Zwischen den Zeilen von "Die Rosen von Versailles" von Engelchen ================================================================================ Kapitel 3: Intrigen werden gesponnen ------------------------------------ Die Kaiserin Maria Theresia saß nachdenklich mit ihrem Staatskanzler Kaunitz über eine Landkarte gebeugt. Seit ihr geliebter Gemahl im vergangenen Jahr verstorben war, stürzte sie sich mit noch mehr Feuereifer in ihre Regierungsgeschäfte. Es war das Frühjahr 1766 und schwere politische Entscheidungen standen an. Ein neuer Krieg mit Frankreich erschien ihr unumgänglich, wenn das Bündnis, das sie vor zehn Jahren mit Louis XV geschlossen hatte, nicht bald gefestigt würde. Die Kaiserin blickte sorgenvoll drein. Sie war eine Herrscherin die ihr Land liebte und wollte unter allen Umständen unnötiges Blutvergießen vermeiden. „Ach Kaunitz,“ seufzte sie tief. „Wenn uns nur etwas einfiele wie wir diesen Krieg umgehen könnten.“ „Wenn Euer Majestät erlauben, so ich hätte da einen Vorschlag,“ meldete sich Kaunitz zu Wort. Die Kaiserin wurde hellhörig und hörte aufmerksam zu, was Kaunitz ihr zu unterbreiten hatte. Bei jedem Satz klarte ihre Miene etwas mehr auf. Voller Anerkennung wandte sie sich an ihren Staatskanzler: „Hervorragend Kaunitz! Warum bin ich nicht selbst schon auf diese Idee gekommen? Maria Antonia, natürlich, keine wäre dafür besser geeignet.“ Zur selben Zeit beschloss Madame de Jarjayes das wieder einmal dringende Besorgungen in Paris zu erledigen waren. General de Jarjayes hielt sich währenddessen in Versailles auf, wo über Wichtiges beraten wurde, für das man unbedingt seine Ratschläge aus militärischer Sicht benötigte. In Paris sollte für Catherine eine neue Garderobe zusammengestellt werden. Trotz ihrer sechzehn Jahre war immer noch kein passender Heiratskandidat gefunden worden. Bewerber gab es genug, aber bei seiner jüngsten Tochter zeigte sich der General so wählerisch wie noch nie. Catherine war und blieb sein erklärter Liebling. Da ihre Einkäufe zwei Tage dauern würden und sie nicht mehrmals hin und her fahren wollten, wurde beschlossen bei Marguerite, der zweitältesten Tochter der Familie und ihrem Ehemann, die in Paris lebten, zu übernachten. „Oscar, du wirst uns begleiten,“ bestimmte Emilie de Jarjayes. „Du brauchst ebenfalls neue Kleidung.“ „Ich komme nur mit wenn Andre mit uns fahren darf,“ erklärte Oscar. Madame de Jarjayes verspürte wenig Lust mit Oscar zu zanken. Mit ihr zum Herrenschneider zu gehen und sie dazu zu bringen so lange still zu halten, bis dieser endlich mit anmessen fertig war, stellte eine ungeheure Geduldsprobe dar. Vielleicht wäre sie dort wirklich weniger zappelig, wenn Andre mit dabei sein würde. Er übte auf Oscar immer eine beruhigende Wirkung aus. Außerdem hatten sie ohnehin noch genügend Platz in der Kutsche. So durfte Andre, zu Oscars großer Freude, mit ihnen reisen. Marguerite empfing ihre Familie freudig und auch ihre beiden Kinder, der vierjährige Jules und die zweijährige Jocelyn, waren begeistert darüber, das soviel Besuch auf einmal zu ihnen kommen sollte. Trotz der arrangierten Ehe zwischen ihnen waren Marguerite und ihr Gemahl, der Kaufmann Maxime Leclerc Graf de la Tour, äußerst glücklich miteinander verheiratet, was sich allein schon darin zeigte, dass sie sich ein gemeinsames Schlafzimmer teilten, was in einer Adelsfamilie äußerst ungewöhnlich war. Maxime ärgerte sich lediglich darüber, das er trotz der Heirat mit Marguerite noch immer nicht in Versailles empfangen wurde, da er von bürgerlicher Herkunft war und sich seinen Adelstitel erst kurz vor ihrer Hochzeit gekauft hatte. Trotzdem liefen seine Geschäfte hervorragend und die beiden waren reicher als viele Familien aus dem Hochadel. Madame de Jarjayes und Catherine wurden beide in ein eigenes Gästezimmer geführt, während Marguerite für Oscar und Andre ein gemeinsames Zimmer hatte herrichten lassen. „Bei zwei Jungen dürfte das doch kein Problem darstellen,“ meinte Marguerite und sah ihre Mutter herausfordernd an. Emilie de Jarjayes hüllte sich in Schweigen. Ihre beiden ältesten Töchter hatten mit ihr wegen Oscar oft lautstark gestritten, doch sie mussten schließlich nicht die Launen des Generals ertragen und konnten wieder in ihre eigenen Familien zurück kehren. Der nächste Tag wurde nun vorwiegend in der Schneiderei verbracht. Nach einer äußerst nervenaufreibenden Anprobe beim Herrenschneider mit Oscar und einer nicht minder nervenaufreibenden Anprobe mit Catherine bei der Damenschneiderin, fühlte sich Madame de Jarjayes einem Nervenzusammenbruch nahe. Sie konnte nicht beurteilen, ob Kinder im allgemeinen anstrengend waren, ihre waren es jedenfalls. Sie wusste nicht wann sie sich je so erschöpft gefühlt hatte. Um sich eine Erholung zu gönnen beschloss sie ein Kaffeehaus aufzusuchen. Da Oscar und Andre die gewohnte Bewegung fehlte, da sie nach ihren Unterrichtsstunden und sonstigen Pflichten viel Zeit im Freien verbrachten, waren die beiden bei Tisch so unruhig und aufgekratzt das an Erholung nicht zu denken war. „Maman, dürfte ich mich vielleicht in Paris etwas alleine umsehen?“ bat Catherine. Wie von der Tarantel gestochen fuhr Madame de Jarjayes auf. „Natürlich nicht! Wo denkst du hin? Du kannst doch nicht mutterseelenallein durch Paris spazieren!“ „Maman ich bitte Euch, nur eine Stunde. Ich verspreche hier auf der Hauptstraße zu bleiben. Ich möchte mir nur noch in ein paar Geschäfte ansehen“ Eine Stunde Ruhe, wie wohl das nur täte, schoss es Madame de Jarjayes durch den Kopf. „Nun gut, Catherine, ich gestatte es dir. Aber nur unter zwei Bedingungen. Du wirst erstens hier auf der Hauptstraße bleiben, wie du es selbst schon richtig erkannt hast....“ Catherines Augen begannen zu leuchten, „... und zweitens wirst du Oscar und Andre mitnehmen.“ Catherine klappte der Kiefer herunter. „Aber Maman, nicht doch! Die beiden werden mich nur stören. Ihr wisst wie unerträglich sie gerade sind, besonders Oscar.“ „Entweder mit den beiden oder du bleibst hier. Seit wann diskutieren wir miteinander Catherine?“ Schmollend fügte sich Catherine in ihr Schicksal. Lieber schleppte sie Oscar und Andre mit, als das sie auf die Gelegenheit durch Paris zu schlendern verzichtete. „Nimm die beiden Kinder an die Hand,“ rief ihr Madame de Jarjayes noch hinterher. Ganz wohl war ihr nicht in ihrer Haut. Was wohl der General dazu sagen würde? Aber er war schließlich nicht hier und musste es auch nie erfahren wenn die Kinder nichts darüber erzählten. Aber das würden sie im eigenen Interesse sicherlich nicht tun. Einigermaßen beruhigt ließ sich Emilie de Jarjayes ein zweites Tortenstück schmecken. Das hatte sie sich ihrer Meinung nach wahrlich verdient. So wie Catherines Freude einen kräftigen Dämpfer erhalten hatte, so begeistert waren nun Oscar und Andre über ihren Alleingang. Darauf hatten sie nicht zu hoffen gewagt! Alles war groß und aufregend. Die vielen Menschen, die vielen Häuser und die vielen Pferdekutschen. Auch Catherine hatte ihren Unmut schnell vergessen. Oscar und Andre begannen vor Freude an Catherines Hand während des Gehens zu hüpfen, und Catherine selbst schien ganz vergessen zu haben wie alt sie schon war und hüpfte unwillkürlich mit ihnen mit. „Guten Tag, Mademoiselle Catherine, guten Tag Monsieur Oscar, Guten Tag Andre,“ hörten sie plötzlich eine Stimme. Als sie sich umdrehten entdeckten sie Frederic Gaspard, den zweitältesten Sohn eines Bauern, der seinen Hof nahe dem Palas de Jarjayes hatte. Frederic war ein Jahr älter als Catherine, großgewachsen und hatte sanfte braune Augen in einem noch jungenhaften Gesicht. „Oh, Guten Tag Frederic, ich meine Monsieur Gaspard.“ Catherine betrachtete ihn und spürte zu ihrem Ärger das sie rot wurde. Er war heute fein angezogen. In so einem guten Rock hatte sie ihn noch nie gesehen. „Was führt Euch nach Paris?“ fragte sie neugierig. „Mein Onkel hat hier in Paris eine eigene Schreinerei. Er und meine Tante haben keine Kinder bekommen und so hat er nun mich bei sich aufgenommen, damit ich bei ihm in die Lehre gehen kann. Wenn er sich zur Ruhe setzt, dann werde ich seine Schreinerei erben.“ Das alles erzählte Frederic mit sichtlichem Stolz. „Wir sind nach Paris gefahren um Einkäufe zu erledigen. Nun müssen wir aber weiter. Lebt wohl Monsieur Gaspard! „Mademoiselle Catherine, erlaubt Ihr mir Euch auf einen Kaffee einzuladen?“ fragte Frederic plötzlich. Überrascht sah Catherine ihn an. Wie frech er doch ist, überlegte sie. Wie kann mich ein Schreinerlehrling zum Kaffee einladen? Frech... aber doch auch durchaus mutig. Frederic merkte nun selbst wie unschicklich seine Einladung war. „Oh, verzeiht mir. Ich vergaß für einen Moment den Standesunterschied. Lebt wohl Mademoiselle!“ „Wartet,“ rief Catherine unverhofft. „Ich nehme Eure Einladung gerne an.“ Ein Strahlen zog sich über Frederics Gesicht. Vor Freude vergaß er ganz wie schüchtern er sonst war bot Catherine seinen Arm an. In letzter Minute erinnerte sich Catherine an Oscar und Andre. Ihr Stillschweigen musste unbedingt erkauft werden, denn ihre Eltern würden alles andere als begeistert darauf reagieren, wenn heraus kam das sie mit Frederic Gaspard in einem Pariser Kaffeehaus gewesen war. So griff sie in ihre Handtasche, zog einige Geldstücke heraus und drückte sie Oscar in die Hand. „Kauft euch etwas davon und seit bald wieder hier. Und kein Wort davon zu Maman und schon gar nicht zu Vater.“ Gleichzeitig streckten die zwei Zeige- und Mittelfinger nach oben, so wie sie immer ihre Versprechen besiegelten, seit Andre Oscar es so beigebracht hatte. Auch Catherine wusste inzwischen was dieses Zeichen bedeutete und das sie sich auf Andre und Oscar verlassen konnte. So unmöglich die beiden „Kleinen“ auch oft waren, wenn sie ein Ehrenwort gaben so galt es. Nach einer Stunde trafen sie sich wieder an der gleichen Stelle, Oscar und Andre mit einem Beutel voll Süßigkeiten aus der Konditorei und Catherine mir rosigen Wangen und dem Gefühl nicht mehr auf der Straße zu gehen, sondern auf Wolken zu schweben. Warum war ihr noch nie aufgefallen wie hübsch und charmant Frederic war? So kehrten sie zu Madame de Jarjayes zurück, jeder mit dem Nachmittag vollkommen zufrieden. Auf der Heimfahrt zu Maximes und Marguerites Stadthaus, als Catherine ihrer Mutter in der Kutsche gegenüber saß, fiel Madame de Jarjayes auf wie verändert diese auf einmal wirkte. Es war wie wenn sie von Innen strahlen würde. „Man könnte beinahe denken Catherine wäre verliebt,“ dachte Emilie. Wenn sie gewusst hätte das sie damit recht hatte und dazu noch wem ihre Tochter ihre Zuneigung geschenkt hatte, so hätte Madame de Jarjayes augenblicklich ihr Riechsalz gebraucht. Am nächsten Tag waren die Besorgungen erledigt und man wollte zurück fahren. Doch während des Dinners bat Catherine: „Maman, würdet ihr mir gestatten einige Tage länger hier bei Marguerite zu wohnen? Ich möchte mit ihr einmal in die Oper und auch in das Theater.“ Zu ihrer Überraschung willigte Emilie sofort ein. „Warum auch nicht. Sofern du Maximes und Marguerites Gastfreundschaft nicht überstrapazierst.“ „Natürlich nicht,“ meldete sich Maxime zu Wort. „Catherine darf gerne bei uns wohnen bleiben so lange sie möchte.“ „Dürfen Andre und ich auch länger bei Marguerite und Maxime bleiben?“ erkundigte sich Oscar. Das war wirklich original Oscar! Catherine ärgerte sich maßlos. Sie würde ihr noch alles verderben. „Nun ja Oscar, ich weiß nicht ob das für Marguerite nicht zu viel wird,“ antwortete Emilie vorsichtig. „Nein, Maman, lass nur. Oscar und Andre dürfen genauso gerne dableiben wie Catherine. Ich freue mich über ihren Besuch,“ sagte Marguerite. Oscar und Andre blinzelten einander zu. So einfach hatten sie sich es nicht vorgestellt! So reiste Madame de Jarjayes ab, froh darüber das nun für einige Tage Ruhe im Palas de Jarjayes herrschen würde und ließ Oscar, Andre und Catherine in Paris zurück, die ebenso froh darüber waren, das nun ein paar Tage der Freiheit winkten. Währenddessen fanden in Versailles Verhandlungen statt, von denen die Zukunft Frankreichs abhängen sollten. Louis XV hatte sich mit seinen Beratern und einigen Generälen, darunter General de Jarjayes, in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Seine Stirn war von schweren Sorgenfalten gezeichnet. „Majestät, es wird wohl erneut zu einem Krieg mit Österreich kommen,“ erklärte gerade General de Ronsard. Die Sorgenfalten auf der Stirn des Königs wurden noch ein wenig tiefer. „Ein Krieg kann nicht ohne Verluste geführt werden,“ antwortete er. „Mit Frankreichs Finanzen steht es schlecht und sollte es so weit kommen das wir in den Krieg ziehen müssen so werden immense Ausgaben für Waffen, Munition und die Verpflegung der Truppen auf uns zukommen.“ Ein Page klopfte an der Tür und meldete: „Fürst Starhemberg, der österreichische Botschafter ist so eben aus Wien eingetroffen.“ Im Raum sahen sich alle an. Es herrschte eine Totenstille. Jeder rechnete mit dem Schlimmsten. Fürst Starhemberg wurde herein geleitet und verbeugte sich tief vor dem König. „Nun sprecht, was habt Ihr für eine Botschaft für uns?“ forderte ihn der König ungeduldig auf. „Kaiserin Maria Theresia bietet Euch die Hand ihrer Tochter, der Erzherzogin Maria Antonia an, um das Bündnis zwischen Frankreich und Österreich zu festigen. Sie möchte einen neuen Krieg zwischen unseren beiden Ländern unter allen Umständen vermeiden. “ „Eine junge Prinzessin?“ Die Augen des alten Königs begannen zu funkeln. „Nun ich habe aber durchaus nicht vor mich auf meine alten Tage noch einmal zu vermählen. Bedenkt das ich bald sechzig werde und ich weiß nicht ob mein Herz das Temperament der kleinen Erzherzogin noch verkraften wird.“ Dröhnend lachte der König und mit ihm seine Untergebenen. Er liebte deftige Späße. Fürst Starhemberg spürte das man sich über ihn lustig machte. Trotzdem antwortete er so gelassen wie es sich für einen Botschafter gehörte: „Die Kaiserin dachte dabei an eine Ehe mit Eurem Enkelsohn, dem Dauphin von Frankreich.“ „Bestellt der Kaiserin, das wir darüber nachdenken werden,“ antwortete ihm König Louis und damit war Fürst Starhemberg entlassen. Sich verbeugend verließ er rückwärts den Raum. „Altes Scheusal,“ dachte er sich dabei. Im Raum sahen alle den König an, der keineswegs überrascht sondern sehr zufrieden wirkte. „Ich habe mit diesem Angebot bereits gerechnet. Maria Theresia will diesen Krieg genau so wenig wie wir. Es ist die beste Lösung für alle. Aber selbstverständlich werden wir die Österreicher noch ein wenig zappeln lassen.“ Wieder ließ er sein dröhnendes Lachen hören auf das seine Höflinge mit einstimmten. Als sie das Beratungszimmer verließen bat General de Jarjayes General de Ronsard noch um ein Wort. „Würdet Ihr Euch noch einen Augenblick für mich Zeit nehmen, Monsieur.“ General de Ronsard blieb stehen. „Nun worum geht es Jarjayes? Habt ihr etwas auf dem Herzen?“ „Es handelt sich um meinen Sohn Oscar Francoise. Er ist nun bereits zehn Jahre alt und ich denke darüber nach ihn auf die Offiziersakademie zu schicken, damit er in die Leibgarde des Königs aufgenommen wird. Gewiss es ist noch ein wenig früh um davon zu sprechen. Aber in drei Jahren wäre es eine Möglichkeit und ich möchte Euch darum bitten beim König ein gutes Wort für Oscar einzulegen.“ „Euer Sohn? Wie seltsam. Es geht ein Gerücht um das Euer jüngstes Kind ebenfalls eine Tochter ist, so wie seine älteren Schwestern.“ „Oscar wurde zwar als Mädchen geboren aber er ist ganz und gar ein Junge und wenn jemand für die Offiziersakademie geeignet ist dann er. Niemand in seinem Alter ist im Schießen und Fechten so hervorragend. Auch unterrichte ich ihn bereits in militärischer Strategie.“ „Das mag alles stimmen aber ich muss leider so ehrlich sein und Euch sagen das ich ganz und gar nichts davon halte. Ein Mädchen gehört nicht auf die Offiziersakademie und schon gar nicht in die königliche Leibgarde. Stellt Euch vor jeder käme auf so eine verrückte Idee.“ „Trotzdem bitte ich Euch um diesen Gefallen. Ich versichere Euch wenn Ihr Oscar erst gesehen habt werdet Ihr Eure Meinung ganz gewiss ändern.“ „Nur weil Ihr es seit Jarjayes. Ich werde mir Oscar zu gegebener Zeit ansehen, darauf habt Ihr mein Wort. Es heißt aber nicht das damit schon etwas entschieden ist.“ „Habt vielen Dank General de Ronsard. Lebt wohl.“ „Lebt wohl General de Jarjayes.“ Als Monsieur de Jarjayes durch den Garten ging begegnete ihm Madame Dubarry, die Mätresse des Königs mit Ihrem Gefolge. Widerwillig verbeugte sich der General. Nicht das es ihn stören würde das der König sich eine Geliebte hielt. Auch ein König brauchte seine Zerstreuung. Doch das er dieses Frauenzimmer von bürgerlicher Herkunft, das angeblich sogar eine Prostituierte gewesen sein sollte, wie die Königin behandelt wurde, in Versailles lebte und Ihren eigenen Hofstaat hatte, war unerhört. Ihre Hofdamen waren kaum besser als ihre Herrin, dies sah man schon an ihrer Aufmachung. Eine von Ihnen trug einen so tiefen Ausschnitt das gerade einmal ihr Brustwarzen notdürftig bedeckt waren. Der Ärger des Generals wuchs als er feststellte das es sich dabei ausgerechnet um seine älteste Tochter Veronique de Jarjayes Comtesse de Fortune handelte. „Guten Tag Vater,“ begrüßte ihn Veronique. „Guten Tag mein Kind.“ „Vater es ist sehr gut das ich Euch treffe. Ich muss unbedingt mit Euch sprechen.“ „Ich mit dir auch Veronique. Führe uns bitte an einen ruhigen Platz.“ Da Madame Dubarry Veronique, die ihre beste Freundin war, möglichst oft in ihrer Nähe haben wollte, verfügte Veronique in Versailles über einen eigenen kleinen Salon, in den sie ihren Vater nun führte. „Wie geht es meinem Enkel?“ erkundigte sich der General. „Maurice ist wohl auf. Er ist nun schon sieben Jahre alt. Leider sehe ich mein Kind viel zu selten.“ Ob das „Leider“ ernst gemeint war ließ sich schwer deuten. Veronique ließ sich ungern in die Karten sehen. Sicher war jedenfalls das sie für ihren Gemahl nichts übrig hatte. Die beiden sahen sich so selten wie irgend möglich und es war davon auszugehen das sie nach der Geburt von Maurice froh darüber war, einen Sohn geboren und damit Ihre Pflicht erfüllt zu haben. „Vater bitte sagt mir, stimmt es das eine österreichische Prinzessin die Braut des Dauphin werden soll?“ Die Neugierde stand Ihr ins Gesicht geschrieben. Der General wurde blass. „Woher weißt du das? Diese Information sind streng geheim und entschieden wurde noch gar nichts.“ „Ich weiß es von Madame Dubarry und sie weiß es vom König selbst das er mit diesem Angebot aus Österreich fest rechnet.“ „Veronique, ich beschwöre dich, sage zu niemandem ein Wort davon. Es gehört noch gar nicht in die Öffentlichkeit.“ „Aber Papa was haltet Ihr davon? Eine Österreicherin die unsere Dauphine und nächste Königin werden soll! Nach allem was uns dieses Land angetan hat! Das darf doch einfach nicht wahr sein!“ Monsieur de Jarjayes dachte ähnlich wie seine Tochter. Doch er antwortete nur: „Veronique, dir steht es nicht zu einen königlichen Beschluss in irgend einer Weise anzuzweifeln. Alles geschieht so wie der König es wünscht.“ Veronique sah ein das ihr Vater für dieses Problem wohl der falsche Ansprechpartner war und schwieg zu diesem Thema. „Veronique, ich muss dich um etwas bitten.“ Erstaunt blickte Veronique ihren Vater an. Das er seine Kinder um etwas bat war noch nie vorgekommen. „Es geht um Oscar. Du bist doch mit Madame Dubarry befreundet. Lege bitte ein gutes Wort bei ihr für Oscar ein, damit sie den König bittet ihn auf der Offiziersakademie anzunehmen. Ich möchte das Oscar später in das Königliche Garderegiment eintritt.“ Veronique verspürte Oscar gegenüber eine Zuneigung wie zu keiner ihrer anderen Schwestern. Immerhin war sie dabei gewesen als Oscar auf die Welt kam. Und immer hatte es ihr einen Stich versetzt das Oscar kein Mädchen sein durfte. Jetzt sollte sie sich für etwas einsetzen wovon sie glaubte das es ihre Lieblingsschwester nur unglücklich machen würde. Sie war es aber leid ständig mit ihrem Vater deswegen zu zanken. Wahrscheinlich würde sein Ansinnen ohnehin vom König abgelehnt werden. Also antwortete sie: „Ich werde mit Madame Dubarry sprechen.“ „Ich danke dir Veronique,“ antwortete ihr Vater. Die verbleibenden Tage in Paris hatten sowohl Oscar und Andre als auch Catherine für sich zu nutzen gewusst. Jeden Tag machte sich Catherine mit Oscar und Andre an der Hand auf den Weg, unter dem Vorwand Paris anschauen zu wollen. Dort traf sie sich mit Frederic am Platz ihrer ersten Begegnung und ließ Andre und Oscar alleine durch die Stadt streifen. Die beiden verrieten Catherine nicht und Catherine fragte Oscar und Andre niemals was sie während ihres „Alleinganges“ gemacht hatten. Die beiden schlugen sich meist den Bauch mit Süßigkeiten voll, von dem Geld das ihnen Marguerite zusteckte, hörten den Straßenmusikanten zu, bestaunten die bunten Schaufenster und machten Weitspucken in die Seine. An ihre Abmachung nicht von der Hauptstraße abzugehen hielten sie sich. Immerhin war dies wirklich gefährlich. Inzwischen war es Samstag geworden und am Samstagabend wurde in Marguerites Familie, so wie in den meisten anderen Familien gebadet. In Marguerites Schlafzimmer, wo der Badezuber aufgestellt wurde, brannte ein warmes Feuer im Kamin. Als Oscar hereinkam saßen ihr Neffe Jules und ihre Nichte Jocelyn bereits vergnügt im Wasser. Zuerst verunsichert, dann neugierig kam Oscar näher heran. Es war das erste Mal das Oscar einen anderen Menschen, außer sich selbst, ohne Kleider sah. Im Palas de Jarjayes ging es nicht sehr freizügig zu. Beim morgendlichen Waschen und beim Bad am Samstagabend hatte immer nur Sophie ihr geholfen und seit sie acht Jahre alt war tat sie dies immer alleine. Doch offensichtlich sah man im Haushalt von Marguerite und Maxime diese Dinge weniger eng. „Oscar, wir baden!“ riefen Jules und Jocelyn fröhlich. „Komm doch rein zu uns,“ und übermütig begannen sie nach ihr zu spritzen. Marguerite trat in das Zimmer. „Nun ist es genug mit dem Geplansche! Die anderen möchten schließlich auch noch baden.“ Oscar sah neugierig in den Badezuber. Sofort entdeckte sie das Jocelyn unten so aussah wie sie selbst. Jules hatte an dieser Stelle jedoch etwas ganz anderes. Es sah aus wie...? Ein passender Vergleich fiel Oscar dazu nicht ein. Sie hatte immer gedacht alle Menschen sähen gleich aus. Verwirrt blickte sie ihre Nichte und ihren Neffen an. „Was hast du den Oscar?“ frage Marguerite. Doch Oscar gab ihr keine Antwort. Sie fühlte eine Sperre in sich ihre Schwester danach zu fragen. Abends im Bett vor dem Einschlafen ließ ihr das was sie entdeckt hatte keine Ruhe. „Andre, hast du schon einmal jemanden nackt gesehen, ich meine ohne Kleider?“ Andre überlegte. Natürlich hatte er das schon. Wenn die männlichen Bediensteten sich in der Waschküche badeten war Andre bis jetzt ganz selbstverständlich mit darin herum gelaufen. Aus Neugier hatte er sich auch ein paar mal, wenn die weiblichen Bediensteten mit Baden an der Reihe waren in die Waschküche „verirrt“, worauf diese anfingen nach ihm zu spritzen oder gespielt zu kreischen. Da er aber erst elf Jahre alt waren nahmen sie ihn wohl nicht wirklich ernst. „Weißt du,“ fuhr Oscar fort, „Marguerites Kinder sehen unten ganz verschieden aus. Sieht jeder Mensch unten anders aus?“ „Also wirklich!“ dachte sich Andre. Oscar wusste ja gar nichts obwohl sie schon zehn Jahre alt war. „Weißt du das ist so,“ erklärte er. „Die Kinder von deiner Schwester sehen unten unterschiedlich aus weil Jocelyn ein Mädchen ist und Jules ein Junge. Das ist doch wirklich einfach.“ Oscar dachte nach. Irgendetwas stimmte nicht. Sie überlegte: Jules ist ein Junge so wie ich, trotzdem sieht er anders aus. Jocelyn ist ein Mädchen hat aber das gleiche wie ich. Plötzlich hörte Oscar wieder Victores Stimme: „Mein Vater hat gesagt das du ein Mädchen bist.“ Oscar fiel es nun wie Schuppen von den Augen: Sie war ein Mädchen! Aber das war doch nicht möglich. Das musste ein Irrtum sein!. „Andre,“ rief sie fassungslos. „Andre wach auf! Ich glaube bin ein Mädchen!“ Erschreckt fuhr Andre nach oben. Er war gerade am einnicken gewesen. „Was sagst du da?“ „Ich glaube ich bin ein Mädchen. Ich habe unten das selbe wie Jocelyn. Victore de Girondelle hatte recht! Aber woher wusste er das?“ Sie sah vor sich wie die Dienstmädchen manchmal schnell zu tuscheln aufhörten wenn sie in ihre Nähe kam, wie die Dorfkinder ihr eigenartige Blicke zuwarfen wenn sie auf einem ihrer Ausflüge an ihnen vorbei ritt, so als wäre etwas an ihr seltsam. Und hatte nicht auch Monsieur Zidane, nachdem er sie aus dem Wasser gezogen hatte gesagt: Bringen wir „sie“ schnell in den Wagen. Auch Andre sah nicht überrascht aus. Hatten es vielleicht alle gewusst, alle außer ihr selbst? Oscar fühlte sich als würde ihre ganze Welt zusammenbrechen. Ihr war als wusste sie selbst nicht mehr wer oder was sie nun war. Plötzlich war sie in zwei Hälften gerissen. Die eine Hälfte fühlte sich als Junge, so wie sie auch erzogen worden war. Doch nun gab es auch die zweite Hälfte, die wusste das sie nicht das war, was sie nach außen zeigte. Das sie ein Mädchen war und eines Tages eine Frau werden würde. So wie ihre Mutter und ihre Schwestern. Dieses Gefühl der Zerrissenheit breitete sich von ihrer Seele auf ihren ganzen Körper aus. Heulend sprang Oscar in ihrem Nachthemd zur Tür hinaus. Wohin sie wollte wusste sie selbst nicht. Im Gang ließ sie sich wimmernd auf den Boden fallen. Auf ihr lautes Weinen hin kamen sämtliche Dienstboten im Haus zusammen gelaufen, und auch Marguerite, Maxime und Catherine waren in ihren Betten hochgefahren. „Oscar, was ist denn geschehen? Hast du schlecht geträumt?“ Marguerite drückte ihre kleine Schwester an sich. Oscar weinte nun so sehr das sie kein Wort heraus brachte. Alles brach aus ihr heraus. Auch Andre stand hilflos daneben. „Andre was hat er?“ fragte Marguerite. „Er hat herausgefunden das er ein Mädchen ist.“ „Andre hast du es ihm gesagt?“ streng sah Marguerite ihn an. Andre schüttelte schnell den Kopf. „Nein, es ist weil er Jules und Jocelyn beim Baden gesehen hat“. Marguerite hätte sich ohrfeigen können. Warum hatte sie Oscar nur mit hinein gelassen? Es war nur eine Frage der Zeit gewesen bis Oscar es merken würde aber nun war es ausgerechnet in ihrem Hause passiert. Oscar stieß Marguerite weg. „Du hast es auch gewusst? Ihr habt mich alle angelogen, nicht wahr? Du und Catherine und Andre. Maman und Papa und Sophie, ihr habt mich seit ich auf der Welt bin angelogen? Ich hasse euch alle!“ Oscar wollte niemanden mehr sehen. Sie fühlte sich von allen Menschen die ihr etwas bedeutet hatten verraten und verstand die ganze Welt nicht mehr. Wie konnte so etwas nur sein? Schließlich hob Maxime sie hoch und trug sie in sein Arbeitszimmer. Er hatte die Idee seines Schwiegervaters aus Oscar einen Knaben zu machen schon immer schwachsinnig gefunden und sich nur widerwillig eingefügt. Er setzt Oscar vor sich auf den Schreibtisch. „Und nun hol tief Luft und beruhige dich. Weinen hilft dir nun auch nicht weiter. „Wieso?“ fragte Oscar. Mehr brachte sie nicht heraus. „Dein Vater hat sich immer einen Sohn gewünscht. Als du geboren wurdest hat er beschlossen dir einen Knabennamen zu geben und dich wie einen Jungen zu erziehen. Man wollte es dir sagen wenn du ein wenig älter gewesen wärst. Aber nun hast du es eben selbst bemerkt.“ Bei sich dachte er das Oscar schon längst von selbst darauf gekommen wäre, wenn sie in einem etwas freizügigerem Haushalt aufgewachsen wäre. Es grenzte an ein Wunder das sie sich zehn Jahre lang für einen Jungen gehalten hatte. Oscar war nun von innen wie ausgetrocknet. Weder Tränen, noch Worte, noch irgend eine Regung wollten noch aus ihr heraus. „Oscar,“ sagte ihr Schwager. „Hör mir zu! Entscheide selbst was du möchtest. Wenn du weiterhin wie eine Junge leben möchtest so ist das in Ordnung. Aber wenn du irgendwann fühlst das du eine Frau bist, dann sprich bitte mit deinen Eltern.“ Oscar sah ihn an. Sie hatte sich nun einigermaßen gefasst. „Ich möchte eine Junge sein;“ sagte sie fest. Damit sprang sie vom Tisch herunter. Maxime nahm sie noch einmal in den Arm. „Dann schlafe gut Oscar. Es ist wieder alles gut.“ Maxime ging zu seiner Frau ins Schlafzimmer zurück. „Ich habe es Oscar erklärt. Ich hoffe sie kommt damit zurecht.“ „Arme Oscar,“ war alles was Marguerite dazu noch sagen konnte. Im Gästezimmer wartete bereits Andre auf sie. Zerknirscht sah er seine Freundin an. „Bitte sei mir wieder gut Oscar. Ich durfte es dir nicht sagen. Sonst hätte meine Großmutter ihre Stelle bei euch verloren und wir wären auf der Straße gestanden. Sei bitte wieder mein Freund.“ Oscar verstand Andre. Er hatte sie nicht mit Absicht belogen und konnte nichts dafür. „Es ist gut Andre. Ich verzeihe dir.“ Erleichtert atmete Andre aus. „Ich bin aber auf jeden Fall ein Junge und werde ein großer General, so wie es beschlossen war.“ Mit diesen Worten legte sich Oscar wieder zu Bett. Doch tief in ihrem Inneren blieb das schmerzliche Gefühl gespalten zu sein, wie ein verletzter Baum, in den der Blitz eingeschlagen hatte. Oscar sollte erst dann wieder ganz werden, bis sie den Mann ihres Lebens finden würde, der Mann der sie heil und zur Frau machen würde. Im Palas des Herzogs La Vauguyon saßen in dieser Nacht fünf Personen zusammen. Außer dem Herzog selbst waren die anderen vier, in dunkle Umhänge gehüllt, aus wappenlosen Kutschen gestiegen und durch einen kleinen Seiteneingang eingelassen worden. In dem Raum, in dem sie nun beisammen saßen, war die Stimmung zum Zerreißen gespannt. Mit dabei war die ehemalige Dauphine Maria Josepha. Sie war die Gattin des verstorbenen Sohns des Königs gewesen und Mutter des Dauphins von Frankreich. Neben ihr saß der Herzog La Vauguyon selbst, Veronique de Jarjayes Comtese de Fortune, der Graf de Meuron und der Marquise de Levigne. Die Mutter des Dauphins blickte finster drein. „Es stimmt also Madame de Fortune? Der König zieht wirklich eine Heirat zwischen der kleinen Österreicherin und meinem Sohn in Betracht?“ „Madame Dubarry meinte es wäre für den König bereits beschlossene Sache. Er möchte sich nur noch eine Weile zieren um vor den Österreichern das Gesicht zu waren.“ Maria Josepha hatte für Veronique nicht das Geringste übrig. Als Hofdame der Mätresse ihres Schwiegervaters, war sie ihr zutiefst zu wieder, so wie alles und jeder, der mit dieser, in ihren Augen unmöglichen Person, Umgang pflegte. Aber in dieser Sache war sie auf Veronique angewiesen. Der König besprach alle Angelegenheiten mit seiner Mätresse. Sie wusste bereits vor dessen Beratern schon von allem. Und dieses teilte sie unverzüglich ihrer ersten Hofdame und vermeintlich besten Freundin unter dem Mantel der Verschwiegenheit mit. Welch seltsame Angewohnheit Frauen doch hatten alles immer ihrer besten Freundin zu erzählen. „Eine Österreicherin am Hof von Versailles, die zudem noch meine Schwiegertochter werden soll, das ist gänzlich unmöglich. Ich habe für den Dauphin eine sächsische Prinzessin als Gemahlin ins Auge gefasst und habe vor meinen Willen auch durchzusetzen.“ Die anderen vier waren wie viele Leute in Frankreich tief antiösterreichisch eingestellt und fest entschlossen der Mutter des Dauphins bei ihrer Mission beizustehen. Mit den drei Männern verband Maria Josepha schon lange der Hass gegen das feindliche Land und der Unwille gegenüber ihrem Schwiegervater, dessen Entscheidungen sie nicht immer billigte. Veronique hatten sie sich mit ins Boot geholt, wegen ihrer Freundschaft zu Madame Dubarry. Da sie sich schon öfters in Versailles darüber geäußert hatte, wie „entsetzlich“ sie es fände, den Österreichern die Hand zum Frieden zu reichen, war sie als die ideale Person erschienen. „Nun, wenn wir uns alle darüber einig sind das wir eine Österreicherin als Dauphine und nächste Königin unseres schönen Frankreichs nicht zu lassen werden, können wir damit beginnen alles Nötige in die Wege zu leiten.“ Die anderen nickten ihr stumm zu. Um sich zurück zu ziehen war es ohnehin schon zu spät. Wer es jetzt noch wagen würde, würde sich mit einem Messer im Rücken in der Seine wiederfinden. Als Oscar, Andre und Catherine abreisten gab ihnen Marguerite einen Brief an ihre Mutter mit, in dem sie den unglücklichen Vorfall im Badezuber schilderte. Emilie de Jarjayes ließ Oscar rufen, erklärte ihr noch einmal alles und versicherte ihr das sie froh sein müsse, ein ganz anderes Leben führen zu können wie ihre Schwestern. Oscar pflichtete ihrer Mutter bei das es gut so wäre und sie auf gar keinen Fall ein Mädchen sein wolle. Insgeheim war Emilie froh das es vorüber war. Sie selbst hatte immer überlegt wie man Oscar die Wahrheit beibringen sollte. „Na siehst du Sophie,“ meinte sie am Abend. „Oscar hat gesagt sie wäre gerne ein Junge.“ „Sie kennt auch nichts anderes,“ schnaubte Sophie. „Aber nun, nachdem sie es weiß, brauchen wir wenigstens nicht mehr so tun als wäre sie ein Junge. Wir alle sind froh das diese alberne Komödie nun ein Ende hat.“ Als der General zurück kehrte und durch seine Frau von dem Vorfall erfuhr, wollte er zu nächst zu Schimpfen anfangen, doch war er ebenfalls erleichtert darüber, das Oscar es nun von selbst bemerkt hatte. Auch er hatte sich den Kopf darüber zerbrochen wie man Oscar „die etwas eigenen Umstände um ihr Geschlecht“ hätte erklären sollen. Zu Oscar selbst meinte er nur kurz und bündig wie es seine Art war: „Nun, ich habe gehört das du trotz allem eine Junge sein und Offizier werden möchtest. Ich wusste du würdest mich nicht enttäuschen.“ Doch seit diesem Tag war Oscar merkwürdig verändert. Das sonst so ausgelassene, fröhliche Kind war merklich ruhiger geworden und wirkte nun direkt forsch. Außerdem konnte sie nun ungewöhnlich stur sein. Es war als hätte sie auf einmal eine Fassade, unter der etwas verborgen war, das nicht nach draußen konnte. Als sie kurz nach ihrem zwölften Geburtstag feststellte das ihr winzige Brüste zu wachsen begannen, die leicht schmerzten wenn man sie berührte, blieb sie lange, fast schon andächtig vor ihrem Spiegel stehen und sah sich an. „Und wenn sie nicht gestorben sind dann leben sie noch heute,“ lass die Gräfin Brandeis den kleinen Erzherzögen und den kleinen Erzherzoginnen aus einem dicken, alten Märchenbuch vor. „Wie schön,“ rief Maria Antonia. „Ein richtiger Prinz der sich in sie verliebt hat und sie heiratet. Denkt ihr ich werde auch einmal einen Prinzen heiraten?“ „Aber natürlich,“ antwortete Maria Karolina. „Unsere Mutter ist die Kaiserin also bekommen wir alle einmal einen hübschen Prinzen.“ „Einen Prinzen schon aber einen mit einem Buckel und einer Warze auf der Nase, denn einen hübschen Prinzen bekommen auch nur hübsche Prinzessinen,“ meinte ihr Bruder Maximilian frech, worauf Maria Karolina ihren Stickrahmen, an dem sie während des Vorlesens arbeiten musste, nach ihm warf. Maximilian stieß einen wilden Schrei aus und wollte sich bereits auf seine Schwester stürzen, doch Gräfin Brandeis sprach eines ihrer seltenen Machtworte. „Nun ist es aber genug Maximilian. Wenn Ihr Maria Karolina im Gesicht verletzt werden ihr Heiratschancen so tief sinken das sie am Ende nicht einmal mehr der Gärtner nimmt.“ Lachend ließen die Geschwister voneinander ab. Doch Maria Antonia konnte nicht aufhören von dem Prinzen zu träumen der für sie bestimmt war. Mit offenen Augen lag sie am Abend im Bett. „Was für Augen er wohl hat und was für ein Lächeln? Wie er mich wohl ansehen wird, wie es klingen wird wenn er meinen Namen sagt? Ich kann es kaum erwarten ihm zu begegnen.“ Voller Vorfreude schlief sie ein. Ihren Märchenprinzen sollte sie eines Tages finden aber anders als sie es sich erträumt hatte. Auf sie wartete eine Liebe, die sie niemals sollte ausleben können, bis sie an ihr zerbrechen würde. Doch davon ahnte die Erzherzogin Maria Antonia noch nichts. Es waren noch wenige Jahre, in denen sie ihre Mädchenzeit unbeschwert genießen durfte. Mit ihrer sturen Art konnte Oscar vor allem ihren Vater zur Weißglut reizen. Im Sommer nach Oscars 12. Geburtstag rutschte dem General zum ersten Mal bei einem seiner Kinder die Hand aus. Die Familie war für einige Wochen in ihr Haus in der Normandie gefahren, dass Marguerites Ehemann ihnen bei ihrer Hochzeit geschenkt hatte. Neben Oscar, Catherine und ihren Eltern waren auch Veronique und Marguerite mit ihren Kindern mitgereist. Auch Andre durfte nicht fehlen, denn Oscar konnte sich nicht vorstellen die vier Wochen ohne ihren Freund zu verbringen. Andre war mit seinen dreizehn Jahren deutlich in die Höhe geschossen und da er sich seit einigen Monaten strikt weigerte, sich seine Haare von seiner Großmutter regelmäßig schneiden zu lassen, waren sie ihm inzwischen zu einer wilden, braunen Mähne gewachsen. Damit die Erwachsenen trotz der Kinderschar Ruhe und Erholung finden konnte wurde Sophie mitgenommen um ihre wachsamen Augen auf Veroniques Sohn Maurice, Jules und Jocelyn zu werfen. Die erste Woche verlief sehr harmonisch. Oscar und Andre verbrachen viel Zeit miteinander am Strand. Gelegentlich nahmen sie auch Oscars Nichte und ihre Neffen dazu mit, die begeistert darüber waren das die beiden „Großen“ für sie Zeit hatten. Inzwischen war Oscar für alle zu einer „sie“ geworden, lediglich der General blieb stur bei „er“ und „mein Sohn“. In der zweiten Woche wurde dem General durch einen Kurier eine Nachricht zugestellt. Freudig ließ er Oscar zu sich rufen: „Es ist eine Botschaft von General de Ronsard. Er ist ebenfalls hier in der Normandie um Erholung zu suchen. Er möchte dich kennen lernen. Nächste Woche am Montagnachmittag wird er hier sein. Das hast du Veronique zu verdanken, sie hat sicherlich bei Madame Dubarry ein gutes Wort für dich eingelegt und diese wiederum beim König. Du wirst dich von deiner besten Seite zeigen. Es geht um deine Aufnahme in die Offiziersakademie.“ Oscars sonst so ausgeglichenes Gesicht nahm einen mürrischen Ausdruck an. Und zum Entsetzen Reynier de Jarjayes gab sie ihrem Vater zum ersten Mal in ihrem Leben eine ungezogene Antwort. „Ich möchte aber General de Ronsard nicht kennen lernen. Und ich denke auch nicht das ich an diesem Nachmittag hier sein werde.“ Noch nie hatte eines seiner Kinder so gewagt mit ihm zu sprechen und vor Überraschung brachte der General noch nicht einmal ein Wort heraus. Nach einigen Sekunden, in denen er verarbeitete das jemand, dazu noch seine eigene Tochter, ihm derartige Wiederworte gab, lief er krebsrot im Gesicht an. „Was fällt dir ein? Du wirst anwesend sein und du wirst dich tadellos benehmen. Und wage es nicht etwas anderes zu tun.“ Und in seinem inneren Auffuhr packte er die zierliche Oscar an ihren schmalen Schultern und schüttelte sie mit aller Kraft. Seine Gemahlin hatte ihn schreien gehört und kam erschreckt in das Zimmer. „Reynier, lasst das Kind in Ruhe,“ rief Emilie de Jarjayes und wollte einschreiten, doch der General hatte Oscar bereits los gelassen. Oscar rannte so schnell sie konnte aus dem Raum und warf sich in ihrem Zimmer auf ihr Bett. In ihr brodelte es. Sie wollte nicht auf die Offiziersakademie und später schon gar nicht in die königliche Leibgarde, so viel stand für sie fest. Sie wollte nicht mehr das andere bestimmten was sie tat. Über die Angelegenheit wurde kein Wort mehr verloren. Am besagten Montag sagte der General lediglich: Vermutlich wir General de Ronsard auch etwas von deinen Fecht- und Schießkünsten sehen wollen. Also stell dich darauf ein.“ Oscar zeigte keine Regung. Als General de Ronsard ankam wurde er in den Salon geführt und Monsieur de Jarjayes ließ sofort eine Flasche seines besten Rotweines bringen. Genüsslich ließ sich de Ronsard das Getränk die Kehle hinunter laufen. „Ich bin nun doch etwas gespannt auf Oscar. Kaum zu glauben das ein Mädchen solche kämpferischen Qualitäten haben soll.“ „Ihr werdet erstaunt sein. Niemand wird bemerken das Oscar ein Mädchen ist. Ich habe sie ganz zum Soldaten erzogen.“ „Ihr kennt meine Meinung. Eine Frau gehört nicht in die Armee. Aber ich habe versprochen mir Oscar einmal anzusehen, da mich auch seine Majestät darum gebeten hat.“ General de Jarjayes schickte einen Diener Oscar zu rufen. Dieser kam geraume Zeit nicht zurück und als der General der Sache bereits auf den Grund gehen wollte kam Sophie völlig verdattert in den Raum. „Es tut mir so leid. Wir haben überall nach Oscar gesucht. Sie ist wie vom Erdboden verschwunden.“ „Was soll das heißen?“ fuhr der General auf. „Sie ist nicht in ihrem Zimmer, nicht bei Andre und wurde seit Stunden von niemanden mehr gesehen!“ Reynier de Jarjayes war Oscars Fehlen mehr als peinlich. „Du kannst gehen Sophie,“ brachte er noch hervor. Wie sollte er Ronsard die Sache nur erklären? „Nun, dann werde ich mich wohl auf den Weg machen. Es hat ja doch keinen Sinn.“ „Wartet,“ bat Monsieur de Jarjayes. „Bestimmt wird Oscar bald da sein.Vermutlich ist er ausgeritten und hat die Zeit vergessen.“ Nach zwei Stunden vergeblichen Wartens machte sich General de Ronsard.auf den Heimweg. Gerade als er von General de Jarjayes in die Halle geleitet wurde kam Oscar zu Tür herein. Sie befand sich in einem recht maroden Zustand. Ihr schulterlanges Haar stand ihr zerzaust vom Kopf ab. An einer Wange hatte sie eine dicke, rote Schramme und eines ihrer Hosenbeine hing zerfetzt herunter. „Oh mein Gott, Oscar,“ brachte der General hervor. „Oscar ist zurück,“ brüllte Maurice, der in der Halle gespielt hatte durch das Haus. Die gesamte Familie und die Dienerschaft kam angelaufen. Reynier de Jarjayes wünschte sich nur noch das sich der Boden unter seinen Füßen auftun und ihn verschlingen möge. Würde General de Ronsard nun bei Hofe berichten, dass es so in seiner Familie zuging? „Das ist mein Sohn Oscar Francoise de Jarjayes,“ stellte er endlich vor um wenigstens einen Rest Anstand zu wahren. General de Ronsard nahm Oscar in Augenschein. „So, du bist also Oscar, von der alle schon so viel erzählt haben?“ Da tat Oscar etwas womit niemand gerechnet hatte. Sie machte vor General de Ronsard einen tiefen Knicks und antwortete: „Lady Oscar, wenn ich bitten darf!“ „Lady Oscar....?“ „Ja, ich möchte von jetzt an von allen Lady Oscar genannt werden.“ „Nun, Lady Oscar, ich werde es mir merken und auch seiner Majestät so bestellen. Lebt wohl!“ General de Ronsard machte eine tiefe Verbeugung zu den Damen oben an der Treppe und verließ das Haus. An diesem Abend brach ein Unwetter über das Haus in der Normandie ein, wenn auch nicht vom Himmel droben sondern vom General. Er sah alles worauf er die letzten zwölf Jahre hingearbeitet hatte zusammenbrechen. Niemals würde Oscar mit diesem Betragen in die Offiziersakademie aufgenommen werden. Alle seine Pläne lagen als Scherbenhaufen vor ihm. „Wie konntest du nur Oscar? Wie konntest du einfach nicht erscheinen und dich dann auch noch so benehmen?“ „Ich habe Euch doch gesagt das ich an diesem Abend nicht zu hause sein werde.“ Das war zu viel für Reynier de Jarjayes. Mit aller Kraft holte er aus und verpasste Oscar eine solche Ohrfeige das sie beinahe das Gleichgewicht verlor. Ein deutlicher Handabdruck zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Oben auf der Treppe duckten sich alle als das laute Klatschen durch die Halle schallte. Immer hatte Reynier de Jarjayes darauf bestanden das Kinder nicht geschlagen werden durften und nun war ihm ausgerechnet bei Oscar die Hand ausgerutscht. „Verschwinde auf dein Zimmer und komme nicht mehr aus ihm heraus. Du hast bis zum Ende unseres Aufenthaltes hier Stubenarrest.“ Eine einzelne Träne hatte sich in Oscars Auge gelöst und rann über ihre brennende Wange. Da sie noch nie geschlagen worden war steckte der Schreck noch tief in ihr, doch vor allem war ihr Stolz verletzt, da es vor ihrer ganzen Familie, vor allem vor den drei Kleinen, geschehen war. Erhobenen Hauptes ging sie trotz ihrer schmerzenden Wange auf ihr Zimmer. „Arme Oscar! Tut sie euch nicht auch leid?“ fragte Marguerite mitfühlend. Doch Veronique antwortete: „Ich habe mir nur gedacht wie nobel das klingt.“ „Was meinst du damit?“ „Ihre neue Anrede, die sie sich gerade selbst ausgesucht hat. Lady Oscar, das hört sich richtig fein an.“ „Du hast recht,“ meinte Catherine. „Lady Oscar gefällt mir gut. Immerhin wird aus ihr nun auch eine richtige Lady.“ Im Moment wirkte Oscar wenig Ladylike. Wütend lag sie mit ihren Schuhen auf ihrem Bett und krallte ihr Finger in die Matratze. Sie würde es allen noch zeigen. Sie war kein kleines Kind mehr das tun musste was man ihr sagte. Irgendwann schlug die Müdigkeit wie eine Welle über ihr zusammen und sie fiel in einen unruhigen Schlaf. In dieser Nacht schlief niemand gut. Madame de Jarjayes und Sophie hielten die Sorgen um Oscar wach, Reynier de Jarjayes verbrachte die Nacht vor sich hin brütend im Salon, die Schwestern warfen sich in ihren Betten unruhig hin und her, die Kinder schliefen schlecht weil sie die Unruhe der Erwachsenen spürten und Andre konnte sein Mitgefühl für Oscar fast körperlich spüren. Er traute sich nur nicht zu ihr in ihr Zimmer zu gehen, aus Angst vor dem General den er über sich hin und her stapfen hörte. Oscar erschien nicht zum Frühstück, so wie es ihr befohlen worden war, doch Sophie machte ihr unverzüglich ein Tablett mit Leckereien zurecht. Von verhungern lassen war schließlich nicht die Rede gewesen. Aufgeregt ging Andre mit ihr mit. Mit seinen dreizehn Jahren hatte er Sophie von der Größe her bereits überragt, doch in der ganzen Aufregung hätte er sich seiner Großmutter am liebsten ans Schürzenband gehängt. Sein langes, braunes Haar hing ihm zerzaust über die Augen. Oscar und Andre umarmten sich so als hätten sie sich seit Wochen nicht gesehen. Doch Sophie hielt ihr sofort eine Standpauke. „Wie konntest du nur so etwas machen? Du bist deinem Vater Gehorsam schuldig. Du hast Schande über die ganze Familie gebracht! Sicherlich wird Monsieur de Ronsard in Versailles alles erzählen.“ Oscar wirkte keineswegs zerknirscht. „Warum hast du dich deinem Vater so widersetzt?“ fragte Andre neugierig. Er hätte das nie gewagt, so viel stand für ihn fest. Oscar sah in fest an. „Weil ich nicht mehr machen möchte was man mir sagt. Ich habe beschlossen meine eigenen Entscheidungen zu treffen.“ Andre nickte: „Du hast recht. Ich finde das mutig von dir.“ „Mutig, pah,“ schnaubte die Großmutter. „Du musst machen was dir dein Vater befiehlt. Und nun komm Andre wir gehen.“ Draußen meinte sie jedoch: „Ach Andre, ich kann Oscar verstehen. Sie spürt das sie nun eine junge Dame wird und welche junge Dame möchte schon in eine Uniform gesteckt werden? Es ist alles nicht recht aber das habe ich immer schon gesagt.“ Im Gang begegnete ihnen der General. Er hatte Sophies letzte Worte gehört, dennoch überhörte er sie, trotz seiner immer noch finsteren Laune. Lediglich Andre warf er einen strafenden Blick zu: „Himmel noch mal Andre, wie du herumläufst! Wenn du dein Haar schon so lange wachsen lassen musst, so binde es dir wenigstens mit einem Band nach hinten.“ Das sagte er in so einem Ton das Andre unverzüglich im Reisekoffer seiner Großmutter nach einem brauchbaren Band suchte und seine Haare fortan in einem Pferdeschwanz trug. Ihre restlichen Ferien verbrachte Oscar in ihrem Zimmer. Hatte sich Reynier de Jarjayes einmal etwas vorgenommen so wurde es auch in die Tat umgesetzt. Das Essen brachte ihr Sophie, ansonsten durfte niemand hinein, selbst Andre nicht. „Reynier seid bitte nicht so streng zu ihr,“ bat Madame de Jarjayes. „Gewiss, sie hat sich unmöglich benommen aber bedenkt das sie noch ein Kind ist.“ „Sie bleibt wo sie ist,“ bestimmte der General. „Wenn ich nur daran denke das so etwas vor General de Ronsard passiert ist. Eigentlich hätte Oscar eine viel empfindlichere Strafe verdient.“ Oscar lass viel in ihren Büchern und übte sie auf ihrer Geige, obwohl sie das ansonsten eher ungern tat. Andre schrieb ihr als treuer Freund kleine Nachrichten, die er ihr unter der Tür zuschob und Oscar antwortete ihm auf dem selben Weg. „Liebe Oscar, die drei Kleinen haben von deinem Vater heute Reitstunden erhalten. Es hat ihnen wunderbar auf den Ponys gefallen. Meine Großmutter genehmigt sich neuerdings jeden Abend ein Gläschen Schnaps. Sie sagt sie braucht dies um ihre Nerven zu beruhigen. Als Kindermädchen zu arbeiten strengt eine Frau in ihrem Alter zu sehr an. Es stimmt, die drei Kleinen sind unerträglich. Ständig stellen die etwas an. Deine Mutter und deine Schwestern sitzen nur über ihren Stickrahmen und trinken Tee und dein Vater hat wieder begonnen über militärischen Strategien zu grübeln, obwohl er Urlaub hat. Ich reite jeden Tag alleine an den Strand. Ohne die machen die Ferien keinen Spaß. Du fehlst mir, dein Andre.“ Oscar antwortete ihm auch stets: „Lieber Andre, vielen Dank für deine Nachrichten. Ich wünschte ich könnte jeden Tag mit dir reiten. Sophie mit Schnaps? Das muss ich mir unbedingt ansehen sobald ich wieder frei bin. Du fehlst mir auch, Deine Oscar.“ Selbstverständlich entdeckten die Erwachsenen rasch das Andre Nachrichten durch den Türspalt schob und ebenso das vor Oscars Tür immer wieder ein weißes, zusammengefaltetes Papierblatt lag, das Andre, der ungewöhnlich oft an ihrem Zimmer vorbei ging, in seiner Tasche verschwinden ließ. Ihr Nachrichtenaustausch wurde ihnen jedoch stillschweigend gewährt. Einmal machte sich auch Maurice daran auf diesem Weg einen Brief an Oscar zu schreiben. Er holte sich eine Feder und Papier vom Schreibtisch des Generals und schrieb mit seiner Kinderschrift: „Liebe Oscar, bitte komm bald wieder heraus. Mir gefällte es in der Normandie viel besser wenn du mit dabei bist. Mit niemandem kann man so schön spielen wie mit dir. Ich habe dich sehr lieb, dein Neffe Maurice.“ Diesen Brief schob er ebenfalls durch den Türschlitz, so wie er es bei Andre gesehen hatte. Als er sich leise davon schlich hörte er wie Oscars Zimmertür geöffnet wurde. Überrascht drehte er sich um und sah wie Oscar ihren Kopf heraus streckte und ihm zublinzelte. Trotz alle der Aufmunterung wurde es Oscar bald sterbenslangweilig. Weil sie fast den ganzen Tag nur auf dem Bett herum lag war sie Nachts auch kaum noch müde und beobachtete oft stundenlang den Mond und die Sterne. Es war stockfinstere Nacht. Am Himmel stand nur eine kleine Mondsichel. Doch unten im Garten entdeckte Oscar etwas leuchten. Eine dunkle Gestalt mit einer Laterne in der Hand ging leise durch den Garten. Oscar wurde neugierig. Wer mochte sich um diese Zeit bei ihnen nur herum treiben? Ob sie nachsehen sollte? Viel zu lange hatte sie schon in diesem Zimmer gesteckt. Alle schliefen tief und fest. Niemand würde es bemerken wenn sie sich auch in den Garten hinunter schlich. So öffnete sie leise ihre Zimmertür, tastete sich so leise wie möglich durch den dunklen Gang und in die Speisekammer des Hauses. Dort war ein kleines Fenster das sie unbemerkt öffnen und hinaus klettern konnte. Draußen zog Oscar tief die warme Sommernachtsluft ein und schmeckte den leichten Salzgeschmack der immer in der Luft lag. Wie gut das nach der langen Gefangenschaft tat. Dann besann sie sich weshalb sie draußen war und tappte in die Richtung aus der sie das Licht gesehen hatte. Da die Nacht so dunkel war kam sie nur langsam vorwärts. Bald hörte sie Stimmen. Wenn sie nur nicht entdeckt wurde! Oscar legte sich flach auf den Boden und robbte zu den nächstgelegenen Büschen, hinter denen sie sich verbergen konnte. Vorsichtig spähte sie durch die Zweige hindurch. Im Schein der Laterne, die nun auf dem Boden stand, entdeckte sie eine Gestalt im schwarzen Umhang, die auf einer Bank saß. Es musste die selbe Person sein die sie bereits von ihrem Fenster aus beobachtet hatte. Neben ihr stand ein ebenfalls dunkel gekleideter Mann. Die Person im schwarzen Umhang begann zu sprechen und Oscar bemerkte das es sich bei ihr um eine Frau handelte. Um eine Frau die sie sehr gut kannte. Es war ihre Schwester Veronique. „Meine liebe Freundin Dubarry hat mir geschrieben. Die Ehe zwischen dem Dauphin und der Erzherzogin Maria Antonia ist nun beschlossene Sache. Es wird geplant das sie auf neutralem Boden von einer französischen Abordnung empfangen und nach Frankreich geleitet werden soll. Ich denke das wäre der passende Moment für das Attentat.“ Der Mann antwortete: „Gebt mir Bescheid sobald ihr wisst an welchem Ort der Empfang stattfinden soll. So werden wir rechtzeitig Leute anheuern, die Maria Antonia ermorden. Es muss alles bis in das kleinste Detail geplant werden, wenn unser Vorhaben gelingen soll.“ Voller Angst schlich sich Oscar zurück durch das Speisekammerfenster wieder in das Haus. Ihre Schwester und der fremde Mann im Garten wollten die Braut des Dauphins töten! Das war doch nicht möglich. Mit zitternden Beinen lag Oscar im Bett und konnte jetzt erst recht nicht schlafen. Sicher war eines: Sie durfte niemals jemanden etwas von dem was sie im Garten gehört hatte erzählen. Sonst würde man Veronique aufhängen. In Gedanken sah sie ihre Mutter und ihre Schwestern in ihre Taschentücher weinen und wie Sophie immer wieder jammern würde: „Die arme Madame Veronique, die arme Madame Veronique,“ um schließlich vor Aufregung an einem Herzinfarkt zu sterben. Sie hörte auch die wütende Stimme des Generals, wie er toben würde: „Sie hat der Familie de Jarjayes Schande gemacht,“ und sah vor sich Maurices kleine Gestalt, mit großen, verweinten Augen, der dann keine Maman mehr hätte. Voller Angst um ihre Schwester und vor dem was bald passieren würde starrte Oscar in die dunkle Nacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)