Zwischen den Zeilen von "Die Rosen von Versailles" von Engelchen ================================================================================ Kapitel 2: Neue Freunde, alte Feinde und Ehrenworte --------------------------------------------------- Vor dem Palas de Jarjayes kam ein kleiner, verängstigt drein schauender Junge, mit dunkelbraunen Augen und ebensolchen Haaren an. Es war Andre, der Enkel von Sophie. Andre war, nachdem er die ersten zwei Wochen nach dem Tod seiner Mutter bei den Nachbarn gelebt hatte, von Laurent, dem Leibdiener General de Jarjayes, dort abgeholt worden. Die Familie Lefort, die ihm Kost und Logis gegeben hatte, erhielt eine großzügige Entschädigung, die ihnen Laurent aushändigte. Monsieur und Madame Lefort waren nicht unfreundlich zu ihm gewesen, dennoch wusste Andre das sie froh waren einen zusätzlichen Esser los zu sein. Sie hatten zehn eigene Kinder und Mittags gab es nur eine dünne Gemüsebrühe und am Abend eine trockene Scheibe Brot. In der Kutsche blinzelte ihm der Diener, der ihm gegenüber saß, zu. „Weißt du wohin ich dich bringe Andre?“ „Ja,“ antwortete ihm Andre. „Madame Lefort hat gesagt das ich dorthin komme wo meine Großmutter als Kindermädchen arbeitet.“ Der Diener nickte. „Du hast ungeheures Glück mein Junge. Du wirst der Spielkamerad von Oscar werden, dem jüngsten Kind des Generals de Jarjayes. Es gibt in seinem Haus für jeden genug zu essen und du wirst sicher sehr gut behandelt werden. Etwas besseres hätte dir gar nicht passieren können.“ Als er Andres traurige Augen sah fiel ihm wieder ein das der Junge vor kurzem erst seine Mutter verloren hatte. „Nun ja, nachdem du ja nun keine Familie mehr hast meine ich.“ Andre sah ihn nur weiter unglücklich an und so verlief die Reise schweigend. An einem Gasthaus wurde Rast gemacht und gemeinsam mit dem Kutscher zu Mittag gegessen. Andre stocherte lustlos in seinem Teller herum. Neben seinem Kummer setzte nun auch die Aufregung ein. Wie es wohl in dem fremden Haus sein mochte? Alles war unbekannt für ihn. Selbst seine Großmutter war ihm eine Fremde. Sie hatte ihn und seine Mutter nur ein einziges Mal besucht und da er erst vier Jahre alt gewesen war, hatte er an sie keine Erinnerung mehr. Hoffentlich war sie kein gemeiner Drachen, so wie die Großmutter eines seiner Freunde, die den ganzen Tag in ihrem Lehnstuhl saß und und jeden ankeifte, der nur in ihre Nähe kam. Philippe, dem Kutscher tat der blasse, kleine Waisenjunge ebenso leid wie General de Jarjayes Leibdiener. Krampfhaft überlegte er wie er das Kind am besten aufheitern konnte. Vielleicht würde ihm eine lustige Begebenheit ein Lächeln entlocken. Ob es in der Familie de Jarjayes unbedingt lustig war mochte dahin gestellt bleiben. In den Augen von Philippe waren sie alle zumindest etwas sonderbar. Vor allem der General hatte seine Eigenheiten. Allein schon die Sache mit seinem jüngsten Sprössling, dem kleinen „Es“ wie es das Personal untereinander nannte. Der General machte jedem weiß Oscar wäre ein Knabe, dabei wusste jedermann, außer Oscar selbst, dass Madame de Jarjayes, am ersten Weihnachtstag vor acht Jahren, zum sechsten Mal mit einer Tochter niedergekommen war. Aufmunternd sah Philippe Andre an. „Die Familie bei der du nun leben wirst hat es in sich mein Junge. Der General bekommt die größten Wutausbrüche weit und breit. Wenn er brüllt so hört man ihn 10 Meilen weit.“ Entsetzt hörte ihm Andre zu. Das war ja furchtbar und dem Mann sollte er nun auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein? Der Kutscher schien Andres Gesichtsausdruck nicht zu bemerken. „Madame de Jarjayes liegt den ganzen Tag nur auf dem Kanapee und beklagt sich, dabei ist sie kerngesund und die Töchter der beiden sind launische Mädchen und tyrannisieren damit den ganzen Haushalt, das kannst du dir kaum vorstellen.“ Der Fuß des Leibdieners Laurent traf ihn am Schienbein. Mahnend sah er ihn an. Das ging nun doch zu weit so über die Herrschaft zu sprechen, zumal es schamlos übertrieben war. Der Kutscher war jedoch in seinem Element. „Das merkwürdigste ist aber Oscar, das jüngste Kind. Stell dir vor, es ist ein Mädchen, trägt aber einen Knabennamen und auch solche Kleidung und wir alle müssen so tun als ob sie ein Junge wäre, sonst zieht uns der General bei lebendigem Leib die Haut ab.“ „Nun reicht es aber!“ fuhr Laurent auf. „Deine Schwatzhaftigkeit wird uns noch Ärger bereiten.“ Er sah Andre an, dem vor Staunen der Mund offen stand. Solch eine Geschichte wie der Kutscher sie erzählte, hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht gehört. Laurent überlegte sich wie er Andre wieder beruhigen konnte. Wenn Philippe weiter seine Schauermärchen erzählte würde er den Jungen womöglich nicht mehr in die Kutsche bekommen. „Andre hör zu. Es ist alles nicht so wie Philippe erzählt. General de Jarjayes ist ein strenger Mann aber niemals ungerecht. Wenn du alle Regeln in seinem Haus befolgst wirst du nichts zu befürchten haben. Madame de Jarjayes ist eine sehr gütige Dame. Nach der Geburt der Kinder ist sie gesundheitlich etwas angeschlagen. Und was Oscar betrifft …. Nun das ist in der Tat etwas merkwürdig.“ Laurent überlegte wie er Andre den Sachverhalt wohl am Besten darlegen konnte. „Also es ist so: Es stimmt das Oscar ein Mädchen ist.“ „Ein Mädchen das Oscar heißt?“ „Ja, nun hör weiter. Oscar ist die sechste Tochter von Monsieur und Madame de Jarjayes. Natürlich braucht General de Jarjayes einen Erben, der später so wie er als General in den Dienst des Königs tritt. So hat er beschlossen das Oscar wie ein Junge erzogen werden soll und später in die Armee des Königs eintritt. Du darfst dir niemals anmerken lassen das du weißt das Oscar in Wirklichkeit ein Mädchen ist. Wenn du es doch tust so wird dich General de Jarjayes sofort ins Waisenhaus schicken und glaube mir mein Junge dort ist es nicht angenehm. Außerdem werden Philippe und ich entlassen, weil wir es dir erzählt haben. Es muss also unser Geheimnis bleiben. Hast du mich verstanden Andre?“ Andre nickte stumm. Ins Waisenhaus wollte er auf keinen Fall. Nach allem was er davon gehört hatte musste es dort furchtbar sein. Laurent und Philippe waren so freundlich zu ihm, dass er auf keinen Fall wollte das sie ihre Stellung verloren und verhungern mussten. „Versprichst du das du nichts sagen wirst?“ „Ich gebe euch mein Ehrenwort“ versprach Andre und zur Bekräftigung streckte er Zeige- und Mittelfinger nach oben, so wie es ihm die älteren Jungen in seiner Straße beigebracht hatten, denn nur dann galt ein Versprechen. „Ich wusste doch das du ein verlässlicher Kerl bist,“ lobte Philippe „Darauf spendier ich dir ein Bier.“ „Du kannst doch dem Kind kein Bier geben?“ „Und warum nicht? Wir trinken jetzt auf unser gemeinsames Geheimnis.“ Bevor sich Andre recht besonnen hatte stand ein großer Bierkrug vor ihm. Er probierte vorsichtig einen Schluck. Es schmeckte bitter. Da er Phillippe aber nicht kränken wollte begann er seinen Krug in kleinen Schlucken aus zu trinken. Bei jedem Schluck schmeckte es ihm eine bisschen besser. Ihm wurde warm im Gesicht und er fühlte sich so gut gelaunt wie seit Wochen nicht mehr. Jetzt verstand er warum zuhause die Männer immer so fröhliche Lieder gesungen hatten, wenn sie aus dem Wirtshaus kamen. „Na siehst du,“ freute sich Philippe. „Es tut ihm gut. Bist eben doch ein ganzer Kerl, stimmts Andre?“ Kaum wieder in der Kutsche angelangt spürte Andre eine bleierne Müdigkeit. Er legte den Kopf auf den Sitz und schlief einfach ein. Er wusste nicht wie lange er geschlafen hatte, doch als Laurent ihn wach rüttelte war es draußen dunkle Nacht. Andre bekam kaum noch mit wie er ins Haus gebracht wurde. „Das ist dein neues zuhause, Palas de Jarjayes,“ hörte er noch Laurents Stimme neben sich. Schon wurde er von einer kleinen, rundlichen Frau mit weißen Haaren umarmt. Sie fühlte sich warm und weich an und roch irgendwie nach Plätzchen. Als er aufsah schauten ihn gutmütige, blaue Augen an, die zu einem rosigen, lieben Gesicht gehörten. „Ich bin deine Großmutter, Andre. Willkommen in Palas de Jarjayes. Du gehörst jetzt zu uns. Alles wird nun wieder gut.“ Genau so hatte sich Andre immer eine richtige Großmutter vorgestellt. Glücklich kuschelte er sich an sie und ließ sich von ihr davon tragen. Als Andre am Morgen erwachte wusste er zuerst nicht wo er war. Dann fiel ihm wieder ein das er nun bei seiner Großmutter lebte, wo er der Spielkamerad des Mädchens werden sollte das in Wirklichkeit ein Junge war. Oder war es doch andersherum gewesen? Ihm schwirrte der Kopf. Das musste wohl an dem Bier liegen das er am Abend bekommen hatte. Obwohl er zugeben musste das es nach einem Weilchen ausgezeichnet geschmeckt hatte. „Ah, du bist wach.“ Die Tür öffnete sich und seine Großmutter kam ins Zimmer und zog die Vorhänge auf. Nun konnte sich Andre im Zimmer umsehen. Es kam ihm beinahe so groß vor wie das gesamte Haus seiner Mutter. „Hast du gut geschlafen Andre?“ erkundigte sich seine Großmutter freundlich. Andre konnte nur nicken. Seine Großmutter schien jedoch in Plauderlaune zu sein. Bald sollte Andre merken das sie das immer war. „Ich hoffe dir gefällt dein Zimmer?“ „Das soll mein Zimmer sein? So groß...!“ Andre kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Er fühlte sich wie ein Prinz. „Jetzt zieh dich aber schnell an. Frische Kleider liegen für dich auf dem Stuhl.“ Schon war seine Großmutter nach draußen gegangen. In der großen Küche - irgendwie schien in diesem Haus alles groß zu sein - bekam Andre sein Frühstück, einen Croissant mit Butter und eine Tasse Tee. Auch die Portion war viel größer als er es von zuhause oder von der Familie Lefort gewohnt war. Normalerweise würden die anderen Dienstboten mit ihnen essen, wie ihm seine Großmutter erklärte aber es waren alle schon an ihre Arbeit gegangen und weil er so erschöpft war hatten sie ihn schlafen lassen. „So tief wie du schlafen sonst nur Leute die zu viel getrunken haben,“ meinte seine Großmutter. Andre hüllte sich in Schweigen. „Monsieur Oscar wartet bereits auf dich“, sagte seine Großmutter zu ihm. „Sie...pardon er, ist ein sehr braves Kind. Du wirst dich immer gut betragen und ihn mit Monsieur ansprechen. Du darfst auch an seinem Unterricht mit teilnehmen und an seinen Übungsstunden im Fechten und Schießen, denn Oscar wird einmal ein großer General werden wie sein Vater.“ Natürlich verschwieg sie ihm Oscars wahres Geschlecht, denn General de Jarjayes hatte sie am Abend vor Andres Ankunft noch einmal ausdrücklich instruiert kein Wort davon gegenüber Andre zu erwähnen und da Sophie, bei aller Geschwätzigkeit, keinesfalls mit ihrem Enkel auf der Straße landen wollte hielt sie sich daran - schon Andre zuliebe. Andre verschwieg seiner Großmutter das er längst schon alles wusste, Ehrenwort war schließlich Ehrenwort. Nach dem Frühstück brachte ihn Sophie ins Studierzimmer. Andre fühlte sich wie in einem Labyrinth. Die vielen Zimmer und Stockwerke verwirrten ihn und all die Pracht die er von zuhause nicht kannte schüchterte ihn ein. Als er mit Sophie nach deren Anklopfen das Studierzimmer betrat, saß dort an einem Tisch das „Es“ mit seinem Hauslehrer und las gerade etwas in einer fremden Sprache vor. Kaum das sie ins Zimmer getreten waren stand das Kind mitten in seinem Satz vom Tisch auf, trat auf sie zu und streckte ihm die Hand hin. „Ich bin Oscar Francoise de Jarjayes. Bist du mein neuer Spielkamerad?“ „Ja, ich heiße Andre Grandier.“ Andre sah in ein aufgeschlossenes Gesicht, mit freundlichen, blauen Augen und er wusste das er das blonde Kind ihm gegenüber, was immer es sein mochte, ob Junge oder Mädchen, gern haben würde. „Wir haben nun Lateinstunde. Wie weit bist du schon in dieser Sprache?“ Erschreckt sah Andre Oscar an. Latein war, soweit er wusste, diese seltsame Sprache die der Pfarrer in der Kirche hatte. „Ich denke nicht sonderlich weit, Oscar“ - ein Stoß seiner Großmutter traf ihn - „ich meine Monsieur Oscar.“ „Du musst nicht Monsieur zu mir sagen. Ich heiße nur Oscar,“ sagte das blonde Kind. „Oh nein,“ fuhr Sophie auf. „Das gehört sich nicht.“ „Ich will es aber so,“ bestimmte Oscar. Der Lehrer schien nun äußerst ungeduldig zu werden. „Darf ich nun bitten mit der Stunde fort zu fahren? Madame Glace bitte verlassen sie das Studierzimmer. Wir haben zu arbeiten.“ So ging Sophie nach draußen und der Unterricht wurde fortgesetzt. Auf die Lateinstunde folgte Geographie, dann Geometrie und darauf Deutsch. Als sich zeigte das Andre längst nicht auf Oscars Stand war, ging der Hauslehrer Monsieur Dumas dazu über den beiden unterschiedliche Aufgaben zu geben. Andre hatte zwar die Volksschule für die bürgerlichen Kinder besucht, aber natürlich wurde dort eine andere Form der Bildung angestrebt wie sie die Kinder der Adligen genossen. Nach dem Mittagessen, das Oscar mit ihrer Familie einnahm und Andre im Dienstbotentrakt, wurde Nachmittags im Hof fechten geübt. General de Jarjayes hatte Andre nur kurz auf seine Art willkommen geheißen. „Du bist also Andre, der Enkelsohn unserer lieben Sophie! So lange du bei uns lebst erwarte ich von dir Fleiß, Disziplin und Respekt! Nun beginnen wir mit der Fechtstunde.“ Bevor Andre auch nur in der Lage war etwas zu sagen hatte er schon einen Degen in die Hand gedrückt bekommen. Vor ihm stand Oscar, die eben eine solche Waffe in der Hand hielt. Unwillkürlich ging sie damit auf ihn los und Andre wich einen großen Schritt zurück. Ihre Degenklinge schlug gegen seine, wieder und immer wieder und Andre wich weiter zurück. Er überlegte ob er mit seinem Entschluss dieses Kind zu mögen nicht doch etwas zu voreilig gewesen war. „Nimm die Klinge hoch und wehre damit ab,“ hörte er die Stimme des Generals. Damit konnte Andre wenig anfangen und wie er so weiter nach hinten wich stolperte er über einen Stein und landete unsanft auf seinem Hosenboden. Schon hatte ihm Oscar seinen Degen aus der Hand geschlagen, der davon flog und setzte ihm ihre Degenspitze an die Kehle, so wie sie es von ihrem Vater gelernt hatte. Entsetzt spürte Andre die Spitze und sah Oscar an, die plötzlich richtig gefährlich auf ihn wirkte und bei der Gefahr gab es nur ein einziges wirksames Mittel- die Flucht. So schnell er konnte rappelte er sich auf und rannte nach drinnen zu seiner Großmutter. „Was hat man uns denn da für einen kleinen Feigling ins Haus geschickt?“ hörte er hinter sich noch die Stimme des Generals. Außer Atem stürzte er in das Zimmer in dem er, bevor in Hof hinaus gegangen war, seine Großmutter hatte verschwinden sehen. Diese saß mit Catherine am Tisch und die beiden waren über eine ihrer endlosen Stickarbeiten gebeugt. Erschrocken sprangen sie beide auf als die Tür so plötzlich aufgerissen wurde und der völlig aufgelöste, atemlose Andre vor ihnen stand. „Lieber Gott, mein Junge! Was ist denn nur geschehen?“ fragte Sophie fassungslos. Mit aller Kraft brüllte Andre: „Es bringt mich um!“ und warf sich heulend seiner Großmutter in die Arme. Das war das Ende von Andres erster Fechtstunde. Rasch lebte sich Andre im Haushalt der Jarjayes ein. Im Schießen und im Fechten wurden ihm von General de Jarjayes die Grundbegriffe beigebracht, so das er mit Oscar trainieren konnte. Trotzdem blieb Oscar ihm darin weit überlegen. Auch im Unterricht lernte Andre schnell dazu. Im Haus verirrte er sich schon lange nicht mehr und die anderen Dienstboten waren alle freundlich zu ihm. Bald kannte er sie alle mit Namen: die Zofen und Zimmermädchen, den Koch ,die Gärtner und den Pferdeknecht. Es war in seinen Augen schon ein ganzer Hofstaat den die Jarjayes da beschäftigten. Bei den Mahlzeiten im Dienstbotentrakt ging es meist sehr lustig zu, vor allem wenn sich über die Herrschaft lustig gemacht wurde, über die Migräneanfälle von Madame de Jarjayes, ausgerechnet dann wenn der General das Schlafgemach mit ihr teilen wollte, dessen Wutanfällen und Catherines Launen. Hinter vorgehaltener Hand wurde auch, immer dann wenn man meinte Andre höre nicht zu, über das kleine „Es“ gesprochen. Andre verriet nie das er wusste was dies zu bedeuten hatte. Wenn Oscar Freizeit hatte musste Andre dem Pferdeknecht zur Hand gehen. Das machte ihm jedoch viel Freude und es stellte sich heraus das Andre ein gutes Händchen für Pferde hatte. So half er mit Begeisterung beim Füttern, Ausmisten und Striegeln. Wenn der Hufschmied kam um die Pferde neu zu beschlagen konnte niemand so beruhigend auf die Tiere einreden wie Andre. Bald bekam er ein eigenes Pferd, eine hübsche braune Stute, damit er mit Oscar ausreiten konnte. Oscar wurde sein bester Freund und den Angriff mit dem Degen hatte er ihr schnell verziehen. Wenn er nicht im Stall helfen musste und die Schieß- und Fechtstunden entfielen, weil sich der General bei seiner Truppe befand, was oft der Fall war, unternahmen Oscar und Andre unzählige Ausritte auf ihren Pferden und steckten auch ansonsten immer beieinander. Am besten gefiel Andre aber Catherine. Mit ihrem goldblonden Haar, dem hellen Teint und den kleinen Brüsten, die sich unter ihrem Mieder abzeichneten, wirkte sie wie eine richtige Dame auf ihn. Abends bereitete seine Grußmutter oft Bratäpfel zu, deren Form ihn genau an Catherines Brüstchen erinnerte. Zum Erstaunen von Sophie wollte er immer ganz genau zwei davon nebeneinander auf seinen Teller haben. Wenn Tanzstunden waren und er und Oscar im Wechsel Catherine führten dann brannten seine Wangen vor Aufregung. Nur manchmal, wenn ihm der Gedanke an seine Mutter und an sein altes zuhause kamen, befiel ihn eine leise Traurigkeit und er spürte einen dicken Klos in seinem Hals aufsteigen. Inzwischen war es Herbst geworden und der Oktoberwind blies kalt und begann das Laub von den Bäumen zu wehen. Draußen herrschte düsteres Regenwetter. Es war ein Tag an dem für Andre alles schief gehen sollte. Schon in der Früh schimpfte ihn die Großmutter er solle schneller frühstücken und der Hauslehrer gab ihm eine Zusatzarbeit wegen seiner schlampigen Schrift. Das eigentliche Unglück sollte sich aber am Nachmittag ereignen. Eine befreundete Familie der de Jarjayes, der Graf und die Gräfin de Ligniville, wurden zum Tee erwartet. Zu dieser Familie gehörten beben dem Grafen und der Gräfin auch deren sechzehnjähriger Sohn Clement. Andre beobachtete wie sie aus ihrer Kutsche stiegen und entschied für sich das der stämmige Clement ein Gesicht hatte wie einer der fetten Karpfen, wie er sie zuhause auf dem Markt schon gesehen hatte. In der Küche herrschten große Vorbereitungen. Die Köchin hatte verschiedenes Gebäck zubereitet und Sophie stellte gerade das Teeservice auf ein großes Tablett. Hilfesuchend sah sie sich um. „Wo sind Marie und Paulette? Sie sollen beim Servieren helfen.“ „Marie ist heute morgen abgereist. Sie hat Madame de Jarjayes um Urlaub gebeten, da ihre Großtante im Sterben liegt und Paulette hütet mit Fieber das Bett.“ „Wozu beschäftigen wir nur die beiden Mädchen? Nie sind sie da wenn man sie braucht!“ Verärgert schnaubte Sophie vor sich hin. Da fiel ihr Blick auf Andre, der am Tisch saß und eines der Gebäckstücke naschte. „Andre, du wirst mitkommen und mir beim Servieren helfen!“ Diesen spontanen Beschluss sollte Sophie noch bereuen. So trug sie zusammen mit ihrem Enkel die Tabletts mit Tee und Gebäck in den Salon, in dem die de Jarjayes mit ihren Gästen saßen. Oscar hatte abseits Platz genommen und sah aus als langweilte sie sich sehr.Catherine und Clement hatte man zusammen auf ein Kanapee gesetzt. Zunächst lief alles reibungslos. Sophie schenkte den Tee ein und reichte allen ihre Tassen und Andre ging mit dem Gebäck umher und bot dem Besuch davon an. Bald fiel ihm auf das sich Clement sehr schmeichlerisch zu Catherine verhielt. Er griff nach ihrer Hand und seufzte: „Welche Ehre für mich Eure Hand berühren zu dürfen. Sie ist so zart wie ein Rosenblatt.“ Catherine errötete und zog ihre Hand wieder zurück. Keiner der Erwachsenen schien etwas dagegen zu haben, selbst der General, der sonst sehr auf die Tugend seiner Tochter bedacht war, nickte Clement wohlwollend zu. „Die Hochzeit wird selbstverständlich auf Eurem Anwesen stattfinden. Wir und besonders unsere liebe Catherine können es kaum noch erwarten,“ sagte der General zu Graf de Ligniville. Krampfhaft überlegte Andre um wessen Hochzeit es sich handeln sollte aber ihm wollte kein Paar in den Sinn kommen das bald heiraten wollte. Clement schwelgte Catherine weiter an. „Ist Euch schon aufgefallen das unsere Namen beide mit einem C beginnen? Ist das nicht ein bemerkenswerter Zufall? Welch gutes Omen für unsere Verbindung!“ Monsieur de Jarjayes wandte sich wieder an den Grafen. „Selbstverständlich werde ich als Brautvater für die Kosten der Hochzeit aufkommen. Macht Euch darüber keine Gedanken.“ Da ging Andre ein Licht auf. Seine Catherine mit den hübschen Bratapfelbrüstchen, sollte den Karpfen heiraten! Das war doch nicht möglich! Vor lauter Schreck wich er einen Schritt rückwärts, stolperte über das kleine Salontischchen, verlor sein Gleichgewicht und fiel mit samt dem Tablett zu Boden. Überall im Zimmer verteilten sich die Gebäckstückchen, selbst in Madame de Jarjayes hoher Frisur und in ihrem Ausschnitt, was diese zu einem entsetzten Schrei veranlasste. Andre rappelte sich erschrocken hoch und stieß dabei gegen das Tablett mit der Teekanne, das seine Großmutter noch immer in den Händen hielt. Scheppernd ging die Kanne in Scherben und der Tee ergoss sich über den Boden. „Oh meine Güte! Ich habe eine Scherbe ins Auge bekommen;“ jammerte die Gräfin de Ligniville. Eilig stand Graf auf um seiner Gattin zur Hilfe zu eilen. Dabei trat er mit dem Absatz seiner hochhackigen Schuhe auf eines der Gebäckstücke, rutschte aus, versuchte das Gleichgewicht zu zurück zu erlangen und fiel auf eines der Kanapees, ausgerechnet das, auf dem der General Platz genommen hatte und damit genau über Monsieur de Jarjayes Schoß. Im Salon herrschte eine Stille die zum ergreifen war. Graf de Ligniville stand so schnell er konnte auf und stotterte ein verlegenes „Pardon.“ Da begann Catherine aus vollem Halse zu lachen. Andre konnte es nicht fassen; seine Catherine lachte ihn aus. Da fingen auch Clement und Oscar an zu lachen. Ein Blick des Generals brachte die jungen Leute sofort zum Schweigen. Etwas derartiges war noch nie in seinem Haus vor Gästen vorgekommen. Ausgerechnet vor dem Grafen de Ligniville. Er war ein mächtiger und vermögender Mann und von der Verbindung mit seiner Familie versprach sich der General nicht nur die Unkosten für Catherines Mitgift sondern durchaus auch einige Vorteile für sich selbst. „Sieh was du angerichtet hast, du kleiner Idiot!“, fuhr er Andre zornig an. So schnell er konnte rannte Andre aus dem Salon, raus aus dem Haus und versteckte sich in den Büschen unten am Fluss, wohin er schon oft mit Oscar geritten war. Seine Knie schlotterten vor Angst und sein Herz raste. Was würde wohl nun mit ihm geschehen? Ob er eine Strafe zu erwarten hatte? Er würde nicht mehr nach hause zurück kehren, das stand für ihn fest. Bald war er vom Regen ganz durchnässt, es wurde dunkel und er fror. Außerdem knurrte sein Magen, denn außer dem unglückseligen Gebäck, das zu seinem Verhängnis geworden war, hatte er seit Stunden nichts mehr gegessen. Da es keinen anderen Ausweg für ihn zu geben schien, machte er sich auf den Heimweg. Leise schlich er sich durch den Dienstboteneingang ins Haus zurück und in sein Zimmer. Dort ließ er sich auf sein Bett fallen. Plötzlich kam seine ganze Trauer wieder in ihm hoch.Warum hatte seine Mama nur sterben müssen? Dann hätte er niemals in dieses Palas ziehen müssen und wüsste nicht wie dumm und ungeschickt er war, dass er ein kleiner Idiot war, wie der General gesagt hatte. Seinetwegen würde nun auch seine Großmutter Ärger bekommen. Endlich löste sich der Kloß in seiner Kehle, der dort schon seit Monaten steckte und alle ungeweinten Tränen flossen aus ihm heraus. Er weinte so sehr das er nicht bemerkte wie jemand an seiner Zimmertür anklopfte und schließlich eintrat. „Andre, bitte sei nicht traurig. Mein Vater ist nicht böse auf dich,“ hörte er Oscars Stimme. Sie legte sich neben ihrem Freund aufs Bett und die beiden umarmten sich. „Ich weine doch gar nicht wegen heute,“ schluchzte Andre. „Wegen was denn dann?“ „Wegen meiner Mama!“, und wieder brach ein neuer Tränenstrom aus Andre heraus. Oscar wurde sehr nachdenklich. Natürlich vermisste Andre seine Mama, daran hatte sie einfach nicht gedacht. Sie überlegte wie es ihr gehen würde wenn ihre Eltern plötzlich sterben würden und sie ganz alleine in eine fremde Familie müsste. Plötzlich stiegen ihr vor Mitgefühl für Andre ebenfalls Tränen in die Augen. „Andre,“ sagte sie. „Erzähl mir einmal von deiner Mama? Hat sie auch immer Stickarbeiten gemacht und ihre Freundinnen zum Tee eingeladen, so wie meine Maman?“ „Nein,“ antwortete Andre. „Meine Mama hat für andere Leute in der Stadt die Wäsche gewaschen und geflickt. Dafür haben wir Geld bekommen, damit Mama für uns etwas zu essen kaufen konnte. Sie hatte nicht viel Zeit für mich. Nach der Schule habe ich mit meinen Freunden auf der Straße gespielt, denn Mama hatte zuhause viel Arbeit. Trotzdem war sie für mich die liebste Mama auf der Welt.“ Andre sah Oscar mit seinen fechten, verweinten Augen an. Oscar wurde plötzlich bewusst das Andre bisher ein ganz anderes Leben geführt hatte. Er und seine Mutter waren „Bürgerliche“ und dies schien ihr, nach Andres Beschreibung, eine vollkommen andere Welt zu sein, als ihre eigene im Palas de Jarjayes. Andre hatte es nicht so gut gehabt wie sie selbst und seine Mutter hatte schwer arbeiten müssen, ganz anders als ihre Maman. Trotzdem schien Andre glücklich gewesen zu sein. Und nun war er traurig, trotz des schönen Hauses in dem er nun leben durfte. Einer Eingebung folgend nahm Oscar Andres Hand. „Weine nicht mehr Andre! Lass uns für immer Freunde bleiben. Ich verspreche dir das ich dich nie im Stich lassen werde!“ Andre sah in Oscars ehrliche Augen. Zum ersten Mal seit dem Tod seiner Mutter fühlte er sich wieder geborgen. Er drückte Oscars Hand. „Ich werde dich auch niemals im Stich lassen Oscar. Immer werde ich für dich da sein. Ich gebe dir mein Ehrenwort, so wahr ich Andre Grandier heiße.“ Andre streckte Zeigefinger und Mittelfinger nach oben, so wie es ihm die Jungen auf der Straße gezeigt hatten. „Was bedeutet das?“ fragte Oscar. „Das macht man wenn man etwas hoch und heilig verspricht,“ antwortet Andre. Sofort zeigte ihm Oscar die gleiche Geste und sagte: „Dann gebe auch ich dir mein Ehrenwort, so wahr ich Oscar Francoise de Jarjayes heiße.“ Glücklich umarmten sich die beiden Kinder und Andre konnte seine Tränen trocknen. Es sollte über zwanzig Jahre dauern bis Oscar Andre wieder weinen sehen würde. „Oscar,“ rief Andre ihr nach als sie gerade sein Zimmer verlassen wollte. „Was ist mit dem Auge Gräfin de Ligniville?“ „Ach die alte Ziege,“ lachte Oscar. „In ihrem Auge war überhaupt kein Splitter, höchstens ein Splitter von ihrem Holzkopf hat Catherine gesagt.“ Nun konnte auch Andre wieder lachen. Für Andre hatte der Vorfall tatsächlich keine Folgen. General de Jarjayes war über eine Klausel im Bezug auf Catherines Mitgift in dem bereits aufgesetzten Ehevertrag, die der Graf de Ligniville im nach hinein einfügen wollte, so wütend geworden, das eine Verbindung ihm nun als völlig unmöglich erschien. So konnte Andre noch einige Zeit seine hübsche Catherine bewundern. Im darauffolgenden Sommer wurde Oscars Taufpate, der Graf de Girondelle, zu Besuch erwartet. Unglücklicherweise brachte er seinen Sohn Victore mit, der mit Oscar bereits aneinander geraten war. Da sie Verwandte auf dem Lande besuchen wollten und der Graf den kleinen Abstecher nach Palas de Jarjayes eingeplant hatte, um seinen alten Freund zu sehen und sich nach dem Wohlergehen seines Patenkindes zu erkundigen, konnte er Victore in diesem Fall nicht zuhause lassen. Außerdem bestand keine Gefahr mehr das Voictore de Girondelle Oscar nochmals als Mädchen bezeichnen würde, denn sein Vater hatte ihm, nachdem ihm der Vorfall von General de Jarjayes bekannt gegeben wurde, seinem Sohn so gründlich „die Leviten gelesen“, dass eine ähnlich Szene nicht zu erwarten war. Schließlich war es de Girondelle wichtig das seine Freundschaft mit dem einflussreichen Grafen erhalten blieb. Während des Tees hatten sich Oscar und Victore keines Blickes gewürdigt. Nach dem Graf de Girondelle sein Patenkind genügend in Augenschein genommen und ihre Entwicklung ausreichend gelobt hatte - „Wie groß du doch geworden bist Oscar! Kommst du mit deinem Unterricht gut voran?“- durfte Oscar das Zimmer verlassen. Da es für den heutigen Tag keine Aufgaben mehr gab machte sie sich mit Andre vergnügt auf den Weg zum Fluss. Dabei bemerkten beide nicht das ihnen Victore, dem bei den Erwachsenen langweilig geworden war und sich dort hinaus geschlichen hatte, heimlich folgte. Am Flussufer angelangt verbarg er sich in den Büschen, in den selben in denen sich Andre bereits im Herbst aus Angst vor seiner Strafe versteckt hatte, und beobachtete Oscar und Andre. Die beiden hatten sich bäuchlings ins Gras fallen lassen und ließen sich die Sommersonnenstrahlen auf den Rücken scheinen. Victore saß in seinem Versteck und fühlte sich recht einsam. Er überlegte ob er heraus kommen und die beiden ansprechen sollte. Doch dazu fehlte dem schüchternen Jungen der Mut. Er überlegte wie er ansonsten auf sich aufmerksam machen konnte und entdeckte im Gebüsch kleine Steinchen. Plötzlich hatte er einen, seiner Meinung nach, hervorragenden Einfall. Er würde die kleinen Steinchen nach den beiden Kindern werfen, sie würden nach sehen woher sie beworfen würden, ihn entdecken und zum Mitspielen einladen. Andre sah jedenfalls sehr nett aus und vermutlich war mit Oscar zu spielen immer noch besser als ganz alleine zu sein. So setzte er sein Vorhaben in die Tat um. Der erste kleine Stein traf Oscar am Rücken. „Auuu, Andre was war das? Etwas hat meinen Rücken getroffen.“ „Vielleicht hat dich ein Insekt gestochen.“ „Aber dazu war es viel zu fest.“ Das nächste Steinchen erwischte Andres Hinterbacke. „Auuuu, nun hab ich auch etwas gespürt.“ „Da sieh nur!“ Oscar hatte die kleinen Steinchen bemerkt. „Das geht hervorragend,“ dachte sich Victore. Gleich würden sie ihn bemerken und zum Spielen holen. Ein weiteres Steinchen schoss aus dem Gebüsch heraus und traf Andre am Arm. „Die Steine kommen aus den Büschen. Jemand beschießt uns damit,“ rief er zornig. „Das lassen wir uns nicht gefallen. Komm wir stellen ihn,“ rief Oscar. Sofort waren die beiden am Gebüsch und entdeckten Victore. „Los, heraus mit dir,“ rief Andre, packte ihn und zog ihn nach draußen. „Weshalb bewirfst du uns?“ fragt Oscar und funkelte ihn böse an. „Nun ääh..“ Victore ah Oscar und Andre mit seinen blau- grauen Augen erschreckt an. Die Einladung zum Spielen hatte er sich freilich etwas anders vorgestellt. „Lass uns ihm eine Lektion erteilen,“ meinte Andre. „Das ist doch das kleine Wiesel das bei euch zu Besuch ist? Der von dem du mir erzählt hast, der dich schon mal geärgert hat.“ „Jawohl das ist er,“ bestätigte Oscar. „Aber was machen wir mit ihm?“ „Ich habe eine Idee,“ meinte Andre dem sofort die wohl frisierten braunen Locken des Jungen aufgefallen waren. „Ich halte ihn dazu fest.“ Andre, der von den dreien am kräftigsten war, drückte Victore zu Boden und kniete sich auf seinen Rücken um ihn unten zu halten. „So, und nun steckst du ihm ein paar Kletten in die Haare.“ Das ließ sich Oscar nicht zweimal sagen. Während Andre Victore weiter zu Boden drückte, sammelte Oscar die Kletten und begann sie in Victores Haaren zu verteilen. „Ahhh, das dürft ihr nicht. Das werde ich meinem Vater sagen!“ schrie Victore doch das löste bei Andre und Oscar nur einen Lachanfall aus. Endlich war es Victore gelungen Andre abzuschütteln. „Na wartet, ich zeige es euch,“ rief er zornig und stürzte sich auf Andre, der ihm am nächsten stand. Oscar eilte ihrem Freund zu Hilfe und schon rollten sich die drei Kinder raufend auf dem Boden. Monsieur Zidane, ein Bauer der gerade mit seinem Pferdewagen vorbei kam, entdeckte von der weiter entfernten Straße die sich prügelnden Kinder. Kopfschüttelnd dachte er sich: „Ganz wie wir damals. Ist das nicht die kleine de Jarjayes? Für ein Mädchen kann sie aber ordentlich zulangen. Da ist es dem General wohl tatsächlich gelungen einen Jungen aus ihr zu machen. Wer hätte das gedacht.“ In diesem Moment sah er wie sich Oscar und Victore auf die Beine stellten, Victore Oscar einen Stoß versetzte und Oscar im Fluss verschwand. Entsetzt hielt Monsieur Zidane seinen Wagen an, rannte nach unten zum Flussufer und sah gerade noch wie Oscars blonder Schopf unterging. Prustend tauchte sie ein paar Sekunden später wieder auf, um erneut zappelnd unter zu gehen. Andre und Victore standen hilflos daneben. Monsieur handelte so schnell er konnte. Schon hatte er einen langen, kräftigen Ast entdeckt, den der letzte Sturm abgerissen hatte. Er legte sich auf den Bauch und hielt den Ast in den Fluss. „Komm Oscar, nimm den Ast.“ Wie im Reflex packte Oscar den Ast mit beiden Händen und klammerte sich daran fest. Monsieur Zidane zog sie an das Ufer. Oscar war glücklicherweise bei Bewusstsein, da er so schnell gehandelt hatte. „Wir bringen sie schnell nach hause. Oben an der Straße steht der Wagen. Zum Glück ist es heute nicht kalt.“ Eilig rannten alle zum Wagen. Die Jungen kletterten hinein und Oscar, die von Monsieur Zidane getragen wurde, wickelte dieser in seinen Mantel, denn er in der Früh getragen und nun aber wegen der Hitze zur Seite gelegt hatte. Behutsam legte er Oscar zwischen Victore und Andre auf die Ladefläche des Wagens. Im Galopp lenkte Monsieur Zidane sein Gespann nach Palas de Jarjayes. Die Dienerschaft erriet sofort das etwas passiert sein musste, als sie die beiden betreten dreinschauenden Jungen und die in den Mantel gewickelte Oscar sahen. Der Tumult im Hof rief auch Sophie heraus. Als sie Oscar auf der Ladefläche erblickte fing sie sofort fürchterlich zu jammern an. „Oh meine arme Oscar! Was habt ihr nur wieder angestellt! Andre, kann man euch denn nie unbeaufsichtigt lassen? Es ist furchtbar, einfach furchtbar!“ Als nächstes kamen Monsieur und Madame de Jarjayes nach draußen, gefolgt von Graf de Girondelle. „Oh, mein Gott, Oscar! Was ist geschehen?“ Madame und Monsieur de Jarjayes waren beide blass geworden. Monsieur Zidane hob Oscar aus dem Wagen und drückte sie Sophie in die Arme. „Sie ist bei einer Rangelei in den Fluss gefallen. Ich habe sie mit Hilfe eines Astes heraus gezogen. Ich bin noch rechtzeitig gekommen. Ihr ist nichts passiert.“ Eilig trugen Sophie und Emilie de Jarjayes Oscar ins Haus, entkleideten sie und brachten sie zu Bett. Während Laurent auf Anordnung von General de Jarjayes dafür sorgte, das Monsieur Zidane zum Dank der Schinken aus der Speisekammer und ein paar Spielsachen und Näschereien für seine Kinder eingepackt wurden, befand Graf de Girondelle es als das Beste auf schnellstem Wege mit seinem Sohn Palas de Jarjayes zu verlassen. In der Kutsche versuchte Victore zu erklären: „Papa, ich kann sicher nichts dafür. Plötzlich war Oscar im Fluss, ohne das ich etwas getan habe.“ Doch Graf de Girondelle winkte nur ab. „Es genügt! Kaum bist du mit Oscar de Jarjayes zusammen geschieht irgend etwas Unmögliches. Gott allein weiß weshalb!“ Er seufzte tief und damit war das Thema für dieses Mal für ihn erledigt. Er freute sich auf den Besuch bei seinen Verwandten auf dem Land und verspürte keine Lust Victore zu vor noch zu bestrafen. Was tat das Balg von General de Jarjayes auch so nahe am Wasser? Oscar lag friedlich in ihrem warmen Bett. Der Schreck, hatte ihr bis vor kurzem noch in allen Knochen gesteckt, doch inzwischen begann sie sich zwischen ihren Kissen und Decken wieder wohl und geborgen zu fühlen. Sophie hatte ihr eine Tasse heiße Schokolade, ihr Allheilmittel, gebracht und die ganze Zeit vor sich hingeschumpfen: „Die arme Mademoiselle, die arme Mademoiselle! Warum konnte Andre auch nicht aufpassen? Der erlebt heute Abend noch ein Donnerwetter!“ Oscar konnte schon wieder heimlich grinsen. Immer nannte Sophie sie Mademoiselle wenn sie aufgeregt war. Doch als sie am Einschlafen war kam ihr noch ein seltsamer Gedanke: „Hat nicht auch Monsieur Zidane „sie“ über mich gesagt? Wie merkwürdig! Sonst ist doch nur Sophie so durcheinander.“ Damit schlief Oscar ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)