Zwischen den Zeilen von "Die Rosen von Versailles" von Engelchen ================================================================================ Kapitel 5: Die Gunst des Königs ------------------------------- „Du wirst sofort tun was ich dir sage! Hast mich verstanden?“ „Ich möchte mich beim König nicht vorstellen! Vater ich bitte Euch, lasst mich damit zufrieden!“ „Und ob du das wirst!“ „Ich habe keine Lust dazu!“ „Wie? Keine Lust? Was fällt dir ein? Weißt du denn nicht das du deinen Vater vor dir hast?“ Stöhnend ließ sich Emilie de Jarjayes auf ihrem Kanapee nach hinten sinken. Es war unglaublich! Nun stritten ihr Gemahl und Oscar schon wieder miteinander. Seit Tagen gab es kein anderes Thema mehr als die Audienz beim König. Es war aus Versailles eine Nachricht eingetroffen, dass der König Oscar kennen lernen wollte. Nach der Audienz würde er die Entscheidung fällen, ob er seine Einwilligung, sie an der Offiziersakademie zuzulassen, geben wollte oder nicht. Von sämtlichen Personen, die Einfluss auf die Auswahl der Kadetten hatten, war ein Mädchen abgelehnt worden. Natürlich war General de Jarjayes vorausschauend genug gewesen, in seinen Briefen und Bittgesuchen Oscars wahres Geschlecht nicht zu erwähnen. Jedoch war inzwischen unter allen wichtigen Generälen, die sich untereinander kannten und miteinander befreundet waren, bekannt, dass der Sohn General de Jarjayes ein Mädchen war, auch wenn „er“ einen Jungennamen trug und in der Kriegskunst unterrichtet worden war. Nachdem er nun niemanden mehr wusste, bei dem er noch anfragen konnte, hatte er letzten Endes ein Bittgesuch an den König gerichtet. Zum Glück des Generals war Louis XV immer auf Sensationen aus und Oscar war für ihn eindeutig eine! Er brannte schon lange darauf dieses „Wesen“, was immer es nun sein mochte, an seinem Hof zu sehen. Das würden seine Höflinge sicher äußerst aufregend finden! So erging umgehend eine Einladung zu einer Audienz. Der General war selig vor Glück darüber aber Oscar war davon alles andere als angetan und hatte umgehend erklärt, dass sie die Einladung nicht annehmen wollte. Da eine Absage Majestätsbeleidigung wäre und für den General ohnehin nicht in Frage kam, tobte nun schon seit zwei Tagen der Kampf, bei dem jeder meinte seinen Kopf durchsetzen zu müssen. Zu allem Überfluss war auch noch Maurice, der älteste Enkel Madame und Monsieur de Jarjayes, für einige Wochen zu Besuch gekommen. Veroniques Pflichten in Versailles nahmen sie so sehr in Anspruch, dass sie wenig Zeit für ihn hatte. Auch ihr Gemahl hatte für einige Wochen verreisen müssen, um Verwandte im Ausland zu besuchen. Damit Maurice nicht nur seinem Kindermädchen überlassen war, hatten seine Eltern beschlossen, ihn zu seinen Großeltern zu schicken. „Ich bin nun dreizehn Jahre alt und kann selbst entscheiden was ich tun und lassen möchte!“ „Ich werde dir schon noch zeigen das du meine Entscheidungen zu respektieren hast!“ Ein scharfes, klatschendes Geräusch schallte durch die Gänge des Hauses. Emilie wusste das sich Oscar nun mal wieder eine Ohrfeige eingefangen hatte. Das passierte in letzter Zeit öfters. Sophie regte sich stets lauthals darüber auf, wie man so ein zartes Kind nur schlagen konnte. Madame de Jarjayes war selbst nicht damit einverstanden das mit Oscar so umgegangen wurde. Aber das Recht über die Erziehung seiner Kinder zu bestimmen hatte nun einmal ihr Mann. Außerdem betrachtete er Oscar nun einmal wie einen Jungen und ein Junge musste etwas vertragen können. Egal wie schmal und zart Oscar gebaut war, die Ohrfeigen, die es alle paar Tage setzte, steckte sie tatsächlich weg wie ein Mann. Und nicht zu vergessen war, dass sie einen mit ihrem Starrkopf tatsächlich ungemein reizen konnte. Als sie sich vor ein paar Tagen strickt weigerte in den Salon zu kommen, um einer alten Gräfin, die bereits mit Madame de Jarjayes Mutter befreundet gewesen und nun zum Tee erschienen war, guten Tag zu sagen, mit der Begründung sie sei mit Andre zu einem Ausritt verabredet, wäre Emilie selbst beinahe die Hand ausgerutscht. Wütend saß Oscar alleine in ihrem Zimmer. Die Tür öffnete sich und Maurice trat ein. „Du musst anklopfen,“ wies Oscar ihren Neffen zurecht. „Ich vergesse es immer,“ meinte der Kleine. „Oscar, weshalb streitest du mit Großvater immer?“ „Weil er meine Entscheidungen nicht akzeptieren möchte und nicht einsehen will das ich kein Kind mehr bin.“ „Ich habe alles mit angehört. Ich würde mich gerne beim König vorstellen. Wenn ich erwachsen bin möchte ich unbedingt in seine Leibgarde und ihn gegen all seine Feinde beschützen.“ „Sag das deinem Großvater,“ meinte Oscar sarkastisch. „Du wirst ihn damit sehr glücklich machen.“ „Das habe ich schon,“ erzählte Maurice begeistert. „Er hat gesagt er wäre heute schon ausgesprochen stolz auf mich und man würde merken das in meinen Adern das Blut der Jarjayes fließt.“ „Das kann ich mir vorstellen!“ antwortete ihm Oscar voller Überzeugung. Ein Klopfen störte die beiden in ihrem Gespräch und der General trat ein. Sofort richtet sich Oscar auf ihrem Stuhl kerzengerade auf, um ihrem Vater die Stirn bieten zu können. Als der General sie so angriffslustig vorfand hätte er sie am liebsten sofort gepackt und durchgeschüttelt. Aber für die neue Taktik, die er sich ausgedacht hatte, musste er sich beherrschen. „Oscar lass uns unseren Streit vergessen. Ich habe dir einen vernünftigen Vorschlag unter Männern zu machen.“ Argwöhnisch sah Oscar ihren Vater an. „Ich schlage dir einen Wettkampf zwischen uns beiden vor. Wenn du gewinnst, dann vergessen wir die ganze Sache und es ist deine Entscheidung, was du von nun an machen möchtest. Aber wenn ich gewinne dann fügst du dich und wirst dich bei König Louis vorstellen.Wir werden die selben Regel nehmen wie bei einem Duell. Ich habe dich herausgefordert, also darfst du die Disziplin bestimmen. Einverstanden?“ Ihr Vater hielt ihr die Hand hin damit sie einschlagen konnte. Oscar war eher skeptisch. Was war wenn ihr Vater einen Trick bereit hielt? Andererseits war er ein sehr fairer und ehrlicher Mensch . Ein fieser Trick sähe ihm gar nicht ähnlich. So gab sie sich einen Ruck und schlug ein. Es war immer noch besser als klein bei geben zu müssen. Fest drückte ihr Vater ihr die Hand. „Hast du dich schon für eine Waffe entschieden?“ Oscar überlegte. Sie war sowohl im Schießen, als auch im Fechten ziemlich gut. Ihr Vater war in beiden Kampfarten jedoch hervorragend. Im Fechten hätte sie den Vorteil das sie leichtfüßig und beweglich war, schon durch ihr geringes Gewicht. Das kam ihr beim Trainieren bereits gegen Andre zugute. Ihre Leichtigkeit, das war es! Es gab doch noch wesentlich mehr Sachen in denen ein geringes Gewicht von Vorteil war. Zum Beispiel beim Reiten! Dabei gewann sie auch des öfteren gegen Andre, wenn die beiden miteinander um die Wette ritten. Andre war mittlerweile ein sehr guter Reiter geworden aber oft gewann sie ganz knapp, da ihre Stute weitaus weniger zu tragen hatte. Oscar sah ihren Vater an. „Vater, ich möchte gegen Euch im Reiten antreten.“ „Im Reiten?“ „Ja, Ihr habt mir die Freie Wahl gelassen und ich habe mich dafür entschieden mit Euch um die Wette zu reiten. Bestimmt Ihr unsere Route mit Start und Ziel.“ „Ich fürchte da muss ich dich enttäuschen Oscar! Reiten ist zwar eine gute Sache aber keine Disziplin im Kampf.“ „Als Ihr mir diesen Vorschlag gemacht habt, da habt Ihr nicht von einer Kampfdisziplin gesprochen. Ihr habt lediglich gesagt, dass ihr mir eine Wette vorschlagt und ich mir heraussuchen dürfte in was wir gegen einander wetten. Das ich mich zwischen Pistole oder Degen entscheiden solle habt Ihr nie erwähnt. Jetzt plötzlich die Regeln zu ändern, die ihr selbst aufgestellt habt, fände ich ungerecht.“ „Aber das ist doch...“ „Ich habe es auch gehört,“ piepste Maurice aufgeregt. Immer wenn er aufgeregt war wurde seine Stimmer recht hoch. „Ihr habt zu Oscar gesagt, dass Ihr mit Ihr eine Wette machen wollt und Oscar solle aussuchen in was ihr gegeneinander wettet. Man muss zu seinem Wort stehen! Das habt Ihr mir selbst beigebracht Großvater!“ Der General biss fest die Lippen aufeinander. Das er vor seinem eigenen Enkel als unglaubwürdig da stehen sollte kam nicht in Frage! So musste er sich wohl oder übel in sein Schicksal beugen. „Nun, gut wenn du darauf bestehst dann reiten wir um die Wette. Wir nehmen die Strecke vom Tor unseres Palas bis zu dem alten Wegweiser der in Richtung Evry zeigt. Den kennst du doch?“ Oscar nickte. „Das Rennen findet in drei Tagen um 8 Uhr in der Früh statt. Dann haben wir beide Zeit um noch etwas zu trainieren.“ Damit war er aus dem Zimmer. Draußen wurde ihm bewusst, dass ihm Oscar, trotz ihrer dreizehn Jahre, durchaus das Wasser reichen konnte. Louis Auguste, der Dauphin von Frankreich, sah in den klaren Wintertag hinaus. Es war gerade Geographiestunde und er hatte eigentlich vorgehabt sich in seinen Atlas zu vertiefen, aber das viel ihm heute zum ersten Mal in seinem Leben schwer. Sein Großvater, König Louis XV, hatte ihm heute morgen eröffnet, dass eine passende Braut für ihn gefunden worden war. Er hatten seinen Großvater schon lange im Verdacht gehabt, dass er mit seinen Beratern auf Brautschau war, und es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie eines schrecklichen Tages fündig werden sollten. Voraussichtlich sollte die Hochzeit bereits im nächsten Jahr stattfinden. Mit Schaudern dachte der vierzehnjährige Dauphin daran. Er hatte für Mädchen nicht das geringste übrig. Die jungen Damen am Hof störten ihn durch ihr ewiges Geschnatter und Gekicher. Wenn er in ihre Nähe kam, dann sahen sie verstohlen in seine Richtung und kicherten noch ein bisschen mehr. Natürlich war er nicht so gut aussehend wie seine beiden Brüder oder die anderen Jünglinge, die am Hof erschienen. Schon als kleiner Junge hatte er das Gefühl gehabt, das seine Eltern seine jüngeren Brüder lieber mochten als ihn. Oft sah er wie die Mädchen mit anderen Jungen in seinem Alter durch die Gärten von Versailles spazierten und mit ihnen übermütig scherzten. Er konnte aber nun einmal nicht richtig tanzen und machte auch auf dem Pferd keine gute Figur. wesentlich lieber vertiefte er sich in seine Bücher. Im Rechnen, in Fremdsprachen, in Geographie und in Naturkunde konnte ihm niemand das Wasser reichen. Aber das waren alles Dinge die ein Mädchen an einem Jungen wohl kaum interessierten. Vermutlich würde das fremde Mädchen, das seine Gemahlin werden sollte, ebenfalls ständig mit den anderen über ihn kichern. Das Schlimmste an der jungen Dame war seiner Ansicht nach aber das sie Österreicherin war. Seine Mutter, die vergangenes Jahr verstorben war, hatte auf dieses Volk einen abgrundtiefen Hass empfunden. Er wusste das sie eine Heirat mit einer Tochter aus dem österreichischen Kaiserhaus tief missbilligt hätte. Und nun sollte gerade eine Erzherzogin aus Wien seine Braut werden. Sein Großvater hatte ihm erklärt das diese Ehe von größter politischer Wichtigkeit war und hatte noch aufmunternd hinzugefügt das die Erzherzogin Maria Antonia ungewöhnlich hübsch sein sollte. Aber das war ihm vollkommen egal. Für ihn sah ohnehin ein Mädchen aus wie das andere. Sein Lehrer, der Herzog La Vauguyon, betrat das Studierzimmer. „Eure Hoheit wirkt heute sehr abwesend,“ bemerkte er. Unglücklich blickte Louis Auguste ihn an. „Ist es wegen der geplanten Hochzeit nächstes Jahr?“ „So ist es,“ antwortete Louis. „Ich wünschte mein Großvater würde seine Meinung ändern. Ich möchte noch nicht Heiraten, vor allem keine Österreicherin.“ Sofort griff Herzog La Vauguyon die Antwort auf. Er war es auch immer gewesen der das Misstrauen des Dauphins gegen alles österreichische angestachelt hatte. „Ganz recht Eure Hoheit! Ich teile Eure Meinung. Eine österreichische Gemahlin ist äußerst unpassend gewählt. Es wäre Eurer lieben Mutter Maria Josepha mit Sicherheit nicht recht gewesen. Aber den Entschluss Eures Großvaters können wir nun einmal nicht ändern. Sicher ist aber das die Österreicherin niemals zu uns gehören wird.“ Er sprach das Wort l autrichienne, für Österreicherin aus wie l autre chienne, was so viel wie Hündin bedeutete. Dabei leuchtete abgrundtiefer Hass in seinen Augen. Die nächsten beiden Tage ritt Oscar die vereinbarte Strecke ab und versuchte ihre Stute so schnell wie möglich anzutreiben. Das Wettrennen zwischen ihr und ihrem Vater würde sie gewinnen, sie musste es ganz einfach schaffen. Andre ritt stets mit ihr mit und sprach ihr Mut zu. „Du schaffst das Oscar, ganz bestimmt! Mich überholst du doch auch ständig. Dann gewinnst du auch gegen deinen Vater.“ Beide hatten rot gefrorene Wangen, denn es war erst Februar und beim Reiten biss der scharfe Wind in die Gesichter. Am Morgen des ausgemachten Tages war Oscar bereits vor dem Morgengrauen auf den Beinen. Dies würde der Tag der Tage werden an dem ihr Vater endlich merken sollte das sie ihre eigenen Entscheidungen traf. Und ihre erste eigene Entscheidung würde sein, nicht bei der Audienz des Königs zu erscheinen. Aufgeregt raste sie ruhelos in ihrem Zimmer auf und ab. Als es endlich Zeit zum Frühstücken war brachte sie kaum einen Bissen hinunter, zwang sich aber einen Croissant zu essen, um wenigstens eine Kleinigkeit im Magen zu haben. Ihr Vater war jedoch glänzender Laune. Wenn er genau so aufgeregt war wie sie selbst, dann ließ er es sich zumindest nicht anmerken. „Na, Oscar? Nur einen Croissant? Das ist sicher auch besser so. Nicht das du während deines Frühstücks noch so beachtlich zu nehmen wirst, das deinem Pferd die Beine durchknicken.“ Dabei sah er spöttisch auf Oscars schmale Figur. Oscar gab keinen Ton von sich sondern dachte nur: „Na warte, dir zeige ich es noch.“ Ihre Mutter war noch nicht anwesend. Sie hatten fest miteinander ausgemacht ihr nichts zu sagen. Vermutlich würde sie sich so darüber aufregen das man das Rennen absagen musste und daran war ihnen beiden nicht gelegen. Auch Maurice war zum Schweigen verpflichtet worden und der General hatte ihm dafür auch ein eigenes Pferd aus seinem Stall versprochen. Andre sollte das Startzeichen geben und am ausgemachten Wegweiser würde Laurent warten, um bewerten zu können, wessen Pferd als erstes über die Ziellinie ging. Draußen im Hof wartete bereits Andre mit den gesattelten Pferden. In der Kälte konnte man die Dampfwolken sehen, die aus ihren Nüstern kamen. „Ich habe deiner Stute eine besonders große Portion Hafer gegeben,“ flüsterte ihr Andre ins Ohr. Dankbar zwinkerte Oscar ihrem Freund zu und saß auf. Dann ritt sie mit ihrem Vater vor das Tor des Palas de Jarjayes wo ihr Rennen beginnen sollte. Andre ging neben ihnen her. Vor dem Tor angekommen drückte Monsieur de Jarjayes Andre eine Pistole in die Hand. „Hier, du gibst den Startschuss.“ Oscar lenkte ihr Pferd neben das ihres Vaters. Als sie zu ihm hinüber sah, entdeckte sie einen Zug von Nervosität um seinen Mund. Oscar grinste in sich hinein. Das ihr Vater nun doch auch etwas aufgeregt war gab ihr das gewohnte Selbstbewusstsein zurück. „Seid ihr soweit?“ fragte Andre. „Es kann los gehen,“ antwortet General de Jarjayes. Andre hielt die Pistole nach oben. „Auf die Plätze, Fertig, Los!“ Bei „Los“ drückte er ab, ein lauter Schuss ertönte und Oscar gab ihrem Pferd die Sporen. Sofort galoppierte die Stute mit ihr auf dem Rücken los. Der Wind schlug ihr ins Gesicht, Oscar ließ die Zügel locker und spürte wie das Tier unter ihr immer schneller und schneller wurde. Sie drehte sich kurz um und stellte befriedigt fest das sie ihren Vater bereits abgehängt hatte. Sie war eben eindeutig leichter und das Andre ihr Pferd ausgiebig mit zusätzlichem Hafer vollgestopft hatte, tat sein übriges. Vor Freude begann Oscar zu strahlen. Es lief alles wunderbar! Sie hob ihr Hinterteil ein Stück aus dem Sattel um noch weniger Gewicht zu haben. Das Pferd war nun so schnell wie noch nie. Verärgert stellte General de Jarjayes fest, dass er haushoch am verlieren war. Er hatte ohnehin schon damit gerechnet aber nicht gedacht das Oscar ihn so schnell überholen würde. Es waren bereits gute fünf bis sechs Meter Abstand zwischen ihnen. Plötzlich bewegte sich etwas hinter den Büschen, gerade als Oscar auf einer Höhe mit ihnen war. Ein hungriger, junger Hirsch, der auf der Suche nach Futter sein musste, kam direkt vor Oscars Pferd herausgesprungen. Das Pferd begann zu scheuen und bäumte sich auf. Mit beiden Beinen klammerte sich Oscar fest. Sie versuchte das Tier zu beruhigen, doch es ging geradewegs mit ihr durch. Ihr Vater, der inzwischen aufgeholt hatte, war nur noch ein kleines Stück hinter ihr und sah alles mit an. „Oscar halt dich fest!“ rief er seiner Tochter zu. Dann galoppierte er dem durchgehenden Pferd hinter her um es aufzuhalten. Oscar versuchte krampfhaft oben zu bleiben. Zum Glück war sie so eine geübte Reiterin. Da sie jede Orientierung verloren hatte, richtete sie sich im Sattel ein Stück auf, um zu sehen wo sie sich gerade befand. Da tauchte plötzlich vor ihren Augen ein Ast auf, der hart gegen ihre Stirn schlug. Oscar spürte den Schlag, einen heftigen Schmerz in ihrem Kopf und ihr wurde schwarz vor Augen. In diesem Moment kam Laurent auf sie zugeritten, der von weitem gesehen hatte, wie Oscars Pferd mit ihr durchging. Schnell packte er es am Zügel, hielt es an und redete beruhigend auf das Tier ein. Das Pferd, das seine Stimme erkannte, wurde sofort ruhiger und blieb stehen. Oscar hing schlaff auf seinem Rücken. Inzwischen hatte der General sie eingeholt. „Oscar, ist dir etwas geschehen?“ fragte er aufgeregt. In seiner Stimme schwang Angst mit. „Mein Kopf tut so weh,“ war alles was Oscar noch hervorbrachte. Rasch packte sie ihr Vater, zog sie zu sich hinüber auf sein Pferd und setzte sie dort vor sich in den Sattel. „Wie federleicht sie doch ist,“ ging es ihm dabei durch den Kopf und sofort bereute er es seiner Tochter so einen Wettkampf vorgeschlagen zu haben. „Reite sofort zum Arzt und sorge dafür das er umgehend zu uns kommt! Ich bringe Oscar nach hause.“ Mit diesen Worten galoppierte er mit Oscar vor sich im Sattel zurück zum Palas de Jarjayes. Oscar war zwar bei Bewusstsein, aber ihr Kopf schmerzte noch immer heftig. Reynier de Jarjayes machte sich einer der wenigen Male in seinem Leben heftige Vorwürfe. Wenn Oscar etwas zugestoßen war, dann würde er sich das nie verzeihen! Im Palas de Jarjayes angekommen, sprang er sofort ab, nahm Oscar vom Pferd, warf Philippe die Zügel zu und stürzte mit Oscar in den Armen in das Haus. Andre hielt sich gerade im Hof auf, wo er das Leder der Sättel reinigte und einrieb, mit Blick auf das Eingangstor, da er als Erster erfahren wollte, wie das Rennen ausgegangen war. Dabei hatte ununterbrochen an Oscar gedacht und ihr den Sieg gewünscht. Daran das seine Freundin gewinnen würde, hatte er keinen Zweifel gehegt, aber immerhin hatte zusätzliches Daumendrücken noch nie geschadet. Als er nun nur den General zurückkommen sah, mit Oscar in den Armen, wusste er sofort, dass etwas anders gelaufen sein musste als geplant. Sofort ließ er alles stehen und liegen und stürzte ihnen nach. „Was ist mit Oscar?“ rief er Monsieur de Jarjayes zu. „Er hat einen Ast an den Kopf bekommen,“ schrie dieser zurück, riss die Eingangstüre auf und rannte mit Oscar auf den Armen nach oben. Ausgerechnet da begegneten ihm seine Gattin und Sophie. Madame de Jarjayes hatte gemütlich gefrühstückt und war nun mit Sophie auf dem Weg in ihr Zimmer, um dort mit ihr alles Wichtige für die kommende Woche zu besprechen. Als ihr der General mit Oscar auf dem Arm entgegen gerannt kam, deren Kopf schlapp an seiner Schulter hing, spürte sie wie für einen Moment ihr Herz aussetzte. „Oh mein Gott! Oscar! Was ist denn mit ihr passiert?“ „Er hat beim Reiten einen Ast an den Kopf bekommen,“ musste Reynier de Jarjayes nun auch seiner Gattin erklären. Damit trug er Oscar in ihr Zimmer und legte sie dort auf ihr Bett. Natürlich fing Sophie sofort wieder an entsetzlich zu jammern: „Die arme Lady Oscar! Das arme Kind! Es muss sofort nach dem Doktor geschickt werden.“ „Der Arzt kommt sofort. Ich habe Laurent geschickt um ihn zu holen.“ „Weshalb war Laurent mit euch unterwegs?“ fragte Emilie erstaunt. Inzwischen war Andre ins Zimmer getreten, der sich um Oscar ernsthafte Sorgen machte. Ihm auf dem Fuß folgte Maurice, der mitbekommen hatte das etwas Außergewöhnliches passiert war und der Sache sofort auf den Grund gehen musste. Reynier de Jarjayes merkte nun das ihm nichts anderes übrig bleiben würde, als vor allen zuzugeben das er Oscar zu einer Wette herausgefordert hatte. „Nun ja, es war so das Oscar und ich ein Wettrennen gegeneinander gemacht haben und Laurent wartete an der Ziellinie, um beurteilen zu können wer von uns beiden der Schnellste ist.“ „Wie kamt Ihr auf einen solch eine Idee,“ fragte Emilie de Jarjayes entgeistert. „Er hat Oscar eine Wette vorgeschlagen weil sie sich nicht beim König vorstellen wollte“ mischte sich Maurice ein. Keiner hatte heute noch von ihm Notiz genommen und das musste dringend geändert werden. Seine Taktik erwies sich als voller Erfolg. Alle drehten sich in seine Richtung. Allein der General dachte sich das sein Enkel ein mieser, kleiner Verräter war. Aber diese Falschheit lag sicher nicht an seinem Jarjayes- Einschlag, sondern musste eindeutig von seiner Vaterseite her, der Familie de Fortune, kommen. Emilie blickte ihren Gemahl scharf an. „Reynier, was fällt Euch ein?“ „Das Wettrennen war Oscars Vorschlag. Ich wollte ihr die Wahl zwischen Säbel und Pistole lassen.“ Das stimmte Emilie keinesfalls gelassener. „Also wirklich! Habt Ihr denn gar nicht bemerkt das sie ein Kind von dreizehn Jahren ist?“ „Mir hat er ein eigenes Pferd versprochen wenn ich nichts verrate,“ war wieder Maurices Stimme zu vernehmen. Der General beschloss insgeheim dass das kleine Biest kein Pferd brauchte. Er war dabei keinesfalls wortbrüchig geworden, denn Maurice hatte zu guter Letzt doch noch alles verraten. Strafe musste sein! Emilie de Jarjayes hatte in ihrer seit über dreißig Jahren bestehenden Ehe selten einen Entschluss ihres Mannes laut angezweifelt, doch jetzt konnte sie es sich nicht verkneifen in einem ungewohnt sarkastischem Ton zu sagen: „Ich bewundere Eure Erziehungsmethoden! Ich bewundere sie wirklich!“ Am liebsten hätte der Genral etwas zurück kommentiert aber in Anbetracht dessen, dass er so eben beinahe sein eigenes Kind umgebracht hätte, verzichtete er zum ersten Mal in seinem Leben darauf das letzte Wort zu haben. Auch Sophie vergaß in all dem Trubel ganz das es sich nicht schickte die Herrschaft zu kritisieren. „Wirklich Monsieur, so etwas gab es noch nie! Der armen Lady Oscar so eine gefährliche Wette vorzuschlagen und den lieben, kleinen Monsieur Maurice da mit hinein zu ziehen! Andre, weshalb hast du mir nichts davon gesagt? Du hast doch mit ihnen unter einer Decke gesteckt! Na, warte wir beide sprechen uns noch!“ „Aber Großmutter ich wusste doch nicht...!“ Da ließ ein stöhnendes Geräusch vom Bett alle aufhorchen. „Seit doch endlich leise!“ kam es von Oscar. „Ihr habt wohl vergessen das ich Kopfschmerzen habe!“ Alle zuckten zusammen und Emilie und Reynier de Jarjayes stellten erleichtert fest, dass Oscar nicht schwer verletzt sein konnte, wenn ihr Mundwerk noch in gewohnter Weise funktionierte. Als der Hausarzt der Familie eintraf ließ er sich kurz erklären was geschehen war und schickte dann alle nach draußen. Dort hörte man noch die Stimme des Generals ungewöhnlich kleinlaut: „Emilie Ihr müsst mir glauben. Ich hätte niemals auf Oscar geschossen. Für das Duell war doch eine Zielscheibe geplant.“ Als Oscar endlich mit dem Doktor alleine war meinte dieser zu ihr: „So, dann wollen wir dich mal untersuchen, obwohl ich nicht glaube das dein harter Jarjayes- Schädel viel abbekommen hat!“ Der Arzt hatte recht behalten. Oscar hatte zwar eine ordentliche Beule an der Stirn, trug aber keine bleibenden Schäden davon. Schlimmer war für sie, dass ihr Vater, nachdem sie so gut wie unverletzt war, zu seiner alten Art zurück gefunden und bestimmt hatte, dass die Wette als verloren galt und Oscar sich fügen musste. Der Arzt hatte ihr einen Tag Bettruhe und kalte Umschläge auf die Stirn verordnet. Da Oscar noch nie eine geduldige Patientin gewesen war, die lange freiwillig im Bett blieb, verbrachte Andre mehrere Stunden bei ihr um sie zu unterhalten. Plötzlich fragte er unvermittelt: „Oscar, darf ich dir eine Frage stellen?“ „Natürlich Andre, was möchtest du von mir wissen?“ „Weshalb möchtest du nicht an den Hof und den König kennen lernen und weshalb sträubst du dich so dagegen die Offiziersakademie zu besuchen? Ich dachte immer das alle jungen Adligen davon träumen den König zu umschwärmen und das ihn beschützen zu dürfen die größte Ehre überhaupt ist.“ Oscar sah ihrem Freund in die Augen. „Für viele junge Adlige, aber nicht für mich.“ „Aber ich verstehe nicht weshalb.“ „Ich finde es nicht richtig das um den König so einen Aufstand gemacht wird. Er ist doch auch nur ein ganz normaler Mensch so wie du und ich. Warum sollen wir Adligen etwas Besseres sein wie ihr anderen? Ich möchte nicht nach Versailles und mit lauter hochnäsigen Aristokraten meine Zeit verbringen.“ „Das lässt du aber am besten nicht deinen Vater hören,“ meinte Andre. „So, nun gehe ich auch zu Bett. Morgen gibt es wieder viel zu tun.“ Da der Pferdeknecht der Familie de Jarjayes inzwischen auf Grund seines Alters nur noch wenige Handgriffe tun konnte, hatte Andre seine Aufgaben beinahe ganz übernommen. „Warte noch Andre,“ bat Oscar. Andre setzte sich noch einmal neben ihr Bett. „Ich möchte nicht Soldat werden,“ sagte Oscar. „Ich habe keine Angst davor zu kämpfen und ich fürchte mich nicht vor dem Tod.“ Oscar suchte nach den passenden Worten. „Aber ich möchte niemand anderen töten müssen. Ich weiß das es mich mein ganzes Leben lang nicht los lassen würde, wenn ich einen anderen Menschen umbringe.“ Andre konnte Oscar nur all zu gut verstehen. Dennoch antwortete er ihr: „Als Soldat wirst du aber nicht vor die Wahl gestellt werden. Wenn es um den Schutz des Königs und die Sicherheit Frankreichs geht, dann wirst du schießen müssen. Und für deinen Vater ist es beschlossene Sache das du in die Armee des Königs eintreten sollst. Ausgerechnet ihm kannst du dich nicht widersetzen.“ „Doch, eine Möglichkeit habe ich noch um dem ganzen zu entgehen,“ sagte Oscar und ein entschlossener Ausdruck trat in ihr Gesicht. Andre wurde sofort neugierig. „Und welche Möglichkeit wäre das?“ Oscar grinste ihn an. „Das wirst du sicher bald erfahren.“ So musste Andre zu Bett gehen ohne das seine Neugierde befriedigt wurde. „Hoffentlich hat sich Oscar nicht etwas einfallen lassen was gar zu unmöglich ist. Sonst wird sie nur wieder mit ihrem Vater aneinander geraten und wer weiß ob die nächste Auseinandersetzung so glimpflich abläuft,“ dachte er für sich. Allein Oscars Grinsen sprach schon Bände für sich. Seit ihre ältere Schwester Maria Karolina nach Neapel- Sizilien verheiratet worden war, fühlte sich die kleine Erzherzogin Maria Antonia in Wien recht einsam. Maria Karolina war ihre beste Freundin gewesen und fehlte ihr nun sehr. Ihre Erzieherinnen die Gräfin Brandeis und die Gräfin Lerchenfeld hatten es schwerer als bisher sie für den Unterricht zu begeistern. Ihre Brüder Maximilian und Ferdinand wurden inzwischen gesondert unterrichtet. Noch nie war sie jedoch für ihr mangelndes Interesse oder ihre Unachtsamkeiten zurecht gewiesen worden. Langsam kam ihr selbst der Verdacht das ihre Lehrer und Erzieher vermutlich am liebsten ihre Ruhe wollten. Gerade ihr Klavierlehrer Herr Gluck lobte sie nach jedem Vortrag: „Eure Hoheit machen recht gute Fortschritte.“ Einmal hatte sie zum Spaß absichtlich falsch gespielt und selbst da keine andere Antwort erhalten. Gerade als sie wieder notgedrungen am Klavier saß, betrat die Kaiserin selbst das Musikzimmer. Überrascht hörte Maria Antonia auf zu spielen. Es war noch nie vorgekommen das ihre Mutter Maria Theresia sie während des Unterrichtes besuchte. Die Gräfin Brandeis hatte mit einer Stickerei in der Ecke gesessen, sprang auf und machte einen tiefen Knicks. Auch Herr Gluck verbeugte sich. Niemand beachtete Maria Antonias Bruder Ferdinand, der in einer Nische, größtenteils von einem Vorhang verdeckt saß. Er fand es nun furchtbar komisch, dass ihn niemand der Anwesenden bemerkte, noch nicht einmal die Kaiserin selbst. „Spielen sie nur weiter,“ forderte die Kaiserin Maria Antonia auf und setzte sich auf einen Sessel. Maria Antonia tat um was sie gebeten worden war. Sie setzte an doch nach den ersten paar Takten unterbrach sie ihre Mutter: „Aufhören, sofort! Das klingt ja grauenhaft! Herr Gluck, wie lange unterrichtet Ihr schon meine Tochter am Klavier?“ „Seit fünf Jahren Eure Majestät,“ antwortete er wahrheitsgemäß. Die Kaiserin verkniff es sich weiter zu fragen. „Gräfin Brandeis, ich bin gekommen um die Arbeitsmaterialien meiner Tochter Maria Antonia zu sehen. Bitte bringt sie mir.“ Die Gräfin Brandeis wurde blass vor Schreck. Dennoch tat sie was ihr befohlen worden war. Die Kaiserin sah sich alles durch, Französisch, Latein, Grammatik, Geographie, Geometrie... Auch ihre Gesichtsfarbe wechselte dabei zwischen kreidebleich und knallrot hin und her. „Das darf doch nicht wahr sein,“ ächzte sie. „Ist all das wirklich von Maria Antonia?“ „Ja, alles,“ bestätigte die Gräfin. „Was habt Ihr und ihre Lehrer all die Jahre nur getan?“ fragte die Kaiserin fassungslos. Die Wahrheit hätte gelautet: Märchen vorgelesen, die Streiche der Prinzen ertragen, die Prinzen und Prinzessinnen wieder eingefangen wenn sie davon gelaufen waren und vergeblich versucht Unterricht zu halten. Aber das konnte man natürlich nicht zu der kaiserlichen Frau Mutter sagen. Also schwieg die Gräfin lieber. „Es hilft alles nichts! Wir müssen das Versäumte auf dem schnellsten Wege nachholen. Wir haben gerade ein Jahr Zeit dazu.“ „Pardon Majestät, ich verstehe nicht weshalb.“ Die Kaiserin erhob sich und richtete ihre imposante Gestalt zu ihrer vollen Größe auf. „Weil meine Tochter, die Erzherzogin Maria Antonia, im nächsten Jahr die Braut des Dauphins von Frankreich und somit die nächste französische Königin wird.“ Im Zimmer wurde es so still wie wenn eine Kanone eingeschlagen hätte. „Ich werde mich um die besten Lehrer im Lande bemühen. Und sie, meine liebe Tochter, werden so fleißig sein wie noch nie in ihrem Leben.“ Mit diesen Worten rauschte die Kaiserin davon. Endlich konnte Ferdinand hinter seinem Versteck hervor kommen. Er ließ sich auf den selben Sessel fallen, auf dem zuvor seine Mutter gesessen hatte und lachte aus vollem Halse. „Also Tonerl , das ist zu komisch! Jetzt haben sie dich doch tatsächlich an die Froschschenkelfresser verhökert! Du und die Königin von Frankreich, das glaubt doch niemand!“ Maria Antonia stellte fest das sie es selbst kaum glauben konnte. In einem Jahr sollte sie ihre Heimat verlassen, einen Jungen heiraten den sie nicht kannte und ihre Familie niemals wieder sehen. Genau so wie es Maria Karolina und ihren anderen Schwestern ergangen war. In ihrer Kehle steckte plötzlich ein riesiger Kloß und ihre Augen waren voll von unterdrückten Tränen. „Und dann auch noch der Dauphin,“ lachte Ferdinand weiter. „Er soll dick wie eine Kröte sein und äußerst unansehnlich. Da hast du aber eine schönte Partie gemacht mein liebes Tonerl.“ Maria Antonia drehte sich um damit niemand ihre Tränen sah. So sollte ihr Bräutigam wohl nicht der Märchenprinz sein von dem sie schon immer geträumt hatte! Als in der darauffolgenden Woche die Audienz beim König anstand ließ sich Oscar geduldig und ohne Wiederworte in samtene Kniehosen, weiße Seidenstrümpfe und in eine Rüschenbluse kleiden. Sophie kämmte ihr liebevoll die blonden, schulterlangen Haare, um ihr dann einen riesigen Hut mit einer noch riesigeren Feder daran aufzusetzen, der Oscars Garderobe den letzten Schliff geben sollte. Sophie stellte misstrauisch fest das Oscar sich nicht mit Händen und Füßen gegen die höfische Kleidung gewehrt hatte. Ansonsten war es unmöglich gewesen sie so adrett einzukleiden ohne das sie aufschrie: „So etwas albernes ziehe ich nicht an. Ich werde nicht so aufgetakelt herum laufen!“ „Lady Oscar, auch wenn ich immer schon dagegen war das ihr wie ein Junge gekleidet werdet, muss ich Euch sagen das Ihr wirklich reizend ausseht.“ Oscars Miene zu entnehmen fand sie sich alles andere als reizend, doch kommentarlos verließ sie ihr Zimmer um nach draußen zu gehen, wo die Kutsche, die sie und ihren Vater nach Versailles bringen sollte, bereits wartete. Zu allem Unglück hielten sich gerade zwei Jungen auf dem Gang auf, die von ihrem Vater für einige Zeit angestellt worden waren, um dort die Wände neu zu streichen. Die beiden waren ein kleines Stück älter als Oscar und als sie den „Sohn des Hauses“ in diesem Aufputz sahen, konnten sie sich ein heftiges „Pfffft!“ nicht verkneifen, ließen ihr Pinsel fallen und suchten sich ein sicheres Versteck im Haus um sich auslachen zu können. Oscar fühlte sich immer kläglicher. Sah sie wirklich so lächerlich aus? In diesem Moment kam Andre um die Ecke, um zu melden das die Pferde bereit standen. Sein Blick fiel auf Oscar, die er noch nie in so einem Aufzug gesehen hatte. „Wie siehst du denn aus und was hast du denn da auf deinem Kopf?“rief er, mit einem Finger auf Oscar zeigend. Dann brach er in schallendes Gelächter aus, das er kaum noch stehen konnte. „Na warte, ich kriege dich! Sobald ich wieder zurück bin erwische ich dich und dann kannst du was erleben?“ rief Oscar zornig. Lachend trollte sich Andre davon, in der Gewissheit das Oscar ihn in ihren hochhackigen Schuhen ausnahmsweise nicht verfolgen konnte. Oscar überlegte ob sie nicht in letzter Minute einfach umdrehen und den Besuch in Versailles absagen sollte. Aber wenn ihre Audienz beim König so ablaufen sollte, wie sie es sich ausgedacht hatte, würde sie vor ihrem Vater und seiner Idee mit der Offiziersakademie für immer Ruhe haben. Also schluckte sie ihre Wut hinunter, gab ihrem Wunsch ihre Schuhe fort zu werfen und Andre zu verfolgen nicht nach, biss die Zähne zusammen und ging die Treppen hinunter. Unten wartete ihr Mutter mit Maurice um sie zu verabschieden. Bei ihrem Anblick presste sich Emilie de Jarjayes ein Taschentuch gegen den Mund. In ihren Augen erkannte Oscar das ihre sonst so beherrschte Mutter ebenfalls über sie lachen musste. Wie sehr sie ihren Vater in diesem Moment hasste, der diese scheußliche Garderobe für sie ausgesucht hatte. Lediglich ihr Neffe blickte sie bewundernd an. „Du siehst sehr elegant aus. Sicher hält dich in Versailles jeder für den Dauphin.“ Allmählich war Oscar nur noch zum heulen zu mute. Unter scheinbar unendlichen Verhaltensmaßregeln wurde Oscar von ihrer Mutter und Sophie zur Kutsche begleitet, in der Monsineur de Jarjayes bereits ungeduldig wartete. Er war mit Oscars Kleidung sehr zufrieden. Nun wirkte sie endlich wie ein junger Höfling. Als Oscar noch einmal aus der Kutsche winkte rief ihr Maurice hinterher: „Grüßt in Versailles den König und auch meine Mutter schön von mir.“ Daran das sie in Versailles auch ihrer Schwester Veronique begegnen würde hatte Oscar gar nicht mehr gedacht. Je näher sie Versailles kamen desto aufgeregter wurde Oscar. Zwar hatte sie zu Andre gemeint der König wäre ihr vollkommen gleichgültig, doch nun begann es in ihrem Bauch zu kribbeln, ohne das sie es wollte. Immerhin war der König eben doch eine wichtige Persönlichkeit, auch wenn sie das ungern zugab. Am Schlosstor wurden sie sofort von den Wachen eingelassen. Offensichtlich war der General bekannt. Bald musste Oscar fest stellen das Versailles eine Stadt für sich war. Sie fühlte sich als wäre sie in eine andere Welt eingetaucht. Nachdem sie aus der Kutsche gestiegen waren, wanderten sie ein Stück durch die Blumengärten, die um diese Jahreszeit allerdings nichts zu bieten hatten. Oscar musste feststellen, dass sie noch lange nicht am feinsten herausgeputzt war. Die anderen Mitglieder des Hochadels wandelten ebenfalls durch die Gärten. Es war die reinste Modenschau. Oscar wusste nicht wohin sie vor lauter Reifröcken, Hochfrisuren, gepuderten Perücken und Federhüten überhaupt noch schauen sollte. Der General war auch im Garten jedem bekannt, denn von allen Richtungen wurden sie gegrüßt. Oscar spürte das sich alle Blicke auf sie richteten und bemerkte das alle Höflinge, die grüßend an ihnen vorbei gingen, einander anstießen und über sie tuschelten. „Das Kind des Generals...“ In der Tat wie ein Knabe...“ „Wer weiß ob er tatsächlich ein Mädchen ist...“ Oscar war das Interesse an ihrer Person sehr unangenehm. Sie hatte es schon immer gehasst wenn über sie geredet wurde und nun taten dies unzählige fremde Menschen, völlig egal ob sie es nun mitbekam oder nicht. Die Innenräume des Schlosses waren so prächtig ausgestattet, wie Oscar es noch gar nicht gesehen hatte. Obwohl das Palas de Jarjayes durchaus luxuriös eingerichtet war, stellte die Pracht in Versailles gar kein Vergleich dazu dar. Einen Moment lang hätte Oscar am liebsten nach der Hand ihres Vaters gegriffen. Drinnen wurde das Interesse an Oscar keinesfalls geringer, im Gegenteil. General de Jarjayes und Oscar wurden regelrecht umlagert. Eine füllige Dame mit zwei Pfauenfedern auf dem Kopf kam als erstes auf sie zugestürzt. „General de Jarjayes wie ich mich freue Euch zu sehen! Ist das Oscar in Eurer Begleitung?“ Bevor der General auch nur eine Antwort geben konnte kam eine zweite Dame hinzu. „Was für ein entzückender Knabe,“ rief sie. „General, wer ist dieser Junge?“ „Ja, weißt Ihr das denn nicht?“ fragte die andere. „Dies ist der Sohn General de Jarjayes, der in Wirklichkeit ein Mädchen sein soll.“ „Dann stimmt diese Geschichte also tatsächlich? Ist denn das die Möglichkeit?“ Sofort kamen eine dritte, eine vierte und eine fünfte Dame herangestürzt. Sie drängten Oscar von ihrem Vater ab und pressten sie gegen die Wand. Oscar fühlte das es ihr langsam aber sicher übel wurde. Die Damen waren aber in ihrem Element und dachten gar nicht daran von Oscar abzulassen. Das Kind des Generals, von dem niemand so genau wusste ob es denn nun eine Knabe oder ein Mädchen war, hatte schon seit dreizehn Jahren für Gesprächsstoff gesorgt. Endlich war es soweit das man dieses Wesen begutachten konnte! An diesem Tag war Oscar eindeutig die Attraktion in Versailles. Die Leute die gekommen waren um Oscar näher in Augenschein zu nehmen wurden immer mehr und mehr. „Seht dieses herrliche blonde Haar,“ rief jemand und begann an einer von Oscars Haarsträhnen zu ziehen, die unter ihrem Hut hervor sahen. „Dieses hübsche Gesichtchen,“ quietschte die füllige Dame mit den Pfauenfedern und kniff Oscar so fest in die Wange, dass diese am liebsten aufgeschrien hätte. „Ich muss hier weg,“ war Oscars einziger Gedanke. Schnell ließ sie sich an der Wand entlang hinunter rutschen bis sie auf dem Boden hockte. Dann ging sie auf alle Viere hinunter und krabbelte in so schnell wie möglich zwischen den Reifröcken der Damen hindurch. Diese stießen vor Überraschung ein paar spitze Schreie aus, doch bis sie sich überhaupt recht umgesehen hatten, war Oscar schon durch ihren Pulk aus Reifröcken hindurch, hatte sich wieder auf die Beine gestellt und lief in einem atemberaubenden Tempo, mit ihren hochhackigen Schuhen in der Hand, davon. Sie musste schleunigst aus dem Saal entkommen, bevor sie diese neugierigen Frauen wieder in Beschlag nahmen. Wenigstens war Versailles groß genug um ein sicheres Versteck zu finden. Oscars Lauf wurde gestoppt, als sie gegen jemanden prallte! „Oh Pardon,“ brachte Oscar außer Atem hervor. Als sie aufsah, blickte sie in ein Gesicht das ihr bekannt vorkam. Eine leichte Hakennase, Augen die eng beieinander standen... Oscar hatte dieses Gesicht einmal in ihrem Leben gesehen, im Dunkeln, im Schein einer Laterne. Trotzdem hatte sich dieses Gesicht für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt. Es war der Mann der mit ihrer Schwester den Mord an der zukünftigen Dauphine geplant hatte! Entsetzt starrte Oscar ihn an. „Wir haben es heute aber eilig;“ sagt der Mann und grinste unangenehm. „Verzeiht,“ brachte Oscar noch einmal heraus. Dann wankte sie mit weichen Knien und klopfendem Herzen weiter. Sie wollte nur noch weg von dieser Person. Erschöpft ließ sich Oscar in einem kleinen Nebenraum auf einen Diwan sinken. Es war alles noch schrecklicher als sie es sich vorgestellt hatte. Zum Glück würde ihr erster Ausflug nach Versailles auch ihr letzter sein. Nach ihrem geplanten Auftritt beim König würde man sie sicher nie wieder hierher einladen. „Verzeiht Monsineur, fühlt Ihr Euch nicht wohl?“ Als Oscar aufsah stand eine fremde Dame neben ihr. Noch nie hatte Oscar so eine schöne Frau gesehen. Ihr Haar war hellblond und ihre Gesichtszüge ebenmäßig geschnitten. „Sie ist die schönste Dame in ganz Versailles,“ ging es Oscar durch den Kopf. Oscar erhob sich rasch. „Vielen Dank Madame. Ich fühle mich schon wieder besser. Ich habe nur für einen Moment Erholung gesucht,“ antwortete Oscar. Sie betrachtete die fremde Frau. Wer sie wohl sein mochte? Diese zeigte ihr ein bezauberndes Lächeln. „Versailles kann mit unter sehr anstrengend sein. Aber es hat auch seine Vorzüge. Bestimmt werdet Ihr Euch daran gewöhnen und auch bald seinen Charme entdecken, sobald ihr öfters hier seid. Ihr seid noch so jung. Ich nehme an es ist Euer erster Besuch.“ „Ja, mein Vater hat mich heute das erste Mal mit hier her genommen,“ versicherte Oscar. Die strahlenden Augen der Dame hatten sie so in ihren Bann gezogen, dass Oscar ihren Blick nicht mehr von ihr abwenden konnte. „Dann werden wir uns sicher noch oft begegnen,“ meinte die Dame. „Entschuldigt mich bitte,“ und ging sie davon. Oscar sah ihr noch lange hinterher. Sie hatte solch eine Ausstrahlung, dass Oscar, sogar noch nachdem sie den kleinen Nebenraum verlassen hatte, ganz von ihrer Person gefesselt war. Als Oscar endlich wieder in den großen Saal trat kam ihr schon ihr Vater aufgeregt entgegen. „Oscar, da bist du endlich! Ich habe dich bereits gesucht. Unsere Audienz beim König beginnt gleich. Wir müssen uns beeilen.“ Schon hatte er Oscar am Arm gepackt und mitgezogen, so dass diese auf ihren hohen Absätzen kaum hinter her kam. Bevor sie noch recht durchatmen konnte waren sie schon durch mehrere Zimmer gestürmt und hatten vor einer bestimmten Türe halt gemacht. Der General nannte ihre Namen und Oscar hörte wie der Prozeptor mit dem Stab aufstieß und ihre Namen aufrief: „General Reynier de Jarjayes! Oscar Francoise de Jarjayes!“ Ohne Nachzudenken ging Oscar neben ihrem Vater her in den Audienzsaal. Sofort machte sie, so wie sie es gelernt hatte, eine tiefe Verbeugung und zog ihren Hut. Als sie hörte wie der König das Wort an sie richtete erhob sie sich. „Das ist also Lady Oscar von der wir schon so viel gehört haben. In der Tat, es ist verblüffend. Ihr seht tatsächlich aus wie ein Knabe.“ Oscar sah sich König Louis genau an. Sie musste zugeben das er wirklich majestätisch wirkte. Trotz seines vorgerückten Alters und der bereits ergrauten Haare wirkte er so wie man sich einen richtigen König vorstellte. Plötzlich zuckte Oscar zusammen. Die wunderschöne Dame, mit der sie zuvor in dem kleinen Nebenzimmer gesprochen hatte, stand ganz in der Nähe des Königs. „Bestimmt gehört sie zum Hochadel, vielleicht sogar zur königlichen Familie selbst,“ überlegte Oscar. „Ansonsten dürfte sie nie so nahe beim König stehen. Ich hätte sie viel ehrerbietiger behandeln müssen.“ Sie vergaß ganz das sie vom Hochadel und auch von der königlichen Familie gar nichts hielt. Aber Louis XV und die wunderschöne Dame faszinierten sie so sehr. „Aber verratet uns doch,“ fuhr der König weiter fort, „welches Geschlecht Ihr denn nun habt? Seid Ihr tatsächlich ein Jüngling, so wie aus Eurer Kleidung und Eurem Auftreten zu schließen ist oder verbirgt sich dahinter ein junges Mädchen, wie überall gemunkelt wird.“ „Die ersten zehn Jahre meines Lebens war ich der festen Überzeugung ein Junge zu sein,“ antwortete Oscar. „Doch dann habe ich eines Tages meine Nichte und meinen Neffen miteinander im Badezuber gesehen. Da Jocelyn und Jules unten herum unterschiedlich geschaffen waren, kam ich zu dem Entschluss ein Mädchen sein zu müssen.“ Der König zog eine Augenbraue hoch und die Höflinge sogen scharf die Luft an. So offenherzige Reden gehörten nun wirklich nicht an den Hof. Einen kurzen Moment kam der König ganz aus seinem Konzept. Doch schnell fand er seinen Faden wieder. „Euer Vater hat mir erzählt das er Euch in der Kriegskunst unterrichtet. Entspricht das der Wahrheit?“ „Oh ja Majestät,“ antwortete Oscar. „Wenn er nicht in Versailles oder gerade unterwegs ist dann jagt er mich und Andre mit dem Degen und der Pistole über den Hof.“ „Wer ist dieser Andre?“ fragte der König. „Unser Pferdebursche,“ antwortete Oscar möglichst arglos. „Er ist mein bester Freund.“ Empört begannen die Anwesenden miteinander zu tuscheln. „Einen Pferdeburschen zählt Ihr als Euren besten Freund?“ So etwas hatte der König noch nie von einem jungen Adligen gehört. „Aber sicher,“ antwortete Oscar. „Ich halte mich auch oft im Dienstbotentrakt unseres Hauses auf. Dort ist es sehr amüsant und man erzählt sich viel Scherzhaftes über Eure Majestät und auch andere Adlige.“ Die Empörung unter den Aristokraten wuchs immer mehr. Was war das nur für ein unverschämtes Balg das der General mit an den Hof gebracht hatte! „Hat Euer Vater den keinen adligen Spielkameraden in Eurem Alter für Euch finden können,“ fragte der König weiter. „Wir haben es mit Victore de Girondelle versucht,“ antwortete Oscar. „Ein wohlerzogener Knabe,“ meinte der König. „Es ging nicht lange gut mit uns,“ sagte Oscar. „Jedes mal wenn wir einander begegnet sind so haben wir uns geprügelt.“ „Geprügelt?“ „Jawohl Majestät, geprügelt. Bei unserem letzten Zusammentreffen bin ich in den Fluss gefallen und dabei beinahe ersoffen.“ „Was seid Ihr dabei beinahe?“ fragte der König befremdet. „Oh, Pardon! Ich wollte natürlich ertrunken sagen. Das Wort „ersoffen“ habe ich von unserem Kutscher Philippe gelernt. Ich vergaß ganz das man es bei Hofe nicht verwendet.“ General de Jarjayes wünschte sich das der Boden unter seinen Füßen aufgehen und ihn verschlingen möge. Wie konnte ihm Oscar nur so eine Schande antun? Krampfhaft überlegte er wie er das Gespräch in eine andere Richtung lenken konnte, doch solange der König ihn nicht ansprach, war es ihm auch nicht möglich sich einzumischen. Ihm blieb wohl oder übel nichts anderes übrig als dabei zu stehen und mitanhören zu müssen wie Oscar sämtliche Familiengeschichten zum Besten gab. „Wir sprachen aber gerade über Eure militärische Ausbildung.“ Der König hatte sich wieder einigermaßen gefasst. „Ihr erwähntet das Euer Vater Euch im Schießen und Fechten unterrichtet hat. Wie weit seid Ihr in diesen Disziplinen ausgebildet?“ „Hervorragend!“ antwortete Oscar. „Vater ist ein sehr guter Lehrmeister. Vergangene Woche schlug er mir sogar ein Duell vor.“ „Euer eigener Vater wollte sich mit Euch duellieren?“ der König verstand die Welt nicht mehr. Er hatte schon immer gehört das die Familie de Jarjayes etwas eigen sein sollte aber das was ihr jüngster Spross ihm nun alles erzählte übertraf seine Vorstellungen. „Ja, er forderte mich zu einem Duell heraus,“ bestätigte Oscar. Monsineur de Jarjayes schwitzte Blut und Wasser. Was war nur in ihn gefahren das er Oscar so einen Vorschlag machen konnte? Aber er hatte beim Besten Willen nicht gewusst wie er sie sonst nach Versailles hätte bekommen können. „Weshalb forderte er Euch zum Duell heraus,“ erkundigte sich der König. Dieser Sache musste er auf den Grund gehen. Wahrheitsgemäß antwortete ihm Oscar: „Weil ich mich weigerte nach Versailles zu gehen!“ „Ihr wolltet nicht zu Uns kommen? Weshalb denn nicht? Wisst Ihr nicht das es für einen jungen Adligen keine größere Ehre geben kann?“ „Gewiss Majestät, aber ich finde das es hier in Versailles nicht sonderlich unterhaltsam ist.“ Das war nun wirklich der Gipfel! Der gesamte Hof hielt die Luft an und wartete darauf das der König Oscar nun endlich hinaus werfen lassen würde. Doch dieser fragte seelenruhig weiter. „Was genau behagt Euch bei Uns nicht?“ „Die meisten Adligen hier reden nur Unsinn. Als ich hier her gekommen bin haben sie mich alle umringt und umschmeichelt, weil sie mich für etwas Besonderes halten. Genau das habe ich befürchtet. Wenn ich kein Mädchen in Knabenkleidern wäre , mein Vater nicht reich und kein angesehener General, dann hätte gewiss niemand mit mir sprechen wollen.“ Im Saal war es so still geworden, dass man eine Stecknadel fallen hören konnte. „Nun wird er mich auf der Stelle entfernen lassen und Versailles und die Offiziersakademie haben sich für alle Zeiten erledigt,“ dachte Oscar zufrieden. Zu ihrer eigenen Überraschung und der aller Anwesenden brach der König in schallendes Gelächter aus. Er ließ sich auf seinen hohen Stuhl fallen und lachte so das sein mächtiger Leib bebte. Es hätte nicht viel dazu gefehlt das er sich noch ganz unköniglich auf die Schenkel patschte. „General de Jarjayes, Euer Nachwuchs ist wirklich unbezahlbar! Ich habe mich seit langem nicht mehr so köstlich amüsiert. Sie ist so wunderbar ehrlich! Der ehrlichste Mensch dem ich je an diesem Hof begegnet bin. Ihr müsst Lady Oscar unbedingt sobald als möglich wieder mitbringen!“ Oscar glaubte nicht richtig gehört zu haben. Da war ihr schöner Plan sich daneben zu benehmen völlig falsch aufgegangen. Der König war begeistert von ihr. Das war doch nicht zu glauben! „Ihr seid zu freundlich Majestät,“ brachte der General nun endlich mühsam hervor. Er war während des Gesprächs zwischen Oscar und dem König tausend Tode gestorben. „Nur die Offiziersakademie ist etwas worüber ich mir noch den Kopf zerbrechen muss. Ich weiß nicht ob sie für Lady Oscar das Richtige ist.“ „Majestät ich bitte Euch,“ ließ sich da eine Frauenstimme vernehmen. Sie kam von der bezaubernden Dame direkt neben dem König. Erstaunt sah Oscar sie an. Was fiel ihr denn ein? Sie konnte es dich nicht einfach wagen den König so anzusprechen. Doch der König schien sich nicht das geringste daraus zu machen. „Bitte lasst sie doch auf die Offiziersakademie wenn sie das so gerne möchte,“ bat die Dame weiter. „Ich finde sie so bezaubernd und niemand der sie sieht wird darauf kommen, dass sich unter ihrer Kleidung ein junges Mädchen verbirgt. Wenn sie erst eine Uniform trägt wird die Täuschung noch echter sein. Ich selbst bin erst vor einer Stunde darauf hereingefallen und glaubte einen jungen Mann vor mir zu haben.“ Der König sah sich Oscar noch einmal genauer an. „Sicherlich habt Ihr da recht meine Liebe,“ meinte er an die Dame gewandt. In Oscar Kopf arbeitete es fieberhaft. Wer war diese Person? Sie benahm sich wie die Königin, die jedoch schon seit einiger Zeit verstorben war. „Ich fände es wundervoll wenn sie auch eines Tages zu unserem Schutz in der Leibgarde dienen würde. Sie hat mich mit Ihrer Ehrlichkeit und Ihrer natürlichen Anmut bezaubert. Sicher ist sie mindestens so tapfer wie jeder Mann, das spüre ich.“ „Nun denn, meine Teure. Wenn dies Euer Wunsch ist und ich Euch damit eine Freude bereiten kann dann soll es so sein. Oscar Francoise de Jarjayes, hiermit seid Ihr auf meinen Befehl für die Offiziersakademie zugelassen. Ich gratuliere Euch.“ „Ich danke Eurer Majestät,“ sagte Oscar. Sie fühlte sich wie wenn sie einen Schlag ins Genick bekommen hätte. Der König winkte ab und der General konnte sich zusammen mit Oscar rückwärts aus dem Audienzsaal entfernen. Ihr Vater hatte ohnehin sofort erraten das Oscar ihre Komödie nur aufzog um an der Offiziersakademie abgelehnt zu werden. Das ihr Plan nun zu seinen Gunsten ausgegangen war, machte seinen Triumph um so schöner. „Oscar, auch ich gratuliere dir! Du hast mich heute sehr stolz auf dich gemacht!“ sagte er. Um seine Mundwinkel zuckte ein hämisches Grinsen. Dann entdeckte er einen seiner engen Freunde und ließ Oscar stehen. Oscar fühlte sich so unglücklich wie schon lange nicht mehr. Hatte sich denn die ganze Welt gegen sie verschworen? Eine der Frauen, die sie vorher so in die Enge getrieben hatten, ging an ihr vorbei und gab ihr mit ihrem Fächer eine Klaps auf die Schulter. „Ihr könnt Euch glücklich schätzen. Ihr steht in der Gunst des Königs ganz weit oben. Und natürlich in der Gunst der Dubarry!“ Nun wurde Oscar einiges klar. Die schöne Dame war niemand geringeres als die Mätresse des Königs, die Gräfin Dubarry. Also stimmte es auch was alle erzählten. Madame Dubarry benahm sich wirklich wie die Königin! Dank ihres Charmes konnte man es ihr aber nicht übelnehmen und Oscar konnte den König nun auch verstehen, das er ihr so verfallen war und sie wie seine Königin in Versailles leben ließ. Man musste sie einfach von ihr hingerissen sein. „Guten Tag Oscar,“ hörte sie eine Stimme neben sich. Als sie sich umdrehte stand Veronique neben ihr. Oscar drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Alles redet schon darüber welchen Eindruck du beim König und meiner lieben Freundin Dubarry hinterlassen hast. Aber du selbst siehst überhaupt nicht glücklich aus.“ Oscar gab ihrer Schwester keine Antwort. Was sollte sie auch dazu sagen? „Du willst all das gar nicht?“ fragte Veronique. Oscar schüttelte den Kopf. Veronique hätte ihr am liebsten geholfen doch wusste sie, dass gegen den Wunsch ihres Vaters nicht ankam. „Ich soll dir von Maurice schöne Grüße ausrichten,“ sagte Oscar. „Er scheint sich bei uns recht wohl zu fühlen.“ „Danke Oscar. Ich bin froh darüber das er bei euch in guten Händen ist.“ Als Oscar mit ihrem Vater wieder Richtung Ausgang ging, wo ihre Kutsche auf sie warten sollte, traf sie erneut der Blick des Mannes, mit dem sich Veronique im Garten in der Normandie getroffen hatte. Dieses Mal verbeugte er sich leicht und grüßte ihren Vater. Dann sah er Oscar so durchdringend an, als wüsste er das sie seine Pläne kannte. Oscar wurde kalt. Erst als ihr Vater sagte: „Friert es dich sehr? Ein Lakai wird dir gleich deinen Mantel bringen,“ merkte sie das sie tatsächlich zitterte. Als sie in der Kutsche saßen war es draußen bereits dunkel geworden. Endlich waren sie alleine und Oscar traute sich nach dem Namen des für sie so unheimlichen Mannes zu fragen. „Vater, wer ist der Mann der Euch gegrüßt hat während wir hinausgegangen sind?“ „Du meinst den Herzog La Vauguyon? Er ist der Hauslehrer des Dauphins.“ Herzog La Vauguyon, der Hauslehrer des Dauphins! Mit ihm war doch vor kurzem erst etwas gewesen? Jetzt viel es Oscar wieder ein. Es war als Veronique bei ihnen gewesen war. Sie war mit Andre bei den Dienstboten in der Küche gesessen und Danielle, Veroniques Zofe, hatte einen Brief von ihr gebracht den Philippe an einen Herzog La Vauguyon überbringen sollte. Der Hauslehrer des Dauphins war es der die Dauphine umbringen lassen wollte. Er war der unheimliche Fremde aus dem Garten. Und wenn ihre Schwester ihm erst vor zwei Monaten geschrieben hatte, dann musste sie selbst höchstwahrscheinlich immer noch in das Mordkomplott verwickelt sein. Wie immer wenn sie daran dachte spürte sie wie einen Moment ihr Herz aussetzte. „Bist du müde?“ fragte sie der General. „Oder traurig?“ Oscar sah ihren Vater an. „Ich mache all das nicht um dich zu ärgern oder dir weh zu tun. Es ist nur zu deinem eigenen Besten. Du wirst auf der Offiziersakademie all das lernen was du brauchst um eine Truppe führen zu können. Wenn dann erst deine Karriere am laufen sein wird, wirst du mir dankbar sein.“ Oscar hielt es für zwecklos ihrem Vater zu erklären das sie gerade das nicht wollte und weshalb. Er würde es ohnehin nicht verstehen und dann würden sie wieder miteinander in Streit geraten. Der General begnügte sich damit das Oscar wohl nicht in Plauderlaune war. Ganz anders als während ihrer Audienz beim König. So verlief der Rest der Heimfahrt schweigend. Als Oscar endlich alleine in ihrem Zimmer war konnte sie der Wut, die sich schon den ganzen Tag in ihr angestaut hatte Luft machen. Als erstes riss sie sich den riesigen Federhut vom Kopf, warf ihn auf den Boden und versetzte ihm einen Tritt, das er quer durch das Zimmer und unter das Bett schlitterte. „Merde,“ fluchte Oscar. „Merde, Merde, Merde!“ Der ganze Tag war vollkommen anders abgelaufen wie sie es sich ausgedacht hatte. Anstatt entsetzt über sie zu sein, war der König nun so von ihr angetan das er sie unbedingt an der Offiziersakademie und später als Leibgardist an seinem Hof sehen wollte! Es war einfach nicht auzuhalten! Oscar schleuderte die albernen, hochhackigen Schuhe von ihren Füßen, so das diese nacheinander an die Wand knallten. Dann warf sie sich aufs Bett und trommelte mit den Fäusten in ihre Kissen. „Merde, Merde, Merde!“ Andre war sich erkundigen gekommen wie Oscars Audienz verlaufen war. Da sie alle gewusst hatten das Oscar heimlich etwas plante, war er nun neugierig. Das Oscar noch böse auf ihn sein konnte, weil er über ihre elegante Kleidung gelacht hatte, dachte er gar nicht mehr. Oscar antwortete auf sein Anklopfen, da sie dachte es wären ihr Vater oder ihre Mutter, die sich über das Gepolter in ihrem Zimmer beschweren wollten. Als die Tür aufging und Andre ins Zimmer kam sah sie sofort rot. Wäre ihr Ausflug zu ihren Gunsten ausgegangen, hätte sie ihm das Auslachen längst verziehen, doch nach ihrer Niederlage schwappte ihre Wut erst recht in ihr hoch. „Was willst du denn hier?“ schrie sie. „Ich wollte mich erkundigen wie deine Audienz beim König war.“ „Das kann dir egal sein! Du hast ohnehin nichts besseres zu tun als über andere Leute zu lachen.“ Ein Kopfkissen sauste Andre an den Kopf. Andre zog es vor Oscar alleine zu lassen. Vielleicht wäre sie morgen genießbarer. Ansonsten würde sie ihn wieder mit dem Degen herausfordern um sich abzureagieren. Andre seufze. So sehr er seine beste Freundin auch mochte, manchmal war sie sehr anstrengend. Oscar sollte sich wirklich so schnell nicht abregen. Als alle das in die Kissen trommeln nichts nützte, sprang sie vom Bett, schlüpfte in ihre Stiefel, griff ihren Degen, der in der Ecke stand und rannte mit ihm die Treppe hinunter. Die Haustüre war noch nicht abgeschlossen worden. Oscar lief in den Garten hinaus und begann mit einem unsichtbaren Gegner zu fechten. Wild schlug sie um sich in die Luft. Sie kämpfte und kämpfte bis zur Erschöpfung. Als sie nicht mehr konnte ließ sie sich mit dem Rücken gegen einen Baum zu Boden gleiten. Allmählich bekam sie wieder Luft. Sie glühte trotz der Kälte. Als sie wieder einigermaßen zu Atem gekommen war, konnte sie auch endlich klar denken. Ihr war durchaus bewusst das sie ihr Schicksal so hinnehmen musste, wie ihr Vater es für sie geplant hatte. Nun gab es endgültig keinen Ausweg mehr. „Dann soll es eben so sein,“ sagte Oscar zu sich selbst. Entschlossen bis sie die Zähne zusammen und machte sich auf den Weg zurück ins Haus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)