten. Schließlich musste einer der vieren ihn unter lautem Protest schultern und wankte gefährlich seiner Truppe hinterher. Rem hatten sie nur eines kurzes Blickes gewürdigt, stutzig gemustert, aber schließlich einfach stehen lassen. Was hatten sie auch großartig sagen sollen, ihre Vorstellung war wirklich nicht besonders professionell gewesen und wenn man nichts Wichtiges zu sagen hatte, dann war es im Zweifelsfall immer ratsam einfach die Klappe zu halten. Allerdings beunruhigten Rem auch nicht die Soldaten, sondern vielmehr der flüchtige Blick, den der Silberhaarige ihm zugeworfen hatte. Es hatte etwas Gefährliches darin gelegen und dann dieses schelmische Grinsen. Warum hatte Rem das Gefühl, dass sie sich wieder sehen würden? Natürlich nur, wenn er aus dem Fort heraus schaffen würde. Und dann noch diese Klamotten. Eine schwarze Lederjacke, Turnschuhe und ein Totenkopfanhänger um den Hals, der ihm bei dem doch recht gelungenen Tritt aus dem Ausschnitt gerutscht war. „Ein wandelndes Problem auf zwei Beinen“, schoss es Rem durch den Kopf und er war froh nicht mit in die Sache hineingezogen worden zu sein. Er war nicht sonderlich darauf erpicht sich gleich am Anfang seiner Reise mit der Marine anzulegen. Wenn es irgendwie möglich wäre, würde er sich sowieso aus allen Schwierigkeiten heraus halten. Kopfschüttelnd starrte er wieder hinaus auf das Meer und machte sich bei Anbruch der Dämmerung in die Stadt auf. Nach Möglichkeit wollte er auf der nächsten Etappe keinen Fehler mehr bei der Navigation machen und darum war es besser sich Informationen zu beschaffen. Das ging natürlich nirgendwo besser als in einer anständigen Kneipe. Irgendwann nach drei Uhr machte sich Rem auf den Rückweg. Trotz den sechs Bier war er noch vollkommen nüchtern und hatte keine Schwierigkeiten auf dem Kopfsteinpflaster zu laufen. Nicht so wie ein bemitleidenswerter Mann in den Dreißigern, der anscheinend versucht hatte seinen emotionalen Stress in Alkohol zu ersäufen; denn während er die Straße herunter stolperte heulte er sich ungehört bei der nächtlichen Stadt aus. Kopfschüttelnd ging Rem an ihm vorbei und steuerte zielstrebig auf den Hafen zu. Er würde kurz nach Sonnenaufgang ablegen und sich hoffentlich endlich auf den Weg zu seinem richtigen Ziel machen. Wenn man den Worten der Seeleute trauen konnte, war es eine recht einfache Route, die er ohne Schwierigkeiten bewältigen sollte. Vorausgesetzt natürlich er würde nicht wieder einfach an Deck einschlafen. Bei dem Gedanken huschte ein gequältes Lächeln über Rems Züge. Das Rauschen des Meeres hatte einfach eine zu beruhigende Wirkung. Wenigstens konnte er beruhigt sein, dass er nicht einfach ertrinken würde, wenn das Boot kentern sollte, schwimmen konnte er immerhin. Am Hafen angekommen nahm er die Stufen hinunter zu den Stegen und vergewisserte sich durch ein paar Blicke in alle Richtungen, dass niemand sonst dort war. Es war zwar nicht zu erwarten, dass er auf dieser Insel in ernsthafte Schwierigkeiten geraten würde, aber er wollte sein Glück auch nicht unbedingt auf die Probe stellen. Außerdem war ihm nicht entgangen, wie man auch in der Bar hinter seinem Rücken getuschelt hatte. Nur weil er so finster aussah, hieß das nicht automatisch, dass er Ärger machen würde und vor allem noch lange nicht, dass er ein Pirat war. Aber vermutlich waren die Menschen für solche weiterführenden Gedankengänge einfach zu simpel gestrickt… oder zu betrunken gewesen. Mit einem dumpfen Geräusch sprang er auf sein Boot und ließ sich am Mast nach unten sinken. Es war eine sternklare Nacht und die Temperatur war zwar kalt, aber noch lange nicht so frostig wie in den Winternächten auf Kelkrym. Es sprach also nichts dagegen die Aussicht zu genießen. Rem hätte jedoch wissen müssen, dass er nicht lange wach bleiben konnte. Kurz darauf war er bereits eingeschlafen und wachte erst wieder auf als er in der Nähe ein verräterisches Geräusch hörte. Sofort war er hellwach und versteckte sich hinter der Kabine am Heck des Schiffes. Seine Hand wanderte in die Innenseite seines Mantels und zog den Revolver hervor, den er dort verborgen hielt. Aus den Schatten heraus beobachtete er, wie eine recht große Gestalt auf das Schiff sprang und versuchte so leise wie möglich über das Deck zu gehen. Rem konnte am Gang erkennen, dass er damit nicht einmal so unerfahren zu sein schien. Hinzu kamen die beiden Schwerter, die an seiner Seite befestigt waren. Rem war sich ziemlich sicher, dass es ein Mann war und dieser kam ihm zu allem Überfluss auch noch bekannt vor. Besonders als im Mondlicht eine der Strähnen, die unter der Kapuze hervor lugten, silbern schillerte. Der Braunhaarige verengte die Augen und legte einen Finger auf den Abzug. Ohne das geringste Geräusch von sich zu geben, schlich er nach vorne und wartete darauf, dass der junge Mann ihm den Rücken zudrehte. Offensichtlich glaubte dieser, nachdem er an dem Schloss zur Kabine gerüttelt hatte, dass er allein auf dem Schiff war. Das unerwartete Klicken von Rems Revolver ließ ihn herum fahren und seine beiden Schwerter glitten in einer beachtlichen Geschwindigkeit aus ihren Scheiden. „Ich würde die Waffen wieder einstecken und verschwinden. Mich anzugreifen ist sinnlos. Ich bin ein sehr guter Schütze und an bewegliche Ziele gewöhnt“, sprach Rem tonlos und baute sich in voller Größe vor dem jungen Mann auf, auch wenn sie fast gleich groß waren. Der Silberhaarige war erstarrt, hatte aber keinesfalls vor einfach aufzugeben, das konnte Rem deutlich spüren. Unter dem Schatten der Kapuze konnte er die Züge kaum erahnen, aber er erinnerte sich an die kurze Begegnung am Nachmittag. Er durfte ihn nicht unterschätzen. „Glaubst du, ich hab Angst vor nem Revolver?“, erwiderte der junge Mann provozierend. Rem schwieg. Es schien ihm nicht notwendig darauf zu antworten. Er hatte die Waffe mit ausgestrecktem Arm auf den jungen Mann gerichtet und sein Arm zitterte nicht im Geringsten. Dem Silberhaarigen musste also bewusst sein, dass er nicht bluffte. Jedoch schien sich dieser ebenfalls sehr sicher zu sein, was seine Fähigkeiten anbelangte. „Verschwinde von meinem Schiff“, hob Rem erneut die Stimme, dieses Mal mit einem drohenden Unterton. Sein Gegenüber grinste: „Das kannste vergessen. Ich glaub eh…“ Der laute Knall von Rems Revolver hatte ihn zum Schweigen gebracht und der Silberhaarige nahm ungläubig wahr, wie ihm ein Blutrinnsal über die Wange lief. „Damit sollte die Marine auf dem Weg sein. Und jetzt runter von meinem Schiff.“ „Ich dachte du bist Pirat!“, wurde der Silberhaarige lauter. „Bin ich nicht…“, presste Rem angepisst hervor. Die Wirkung seiner Taktik war jedoch leider nicht so groß, wie Rem gehofft hatte. Der Silberhaarige schien nicht übermäßig nervös zu werden und auch die Schwerter in seiner Hand blieben ruhig. Entweder hatte er ihn also unterschätzt, oder dieses Katz und Maus Spiel machte dem jungen Mann Spaß. „Stell dich nicht so an. Keiner wird erfahren, dass du mir geholfen hast. Also gibt’s auch keine Probleme für dich. Ich will nur zur nächsten Insel, danach bin ich weg“, versuchte er es jetzt ein wenig höflicher, was ihm offensichtlich nicht gerade einfach fiel. Rem rührte sich kein Stück und ließ sich auch sonst nicht anmerken, was er denken mochte. Die Zeit arbeitete für ihn. Nicht er hatte eine Problem, sondern sein Gegenüber. „Nenn mir einen guten Grund, warum ich dich mitnehmen sollte.“ Kapitel 2: Ungebetene Gesellschaft ---------------------------------- Es war still zwischen den beiden Männern geworden. Der Silberhaarige spannte die Muskeln in seinen Armen an und Rem verbreiterte seinen Stand, damit der junge Mann ihn bei einem Angriff nicht einfach von den Füßen reißen konnte. „Hör mal, ich will dir wirklich nicht weh tun. Gib mir das Schiff einfach freiwillig…“, fixierte sein Gegenüber ihn und Rem hörte an der Stimmlage, dass er diesen lieber nicht unterschätzen sollte. Aber er schien eindeutig ihn zu unterschätzen. „Dein Fehler ist, dass du denkst, du könntest mich dazu zwingen“, entgegnete Rem ruhig. Vermutlich dachte der Silberhaarige, dass er ein leichtes Spiel mit ihm hatte, wenn er seinem Revolver ausweichen konnte und nur nah genug an ihn heran käme. Aber man durfte sich niemals der trügerischen Hoffnung hingeben, dass der Gegner nicht noch etwas in der Hinterhand versteckt hielt. In der Ferne waren Schritte zu hören. Ihr Takt ließ darauf schließen, dass es sich um eine Gruppe von mindestens drei Leuten handelte. Zwischen den Häusern oben auf der Promenade tauchte ein schwaches Licht auf, das mit jedem Augenblick der verstrich intensiver wurde und unruhig auf und ab hüpfte. „Runter von meinem Schiff“, hob Rem erneut die Stimme, bestimmt und nachdrücklich. Der Silberhaarige presste die Zähne aufeinander und wieder spannte er sich merklich an. Es war nur eine Frage der Zeit. Wie würde er reagieren? Er hatte drei Möglichkeiten, aber so wie Rem ihn einschätzte, würde er nicht einfach die Flucht ergreifen. Die Schritte wurden lauter und das Licht griff bereits nach den Häuserecken und drängte hinaus auf die Promenade. Dann ging alles ganz schnell. Der Silberhaarige hechtete nach vorn, geduckt und riss das linke Schwert nach oben um ihm den Revolver aus der Hand zu schlagen. Rem ließ das Metall der beiden Waffen aufeinander schlagen und drückte den Schwertarm nach unten. Dem anderen Schwert wich er durch eine Drehung zur Seite aus. Der Revolver und das Schwert lösten sich mit einem kreischenden Geräusch voneinander und Rem setzte mit einem Schlag zwischen die Schulterblätter des jungen Mannes nach. Der Silberhaarigen kam aus dem Gleichgewicht und musste einen Ausfallschritt machen, um nicht einfach auf die Holzdielen zu knallen. Aber er war schnell und wirbelte herum auf Rems Oberschenkel zielend. Der Braunhaarige machte einen Satz zurück und kam auf der Reling des Schiffes zum Stehen. Das kleine Boot schaukelte ein wenig hin und her, was aber beiden nichts ausmachte. Frustriert und vor allem zunehmend hektischer, warf der Silberhaarige den Kopf zur Seite und schielte hinter dem Aufbau des Schiffes her hinauf zur Promenade. Er rang kurz mit sich und blieb dann still auf der Stelle stehen: „Wie wär’s damit. Ich versteh ein wenig von Navigation. Ich bring dich dahin, wohin du willst, aber leg verdammt noch mal ab!“ Rem schüttelte lediglich den Kopf. Er konnte keinen Mann an Bord gebrauchen, der sich bei der ersten Gelegenheit mit der Marine anlegte. „Abgelehnt.“ „Ich hab nichts getan. Diese Marinetypen sind selbst schuld, wenn die einen immer provozieren!“, schrie der junge Mann ihn beinahe schon an und hechtete wieder nach vorne. „Zwecklos“, brummte Rem und sprang über den Silberhaarigen hinweg. Er feuerte erneut, dieses Mal mit einer etwas deutlicheren Warnung, sodass der junge Mann endlich verstehen würde, dass es bei ihm nicht weiter ging. Aber der sengende Schmerz im Oberschenkel schien den Hitzkopf nicht im Geringsten zu beeindrucken. Er richtete sich auf und überkreuzte die Arme vor dem Körper. „Ich hab’s versucht, Mann. Ehrlich“, grinste er verschwörerisch und Rems Instinkte machten ihm deutlich, dass er das hier nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Ein verwundetes Tier war zu allem bereit. Hinter ihm brach das Licht einer Laterne aus der dunklen Gasse hervor und vier Schatten schwärmten auf die Promenade aus. Ihre Blicke flogen über den Hafen und blieben nach kurzer Zeit an Rems kleinem Segelboot hängen. „Damit ist deine Zeit abgelaufen“, wähnte sich Rem im Vorteil, aber er irrte sich und zwar ganz gewaltig. „Käpt’n, die Marine ist da, wir müssen auslaufen!“, rief der Silberhaarige auf einmal laut und steckte die Schwerter ein. Rem ignorierte diese Aussage und zielte weiterhin auf den jungen Mann. Auch wenn er keine allzu hohe Meinung von der Marine hatte, wären die Soldaten sicherlich nicht so dumm auf so eine Finte herein zu fallen. „Wer ist der Typ?“, hörte man eine raue Stimme über den Hafen schallen. „Keine Ahnung“, antwortete jemand, während die Truppe die Steinstufen herunter eilte und die Waffen lud. „Hier“, deutete Rem auf den Silberhaarigen, „Er hat versucht…“ Man fiel ihm brutal ins Wort: „Kennt jemand den Mann mit der Augenklappe?“ „Keine Ahnung“, antwortete ein anderer Soldat und kramte in seiner Tasche nach Steckbriefen, „Sieht aus wie ein Pirat. Und der Flüchtige hat ihn Käpt’n genannt.“ Seufzend rollte Rem mit dem linken Auge und versuchte erneut die Situation zu klären: „Würde ich eine Waffe auf ein Crewmitglied richten?“ Aber die Chaotentruppe hörte ihm gar nicht zu und der Silberhaarige grinste offensichtlich belustigt. „Die überlegen echt ob wir zusammen gehören. Ich hab ja gesagt, die sind dumm genug“, trieb der junge Mann das Spiel noch weiter und so langsam schienen die Soldaten ein wenig verärgert zu werden. Rems Finger krümmte sich gefährlich um den Abzug seines Revolvers und sein Gegenüber wagte es nicht einmal sich zu bewegen. „Steckbrief?“, raunte wieder ein Soldat, mit zwei Abzeichen auf den Schultern. Er musste der Befehlshaber der Truppe sein, auch wenn er nicht wirklich klüger aussah als seine drei Gefolgsleute. Sie wirkten schlaksig und schlampig trainiert. Vermutlich allesamt Neulinge. Der Mann mit den geknüllten und ausgeblichenen Papieren in der Hand schüttelte den Kopf und suchte fieberhaft nach einem Hinweis. Die anderen hatten immer noch die Waffen auf sie gerichtet. Das durfte doch einfach nicht wahr sein. Wie blöd mussten die vier denn sein, wenn sie die offensichtliche Lage nicht erkannten? Rem wollte einen Schritt auf den jungen Mann zu machen, aber einer der Soldaten pfiff ihn sofort zurück. „Nicht bewegen!“ „Das ist alles nur ein Missverständnis“, brummte der Braunhaarige. „Lassen sie sofort die Waffe fallen!“, raunte man ihm zu. „Ich werde mich ganz sicher nicht entwaffnen“, bluffte Rem den inkompetenten Idioten an und zielte weiter auf den Silberhaarigen. Allerdings missfiel ihm das Klicken der Gewehre der Soldaten. „Das ist ein Witz…“, murmelte er vor sich hin und ließ den Arm mit der Waffe sinken. Er wusste, wie das enden würde und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Noch bevor er den Arm ganz an seine Seite hatte sinken lassen, sprang der junge Mann mit den Schwertern nach oben und löste die Seile für das Segel. Schüsse ertönten und Rem schmiss sich auf das Deck. Mit einem genervten Gesichtsausdruck nahm er zur Kenntnis, dass die Truppe tatsächlich nur aus vollkommenen Idioten bestand. „Vielen Dank!“, rief er herüber, „Dank euch wird mein Schiff gekapert!“ Als er den Kopf hob, schaute man ihn verwirrt an, bis jemand wieder das Wort ergriff: „Er hat ne Augenklappe. Das heißt doch, dass er Pirat ist, oder?“ Oben am Mast ertönte ein lautes Lachen. Kurz darauf sprang der Silberhaarige schon wieder herunter, presste sich auf den Boden als die Soldaten erneut feuerten und zerschnitt einfach das Seil, welches das Boot am Steg hielt. Rem hatte sich derweil hingesetzt und lehnte mit verschränkten Armen gegen die Tür zur Kabine, den Revolver unauffällig auf den Silberhaarigen gerichtet. „Die Machen sich aus dem Staub. Also steckten die doch unter einer Decke“, hörte er vom Hafen her und sah wie der Befehlshaber auf den Boden stampfte, bevor er seinen Untergebenen wütend Befehle entgegen brüllte. „Das waren nur zwei Leute! Und jetzt das!“ „Oh Gott!“, lachte der junge Mann wieder, „Jedes Mal dasselbe. Ich liebe es!“ Als sein Blick jedoch zu Rem wanderte, blieb ihm das Lachen im Hals stecken. Als der Morgen dämmerte, hatten die beiden jungen Männer nicht mehr als ein paar wenige Worte miteinander gewechselt. Rem hatte darauf verzichtet den Silberhaarigen, der sich unaufgefordert als Kiyan Dark vorgestellt hatte, an den Mast zu binden. Wenn er ihm glauben konnte, war er Navigator und er hatte sicherlich nicht die Absicht wieder auf der falschen Insel zu landen. Allerdings war er auch nicht so blöd Kiyan einfach zu vertrauen, also kontrollierte er den Kurs, soweit es seine Fähigkeiten zuließen. „Ich kann nicht glauben, dass das geklappt hat“, fühlte sich der Silberhaarige offenbar dazu gezwungen eine Konversation zu beginnen. Rem hatte jedoch nicht im Geringsten Lust dazu eine erzwungene Unterhaltung zu führen und schon gar nicht mit jemandem, der eindeutig nicht auf sein Schiff gehörte. Andererseits war er auch kein Unmensch, selbst wenn dieser Typ es verdient hatte. Er konnte Kiyan ansehen, dass die Wunde am Bein schmerzhaft sein musste. Sie war zwar nicht tief, da er den jungen Mann nicht hatte ernsthaft verletzen wollen, aber nichtsdestotrotz sollte sie versorgt werden. „Setz dich“, deutete er auf die Reling und stand auf um im Inneren der Kabine den Verbandskasten zu holen. Die Kabine war nicht sonderlich groß. Links befand sich eine einfache Kochnische, mit einem Waschbecken, einem Hängeschrank darüber und einem kleinen Gasherd. Gegenüber stand eine Sitzecke, bestehend aus einer dunklen Holzbank und einem ebenso dunklen Tisch. An der hinteren Wandseite war ein Bett mit dunkelblauer Decke und einem zusammengeknüllten Kopfkissen, da es Rem im Allgemeinen nicht für nötig erachtete es aufzuschütteln. Der Vorratsschrank an der rechten Außenwand war kaum von dem Kleiderschrank gleich daneben zu unterscheiden, dieser war lediglich kleiner. Mitten im Boden war eine Holzluke, die nach unten führte, wo Rem die meisten Vorräte lagerte, vor allem das Wasser. Nachdem er den Erste-Hilfe Kasten aus dem Kleiderschrank geholt hatte, nahm er noch seine Dolche, die einfach auf dem Holztisch lagen. Diese befestigte er hinten horizontal an seinem Gürtel. Wer wusste schon, welche Tricks Kiyan noch anwenden würde. Wieder an Deck blinzelte er zweimal als er aus der dämmrigen Kabine ins Licht der aufgehenden Sonne trat. Der Himmel war nur spärlich bewölkt und über dem dunklen Meer war der Horizont in ein feuriges Rot getaucht. Über ihnen waren nur noch wenige Sterne zu sehen und der Mond. Kiyan stand immer noch ungerührt da und starrte auf den Verbandskasten in Rems Hand. Der Braunhaarige war sich nicht sicher, ob er sich das einbildete, aber der junge Mann schien ein wenig nervös zu werden. Erst als er den Koffer öffnete und lediglich ein wenig Desinfektionsmittel und Verbandszeug hervorholte, beruhigte er sich wieder. „Hier. Das wirst du ja wohl allein hinbekommen“, drückte Rem ihm das Zeug in die Hand und setzte sich ihm gegenüber hin, die Arme wieder einmal vor der Brust verschränkt. „Danke…“, besaß Kiyan genug Anstand um sich zu bedanken. Rem sah über den Bug hinaus aufs Meer, jedoch nicht ohne vorher an dem gekappten Seil hängen zu bleiben. Er hatte kein Ersatztau, womit sich die Frage stellte, wie er sein Boot im nächsten Hafen festmachen sollte. „Fertig“, meldete sich Kiyan irgendwann und der Braunhaarige warf einen flüchtigen Blick auf den Verband. Aber er schien einigermaßen ordentlich angelegt worden zu sein. Der Silberhaarige hatte mittlerweile die Kapuze vom Kopf gezogen und Rem hatte ihn bereits des Öfteren dabei erwischt, wie er mit dem Totenkopfanhänger in den Fingern gespielt hatte. Die Haare hingen ihm auf der Stirn ein wenig ins Gesicht und seine Augen waren blaugrau, wie der Himmel von einigen Tagen als er in den Sturm geraten war. Ansonsten konnte er nicht viel über ihn sagen, aber er war sich mittlerweile sicher, dass er nicht viel älter sein konnte als er selbst. Vielleicht war er auch gleich alt. „Du hat mir noch gar nicht deinen Namen gesagt…“, versuchte der Silberhaarige es erneut, aber Rem blockte einfach ab. „Ach komm schon. Bei dem Kurs sitzen wir mindestens noch fünf Tage zusammen auf dem Kahn hier rum.“ Wieder keine Reaktion. „Das mit den Marinesoldaten war nicht meine Schuld.“ Ein vorwurfsvoller Blick des Braunhaarigen folgte. „Okay, vielleicht ein bisschen… Ist ja schon gut. Es tut mir leid, ja?“, brummte Kiyan und machte ein paar vorsichtige Schritte. Er überprüfte auf dem Kompass, den Rem ihm überlassen hatte, jedoch nur für die Dauer der Fahrt, wie er sehr deutlich gemacht hatte, die Richtung. Vor sich hinmurmelnd ging der Silberhaarige zum Heck um am Ruder den Kurs zu korrigieren. Rem sah ihm kurz nach, bevor er sich auf den Holzboden sinken ließ und den Kopf nach hinten gegen das raue Holz lehnte. Der Wind war nicht besonders stark, sodass das Segel immer wieder schlaff in sich zusammensank. Bei diesem Wind mussten sie am Ende noch Angst haben, dass die Marine sie einholen würde, auch wenn er nicht ernsthaft daran glaubte, dass die Marine wegen einem Kleinkriminellen gleich ein Kriegsschiff losschickte. Trotzdem war die Situation mehr als ärgerlich. Er hatte zwar einen Navigator an Bord, aber leider dazu ein bekanntes Gesicht für die Marine, dass auch noch gezielt Ärger suchte. Er war froh, wenn er Kiyan auf der nächsten Insel endlich los wäre. Ansonsten machte der junge Mann einen recht lebhaften Eindruck und schien nicht übermäßig aufgedreht zu sein, was Rem als sehr angenehm empfand. Sein Verhalten in dem kleinen Geplänkel war auch nicht unbedingt schlecht gewesen, durchaus einfallsreich auf jeden Fall. Der Braunhaarige schüttelte den Kopf. Es würde sich zeigen müssen, ob er ernsthaft in Erwägung ziehen würde ihn an Bord zu behalten. Zuerst brauchte er ein richtiges Schiff. Alles Weitere würde sich auf Resch-Island zeigen. Die Insel mit der Schiffswerft lag innerhalb des Corralemo Archipels und hatte einen durchaus guten Ruf, zumindest in dieser Gegend des North Blues. Das Archipel bestand aus vierzehn größeren und kleineren Inseln. Resch-Island lag am nordwestlichen Rand der Inselgruppe und trieb regen Handel mit den beiden Hauptinseln, die weiter im Süden lagen. Das war also das nächste Ziel und eine gute Gelegenheit um auf den einzelnen Inseln Informationen zu sammeln und die Vorräte aufzustocken, denn die würden schneller zur Neige gehen als Rem lieb war, immerhin hatte er jetzt ungebetene Gesellschaft an Bord. Kapitel 3: Eine Seefahrt die ist lustig und je eher sie vorbei ist, umso besser! -------------------------------------------------------------------------------- Natürlich waren die Lebensmittel ausgerechnet zwei Tage vor der Ankunft knapp geworden, sodass sie das Boot hatten anhalten müssen, um ein wenig Fisch an einer günstigen Stelle zu fangen. Kiyan kannte sich erstaunlich gut in diesen Gewässern aus und hatte nicht lange gebraucht eine geeignete Stelle zu finden. Die Sonne hatte sich hinter einigen grauen Wolken hervor gekämpft und obwohl das Thermometer kaum an die fünf Grad reichte, hatte Rem bereits den Mantel zur Seite gelegt und stand lediglich in Shirt und Hose da. Der Silberhaarige machte den Eindruck irgendetwas sagen zu wollen, schwieg aber. Er hatte in den letzten Tagen, in denen er in der kleinen Kabine auf dem Boden geschlafen hatte, verstanden, dass mit Rem nicht zu spaßen war. Der Blick in den sturmgrauen Augen sagte mittlerweile auch aus, dass er wohl lieber auf einem anderen Schiff gelandet wäre. Aber man arrangierte sich miteinander. Rem hatte bei der Angel improvisieren müsse, so stand er nun mit seinem Jagdbogen auf der Reling und hatte eines der dünneren Seile um einen der dunkelgefiederten Pfeile gewickelt. Er strich über das helle Holz und überprüfte die Spannung der Sehne. Zum Griff hin verdickte sich das Holz, ehe es sich kurz unter der Mitte wieder verjüngte und mit dunklerem Holz appliziert war. Die verschlungenen Malereien darauf waren typisch für sein Dorf und markierten den Status, den ein Jäger innerhalb der Gemeinschaft einnahm. „Du bist dir sicher, dass das klappt?“, hörte er dann doch Kiyan von hinten, „Das Seil sieht nicht besonders stark aus.“ „Das ist der Köder“, brummte Rem genervt als hätte der Silberhaarige eine viel zu offensichtliche Frage gestellt. Dieser ging sofort in den Angriff über und ließ den Kommentar nicht einfach auf sich sitzen: „Vielleicht müsste ich dich nicht fragen, wenn du mal mit mir reden würdest. Ich hab bisher nicht mehr als deinen Namen rausgekriegt.“ „Warum beschwerst du dich?“, entgegnete der Braunhaarige kühl, „Ich kenne auch nur deinen Namen. Wenn du also so ein dringendes Bedürfnis hast dich mitzuteilen, dann tue das… obwohl, nein, halt lieber die Klappe, wenn du nichts Wichtiges zu sagen hast.“ Kiyan schüttelte einfach nur den Kopf und ergab sich. Es war sinnlos mit diesem Mann zu diskutieren. „Danke“, kommentierte Rem das Verhalten und erntete einen sehr warnenden Blick dafür. Diesen ignorierend griff er nach dem letzten Fisch, der in einem Eimer unter ihm schwamm. Er durchstach das Fleisch und spannte dann den Bogen. Der Pfeil rauschte hinaus auf das Meer und der Braunhaarige pflanzte sich auf die Reling. „Wenn etwas angebissen hat, werde ich dir das Seil überlassen und du ziehst es zügig, aber nicht zu schnell, ein.“ Kiyan stellte sich stur: „Warum sollte ich dir die Arbeit abnehmen?“ „Weil du Hunger hast“, kam die Antwort wieder einmal ungerührt und ruhig, was den Silberhaarigen nur noch mehr aufregte, „Und du nimmst mir nicht die Arbeit ab. Du bringst die Beute nur näher an das Schiff heran.“ „Aha“, brummte der junge Mann und schüttelte den Kopf. Auf so etwas hatte er nun wirklich keine Lust. Leider meldete sich sein Magen, denn das Frühstück war an diesem Morgen doch reichlich dürftig ausgefallen. Nachdenklich griff er sich an den Anhänger, der unter seiner Jacke ruhte und sein Blick schweifte in die Ferne ab. Rem musterte Kiyan aus den Augenwinkeln heraus und beobachtete ihn. Das tat er jetzt bereits seit einigen Tagen immer wieder und der Silberhaarige schien sich dem nicht einmal wirklich bewusst zu sein. Nur hin und wieder trafen sich ihre Blicke und der junge Mann verzog kurz das Gesicht, bevor er sich umdrehte und nach hinten zum Steuerrad ging. Dieses Mal jedoch bemerkte der Silberhaarige wieder nichts und murmelte irgendetwas vor sich hin, während er erst über den Horizont hinaus blickte und dann nach oben. Dabei fiel sein Pony zur Seite und gab den Blick auf die Narbe frei, die sich über sein rechtes Auge zog. Aber im Gegensatz zu Rem, schien er das Auge noch benutzen zu können. Kiyan machte einige Schritte auf die Reling zu, sah auf die Wasseroberfläche und überprüfte dann die Seile am Segel. Der Braunhaarige drehte den Kopf ein Stück weiter herum, damit er den jungen Mann richtig ansehen konnte: „Müssen wir mit einem Sturm rechnen?“ Dieser antwortete nicht sofort, sondern sprang von der Reling aus auf den Aufbau und starrte eine Weile Richtung Ostnordost: „Beeil dich einfach mit dem Fischen, dann haben wir auch kein Problem.“ Rem schwieg und widmete sich wieder dem Angeln. Das Seil in seiner Hand war vollkommen ruhig, bis auf das leichte hin und her, dass durch die Wellen verursacht wurde. Hin und wieder zupfte er daran, aber die Bewegung war kaum wahrnehmbar und so bekam man den Eindruck, dass er sich gar nicht bewegen würde. Nach etwa einer Stunde erschien Kiyan wieder von hinten und überprüfte erneut die Lage. „Hier“, zerriss Rems Stimme die Stille zwischen ihnen und er warf dem Silberhaarigen das Seil zu. Dieser fing ohne Probleme und ein Rucken ging durch seinen Körper als er die Leine fest mit beiden Händen umklammerte. Das war ein ganz schöner Zug! „Und was machst du jetzt!“, presste er hervor und stemmte sich gegen das Gewicht. Doch er bekam keine Antwort, sondern ihm fiel einfach nur Rems dunkles Shirt vor die Füße und seine dunkelbraunen Stiefel. Der Braunhaarige zog zusätzlich seine beiden Dolche aus den Scheiden hinten an seinem Gürtel und sprang ohne zu zögern ins Meer. „Ist der wahnsinnig?“, knurrte Kiyan und ließ sich bis zur Reling fallen, damit er Rem hinterher sehen konnte, „Das muss arschkalt sein!“ „Zieh ihn näher zum Boot!“, rief ihm der Braunhaarige zu und schwamm mit schnellen Zügen weiter hinaus aufs Meer. Kiyan verengte die Augen und stemmte sich mit einem Bein gegen die hölzerne Schiffswand: „Versuch ich ja!“ Ein Schatten wand sich nur noch wenige Meter vor Rem hektisch durch das Wasser und zerrte an dem Seil, das ihm kaum etwas entgegen zu setzen hatte. Mit einem tiefen Atemzug tauchte der Braunhaarige unter und hielt Ausschau. Dahinten kämpfte ein etwa 46 Pfund schwerer Rotflossensternfisch mit dem Köder und war gar nicht begeistert, dass ihm der Pfeil halb aus dem gezackten Maul ragte. Rem grinste und umfasste die Griffe seiner beiden Dolche fester mit der Hand. Die Klingen waren etwa so lang wie sein Unterarm und leicht gebogen. Die Griffe waren mit einfachem, schwarzem Leder umwickelt, das bereits an einigen Stellen abgegriffen war. Langsam aber sicher kam der Fisch auf ihn zu und seine breit gefächerten roten Flossen leuchteten blutrot. Der Körper des Meeresbewohners war langgezogen und stromlinienförmig. Auch das gezackte Maul war rötlich und die vordersten Zacken bildeten einen Stern, der dem Fisch seinen Namen gab. Der im Gegensatz dazu blaue Schwanz peitschte hin und her und ein roter Faden schlängelte sich vom Maul durch das Wasser. Mit zwei Zügen war Rem da und riss den Fisch an der herausragenden Pfeilspitze zu sich. Das gezackte Maul ratschte an seiner Haut vorbei und hinterließ drei rote Striemen, die allerdings nur oberflächlich waren. Mit einem gezielten Stich unten in den Hals war der Kampf vorbei und er tauchte wieder auf. „Du kannst ihn einholen“, wank er Kiyan zu, der an der Leine zog. Rem schwamm daneben her und ließ sich schließlich von dem Silberhaarigen wieder auf das Schiff helfen. Kurz darauf war der Fisch fachgerecht zerlegt worden und die Innereien waren einfach wieder im Meer gelandet. Während der Fisch in der Pfanne brutzelte und Rems Sachen draußen zum Trocknen ausgelegt waren, saß er lediglich mit seinem Mantel und seinem Sweatshirt bekleidet in der Kabine und säuberte seine Dolche. „Interessante Angelmethode“, grinste Kiyan und sog begierig den Geruch von frisch gebratenem Fisch auf, der bereits den kleinen Raum komplett ausfüllte, obwohl das Bullauge über dem Herd aufstand. Draußen hatte es sich ein wenig zugezogen, aber sie hatten bereits wieder Kurs gesetzt und der kleine Sturm würde in eine andere Richtung ziehen. „Man sollte immer wissen, wie man sich versorgen kann“, antwortete Rem kurz angebunden ohne aufzusehen und hielt einen seiner Dolche gegen das spärliche Licht, dass die Gaslampe über ihnen im Raum verteilte. „Du bist Jäger, stimmt‘s?“, fragte der Silberhaarige und lehnte sich auf der Bank soweit zurück, bis er mit dem Rücken an die Wand kam. Rem nickte. „Hab ich mir gedacht. Das ganze Zeug, das du mit dir rumschleppst. Die Dolche, der Bogen, Pfeile, ein Jagdmesser und der Revolver. Außerdem war das Rekordgeschwindigkeit bei dem Fisch.“ Der Braunhaarige wischte seine Waffen mit einem Tuch ab und legte sie auf den Tisch. Dann stand er auf und ging zum Herd herüber um noch ein wenig Salz zum Fisch zu geben und er schmiss ein paar getrocknete Kräuter hinzu. Behelfsmäßig wendete er die Fleischstücke, allerdings nicht ohne, dass die Stücke ihm auseinander fielen. „Was macht deine Verletzung?“, fragte Rem so unvermittelt, dass Kiyan nach Luft schnappen musste und fast hinten herüber von der Bank fiel. Versuchte der Braunhaarige gerade wirklich versöhnlich mit ihm zu reden? „Fast verheilt…“, brummte er dementsprechend und tastete nach dem Verband unter seiner schwarzen Jeans. „Gut. Das Essen ist ebenfalls fertig.“ Die beiden Männer sahen sich in die Augen und beiden war anzusehen, dass diese Atmosphäre ihnen ein wenig unangenehm war. Kiyan schielte in die Pfanne und verzog das Gesicht. „Und das kann man essen?“ Rem verengte die Augen und zog die Pfanne wieder weg von ihm: „Der Bogen liegt in der Ecke, bedien dich.“ Grinsend schaute der Silberhaarige zu seinen beiden Schwertern, die ebenfalls in der angedeuteten Richtung lagen. „Ich hab die Leine eingeholt, schon vergessen?“ Rem folgte dem Blick. Die Schwerter des jungen Mannes faszinierten ihn, soviel musste er zugeben. Er hatte immer schon eine Schwäche für gute Handwerkskunst gehabt und besonders das Drachenschwert schien eine ganz besondere Waffe zu sein. Der Drachengriff, das viereckige Stichblatt und auch das obere und untere Ende der Schwertscheide waren mit Gold verziert und wenn ihn sein Auge nicht betrog, handelte es sich um echtes Gold. Kein Wunder also, dass Kiyan seine Katana kaum aus den Augen ließ. Wenn er sich noch richtig erinnerte, dann verlief die Härtelinie in einem wellenförmigen Muster entlang der Klinge und sie war in einem makellosen Zustand gewesen. Prüfend musterte er den Drachenkopf am Ende des Schwertgriffes mit den dornförmigen Fortsätzen am Hinterkopf und dem leicht geöffneten Maul. Besonders faszinierend waren die Augen, die regelrecht zu leuchten begannen, wenn Licht darauf fiel. Um die Schwertscheide aus rötlich, dunkelbraunem, polierten Holz war ein dunkles Tuch gewickelt, mit einem leichten grünlichen Stich, je nachdem wie man es betrachtete. Es schien auch irgendwas in das dunkle Holz eingraviert worden zu sein, aber Rem konnte die abgegriffenen Zeichen nicht mehr lesen. Das andere Schwert war wesentlich einfacher gestaltet, aber auch hier war um die einfarbig schwarze Schwertscheide ein dunkles, grünliches Tuch gewickelt. Das Stichblatt war einfach rund und er konnte sich nicht erinnern, dass die Klinge ein besonderes Muster getragen hatte. Wie bei einem einfachen Katana üblich war das Griffband so gewickelt worden, dass rombenförmige Aussparungen übrig gelassen worden waren, durch die das hellere Material darunter zum Vorschein kam. „Selbst der Mast hätte den Job besser gemacht als du“, erwiderte Rem schließlich wieder einmal eiskalt und ließ nicht erahnen, wie genau er diese Aussage gemeint hatte, lenkte damit aber von den Waffen ab. Trotzdem war er neugierig, woher jemand wie Kiyan wohl ein solch kostbares Schwert hatte. Abwägend musterte der Silberhaarige sein Gegenüber und forderte sein Mittagessen ein, das ihm aber erneut verweigert wurde. „Alter. Über Essen macht man keine Witze!“ Und mit so einem düsteren Blick in den Augen, wie Rem ihn hatte, bestimmt auch nicht. Zwei Tage später lief das kleine Boot im Hafen von Resch-Island ein und Kiyan wurde unter einigem Protest dazu gezwungen in eine der dort befindlichen Schiffswerften zu gehen und ein neues Tau zu holen, während Rem auf dem Schiff zurückblieb und sich eine Pause an Deck gönnte, den Kragen seines Mantels so hoch gezogen, dass er ihm bis kurz über die Nasenspitze reichte. Der Himmel war grau und seit den letzten zwei Tagen hatten sie die Sonne nicht mehr gesehen. Über den Bergen der Insel hing dichter Nebel und die höher gelegenen Gebiete waren mit Schnee bedeckt. Das Archipel war bekannt für seine hohen Gebirge und steilen Küsten. Allein Resch-Island bot aufgrund des flacheren Reliefs die nötigen Voraussetzungen für Schiffswerften, mit einer langen flachen Küstenlinie auf der Westseite dem offenen Meer zugewandt. Hohe Werftshallen säumten dementsprechend den gesamten Hafen und die Auswahl an Schiffen, die hier zusammen kam, war erstaunlich. Einige der größeren Schiffe mussten ein halbes Vermögen wert sein. Die Stadt dahinter war dagegen überaus überschaubar. Größere Kneipen reihten sich wie man es erwarten würde an der Hauptstraße entlang auf, die sich immer weiter den Hügel hinauf wand. Kleinere Gasthäuser gab es ebenfalls, aber nichts, was wirklich nach Geld aussah. Die meisten Leute, die hierher kamen, blieben nur so lange, bis ihr Schiff fertig war oder holten ihre Bestellungen ab. Ein längerer Aufenthalt wurde vermieden und wenn, auf einer der Nachbarinseln verbracht, vor allem den größeren Südinseln. Ansonsten bestanden die Bauten aus denselben hellen Steinen und auffallend roten Schindeln, wie man sie häufig im North Blue fand, vor allem auf denen, die höchstens alle zehn Jahre einen richtigen Winter erlebten. Und genau so ein Winter schien sich wieder anzukündigen. Kiyan hatte auf dem letzten Stück davor gewarnt, dass unter Umständen der Sturm doch noch die Richtung ändern könnte und sie auf der kleinen Insel überraschte. Umso wichtiger war es, dass sie endlich das Schiff richtig vertäuen konnten, gesetzt des Falles, dass sie hier kein anderes Schiff finden würden. Rem ignorierte die hämischen Bemerkungen zu seiner kleinen Nusschale und auch die offenen Beleidigungen, die man ihm an den Kopf warf. Er war so ein Verhalten durchaus gewöhnt und dementsprechend klug und selbstbeherrschend genug, nicht gleich den Kopf zu verlieren. Außerdem amüsierte es ihn, mit seinem kleinen Schiff zwischen den großen Schiffen zu liegen. Mal sehen, wie lange der Hafenmeister auf sich warten lassen würde. Kiyan war unterdessen unterwegs und suchte nach einer kleineren Werft, wie Rem ihm geraten hatte. Allerdings war er von den Methoden des Braunhaarigen wenig begeistert. „Wenn ich meine Schwerter wieder habe, kann der Typ was erleben“, knurrte er und seine Fäuste zitterten dabei. Wann war er überhaupt an seine Sachen gekommen? Er durfte ihn nicht unterschätzen, das könnte gefährlich werden. Während er am Hafen herum lief und einige größere Stahlhallen hinter sich ließ, kam er an einem Informationsbrett der Marine vorbei und blieb prompt wie angewurzelt stehen. Sein Blick huschte zu beiden Seiten ehe er auf das einfache Holzbrett zuging und sich die Steckbriefe ansah. Die Leute hinter ihm gingen einfach weiter und beachteten ihn gar nicht. „Scheiße…“, fluchte er vor sich hin und riss sein Bild von der Wand. Wütend knüllte er es zusammen und stopfte es in die Tasche. Er hatte sich doch nur ein paar Mal mit diesen verklemmten pseudo Rittern des Rechts angelegt, da musste man doch nicht gleich Steckbriefe von ihm im North Blue verteilen! Jetzt konnte er es sich erst recht sparen zu den größeren Werften zu gehen und um die Marine, die hier ebenfalls mit einem Schiff vertreten war, sollte er wohl einen ganz großen Bogen machen… Natürlich nur, wenn die ihm nicht wieder so doof wie auf der letzten Insel kamen. Wer um Ärger bettelte, sollte sich nicht wundern, wenn er den auch bekam. Eilig ging Kiyan weiter und schielte immer wieder in die Gassen zwischen den Lagerhallen, aber dort sammelte sich nur irgendwelcher Schrott und hin und wieder Arbeiter, die sich eine Zigarette in ihrer Pause gönnten. Gleichzeitig dröhnte aus den Werften der Lärm von Hämmern und Metall das aufeinander traf. Je weiter er in Richtung Süden ging, umso leiser wurde es und umso kleiner wurden die Stapel Holz und Stahlplatten vor den Hallen. Vermutlich hätten sie besser hier vor Anker gehen sollen, denn hier versammelten sich vor allem diejenigen, die weniger Geld zu haben schienen. In ihrer Nachbarschaft hatten nur große Handelsschiffe vor Anker gelegen. „Tja… ich hab’s ihm ja gesagt. Wenn er Ärger bekommt ist das seine Sache“, murmelte Kiyan vor sich hin und spielte wieder einmal mit dem Totenkopfanhänger. Er hätte von Rem eigentlich erwartet, dass er von selbst darauf kommen würde, dass er nicht unbedingt da oben anlegen sollte, aber ausgerechnet in dieser Sache, schien er aus irgendeinem Grund geradezu stur gewesen zu sein. Der Silberhaarige konnte sich allerdings nicht beschweren, immerhin hatte der Braunhaarige bei dieser Sache endlich mal seinen ewig neutralen Gesichtsausdruck verändert. Vielleicht hatte er für den Bruchteil einer Sekunde sogar so etwas wie ein Grinsen gesehen. Lachend schüttelte er den Kopf, wurde aber sehr schnell wieder ernst. Wehe ihm er würde seine Schwerter verlieren! Wenn sein wertvollster Besitz auch nur einen Kratzer abbekam, würde er Rem dafür den Kopf abreißen! „Das sieht doch gut aus…“, blieb er stehen und musterte die kleine Halle vor sich. An der Wand hing ein Schild auf dem Enram Company stand. Allerdings waren die Stahlletter schon ein wenig angerostet. Allzu viel Geld konnte hier also eindeutig nicht auf das Äußere angewendet werden. Dementsprechend ging der junge Mann durch das große hölzerne Tor in die Werft hinein. Auf einer Vielzahl von Holzstreben aufgebockt stand das Rohskelett eines kleineren Schiffes und wurde von allen Seiten mit Hämmern bearbeitet. An den Rändern waren Arbeiter damit beschäftigt das Holz vorzubereiten. „Was willst du hier?“, maulte ihn jemand von der Seite an, kaum dass er einen Fuß hinein gesetzt hatte. Kiyan riss sich zusammen nicht in der gleichen Manier zu antworten. Er musste ruhig sein, dieses verdammte Tau besorgen, um dann endlich seine Schwerte wieder zu bekommen. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass in dem aufgesetzten Grinsen ein Anflug an Ärger mitschwang. Der Silberhaarige musterte den dicklichen Mann in Anzughose und Hemd vor sich und blieb einen Moment lang an der riesigen Warze hängen, die aus dem verschwitzten Gesicht wucherte, gleich neben der runden Knollnase: „Ich brauche nur ein Tau, damit wir unser Schiff festbinden können.“ UNSER Schiff. Ja klar! Rem hätte ihn ja am liebsten schon von Bord geschmissen! Der Mann lachte und strich sich durch das lichte Haar, das er in fettigen Strähnen halb über seinen angeschwollenen Schädel gekämmt hatte. „Sollte man für solche Fälle nicht immer ein Ersatztau dabei haben?“ Dieser Tonfall! Kiyan presste die Zähne aufeinander und versuchte einzig und allein an seine Schwerter zu denken, oder alternativ auch daran, wie er diesem Typen das schmierigen Grinsen aus dem Gesicht prügeln könnte. Eigentlich war er ein sehr geduldiger Mensch, aber in letzter Zeit versuchte einfach jeder ihm irgendwie blöd zu kommen. „Die Fahrt war ein wenig rau…“ „Hast du denn überhaupt Geld?“, bluffte der Dicke. „Nein“, antwortete der Silberhaarige. Rem hatte ihm keinen Berry gegeben und sein eigenes Geld würde er bestimmt nicht für ein Schiff ausgeben, dass ihm nicht gehörte! „Dann vergiss es“, brummte sein Gegenüber, „Wir haben hier nichts zu verschenken.“ Kiyan schielte hinter den Mann und zog eine Augenbraue hoch. Da lagen mindestens ein Dutzend Taue auf dem Boden und das eindeutig seit längerer Zeit ungenutzt. „Ja, klar…“ „Chef. Der Kunde ist da“, hörte man ein dezentes Husten von der Seite und jemand deutete nach draußen. Wütend starrte der Dicke ihn an und warf dann die Hände in die Luft: „Gebt ihm ein Seil und sorgt dafür, dass er aus der Werft verschwindet!“ Zufrieden grinste der Silberhaarige. „Hier!“, schmiss ihm jemand ein Tau zu. Das schwere Seil schlug ihm genau in den Nacken und das Gewicht drohte ihn nach vorne zu reißen. Lachen schallte durch die Halle, aber die Arbeiter beachteten ihn nicht länger als notwendig. Kiyan ermahnte sich ruhig zu bleiben und bekam irgendwie ein „Danke“ hervor. „Verlier das Tau nicht, das ist das einzige, das du von uns bekommst.“ „Jaja!“, knurrte der Silberhaarige und stapfte vor sich hinbrummend aus der Halle. Immerhin hatte er das Seil ohne größere Schwierigkeiten bekommen, auch wenn es nicht mehr besonders gut aussah und nach Lack und Öl stank. Aber es schien noch halbwegs stabil zu sein und das war das einzige was gerade zählte. Kapitel 4: Kapitel 4: Und jetzt? -------------------------------- Kiyan dachte angestrengt über seine weiteren Pläne nach, während er zurück zum oberen Hafen ging. Dabei hatte er eine Hand in die Hosentasche gesteckt und strich mit den Fingern über das zerknüllte Papier. Er überlegte, ob er die Kapuze überziehen sollte, aber das wäre vermutlich noch wesentlich auffälliger. Oder er färbte sich die Haare? Lächerlich! Warum sollte er sich verstecken. Wenn er erstmal seine Schwerter wieder hatte, dann würde er der Marine schon zeigen, wo’s lang ging. Und für den Fall, dass Rem sich weigern würde, ihm seinen Besitz wieder zu geben, würde er den Braunhaarigen eben mit bloßen Händen dazu zwingen. Er müsste ihn nur überraschen. Rem war sicherlich nicht körperlich stärker als er selber und in den letzten Tagen hatte dieser Typ ihn eindeutig zu oft herum kommandiert! Der Silberhaarige grinste vor sich hin. Eigentlich gefiel ihm sogar der Gedanken dem Augenklappenträger mal ein wenig mehr Ausdruck ins Gesicht zu prügeln. Verdammter arroganter Mistkerl! Fest entschlossen ging er weiter und kam schließlich an dem kleinen Boot an, um das sich bereits eine beachtliche Gruppe versammelt hatte. Unsicher ging er näher heran und schob einige Leute zur Seite, die sich zwar beschwerten, aber das machte ihm nun wirklich nichts. Vor dem Bug stand jemand mit Uniform und einem Klemmbrett in der Hand. Der lange weiße Bart des Mannes bog sich kurz unter seiner Brust in zwei Richtungen auseinander und seine hellgelbe Krawatte hing ihm halb aus dem marineblauen Jackett. Räuspernd richtete der Mann seine gleichfarbige Mütze und schien ebenso entschlossen Rem eine saftige Standpauke zu halten, wie er selbst. „Jetzt wachen sie endlich auf. Ich lasse mich von einem Jungspund doch nicht für dumm verkaufen!“, donnerte die leicht heisere und durch die Wut eindeutig ein wenig zu hohe Stimme zu Rem herüber, der sich jedoch kein Stück regte. Die fast schwarzen Augen des älteren Herren funkelten gefährlich und die Flügel der großen Hakennase bebten. „Das hier ist ein privater Bereich! Verschwinden sie sofort mit ihrem Schiff oder ich lasse sie von meinen Männern abführen!“ Kiyan sah sich um und entdecke drei bullige Hafenarbeiter mit dem gleichen Zeichen auf dem Rücken, wie bei dem Hafenmeister. Zugegeben sehr einfach, mit einem Hammer und einer Säge vor einem traditionellen Dreimaster, aber das Zeichen war in einem großen Teil des North Blue bekannt. Als der Silberhaarige noch einen Schritt näher kam, schlug Rem die Augen auf und warf ihm völlig unvermittelt seine beiden Schwerter entgegen. „Da bist du ja endlich. Hier sind deine Schwerter. Schmeiß das Tau einfach rüber.“ Völlig perplex ließ Kiyan das Tau fallen und schnappte seine beiden Waffen aus der Luft. Es war gut, sie wieder in der Hand zu halten, aber durch diese Aktion starrten die Leute ihn jetzt auch noch an und das konnte er im Moment so gar nicht gebrauchen. „Gehört ihr etwa auch zu diesem Schiff?“, baute sich der Hafenmeister bedrohlich vor Kiyan auf und stemmte die Hände in die Hüften. Noch bevor Kiyan antworten konnte, mischte sich Rem ein: „Nein. Ich hatte ihn lediglich gebeten ein Tau zu holen, mehr nicht. Die Waffen hat er bei mir bestellt.“ Der Braunhaarige warf Kiyan einen Blick zu, der ihn ermahnte jetzt nichts Falsches zu sagen. Doch der Silberhaarige war immer noch verfblüfft. Auch wenn es natürlich stimmte, dass er eigentlich nichts mit ihm zu tun hatte. Aber wie sollte er es sagen, er hatte eigentlich gedacht, dass der Braunhaarige keine Gelegenheit auslassen würde, ihn loszuwerden. „Stimmt das?“, hakte der ältere Mann nach. Kiyan nickte: „Mit dem hier hab ich nichts zu tun. Er hat mir lediglich nen guten Preis gemacht.“ „Dann mach dich vom Acker“, scheuchte der Hafenmeister ihn weg und Kiyan drängte sich ohne einen weiteren Blick wieder durch die Menge davon. Aber wie hatte Rem ihn überhaupt über die ganzen Leute hinweg erkannt? Dieser Typ war irgendwie seltsam… Er hatte ihm auch ohne zu zögern seine Schwerter wiedergegeben. Vielleicht war der Braunhaarige doch gar nicht so ein schlechter Mensch. Bevor er jedoch ganz verschwunden war, hatte Kiyan noch einen Blick auf das Namensschild an der Brust des Hafenmeisters geworfen: Theodoro Morgen. Rem schaute dem Silberhaarigen nur kurz hinterher und richtete sich dann langsam auf. Der Mantel war aufgeknöpft und wehte in der leichten Meerbrise, während er die Arme vor dem Körper verschränkte und dem Hafenmeister einen völlig ruhigen und gelassenen Blick zuwarf: „Wo liegt das Problem? Das hier ist ein Hafen.“ „Das hier ist das obere Hafenviertel. Schiffe ihrer Größe haben unten anzulegen!“, drohte Theodoro jeden Moment in die Luft zu gehen. „Die Schilder muss ich übersehen haben. Mir sind nur diejenigen aufgefallen, die einen völlig überteuerten Preis verlangt haben.“ Die offensichtliche Ruhe brachte den Hafenmeister nur noch mehr auf die Palme: „Regeln sind Regeln!“ „Warum macht ihr überhaupt einen Unterschied?“ „Solches Gesindel wie ihr gehört hier nicht hin!“, stampfte der ältere Mann auf den Boden und zückte einen Stift, „Genug ist genug!“ „Gesindel?“, fragte Rem und m acht einen Schritt auf Theodoro zu, „Normale Kunden als Gesindel zu bezeichnen, ist nicht gerade höflich. Außerdem kann ich die Hafengebühren ohne Probleme bezahlen, also hört auf meine Zeit zu verschwenden.“ „Wenn sie sich noch länger weigern, hole ich die Marine!“, lief der Hafenmeister hochrot an und nickte den bulligen Typen neben sich zu. Bedrohlich knackten die reisen mit den Fingern und machten sich bereit. „Was für eine Art mit Fremden umzugehen. Ich bin zahlende Kundschaft. Solltet ihr nicht froh sein, dass ich hier mein Geld verschwende?“ „Das ist eine Unverschämtheit. Dieser Bereich ist nur für angemeldete Kundschaft…“ „Dann tragt den Namen ‚Derrik Norman‘ ein und lasst mich in Ruhe. Für solche sinnlosen Gespräche habe ich keine Zeit.“ Der Braunhaarige breitet die Hände aus: „Oder wollt ihr tatsächlich riskieren, dass es hier zu einer Auseinandersetzung kommt? Das würde ihrem Ruf beträchtlich mehr schaden als eine kleines Segelboot.“ Ohne auf die Antwort zu warten nahm er das Tau in die Hand und befestigte es am Boot. „Damit werden sie ni-…“, die hochgezogenen Schultern erstarrten und sanken leicht nach unten, bevor der Hafenmeister endgültig explodierte: „Das reicht! Ergreift ihn!“ Während der Mann in marineblauer Uniform noch geredet hatte, war Rem einfach auf den Pier gesprungen und bückte sich nach unten, um sein Segelboot zu vertäuen. Als er sich wieder aufrichtete nahm er einen faustgroßen Beutel von seinem Gürtel und drückte ihn dem Theodoro in die Hand: „Damit ist die Gebühr bezahlt. Und bei dem Sturm, der bald hier ankommen wird, wird sowieso kein Schiff mehr einlaufen.“ Danach sprang er wieder auf das Segelbott und schulterte seinen Bogen und einen Rucksack. Der Hafenmeister schüttelte den Kopf und öffnete das Bündel. Stirnrunzelnd zog der Mann ein makelloses weißes Fell heraus. Ratlose Gesichter musterten den Pelz und Rem nutzte die Gelegenheit über die Rückseite seines Schiffes auf die Hafenpromenade zu hüpfen und verschwand zwischen zwei der größeren Werften dort. Zurück blieb eine verdutzte Gruppe, bis jemand laut aufschrie und sich das Fell krallte. Der junge Mann in Anzug und Lupenbrille auf der eindeutig zu klein geratenen Nase, hielt das schneeweiße Stück in die Luft und wendete es immer wieder: „Dieses Stück Fell ist ein halbes Vermögen wert…“ „Was?“, kam es verblüfft von Theodoro und ihm klappte der Kiefer herunter. „Das reicht für mindestens eine Woche hier im Hafen“, erklärte der junge Mann weiter. „Dieses kleine Stück?“, raunte es ungläubig durch die versammelten Schaulustigen. Etwas im gleichen Moment fiel einem der bulligen Typen auf, dass sich eine bestimmte Person aus dem Staub gemacht hatte: „Chef?“ „Was?“, fuhr dieser herum. „Er ist weg“, kam die Antwort nüchtern. Das Klemmbrett fiel aus dem Arm des Hafenmeisters scheppernd zu Boden und er fluchte laut vor sich hin, krallte sich aber trotzdem noch das Fell bevor er wutentbrannt über den Pier zur Hafenpromenade eilte. Dieser Typ würde ihm nicht so einfach entwischen! Rem zog den Riemen seines Rucksacks wieder höher und korrigierte die Weite mit der Leine, die an seiner Seite herunter hing. So ausgestattet sah er vermutlich nicht besonders vertrauenserweckend auf, aber es wäre eine fatalerer Fehler gewesen seine Sachen an Bord des Segelschiffes zu lassen. Er traute dem Hafenmeister durchaus zu, dass er das Boot beschlagnahmte oder zumindest bewachen ließ. So hatte er jedoch keinerlei Notwendigkeit zurückzukehren, sollte er schneller als erwartet an ein neues Schiff kommen. Aber natürlich hatte allein sein Hang zum Realismus ihm überaus deutlich gemacht, dass es sicher nicht so einfach werden würde und die Erfahrungen, die er machte, bestätigten dies. Die größeren Werften lehnten ihn durchweg ab, sogar ein ums andere Mal ohne ihn wirklich angehört zu haben. Es war keine Frage des Geldes, denn Rem hatte durchaus die Mittel sich auch ein größeres Schiff zu kaufen, aber wie erwartet stand ihm sein Aussehen im Weg. Bis zum Abend hatte er dementsprechend fast alle Werften, die überhaupt in Frage gekommen wären, abgeklappert und saß müde auf einer Holzkiste, die unbeachtet in einer der Gassen stand. Mit geschlossenen Augen lehnte er an der Metallwand der Werft hinter ihm und blendete das beständige Hämmern einfach aus. „Das war sogar noch sinnloser als ich gedacht hatte“, brummte der Braunhaarige vor sich hin und schaute auf das Gepäck zu seinen Füßen. Wer hätte gedacht, dass so viele Leute hier selbst zahlende Kundschaft zurückweisen würden. Allerdings kamen kleinere Werften auf anderen Inseln nicht für ihn in Frage. Er brauchte ein Schiff, das es selbst mit den Widrigkeiten auf der Grand Line aufnehmen konnte und das fand man sicherlich nicht einfach irgendwo. Er brauchte eine Alternative. Glücklicherweise war er sehr geduldig und ließ sich von diesem Rückschlag nicht entmutigen. Er brauchte nur Informationen und das im Idealfall von Leuten, die sich aufgrund gewisser Umstände auch nicht mehr mit delikateren Informationen zurückhielten. Es war an der Zeit wieder mal einer schlechten Kneipe einen Besuch abzustatten. Und so eine zu finden hatte nicht einmal besonders lange gebraucht als er erstmal die Hauptstraße hinter sich gelassen hatte und einfach dem Geruch von Alkohol durch eine paar zweifelhafte Gassen gefolgt war. Auch ein nicht zu unterschätzender Lärmpegel war immer ein untrügliches Zeichen dafür, dass man von seinem Ziel nicht mehr allzu weit entfernt sein konnte. Natürlich beruhte diese Einschätzung nur auf seinen bisher doch recht dürftigen Erfahrungen, aber warum sollte das ausgerechnet auf dieser Insel anders sein? „Also noch einmal…“, klang Rems Stimme über die nicht zu unterschätzende Lautstärke in dem schäbigen Schankraum, dessen Mobiliar offensichtlich auch schon bessere Zeiten gesehen hatte, „Es gibt also noch eine Werft auf der Insel. Und wo?“ „Ich hab nichts gesagt“, hickste die rothaarige Bohnenstange vor ihm und seine Hände zuckten nervös auf seinem Schoß. Den angeknacksten Bierkrug vor sich hatte er noch nicht einmal anrühren können und seine beiden Kumpel wagten sich auch nicht in das Gespräch einzumischen. Um sie herum ging das fröhliche Treiben einfach weiter, ohne dass auch nur einer etwas bemerkt hätte. Oder solche Situationen waren mehr oder weniger normal. Durch das unruhige Licht der Öllampe über dem improvisierten Tisch, der aus einem eisenbeschlagenen Fass und einer Holzplatte bestand, wirkte Rems Gesicht noch wesentlich unfreundlicher als es ohnehin schon war. Auch der Bogen, der sich immer noch über seinen Rücken spannte, erweckte nicht wirklich einen vertrauensvollen Eindruck. Der Braunhaarige seufzte und ließ einen seiner Dolche unter dem Tisch aufblitzen: „Wir können das hier auf zwei Arten regeln. Entweder, du sagst mir, was ich wissen will, oder du hast ein nicht zu unterschätzendes Problem.“ Der hagere Mann schluckte und seine graugrünen Augen zuckten panisch zu seinen beiden Kameraden herüber, die aber scheinbar kein wirkliches Interesse daran hatten ihm zu helfen. Warum schien es dem Mann überhaupt so schwer zu fallen, diese einfache Information preis zu geben? Es ging schließlich nur um eine einfache Werft, oder? Was genau verbarg sich dort, was Rem nicht sehen durfte? Er musterte den Rothaarigen genauer. In dem leichten beigefarbenen Shirt waren allerlei Ölflecken und die Hände übersät mit kleineren Narben und Hornhaut. Und obgleich dieser Typ relativ schmal war, hatte er doch nicht zu unterschätzende Oberarme, genau wie seine beiden Kollegen. Das wiederum legte den Schluss nahe, dass sie vermutlich Schiffszimmermänner waren. Warum wollten sich also nicht preisgeben, zu welcher Werft sie gehörten und wo diese Werft lag? Rem ließ seinen Blick durch die Kneipe schweifen und entdeckte ein paar ziemlich zwielichtige Gestalten. „Vielleicht…“, kreuzte ein interessanter Gedanke seinen Verstand. „Ich habe mich wohl nicht klar genug ausgedrückt“, setzte er wieder an und hätte am liebsten die Augen verdreht, bei dem Anblick vor sich, „Ich kann auch einfach melden, dass ihr mit Piraten kollaboriert. Ist euch das lieber?“ Der Rothaarige unterdrückte nur mit Mühe einen Aufschrei. Volltreffer! Das machte die Sache für den Braunhaarigen doch gleich viel einfacher. Jetzt musste er nur noch herausfinden, wo diese Werft war. Allerdings schienen die beiden Angsthasen neben dem Rothaarigen nicht seine einzigen Freunde zu sein. „Gib’s ein Problem“, baute sich ein wahrer Hüne vor ihm auf. „Keinesfalls“, ließ Rem den Dolch wieder verschwinden und warf dem Rothaarigen einen drohenden Blick zu. Warum waren die Typen auf dieser Insel überhaupt so groß? Bekamen die Leute in den Werften Wachstumshormone? Dieser Bär war mindestens einen ganzen Kopf größer als er! Dazu noch das Muskelshirt, das bei ihm eindeutig die Bezeichnung verdient hatte und eine Narbe, die auf der rechten Brustseite hervor blitzte. Dazu war dieser noch gut gebräunt und schaute ebenso grimmig wie Rem. Allein seine seltsame Kopfbedeckung, machte das Bild ein wenig kaputt. Die Wintermütze mit zwei Bommeln dran und so etwas, dass aussah wie Hundeohren, war wohl noch ein Relikt aus der Kindheit des Riesens. „Er hat mich bedroht“, flüchteten sich die Drei natürlich sofort hinter ihren Kollegen mit der Hundemütze. Rem rollte mit den Augen und wich einen schnell ausgeführten Faustschlag aus, der ihn sicherlich von den Beinen gehauen hätte, wenn er getroffen hätte. „Der Chef wird uns ne saftige Standpauke halten, wenn wir wieder da sind…“, hörte er einen der dreien sagen und versuchte auch den Rest des Gespräches heraus zu filtern. Leider fühlten sich die restlichen Gäste durch die Schlägerei mehr amüsiert als genervt und sofort räumte man ihnen so etwas wie einen Ring frei. Sie riefen laute Anfeuerungsrufe und für den Fall, dass Wetten angenommen wurden, stünden diese sicherlich alle haushoch gegen ihn. Derweil machte sich sein Opfer einfach aus dem Weg. „Na vielen Dank“, brummte Rem und wich ein ums andere Mal aus, „Jetzt kann ich wieder von vorne anfangen…“ „Hier spielt die Musik!“, brüllte man ihm in nicht zu unterschätzender Lautstärke entgegen und den nächsten Hieb musste er tatsächlich mit dem Arm abblocken. „Geh mir nicht auf den Geist!“, knurrte der Braunhaarige und zog seine beiden Dolche. Sofort schallten ihm Buhrufe entgegen. Kopfschüttelnd rollte er mit den Augen und rauschte auf den Riesen vor ihm zu. Er tauchte unter dem nächsten rechten Haken hinweg und hatte freie Bahn nach oben gegen das Kinn. Blitzschnell drehte er seine Waffen um, damit er den Riesen nicht verletzen würde und schlug dann mit voller Wucht zu. Der Kopf seines Kontrahenten flog nach hinten und sein Körper folgte der brutalen Bewegung. Augenblicklich war es still in der Kneipe und Rem drängte sich zum Ausgang. Doch kaum hatte er seinem Gegner den Rücken zugedreht, schlossen sich dessen muskelbepackten Arme schon wieder um ihn. Rems Muskulatur in den Unterarmen verkrampfte sich und langsam aber sicher wurde er ein wenig ungehalten. „Jetzt reicht’s!“, schrie er aufgebracht und drückte mit Gewalt die menschlichen Fesseln auseinander, „Ich habe lediglich versucht an ein paar Informationen zu kommen!“ Sobald die Brust ungeschützt war, zerschnitt er dem Riesen das Oberteil und hinterließ zwei oberflächliche Schnitte auf dessen Brustmuskeln. Ein Schmerzensschrei erklang, von dem sich Rem jedoch nicht beeindrucken ließ. Er drehte sich an seinem Gegner vorbei, sprang hoch und versetzte ihm zwei harte Schläge gegen Nacken und Hinterkopf. Ohne ein Zucken brach der Mann zusammen und blieb regungslos auf dem Boden liegen. „Er hat ihn umgebracht!“, schrie jemand lallend und der Wirt machte ein außerordentlich böses Gesicht. „Er ist nicht tot!“, bluffte Rem und wischte das Rinnsal Blut mit dem zerrissenen Oberteil des Riesens von seinen Dolchen, „Nur bewusstlos!“ Mit einem Klacken waren seine Waffen wieder in die Scheiden in seinem Rücken geglitten und er stapfte zurück zu dem umgeworfenen Tisch, an dem er gesessen hatte, um seinen Rucksack aufzunehmen. Das war ja wunderbar gelaufen… Wieder draußen hatte er Hausverbot und den eindringlichen Hinweis bekommen, sich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen. Vorher hatte Rem jedoch noch darauf hingewiesen, dass man die Wunden des Mannes versorgen sollte und am besten Eis auf den Hinterkopf packte. Er war ja kein Unmensch, diese ganze Sache war nur passiert, weil man sich ihm in den Weg gestellt hatte. „Unglaublich“, murmelte er vor sich hin und hatte den Blick auf den Boden geheftet. Leider war es auf dem Steinpflaster so gut wie unmöglich irgendwelche Spuren zu finden. Es war also Zeit für eine kleine Jagd. Rem hatte sich in eine der Gassen gekauert und beobachtete den Eingang der Schänke.Mal sehen, wie schnell sich der Riese erholen würde und noch ein weiterer Mann schien etwas mit den anderen Schiffszimmermännern zu tun gehabt zu haben. Es dauerte eine ganze Weile, bis jemand in der Tür erschien, den er als verdächtig empfand und war erstaunt als der Mann mit Zopf und einem auffälligen Hut nicht in die Stadt verschwand sondern sich in die entgegengesetzte Richtung aufmachte, hoch in die Berge. Warum sollte jemand um diese Uhrzeit noch in die Berge gehen? Auch dieser Mann hatte kräftige Oberarme und war vermutlich ein Schiffszimmermann. Da der Braunhaarige ohnehin keine anderen Anhaltspunkte hatte, entschloss er sich dazu, dem Mann zu folgen. Und es war nicht einmal schwierig diesen zu verfolgen, ohne, dass er es merkte. Er war viel zu sehr auf den Weg konzentriert, um hinter sich zu sehen, vielleicht auch zu betrunken, obwohl er nicht unsicher auf den Beinen war. Sobald die letzten Straßenlaternen hinter ihnen lagen, entzündete er eine Laterne und ging unbeirrt seinen Weg. Der schmale Pfad schlängelte sich vor ihm durch einige wenige Täler, die sich über die Zeit in das massive Gestein gefressen hatten. Die Lichter der Stadt waren schon bald nicht mehr als eine Ahnung hinter ihnen und verschwanden irgendwann hinter einer größeren Kurve. Der Pfad war erstaunlich fest und gut ausgebaut. Selbst an steileren Hängen war er stabil und mit Eisenstreben verstärkt, wie Rem beeindruckt feststellte. Es war also keinesfalls ein Schleichweg, sondern schien durchaus viel belaufen zu sein. Zu jeder Zeit passten hier bequem drei Leute nebeneinander her und Höhenunterschiede wurden sanft überwunden, sodass der Pfad nicht zu steil wurde. Nach nicht einmal zwei Stunden erreichten sie das andere Ende des Gebirges. Sie waren am äußeren Rand entlang gegangen und hatten die höchsten Erhebungen gemieden. Es war Rem schleierhaft, warum man so einen langen Weg zurücklegte, nur um sich in einer Kneipe zu betrinken. Andererseits ging es ihn auch nichts an, was diese Männer in ihrer Freizeit machten. Im Osten lauerte bereits die Sonne und ein helleres Grau mischte sich zu dem tiefschwarzen Ton der Nacht. Der Mann vor ihm löschte die Laterne und folgte dem Weg weiter entlang der Küste. Weit unter ihnen, so schien es dem Braunhaarigen, brandete das Meer gegen die Steilküsten und das Terrain fiel leicht vor ihnen ab. Soweit er es erkennen konnte, lag vor ihnen eine weitere Bucht und genau dort war sein Ziel. Eine hohe Halle stand in der Nähe des grasbewachsenen Ufers und daneben befanden noch weitere kleinere Gebäude. Aus einem dieser Bauten stieg Rauch auf und es schienen einige Leute auf den Beinen zu sein. Was Rem jedoch am meisten ins Auge fiel und vor allem misstrauisch stimmte, war das Piratenschiff, dass dort vor Anker lag. Das erklärte dann auch das Gesindel in der Schänke. „Das wird interessant“, sagte er laut genug, damit der Mann vor ihm es hörte und auf der Stelle zusammenzuckte. „Ich will mit eurem Chef reden. Nachdem du mich hergebracht hast, macht es dir sicherlich nichts aus, mich ihm vorzustellen.“ Sein Gegenüber zog grimmig die Augenbrauen zusammen und schnaufte verächtlich: „Klar. Du hast Charlie zusammengeschlagen. Ich bin sicher, der Chef freut sich schon drauf, deine Bekanntschaft zu machen.“ „Umso besser“, entgegnete Rem. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)