Zwischen den Zeilen von "Die Rosen von Versailles" von Engelchen ================================================================================ Kapitel 1: Unbeschwerte Kindheit -------------------------------- Mehr als acht Jahre waren seit Oscars Geburt vergangen. Es war ein warmer, sonniger Tag im Mai und die Familie de Jarjayes hielt sich im großen Park ihres Palais auf. Madame de Jarjayes saß mit ihrer vierzehnjährigen Tochter Catherine auf der Terrasse und stickte. Das Haus warf genügend Schatten um die Damen vor den Sonnenstrahlen zu schützen. Catherine lebte als einzige ihrer Töchter, Oscar nicht mit gezählt, im elterlichen Haus. Veronique war mit dem Comte de Fortune verheiratet worden, dem Erben einer alten Adelsfamilie, die Zutritt nach Versailles hatte. Dort zählte sie zu den engsten Freundinnen der Madame Dubarry, der Mätresse Ludwigs des fünfzehnten. Marguerite war die Gemahlin eines sehr reichen Kaufmannes in Paris geworden. Maxime Leclerc war von bürgerlicher Herkunft und wollte durch die Heirat mit Marguerite die Verbindung mit einer Adelsfamilie eingehen. Sein Vermögen hatte er durch den Handel mit Weinen und einer großen Portion Glück gemacht. So war es ihm auch möglich gewesen einen Adelstitel zu kaufen und sich fortan Graf de la Tour nennen zu dürfen. Für Marguerites Hand hatte er großzügig gezahlt. Unter anderem erhielt die Familie de Jarjayes von ihm ein Anwesen in der Normandie. Marie- Anne war drei Jahre nach Oscars Geburt an Typhus gestorben und ruhte nun in der Familiengruft der Jarjayes. Juliette war auf ihren eigenen Wunsch nicht verheiratet worden, sondern hatte darum gebeten als Novizin in ein Franziskanerinnenkloster eintreten zu dürfen. Da Juliette immer schon ihren eigenen Kopf gehabt hatte und man ihr nur etwas aufzwingen konnte, wenn man dafür eine kleine Familientragödie in Kauf nahm und es keine Rolle spielte ob ihre Mitgift nun in die Kasse eines Ehemannes oder eines Klosters floss, gab Rainier de Jarjayes seiner Tochter letzten Endes nach. Emilie de Jarjayes hatte ihre Tochter beim ihrem letzten Besuch äußerst zufrieden vorgefunden und hoffte das sie mit ihrer Entscheidung glücklich werden würde. Weiter vom Haus entfernt erhielt Oscar von ihrem Vater ihre Lektion im Schießen. Von klein an waren ihr Knabenkleider angezogen worden und sie selbst war der festen Überzeugung ein Junge zu sein. Schließlich wurde sie nicht nur anders gekleidet wie ihre Schwestern, sie musste auch nie langweilige Stick- und Näharbeiten erledigen und beim Tanzunterricht erhielt sie auch stets den männlichen Part. Wenn Besuch kam dann stellte der General sie jedes Mal als „meinen Sohn Oscar“ vor und wenn Damen mit zu den Besuchern gehörten dann seufzten sie jedes Mal entzückt: „Was für ein bildhübscher, kleiner Junge.“ Mit den rosigen Wangen, dem feinen Gesicht, den großen blauen Augen, dem hellblonden lockigen Haaren und den zarten Gliedern traf diese Bemerkung auf Oscar durchaus zu. Natürlich wussten die Besucher das es sich bei Oscar um keinen kleinen Jungen sondern um ein kleines Mädchen handelte. Aber da General de Jarjayes darauf bestand und es sich niemand mit ihm verscherzen wollte, war ein jeder dazu übergegangen Oscar als Jungen zu bezeichnen. Einzig das Kindermädchen Sophie nannte Oscar, allerdings nur wenn der General nicht in der Nähe war, Mademoiselle Oscar. Da Sophie jedoch einige Schrullen hatte nahm Oscar dies nicht weiter ernst. Vermutlich hatte sie mit ihren Schwestern so viele Mademoiselles um sich, das sie an einen einzigen Monsieur ganz einfach nicht dachte. Oscar stand mit einer Pistole in den kleinen Händen vor einer Zielscheibe und sollte versuchen genau den schwarzen Kreis in der Mitte zu treffen. Rainier lud immer wieder nach doch verfehlte Oscar den Kreis jedes Mal um eine Handbreit. „Du musst dich mehr konzentrieren mein Kind. Einen Gegner räumst du nur aus dem Weg in dem du genau sein Herz oder seinen Kopf triffst. Wir gönnen uns erst eine Pause wenn du wenigstens einmal getroffen hast.“ Oscar seufzte tief. Ihr Vater war ein strenger Übungsmeister. Doch schließlich hatte er recht. Wenn sie eines Tages Befehlshaber über eine ganze Truppe werden sollte, musste sie auch hervorragend schießen können. Und Oscar wollte Befehlshaber werden, ein großer Soldat so wie ihr Vater. Noch einmal gab Rainier seiner Tochter die geladene Pistole in die Hand. Schuss- und wieder daneben. „Ich muss es schaffen. Ich muss meinen Vater zufrieden stellen,“ dachte sich Oscar. Sie nahm all ihre Konzentration zusammen, fixierte nur den kleinen, schwarzen Kreis, schoss - und traf. „Na siehst du, Oscar. Wenn du so weiter machst wirst du noch der beste Schütze im Land. Aber um das zu Erreichen müssen immer weiter und weiter trainieren..“ Stolz legte er Oscar die Hand auf die Schulter. „Nun haben wir uns aber eine Pause verdient. Bestimmt hat Sophie schon die Limonade für uns bereit gestellt.“ Gemeinsam gingen sie auf die Terrasse und setzten sich zu Madame de Jarjayes und Catherine. Oscars Wangen waren gerötet und sie schwitzte. Oft beneidete Catherine ihre jüngere Schwester. Oscar durfte stets in bequemen Knabenkleidern herum toben. Sie selbst hatte schon früh ein enges Korsett und umständliche Reifröcke bekommen und brachte die Hälfte ihres Lebens, wie es ihr manchmal erschien, über ihrem Stickrahmen zu. Anderseits bekam sie mit wie streng der General zu Oscar war, besonders bei ihren endlosen militärischen Lektionen, die Oscar seit ihrem vierten Lebensjahr erhielt. Sofort brachte Sophie für ihren Liebling ein großes Glas Limonade das Oscar sofort gierig herunterstürzte. Da Oscar die Jüngste der Geschwister war, verströmte Sophie ihre ganze Zärtlichkeit auf sie. Den Erwachsenen war jedoch nicht entgangen das dem alten Kindermädchen Tränen in den Augen standen, die sie verstohlen weg zu wischen versuchte. „Sophie, weshalb bist du so traurig? Ist etwas geschehen,“ frage Emilie de Jarjayes. Sophie war mehr ein Familienmitglied als eine Bedienstete, und so nahm auch jeder Anteil daran wenn es ihr schlecht ging. „Ach Madame, es ist einfach schrecklich. Ich habe einen Brief erhalten. Meine Tochter in Prest ist letzte Woche verstorben. Meine Julie, es ging ihr schon lange Zeit nicht gut.“ Ihren Tränen nun freien Lauf lassend ließ sich Sophie unaufgefordert auf einen der Stühle fallen, was sie sonst niemals tun würde. Niemand hatte daran gedacht das Sophie auch eine eigene Familie hatte. Sie hatte mit sechzehn geheiratet und ihre Tochter geboren. Kurz danach wurde sie Witwe. Um zu leben zu können und ihr Kind aufzuziehen hatte sie sich als Dienstmädchen in verschiedenen Familien durchgeschlagen, bis sie der Familie de Jarjayes als Kindermädchen empfohlen wurde, da sie die Töchter einer befreundeten Familie bis zu deren Hochzeit liebevoll großgezogen hatte. Ihrer Tochter Julie war das gleiche Schicksal widerfahren wie ihrer Mutter. Sie heiratete einen angesehenen Zimmermann, der kurz nach der Geburt des gemeinsamen Kindes starb. „Liebe Sophie, das tut mir so leid. Ich weiß nur zu gut was in einer Mutter vor geht wenn sie ein Kind verliert,“ sagte Emilie und bei dem Gedanken an Marie- Anne schossen auch ihr Tränen in die Augen. Schnell hatte sich Sophie wieder gefasst. „Nun Madame, Julie hatte schlimme Schmerzen. Ich bin froh das sie nun erlöst ist, auch wenn sie in so jungen Jahren von uns gegangen ist. Aber mein kleiner Enkelsohn, mein kleiner Andre ist nun Mutterseelen allein auf der Welt. Er ist doch erst neun Jahre alt. Julies Nachbarn haben sich seiner angenommen aber sie haben selbst so viele Kinder und kein Geld und wenn ich ihn nicht zu mir nehme muss er in ein Waisenhaus. Das kann ich doch nicht zulassen!“ „Aber nein Sophie,“ rief Catherine spontan. „Bring dein Enkelkind nur zu uns. Palais de Jarjayes ist so groß das wir genug Platz für ihn haben. Nicht wahr Papa?“ Bittend sah sie ihren Vater an. Egal wie hart er sich nach außen gab, bei den Bitten von Catherine war Rainier immer schwach geworden. Als seine jüngste Tochter war sie sein erklärter Liebling. Ohnehin hätte er den verwaisten Enkel der treuen Sophie niemals abgewiesen. „ Ich sorge dafür das er hier her gebracht wird. Wir brauchen noch einen Burschen der im Stall zur Hand geht.“ „Wie freundlich! Monsieur, vielen Dank!“ Schon wieder hatte Sophie Tränen in den Augen. „Außerdem braucht Oscar beim Fechten einen Übungspartner in ihrem Alter. Sagtest du nicht das er neun Jahre ist?“ „Ja Monsieur, Andre zählt neun Jahre. Gewiss wird er das Fechten erlernen um mit Oscar üben zu können und auch alle Arbeiten erledigen für die er gebraucht wird. Wir sind eine fleißige Familie.“ „Das wissen wir nur zu gut,“ entgegnete Mandame de Jarjayes. „Und nun bleib noch ein wenig bei uns sitzen und beruhige dich.“ Monsieur de Jarjayes betrachtete Oscar, die sich inzwischen erholt zu haben schien. „Bestimmt freust du dich darauf einen Übungspartner und Spielkameraden zu haben. Die meisten anderen Jungen in deinem Alter wohnen recht weit weg von uns und mit dem Sohn von Graf de Girodelle kommst du nicht aus.“ Oscar überlegte: „Ja, es wird gut sein wenn noch ein anderer Junge hier ist. Hauptsache es ist nicht Girodelle. Ihn kann ich einfach nicht leiden.“ Oscar und Victore de Girondelle waren im gleichen Alter und ihre Väter auch der Taufpate für den jeweils anderen. Da beiden eine militärische Laufbahn für ihre Sprösslinge vorschwebte, hatten sie beschlossen, dass Oscar und Victore miteinander trainieren sollten. Natürlich war ihre Hoffnung auch das sich die Kinder anfreunden und Kameraden werden würden, so wie ihre beiden Väter. Dieses Vorhaben ging jedoch nicht lange gut. Oscar war mit ihrem Vater zu einem gemeinsamen Zusammentreffen auf das Gut des Grafen de Girondelle geritten. Die Männer hatten sich auf ein Gläschen Wein zurückgezogen und ihre Kinder miteinander alleine gelassen. Verachtungsvoll hatte der kleine Girondelle Oscar gemustert, mit der er in den Garten geschickt worden war. Sein Vater hatte ihm erzählt das Oscar in Wirklichkeit ein Mädchen war aber bereits so gut schießen, fechten und reiten konnte wie kein anderes Kind in ihrem Alter. Victore tat sich gerade mit diesen Dingen besonders schwer. Pferde hatten ihm schon immer einen Schauder über den Rücken gejagt, denn ihre Größe wirkte auf ihn Respekteinflößend. Das erste Mal, als man ihn auf ein Pferd gesetzt hatte, endete damit das er, wegen der Höhe in der er sich auf einmal befand, so furchtbar brüllte, das das Tier beinahe durchgegangen wäre. Auch für Übungen mit der Pistole und dem Degen konnte ihn sein Vater nicht gewinnen. Nur widerwillig ließ er die Übungsstunden über sich ergehen. Viel lieber las er und lernte Sprachen. Mit fünf konnte er bereits fließend lesen. Mit seinen acht Jahren sprach er neben seiner Muttersprache Spanisch und Deutsch und der Verwalter der Familie de Girondelle ließ ihn heimlich einen Teil der Abrechnungen führen, da er bereits schneller und besser rechnen konnte als er selbst. Doch sein Vater schien die außergewöhnlichen Begabungen seines Sohnes kaum zu bemerken. Er hatte es sich eben in den Kopf gesetzt einen guten Soldaten aus ihm zu machen. Um ihn anzutreiben hatte er ihm stets von dem wunderbaren Oscar vorgeschwärmt, der obwohl er ein kleines Mädchen war, kämpfen konnte wie ein Mann. Das war alles natürlich weit hergeholt doch Girondelle meinte damit den Ehrgeiz seines Sohnes zu wecken. Erreicht hatte er lediglich damit das Victore gegen Oscar unbekannter Weise einen tiefen Groll hegte. Als nun dieses Wunderkind mit den großen blauen Augen und den hellblonden Haaren vor ihm stand hätte er ihm am liebsten den Hals umgedreht. Von oben bis unten betrachtete er Oscar. „Warum siehst du mich den so an?“ fragte Oscar. „Mein Vater hat gesagt das du ein Mädchen bist das nur so tut als sei es ein Junge.“ Natürlich war Victore streng untersagt worden Oscar auf ihr Geschlecht anzusprechen. Graf Girondelle wusste das General de Jarjayes strikt darauf bestand das Oscar von allen wie ein Knabe behandelt wurde. Oscar brauste wütend auf. „Das ist gar nicht wahr! Ich bin kein Mädchen, sondern in richtiger Junge. Das hast du erfunden.“ Völlig absurd erschien ihr was der junge Girondelle gerade zu ihr gesagt hatte. Für Oscar stand fest das er sie nicht mochte und nur ärgern wollte. Victores Blick fiel auf die beiden Degen die noch von seiner letzten Übungsstunde auf der Parkbank lagen. „Wenn du wirklich ein Junge bist dann kämpfe doch gegen mich. Alle erzählen das du im Fechten so gut bist. Zeig mir doch was du kannst.“ In seinem angestauten Groll gegen Oscar, von der sein Vater ihm ständig vorschwärmte, hatte Victore sogar vergessen das er eine Abneigung gegen das Fechten hegte. Das ließ sich Oscar nicht zweimal sagen. Sofort hatte sie einen Degen in der Hand und begab sich in ihre Ausgangsposition. Victore, der sich eigentlich gar nicht hatte schlagen wollen, blieb nun gar nichts anderes übrig als mitzumachen. Keinen Augenblick später waren die beiden schon im schönsten Gerangel miteinander. Kreuz und Quer jagten sie sich mit ihren Degen über die Wiese. Ihre beiden Väter, die das Klirren der Degen gehört hatten gingen ans Fenster und sahen hinunter. „Wie gut sie sich amüsieren ,“ rief Graf de Girondelle erfreut. „Ich bin froh das Victore nun endlich einen Kameraden hat, der ihn ein bisschen antreibt.“ Zufrieden widmeten sich die beiden Männer wieder ihrem Gläschen Wein. Draußen zeigte sich inzwischen das Victore Oscar eindeutig unterlag. Oscar hatte ihm bereits eine Schramme im Gesicht verpasst und seinen Ärmel aufgerissen. Das tägliche, stundenlange Üben mit ihrem Vater machte sich nun bezahlt. Nach wenigen Minuten hatte sie Victore entwaffnet und dessen Degen steckte nun in der Erde. „Wer von uns beiden ist nun das Mädchen?“ fragte Oscar und blickte Victore in die Augen. „Ich kann dich nicht leiden,“ schrie er wütend und hilflos und rannte so schnell er konnte davon. Oscar blieb alleine im Garten zurück und wartete geduldig auf ihren Vater. Schließlich rief sie ein Dienstbote herein, da sich dieser nun endlich auf den Heimweg machen wollte. „Wo hast du Victore gelassen?“ fragte General de Jarjayes. „Er ist davon gerannt,“ antwortete Oscar wahrheitsgemäß. Graf de Girondelle und Oscars Vater errieten sofort das etwas zwischen den beiden Kindern vorgefallen sein musste und fragten nicht weiter nach. Stumm ritt Oscar neben ihrem Vater nach hause. Als sie von weitem den Turm von Palais de Jarjayes sahen sagte Oscar: „ Victore Girodelle hat gesagt das ich ein Mädchen bin. Das hat mich wütend gemacht. Deswegen habe ich gegen ihn gekämpft.“ Der General antwortete: „Dann hast du das Richtige getan Oscar. Du bist schließlich ein Junge und brauchst dir so etwas nicht gefallen zu lassen.“ „Vater, ich denke nicht das Victore mein Spielkamerad werden kann.“ „Nein, ich denke auch das du besser einen Bogen um ihn herum machst,“ pflichtete ihr de Jarjayes überzeugt bei. „Wir werden sicher bald einen anderen Spielkameraden und Übungspartner für dich finden.“ An dieses Ereignis dachte Rainier nun zurück. Seitdem hatte Oscar nur wenig Kontakt zu anderen Kindern gehabt. Die Gefahr war einfach zu groß, dass noch einmal jemand Oscar darauf ansprach das sie ein Mädchen war. Sie sollte so lange als möglich der Überzeugung bleiben ein Knabe zu sein. Um so perfekter würde sie später, als Soldat des Königs, ihre Rolle spielen können. Dennoch war es wichtig für sie auch ein gleichaltriges Kind um sich zu haben. Der kleine Waisenbengel von Sophie kam da gerade wie gerufen. Selbstverständlich musste er Sophie zu vor eintrichtern das er keinesfalls etwas von Oscars wahrem Geschlecht wissen durfte. Aber darum würde er sich schon kümmern. Auch Oscar schien die Aussicht auf einen Spielkameraden zu gefallen. „Sophie, schreibe deinem Enkel Andre das ich mich auf ihn freue,“ sagte sie zu ihrem Kindermädchen und sah es dabei aufrichtig an. „Wie lieb von euch Monsieur Oscar. Das werde ich sicher tun.“ Schon fühlte sich Sophie etwas besser. Im Schloss Schönbrunn in Österreich war auch die kleine Erzherzogin Maria Antonia zu einem Mädchen von acht Jahren herangewachsen. Maria Antonia bekam ihre Eltern, den Kaiser und die Kaiserin, oft tagelang nicht zu Gesicht. Es war keineswegs so das die Kaiserin Maria Theresia für ihre Kinder keine Liebe empfand. Doch nahmen ihre Regierungsgeschäfte, die sie mit voller Leidenschaft ausführte,zu sehr in Anspruch um ihrer Familie mehr Zeit widmen zu können. Für die Kaiserin waren Kinder in erster Linie dazu da um in andere Fürstenhöfe ein zu heiraten, damit neue Bündnisse zum Wohle Österreichs geknüpft werden konnten. Ihre vier Jüngsten, mit dazu gehörte Maria Antonia, waren somit noch nicht von Interesse, da eine Verheiratung aufgrund ihres Alters noch nicht in Frage kam. Maria Antonias beste Freundin war ihre drei Jahre ältere Schwester Maria Karolina und zusammen mit ihr und ihren beiden Brüdern, dem neun Jahre alten Ferdinand und dem siebenjährigen Maximilian, wuchs sie unter der Obhut ihrer Erzieherin Gräfin Brandeis unbeschwert auf. Sechs der älteren Geschwister waren früh verstorben, die älteren Schwestern waren bereits verheiratet worden und die älteren Brüder wurden früh zu Staatsgeschäften herangezogen. Regelmäßig musste Gräfin Brandeis einen Brief an die Kaiserin schreiben um über die Fortschritte und das Betragen der Erzherzöge und Erzherzoginnen zu berichten. Gemeinsam erhielten Maria Karolina, Maria Antonia, Ferdinand und Maximilian Unterricht von verschiedenen Hauslehrern. Nach der Mittagspause sollte nun wieder der Unterricht beginnen, doch als der Hauslehrer an der Seite von Gräfin Brandeis das Studierzimmer betrat, fanden sie es leer vor. „Na so etwas! Die Kinder haben schon wieder die Zeit vergessen! Entschuldigen sie vielmals. Ich werde sie suchen gehen.“ Schnaubend lief die Gräfin hinaus in den Park. Von wegen vergessen! Maria Karolina und Ferdinand konnten hervorragend die Uhr lesen und hätten ihre jüngeren Geschwister daran erinnern können. Das schöne Wetter war so verlockend gewesen, dass sie deswegen schon wieder dem Unterricht absichtlich fern blieben. Erst gestern hatte sie alle vier aus dem Springbrunnen im Hof fischen müssen und da die Kinder völlig durchnässt waren, konnte der Unterricht erst eine ganze Stunde später beginnen. Was sie wohl dieses Mal ausgeheckt hatten? Suchend sah sich Gräfin Brandeis um. Da blieb ihr Blick an einem der Bäume hängen und ihr gefror das Blut in den Adern. Maximilian hatte sich mit dem Kopf nach unten an einen der Äste gehängt, so wie die Affen im Tierpark, und baumelte drei Meter über dem Boden. Auf dem selben Ast saßen Maria Antonia und Maria Karolina rittlings wie ein Junge mit nach oben geschobenen Kleidern, so das ihre bestrumpften Beine zu sehen waren. Im allerhöchsten Wipfel aber stand Ferdinand und brüllte: „Ahoi! Land in Sicht!“ und als er die Gräfin herbeieilen sah „Kehren wir um! An Land gibt es Kannibalen!“ „Was sind Kannibalen?“ fragte Maximilian. „Ein Kannibale ist ein Menschenfresser,“ erklärte Maria Karolina. „Ich glaube Gräfin Brandeis wird gleich zu einem werden. Seht doch wie sie die Zähne fletscht.“ In der Tat war die Gräfin wütend wie schon lange nicht mehr auf ihre Zöglinge. Sie sah sie schon alle der Reihe nach vom Baum stürzen und sich selbst geköpft. „Wie könnt Ihr nur! Ist das ein Benehmen für junge Erzherzöge und Erzherzoginnen? Kommt sofort herunter. Wie seid Ihr überhaupt dort hinauf gekommen?“ Maria Antonia deutete auf die Leiter, die von den Gärtnern vergessen worden war. Doch Gräfin Brandeis schimpfte weiter: „Ihr begebt Euch sofort alle ins Studierzimmer! Es geht einfach nicht mehr an das der Unterricht jeden Tag verschoben werden muss.“ Wütend rauschte sie davon. So gerne sie ihre Schützlinge auch hatte war ihr Benehmen doch oft unmöglich. Am liebsten würde sie diesen Vorfall in ihrem Bericht der Kaiserin melden aber das würde auch ein schlechtes Licht auf sie selbst werfen und Maria Theresia würde denken sie wäre inkompetent und nicht in der Lage die Kinder zu erziehen. So erfuhr die Kaiserin meist von solchen Dummheiten der Kinder nichts. Endlich kamen sie alle ins Studierzimmer, nahmen ihre Plätze ein und der Unterricht konnte beginnen. Die vier waren sehr ruhig und aufmerksam dabei, doch Gräfin Brandeis entging das Grinsen nicht, das gelegentlich um Ferdinands Mundwinkel zuckte. Nach der ersten Stunde wurde eine kurze Pause gemacht und Ferdinand ging nach draußen, vermutlich um sich zu erleichtern. Als er zurück kam trug er ein Teetablett und sagte zu der Gräfin Brandeis: „Gräfin, draußen stand bereits das Tablett mit dem Tee. Ich habe auch schon eingeschenkt.“ „Ah, habt vielen Dank Erzherzog Ferdinand,“ sagt die Gräfin überrascht .Da der Hauslehrer Herr Doktor Klemmeyer während dem Unterrichten stets über einen trockenen Hals klagte, wurde ihm zur Pause immer Tee gebracht, der von den Dienstmädchen, um nicht zu stören, im Vorzimmer abgestellt wurde. Meistens holte Gräfin Brandeis den Tee herein um Herr Doktor Klemmeyer einzuschenken, doch heute hatte sich Ferdinand ungewöhnlich hilfsbereit gezeigt. Als der Unterricht wieder aufgenommen wurde und Herr Doktor Klemmeyer seine Tasse an den Mund setzte wisperte Ferdinand seiner Schwester Maria Antonia zu: „Pssst, Tonerl! Pass auf was gleich geschieht.“ Maria Antonia sah auf und fing im selben Moment wie ihre Geschwister prustend zu lachen an. Die Lippen und der Bart des Hauslehrers waren plötzlich blau- schwarz verfärbt. Auch Gräfin Brandeis sah auf. „Herr Doktor Klemmeyer! Wie sehen sie denn aus?“ „Pardon Gräfin, ich verstehe nicht?“ Verdutzt sah der Hauslehrer die Gräfin und die lachenden Kinder an. „Sie sind ja blau,“ quietschte Maximilian. Schnell ging Doktor Klemmeyer an einen Spiegel und seine Befürchtung bestätigte sich. Ferdinand hatte ihm Tinte in den Tee geschüttet. Seufzend ging er sich waschen. Diesem Ferdinand fiel auch jeden Tag eine neue Dummheit ein. Im Studierzimmer wollte Gräfin Brandeis bereits zu schimpfen anfangen doch Maria Antonia stand auf und umarmte sie. „Liebe Gräfin, bitte nicht schimpfen. Ferdinand hat es nicht so gemeint und Tinte lässt sich doch leicht wieder abwaschen. Es war doch so lustig und Herr Doktor Klemmeyer wird sicher auch nicht wütend sein. Nicht wahr Herr Doktor?“ Maria Antonia blickte ihre beiden Erzieher bittend an. Niemand konnte diesem Blick in den unschuldigen Augen stand halten und Gräfin Brandeis spürte wie sie, wie schon so oft, wenn Maria Antonia sie um etwas bat, butterweich wurde. Nach dem Unterricht sagt aber Doktor Klemmeyer zu ihr: „Gräfin, ich muss darauf bestehen das Ihr diesen Vorfall der Kaiserin meldet. Unter diesen Umständen kann einfach nicht gearbeitet werden. Wir hinken mit dem Stoff schon seit Wochen hinterher.“ „Oh nein, das werde ich nicht,“ sagte die Gräfin. „Das Betragen der Kinder wird auf uns beide und die anderen Lehrer zurückfallen. Es wird heißen wir wären nicht in der Lage sie zu unterrichten und zu erziehen. Man wird uns entlassen und Leute einstellen die man als fähiger betrachtet. Wenn kümmert es schon was diese Kinder lernen? Ferdinand und Maximilian werden niemals regieren. Das Amt des Kaisers geht an ihren älteren Bruder Josef und wenn dieser sterben sollte an Leopold. Maria Antonia und Maria Karolina werden mit irgend einem unbedeutendem König verheiratet werden, vermutlich mit jemandem der eines der kleinen, deutschen Fürstentümer regiert. Sie werden alle vier ihr Leben damit verbringen sich würdevoll zu langweilen. Also weshalb sollen wir uns selbst solchen Ärger bereiten und es uns mit der Kaiserin verscherzen? Ich bin dafür wir arbeiten weiter wie bisher.“ Herr Doktor Klemmeyer konnte nicht anders als Gräfin Brandeis recht zu geben und verabschiedete sich. So blieb es weiterhin in der Kinderstube herrlich unbeschwert. Kapitel 2: Neue Freunde, alte Feinde und Ehrenworte --------------------------------------------------- Vor dem Palas de Jarjayes kam ein kleiner, verängstigt drein schauender Junge, mit dunkelbraunen Augen und ebensolchen Haaren an. Es war Andre, der Enkel von Sophie. Andre war, nachdem er die ersten zwei Wochen nach dem Tod seiner Mutter bei den Nachbarn gelebt hatte, von Laurent, dem Leibdiener General de Jarjayes, dort abgeholt worden. Die Familie Lefort, die ihm Kost und Logis gegeben hatte, erhielt eine großzügige Entschädigung, die ihnen Laurent aushändigte. Monsieur und Madame Lefort waren nicht unfreundlich zu ihm gewesen, dennoch wusste Andre das sie froh waren einen zusätzlichen Esser los zu sein. Sie hatten zehn eigene Kinder und Mittags gab es nur eine dünne Gemüsebrühe und am Abend eine trockene Scheibe Brot. In der Kutsche blinzelte ihm der Diener, der ihm gegenüber saß, zu. „Weißt du wohin ich dich bringe Andre?“ „Ja,“ antwortete ihm Andre. „Madame Lefort hat gesagt das ich dorthin komme wo meine Großmutter als Kindermädchen arbeitet.“ Der Diener nickte. „Du hast ungeheures Glück mein Junge. Du wirst der Spielkamerad von Oscar werden, dem jüngsten Kind des Generals de Jarjayes. Es gibt in seinem Haus für jeden genug zu essen und du wirst sicher sehr gut behandelt werden. Etwas besseres hätte dir gar nicht passieren können.“ Als er Andres traurige Augen sah fiel ihm wieder ein das der Junge vor kurzem erst seine Mutter verloren hatte. „Nun ja, nachdem du ja nun keine Familie mehr hast meine ich.“ Andre sah ihn nur weiter unglücklich an und so verlief die Reise schweigend. An einem Gasthaus wurde Rast gemacht und gemeinsam mit dem Kutscher zu Mittag gegessen. Andre stocherte lustlos in seinem Teller herum. Neben seinem Kummer setzte nun auch die Aufregung ein. Wie es wohl in dem fremden Haus sein mochte? Alles war unbekannt für ihn. Selbst seine Großmutter war ihm eine Fremde. Sie hatte ihn und seine Mutter nur ein einziges Mal besucht und da er erst vier Jahre alt gewesen war, hatte er an sie keine Erinnerung mehr. Hoffentlich war sie kein gemeiner Drachen, so wie die Großmutter eines seiner Freunde, die den ganzen Tag in ihrem Lehnstuhl saß und und jeden ankeifte, der nur in ihre Nähe kam. Philippe, dem Kutscher tat der blasse, kleine Waisenjunge ebenso leid wie General de Jarjayes Leibdiener. Krampfhaft überlegte er wie er das Kind am besten aufheitern konnte. Vielleicht würde ihm eine lustige Begebenheit ein Lächeln entlocken. Ob es in der Familie de Jarjayes unbedingt lustig war mochte dahin gestellt bleiben. In den Augen von Philippe waren sie alle zumindest etwas sonderbar. Vor allem der General hatte seine Eigenheiten. Allein schon die Sache mit seinem jüngsten Sprössling, dem kleinen „Es“ wie es das Personal untereinander nannte. Der General machte jedem weiß Oscar wäre ein Knabe, dabei wusste jedermann, außer Oscar selbst, dass Madame de Jarjayes, am ersten Weihnachtstag vor acht Jahren, zum sechsten Mal mit einer Tochter niedergekommen war. Aufmunternd sah Philippe Andre an. „Die Familie bei der du nun leben wirst hat es in sich mein Junge. Der General bekommt die größten Wutausbrüche weit und breit. Wenn er brüllt so hört man ihn 10 Meilen weit.“ Entsetzt hörte ihm Andre zu. Das war ja furchtbar und dem Mann sollte er nun auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein? Der Kutscher schien Andres Gesichtsausdruck nicht zu bemerken. „Madame de Jarjayes liegt den ganzen Tag nur auf dem Kanapee und beklagt sich, dabei ist sie kerngesund und die Töchter der beiden sind launische Mädchen und tyrannisieren damit den ganzen Haushalt, das kannst du dir kaum vorstellen.“ Der Fuß des Leibdieners Laurent traf ihn am Schienbein. Mahnend sah er ihn an. Das ging nun doch zu weit so über die Herrschaft zu sprechen, zumal es schamlos übertrieben war. Der Kutscher war jedoch in seinem Element. „Das merkwürdigste ist aber Oscar, das jüngste Kind. Stell dir vor, es ist ein Mädchen, trägt aber einen Knabennamen und auch solche Kleidung und wir alle müssen so tun als ob sie ein Junge wäre, sonst zieht uns der General bei lebendigem Leib die Haut ab.“ „Nun reicht es aber!“ fuhr Laurent auf. „Deine Schwatzhaftigkeit wird uns noch Ärger bereiten.“ Er sah Andre an, dem vor Staunen der Mund offen stand. Solch eine Geschichte wie der Kutscher sie erzählte, hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht gehört. Laurent überlegte sich wie er Andre wieder beruhigen konnte. Wenn Philippe weiter seine Schauermärchen erzählte würde er den Jungen womöglich nicht mehr in die Kutsche bekommen. „Andre hör zu. Es ist alles nicht so wie Philippe erzählt. General de Jarjayes ist ein strenger Mann aber niemals ungerecht. Wenn du alle Regeln in seinem Haus befolgst wirst du nichts zu befürchten haben. Madame de Jarjayes ist eine sehr gütige Dame. Nach der Geburt der Kinder ist sie gesundheitlich etwas angeschlagen. Und was Oscar betrifft …. Nun das ist in der Tat etwas merkwürdig.“ Laurent überlegte wie er Andre den Sachverhalt wohl am Besten darlegen konnte. „Also es ist so: Es stimmt das Oscar ein Mädchen ist.“ „Ein Mädchen das Oscar heißt?“ „Ja, nun hör weiter. Oscar ist die sechste Tochter von Monsieur und Madame de Jarjayes. Natürlich braucht General de Jarjayes einen Erben, der später so wie er als General in den Dienst des Königs tritt. So hat er beschlossen das Oscar wie ein Junge erzogen werden soll und später in die Armee des Königs eintritt. Du darfst dir niemals anmerken lassen das du weißt das Oscar in Wirklichkeit ein Mädchen ist. Wenn du es doch tust so wird dich General de Jarjayes sofort ins Waisenhaus schicken und glaube mir mein Junge dort ist es nicht angenehm. Außerdem werden Philippe und ich entlassen, weil wir es dir erzählt haben. Es muss also unser Geheimnis bleiben. Hast du mich verstanden Andre?“ Andre nickte stumm. Ins Waisenhaus wollte er auf keinen Fall. Nach allem was er davon gehört hatte musste es dort furchtbar sein. Laurent und Philippe waren so freundlich zu ihm, dass er auf keinen Fall wollte das sie ihre Stellung verloren und verhungern mussten. „Versprichst du das du nichts sagen wirst?“ „Ich gebe euch mein Ehrenwort“ versprach Andre und zur Bekräftigung streckte er Zeige- und Mittelfinger nach oben, so wie es ihm die älteren Jungen in seiner Straße beigebracht hatten, denn nur dann galt ein Versprechen. „Ich wusste doch das du ein verlässlicher Kerl bist,“ lobte Philippe „Darauf spendier ich dir ein Bier.“ „Du kannst doch dem Kind kein Bier geben?“ „Und warum nicht? Wir trinken jetzt auf unser gemeinsames Geheimnis.“ Bevor sich Andre recht besonnen hatte stand ein großer Bierkrug vor ihm. Er probierte vorsichtig einen Schluck. Es schmeckte bitter. Da er Phillippe aber nicht kränken wollte begann er seinen Krug in kleinen Schlucken aus zu trinken. Bei jedem Schluck schmeckte es ihm eine bisschen besser. Ihm wurde warm im Gesicht und er fühlte sich so gut gelaunt wie seit Wochen nicht mehr. Jetzt verstand er warum zuhause die Männer immer so fröhliche Lieder gesungen hatten, wenn sie aus dem Wirtshaus kamen. „Na siehst du,“ freute sich Philippe. „Es tut ihm gut. Bist eben doch ein ganzer Kerl, stimmts Andre?“ Kaum wieder in der Kutsche angelangt spürte Andre eine bleierne Müdigkeit. Er legte den Kopf auf den Sitz und schlief einfach ein. Er wusste nicht wie lange er geschlafen hatte, doch als Laurent ihn wach rüttelte war es draußen dunkle Nacht. Andre bekam kaum noch mit wie er ins Haus gebracht wurde. „Das ist dein neues zuhause, Palas de Jarjayes,“ hörte er noch Laurents Stimme neben sich. Schon wurde er von einer kleinen, rundlichen Frau mit weißen Haaren umarmt. Sie fühlte sich warm und weich an und roch irgendwie nach Plätzchen. Als er aufsah schauten ihn gutmütige, blaue Augen an, die zu einem rosigen, lieben Gesicht gehörten. „Ich bin deine Großmutter, Andre. Willkommen in Palas de Jarjayes. Du gehörst jetzt zu uns. Alles wird nun wieder gut.“ Genau so hatte sich Andre immer eine richtige Großmutter vorgestellt. Glücklich kuschelte er sich an sie und ließ sich von ihr davon tragen. Als Andre am Morgen erwachte wusste er zuerst nicht wo er war. Dann fiel ihm wieder ein das er nun bei seiner Großmutter lebte, wo er der Spielkamerad des Mädchens werden sollte das in Wirklichkeit ein Junge war. Oder war es doch andersherum gewesen? Ihm schwirrte der Kopf. Das musste wohl an dem Bier liegen das er am Abend bekommen hatte. Obwohl er zugeben musste das es nach einem Weilchen ausgezeichnet geschmeckt hatte. „Ah, du bist wach.“ Die Tür öffnete sich und seine Großmutter kam ins Zimmer und zog die Vorhänge auf. Nun konnte sich Andre im Zimmer umsehen. Es kam ihm beinahe so groß vor wie das gesamte Haus seiner Mutter. „Hast du gut geschlafen Andre?“ erkundigte sich seine Großmutter freundlich. Andre konnte nur nicken. Seine Großmutter schien jedoch in Plauderlaune zu sein. Bald sollte Andre merken das sie das immer war. „Ich hoffe dir gefällt dein Zimmer?“ „Das soll mein Zimmer sein? So groß...!“ Andre kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Er fühlte sich wie ein Prinz. „Jetzt zieh dich aber schnell an. Frische Kleider liegen für dich auf dem Stuhl.“ Schon war seine Großmutter nach draußen gegangen. In der großen Küche - irgendwie schien in diesem Haus alles groß zu sein - bekam Andre sein Frühstück, einen Croissant mit Butter und eine Tasse Tee. Auch die Portion war viel größer als er es von zuhause oder von der Familie Lefort gewohnt war. Normalerweise würden die anderen Dienstboten mit ihnen essen, wie ihm seine Großmutter erklärte aber es waren alle schon an ihre Arbeit gegangen und weil er so erschöpft war hatten sie ihn schlafen lassen. „So tief wie du schlafen sonst nur Leute die zu viel getrunken haben,“ meinte seine Großmutter. Andre hüllte sich in Schweigen. „Monsieur Oscar wartet bereits auf dich“, sagte seine Großmutter zu ihm. „Sie...pardon er, ist ein sehr braves Kind. Du wirst dich immer gut betragen und ihn mit Monsieur ansprechen. Du darfst auch an seinem Unterricht mit teilnehmen und an seinen Übungsstunden im Fechten und Schießen, denn Oscar wird einmal ein großer General werden wie sein Vater.“ Natürlich verschwieg sie ihm Oscars wahres Geschlecht, denn General de Jarjayes hatte sie am Abend vor Andres Ankunft noch einmal ausdrücklich instruiert kein Wort davon gegenüber Andre zu erwähnen und da Sophie, bei aller Geschwätzigkeit, keinesfalls mit ihrem Enkel auf der Straße landen wollte hielt sie sich daran - schon Andre zuliebe. Andre verschwieg seiner Großmutter das er längst schon alles wusste, Ehrenwort war schließlich Ehrenwort. Nach dem Frühstück brachte ihn Sophie ins Studierzimmer. Andre fühlte sich wie in einem Labyrinth. Die vielen Zimmer und Stockwerke verwirrten ihn und all die Pracht die er von zuhause nicht kannte schüchterte ihn ein. Als er mit Sophie nach deren Anklopfen das Studierzimmer betrat, saß dort an einem Tisch das „Es“ mit seinem Hauslehrer und las gerade etwas in einer fremden Sprache vor. Kaum das sie ins Zimmer getreten waren stand das Kind mitten in seinem Satz vom Tisch auf, trat auf sie zu und streckte ihm die Hand hin. „Ich bin Oscar Francoise de Jarjayes. Bist du mein neuer Spielkamerad?“ „Ja, ich heiße Andre Grandier.“ Andre sah in ein aufgeschlossenes Gesicht, mit freundlichen, blauen Augen und er wusste das er das blonde Kind ihm gegenüber, was immer es sein mochte, ob Junge oder Mädchen, gern haben würde. „Wir haben nun Lateinstunde. Wie weit bist du schon in dieser Sprache?“ Erschreckt sah Andre Oscar an. Latein war, soweit er wusste, diese seltsame Sprache die der Pfarrer in der Kirche hatte. „Ich denke nicht sonderlich weit, Oscar“ - ein Stoß seiner Großmutter traf ihn - „ich meine Monsieur Oscar.“ „Du musst nicht Monsieur zu mir sagen. Ich heiße nur Oscar,“ sagte das blonde Kind. „Oh nein,“ fuhr Sophie auf. „Das gehört sich nicht.“ „Ich will es aber so,“ bestimmte Oscar. Der Lehrer schien nun äußerst ungeduldig zu werden. „Darf ich nun bitten mit der Stunde fort zu fahren? Madame Glace bitte verlassen sie das Studierzimmer. Wir haben zu arbeiten.“ So ging Sophie nach draußen und der Unterricht wurde fortgesetzt. Auf die Lateinstunde folgte Geographie, dann Geometrie und darauf Deutsch. Als sich zeigte das Andre längst nicht auf Oscars Stand war, ging der Hauslehrer Monsieur Dumas dazu über den beiden unterschiedliche Aufgaben zu geben. Andre hatte zwar die Volksschule für die bürgerlichen Kinder besucht, aber natürlich wurde dort eine andere Form der Bildung angestrebt wie sie die Kinder der Adligen genossen. Nach dem Mittagessen, das Oscar mit ihrer Familie einnahm und Andre im Dienstbotentrakt, wurde Nachmittags im Hof fechten geübt. General de Jarjayes hatte Andre nur kurz auf seine Art willkommen geheißen. „Du bist also Andre, der Enkelsohn unserer lieben Sophie! So lange du bei uns lebst erwarte ich von dir Fleiß, Disziplin und Respekt! Nun beginnen wir mit der Fechtstunde.“ Bevor Andre auch nur in der Lage war etwas zu sagen hatte er schon einen Degen in die Hand gedrückt bekommen. Vor ihm stand Oscar, die eben eine solche Waffe in der Hand hielt. Unwillkürlich ging sie damit auf ihn los und Andre wich einen großen Schritt zurück. Ihre Degenklinge schlug gegen seine, wieder und immer wieder und Andre wich weiter zurück. Er überlegte ob er mit seinem Entschluss dieses Kind zu mögen nicht doch etwas zu voreilig gewesen war. „Nimm die Klinge hoch und wehre damit ab,“ hörte er die Stimme des Generals. Damit konnte Andre wenig anfangen und wie er so weiter nach hinten wich stolperte er über einen Stein und landete unsanft auf seinem Hosenboden. Schon hatte ihm Oscar seinen Degen aus der Hand geschlagen, der davon flog und setzte ihm ihre Degenspitze an die Kehle, so wie sie es von ihrem Vater gelernt hatte. Entsetzt spürte Andre die Spitze und sah Oscar an, die plötzlich richtig gefährlich auf ihn wirkte und bei der Gefahr gab es nur ein einziges wirksames Mittel- die Flucht. So schnell er konnte rappelte er sich auf und rannte nach drinnen zu seiner Großmutter. „Was hat man uns denn da für einen kleinen Feigling ins Haus geschickt?“ hörte er hinter sich noch die Stimme des Generals. Außer Atem stürzte er in das Zimmer in dem er, bevor in Hof hinaus gegangen war, seine Großmutter hatte verschwinden sehen. Diese saß mit Catherine am Tisch und die beiden waren über eine ihrer endlosen Stickarbeiten gebeugt. Erschrocken sprangen sie beide auf als die Tür so plötzlich aufgerissen wurde und der völlig aufgelöste, atemlose Andre vor ihnen stand. „Lieber Gott, mein Junge! Was ist denn nur geschehen?“ fragte Sophie fassungslos. Mit aller Kraft brüllte Andre: „Es bringt mich um!“ und warf sich heulend seiner Großmutter in die Arme. Das war das Ende von Andres erster Fechtstunde. Rasch lebte sich Andre im Haushalt der Jarjayes ein. Im Schießen und im Fechten wurden ihm von General de Jarjayes die Grundbegriffe beigebracht, so das er mit Oscar trainieren konnte. Trotzdem blieb Oscar ihm darin weit überlegen. Auch im Unterricht lernte Andre schnell dazu. Im Haus verirrte er sich schon lange nicht mehr und die anderen Dienstboten waren alle freundlich zu ihm. Bald kannte er sie alle mit Namen: die Zofen und Zimmermädchen, den Koch ,die Gärtner und den Pferdeknecht. Es war in seinen Augen schon ein ganzer Hofstaat den die Jarjayes da beschäftigten. Bei den Mahlzeiten im Dienstbotentrakt ging es meist sehr lustig zu, vor allem wenn sich über die Herrschaft lustig gemacht wurde, über die Migräneanfälle von Madame de Jarjayes, ausgerechnet dann wenn der General das Schlafgemach mit ihr teilen wollte, dessen Wutanfällen und Catherines Launen. Hinter vorgehaltener Hand wurde auch, immer dann wenn man meinte Andre höre nicht zu, über das kleine „Es“ gesprochen. Andre verriet nie das er wusste was dies zu bedeuten hatte. Wenn Oscar Freizeit hatte musste Andre dem Pferdeknecht zur Hand gehen. Das machte ihm jedoch viel Freude und es stellte sich heraus das Andre ein gutes Händchen für Pferde hatte. So half er mit Begeisterung beim Füttern, Ausmisten und Striegeln. Wenn der Hufschmied kam um die Pferde neu zu beschlagen konnte niemand so beruhigend auf die Tiere einreden wie Andre. Bald bekam er ein eigenes Pferd, eine hübsche braune Stute, damit er mit Oscar ausreiten konnte. Oscar wurde sein bester Freund und den Angriff mit dem Degen hatte er ihr schnell verziehen. Wenn er nicht im Stall helfen musste und die Schieß- und Fechtstunden entfielen, weil sich der General bei seiner Truppe befand, was oft der Fall war, unternahmen Oscar und Andre unzählige Ausritte auf ihren Pferden und steckten auch ansonsten immer beieinander. Am besten gefiel Andre aber Catherine. Mit ihrem goldblonden Haar, dem hellen Teint und den kleinen Brüsten, die sich unter ihrem Mieder abzeichneten, wirkte sie wie eine richtige Dame auf ihn. Abends bereitete seine Grußmutter oft Bratäpfel zu, deren Form ihn genau an Catherines Brüstchen erinnerte. Zum Erstaunen von Sophie wollte er immer ganz genau zwei davon nebeneinander auf seinen Teller haben. Wenn Tanzstunden waren und er und Oscar im Wechsel Catherine führten dann brannten seine Wangen vor Aufregung. Nur manchmal, wenn ihm der Gedanke an seine Mutter und an sein altes zuhause kamen, befiel ihn eine leise Traurigkeit und er spürte einen dicken Klos in seinem Hals aufsteigen. Inzwischen war es Herbst geworden und der Oktoberwind blies kalt und begann das Laub von den Bäumen zu wehen. Draußen herrschte düsteres Regenwetter. Es war ein Tag an dem für Andre alles schief gehen sollte. Schon in der Früh schimpfte ihn die Großmutter er solle schneller frühstücken und der Hauslehrer gab ihm eine Zusatzarbeit wegen seiner schlampigen Schrift. Das eigentliche Unglück sollte sich aber am Nachmittag ereignen. Eine befreundete Familie der de Jarjayes, der Graf und die Gräfin de Ligniville, wurden zum Tee erwartet. Zu dieser Familie gehörten beben dem Grafen und der Gräfin auch deren sechzehnjähriger Sohn Clement. Andre beobachtete wie sie aus ihrer Kutsche stiegen und entschied für sich das der stämmige Clement ein Gesicht hatte wie einer der fetten Karpfen, wie er sie zuhause auf dem Markt schon gesehen hatte. In der Küche herrschten große Vorbereitungen. Die Köchin hatte verschiedenes Gebäck zubereitet und Sophie stellte gerade das Teeservice auf ein großes Tablett. Hilfesuchend sah sie sich um. „Wo sind Marie und Paulette? Sie sollen beim Servieren helfen.“ „Marie ist heute morgen abgereist. Sie hat Madame de Jarjayes um Urlaub gebeten, da ihre Großtante im Sterben liegt und Paulette hütet mit Fieber das Bett.“ „Wozu beschäftigen wir nur die beiden Mädchen? Nie sind sie da wenn man sie braucht!“ Verärgert schnaubte Sophie vor sich hin. Da fiel ihr Blick auf Andre, der am Tisch saß und eines der Gebäckstücke naschte. „Andre, du wirst mitkommen und mir beim Servieren helfen!“ Diesen spontanen Beschluss sollte Sophie noch bereuen. So trug sie zusammen mit ihrem Enkel die Tabletts mit Tee und Gebäck in den Salon, in dem die de Jarjayes mit ihren Gästen saßen. Oscar hatte abseits Platz genommen und sah aus als langweilte sie sich sehr.Catherine und Clement hatte man zusammen auf ein Kanapee gesetzt. Zunächst lief alles reibungslos. Sophie schenkte den Tee ein und reichte allen ihre Tassen und Andre ging mit dem Gebäck umher und bot dem Besuch davon an. Bald fiel ihm auf das sich Clement sehr schmeichlerisch zu Catherine verhielt. Er griff nach ihrer Hand und seufzte: „Welche Ehre für mich Eure Hand berühren zu dürfen. Sie ist so zart wie ein Rosenblatt.“ Catherine errötete und zog ihre Hand wieder zurück. Keiner der Erwachsenen schien etwas dagegen zu haben, selbst der General, der sonst sehr auf die Tugend seiner Tochter bedacht war, nickte Clement wohlwollend zu. „Die Hochzeit wird selbstverständlich auf Eurem Anwesen stattfinden. Wir und besonders unsere liebe Catherine können es kaum noch erwarten,“ sagte der General zu Graf de Ligniville. Krampfhaft überlegte Andre um wessen Hochzeit es sich handeln sollte aber ihm wollte kein Paar in den Sinn kommen das bald heiraten wollte. Clement schwelgte Catherine weiter an. „Ist Euch schon aufgefallen das unsere Namen beide mit einem C beginnen? Ist das nicht ein bemerkenswerter Zufall? Welch gutes Omen für unsere Verbindung!“ Monsieur de Jarjayes wandte sich wieder an den Grafen. „Selbstverständlich werde ich als Brautvater für die Kosten der Hochzeit aufkommen. Macht Euch darüber keine Gedanken.“ Da ging Andre ein Licht auf. Seine Catherine mit den hübschen Bratapfelbrüstchen, sollte den Karpfen heiraten! Das war doch nicht möglich! Vor lauter Schreck wich er einen Schritt rückwärts, stolperte über das kleine Salontischchen, verlor sein Gleichgewicht und fiel mit samt dem Tablett zu Boden. Überall im Zimmer verteilten sich die Gebäckstückchen, selbst in Madame de Jarjayes hoher Frisur und in ihrem Ausschnitt, was diese zu einem entsetzten Schrei veranlasste. Andre rappelte sich erschrocken hoch und stieß dabei gegen das Tablett mit der Teekanne, das seine Großmutter noch immer in den Händen hielt. Scheppernd ging die Kanne in Scherben und der Tee ergoss sich über den Boden. „Oh meine Güte! Ich habe eine Scherbe ins Auge bekommen;“ jammerte die Gräfin de Ligniville. Eilig stand Graf auf um seiner Gattin zur Hilfe zu eilen. Dabei trat er mit dem Absatz seiner hochhackigen Schuhe auf eines der Gebäckstücke, rutschte aus, versuchte das Gleichgewicht zu zurück zu erlangen und fiel auf eines der Kanapees, ausgerechnet das, auf dem der General Platz genommen hatte und damit genau über Monsieur de Jarjayes Schoß. Im Salon herrschte eine Stille die zum ergreifen war. Graf de Ligniville stand so schnell er konnte auf und stotterte ein verlegenes „Pardon.“ Da begann Catherine aus vollem Halse zu lachen. Andre konnte es nicht fassen; seine Catherine lachte ihn aus. Da fingen auch Clement und Oscar an zu lachen. Ein Blick des Generals brachte die jungen Leute sofort zum Schweigen. Etwas derartiges war noch nie in seinem Haus vor Gästen vorgekommen. Ausgerechnet vor dem Grafen de Ligniville. Er war ein mächtiger und vermögender Mann und von der Verbindung mit seiner Familie versprach sich der General nicht nur die Unkosten für Catherines Mitgift sondern durchaus auch einige Vorteile für sich selbst. „Sieh was du angerichtet hast, du kleiner Idiot!“, fuhr er Andre zornig an. So schnell er konnte rannte Andre aus dem Salon, raus aus dem Haus und versteckte sich in den Büschen unten am Fluss, wohin er schon oft mit Oscar geritten war. Seine Knie schlotterten vor Angst und sein Herz raste. Was würde wohl nun mit ihm geschehen? Ob er eine Strafe zu erwarten hatte? Er würde nicht mehr nach hause zurück kehren, das stand für ihn fest. Bald war er vom Regen ganz durchnässt, es wurde dunkel und er fror. Außerdem knurrte sein Magen, denn außer dem unglückseligen Gebäck, das zu seinem Verhängnis geworden war, hatte er seit Stunden nichts mehr gegessen. Da es keinen anderen Ausweg für ihn zu geben schien, machte er sich auf den Heimweg. Leise schlich er sich durch den Dienstboteneingang ins Haus zurück und in sein Zimmer. Dort ließ er sich auf sein Bett fallen. Plötzlich kam seine ganze Trauer wieder in ihm hoch.Warum hatte seine Mama nur sterben müssen? Dann hätte er niemals in dieses Palas ziehen müssen und wüsste nicht wie dumm und ungeschickt er war, dass er ein kleiner Idiot war, wie der General gesagt hatte. Seinetwegen würde nun auch seine Großmutter Ärger bekommen. Endlich löste sich der Kloß in seiner Kehle, der dort schon seit Monaten steckte und alle ungeweinten Tränen flossen aus ihm heraus. Er weinte so sehr das er nicht bemerkte wie jemand an seiner Zimmertür anklopfte und schließlich eintrat. „Andre, bitte sei nicht traurig. Mein Vater ist nicht böse auf dich,“ hörte er Oscars Stimme. Sie legte sich neben ihrem Freund aufs Bett und die beiden umarmten sich. „Ich weine doch gar nicht wegen heute,“ schluchzte Andre. „Wegen was denn dann?“ „Wegen meiner Mama!“, und wieder brach ein neuer Tränenstrom aus Andre heraus. Oscar wurde sehr nachdenklich. Natürlich vermisste Andre seine Mama, daran hatte sie einfach nicht gedacht. Sie überlegte wie es ihr gehen würde wenn ihre Eltern plötzlich sterben würden und sie ganz alleine in eine fremde Familie müsste. Plötzlich stiegen ihr vor Mitgefühl für Andre ebenfalls Tränen in die Augen. „Andre,“ sagte sie. „Erzähl mir einmal von deiner Mama? Hat sie auch immer Stickarbeiten gemacht und ihre Freundinnen zum Tee eingeladen, so wie meine Maman?“ „Nein,“ antwortete Andre. „Meine Mama hat für andere Leute in der Stadt die Wäsche gewaschen und geflickt. Dafür haben wir Geld bekommen, damit Mama für uns etwas zu essen kaufen konnte. Sie hatte nicht viel Zeit für mich. Nach der Schule habe ich mit meinen Freunden auf der Straße gespielt, denn Mama hatte zuhause viel Arbeit. Trotzdem war sie für mich die liebste Mama auf der Welt.“ Andre sah Oscar mit seinen fechten, verweinten Augen an. Oscar wurde plötzlich bewusst das Andre bisher ein ganz anderes Leben geführt hatte. Er und seine Mutter waren „Bürgerliche“ und dies schien ihr, nach Andres Beschreibung, eine vollkommen andere Welt zu sein, als ihre eigene im Palas de Jarjayes. Andre hatte es nicht so gut gehabt wie sie selbst und seine Mutter hatte schwer arbeiten müssen, ganz anders als ihre Maman. Trotzdem schien Andre glücklich gewesen zu sein. Und nun war er traurig, trotz des schönen Hauses in dem er nun leben durfte. Einer Eingebung folgend nahm Oscar Andres Hand. „Weine nicht mehr Andre! Lass uns für immer Freunde bleiben. Ich verspreche dir das ich dich nie im Stich lassen werde!“ Andre sah in Oscars ehrliche Augen. Zum ersten Mal seit dem Tod seiner Mutter fühlte er sich wieder geborgen. Er drückte Oscars Hand. „Ich werde dich auch niemals im Stich lassen Oscar. Immer werde ich für dich da sein. Ich gebe dir mein Ehrenwort, so wahr ich Andre Grandier heiße.“ Andre streckte Zeigefinger und Mittelfinger nach oben, so wie es ihm die Jungen auf der Straße gezeigt hatten. „Was bedeutet das?“ fragte Oscar. „Das macht man wenn man etwas hoch und heilig verspricht,“ antwortet Andre. Sofort zeigte ihm Oscar die gleiche Geste und sagte: „Dann gebe auch ich dir mein Ehrenwort, so wahr ich Oscar Francoise de Jarjayes heiße.“ Glücklich umarmten sich die beiden Kinder und Andre konnte seine Tränen trocknen. Es sollte über zwanzig Jahre dauern bis Oscar Andre wieder weinen sehen würde. „Oscar,“ rief Andre ihr nach als sie gerade sein Zimmer verlassen wollte. „Was ist mit dem Auge Gräfin de Ligniville?“ „Ach die alte Ziege,“ lachte Oscar. „In ihrem Auge war überhaupt kein Splitter, höchstens ein Splitter von ihrem Holzkopf hat Catherine gesagt.“ Nun konnte auch Andre wieder lachen. Für Andre hatte der Vorfall tatsächlich keine Folgen. General de Jarjayes war über eine Klausel im Bezug auf Catherines Mitgift in dem bereits aufgesetzten Ehevertrag, die der Graf de Ligniville im nach hinein einfügen wollte, so wütend geworden, das eine Verbindung ihm nun als völlig unmöglich erschien. So konnte Andre noch einige Zeit seine hübsche Catherine bewundern. Im darauffolgenden Sommer wurde Oscars Taufpate, der Graf de Girondelle, zu Besuch erwartet. Unglücklicherweise brachte er seinen Sohn Victore mit, der mit Oscar bereits aneinander geraten war. Da sie Verwandte auf dem Lande besuchen wollten und der Graf den kleinen Abstecher nach Palas de Jarjayes eingeplant hatte, um seinen alten Freund zu sehen und sich nach dem Wohlergehen seines Patenkindes zu erkundigen, konnte er Victore in diesem Fall nicht zuhause lassen. Außerdem bestand keine Gefahr mehr das Voictore de Girondelle Oscar nochmals als Mädchen bezeichnen würde, denn sein Vater hatte ihm, nachdem ihm der Vorfall von General de Jarjayes bekannt gegeben wurde, seinem Sohn so gründlich „die Leviten gelesen“, dass eine ähnlich Szene nicht zu erwarten war. Schließlich war es de Girondelle wichtig das seine Freundschaft mit dem einflussreichen Grafen erhalten blieb. Während des Tees hatten sich Oscar und Victore keines Blickes gewürdigt. Nach dem Graf de Girondelle sein Patenkind genügend in Augenschein genommen und ihre Entwicklung ausreichend gelobt hatte - „Wie groß du doch geworden bist Oscar! Kommst du mit deinem Unterricht gut voran?“- durfte Oscar das Zimmer verlassen. Da es für den heutigen Tag keine Aufgaben mehr gab machte sie sich mit Andre vergnügt auf den Weg zum Fluss. Dabei bemerkten beide nicht das ihnen Victore, dem bei den Erwachsenen langweilig geworden war und sich dort hinaus geschlichen hatte, heimlich folgte. Am Flussufer angelangt verbarg er sich in den Büschen, in den selben in denen sich Andre bereits im Herbst aus Angst vor seiner Strafe versteckt hatte, und beobachtete Oscar und Andre. Die beiden hatten sich bäuchlings ins Gras fallen lassen und ließen sich die Sommersonnenstrahlen auf den Rücken scheinen. Victore saß in seinem Versteck und fühlte sich recht einsam. Er überlegte ob er heraus kommen und die beiden ansprechen sollte. Doch dazu fehlte dem schüchternen Jungen der Mut. Er überlegte wie er ansonsten auf sich aufmerksam machen konnte und entdeckte im Gebüsch kleine Steinchen. Plötzlich hatte er einen, seiner Meinung nach, hervorragenden Einfall. Er würde die kleinen Steinchen nach den beiden Kindern werfen, sie würden nach sehen woher sie beworfen würden, ihn entdecken und zum Mitspielen einladen. Andre sah jedenfalls sehr nett aus und vermutlich war mit Oscar zu spielen immer noch besser als ganz alleine zu sein. So setzte er sein Vorhaben in die Tat um. Der erste kleine Stein traf Oscar am Rücken. „Auuu, Andre was war das? Etwas hat meinen Rücken getroffen.“ „Vielleicht hat dich ein Insekt gestochen.“ „Aber dazu war es viel zu fest.“ Das nächste Steinchen erwischte Andres Hinterbacke. „Auuuu, nun hab ich auch etwas gespürt.“ „Da sieh nur!“ Oscar hatte die kleinen Steinchen bemerkt. „Das geht hervorragend,“ dachte sich Victore. Gleich würden sie ihn bemerken und zum Spielen holen. Ein weiteres Steinchen schoss aus dem Gebüsch heraus und traf Andre am Arm. „Die Steine kommen aus den Büschen. Jemand beschießt uns damit,“ rief er zornig. „Das lassen wir uns nicht gefallen. Komm wir stellen ihn,“ rief Oscar. Sofort waren die beiden am Gebüsch und entdeckten Victore. „Los, heraus mit dir,“ rief Andre, packte ihn und zog ihn nach draußen. „Weshalb bewirfst du uns?“ fragt Oscar und funkelte ihn böse an. „Nun ääh..“ Victore ah Oscar und Andre mit seinen blau- grauen Augen erschreckt an. Die Einladung zum Spielen hatte er sich freilich etwas anders vorgestellt. „Lass uns ihm eine Lektion erteilen,“ meinte Andre. „Das ist doch das kleine Wiesel das bei euch zu Besuch ist? Der von dem du mir erzählt hast, der dich schon mal geärgert hat.“ „Jawohl das ist er,“ bestätigte Oscar. „Aber was machen wir mit ihm?“ „Ich habe eine Idee,“ meinte Andre dem sofort die wohl frisierten braunen Locken des Jungen aufgefallen waren. „Ich halte ihn dazu fest.“ Andre, der von den dreien am kräftigsten war, drückte Victore zu Boden und kniete sich auf seinen Rücken um ihn unten zu halten. „So, und nun steckst du ihm ein paar Kletten in die Haare.“ Das ließ sich Oscar nicht zweimal sagen. Während Andre Victore weiter zu Boden drückte, sammelte Oscar die Kletten und begann sie in Victores Haaren zu verteilen. „Ahhh, das dürft ihr nicht. Das werde ich meinem Vater sagen!“ schrie Victore doch das löste bei Andre und Oscar nur einen Lachanfall aus. Endlich war es Victore gelungen Andre abzuschütteln. „Na wartet, ich zeige es euch,“ rief er zornig und stürzte sich auf Andre, der ihm am nächsten stand. Oscar eilte ihrem Freund zu Hilfe und schon rollten sich die drei Kinder raufend auf dem Boden. Monsieur Zidane, ein Bauer der gerade mit seinem Pferdewagen vorbei kam, entdeckte von der weiter entfernten Straße die sich prügelnden Kinder. Kopfschüttelnd dachte er sich: „Ganz wie wir damals. Ist das nicht die kleine de Jarjayes? Für ein Mädchen kann sie aber ordentlich zulangen. Da ist es dem General wohl tatsächlich gelungen einen Jungen aus ihr zu machen. Wer hätte das gedacht.“ In diesem Moment sah er wie sich Oscar und Victore auf die Beine stellten, Victore Oscar einen Stoß versetzte und Oscar im Fluss verschwand. Entsetzt hielt Monsieur Zidane seinen Wagen an, rannte nach unten zum Flussufer und sah gerade noch wie Oscars blonder Schopf unterging. Prustend tauchte sie ein paar Sekunden später wieder auf, um erneut zappelnd unter zu gehen. Andre und Victore standen hilflos daneben. Monsieur handelte so schnell er konnte. Schon hatte er einen langen, kräftigen Ast entdeckt, den der letzte Sturm abgerissen hatte. Er legte sich auf den Bauch und hielt den Ast in den Fluss. „Komm Oscar, nimm den Ast.“ Wie im Reflex packte Oscar den Ast mit beiden Händen und klammerte sich daran fest. Monsieur Zidane zog sie an das Ufer. Oscar war glücklicherweise bei Bewusstsein, da er so schnell gehandelt hatte. „Wir bringen sie schnell nach hause. Oben an der Straße steht der Wagen. Zum Glück ist es heute nicht kalt.“ Eilig rannten alle zum Wagen. Die Jungen kletterten hinein und Oscar, die von Monsieur Zidane getragen wurde, wickelte dieser in seinen Mantel, denn er in der Früh getragen und nun aber wegen der Hitze zur Seite gelegt hatte. Behutsam legte er Oscar zwischen Victore und Andre auf die Ladefläche des Wagens. Im Galopp lenkte Monsieur Zidane sein Gespann nach Palas de Jarjayes. Die Dienerschaft erriet sofort das etwas passiert sein musste, als sie die beiden betreten dreinschauenden Jungen und die in den Mantel gewickelte Oscar sahen. Der Tumult im Hof rief auch Sophie heraus. Als sie Oscar auf der Ladefläche erblickte fing sie sofort fürchterlich zu jammern an. „Oh meine arme Oscar! Was habt ihr nur wieder angestellt! Andre, kann man euch denn nie unbeaufsichtigt lassen? Es ist furchtbar, einfach furchtbar!“ Als nächstes kamen Monsieur und Madame de Jarjayes nach draußen, gefolgt von Graf de Girondelle. „Oh, mein Gott, Oscar! Was ist geschehen?“ Madame und Monsieur de Jarjayes waren beide blass geworden. Monsieur Zidane hob Oscar aus dem Wagen und drückte sie Sophie in die Arme. „Sie ist bei einer Rangelei in den Fluss gefallen. Ich habe sie mit Hilfe eines Astes heraus gezogen. Ich bin noch rechtzeitig gekommen. Ihr ist nichts passiert.“ Eilig trugen Sophie und Emilie de Jarjayes Oscar ins Haus, entkleideten sie und brachten sie zu Bett. Während Laurent auf Anordnung von General de Jarjayes dafür sorgte, das Monsieur Zidane zum Dank der Schinken aus der Speisekammer und ein paar Spielsachen und Näschereien für seine Kinder eingepackt wurden, befand Graf de Girondelle es als das Beste auf schnellstem Wege mit seinem Sohn Palas de Jarjayes zu verlassen. In der Kutsche versuchte Victore zu erklären: „Papa, ich kann sicher nichts dafür. Plötzlich war Oscar im Fluss, ohne das ich etwas getan habe.“ Doch Graf de Girondelle winkte nur ab. „Es genügt! Kaum bist du mit Oscar de Jarjayes zusammen geschieht irgend etwas Unmögliches. Gott allein weiß weshalb!“ Er seufzte tief und damit war das Thema für dieses Mal für ihn erledigt. Er freute sich auf den Besuch bei seinen Verwandten auf dem Land und verspürte keine Lust Victore zu vor noch zu bestrafen. Was tat das Balg von General de Jarjayes auch so nahe am Wasser? Oscar lag friedlich in ihrem warmen Bett. Der Schreck, hatte ihr bis vor kurzem noch in allen Knochen gesteckt, doch inzwischen begann sie sich zwischen ihren Kissen und Decken wieder wohl und geborgen zu fühlen. Sophie hatte ihr eine Tasse heiße Schokolade, ihr Allheilmittel, gebracht und die ganze Zeit vor sich hingeschumpfen: „Die arme Mademoiselle, die arme Mademoiselle! Warum konnte Andre auch nicht aufpassen? Der erlebt heute Abend noch ein Donnerwetter!“ Oscar konnte schon wieder heimlich grinsen. Immer nannte Sophie sie Mademoiselle wenn sie aufgeregt war. Doch als sie am Einschlafen war kam ihr noch ein seltsamer Gedanke: „Hat nicht auch Monsieur Zidane „sie“ über mich gesagt? Wie merkwürdig! Sonst ist doch nur Sophie so durcheinander.“ Damit schlief Oscar ein. Kapitel 3: Intrigen werden gesponnen ------------------------------------ Die Kaiserin Maria Theresia saß nachdenklich mit ihrem Staatskanzler Kaunitz über eine Landkarte gebeugt. Seit ihr geliebter Gemahl im vergangenen Jahr verstorben war, stürzte sie sich mit noch mehr Feuereifer in ihre Regierungsgeschäfte. Es war das Frühjahr 1766 und schwere politische Entscheidungen standen an. Ein neuer Krieg mit Frankreich erschien ihr unumgänglich, wenn das Bündnis, das sie vor zehn Jahren mit Louis XV geschlossen hatte, nicht bald gefestigt würde. Die Kaiserin blickte sorgenvoll drein. Sie war eine Herrscherin die ihr Land liebte und wollte unter allen Umständen unnötiges Blutvergießen vermeiden. „Ach Kaunitz,“ seufzte sie tief. „Wenn uns nur etwas einfiele wie wir diesen Krieg umgehen könnten.“ „Wenn Euer Majestät erlauben, so ich hätte da einen Vorschlag,“ meldete sich Kaunitz zu Wort. Die Kaiserin wurde hellhörig und hörte aufmerksam zu, was Kaunitz ihr zu unterbreiten hatte. Bei jedem Satz klarte ihre Miene etwas mehr auf. Voller Anerkennung wandte sie sich an ihren Staatskanzler: „Hervorragend Kaunitz! Warum bin ich nicht selbst schon auf diese Idee gekommen? Maria Antonia, natürlich, keine wäre dafür besser geeignet.“ Zur selben Zeit beschloss Madame de Jarjayes das wieder einmal dringende Besorgungen in Paris zu erledigen waren. General de Jarjayes hielt sich währenddessen in Versailles auf, wo über Wichtiges beraten wurde, für das man unbedingt seine Ratschläge aus militärischer Sicht benötigte. In Paris sollte für Catherine eine neue Garderobe zusammengestellt werden. Trotz ihrer sechzehn Jahre war immer noch kein passender Heiratskandidat gefunden worden. Bewerber gab es genug, aber bei seiner jüngsten Tochter zeigte sich der General so wählerisch wie noch nie. Catherine war und blieb sein erklärter Liebling. Da ihre Einkäufe zwei Tage dauern würden und sie nicht mehrmals hin und her fahren wollten, wurde beschlossen bei Marguerite, der zweitältesten Tochter der Familie und ihrem Ehemann, die in Paris lebten, zu übernachten. „Oscar, du wirst uns begleiten,“ bestimmte Emilie de Jarjayes. „Du brauchst ebenfalls neue Kleidung.“ „Ich komme nur mit wenn Andre mit uns fahren darf,“ erklärte Oscar. Madame de Jarjayes verspürte wenig Lust mit Oscar zu zanken. Mit ihr zum Herrenschneider zu gehen und sie dazu zu bringen so lange still zu halten, bis dieser endlich mit anmessen fertig war, stellte eine ungeheure Geduldsprobe dar. Vielleicht wäre sie dort wirklich weniger zappelig, wenn Andre mit dabei sein würde. Er übte auf Oscar immer eine beruhigende Wirkung aus. Außerdem hatten sie ohnehin noch genügend Platz in der Kutsche. So durfte Andre, zu Oscars großer Freude, mit ihnen reisen. Marguerite empfing ihre Familie freudig und auch ihre beiden Kinder, der vierjährige Jules und die zweijährige Jocelyn, waren begeistert darüber, das soviel Besuch auf einmal zu ihnen kommen sollte. Trotz der arrangierten Ehe zwischen ihnen waren Marguerite und ihr Gemahl, der Kaufmann Maxime Leclerc Graf de la Tour, äußerst glücklich miteinander verheiratet, was sich allein schon darin zeigte, dass sie sich ein gemeinsames Schlafzimmer teilten, was in einer Adelsfamilie äußerst ungewöhnlich war. Maxime ärgerte sich lediglich darüber, das er trotz der Heirat mit Marguerite noch immer nicht in Versailles empfangen wurde, da er von bürgerlicher Herkunft war und sich seinen Adelstitel erst kurz vor ihrer Hochzeit gekauft hatte. Trotzdem liefen seine Geschäfte hervorragend und die beiden waren reicher als viele Familien aus dem Hochadel. Madame de Jarjayes und Catherine wurden beide in ein eigenes Gästezimmer geführt, während Marguerite für Oscar und Andre ein gemeinsames Zimmer hatte herrichten lassen. „Bei zwei Jungen dürfte das doch kein Problem darstellen,“ meinte Marguerite und sah ihre Mutter herausfordernd an. Emilie de Jarjayes hüllte sich in Schweigen. Ihre beiden ältesten Töchter hatten mit ihr wegen Oscar oft lautstark gestritten, doch sie mussten schließlich nicht die Launen des Generals ertragen und konnten wieder in ihre eigenen Familien zurück kehren. Der nächste Tag wurde nun vorwiegend in der Schneiderei verbracht. Nach einer äußerst nervenaufreibenden Anprobe beim Herrenschneider mit Oscar und einer nicht minder nervenaufreibenden Anprobe mit Catherine bei der Damenschneiderin, fühlte sich Madame de Jarjayes einem Nervenzusammenbruch nahe. Sie konnte nicht beurteilen, ob Kinder im allgemeinen anstrengend waren, ihre waren es jedenfalls. Sie wusste nicht wann sie sich je so erschöpft gefühlt hatte. Um sich eine Erholung zu gönnen beschloss sie ein Kaffeehaus aufzusuchen. Da Oscar und Andre die gewohnte Bewegung fehlte, da sie nach ihren Unterrichtsstunden und sonstigen Pflichten viel Zeit im Freien verbrachten, waren die beiden bei Tisch so unruhig und aufgekratzt das an Erholung nicht zu denken war. „Maman, dürfte ich mich vielleicht in Paris etwas alleine umsehen?“ bat Catherine. Wie von der Tarantel gestochen fuhr Madame de Jarjayes auf. „Natürlich nicht! Wo denkst du hin? Du kannst doch nicht mutterseelenallein durch Paris spazieren!“ „Maman ich bitte Euch, nur eine Stunde. Ich verspreche hier auf der Hauptstraße zu bleiben. Ich möchte mir nur noch in ein paar Geschäfte ansehen“ Eine Stunde Ruhe, wie wohl das nur täte, schoss es Madame de Jarjayes durch den Kopf. „Nun gut, Catherine, ich gestatte es dir. Aber nur unter zwei Bedingungen. Du wirst erstens hier auf der Hauptstraße bleiben, wie du es selbst schon richtig erkannt hast....“ Catherines Augen begannen zu leuchten, „... und zweitens wirst du Oscar und Andre mitnehmen.“ Catherine klappte der Kiefer herunter. „Aber Maman, nicht doch! Die beiden werden mich nur stören. Ihr wisst wie unerträglich sie gerade sind, besonders Oscar.“ „Entweder mit den beiden oder du bleibst hier. Seit wann diskutieren wir miteinander Catherine?“ Schmollend fügte sich Catherine in ihr Schicksal. Lieber schleppte sie Oscar und Andre mit, als das sie auf die Gelegenheit durch Paris zu schlendern verzichtete. „Nimm die beiden Kinder an die Hand,“ rief ihr Madame de Jarjayes noch hinterher. Ganz wohl war ihr nicht in ihrer Haut. Was wohl der General dazu sagen würde? Aber er war schließlich nicht hier und musste es auch nie erfahren wenn die Kinder nichts darüber erzählten. Aber das würden sie im eigenen Interesse sicherlich nicht tun. Einigermaßen beruhigt ließ sich Emilie de Jarjayes ein zweites Tortenstück schmecken. Das hatte sie sich ihrer Meinung nach wahrlich verdient. So wie Catherines Freude einen kräftigen Dämpfer erhalten hatte, so begeistert waren nun Oscar und Andre über ihren Alleingang. Darauf hatten sie nicht zu hoffen gewagt! Alles war groß und aufregend. Die vielen Menschen, die vielen Häuser und die vielen Pferdekutschen. Auch Catherine hatte ihren Unmut schnell vergessen. Oscar und Andre begannen vor Freude an Catherines Hand während des Gehens zu hüpfen, und Catherine selbst schien ganz vergessen zu haben wie alt sie schon war und hüpfte unwillkürlich mit ihnen mit. „Guten Tag, Mademoiselle Catherine, guten Tag Monsieur Oscar, Guten Tag Andre,“ hörten sie plötzlich eine Stimme. Als sie sich umdrehten entdeckten sie Frederic Gaspard, den zweitältesten Sohn eines Bauern, der seinen Hof nahe dem Palas de Jarjayes hatte. Frederic war ein Jahr älter als Catherine, großgewachsen und hatte sanfte braune Augen in einem noch jungenhaften Gesicht. „Oh, Guten Tag Frederic, ich meine Monsieur Gaspard.“ Catherine betrachtete ihn und spürte zu ihrem Ärger das sie rot wurde. Er war heute fein angezogen. In so einem guten Rock hatte sie ihn noch nie gesehen. „Was führt Euch nach Paris?“ fragte sie neugierig. „Mein Onkel hat hier in Paris eine eigene Schreinerei. Er und meine Tante haben keine Kinder bekommen und so hat er nun mich bei sich aufgenommen, damit ich bei ihm in die Lehre gehen kann. Wenn er sich zur Ruhe setzt, dann werde ich seine Schreinerei erben.“ Das alles erzählte Frederic mit sichtlichem Stolz. „Wir sind nach Paris gefahren um Einkäufe zu erledigen. Nun müssen wir aber weiter. Lebt wohl Monsieur Gaspard! „Mademoiselle Catherine, erlaubt Ihr mir Euch auf einen Kaffee einzuladen?“ fragte Frederic plötzlich. Überrascht sah Catherine ihn an. Wie frech er doch ist, überlegte sie. Wie kann mich ein Schreinerlehrling zum Kaffee einladen? Frech... aber doch auch durchaus mutig. Frederic merkte nun selbst wie unschicklich seine Einladung war. „Oh, verzeiht mir. Ich vergaß für einen Moment den Standesunterschied. Lebt wohl Mademoiselle!“ „Wartet,“ rief Catherine unverhofft. „Ich nehme Eure Einladung gerne an.“ Ein Strahlen zog sich über Frederics Gesicht. Vor Freude vergaß er ganz wie schüchtern er sonst war bot Catherine seinen Arm an. In letzter Minute erinnerte sich Catherine an Oscar und Andre. Ihr Stillschweigen musste unbedingt erkauft werden, denn ihre Eltern würden alles andere als begeistert darauf reagieren, wenn heraus kam das sie mit Frederic Gaspard in einem Pariser Kaffeehaus gewesen war. So griff sie in ihre Handtasche, zog einige Geldstücke heraus und drückte sie Oscar in die Hand. „Kauft euch etwas davon und seit bald wieder hier. Und kein Wort davon zu Maman und schon gar nicht zu Vater.“ Gleichzeitig streckten die zwei Zeige- und Mittelfinger nach oben, so wie sie immer ihre Versprechen besiegelten, seit Andre Oscar es so beigebracht hatte. Auch Catherine wusste inzwischen was dieses Zeichen bedeutete und das sie sich auf Andre und Oscar verlassen konnte. So unmöglich die beiden „Kleinen“ auch oft waren, wenn sie ein Ehrenwort gaben so galt es. Nach einer Stunde trafen sie sich wieder an der gleichen Stelle, Oscar und Andre mit einem Beutel voll Süßigkeiten aus der Konditorei und Catherine mir rosigen Wangen und dem Gefühl nicht mehr auf der Straße zu gehen, sondern auf Wolken zu schweben. Warum war ihr noch nie aufgefallen wie hübsch und charmant Frederic war? So kehrten sie zu Madame de Jarjayes zurück, jeder mit dem Nachmittag vollkommen zufrieden. Auf der Heimfahrt zu Maximes und Marguerites Stadthaus, als Catherine ihrer Mutter in der Kutsche gegenüber saß, fiel Madame de Jarjayes auf wie verändert diese auf einmal wirkte. Es war wie wenn sie von Innen strahlen würde. „Man könnte beinahe denken Catherine wäre verliebt,“ dachte Emilie. Wenn sie gewusst hätte das sie damit recht hatte und dazu noch wem ihre Tochter ihre Zuneigung geschenkt hatte, so hätte Madame de Jarjayes augenblicklich ihr Riechsalz gebraucht. Am nächsten Tag waren die Besorgungen erledigt und man wollte zurück fahren. Doch während des Dinners bat Catherine: „Maman, würdet ihr mir gestatten einige Tage länger hier bei Marguerite zu wohnen? Ich möchte mit ihr einmal in die Oper und auch in das Theater.“ Zu ihrer Überraschung willigte Emilie sofort ein. „Warum auch nicht. Sofern du Maximes und Marguerites Gastfreundschaft nicht überstrapazierst.“ „Natürlich nicht,“ meldete sich Maxime zu Wort. „Catherine darf gerne bei uns wohnen bleiben so lange sie möchte.“ „Dürfen Andre und ich auch länger bei Marguerite und Maxime bleiben?“ erkundigte sich Oscar. Das war wirklich original Oscar! Catherine ärgerte sich maßlos. Sie würde ihr noch alles verderben. „Nun ja Oscar, ich weiß nicht ob das für Marguerite nicht zu viel wird,“ antwortete Emilie vorsichtig. „Nein, Maman, lass nur. Oscar und Andre dürfen genauso gerne dableiben wie Catherine. Ich freue mich über ihren Besuch,“ sagte Marguerite. Oscar und Andre blinzelten einander zu. So einfach hatten sie sich es nicht vorgestellt! So reiste Madame de Jarjayes ab, froh darüber das nun für einige Tage Ruhe im Palas de Jarjayes herrschen würde und ließ Oscar, Andre und Catherine in Paris zurück, die ebenso froh darüber waren, das nun ein paar Tage der Freiheit winkten. Währenddessen fanden in Versailles Verhandlungen statt, von denen die Zukunft Frankreichs abhängen sollten. Louis XV hatte sich mit seinen Beratern und einigen Generälen, darunter General de Jarjayes, in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Seine Stirn war von schweren Sorgenfalten gezeichnet. „Majestät, es wird wohl erneut zu einem Krieg mit Österreich kommen,“ erklärte gerade General de Ronsard. Die Sorgenfalten auf der Stirn des Königs wurden noch ein wenig tiefer. „Ein Krieg kann nicht ohne Verluste geführt werden,“ antwortete er. „Mit Frankreichs Finanzen steht es schlecht und sollte es so weit kommen das wir in den Krieg ziehen müssen so werden immense Ausgaben für Waffen, Munition und die Verpflegung der Truppen auf uns zukommen.“ Ein Page klopfte an der Tür und meldete: „Fürst Starhemberg, der österreichische Botschafter ist so eben aus Wien eingetroffen.“ Im Raum sahen sich alle an. Es herrschte eine Totenstille. Jeder rechnete mit dem Schlimmsten. Fürst Starhemberg wurde herein geleitet und verbeugte sich tief vor dem König. „Nun sprecht, was habt Ihr für eine Botschaft für uns?“ forderte ihn der König ungeduldig auf. „Kaiserin Maria Theresia bietet Euch die Hand ihrer Tochter, der Erzherzogin Maria Antonia an, um das Bündnis zwischen Frankreich und Österreich zu festigen. Sie möchte einen neuen Krieg zwischen unseren beiden Ländern unter allen Umständen vermeiden. “ „Eine junge Prinzessin?“ Die Augen des alten Königs begannen zu funkeln. „Nun ich habe aber durchaus nicht vor mich auf meine alten Tage noch einmal zu vermählen. Bedenkt das ich bald sechzig werde und ich weiß nicht ob mein Herz das Temperament der kleinen Erzherzogin noch verkraften wird.“ Dröhnend lachte der König und mit ihm seine Untergebenen. Er liebte deftige Späße. Fürst Starhemberg spürte das man sich über ihn lustig machte. Trotzdem antwortete er so gelassen wie es sich für einen Botschafter gehörte: „Die Kaiserin dachte dabei an eine Ehe mit Eurem Enkelsohn, dem Dauphin von Frankreich.“ „Bestellt der Kaiserin, das wir darüber nachdenken werden,“ antwortete ihm König Louis und damit war Fürst Starhemberg entlassen. Sich verbeugend verließ er rückwärts den Raum. „Altes Scheusal,“ dachte er sich dabei. Im Raum sahen alle den König an, der keineswegs überrascht sondern sehr zufrieden wirkte. „Ich habe mit diesem Angebot bereits gerechnet. Maria Theresia will diesen Krieg genau so wenig wie wir. Es ist die beste Lösung für alle. Aber selbstverständlich werden wir die Österreicher noch ein wenig zappeln lassen.“ Wieder ließ er sein dröhnendes Lachen hören auf das seine Höflinge mit einstimmten. Als sie das Beratungszimmer verließen bat General de Jarjayes General de Ronsard noch um ein Wort. „Würdet Ihr Euch noch einen Augenblick für mich Zeit nehmen, Monsieur.“ General de Ronsard blieb stehen. „Nun worum geht es Jarjayes? Habt ihr etwas auf dem Herzen?“ „Es handelt sich um meinen Sohn Oscar Francoise. Er ist nun bereits zehn Jahre alt und ich denke darüber nach ihn auf die Offiziersakademie zu schicken, damit er in die Leibgarde des Königs aufgenommen wird. Gewiss es ist noch ein wenig früh um davon zu sprechen. Aber in drei Jahren wäre es eine Möglichkeit und ich möchte Euch darum bitten beim König ein gutes Wort für Oscar einzulegen.“ „Euer Sohn? Wie seltsam. Es geht ein Gerücht um das Euer jüngstes Kind ebenfalls eine Tochter ist, so wie seine älteren Schwestern.“ „Oscar wurde zwar als Mädchen geboren aber er ist ganz und gar ein Junge und wenn jemand für die Offiziersakademie geeignet ist dann er. Niemand in seinem Alter ist im Schießen und Fechten so hervorragend. Auch unterrichte ich ihn bereits in militärischer Strategie.“ „Das mag alles stimmen aber ich muss leider so ehrlich sein und Euch sagen das ich ganz und gar nichts davon halte. Ein Mädchen gehört nicht auf die Offiziersakademie und schon gar nicht in die königliche Leibgarde. Stellt Euch vor jeder käme auf so eine verrückte Idee.“ „Trotzdem bitte ich Euch um diesen Gefallen. Ich versichere Euch wenn Ihr Oscar erst gesehen habt werdet Ihr Eure Meinung ganz gewiss ändern.“ „Nur weil Ihr es seit Jarjayes. Ich werde mir Oscar zu gegebener Zeit ansehen, darauf habt Ihr mein Wort. Es heißt aber nicht das damit schon etwas entschieden ist.“ „Habt vielen Dank General de Ronsard. Lebt wohl.“ „Lebt wohl General de Jarjayes.“ Als Monsieur de Jarjayes durch den Garten ging begegnete ihm Madame Dubarry, die Mätresse des Königs mit Ihrem Gefolge. Widerwillig verbeugte sich der General. Nicht das es ihn stören würde das der König sich eine Geliebte hielt. Auch ein König brauchte seine Zerstreuung. Doch das er dieses Frauenzimmer von bürgerlicher Herkunft, das angeblich sogar eine Prostituierte gewesen sein sollte, wie die Königin behandelt wurde, in Versailles lebte und Ihren eigenen Hofstaat hatte, war unerhört. Ihre Hofdamen waren kaum besser als ihre Herrin, dies sah man schon an ihrer Aufmachung. Eine von Ihnen trug einen so tiefen Ausschnitt das gerade einmal ihr Brustwarzen notdürftig bedeckt waren. Der Ärger des Generals wuchs als er feststellte das es sich dabei ausgerechnet um seine älteste Tochter Veronique de Jarjayes Comtesse de Fortune handelte. „Guten Tag Vater,“ begrüßte ihn Veronique. „Guten Tag mein Kind.“ „Vater es ist sehr gut das ich Euch treffe. Ich muss unbedingt mit Euch sprechen.“ „Ich mit dir auch Veronique. Führe uns bitte an einen ruhigen Platz.“ Da Madame Dubarry Veronique, die ihre beste Freundin war, möglichst oft in ihrer Nähe haben wollte, verfügte Veronique in Versailles über einen eigenen kleinen Salon, in den sie ihren Vater nun führte. „Wie geht es meinem Enkel?“ erkundigte sich der General. „Maurice ist wohl auf. Er ist nun schon sieben Jahre alt. Leider sehe ich mein Kind viel zu selten.“ Ob das „Leider“ ernst gemeint war ließ sich schwer deuten. Veronique ließ sich ungern in die Karten sehen. Sicher war jedenfalls das sie für ihren Gemahl nichts übrig hatte. Die beiden sahen sich so selten wie irgend möglich und es war davon auszugehen das sie nach der Geburt von Maurice froh darüber war, einen Sohn geboren und damit Ihre Pflicht erfüllt zu haben. „Vater bitte sagt mir, stimmt es das eine österreichische Prinzessin die Braut des Dauphin werden soll?“ Die Neugierde stand Ihr ins Gesicht geschrieben. Der General wurde blass. „Woher weißt du das? Diese Information sind streng geheim und entschieden wurde noch gar nichts.“ „Ich weiß es von Madame Dubarry und sie weiß es vom König selbst das er mit diesem Angebot aus Österreich fest rechnet.“ „Veronique, ich beschwöre dich, sage zu niemandem ein Wort davon. Es gehört noch gar nicht in die Öffentlichkeit.“ „Aber Papa was haltet Ihr davon? Eine Österreicherin die unsere Dauphine und nächste Königin werden soll! Nach allem was uns dieses Land angetan hat! Das darf doch einfach nicht wahr sein!“ Monsieur de Jarjayes dachte ähnlich wie seine Tochter. Doch er antwortete nur: „Veronique, dir steht es nicht zu einen königlichen Beschluss in irgend einer Weise anzuzweifeln. Alles geschieht so wie der König es wünscht.“ Veronique sah ein das ihr Vater für dieses Problem wohl der falsche Ansprechpartner war und schwieg zu diesem Thema. „Veronique, ich muss dich um etwas bitten.“ Erstaunt blickte Veronique ihren Vater an. Das er seine Kinder um etwas bat war noch nie vorgekommen. „Es geht um Oscar. Du bist doch mit Madame Dubarry befreundet. Lege bitte ein gutes Wort bei ihr für Oscar ein, damit sie den König bittet ihn auf der Offiziersakademie anzunehmen. Ich möchte das Oscar später in das Königliche Garderegiment eintritt.“ Veronique verspürte Oscar gegenüber eine Zuneigung wie zu keiner ihrer anderen Schwestern. Immerhin war sie dabei gewesen als Oscar auf die Welt kam. Und immer hatte es ihr einen Stich versetzt das Oscar kein Mädchen sein durfte. Jetzt sollte sie sich für etwas einsetzen wovon sie glaubte das es ihre Lieblingsschwester nur unglücklich machen würde. Sie war es aber leid ständig mit ihrem Vater deswegen zu zanken. Wahrscheinlich würde sein Ansinnen ohnehin vom König abgelehnt werden. Also antwortete sie: „Ich werde mit Madame Dubarry sprechen.“ „Ich danke dir Veronique,“ antwortete ihr Vater. Die verbleibenden Tage in Paris hatten sowohl Oscar und Andre als auch Catherine für sich zu nutzen gewusst. Jeden Tag machte sich Catherine mit Oscar und Andre an der Hand auf den Weg, unter dem Vorwand Paris anschauen zu wollen. Dort traf sie sich mit Frederic am Platz ihrer ersten Begegnung und ließ Andre und Oscar alleine durch die Stadt streifen. Die beiden verrieten Catherine nicht und Catherine fragte Oscar und Andre niemals was sie während ihres „Alleinganges“ gemacht hatten. Die beiden schlugen sich meist den Bauch mit Süßigkeiten voll, von dem Geld das ihnen Marguerite zusteckte, hörten den Straßenmusikanten zu, bestaunten die bunten Schaufenster und machten Weitspucken in die Seine. An ihre Abmachung nicht von der Hauptstraße abzugehen hielten sie sich. Immerhin war dies wirklich gefährlich. Inzwischen war es Samstag geworden und am Samstagabend wurde in Marguerites Familie, so wie in den meisten anderen Familien gebadet. In Marguerites Schlafzimmer, wo der Badezuber aufgestellt wurde, brannte ein warmes Feuer im Kamin. Als Oscar hereinkam saßen ihr Neffe Jules und ihre Nichte Jocelyn bereits vergnügt im Wasser. Zuerst verunsichert, dann neugierig kam Oscar näher heran. Es war das erste Mal das Oscar einen anderen Menschen, außer sich selbst, ohne Kleider sah. Im Palas de Jarjayes ging es nicht sehr freizügig zu. Beim morgendlichen Waschen und beim Bad am Samstagabend hatte immer nur Sophie ihr geholfen und seit sie acht Jahre alt war tat sie dies immer alleine. Doch offensichtlich sah man im Haushalt von Marguerite und Maxime diese Dinge weniger eng. „Oscar, wir baden!“ riefen Jules und Jocelyn fröhlich. „Komm doch rein zu uns,“ und übermütig begannen sie nach ihr zu spritzen. Marguerite trat in das Zimmer. „Nun ist es genug mit dem Geplansche! Die anderen möchten schließlich auch noch baden.“ Oscar sah neugierig in den Badezuber. Sofort entdeckte sie das Jocelyn unten so aussah wie sie selbst. Jules hatte an dieser Stelle jedoch etwas ganz anderes. Es sah aus wie...? Ein passender Vergleich fiel Oscar dazu nicht ein. Sie hatte immer gedacht alle Menschen sähen gleich aus. Verwirrt blickte sie ihre Nichte und ihren Neffen an. „Was hast du den Oscar?“ frage Marguerite. Doch Oscar gab ihr keine Antwort. Sie fühlte eine Sperre in sich ihre Schwester danach zu fragen. Abends im Bett vor dem Einschlafen ließ ihr das was sie entdeckt hatte keine Ruhe. „Andre, hast du schon einmal jemanden nackt gesehen, ich meine ohne Kleider?“ Andre überlegte. Natürlich hatte er das schon. Wenn die männlichen Bediensteten sich in der Waschküche badeten war Andre bis jetzt ganz selbstverständlich mit darin herum gelaufen. Aus Neugier hatte er sich auch ein paar mal, wenn die weiblichen Bediensteten mit Baden an der Reihe waren in die Waschküche „verirrt“, worauf diese anfingen nach ihm zu spritzen oder gespielt zu kreischen. Da er aber erst elf Jahre alt waren nahmen sie ihn wohl nicht wirklich ernst. „Weißt du,“ fuhr Oscar fort, „Marguerites Kinder sehen unten ganz verschieden aus. Sieht jeder Mensch unten anders aus?“ „Also wirklich!“ dachte sich Andre. Oscar wusste ja gar nichts obwohl sie schon zehn Jahre alt war. „Weißt du das ist so,“ erklärte er. „Die Kinder von deiner Schwester sehen unten unterschiedlich aus weil Jocelyn ein Mädchen ist und Jules ein Junge. Das ist doch wirklich einfach.“ Oscar dachte nach. Irgendetwas stimmte nicht. Sie überlegte: Jules ist ein Junge so wie ich, trotzdem sieht er anders aus. Jocelyn ist ein Mädchen hat aber das gleiche wie ich. Plötzlich hörte Oscar wieder Victores Stimme: „Mein Vater hat gesagt das du ein Mädchen bist.“ Oscar fiel es nun wie Schuppen von den Augen: Sie war ein Mädchen! Aber das war doch nicht möglich. Das musste ein Irrtum sein!. „Andre,“ rief sie fassungslos. „Andre wach auf! Ich glaube bin ein Mädchen!“ Erschreckt fuhr Andre nach oben. Er war gerade am einnicken gewesen. „Was sagst du da?“ „Ich glaube ich bin ein Mädchen. Ich habe unten das selbe wie Jocelyn. Victore de Girondelle hatte recht! Aber woher wusste er das?“ Sie sah vor sich wie die Dienstmädchen manchmal schnell zu tuscheln aufhörten wenn sie in ihre Nähe kam, wie die Dorfkinder ihr eigenartige Blicke zuwarfen wenn sie auf einem ihrer Ausflüge an ihnen vorbei ritt, so als wäre etwas an ihr seltsam. Und hatte nicht auch Monsieur Zidane, nachdem er sie aus dem Wasser gezogen hatte gesagt: Bringen wir „sie“ schnell in den Wagen. Auch Andre sah nicht überrascht aus. Hatten es vielleicht alle gewusst, alle außer ihr selbst? Oscar fühlte sich als würde ihre ganze Welt zusammenbrechen. Ihr war als wusste sie selbst nicht mehr wer oder was sie nun war. Plötzlich war sie in zwei Hälften gerissen. Die eine Hälfte fühlte sich als Junge, so wie sie auch erzogen worden war. Doch nun gab es auch die zweite Hälfte, die wusste das sie nicht das war, was sie nach außen zeigte. Das sie ein Mädchen war und eines Tages eine Frau werden würde. So wie ihre Mutter und ihre Schwestern. Dieses Gefühl der Zerrissenheit breitete sich von ihrer Seele auf ihren ganzen Körper aus. Heulend sprang Oscar in ihrem Nachthemd zur Tür hinaus. Wohin sie wollte wusste sie selbst nicht. Im Gang ließ sie sich wimmernd auf den Boden fallen. Auf ihr lautes Weinen hin kamen sämtliche Dienstboten im Haus zusammen gelaufen, und auch Marguerite, Maxime und Catherine waren in ihren Betten hochgefahren. „Oscar, was ist denn geschehen? Hast du schlecht geträumt?“ Marguerite drückte ihre kleine Schwester an sich. Oscar weinte nun so sehr das sie kein Wort heraus brachte. Alles brach aus ihr heraus. Auch Andre stand hilflos daneben. „Andre was hat er?“ fragte Marguerite. „Er hat herausgefunden das er ein Mädchen ist.“ „Andre hast du es ihm gesagt?“ streng sah Marguerite ihn an. Andre schüttelte schnell den Kopf. „Nein, es ist weil er Jules und Jocelyn beim Baden gesehen hat“. Marguerite hätte sich ohrfeigen können. Warum hatte sie Oscar nur mit hinein gelassen? Es war nur eine Frage der Zeit gewesen bis Oscar es merken würde aber nun war es ausgerechnet in ihrem Hause passiert. Oscar stieß Marguerite weg. „Du hast es auch gewusst? Ihr habt mich alle angelogen, nicht wahr? Du und Catherine und Andre. Maman und Papa und Sophie, ihr habt mich seit ich auf der Welt bin angelogen? Ich hasse euch alle!“ Oscar wollte niemanden mehr sehen. Sie fühlte sich von allen Menschen die ihr etwas bedeutet hatten verraten und verstand die ganze Welt nicht mehr. Wie konnte so etwas nur sein? Schließlich hob Maxime sie hoch und trug sie in sein Arbeitszimmer. Er hatte die Idee seines Schwiegervaters aus Oscar einen Knaben zu machen schon immer schwachsinnig gefunden und sich nur widerwillig eingefügt. Er setzt Oscar vor sich auf den Schreibtisch. „Und nun hol tief Luft und beruhige dich. Weinen hilft dir nun auch nicht weiter. „Wieso?“ fragte Oscar. Mehr brachte sie nicht heraus. „Dein Vater hat sich immer einen Sohn gewünscht. Als du geboren wurdest hat er beschlossen dir einen Knabennamen zu geben und dich wie einen Jungen zu erziehen. Man wollte es dir sagen wenn du ein wenig älter gewesen wärst. Aber nun hast du es eben selbst bemerkt.“ Bei sich dachte er das Oscar schon längst von selbst darauf gekommen wäre, wenn sie in einem etwas freizügigerem Haushalt aufgewachsen wäre. Es grenzte an ein Wunder das sie sich zehn Jahre lang für einen Jungen gehalten hatte. Oscar war nun von innen wie ausgetrocknet. Weder Tränen, noch Worte, noch irgend eine Regung wollten noch aus ihr heraus. „Oscar,“ sagte ihr Schwager. „Hör mir zu! Entscheide selbst was du möchtest. Wenn du weiterhin wie eine Junge leben möchtest so ist das in Ordnung. Aber wenn du irgendwann fühlst das du eine Frau bist, dann sprich bitte mit deinen Eltern.“ Oscar sah ihn an. Sie hatte sich nun einigermaßen gefasst. „Ich möchte eine Junge sein;“ sagte sie fest. Damit sprang sie vom Tisch herunter. Maxime nahm sie noch einmal in den Arm. „Dann schlafe gut Oscar. Es ist wieder alles gut.“ Maxime ging zu seiner Frau ins Schlafzimmer zurück. „Ich habe es Oscar erklärt. Ich hoffe sie kommt damit zurecht.“ „Arme Oscar,“ war alles was Marguerite dazu noch sagen konnte. Im Gästezimmer wartete bereits Andre auf sie. Zerknirscht sah er seine Freundin an. „Bitte sei mir wieder gut Oscar. Ich durfte es dir nicht sagen. Sonst hätte meine Großmutter ihre Stelle bei euch verloren und wir wären auf der Straße gestanden. Sei bitte wieder mein Freund.“ Oscar verstand Andre. Er hatte sie nicht mit Absicht belogen und konnte nichts dafür. „Es ist gut Andre. Ich verzeihe dir.“ Erleichtert atmete Andre aus. „Ich bin aber auf jeden Fall ein Junge und werde ein großer General, so wie es beschlossen war.“ Mit diesen Worten legte sich Oscar wieder zu Bett. Doch tief in ihrem Inneren blieb das schmerzliche Gefühl gespalten zu sein, wie ein verletzter Baum, in den der Blitz eingeschlagen hatte. Oscar sollte erst dann wieder ganz werden, bis sie den Mann ihres Lebens finden würde, der Mann der sie heil und zur Frau machen würde. Im Palas des Herzogs La Vauguyon saßen in dieser Nacht fünf Personen zusammen. Außer dem Herzog selbst waren die anderen vier, in dunkle Umhänge gehüllt, aus wappenlosen Kutschen gestiegen und durch einen kleinen Seiteneingang eingelassen worden. In dem Raum, in dem sie nun beisammen saßen, war die Stimmung zum Zerreißen gespannt. Mit dabei war die ehemalige Dauphine Maria Josepha. Sie war die Gattin des verstorbenen Sohns des Königs gewesen und Mutter des Dauphins von Frankreich. Neben ihr saß der Herzog La Vauguyon selbst, Veronique de Jarjayes Comtese de Fortune, der Graf de Meuron und der Marquise de Levigne. Die Mutter des Dauphins blickte finster drein. „Es stimmt also Madame de Fortune? Der König zieht wirklich eine Heirat zwischen der kleinen Österreicherin und meinem Sohn in Betracht?“ „Madame Dubarry meinte es wäre für den König bereits beschlossene Sache. Er möchte sich nur noch eine Weile zieren um vor den Österreichern das Gesicht zu waren.“ Maria Josepha hatte für Veronique nicht das Geringste übrig. Als Hofdame der Mätresse ihres Schwiegervaters, war sie ihr zutiefst zu wieder, so wie alles und jeder, der mit dieser, in ihren Augen unmöglichen Person, Umgang pflegte. Aber in dieser Sache war sie auf Veronique angewiesen. Der König besprach alle Angelegenheiten mit seiner Mätresse. Sie wusste bereits vor dessen Beratern schon von allem. Und dieses teilte sie unverzüglich ihrer ersten Hofdame und vermeintlich besten Freundin unter dem Mantel der Verschwiegenheit mit. Welch seltsame Angewohnheit Frauen doch hatten alles immer ihrer besten Freundin zu erzählen. „Eine Österreicherin am Hof von Versailles, die zudem noch meine Schwiegertochter werden soll, das ist gänzlich unmöglich. Ich habe für den Dauphin eine sächsische Prinzessin als Gemahlin ins Auge gefasst und habe vor meinen Willen auch durchzusetzen.“ Die anderen vier waren wie viele Leute in Frankreich tief antiösterreichisch eingestellt und fest entschlossen der Mutter des Dauphins bei ihrer Mission beizustehen. Mit den drei Männern verband Maria Josepha schon lange der Hass gegen das feindliche Land und der Unwille gegenüber ihrem Schwiegervater, dessen Entscheidungen sie nicht immer billigte. Veronique hatten sie sich mit ins Boot geholt, wegen ihrer Freundschaft zu Madame Dubarry. Da sie sich schon öfters in Versailles darüber geäußert hatte, wie „entsetzlich“ sie es fände, den Österreichern die Hand zum Frieden zu reichen, war sie als die ideale Person erschienen. „Nun, wenn wir uns alle darüber einig sind das wir eine Österreicherin als Dauphine und nächste Königin unseres schönen Frankreichs nicht zu lassen werden, können wir damit beginnen alles Nötige in die Wege zu leiten.“ Die anderen nickten ihr stumm zu. Um sich zurück zu ziehen war es ohnehin schon zu spät. Wer es jetzt noch wagen würde, würde sich mit einem Messer im Rücken in der Seine wiederfinden. Als Oscar, Andre und Catherine abreisten gab ihnen Marguerite einen Brief an ihre Mutter mit, in dem sie den unglücklichen Vorfall im Badezuber schilderte. Emilie de Jarjayes ließ Oscar rufen, erklärte ihr noch einmal alles und versicherte ihr das sie froh sein müsse, ein ganz anderes Leben führen zu können wie ihre Schwestern. Oscar pflichtete ihrer Mutter bei das es gut so wäre und sie auf gar keinen Fall ein Mädchen sein wolle. Insgeheim war Emilie froh das es vorüber war. Sie selbst hatte immer überlegt wie man Oscar die Wahrheit beibringen sollte. „Na siehst du Sophie,“ meinte sie am Abend. „Oscar hat gesagt sie wäre gerne ein Junge.“ „Sie kennt auch nichts anderes,“ schnaubte Sophie. „Aber nun, nachdem sie es weiß, brauchen wir wenigstens nicht mehr so tun als wäre sie ein Junge. Wir alle sind froh das diese alberne Komödie nun ein Ende hat.“ Als der General zurück kehrte und durch seine Frau von dem Vorfall erfuhr, wollte er zu nächst zu Schimpfen anfangen, doch war er ebenfalls erleichtert darüber, das Oscar es nun von selbst bemerkt hatte. Auch er hatte sich den Kopf darüber zerbrochen wie man Oscar „die etwas eigenen Umstände um ihr Geschlecht“ hätte erklären sollen. Zu Oscar selbst meinte er nur kurz und bündig wie es seine Art war: „Nun, ich habe gehört das du trotz allem eine Junge sein und Offizier werden möchtest. Ich wusste du würdest mich nicht enttäuschen.“ Doch seit diesem Tag war Oscar merkwürdig verändert. Das sonst so ausgelassene, fröhliche Kind war merklich ruhiger geworden und wirkte nun direkt forsch. Außerdem konnte sie nun ungewöhnlich stur sein. Es war als hätte sie auf einmal eine Fassade, unter der etwas verborgen war, das nicht nach draußen konnte. Als sie kurz nach ihrem zwölften Geburtstag feststellte das ihr winzige Brüste zu wachsen begannen, die leicht schmerzten wenn man sie berührte, blieb sie lange, fast schon andächtig vor ihrem Spiegel stehen und sah sich an. „Und wenn sie nicht gestorben sind dann leben sie noch heute,“ lass die Gräfin Brandeis den kleinen Erzherzögen und den kleinen Erzherzoginnen aus einem dicken, alten Märchenbuch vor. „Wie schön,“ rief Maria Antonia. „Ein richtiger Prinz der sich in sie verliebt hat und sie heiratet. Denkt ihr ich werde auch einmal einen Prinzen heiraten?“ „Aber natürlich,“ antwortete Maria Karolina. „Unsere Mutter ist die Kaiserin also bekommen wir alle einmal einen hübschen Prinzen.“ „Einen Prinzen schon aber einen mit einem Buckel und einer Warze auf der Nase, denn einen hübschen Prinzen bekommen auch nur hübsche Prinzessinen,“ meinte ihr Bruder Maximilian frech, worauf Maria Karolina ihren Stickrahmen, an dem sie während des Vorlesens arbeiten musste, nach ihm warf. Maximilian stieß einen wilden Schrei aus und wollte sich bereits auf seine Schwester stürzen, doch Gräfin Brandeis sprach eines ihrer seltenen Machtworte. „Nun ist es aber genug Maximilian. Wenn Ihr Maria Karolina im Gesicht verletzt werden ihr Heiratschancen so tief sinken das sie am Ende nicht einmal mehr der Gärtner nimmt.“ Lachend ließen die Geschwister voneinander ab. Doch Maria Antonia konnte nicht aufhören von dem Prinzen zu träumen der für sie bestimmt war. Mit offenen Augen lag sie am Abend im Bett. „Was für Augen er wohl hat und was für ein Lächeln? Wie er mich wohl ansehen wird, wie es klingen wird wenn er meinen Namen sagt? Ich kann es kaum erwarten ihm zu begegnen.“ Voller Vorfreude schlief sie ein. Ihren Märchenprinzen sollte sie eines Tages finden aber anders als sie es sich erträumt hatte. Auf sie wartete eine Liebe, die sie niemals sollte ausleben können, bis sie an ihr zerbrechen würde. Doch davon ahnte die Erzherzogin Maria Antonia noch nichts. Es waren noch wenige Jahre, in denen sie ihre Mädchenzeit unbeschwert genießen durfte. Mit ihrer sturen Art konnte Oscar vor allem ihren Vater zur Weißglut reizen. Im Sommer nach Oscars 12. Geburtstag rutschte dem General zum ersten Mal bei einem seiner Kinder die Hand aus. Die Familie war für einige Wochen in ihr Haus in der Normandie gefahren, dass Marguerites Ehemann ihnen bei ihrer Hochzeit geschenkt hatte. Neben Oscar, Catherine und ihren Eltern waren auch Veronique und Marguerite mit ihren Kindern mitgereist. Auch Andre durfte nicht fehlen, denn Oscar konnte sich nicht vorstellen die vier Wochen ohne ihren Freund zu verbringen. Andre war mit seinen dreizehn Jahren deutlich in die Höhe geschossen und da er sich seit einigen Monaten strikt weigerte, sich seine Haare von seiner Großmutter regelmäßig schneiden zu lassen, waren sie ihm inzwischen zu einer wilden, braunen Mähne gewachsen. Damit die Erwachsenen trotz der Kinderschar Ruhe und Erholung finden konnte wurde Sophie mitgenommen um ihre wachsamen Augen auf Veroniques Sohn Maurice, Jules und Jocelyn zu werfen. Die erste Woche verlief sehr harmonisch. Oscar und Andre verbrachen viel Zeit miteinander am Strand. Gelegentlich nahmen sie auch Oscars Nichte und ihre Neffen dazu mit, die begeistert darüber waren das die beiden „Großen“ für sie Zeit hatten. Inzwischen war Oscar für alle zu einer „sie“ geworden, lediglich der General blieb stur bei „er“ und „mein Sohn“. In der zweiten Woche wurde dem General durch einen Kurier eine Nachricht zugestellt. Freudig ließ er Oscar zu sich rufen: „Es ist eine Botschaft von General de Ronsard. Er ist ebenfalls hier in der Normandie um Erholung zu suchen. Er möchte dich kennen lernen. Nächste Woche am Montagnachmittag wird er hier sein. Das hast du Veronique zu verdanken, sie hat sicherlich bei Madame Dubarry ein gutes Wort für dich eingelegt und diese wiederum beim König. Du wirst dich von deiner besten Seite zeigen. Es geht um deine Aufnahme in die Offiziersakademie.“ Oscars sonst so ausgeglichenes Gesicht nahm einen mürrischen Ausdruck an. Und zum Entsetzen Reynier de Jarjayes gab sie ihrem Vater zum ersten Mal in ihrem Leben eine ungezogene Antwort. „Ich möchte aber General de Ronsard nicht kennen lernen. Und ich denke auch nicht das ich an diesem Nachmittag hier sein werde.“ Noch nie hatte eines seiner Kinder so gewagt mit ihm zu sprechen und vor Überraschung brachte der General noch nicht einmal ein Wort heraus. Nach einigen Sekunden, in denen er verarbeitete das jemand, dazu noch seine eigene Tochter, ihm derartige Wiederworte gab, lief er krebsrot im Gesicht an. „Was fällt dir ein? Du wirst anwesend sein und du wirst dich tadellos benehmen. Und wage es nicht etwas anderes zu tun.“ Und in seinem inneren Auffuhr packte er die zierliche Oscar an ihren schmalen Schultern und schüttelte sie mit aller Kraft. Seine Gemahlin hatte ihn schreien gehört und kam erschreckt in das Zimmer. „Reynier, lasst das Kind in Ruhe,“ rief Emilie de Jarjayes und wollte einschreiten, doch der General hatte Oscar bereits los gelassen. Oscar rannte so schnell sie konnte aus dem Raum und warf sich in ihrem Zimmer auf ihr Bett. In ihr brodelte es. Sie wollte nicht auf die Offiziersakademie und später schon gar nicht in die königliche Leibgarde, so viel stand für sie fest. Sie wollte nicht mehr das andere bestimmten was sie tat. Über die Angelegenheit wurde kein Wort mehr verloren. Am besagten Montag sagte der General lediglich: Vermutlich wir General de Ronsard auch etwas von deinen Fecht- und Schießkünsten sehen wollen. Also stell dich darauf ein.“ Oscar zeigte keine Regung. Als General de Ronsard ankam wurde er in den Salon geführt und Monsieur de Jarjayes ließ sofort eine Flasche seines besten Rotweines bringen. Genüsslich ließ sich de Ronsard das Getränk die Kehle hinunter laufen. „Ich bin nun doch etwas gespannt auf Oscar. Kaum zu glauben das ein Mädchen solche kämpferischen Qualitäten haben soll.“ „Ihr werdet erstaunt sein. Niemand wird bemerken das Oscar ein Mädchen ist. Ich habe sie ganz zum Soldaten erzogen.“ „Ihr kennt meine Meinung. Eine Frau gehört nicht in die Armee. Aber ich habe versprochen mir Oscar einmal anzusehen, da mich auch seine Majestät darum gebeten hat.“ General de Jarjayes schickte einen Diener Oscar zu rufen. Dieser kam geraume Zeit nicht zurück und als der General der Sache bereits auf den Grund gehen wollte kam Sophie völlig verdattert in den Raum. „Es tut mir so leid. Wir haben überall nach Oscar gesucht. Sie ist wie vom Erdboden verschwunden.“ „Was soll das heißen?“ fuhr der General auf. „Sie ist nicht in ihrem Zimmer, nicht bei Andre und wurde seit Stunden von niemanden mehr gesehen!“ Reynier de Jarjayes war Oscars Fehlen mehr als peinlich. „Du kannst gehen Sophie,“ brachte er noch hervor. Wie sollte er Ronsard die Sache nur erklären? „Nun, dann werde ich mich wohl auf den Weg machen. Es hat ja doch keinen Sinn.“ „Wartet,“ bat Monsieur de Jarjayes. „Bestimmt wird Oscar bald da sein.Vermutlich ist er ausgeritten und hat die Zeit vergessen.“ Nach zwei Stunden vergeblichen Wartens machte sich General de Ronsard.auf den Heimweg. Gerade als er von General de Jarjayes in die Halle geleitet wurde kam Oscar zu Tür herein. Sie befand sich in einem recht maroden Zustand. Ihr schulterlanges Haar stand ihr zerzaust vom Kopf ab. An einer Wange hatte sie eine dicke, rote Schramme und eines ihrer Hosenbeine hing zerfetzt herunter. „Oh mein Gott, Oscar,“ brachte der General hervor. „Oscar ist zurück,“ brüllte Maurice, der in der Halle gespielt hatte durch das Haus. Die gesamte Familie und die Dienerschaft kam angelaufen. Reynier de Jarjayes wünschte sich nur noch das sich der Boden unter seinen Füßen auftun und ihn verschlingen möge. Würde General de Ronsard nun bei Hofe berichten, dass es so in seiner Familie zuging? „Das ist mein Sohn Oscar Francoise de Jarjayes,“ stellte er endlich vor um wenigstens einen Rest Anstand zu wahren. General de Ronsard nahm Oscar in Augenschein. „So, du bist also Oscar, von der alle schon so viel erzählt haben?“ Da tat Oscar etwas womit niemand gerechnet hatte. Sie machte vor General de Ronsard einen tiefen Knicks und antwortete: „Lady Oscar, wenn ich bitten darf!“ „Lady Oscar....?“ „Ja, ich möchte von jetzt an von allen Lady Oscar genannt werden.“ „Nun, Lady Oscar, ich werde es mir merken und auch seiner Majestät so bestellen. Lebt wohl!“ General de Ronsard machte eine tiefe Verbeugung zu den Damen oben an der Treppe und verließ das Haus. An diesem Abend brach ein Unwetter über das Haus in der Normandie ein, wenn auch nicht vom Himmel droben sondern vom General. Er sah alles worauf er die letzten zwölf Jahre hingearbeitet hatte zusammenbrechen. Niemals würde Oscar mit diesem Betragen in die Offiziersakademie aufgenommen werden. Alle seine Pläne lagen als Scherbenhaufen vor ihm. „Wie konntest du nur Oscar? Wie konntest du einfach nicht erscheinen und dich dann auch noch so benehmen?“ „Ich habe Euch doch gesagt das ich an diesem Abend nicht zu hause sein werde.“ Das war zu viel für Reynier de Jarjayes. Mit aller Kraft holte er aus und verpasste Oscar eine solche Ohrfeige das sie beinahe das Gleichgewicht verlor. Ein deutlicher Handabdruck zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Oben auf der Treppe duckten sich alle als das laute Klatschen durch die Halle schallte. Immer hatte Reynier de Jarjayes darauf bestanden das Kinder nicht geschlagen werden durften und nun war ihm ausgerechnet bei Oscar die Hand ausgerutscht. „Verschwinde auf dein Zimmer und komme nicht mehr aus ihm heraus. Du hast bis zum Ende unseres Aufenthaltes hier Stubenarrest.“ Eine einzelne Träne hatte sich in Oscars Auge gelöst und rann über ihre brennende Wange. Da sie noch nie geschlagen worden war steckte der Schreck noch tief in ihr, doch vor allem war ihr Stolz verletzt, da es vor ihrer ganzen Familie, vor allem vor den drei Kleinen, geschehen war. Erhobenen Hauptes ging sie trotz ihrer schmerzenden Wange auf ihr Zimmer. „Arme Oscar! Tut sie euch nicht auch leid?“ fragte Marguerite mitfühlend. Doch Veronique antwortete: „Ich habe mir nur gedacht wie nobel das klingt.“ „Was meinst du damit?“ „Ihre neue Anrede, die sie sich gerade selbst ausgesucht hat. Lady Oscar, das hört sich richtig fein an.“ „Du hast recht,“ meinte Catherine. „Lady Oscar gefällt mir gut. Immerhin wird aus ihr nun auch eine richtige Lady.“ Im Moment wirkte Oscar wenig Ladylike. Wütend lag sie mit ihren Schuhen auf ihrem Bett und krallte ihr Finger in die Matratze. Sie würde es allen noch zeigen. Sie war kein kleines Kind mehr das tun musste was man ihr sagte. Irgendwann schlug die Müdigkeit wie eine Welle über ihr zusammen und sie fiel in einen unruhigen Schlaf. In dieser Nacht schlief niemand gut. Madame de Jarjayes und Sophie hielten die Sorgen um Oscar wach, Reynier de Jarjayes verbrachte die Nacht vor sich hin brütend im Salon, die Schwestern warfen sich in ihren Betten unruhig hin und her, die Kinder schliefen schlecht weil sie die Unruhe der Erwachsenen spürten und Andre konnte sein Mitgefühl für Oscar fast körperlich spüren. Er traute sich nur nicht zu ihr in ihr Zimmer zu gehen, aus Angst vor dem General den er über sich hin und her stapfen hörte. Oscar erschien nicht zum Frühstück, so wie es ihr befohlen worden war, doch Sophie machte ihr unverzüglich ein Tablett mit Leckereien zurecht. Von verhungern lassen war schließlich nicht die Rede gewesen. Aufgeregt ging Andre mit ihr mit. Mit seinen dreizehn Jahren hatte er Sophie von der Größe her bereits überragt, doch in der ganzen Aufregung hätte er sich seiner Großmutter am liebsten ans Schürzenband gehängt. Sein langes, braunes Haar hing ihm zerzaust über die Augen. Oscar und Andre umarmten sich so als hätten sie sich seit Wochen nicht gesehen. Doch Sophie hielt ihr sofort eine Standpauke. „Wie konntest du nur so etwas machen? Du bist deinem Vater Gehorsam schuldig. Du hast Schande über die ganze Familie gebracht! Sicherlich wird Monsieur de Ronsard in Versailles alles erzählen.“ Oscar wirkte keineswegs zerknirscht. „Warum hast du dich deinem Vater so widersetzt?“ fragte Andre neugierig. Er hätte das nie gewagt, so viel stand für ihn fest. Oscar sah in fest an. „Weil ich nicht mehr machen möchte was man mir sagt. Ich habe beschlossen meine eigenen Entscheidungen zu treffen.“ Andre nickte: „Du hast recht. Ich finde das mutig von dir.“ „Mutig, pah,“ schnaubte die Großmutter. „Du musst machen was dir dein Vater befiehlt. Und nun komm Andre wir gehen.“ Draußen meinte sie jedoch: „Ach Andre, ich kann Oscar verstehen. Sie spürt das sie nun eine junge Dame wird und welche junge Dame möchte schon in eine Uniform gesteckt werden? Es ist alles nicht recht aber das habe ich immer schon gesagt.“ Im Gang begegnete ihnen der General. Er hatte Sophies letzte Worte gehört, dennoch überhörte er sie, trotz seiner immer noch finsteren Laune. Lediglich Andre warf er einen strafenden Blick zu: „Himmel noch mal Andre, wie du herumläufst! Wenn du dein Haar schon so lange wachsen lassen musst, so binde es dir wenigstens mit einem Band nach hinten.“ Das sagte er in so einem Ton das Andre unverzüglich im Reisekoffer seiner Großmutter nach einem brauchbaren Band suchte und seine Haare fortan in einem Pferdeschwanz trug. Ihre restlichen Ferien verbrachte Oscar in ihrem Zimmer. Hatte sich Reynier de Jarjayes einmal etwas vorgenommen so wurde es auch in die Tat umgesetzt. Das Essen brachte ihr Sophie, ansonsten durfte niemand hinein, selbst Andre nicht. „Reynier seid bitte nicht so streng zu ihr,“ bat Madame de Jarjayes. „Gewiss, sie hat sich unmöglich benommen aber bedenkt das sie noch ein Kind ist.“ „Sie bleibt wo sie ist,“ bestimmte der General. „Wenn ich nur daran denke das so etwas vor General de Ronsard passiert ist. Eigentlich hätte Oscar eine viel empfindlichere Strafe verdient.“ Oscar lass viel in ihren Büchern und übte sie auf ihrer Geige, obwohl sie das ansonsten eher ungern tat. Andre schrieb ihr als treuer Freund kleine Nachrichten, die er ihr unter der Tür zuschob und Oscar antwortete ihm auf dem selben Weg. „Liebe Oscar, die drei Kleinen haben von deinem Vater heute Reitstunden erhalten. Es hat ihnen wunderbar auf den Ponys gefallen. Meine Großmutter genehmigt sich neuerdings jeden Abend ein Gläschen Schnaps. Sie sagt sie braucht dies um ihre Nerven zu beruhigen. Als Kindermädchen zu arbeiten strengt eine Frau in ihrem Alter zu sehr an. Es stimmt, die drei Kleinen sind unerträglich. Ständig stellen die etwas an. Deine Mutter und deine Schwestern sitzen nur über ihren Stickrahmen und trinken Tee und dein Vater hat wieder begonnen über militärischen Strategien zu grübeln, obwohl er Urlaub hat. Ich reite jeden Tag alleine an den Strand. Ohne die machen die Ferien keinen Spaß. Du fehlst mir, dein Andre.“ Oscar antwortete ihm auch stets: „Lieber Andre, vielen Dank für deine Nachrichten. Ich wünschte ich könnte jeden Tag mit dir reiten. Sophie mit Schnaps? Das muss ich mir unbedingt ansehen sobald ich wieder frei bin. Du fehlst mir auch, Deine Oscar.“ Selbstverständlich entdeckten die Erwachsenen rasch das Andre Nachrichten durch den Türspalt schob und ebenso das vor Oscars Tür immer wieder ein weißes, zusammengefaltetes Papierblatt lag, das Andre, der ungewöhnlich oft an ihrem Zimmer vorbei ging, in seiner Tasche verschwinden ließ. Ihr Nachrichtenaustausch wurde ihnen jedoch stillschweigend gewährt. Einmal machte sich auch Maurice daran auf diesem Weg einen Brief an Oscar zu schreiben. Er holte sich eine Feder und Papier vom Schreibtisch des Generals und schrieb mit seiner Kinderschrift: „Liebe Oscar, bitte komm bald wieder heraus. Mir gefällte es in der Normandie viel besser wenn du mit dabei bist. Mit niemandem kann man so schön spielen wie mit dir. Ich habe dich sehr lieb, dein Neffe Maurice.“ Diesen Brief schob er ebenfalls durch den Türschlitz, so wie er es bei Andre gesehen hatte. Als er sich leise davon schlich hörte er wie Oscars Zimmertür geöffnet wurde. Überrascht drehte er sich um und sah wie Oscar ihren Kopf heraus streckte und ihm zublinzelte. Trotz alle der Aufmunterung wurde es Oscar bald sterbenslangweilig. Weil sie fast den ganzen Tag nur auf dem Bett herum lag war sie Nachts auch kaum noch müde und beobachtete oft stundenlang den Mond und die Sterne. Es war stockfinstere Nacht. Am Himmel stand nur eine kleine Mondsichel. Doch unten im Garten entdeckte Oscar etwas leuchten. Eine dunkle Gestalt mit einer Laterne in der Hand ging leise durch den Garten. Oscar wurde neugierig. Wer mochte sich um diese Zeit bei ihnen nur herum treiben? Ob sie nachsehen sollte? Viel zu lange hatte sie schon in diesem Zimmer gesteckt. Alle schliefen tief und fest. Niemand würde es bemerken wenn sie sich auch in den Garten hinunter schlich. So öffnete sie leise ihre Zimmertür, tastete sich so leise wie möglich durch den dunklen Gang und in die Speisekammer des Hauses. Dort war ein kleines Fenster das sie unbemerkt öffnen und hinaus klettern konnte. Draußen zog Oscar tief die warme Sommernachtsluft ein und schmeckte den leichten Salzgeschmack der immer in der Luft lag. Wie gut das nach der langen Gefangenschaft tat. Dann besann sie sich weshalb sie draußen war und tappte in die Richtung aus der sie das Licht gesehen hatte. Da die Nacht so dunkel war kam sie nur langsam vorwärts. Bald hörte sie Stimmen. Wenn sie nur nicht entdeckt wurde! Oscar legte sich flach auf den Boden und robbte zu den nächstgelegenen Büschen, hinter denen sie sich verbergen konnte. Vorsichtig spähte sie durch die Zweige hindurch. Im Schein der Laterne, die nun auf dem Boden stand, entdeckte sie eine Gestalt im schwarzen Umhang, die auf einer Bank saß. Es musste die selbe Person sein die sie bereits von ihrem Fenster aus beobachtet hatte. Neben ihr stand ein ebenfalls dunkel gekleideter Mann. Die Person im schwarzen Umhang begann zu sprechen und Oscar bemerkte das es sich bei ihr um eine Frau handelte. Um eine Frau die sie sehr gut kannte. Es war ihre Schwester Veronique. „Meine liebe Freundin Dubarry hat mir geschrieben. Die Ehe zwischen dem Dauphin und der Erzherzogin Maria Antonia ist nun beschlossene Sache. Es wird geplant das sie auf neutralem Boden von einer französischen Abordnung empfangen und nach Frankreich geleitet werden soll. Ich denke das wäre der passende Moment für das Attentat.“ Der Mann antwortete: „Gebt mir Bescheid sobald ihr wisst an welchem Ort der Empfang stattfinden soll. So werden wir rechtzeitig Leute anheuern, die Maria Antonia ermorden. Es muss alles bis in das kleinste Detail geplant werden, wenn unser Vorhaben gelingen soll.“ Voller Angst schlich sich Oscar zurück durch das Speisekammerfenster wieder in das Haus. Ihre Schwester und der fremde Mann im Garten wollten die Braut des Dauphins töten! Das war doch nicht möglich. Mit zitternden Beinen lag Oscar im Bett und konnte jetzt erst recht nicht schlafen. Sicher war eines: Sie durfte niemals jemanden etwas von dem was sie im Garten gehört hatte erzählen. Sonst würde man Veronique aufhängen. In Gedanken sah sie ihre Mutter und ihre Schwestern in ihre Taschentücher weinen und wie Sophie immer wieder jammern würde: „Die arme Madame Veronique, die arme Madame Veronique,“ um schließlich vor Aufregung an einem Herzinfarkt zu sterben. Sie hörte auch die wütende Stimme des Generals, wie er toben würde: „Sie hat der Familie de Jarjayes Schande gemacht,“ und sah vor sich Maurices kleine Gestalt, mit großen, verweinten Augen, der dann keine Maman mehr hätte. Voller Angst um ihre Schwester und vor dem was bald passieren würde starrte Oscar in die dunkle Nacht. Kapitel 4: Nosce te ipsum ------------------------- Draußen herrschte bittere Kälte an jenem Wintertag, drei Wochen vor Oscars dreizehntem Geburtstag. Die Familie de Jarjayes hatte es sich vor dem Kaminfeuer gemütlich gemacht. Madame de Jarjayes saß am Sekretär und schrieb einen Brief an eine Freundin. Catherine stand müßig am Fenster und sah in den trüben Tag hinaus. Der General las in einem Buch und Oscar hatte sich an das ihr verhasste Klavier gesetzt. Seit ihrem neunten Lebensjahr erhielt sie Klavierstunden, übte jedoch so lustlos und widerwillig, dass ihr Vater den Klavierlehrer nicht mehr kommen ließ. Trotzdem bestand er darauf das Oscar wenigstens ab und zu ein kleines Stück spielte, denn im Gegensatz zu Catherine, die nicht das geringste Taktgefühl besaß, hatte Oscar durchaus Talent. Reynier de Jarjayes hoffte noch immer in Oscar die Liebe zur Musik wecken zu können. Bis auf Oscars verdrießlichen Gesichtsausdruck war es in der Familie de Jarjayes ungewöhnlich friedlich. Doch dieser Friede sollte wie so oft nicht lange währen. Unwillkürlich legte der General sein Buch bei Seite und wandte seinen Kopf in Catherines Richtung. „Sicher wird es dich interessieren Catherine, das ich nun endlich einen passenden Heiratskandidaten für dich gefunden habe. Du wirst nächstes Jahr neunzehn Jahre alt und wir haben gewiss viel zu lange damit gewartet. Aber du als meine jüngste Tochter, die ich noch zu verheiraten habe, sollst eine glänzende Partie machen.“ Catherine sah weiter starr aus dem Fenster und gab ihm keine Antwort. Oscar hatte aufgehört die Tasten des Klaviers lustlos zu bearbeiten. „Du bist so still. Interessiert es dich nicht wer bei mir um deine Hand angehalten hat?“ In diesem Moment klopfte es an der Türe und Laurent, General de Jarjayes Leibdiener, trat ein. „Madame und Monsieur de Jarjayes, Eure Tochter Comtesse Veronique de Fortune ist so eben eingetroffen.“ „Veronique ist hier?“ fragte Madame de Jarjayes freudig überrascht. „Wir lassen bitten.“ Kurz darauf betrat Veronique den Raum um ihre Eltern und Geschwister zu begrüßen. Oscar lief ein leichter Schauder über den Rücken. Sie konnte nicht vergessen wie ihre Schwester im vergangenen Sommer, mit dem fremden Mann im Garten, die Ermordung der zukünftigen Dauphine geplant hatte. Weil der Gedanke daran gar so schrecklich war, versuchte sie ihn vergeblich zu verdrängen. Doch sie konnte ihn nicht vergessen, besonders jetzt nicht, da sie nun ihre Schwester wieder sah. Veronique machte einen sehr erschöpften Eindruck. Sie war blass, um ihre Mundwinkel hatten sich feine Fältchen gebildet und sie wirkte als hätte sie mehrere Nächte nicht geschlafen. Dennoch umarmte sie ihre Eltern und ihre jüngeren Schwestern. „Was führt dich zu uns, Veronique?“ fragte ihr Vater. Wie alle in der Familie war er gespannt was seine Tochter wohl aus Versailles und in ihr Elternhaus getrieben haben könnte. Angespannt ließ sich Veronique auf einen Sessel sinken. „Ich habe es in Versailles nicht mehr ausgehalten und Madame Dubarry um Urlaub gebeten. All dieses Getuschel über mich und die bösen Blicke...“ Verstohlen tupfte sie sich mit einem Taschentuch ein paar Tränchen aus den Augen. „Aber was gibt es denn über dich zu tuscheln?“ fragte Emilie de Jarjayes. „Mein Gemahl der Comte hat sich duelliert.“ „Um Gottes willen!,“ fuhr ihre Mutter auf. „Mit wem um alles in der Welt hatte er ein Duell?“ „Er hat General de Ronsard herausgefordert.“ „General de Ronsard? Wie kam er auf so einen Gedanken?“ Zuerst wollte sich Veronique in Schweigen hüllen, doch dann dachte sie das ihre Eltern ohnehin alles erfahren würden, sei es beim nächsten Ball oder einer von Madame de Jarjayes Teegesellschaften. Und so antwortete sie wahrheitsgemäß: „Weil er General de Ronsard und mich miteinander im Bett erwischt hat.“ Empört schnappte Madame de Jarjayes nach Luft und zückte ihr Riechsalz. „Veronique, wie konntest du das tun? Hättest du dabei nicht wenigstens an unsere Familie denken können? Was ist das für ein Benehmen für eine Tochter aus dem Hause de Jarjayes?“ fuhr nun Monsieur de Jarjayes auf. Er war im Gesicht zornesrot geworden. „Fangt nun nicht auch noch an deswegen mit mir zu streiten. Ich wollte zuerst zu Marguerite aber Maxime hat mich hinausgeworfen als er alles erfahren hat.“ Der Blick des Generals fiel Oscar und Catherine, die sich mucksmäuschenstill verhielten aber dem ganzen Gespräch gebannt folgten. „Oscar, Catherine, hinaus mit euch! Wir haben unter uns zu sprechen.“ Widerstandslos aber enttäuscht gingen die beiden nach draußen. Immer wurden sie davon geschickt wenn es interessant wurde! „Vater ist sehr wütend,“ meinte Oscar. „Er wird in nächster Zeit noch viel mehr Grund dazu haben,“ sagte Catherine mit einem seltsamen Ton in der Stimme. „Wie meinst du das?“ „Warte es ab.“ Mit diesen Worten ließ Catherine ihr Schwester stehen. Die eisige Stimmung im Hause ließ Oscar keine Ruhe. Um auf andere Gedanken zu kommen machte sie sich am Abend auf den Weg in den Dienstbotentrakt, wo sie bei Andre ein wenig Ablenkung finden wollte. Auf dem Weg dorthin dachte sie für sich: „Oft wüsste sie nicht was ich ohne einen Freund wie Andre machen sollte.“ Die Dienerschaft saß noch nach dem Abendbrot in der Küche gemütlich beisammen. Einer der Diener hatte seine Ziehharmonika geholt und stimmte ein fröhliches Lied an. Oscar kam zu dem Entschluss, dass sie das mehr aufmuntern würde, wie wenn Andre und sie sich miteinander zurück zögen und setzte sich mit dazu. Nach einigen Liedern kam Danielle, die Zofe von Veronique, hinunter. „Wer von euch ist Philippe, der Kutscher?“ fragte sie. Philippe erhob sich. „Ich bin das.“ Er antwortete etwas langsam, da er dem Rotwein bereits ausgiebig zugesprochen hatte. „Meine Herrin schickt mich mit einer Nachricht zu dir, die unverzüglich überbracht werden soll.“ Damit übergab sie Philippe einen versiegelten Brief und verließ rasch wieder den Raum. Kaum war die Zofe verschwunden, begannen die Männer in der Küche zu grölen. „Sicherlich eine Nachricht an ihren Liebhaber! Da würden wir gerne einen Blick hinein werfen.“ Die Frauen kicherten, doch dann viel ihnen ein das Oscar mit ihnen am Tisch saß und sie verstummten. Philippe stand auf um seinen Mantel zu holen und seinen Auftrag zu erfüllen. „He, Philippe! An wen ist denn nun der Brief?“ Den alten Pferdeknecht zerriss es beinahe vor Neugierde. „Eigentlich dürfte ich euch das gar nicht sagen aber ich kann euch beruhigen. Er ist nicht an General de Ronsard.“ „Nanu, noch mehr Liebhaber?“ „Er geht an einen Herzog La Vauguyon.“ „Der Name sagt mit nichts.“ „Aber natürlich,“ rief Oscar. „Ich habe schon von ihm gehört. Er ist der Hauslehrer des Dauphins. Einmal habe ich mitbekommen wie mein Vater über ihn gesprochen hat.“ „Da treibt es Madame Veronique also auch noch mit dem Hauslehrer des Dauphins,“ kicherte das Hausmädchen Paulette. Ein Rippenstoß von Sophie traf sie, die mahnend ihren Kopf in Oscars Richtung drehte. Niemand ahnte glücklicherweise das die Dinge, die Veronique und der Herzog La Vauguyon miteinander austauschten, weit gefährlicher waren als eine Liebschaft. Vor dem Einschlafen ging Veroniques Brief Oscar noch einmal durch den Kopf. „Der Herzog La Vauguyon? Was kann Veronique bloß von ihm wollen?“ Darüber schlief sie ein. Der nächste Tag sollte noch mehr Besucher in das Palas de Jarjayes bringen. Der Morgen begann so gewöhnlich wie immer, nur das nun Veronique mit am Frühstückstisch saß. Madame de Jarjayes war dazu übergegangen, wieder das Wort an ihre Tochter zu richten, trotz der skandalösen Angelegenheit in die sie verwickelt war. Selbst der Reynier de Jarjayes hatte sich dazu herabgelassen Veronique wenigstens wieder mit einem „Guten Morgen“ zu begrüßen. Immerhin hing es sehr von General de Ronsard ab ob Oscar, nach ihrem unmöglichen Auftritt ihm gegenüber, die Offiziersakademie besuchen konnte. Vielleicht würde seine Liaison mit Veronique seinen Groll auf die Familie de Jarjayes besänftigen. Von diesem Standpunkt aus gesehen erwies sich seine älteste Tochter als durchaus nützlich. Auch wenn er das niemals zugeben würde. Als Oscar und Andre am Nachmittag miteinander ausritten, kam ihnen ein Reiter in einem einfachen Umhang entgegen. „Wer ist denn bei der Kälte unterwegs?“ wunderte sich Andre. „Scheinbar sind wir nicht die einzigen Verrückten.“ „Er reitet in die Richtung von Palas de Jarjayes,“ viel Oscar auf. Als der Reiter näher kam, erkannten sie das es Frederic Gaspard war. „Er wird wohl seine Eltern besuchen wollen,“ überlegte sich Oscar. „Aber weshalb reitet er dann in unsere Richtung? Zum Bauernhof der Gaspards hätte er die andere Abzweigung nehmen müssen.“ „Er wird wohl Catherine heimlich besuchen wollen,“ grinste Andre. „Was sagst du da?“ „Ja, die beiden schreiben einander immer noch. Ich habe es unten in der Küche mitbekommen. Catherine besticht Paulette mit ihren abgelegten Kleidern, damit diese ihr seine Briefe unauffällig bringt. Ihre Briefe an ihn nimmt Paulette immer mit nach Paris, wenn sie dort ihre Verwandten besucht.“ „So ist das also,“ murmelte Oscar. Offensichtlich gingen im Palas de Jarjayes mehr Dinge vor sich als sie ahnen konnte. „Guten Tag, Monsieur Oscar. Oh, verzeiht! Catherine hat mir geschrieben das Ihr Euch für Lady Oscar entschieden habt. Mit Verlaub gesagt passt das auch wesentlich besser zu Euch.“ Frederic Gaspard lächelte sie freundlich an. „Guten Tag Andre, alles in Ordnung bei dir?“ „Immer doch,“ versicherte Andre. „Triffst du dich mit Catherine? Pass lieber mal auf das Monsieur und Madame de Jarjayes nicht dahinter kommen.“ „Wenn du es genau wissen willst bin ich auf dem Weg zum Palas de Jarjayes um mit General de Jarjayes zu sprechen.“ „Mit meinem Vater?“ fragte Oscar erstaunt. „Ja, mit eben diesem. Ich möchte ihn um die Hand Eurer Schwester Catherine bitten. Nächstes Jahr werdet ihr meine Schwägerin sein Lady Oscar.“ Mit diesen Worten ritt er weiter. Oscar und Andre blieben wie angewurzelt mit ihren Pferden stehen. „Das nenne ich doch einmal richtigen Mut. Er wagt sich in die Höhle des Löwen,“ sagte Andre anerkennend. Oscar nickte. „Aber auch wenn er noch so mutig ist wird mein Vater nie sein Einverständnis dazu geben. Es ist wohl besser wir reiten sofort zurück und warnen Frederic.“ Oscar spürte einen leichten Druck im Bauch. Ihr schwante nichts Gutes für die nächsten Tage. Erst Veroniques Affäre, dann der unziemliche Heiratsantrag Frederics. Die Laune des General würde unerträglich sein und das bedeutete das es zuhause sehr ungemütlich werden würde. Schnell ritten sie Frederic hinterher. Im Stall übergaben sie ihre Pferde dem Pferdeknecht. Meistens kümmerten sie sich selbst um ihre Pferde, auch Oscar, denn ihr Vater war der Ansicht, dass ein guter Reiter, selbst wenn er adliger Herkunft war, wissen sollte wie ein Pferd gesattelt und versorgt werden musste. Aber heute hatten sie es eilig Frederic einzuholen. Sie kamen gerade noch rechtzeitig, denn Laurent führte ihn bereits durch das Haus in das Arbeitszimmer des Generals. Frederics Selbstsicherheit war ein wenig geschwunden. Andre erinnerte sich noch gut daran, wie es ihm ergangen war, als er selbst das erste Mal den Luxus im Palas de Jarjayes gesehen hatte. „Frederic, bitte wartet,“ rief Oscar. Der junge Mann drehte sich um. „Bitte überlegte es Euch nochmal. Mein Vater wird niemals zustimmen. Er wird sehr ungehalten über Euch werden.“ Frederic sah Oscar durchdringend an. „Ich muss es aber tun. Eure Schwester ist meine große Liebe und die große Liebe lässt einen Standesunterschiede vergessen und die verrücktesten Dinge machen. Das werdet Ihr später selbst erfahren wenn Ihr Eure große Liebe gefunden habt.“ Damit war er nach Laurents Anklopfen und dessen Anmeldung in Monsieur de Jarjayes Arbeitszimmer verschwunden. Oscar und Andre nahmen im Gang auf der Treppe platz, obwohl es dort recht kühl war, aber sie konnten sich vor Anspannung nicht von der Türe des Arbeitszimmers entfernen. Um sich ein wenig abzulenken, beschloss Andre für sich die Minuten zu zählen, bis sie den General brüllen hören würden. Mit bis zum Hals klopfendem Herzen trat Frederic ein. „Ich wünsche Ihnen einen Guten Tag General de Jarjayes.“ „Guten Tag, Frederic. Aber mittlerweile muss ich wohl Monsieur Gaspard sagen. Bitte setzt Euch.“ Frederic nahm Platz. Nun spürte er auch wie sehr seine Knie zitterten. „Was führt Euch zu mir? Ist etwas mit Euren Eltern geschehen? Brauchen sie vielleicht Hilfe?“ „Meinen Eltern geht es gut, vielen Dank. Ich habe ein anderes Anliegen.“ Er holte einen kurzen Moment Luft, während ihn der General im Moment noch wohlwollend ansah. „Ich möchte Euch hiermit um die Hand Eurer Tochter Catherine de Jarjayes bitten.“ „Wie bitte?“ Der General wirkte so verdutzt, als hätte jemand einen Kübel mit eiskaltem Wasser über seinem Kopf ausgekippt. Er glaubte nicht was er da gerade gehört hatte. Frederic wäre am liebsten davon gelaufen. Doch er musste nun durchziehen was er begonnen hatte. Immerhin ging es dabei um ihn und Catherine und ihr gemeinsames Glück. „Ihr wisst sicherlich das mein Onkel in Paris mich bei sich aufgenommen.hat. Ich werde nächstes Jahr meine Schreinerlehre bei ihm beenden. Er möchte mir seine Werkstatt überschreiben. Ich kann also gut für Catherine sorgen.“ Genau nach diesem Satz hörte man die Stimme General de Jarjayes durch das Haus dröhnen: „So eine Unverschämtheit! Bist du denn ganz richtig im Kopf? Scher dich hinaus und lass dich hier nie wieder blicken!“ Auf den Treppenstufen zuckten Oscar und Andre zusammen. „Eine Minute und einundzwanzig Sekunden,“ sagte Andre. „Wie bitte?“ fragte Oscar verständnislos. „Ich habe mitgezählt wie lange es dauern wird bis wir deinen Vater brüllen hören. Es hat genau eine Minute und einundzwanzig Sekunden gedauert.“ Die Türe des Arbeitszimmers wurde aufgerissen und Frederic flog in hohem Bogen hinaus und knallte im Gang auf die harten Marmorfliesen. In diesem Moment kam Catherine angelaufen. Sie musste erfahren haben das Frederic gekommen war um mit ihrem Vater zu sprechen. „Frederic, oh nein!“ Catherine ließ sich neben ihm auf den Boden fallen und nahm ihn in die Arme. „Catherine was fällt dir ein?“ „Bitte, Vater! Frederic und ich lieben uns! Wir haben uns vor zwei Jahren in Paris näher kennen gelernt als ich bei Marguerite auf Besuch war. Ich möchte nur Frederic heiraten und sonst niemanden.“ Der General überlegte fieberhaft um welchen Besuch es sich dabei handelte. Dann viel ihm ein das es der verdammte Aufenthalt gewesen sein musste, der von seiner Gattin gestattet worden war, auf dem Oscar fest gestellt hatte ein Mädchen zu sein. Wenn man nicht überall seine Augen hatte... Aber diesem frechen Lausebengel Frederic würde er nun eine Lektion erteilen lassen, so das er für den Rest seines Lebens wissen musste wohin er gehörte! Da entdeckte er Oscar und Andre. Die beiden steckten wirklich immer gerade dort wo man sie am wenigsten gebrauchen konnte. „Verschwindet! Was geht euch beide das schon wieder an?“ So schnell sie konnten rannten Oscar und Andre die Treppen hinunter und trotz der Kälte hinaus in den Stall und die Leiter zum Heuboden hinauf, wo sie sich im wärmenden Heu vergruben. Kurz darauf hörten sie in ihrem Versteck Stimmen. „Lass uns durch die Luke hinaus sehen,“ schlug Oscar vor. Draußen sahen sie wie drei Diener der Familie de Jarjayes Frederic mit sich in den Hof hinaus schleppten. Laurent war mit dabei. Er trug in seiner Hand eine lange Kutscherpeitsche. Oscar stockte der Atem. „Sie werden ihn doch nicht auspeitschen?“ fragte Andre eben so fassungslos wie Oscar. „Mit aller Wahrscheinlichkeit,“ sagte Oscar kleinlaut. Frederic war so mutig gewesen und nun wurde er dafür bestraft. Es war so ungerecht! Unerwartet ließen die drei Männer Frederic los. „Und nun verschwinde,“ meinte Laurent. Ungläubig sah Frederic ihn an. „Hast du nicht gehört?“ Hastig drehte Frederic sich um und lief in den Stall um sein Pferd zu holen „He,“ rief Laurent. „Du solltest langsam gehen und ein bisschen hinken. Immerhin hast du gerade eine Tracht Prügel bezogen.“ Frederic befolgte dessen Rat und machte sich betont schleppend auf den Weg in den Stall. Bevor er davon ritt blieb er vor Laurent stehen und sah ihn noch einmal an. „Danke,“ sagte er nur und verschwand im Dämmerlicht des hereinbrechenden Abends. Auch die drei Diener kehrten um. Als sie an der Luke des Heubodens vorbei kamen, hinter der sich Andre und Oscar versteckt hatten, hörten die beiden wie einer der Männer sagte: „Armer Kerl! Unsere Mademoiselle Catherine ist eben nur allzu hübsch. Aber was hat er sich nur dabei gedacht?“ „Liebe kennt eben keine Grenzen,“ meinte ein anderer und damit gingen sie lachend weiter. „Ich kann es einfach nicht verstehen,“ sagte Oscar. „Marguerite hat doch ebenfalls einen Bürgerlichen geheiratet und Vater hat die Ehe sogar arrangiert.“ „Maxime hat auch so viel Geld wie Heu und Frederic ist eben nur ein Schreiner,“ meinte Andre. Oscar verspürte Mitleid mit ihrer Schwester und mit Frederic. Noch viel mehr aber nagte in ihr das Bewusstsein der großen Ungerechtigkeit, unter der die beiden zu leiden hatten. Zum ersten Mal in ihrem Leben machte sie sich darüber Gedanken, dass offensichtlich nicht alle Menschen gleich behandelt wurden. Es gab einen Unterschied zwischen dem Adel und den Bürgerlichen. Dieser Unterschied war wie eine Grenze, bei deren Übertreten sofort eine schwere Strafe winkte. Irgendwann wurde es im Stall so kalt das Oscar und Andre nichts anderes mehr übrig blieb als zurück ins Haus zu gehen. Als Oscar am Arbeitszimmer ihres Vaters vorbei kam hörte sie einen furchtbaren Schrei. Es klang nach Catherine.Gewiss neigte ihre Schwester gelegentlich dazu leicht hysterisch zu werden, doch so einen Schrei hatte sie noch nie von ihr gehört. Kurz darauf folgte ein Poltern, wie wenn etwas umgestoßen würde und das Klirren von zerbrochenem Glas. Erschreckt überlegte Oscar was sie nur unternehmen sollte. Irgendetwas Furchtbares passierte hinter dieser Tür. „Ihr seid nicht mehr mein Vater, ich verabscheue Euch,“ schrie Catherine. Die Türe öffnete sich und General de Jarjayes schleifte Catherine am Arm hinter sich her und warf sie hinaus in den Gang, wie eine halbe Stunde zuvor Frederic, so das sie dort gegen die gegenüberliegende Wand fiel. „Du wirst tun was ich dir sage. Noch vor Weihnachten heiratest du denjenigen den ich für dich ausgesucht habe, das wird dir dann schon die Flausen aus dem Kopf treiben. Und wenn Frederic Gaspard sich noch einmal in deine Nähe wagen sollte, dann lasse ich ihn in das nächstbeste Gefängnis werfen!“ Mit einem lauten Knall warf der General die Türe hinter sich zu. „Catherine, bitte weine nicht...,“ versuchte Oscar ihre große Schwester zu trösten. „Lass mich zufrieden,“ schluchzte Catherine und lief davon. Oscar tat das Herz weh, als sie ihre Schwester so unglücklich sah. Sie hätte ihr gerne geholfen aber wusste nicht wie. In seinem Arbeitszimmer hatte sich der General ein Glas Brandy eingeschenkt. Die Wut in seinem Inneren musste irgendwie besänftigt werden. Allmählich verspürte er das dringende Bedürfnis seine Töchter mit einem Seil, an dessen Ende in schwerer Stein hinge, alle am Halse aneinander zu binden und in die Seine zu werfen! Es kam ihm so vor als hätte man mit seinen Kindern nichts als Ärger. Es klopfte an der Tür und auf das „Herein“ Reynier de Jarjayes betrat Laurent das Arbeitszimmer. „Hat der Bauernlümmel seine Lektion erhalten,“ erkundigte er sich. „Ja, das hat er,“ log Laurent. „Aber ich bin gekommen um Euch den Besuch Eurer Tochter zu melden.“ Der General verschluckte sich an seinem Brandy. „Meine Tochter?“ fragte er fassungslos. „Welche Tochter denn nun schon wieder? Ist es vielleicht Marguerite? Himmel noch mal! Was will sie denn nur?“ „Nein Monsieur, es handelt sich um Schwester Juliette.“ Reynier de Jarjayes stöhnte. Seine vierte Tochter Juliette war einem Franziskanerorden beigetreten, was er inzwischen erfolgreich verdrängt hatte. Doch nun stand sie im unpassendsten Moment vor der Tür, um ihrer Familie ihren alljährlichen Besuch abzustatten. So meinte er nur leicht gereizt zu Laurent: „Die hat mir gerade noch gefehlt. Ich werde sie morgen empfangen.“ Immerhin waren es genügend Aufregungen für einen Tag gewesen. Er war froh zwei Tage später wieder in Versailles antreten zu müssen, da wichtige Verhandlungen anstanden, und dort Ruhe vor seiner Familie zu haben. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht das der Ärger noch größer werden sollte. „Pssst, Oscar, Oscar, wach auf,“ hörte Oscar im Schlaf eine sanfte Stimme. Erstaunt öffnete sie die Augen und entdeckte vor ihrem Bett Catherine mit einer Kerze in der Hand. „Catherine, was ist los?“ Erstaunt richtete sich Oscar auf. „Ich möchte mich von die verabschieden.“ Jetzt erst bemerkte Oscar das Catherine einen Reiseumhang trug und ein kleines Bündel dabei hatte. „Verabschieden? Wohin möchtest du mitten in der Nacht?“ Oscar verstand die Welt nicht mehr. „Ich gehe mit Frederic fort. Ich habe mich fest dafür entschieden seine Frau zu werden.“ „Aber Catherine das kannst du nicht machen.! Du kannst doch nicht so einfach davon laufen! Maman und Sophie werden sich die Augen ausweinen wenn du fort bist.“ „Ich möchte Frederic heiraten. Ich fühle das ich an seiner Seite glücklich werde. Keinesfalls möchte ich die Ehefrau eines verschrobenen Adligen werden und mir mein Glück woanders suchen müssen so wie Veronique. Was nützen mir alle Juwelen und schönen Kleider, wenn ich dafür ein Leben lang unzufrieden bin?“ Das konnte Oscar verstehen. Sie dachte aber auch an das Donnerwetter das morgen über sie alle hereinbrechen würde. „Lass dich noch einmal umarmen,“ sagte Catherine. Oscar stand auf und drückte ihre Schwester an sich. Sie konnte sich gar nicht vorstellen wie es sein würde, wenn Catherine nicht mehr da wäre. Dann wandte Catherine sich um und ging zur Tür. „Wie möchtest du an der Haustüre hinaus kommen,“ fragte Oscar. Ein letztes Mal zeigte ihr Catherine ein spitzbübisches Lächeln. „Ich wusste das Frederic heute kommen würde und habe mit Vaters Reaktion gerechnet. Also habe ich Maman, als sie heute ihren Mittagsschlaf gemacht hat, vorsorglich ihre Schlüssel gestohlen. Ein Abschiedsbrief an sie liegt auf ihrem Sekretär.“ Damit war Catherine fort. Traurig legte sich Oscar zurück in ihr Bett. Catherine hatte ihr von all ihren Schwestern am nächsten gestanden. Immerhin hatten sie miteinander ihr ganzes Leben unter einem Dach verbracht, während ihre anderen Schwestern der Reihe nach alle geheiratet hatten. Natürlich war Catherine ihr oft auf die Nerven gegangen, vor allem wenn sie gerade wieder eine ihrer Launen hatte, doch nun merkte sie wie sehr ihr die ältere Schwester fehlte. Mit brennenden Augen lag Oscar in ihrem Bett aber es wollte keine einzige Träne fließen. Als sie am nächsten Morgen, während sie sich ankleidete, die Stimme ihrer Mutter hörte die schluchzte und rief: „Oh Reynier, es ist etwas Furchtbares passiert! Das müsst ihr Euch ansehen!“ wusste Oscar das Catherines Brief gefunden worden war. Am Frühstückstisch herrschte eisiges Schweigen. Emilie de Jarjayes war vor Kummer außerstande etwas zu sich zu nehmen und so frühstückte der General mit seinen Töchtern alleine. Verstohlen beobachtete Oscar ihre beiden Schwestern ihr gegenüber. Wenn man Juliette in ihrer strengen, dunklen Ordenstracht ansah und neben ihr Veronique, die bereits zum Frühstück geschminkt war und einen ausgesprochen tiefen Ausschnitt trug, konnte man kaum glauben das die beiden miteinander verwandt, geschweige den Schwestern waren. Die Stille wurde immer unerträglicher. Endlich wagte Juliette sich zu Wort zu melden: „Vater ich bitte Euch, verzeiht Catherine. Immerhin ist sie Eure Tochter.“ Der General sah von seinem Teller auf und blickte Juliette kalt an. „Ich habe keine Tochter Catherine mehr.“ Das war das einzige Mal das an diesem Tag während des Frühstücks gesprochen wurde. Oscar war froh als ihr Hauslehrer Monsieur Dumas kam um mit seinen Stunden zu beginnen. Am Nachmittag ließ es sich nicht vermeiden dem General aus dem Weg zu gehen da er im Hof eine Fechtstunde angesetzt hatte. Seine Wut auf seine Tochter zeigte sich zwar nicht in seinem beherrschten Gesicht aber in dem Elan mit dem er Oscar und Andre mit seinem Degen über den Hof trieb. Obwohl bittere Dezemberkälte herrschte, standen den beiden Schweißperlen auf der Stirn. Erschöpft verkrochen sich Oscar und Andre in dessen Zimmer. „Ab morgen hat Vater wieder in Versailles zu tun,“ sagte Oscar. Ihre Muskeln fühlten sich an wie Brotteig, der gerade durchgeknetet wurde. „Wenn nicht würde ich es zuhause nicht mehr aushalten und davon laufen wie Catherine.“ Andre nickte. „Ich kann Catherine wirklich verstehen.“ „Ich auch,“ meinte Oscar. „Wenn ich nicht als Junge erzogen worden wäre, dann würde ich auch viel lieber einen Mann heiraten den ich liebe, auch wenn er bürgerlich ist, als irgendeinen Herzog, für den ich nicht das Geringste empfinde.“ „Das würdest du?“ fragte Andre. „Ja, das würde ich,“ antwortete Oscar fest. „Weißt du das ich in Catherine ein bisschen verliebt war als ich zu euch kam?“ fragte Andre. „Nein das wusste ich wirklich nicht,“ sagte Oscar und lachte. „Es stimmt. Ich fand ihre goldblonden Haare so schön und …, naja eben noch einige andere Sachen an ihr.“ „Ja, meine Schwester ist eine schöne Frau,“ sagte Oscar ehrlich. Eine Weile war es ruhig zwischen den beiden. „Meine Großmutter hat ein Glas mit eingelegten Gurken aufgemacht und einen Kuchen gebacken. Sollen wir uns etwas davon holen?“ fragte Andre. „Ja, gerne,“ freute sich Oscar. „Ich habe Hunger wie ein Bär.“ Wieder einigermaßen vergnügt gingen sie in Sophies Küche, um dort den Kuchen, von dem jeder drei Stück aß, und das ganze Glas Gurken, das als Vorrat für einen Monat eingerechnet gewesen war, zu vertilgen. Sophie sah ihnen kopfschüttelnd zu. Wenn Andre alleine so maßlos zugeschlagen hätte, dann wäre sie bereits eingeschritten, aber da Lady Oscar mit dabei war, konnte sie dazu nichts sagen. Junge Leute hatten eben immer Hunger, auch wenn Andre ihrer Meinung nach stopfte wie ein Vielfraß. Von dem Schreck über Catherines Ausriss hatte sie sich einigermaßen erholt, obwohl sie immer noch in ihr großes Taschentuch schnupfen musste. Da es neben ihrem Enkel und Oscar nun keine anderen Kinder mehr zum verwöhnen im Palas de Jarjayes gab, musste sie eben nun ihre gesamte Zärtlichkeit auf die beiden verströmen. Sofort machte sie sich daran ihnen eine riesengroße Kanne heißer Schokolade zu kochen. Als Oscar den Dienstbotentrakt verließ gluckerte es in ihrem Bauch. Vermutlich vertrugen sich saure Gurken nicht mit Kuchen und heißer Schokolade. In ihrem Zimmer setzte sie sich an ihren Schreibtisch und begann in einem Buch zu lesen. Das Gluckern in ihrem Bauch hatte sich nun in ein leichtes Zwicken verwandelt, das immer stärker wurde. Oscar beschloss sich hinzulegen, doch der Schmerz in ihrem Bauch wurde immer stärker. Sie läutete und Paulette erschien. „Bitte gib Bescheid das ich nicht zum Dinner hinunter komme. Ich fühle mich nicht wohl.“ „Sehr wohl, Lady Oscar.“ Bald nachdem Paulette gegangen war klopfte es an Oscars Tür. Auf ihr „Herein“ trat ihre Mutter in ihr Zimmer. „Oscar, was fehlt dir? Paulette hat uns ausgerichtet das es dir nicht gut geht.“ Madame de Jarjayes stellte fest das Oscar wirklich recht blass im Gesicht war. Auch Oscar, die selten einmal krank gewesen war, im Bett vorzufinden, war recht ungewöhnlich. „Ich habe Bauchschmerzen, Maman. Ich möchte deswegen lieber auf das Dinner verzichten.“ „Soll ich nach dem Arzt schicken lassen? Du siehst wirklich nicht gesund aus.“ „Nein, ich möchte mich einfach nur ausruhen,“ bat Oscar. Später brachte ihr Sophie eine Tasse Tee und schimpfte dabei lautstark über die Gurken und den Kuchen. „Ich wusste doch das ihr schon wieder viel zu viel gegessen habt! Bei diesen Unmengen die ihr hinunter geschlungen habt wäre es jedem Menschen schlecht. Außer Andre natürlich, der könnte die Speisekammer ausräubern und wäre danach noch wohl auf.“ Sophie ließ Oscar, nachdem diese ihren Tee getrunken hatte, wieder alleine. Da Oscar noch immer ihre Kleidung trug, begann sie sich auszuziehen. Mit Erschrecken stellte sie fest das sich in ihrem Hemd ein bräunlicher Fleck abzeichnete. Beschämt knüllte Oscar das Hemd zusammen und versteckte es unter ihrem Bett. Wie hatte ihr das nur passieren können? Sicher würden die Hausmädchen, die sich um die Wäsche kümmerten, über sie lachen. Sie würde es morgen lieber selbst heimlich auswaschen und trocknen. Lange konnte Oscar nicht schlafen und wälzte sich unruhig hin und her. Ihr Bauch wollte nicht aufhören zu schmerzen und zudem hatten Juliette und Veronique nun lautstark angefangen mit ihrem Vater zu streiten, was bis zu ihr nach oben tönte. „Ich habe keine von euch beiden hierher gebeten um mir Vorhaltungen zu machen! Verschwindet wieder! Du zurück nach Versailles oder zu deinem Liebhaber und du wieder in dein Kloster!“ „Aber Vater bedenkt doch das Catherine aus Liebe gehandelt hat. Frederic wird sie heiraten und das was Gott zusammen gefügt hat das soll der Mensch nicht trennen.“ „Mir steht nicht der Sinn nach deinen frommen Sprüchen!“ „Ich finde Euer Verhalten nicht richtig,“ mischte sich nun wieder Veronique mit ein. „Catherine ist Eure Tochter...“ „Ich habe keine Tochter mehr die Catherine heißt. Das habe ich euch allen bereits heute morgen erklärt. Sie existiert nicht mehr für mich. Und wenn wir gerade über unschickliches Verhalten sprechen, so bedenke erst mal das deine! Der ganze Adel spricht darüber das du deinem Gatten Hörner aufgesetzt hast und wenn ich mich morgen nach Versailles begebe so muss ich mich dort für dich, für meine eigene Tochter schämen.“ „Lasst Veronique gefälligst in Frieden. Was sie getan hat das muss sie ganz alleine mit Gott ausmachen!“ „Habe ich dir nicht gerade eben gesagt das ich von deinen frommen Geschnatter nichts mehr hören möchte?“ „Aber Vater wie könnt Ihr nur...“ Oscar schlüpfte unter ihre Bettdecke, wo sie sich ihr Kopfkissen fest gegen beide Ohren presste, um den Streit ihrer Familie nicht mehr hören zu müssen. Sie hasste es wenn ihre Schwestern so mit ihrem Vater zankten. Egal wie verschieden Veronique und Juliette von einander waren, ihrem Vater Kontra geben konnten sie beide hervorragend und bewiesen dies gerade auch lautstark. Oscar jedoch war einfach nur noch zum weinen zumute. „Was Catherine nun gerade macht? Ob ich sie jemals wieder sehen werde?“ überlegte sie noch, bis endlich einschlafen konnte. Mitten in der Nacht erwachte Oscar und spürte das ihr eine warme Flüssigkeit an den Beinen herunter lief. Entsetzt fuhr sie in ihrem Bett hoch. Was war nur los mit ihr? Würde sie nun auf einmal wie ein Kleinkind in ihr Bett machen? So schnell wie möglich zündete Oscar eine Kerze an. Im Schein der Flamme bemerkte sie, das es Blut war, das ihr zwischen den Beinen herunter lief und ihr Nachthemd und das Bettlaken durchweicht hatte. Oscar überlegte fieberhaft von was so eine Blutung herrühren konnte. Sie war zweimal während der Fechtstunde heftig hingefallen. Vermutlich hatte sie sich innen in ihrem Bauch verletzt. Ihr Vater hatte einmal davon erzählt das es immer wieder Soldaten gab, die sich im Kampf solche inneren Verletzungen zuzogen. All das Blut musste von so einer Wunde tief in ihrem Bauch stammen und hatte sich nun einen Weg gesucht, um nach draußen zu gelangen. Das war wohl die beste Erklärung dafür. Voller Angst wurde Oscar bewusst das sie nun verbluten musste, so wie die Soldaten in den Kriegsgeschichten ihres Vaters. Doch sterben wollte sie auf gar keinen Fall. Es wäre furchtbar nie wieder Sophies leckere Kuchen zu probieren, nicht mehr mit Andre auszureiten und nie wieder die herrlich grünen Wiesen im Sommer zu sehen. Sie konnte es sich nicht vorstellen einfach tot zu sein. Vielleicht konnte ihr der Arzt noch rechtzeitig helfen. Einer der Dienstboten musste möglichst schnell ein Pferd satteln und den Hausarzt der Familie in das Palas de Jarjayes bringen. Um in den Gängen des Hauses keine Spuren zu hinterlassen klemmte sie sich ihr Nachthemd zwischen die Beine und lief so schnell sie konnte in den Dienstbotentrakt. Ihr erster Gedanke war Andre zu wecken aber dann müsste sie ihm auch erklären an welcher peinlichen Stelle das Blut ihrer Verletzung aus ihr heraustrat und das ihr vor ihrem Freund unangenehm. Immerhin war Andre mit seinen vierzehn Jahren beinahe ein Mann und sie wusste nicht wie sie es ihm erklären sollte. Die Rettung in der Not war wie immer Sophie. Sie würde sicher umgehend den Kutscher Philippe aus dem Bett reißen, damit dieser so schnell als möglich den Doktor abholte. Sicher hatte Sophie auch etwas in ihrem Arzneischränkchen um die Blutung zu lindern, bis der Arzt ihr helfen konnte. Sophie schlief friedlich als sie ein Klopfen an ihrer Tür vernahm. „Unfassbar, was ist denn nun schon wieder? In diesem Haus herrscht wohl niemals Ruhe,“ zeterte Sophie. „Sophie, bitte! Ich bin es, Oscar.“ Sofort wusste Sophie das etwas geschehen sein musste. Oscar hatte sie noch nie in der Nacht geweckt. Eilig stand sie auf und lief zur Türe. Draußen fand sie eine leichenblasse Oscar vor, die ihr Nachthemd auf eine seltsame Weise nach oben gerafft hielt, so das darunter ihre mageren Beine zum Vorschein kamen. Bevor sie eine Frage stellen konnte sprudelte Oscar schon los: „Bitte Sophie, ich brauche einen Arzt. Du musst sofort Philippe losschicken.“ „Aber Kind, weshalb denn?“ Vor lauter Aufregung vergaß Sophie das Oscar in drei Wochen ihren dreizehnten Geburtstag feiern würde und bereits seit einiger Zeit von ihr Lady Oscar genannt wurde. „Ich habe mich beim Fechten verletzt und blute nun aus dem Bauch heraus.“ Sophie betrachte Oscars Nachthemd das um den Bauch herum in makellosem weiß strahlte. „Aber Oscar, wie kommst du darauf? Ich sehe an deinem Bauch keinen Tropfen Blut. Lege dich wieder hin, du hast sicherlich nur geträumt.“ „Nein Sophie, hör mir zu. Das Blut fließt an einer anderen Stelle aus mit heraus,“ versuchte Oscar nun schon fast panisch zu erklären. „Es kommt aus...,“ trotz ihrer Angst wurden Oscars Wangen heiß. Aber ihrer alten Sophie konnte sie alles sagen. „Es fließt aus der Stelle, ich meine aus der kleinen Öffnung die ich unten habe.“ Am liebsten hätte Sophie, als sie das hörte, zu lachen begonnen. Aber sie wusste, das dies nun fehl am Platze war. Die arme Oscar musste sich sicherlich zu Tode geängstigt haben. Ihre Schwestern waren alle von ihrer Mutter auf den „Umstand der nun bald auftreten sollte“ rechtzeitig vorbereitet worden, um ihnen einen solchen Schreck zu ersparen. Bei Oscar war es einfach vergessen worden. Sie konnte ihrer Herrin aber keinen Vorwurf deswegen machen. Sie selbst hatte nie daran gedacht. Man wusste eben oft nicht ob man Oscar nun als Junge oder als Mädchen sehen sollte. Sie trug die Kleidung eines jungen Mannes und trat auch so auf. Trotzdem war sie eine Frau, was die Natur gerade ausgiebig bewies. „Liebe Oscar,“ meinte Sophie. „Bitte komm herein, es ist alles in Ordnung, du bist nicht krank oder verletzt.“ „Aber Sophie...“ „Beruhige dich, an dem was du hast stirbt man nicht. Das hat jede Frau. Komm herein, das wir miteinander darüber sprechen können.“ Einerseits fühlte sich Oscar immer noch aufgeregt, doch Sophies Stimme beruhigte sie und wenn Sophie sagte, das es nichts ernstes war worunter sie litt hatte sie sicherlich recht. Sophie hatte immer recht. Auch wenn Oscar noch nie blutende Frauen hatte umher gehen sehen. Nach dem gemeinsamen „Gespräch unter Frauen“ war Oscar vollauf beruhigt. Kaum zu glauben, das ihre Mutter, ihre Schwestern und alle Frauen, regelmäßig so etwas hatten. Zunächst hatte Sophie aber Paulette geweckt, um Oscar eine Leinenbinde und den passenden Gürtel, der diese zusammenhalten sollte, zu borgen, da Sophie, wie sie selbst sagte, „davon glücklicherweise schon lange nicht mehr betroffen war.“ Als sie dann in einem sauberen Nachthemd, ebenfalls von Paulette, mit Sophie über den Gang des Dienstbotentraktes ging, da Sophie auch ihre Bettlaken erneuern wollte, öffnete sich Andres Schlafzimmertüre. Erstaunt sah er Oscar und seine Großmutter an. „Was macht ihr zwei denn da?“ „Frauensache,“ erwiderte Sophie. „Also verschwinde wieder in dein Bett.“ Verdutzt verzog sich Andre in seinem Zimmer und Oscar musste über beide Ohren grinsen. Letzten Endes fand Oscar noch ein paar Stunden Schlaf. Bevor sie am Morgen zum Frühstück ging kam ihre Mutter auf ihr Zimmer, die von Sophie über den Vorfall der letzten Nacht unterrichtet worden war. Oscar wurde von ihrer Mutter in die Arme genommen, das tat gut. Emilie de Jarjayey fühlte sich dabei weniger wohl. Wie Sophie war sie irritiert. Meist sah sie Oscar als jungen Mann an, so wie Andre einer war an. Das Oscar nun zum ersten Mal „unpässlich“ geworden war, rief ihr wieder einmal schmerzlich in ihr Bewusstsein das Oscar, trotz ihrer burschikosen Art, eine junge Frau war. Heimlich seufzte sie auf. Oscar war froh darüber das ihr Vater bereits in aller Frühe abgereist war und während des Frühstücks nur Frauen anwesend waren. Veronique ließ es sich nicht nehmen ihre Schwester dazu zu beglückwünschen, „jetzt auch endlich so weit zu sein“, wobei Madame de Jarjayes demonstrativ auf ihren Teller sah. Das war nun wirklich zu viel der Vertraulichkeit! Marie, die ihnen den Tee servierte, blinzelte Oscar verschwörerisch zu, so wie noch zwei weitere der Hausmädchen. Offensichtlich war die Tatsache einmal im Monat bluten zu müssen, wie der Eintritt in eine Art Geheimbund sämtlicher Frauen. Es war etwas das sie alle gemeinsam hatten und von dem die Männerwelt noch nicht einmal eine Ahnung zu haben schien. Leicht gehemmt saß Oscar während des Unterrichts mit Andre und Monsieur Dumas im Studierzimmer aber keiner der beiden schien etwas zu bemerken, worauf sich Oscar im Laufe des Vormittages entspannte. Sophie war nun der Gedanke gekommen das man Andre, der ja nun ein Jahr älter als Oscar war, ebenfalls über bestimmte Dinge aufklären sollte. Und da sie seine einzige noch lebende Verwandte war, viel dieses schwere Amt wohl oder übel ihr zu. Sie stärkte sich mit einem Gläschen Rotwein, rückte ihre Haube zurecht und machte sich auf den Weg in Andres Zimmer. Dieser saß an seinem Tisch und polierte gerade einen Degen, den er von Oscar bekommen hatte. Seine Großmutter setzte sich ihm gegenüber. Sie wirkte sehr ernst. „Was gibt es Großmutter?“ fragte Andre. „Nun Andre, es ist an der Zeit dir bestimmte Dinge zu erklären.“ „Ja, und welche?“ „Es gibt da nicht nur gewisse Unterschiede zwischen Mann und Frau, sondern auch Dinge die Mann und Frau miteinander tun können, wenn sie verheiratet sind.“ Andre konnte es nicht fassen! Nun kam seine Großmutter tatsächlich am Abend in sein Zimmer um ihn aufzuklären. Allerdings war das der eher biederen Sophie hoch anzurechnen. Sie war dabei schamrot angelaufen und nestelte ständig an ihrem Kragen herum, da sie während der Erklärungen, zu denen sie angesetzt hatte, ungemein zu schwitzen schien. Andre beschloss seine Großmutter von ihren Qualen zu erlösen, obwohl es sicher recht lustig gewesen wäre, wie Sophie diese „bestimmten Dinge“ erklärte. „Großmutter es ist in Ordnung. Philippe und Laurent haben mit mir bereits über alles gesprochen.“ „Wie bitte?“ „Ja, sie haben gesagt nachdem ich nun keinen Vater mehr hätte würden sie diese Aufgabe übernehmen. Ich weiß also recht gut was zwischen Mann und Frau passieren kann.“ Das Laurent und Philippe ihm dazu mal wieder ein Bier eingeschenkt hatten, dabei einiges sehr detailreich geschildert hatten und auch der Ansicht waren das gewisse Dinge nicht nur Verheirateten vorbehalten waren, verschwieg er besser. „Ach so ist das also.“ Sophie fühlte sich recht erleichtert. „Der General hat mir übrigens auch nochmal alles erklärt.“ „So?“ „Eines Abends musste ich zu ihm in seine Bibliothek kommen. Er meinte ebenfalls, nachdem ich keinen Vater mehr hätte und unter seinem Dach aufwachse, hielte er es für seine Pflicht mir diese Dinge zu erklären. Ich musste mich setzen und Monsieur de Jarjayes holte ein dickes Buch aus einer gesonderten Schublade in seinem Bücherschrank. Dann hat er mir noch einmal ausführlich alles erklärt und mir auch Bilder dazu gezeigt, die in diesem Buch waren. Er hat es sehr wichtig gehabt und nach einer Stunde bin ich dabei richtig müde geworden. Ich denke wenn Laurent und Philippe mir nicht schon so viel darüber gesagt hätten, hätte ich von dem Vortrag des Generals vieles nicht verstanden. Aber beide Erklärungen miteinander waren gerade perfekt. Man fühlt sich auch ganz anders danach, wenn man solche Dinge weiß.“ „Natürlich,... also was es nicht alles gibt,“ stotterte Sophie. Solch ein Buch hatte also der General in seine Bibliothek! „Laurent und Philippe haben gesagt das mich einmal in ein Freudenhaus mitnehmen werden. Sie haben gemeint danach würde ich alles noch viel besser verstehen.“ „Also nun genügt es aber,“ fuhr Sophie auf. „Diesem Laurent und diesem Philippe werde ich gründlich den Kopf waschen. Was fällt ihnen denn ein dich so zu verderben zu wollen?“ Andre konnte nicht widerstehen seine Großmutter noch ein bisschen zu necken. „Weshalb? Was ist denn nun ein Freudenhaus?“ Zu ihrem Ärger wurde Sophie schon wieder rot. „Nun ja, das ist eben ein Haus, in dem viele Frauen sind.“ „War jede Frau schon einmal in einem Freudenhaus? Auch du und Madame de Jarjayes und Schwester Juliette?“ Nun merkte Sophie das ihr Enkel sie auf den Arm nahm. „Jetzt hältst du aber deinen Mund Andre! Es ist wirklich eine Schande wie du daher redest! Wütend stapfte Sophie aus dem Raum um sich Philippe und Laurent zurecht zu weisen. Ihr lieber, kleiner, unschuldiger Andre in einem Freudenhaus, nicht auszudenken! Oscar war sehr nachdenklich geworden. Ihr Vater hatte seinen Entschluss, sie auf die Offiziersakademie zu schicken, nicht aufgegeben. Dort würde sie, wie bis jetzt zuhause, in der Kriegskunst unterrichtet werden, die ansonsten nur Männern vorbehalten war. Sie würde eine Uniform tragen wie ein Mann und sich so verhalten müssen wie ein Mann. Die ersten zehn Jahre ihres Lebens hatte sie geglaubt ein Junge zu sein. Sie benahm sich auch jetzt noch anders als ihre Schwestern oder andere junge Mädchen. Wenn sie ausritt wurde sie von allen, die ihnen unterwegs begegneten, durch ihr Auftreten und ihre Kleidung für einen Jüngling gehalten. Aber sie war eine Frau. Eine junge Frau die nun Kinder bekommen konnte, so wie ihre Mutter und ihre Schwestern. Vorsichtig strich Oscar über ihren flachen Bauch. Ob sie jemals ein Kind haben würde? All diese Fragen und Gedanken quälten sie. Sie suchte vergeblich nach einer Möglichkeit um nicht mehr nachdenken zu müssen, um all das, was sich in ihr aufgestaut hatte heraus lassen zu können. Dabei fiel ihr Blick auf das Klavier. Mechanisch stand sie auf und strich sachte über die Tasten. Der Klang beruhigte sie und tat ihrer aufgewühlten Seele wohl. Ohne weiter nachzudenken setzte sie sich auf den Klavierhocker und begann das Stück, das gerade auflag, zu spielen. Alles was aus ihr heraus wollte legte sie in ihr Klavierspiel. Erstaunt sah ein paar Zimmer weiter Madame de Jarjayes von ihrer Handarbeit auf. „Das wird doch nicht etwa Oscar sein? Kaum zu glauben das sie plötzlich freiwillig übt.“ Oscar war so in ihr Spiel vertieft das sie nicht bemerkte wie Juliette bei ihr eintrat. „Deine Musik gefällt mir,“ hörte sie plötzlich ihre Stimme. „Du spielst mit viel Gefühl. Das schafft nicht jeder Musiker.“ Eine Weile blieb es still zwischen ihnen. Oscar sah auf das Notenblatt. „Oscar, hör mir einen Moment zu,“ bat Juliette unvermittelt. Oscar drehte sich auf dem Klavierhocker zu ihrer Schwester um. Sie betrachtete das ernste, blase Gesicht unter der dunklen Haube. Zum ersten Mal viel ihr auf das ausgerechnet Juliette ihrer Mutter am ähnlichsten sah. „Ich habe bemerkt das dich all das was in den letzten Tagen geschehen ist sehr beschäftigt. Gerade das Catherine davon gelaufen ist und das du nun zur Frau geworden bist. Gerade das muss besonders schwer für dich sein, wo du doch dein ganzes Leben lang als Junge erzogen wurdest.“ Juliette fasste unter ihren Kragen und zog ein kleines, goldenes Kreuz, das an einer Kette um ihren Hals hing, hervor. Sie öffnete den Verschluss, nahm die Kette ab und reichte sie Oscar. „Das möchte ich dir schenken. Ich habe das Kreuz von einer Mitschwester bekommen aber ich denke du brachst es gerade nötiger.“ Sie drückte das Schmuckstück Oscar in die Hand. Diese sah darauf und entdeckte das auf dem Querbalken eine Inschrift eingraviert war. „Nosce te ipsum,“ las Oscar vor und übersetzte sofort. „Erkenne dich selbst.“ „Das wünsche ich dir liebe Oscar. Erkenne dich selbst! Noch bist du auf der Suche aber eines Tages wirst du erkennen wer du wirklich bist. Und dann triff deine eigenen Entscheidungen. Mache das von dem du glaubst das es dich glücklich machen wird . Sogar dann wenn du davon laufen musst so wie Catherine.“ Plötzlich schossen Oscar Tränen in die Augen und sie umarmte ihre Schwester zum ersten Mal wieder seit ihrer Kindheit. Mit ihren Tränen floss aller Kummer und alle Aufregungen der letzten Tage aus ihr heraus. Als sich Oscar wieder ein wenig beruhigt hatte drückte ihr Juliette einen Kuss auf die Wange. „Leb wohl Oscar.“ Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer. Oscar blieb noch lange Zeit alleine sitzen, das Kreuz auf ihrer Hand. „Nosce te ipsum!“ Ob ihr das jemals gelingen würde? Kapitel 5: Die Gunst des Königs ------------------------------- „Du wirst sofort tun was ich dir sage! Hast mich verstanden?“ „Ich möchte mich beim König nicht vorstellen! Vater ich bitte Euch, lasst mich damit zufrieden!“ „Und ob du das wirst!“ „Ich habe keine Lust dazu!“ „Wie? Keine Lust? Was fällt dir ein? Weißt du denn nicht das du deinen Vater vor dir hast?“ Stöhnend ließ sich Emilie de Jarjayes auf ihrem Kanapee nach hinten sinken. Es war unglaublich! Nun stritten ihr Gemahl und Oscar schon wieder miteinander. Seit Tagen gab es kein anderes Thema mehr als die Audienz beim König. Es war aus Versailles eine Nachricht eingetroffen, dass der König Oscar kennen lernen wollte. Nach der Audienz würde er die Entscheidung fällen, ob er seine Einwilligung, sie an der Offiziersakademie zuzulassen, geben wollte oder nicht. Von sämtlichen Personen, die Einfluss auf die Auswahl der Kadetten hatten, war ein Mädchen abgelehnt worden. Natürlich war General de Jarjayes vorausschauend genug gewesen, in seinen Briefen und Bittgesuchen Oscars wahres Geschlecht nicht zu erwähnen. Jedoch war inzwischen unter allen wichtigen Generälen, die sich untereinander kannten und miteinander befreundet waren, bekannt, dass der Sohn General de Jarjayes ein Mädchen war, auch wenn „er“ einen Jungennamen trug und in der Kriegskunst unterrichtet worden war. Nachdem er nun niemanden mehr wusste, bei dem er noch anfragen konnte, hatte er letzten Endes ein Bittgesuch an den König gerichtet. Zum Glück des Generals war Louis XV immer auf Sensationen aus und Oscar war für ihn eindeutig eine! Er brannte schon lange darauf dieses „Wesen“, was immer es nun sein mochte, an seinem Hof zu sehen. Das würden seine Höflinge sicher äußerst aufregend finden! So erging umgehend eine Einladung zu einer Audienz. Der General war selig vor Glück darüber aber Oscar war davon alles andere als angetan und hatte umgehend erklärt, dass sie die Einladung nicht annehmen wollte. Da eine Absage Majestätsbeleidigung wäre und für den General ohnehin nicht in Frage kam, tobte nun schon seit zwei Tagen der Kampf, bei dem jeder meinte seinen Kopf durchsetzen zu müssen. Zu allem Überfluss war auch noch Maurice, der älteste Enkel Madame und Monsieur de Jarjayes, für einige Wochen zu Besuch gekommen. Veroniques Pflichten in Versailles nahmen sie so sehr in Anspruch, dass sie wenig Zeit für ihn hatte. Auch ihr Gemahl hatte für einige Wochen verreisen müssen, um Verwandte im Ausland zu besuchen. Damit Maurice nicht nur seinem Kindermädchen überlassen war, hatten seine Eltern beschlossen, ihn zu seinen Großeltern zu schicken. „Ich bin nun dreizehn Jahre alt und kann selbst entscheiden was ich tun und lassen möchte!“ „Ich werde dir schon noch zeigen das du meine Entscheidungen zu respektieren hast!“ Ein scharfes, klatschendes Geräusch schallte durch die Gänge des Hauses. Emilie wusste das sich Oscar nun mal wieder eine Ohrfeige eingefangen hatte. Das passierte in letzter Zeit öfters. Sophie regte sich stets lauthals darüber auf, wie man so ein zartes Kind nur schlagen konnte. Madame de Jarjayes war selbst nicht damit einverstanden das mit Oscar so umgegangen wurde. Aber das Recht über die Erziehung seiner Kinder zu bestimmen hatte nun einmal ihr Mann. Außerdem betrachtete er Oscar nun einmal wie einen Jungen und ein Junge musste etwas vertragen können. Egal wie schmal und zart Oscar gebaut war, die Ohrfeigen, die es alle paar Tage setzte, steckte sie tatsächlich weg wie ein Mann. Und nicht zu vergessen war, dass sie einen mit ihrem Starrkopf tatsächlich ungemein reizen konnte. Als sie sich vor ein paar Tagen strickt weigerte in den Salon zu kommen, um einer alten Gräfin, die bereits mit Madame de Jarjayes Mutter befreundet gewesen und nun zum Tee erschienen war, guten Tag zu sagen, mit der Begründung sie sei mit Andre zu einem Ausritt verabredet, wäre Emilie selbst beinahe die Hand ausgerutscht. Wütend saß Oscar alleine in ihrem Zimmer. Die Tür öffnete sich und Maurice trat ein. „Du musst anklopfen,“ wies Oscar ihren Neffen zurecht. „Ich vergesse es immer,“ meinte der Kleine. „Oscar, weshalb streitest du mit Großvater immer?“ „Weil er meine Entscheidungen nicht akzeptieren möchte und nicht einsehen will das ich kein Kind mehr bin.“ „Ich habe alles mit angehört. Ich würde mich gerne beim König vorstellen. Wenn ich erwachsen bin möchte ich unbedingt in seine Leibgarde und ihn gegen all seine Feinde beschützen.“ „Sag das deinem Großvater,“ meinte Oscar sarkastisch. „Du wirst ihn damit sehr glücklich machen.“ „Das habe ich schon,“ erzählte Maurice begeistert. „Er hat gesagt er wäre heute schon ausgesprochen stolz auf mich und man würde merken das in meinen Adern das Blut der Jarjayes fließt.“ „Das kann ich mir vorstellen!“ antwortete ihm Oscar voller Überzeugung. Ein Klopfen störte die beiden in ihrem Gespräch und der General trat ein. Sofort richtet sich Oscar auf ihrem Stuhl kerzengerade auf, um ihrem Vater die Stirn bieten zu können. Als der General sie so angriffslustig vorfand hätte er sie am liebsten sofort gepackt und durchgeschüttelt. Aber für die neue Taktik, die er sich ausgedacht hatte, musste er sich beherrschen. „Oscar lass uns unseren Streit vergessen. Ich habe dir einen vernünftigen Vorschlag unter Männern zu machen.“ Argwöhnisch sah Oscar ihren Vater an. „Ich schlage dir einen Wettkampf zwischen uns beiden vor. Wenn du gewinnst, dann vergessen wir die ganze Sache und es ist deine Entscheidung, was du von nun an machen möchtest. Aber wenn ich gewinne dann fügst du dich und wirst dich bei König Louis vorstellen.Wir werden die selben Regel nehmen wie bei einem Duell. Ich habe dich herausgefordert, also darfst du die Disziplin bestimmen. Einverstanden?“ Ihr Vater hielt ihr die Hand hin damit sie einschlagen konnte. Oscar war eher skeptisch. Was war wenn ihr Vater einen Trick bereit hielt? Andererseits war er ein sehr fairer und ehrlicher Mensch . Ein fieser Trick sähe ihm gar nicht ähnlich. So gab sie sich einen Ruck und schlug ein. Es war immer noch besser als klein bei geben zu müssen. Fest drückte ihr Vater ihr die Hand. „Hast du dich schon für eine Waffe entschieden?“ Oscar überlegte. Sie war sowohl im Schießen, als auch im Fechten ziemlich gut. Ihr Vater war in beiden Kampfarten jedoch hervorragend. Im Fechten hätte sie den Vorteil das sie leichtfüßig und beweglich war, schon durch ihr geringes Gewicht. Das kam ihr beim Trainieren bereits gegen Andre zugute. Ihre Leichtigkeit, das war es! Es gab doch noch wesentlich mehr Sachen in denen ein geringes Gewicht von Vorteil war. Zum Beispiel beim Reiten! Dabei gewann sie auch des öfteren gegen Andre, wenn die beiden miteinander um die Wette ritten. Andre war mittlerweile ein sehr guter Reiter geworden aber oft gewann sie ganz knapp, da ihre Stute weitaus weniger zu tragen hatte. Oscar sah ihren Vater an. „Vater, ich möchte gegen Euch im Reiten antreten.“ „Im Reiten?“ „Ja, Ihr habt mir die Freie Wahl gelassen und ich habe mich dafür entschieden mit Euch um die Wette zu reiten. Bestimmt Ihr unsere Route mit Start und Ziel.“ „Ich fürchte da muss ich dich enttäuschen Oscar! Reiten ist zwar eine gute Sache aber keine Disziplin im Kampf.“ „Als Ihr mir diesen Vorschlag gemacht habt, da habt Ihr nicht von einer Kampfdisziplin gesprochen. Ihr habt lediglich gesagt, dass ihr mir eine Wette vorschlagt und ich mir heraussuchen dürfte in was wir gegen einander wetten. Das ich mich zwischen Pistole oder Degen entscheiden solle habt Ihr nie erwähnt. Jetzt plötzlich die Regeln zu ändern, die ihr selbst aufgestellt habt, fände ich ungerecht.“ „Aber das ist doch...“ „Ich habe es auch gehört,“ piepste Maurice aufgeregt. Immer wenn er aufgeregt war wurde seine Stimmer recht hoch. „Ihr habt zu Oscar gesagt, dass Ihr mit Ihr eine Wette machen wollt und Oscar solle aussuchen in was ihr gegeneinander wettet. Man muss zu seinem Wort stehen! Das habt Ihr mir selbst beigebracht Großvater!“ Der General biss fest die Lippen aufeinander. Das er vor seinem eigenen Enkel als unglaubwürdig da stehen sollte kam nicht in Frage! So musste er sich wohl oder übel in sein Schicksal beugen. „Nun, gut wenn du darauf bestehst dann reiten wir um die Wette. Wir nehmen die Strecke vom Tor unseres Palas bis zu dem alten Wegweiser der in Richtung Evry zeigt. Den kennst du doch?“ Oscar nickte. „Das Rennen findet in drei Tagen um 8 Uhr in der Früh statt. Dann haben wir beide Zeit um noch etwas zu trainieren.“ Damit war er aus dem Zimmer. Draußen wurde ihm bewusst, dass ihm Oscar, trotz ihrer dreizehn Jahre, durchaus das Wasser reichen konnte. Louis Auguste, der Dauphin von Frankreich, sah in den klaren Wintertag hinaus. Es war gerade Geographiestunde und er hatte eigentlich vorgehabt sich in seinen Atlas zu vertiefen, aber das viel ihm heute zum ersten Mal in seinem Leben schwer. Sein Großvater, König Louis XV, hatte ihm heute morgen eröffnet, dass eine passende Braut für ihn gefunden worden war. Er hatten seinen Großvater schon lange im Verdacht gehabt, dass er mit seinen Beratern auf Brautschau war, und es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie eines schrecklichen Tages fündig werden sollten. Voraussichtlich sollte die Hochzeit bereits im nächsten Jahr stattfinden. Mit Schaudern dachte der vierzehnjährige Dauphin daran. Er hatte für Mädchen nicht das geringste übrig. Die jungen Damen am Hof störten ihn durch ihr ewiges Geschnatter und Gekicher. Wenn er in ihre Nähe kam, dann sahen sie verstohlen in seine Richtung und kicherten noch ein bisschen mehr. Natürlich war er nicht so gut aussehend wie seine beiden Brüder oder die anderen Jünglinge, die am Hof erschienen. Schon als kleiner Junge hatte er das Gefühl gehabt, das seine Eltern seine jüngeren Brüder lieber mochten als ihn. Oft sah er wie die Mädchen mit anderen Jungen in seinem Alter durch die Gärten von Versailles spazierten und mit ihnen übermütig scherzten. Er konnte aber nun einmal nicht richtig tanzen und machte auch auf dem Pferd keine gute Figur. wesentlich lieber vertiefte er sich in seine Bücher. Im Rechnen, in Fremdsprachen, in Geographie und in Naturkunde konnte ihm niemand das Wasser reichen. Aber das waren alles Dinge die ein Mädchen an einem Jungen wohl kaum interessierten. Vermutlich würde das fremde Mädchen, das seine Gemahlin werden sollte, ebenfalls ständig mit den anderen über ihn kichern. Das Schlimmste an der jungen Dame war seiner Ansicht nach aber das sie Österreicherin war. Seine Mutter, die vergangenes Jahr verstorben war, hatte auf dieses Volk einen abgrundtiefen Hass empfunden. Er wusste das sie eine Heirat mit einer Tochter aus dem österreichischen Kaiserhaus tief missbilligt hätte. Und nun sollte gerade eine Erzherzogin aus Wien seine Braut werden. Sein Großvater hatte ihm erklärt das diese Ehe von größter politischer Wichtigkeit war und hatte noch aufmunternd hinzugefügt das die Erzherzogin Maria Antonia ungewöhnlich hübsch sein sollte. Aber das war ihm vollkommen egal. Für ihn sah ohnehin ein Mädchen aus wie das andere. Sein Lehrer, der Herzog La Vauguyon, betrat das Studierzimmer. „Eure Hoheit wirkt heute sehr abwesend,“ bemerkte er. Unglücklich blickte Louis Auguste ihn an. „Ist es wegen der geplanten Hochzeit nächstes Jahr?“ „So ist es,“ antwortete Louis. „Ich wünschte mein Großvater würde seine Meinung ändern. Ich möchte noch nicht Heiraten, vor allem keine Österreicherin.“ Sofort griff Herzog La Vauguyon die Antwort auf. Er war es auch immer gewesen der das Misstrauen des Dauphins gegen alles österreichische angestachelt hatte. „Ganz recht Eure Hoheit! Ich teile Eure Meinung. Eine österreichische Gemahlin ist äußerst unpassend gewählt. Es wäre Eurer lieben Mutter Maria Josepha mit Sicherheit nicht recht gewesen. Aber den Entschluss Eures Großvaters können wir nun einmal nicht ändern. Sicher ist aber das die Österreicherin niemals zu uns gehören wird.“ Er sprach das Wort l autrichienne, für Österreicherin aus wie l autre chienne, was so viel wie Hündin bedeutete. Dabei leuchtete abgrundtiefer Hass in seinen Augen. Die nächsten beiden Tage ritt Oscar die vereinbarte Strecke ab und versuchte ihre Stute so schnell wie möglich anzutreiben. Das Wettrennen zwischen ihr und ihrem Vater würde sie gewinnen, sie musste es ganz einfach schaffen. Andre ritt stets mit ihr mit und sprach ihr Mut zu. „Du schaffst das Oscar, ganz bestimmt! Mich überholst du doch auch ständig. Dann gewinnst du auch gegen deinen Vater.“ Beide hatten rot gefrorene Wangen, denn es war erst Februar und beim Reiten biss der scharfe Wind in die Gesichter. Am Morgen des ausgemachten Tages war Oscar bereits vor dem Morgengrauen auf den Beinen. Dies würde der Tag der Tage werden an dem ihr Vater endlich merken sollte das sie ihre eigenen Entscheidungen traf. Und ihre erste eigene Entscheidung würde sein, nicht bei der Audienz des Königs zu erscheinen. Aufgeregt raste sie ruhelos in ihrem Zimmer auf und ab. Als es endlich Zeit zum Frühstücken war brachte sie kaum einen Bissen hinunter, zwang sich aber einen Croissant zu essen, um wenigstens eine Kleinigkeit im Magen zu haben. Ihr Vater war jedoch glänzender Laune. Wenn er genau so aufgeregt war wie sie selbst, dann ließ er es sich zumindest nicht anmerken. „Na, Oscar? Nur einen Croissant? Das ist sicher auch besser so. Nicht das du während deines Frühstücks noch so beachtlich zu nehmen wirst, das deinem Pferd die Beine durchknicken.“ Dabei sah er spöttisch auf Oscars schmale Figur. Oscar gab keinen Ton von sich sondern dachte nur: „Na warte, dir zeige ich es noch.“ Ihre Mutter war noch nicht anwesend. Sie hatten fest miteinander ausgemacht ihr nichts zu sagen. Vermutlich würde sie sich so darüber aufregen das man das Rennen absagen musste und daran war ihnen beiden nicht gelegen. Auch Maurice war zum Schweigen verpflichtet worden und der General hatte ihm dafür auch ein eigenes Pferd aus seinem Stall versprochen. Andre sollte das Startzeichen geben und am ausgemachten Wegweiser würde Laurent warten, um bewerten zu können, wessen Pferd als erstes über die Ziellinie ging. Draußen im Hof wartete bereits Andre mit den gesattelten Pferden. In der Kälte konnte man die Dampfwolken sehen, die aus ihren Nüstern kamen. „Ich habe deiner Stute eine besonders große Portion Hafer gegeben,“ flüsterte ihr Andre ins Ohr. Dankbar zwinkerte Oscar ihrem Freund zu und saß auf. Dann ritt sie mit ihrem Vater vor das Tor des Palas de Jarjayes wo ihr Rennen beginnen sollte. Andre ging neben ihnen her. Vor dem Tor angekommen drückte Monsieur de Jarjayes Andre eine Pistole in die Hand. „Hier, du gibst den Startschuss.“ Oscar lenkte ihr Pferd neben das ihres Vaters. Als sie zu ihm hinüber sah, entdeckte sie einen Zug von Nervosität um seinen Mund. Oscar grinste in sich hinein. Das ihr Vater nun doch auch etwas aufgeregt war gab ihr das gewohnte Selbstbewusstsein zurück. „Seid ihr soweit?“ fragte Andre. „Es kann los gehen,“ antwortet General de Jarjayes. Andre hielt die Pistole nach oben. „Auf die Plätze, Fertig, Los!“ Bei „Los“ drückte er ab, ein lauter Schuss ertönte und Oscar gab ihrem Pferd die Sporen. Sofort galoppierte die Stute mit ihr auf dem Rücken los. Der Wind schlug ihr ins Gesicht, Oscar ließ die Zügel locker und spürte wie das Tier unter ihr immer schneller und schneller wurde. Sie drehte sich kurz um und stellte befriedigt fest das sie ihren Vater bereits abgehängt hatte. Sie war eben eindeutig leichter und das Andre ihr Pferd ausgiebig mit zusätzlichem Hafer vollgestopft hatte, tat sein übriges. Vor Freude begann Oscar zu strahlen. Es lief alles wunderbar! Sie hob ihr Hinterteil ein Stück aus dem Sattel um noch weniger Gewicht zu haben. Das Pferd war nun so schnell wie noch nie. Verärgert stellte General de Jarjayes fest, dass er haushoch am verlieren war. Er hatte ohnehin schon damit gerechnet aber nicht gedacht das Oscar ihn so schnell überholen würde. Es waren bereits gute fünf bis sechs Meter Abstand zwischen ihnen. Plötzlich bewegte sich etwas hinter den Büschen, gerade als Oscar auf einer Höhe mit ihnen war. Ein hungriger, junger Hirsch, der auf der Suche nach Futter sein musste, kam direkt vor Oscars Pferd herausgesprungen. Das Pferd begann zu scheuen und bäumte sich auf. Mit beiden Beinen klammerte sich Oscar fest. Sie versuchte das Tier zu beruhigen, doch es ging geradewegs mit ihr durch. Ihr Vater, der inzwischen aufgeholt hatte, war nur noch ein kleines Stück hinter ihr und sah alles mit an. „Oscar halt dich fest!“ rief er seiner Tochter zu. Dann galoppierte er dem durchgehenden Pferd hinter her um es aufzuhalten. Oscar versuchte krampfhaft oben zu bleiben. Zum Glück war sie so eine geübte Reiterin. Da sie jede Orientierung verloren hatte, richtete sie sich im Sattel ein Stück auf, um zu sehen wo sie sich gerade befand. Da tauchte plötzlich vor ihren Augen ein Ast auf, der hart gegen ihre Stirn schlug. Oscar spürte den Schlag, einen heftigen Schmerz in ihrem Kopf und ihr wurde schwarz vor Augen. In diesem Moment kam Laurent auf sie zugeritten, der von weitem gesehen hatte, wie Oscars Pferd mit ihr durchging. Schnell packte er es am Zügel, hielt es an und redete beruhigend auf das Tier ein. Das Pferd, das seine Stimme erkannte, wurde sofort ruhiger und blieb stehen. Oscar hing schlaff auf seinem Rücken. Inzwischen hatte der General sie eingeholt. „Oscar, ist dir etwas geschehen?“ fragte er aufgeregt. In seiner Stimme schwang Angst mit. „Mein Kopf tut so weh,“ war alles was Oscar noch hervorbrachte. Rasch packte sie ihr Vater, zog sie zu sich hinüber auf sein Pferd und setzte sie dort vor sich in den Sattel. „Wie federleicht sie doch ist,“ ging es ihm dabei durch den Kopf und sofort bereute er es seiner Tochter so einen Wettkampf vorgeschlagen zu haben. „Reite sofort zum Arzt und sorge dafür das er umgehend zu uns kommt! Ich bringe Oscar nach hause.“ Mit diesen Worten galoppierte er mit Oscar vor sich im Sattel zurück zum Palas de Jarjayes. Oscar war zwar bei Bewusstsein, aber ihr Kopf schmerzte noch immer heftig. Reynier de Jarjayes machte sich einer der wenigen Male in seinem Leben heftige Vorwürfe. Wenn Oscar etwas zugestoßen war, dann würde er sich das nie verzeihen! Im Palas de Jarjayes angekommen, sprang er sofort ab, nahm Oscar vom Pferd, warf Philippe die Zügel zu und stürzte mit Oscar in den Armen in das Haus. Andre hielt sich gerade im Hof auf, wo er das Leder der Sättel reinigte und einrieb, mit Blick auf das Eingangstor, da er als Erster erfahren wollte, wie das Rennen ausgegangen war. Dabei hatte ununterbrochen an Oscar gedacht und ihr den Sieg gewünscht. Daran das seine Freundin gewinnen würde, hatte er keinen Zweifel gehegt, aber immerhin hatte zusätzliches Daumendrücken noch nie geschadet. Als er nun nur den General zurückkommen sah, mit Oscar in den Armen, wusste er sofort, dass etwas anders gelaufen sein musste als geplant. Sofort ließ er alles stehen und liegen und stürzte ihnen nach. „Was ist mit Oscar?“ rief er Monsieur de Jarjayes zu. „Er hat einen Ast an den Kopf bekommen,“ schrie dieser zurück, riss die Eingangstüre auf und rannte mit Oscar auf den Armen nach oben. Ausgerechnet da begegneten ihm seine Gattin und Sophie. Madame de Jarjayes hatte gemütlich gefrühstückt und war nun mit Sophie auf dem Weg in ihr Zimmer, um dort mit ihr alles Wichtige für die kommende Woche zu besprechen. Als ihr der General mit Oscar auf dem Arm entgegen gerannt kam, deren Kopf schlapp an seiner Schulter hing, spürte sie wie für einen Moment ihr Herz aussetzte. „Oh mein Gott! Oscar! Was ist denn mit ihr passiert?“ „Er hat beim Reiten einen Ast an den Kopf bekommen,“ musste Reynier de Jarjayes nun auch seiner Gattin erklären. Damit trug er Oscar in ihr Zimmer und legte sie dort auf ihr Bett. Natürlich fing Sophie sofort wieder an entsetzlich zu jammern: „Die arme Lady Oscar! Das arme Kind! Es muss sofort nach dem Doktor geschickt werden.“ „Der Arzt kommt sofort. Ich habe Laurent geschickt um ihn zu holen.“ „Weshalb war Laurent mit euch unterwegs?“ fragte Emilie erstaunt. Inzwischen war Andre ins Zimmer getreten, der sich um Oscar ernsthafte Sorgen machte. Ihm auf dem Fuß folgte Maurice, der mitbekommen hatte das etwas Außergewöhnliches passiert war und der Sache sofort auf den Grund gehen musste. Reynier de Jarjayes merkte nun das ihm nichts anderes übrig bleiben würde, als vor allen zuzugeben das er Oscar zu einer Wette herausgefordert hatte. „Nun ja, es war so das Oscar und ich ein Wettrennen gegeneinander gemacht haben und Laurent wartete an der Ziellinie, um beurteilen zu können wer von uns beiden der Schnellste ist.“ „Wie kamt Ihr auf einen solch eine Idee,“ fragte Emilie de Jarjayes entgeistert. „Er hat Oscar eine Wette vorgeschlagen weil sie sich nicht beim König vorstellen wollte“ mischte sich Maurice ein. Keiner hatte heute noch von ihm Notiz genommen und das musste dringend geändert werden. Seine Taktik erwies sich als voller Erfolg. Alle drehten sich in seine Richtung. Allein der General dachte sich das sein Enkel ein mieser, kleiner Verräter war. Aber diese Falschheit lag sicher nicht an seinem Jarjayes- Einschlag, sondern musste eindeutig von seiner Vaterseite her, der Familie de Fortune, kommen. Emilie blickte ihren Gemahl scharf an. „Reynier, was fällt Euch ein?“ „Das Wettrennen war Oscars Vorschlag. Ich wollte ihr die Wahl zwischen Säbel und Pistole lassen.“ Das stimmte Emilie keinesfalls gelassener. „Also wirklich! Habt Ihr denn gar nicht bemerkt das sie ein Kind von dreizehn Jahren ist?“ „Mir hat er ein eigenes Pferd versprochen wenn ich nichts verrate,“ war wieder Maurices Stimme zu vernehmen. Der General beschloss insgeheim dass das kleine Biest kein Pferd brauchte. Er war dabei keinesfalls wortbrüchig geworden, denn Maurice hatte zu guter Letzt doch noch alles verraten. Strafe musste sein! Emilie de Jarjayes hatte in ihrer seit über dreißig Jahren bestehenden Ehe selten einen Entschluss ihres Mannes laut angezweifelt, doch jetzt konnte sie es sich nicht verkneifen in einem ungewohnt sarkastischem Ton zu sagen: „Ich bewundere Eure Erziehungsmethoden! Ich bewundere sie wirklich!“ Am liebsten hätte der Genral etwas zurück kommentiert aber in Anbetracht dessen, dass er so eben beinahe sein eigenes Kind umgebracht hätte, verzichtete er zum ersten Mal in seinem Leben darauf das letzte Wort zu haben. Auch Sophie vergaß in all dem Trubel ganz das es sich nicht schickte die Herrschaft zu kritisieren. „Wirklich Monsieur, so etwas gab es noch nie! Der armen Lady Oscar so eine gefährliche Wette vorzuschlagen und den lieben, kleinen Monsieur Maurice da mit hinein zu ziehen! Andre, weshalb hast du mir nichts davon gesagt? Du hast doch mit ihnen unter einer Decke gesteckt! Na, warte wir beide sprechen uns noch!“ „Aber Großmutter ich wusste doch nicht...!“ Da ließ ein stöhnendes Geräusch vom Bett alle aufhorchen. „Seit doch endlich leise!“ kam es von Oscar. „Ihr habt wohl vergessen das ich Kopfschmerzen habe!“ Alle zuckten zusammen und Emilie und Reynier de Jarjayes stellten erleichtert fest, dass Oscar nicht schwer verletzt sein konnte, wenn ihr Mundwerk noch in gewohnter Weise funktionierte. Als der Hausarzt der Familie eintraf ließ er sich kurz erklären was geschehen war und schickte dann alle nach draußen. Dort hörte man noch die Stimme des Generals ungewöhnlich kleinlaut: „Emilie Ihr müsst mir glauben. Ich hätte niemals auf Oscar geschossen. Für das Duell war doch eine Zielscheibe geplant.“ Als Oscar endlich mit dem Doktor alleine war meinte dieser zu ihr: „So, dann wollen wir dich mal untersuchen, obwohl ich nicht glaube das dein harter Jarjayes- Schädel viel abbekommen hat!“ Der Arzt hatte recht behalten. Oscar hatte zwar eine ordentliche Beule an der Stirn, trug aber keine bleibenden Schäden davon. Schlimmer war für sie, dass ihr Vater, nachdem sie so gut wie unverletzt war, zu seiner alten Art zurück gefunden und bestimmt hatte, dass die Wette als verloren galt und Oscar sich fügen musste. Der Arzt hatte ihr einen Tag Bettruhe und kalte Umschläge auf die Stirn verordnet. Da Oscar noch nie eine geduldige Patientin gewesen war, die lange freiwillig im Bett blieb, verbrachte Andre mehrere Stunden bei ihr um sie zu unterhalten. Plötzlich fragte er unvermittelt: „Oscar, darf ich dir eine Frage stellen?“ „Natürlich Andre, was möchtest du von mir wissen?“ „Weshalb möchtest du nicht an den Hof und den König kennen lernen und weshalb sträubst du dich so dagegen die Offiziersakademie zu besuchen? Ich dachte immer das alle jungen Adligen davon träumen den König zu umschwärmen und das ihn beschützen zu dürfen die größte Ehre überhaupt ist.“ Oscar sah ihrem Freund in die Augen. „Für viele junge Adlige, aber nicht für mich.“ „Aber ich verstehe nicht weshalb.“ „Ich finde es nicht richtig das um den König so einen Aufstand gemacht wird. Er ist doch auch nur ein ganz normaler Mensch so wie du und ich. Warum sollen wir Adligen etwas Besseres sein wie ihr anderen? Ich möchte nicht nach Versailles und mit lauter hochnäsigen Aristokraten meine Zeit verbringen.“ „Das lässt du aber am besten nicht deinen Vater hören,“ meinte Andre. „So, nun gehe ich auch zu Bett. Morgen gibt es wieder viel zu tun.“ Da der Pferdeknecht der Familie de Jarjayes inzwischen auf Grund seines Alters nur noch wenige Handgriffe tun konnte, hatte Andre seine Aufgaben beinahe ganz übernommen. „Warte noch Andre,“ bat Oscar. Andre setzte sich noch einmal neben ihr Bett. „Ich möchte nicht Soldat werden,“ sagte Oscar. „Ich habe keine Angst davor zu kämpfen und ich fürchte mich nicht vor dem Tod.“ Oscar suchte nach den passenden Worten. „Aber ich möchte niemand anderen töten müssen. Ich weiß das es mich mein ganzes Leben lang nicht los lassen würde, wenn ich einen anderen Menschen umbringe.“ Andre konnte Oscar nur all zu gut verstehen. Dennoch antwortete er ihr: „Als Soldat wirst du aber nicht vor die Wahl gestellt werden. Wenn es um den Schutz des Königs und die Sicherheit Frankreichs geht, dann wirst du schießen müssen. Und für deinen Vater ist es beschlossene Sache das du in die Armee des Königs eintreten sollst. Ausgerechnet ihm kannst du dich nicht widersetzen.“ „Doch, eine Möglichkeit habe ich noch um dem ganzen zu entgehen,“ sagte Oscar und ein entschlossener Ausdruck trat in ihr Gesicht. Andre wurde sofort neugierig. „Und welche Möglichkeit wäre das?“ Oscar grinste ihn an. „Das wirst du sicher bald erfahren.“ So musste Andre zu Bett gehen ohne das seine Neugierde befriedigt wurde. „Hoffentlich hat sich Oscar nicht etwas einfallen lassen was gar zu unmöglich ist. Sonst wird sie nur wieder mit ihrem Vater aneinander geraten und wer weiß ob die nächste Auseinandersetzung so glimpflich abläuft,“ dachte er für sich. Allein Oscars Grinsen sprach schon Bände für sich. Seit ihre ältere Schwester Maria Karolina nach Neapel- Sizilien verheiratet worden war, fühlte sich die kleine Erzherzogin Maria Antonia in Wien recht einsam. Maria Karolina war ihre beste Freundin gewesen und fehlte ihr nun sehr. Ihre Erzieherinnen die Gräfin Brandeis und die Gräfin Lerchenfeld hatten es schwerer als bisher sie für den Unterricht zu begeistern. Ihre Brüder Maximilian und Ferdinand wurden inzwischen gesondert unterrichtet. Noch nie war sie jedoch für ihr mangelndes Interesse oder ihre Unachtsamkeiten zurecht gewiesen worden. Langsam kam ihr selbst der Verdacht das ihre Lehrer und Erzieher vermutlich am liebsten ihre Ruhe wollten. Gerade ihr Klavierlehrer Herr Gluck lobte sie nach jedem Vortrag: „Eure Hoheit machen recht gute Fortschritte.“ Einmal hatte sie zum Spaß absichtlich falsch gespielt und selbst da keine andere Antwort erhalten. Gerade als sie wieder notgedrungen am Klavier saß, betrat die Kaiserin selbst das Musikzimmer. Überrascht hörte Maria Antonia auf zu spielen. Es war noch nie vorgekommen das ihre Mutter Maria Theresia sie während des Unterrichtes besuchte. Die Gräfin Brandeis hatte mit einer Stickerei in der Ecke gesessen, sprang auf und machte einen tiefen Knicks. Auch Herr Gluck verbeugte sich. Niemand beachtete Maria Antonias Bruder Ferdinand, der in einer Nische, größtenteils von einem Vorhang verdeckt saß. Er fand es nun furchtbar komisch, dass ihn niemand der Anwesenden bemerkte, noch nicht einmal die Kaiserin selbst. „Spielen sie nur weiter,“ forderte die Kaiserin Maria Antonia auf und setzte sich auf einen Sessel. Maria Antonia tat um was sie gebeten worden war. Sie setzte an doch nach den ersten paar Takten unterbrach sie ihre Mutter: „Aufhören, sofort! Das klingt ja grauenhaft! Herr Gluck, wie lange unterrichtet Ihr schon meine Tochter am Klavier?“ „Seit fünf Jahren Eure Majestät,“ antwortete er wahrheitsgemäß. Die Kaiserin verkniff es sich weiter zu fragen. „Gräfin Brandeis, ich bin gekommen um die Arbeitsmaterialien meiner Tochter Maria Antonia zu sehen. Bitte bringt sie mir.“ Die Gräfin Brandeis wurde blass vor Schreck. Dennoch tat sie was ihr befohlen worden war. Die Kaiserin sah sich alles durch, Französisch, Latein, Grammatik, Geographie, Geometrie... Auch ihre Gesichtsfarbe wechselte dabei zwischen kreidebleich und knallrot hin und her. „Das darf doch nicht wahr sein,“ ächzte sie. „Ist all das wirklich von Maria Antonia?“ „Ja, alles,“ bestätigte die Gräfin. „Was habt Ihr und ihre Lehrer all die Jahre nur getan?“ fragte die Kaiserin fassungslos. Die Wahrheit hätte gelautet: Märchen vorgelesen, die Streiche der Prinzen ertragen, die Prinzen und Prinzessinnen wieder eingefangen wenn sie davon gelaufen waren und vergeblich versucht Unterricht zu halten. Aber das konnte man natürlich nicht zu der kaiserlichen Frau Mutter sagen. Also schwieg die Gräfin lieber. „Es hilft alles nichts! Wir müssen das Versäumte auf dem schnellsten Wege nachholen. Wir haben gerade ein Jahr Zeit dazu.“ „Pardon Majestät, ich verstehe nicht weshalb.“ Die Kaiserin erhob sich und richtete ihre imposante Gestalt zu ihrer vollen Größe auf. „Weil meine Tochter, die Erzherzogin Maria Antonia, im nächsten Jahr die Braut des Dauphins von Frankreich und somit die nächste französische Königin wird.“ Im Zimmer wurde es so still wie wenn eine Kanone eingeschlagen hätte. „Ich werde mich um die besten Lehrer im Lande bemühen. Und sie, meine liebe Tochter, werden so fleißig sein wie noch nie in ihrem Leben.“ Mit diesen Worten rauschte die Kaiserin davon. Endlich konnte Ferdinand hinter seinem Versteck hervor kommen. Er ließ sich auf den selben Sessel fallen, auf dem zuvor seine Mutter gesessen hatte und lachte aus vollem Halse. „Also Tonerl , das ist zu komisch! Jetzt haben sie dich doch tatsächlich an die Froschschenkelfresser verhökert! Du und die Königin von Frankreich, das glaubt doch niemand!“ Maria Antonia stellte fest das sie es selbst kaum glauben konnte. In einem Jahr sollte sie ihre Heimat verlassen, einen Jungen heiraten den sie nicht kannte und ihre Familie niemals wieder sehen. Genau so wie es Maria Karolina und ihren anderen Schwestern ergangen war. In ihrer Kehle steckte plötzlich ein riesiger Kloß und ihre Augen waren voll von unterdrückten Tränen. „Und dann auch noch der Dauphin,“ lachte Ferdinand weiter. „Er soll dick wie eine Kröte sein und äußerst unansehnlich. Da hast du aber eine schönte Partie gemacht mein liebes Tonerl.“ Maria Antonia drehte sich um damit niemand ihre Tränen sah. So sollte ihr Bräutigam wohl nicht der Märchenprinz sein von dem sie schon immer geträumt hatte! Als in der darauffolgenden Woche die Audienz beim König anstand ließ sich Oscar geduldig und ohne Wiederworte in samtene Kniehosen, weiße Seidenstrümpfe und in eine Rüschenbluse kleiden. Sophie kämmte ihr liebevoll die blonden, schulterlangen Haare, um ihr dann einen riesigen Hut mit einer noch riesigeren Feder daran aufzusetzen, der Oscars Garderobe den letzten Schliff geben sollte. Sophie stellte misstrauisch fest das Oscar sich nicht mit Händen und Füßen gegen die höfische Kleidung gewehrt hatte. Ansonsten war es unmöglich gewesen sie so adrett einzukleiden ohne das sie aufschrie: „So etwas albernes ziehe ich nicht an. Ich werde nicht so aufgetakelt herum laufen!“ „Lady Oscar, auch wenn ich immer schon dagegen war das ihr wie ein Junge gekleidet werdet, muss ich Euch sagen das Ihr wirklich reizend ausseht.“ Oscars Miene zu entnehmen fand sie sich alles andere als reizend, doch kommentarlos verließ sie ihr Zimmer um nach draußen zu gehen, wo die Kutsche, die sie und ihren Vater nach Versailles bringen sollte, bereits wartete. Zu allem Unglück hielten sich gerade zwei Jungen auf dem Gang auf, die von ihrem Vater für einige Zeit angestellt worden waren, um dort die Wände neu zu streichen. Die beiden waren ein kleines Stück älter als Oscar und als sie den „Sohn des Hauses“ in diesem Aufputz sahen, konnten sie sich ein heftiges „Pfffft!“ nicht verkneifen, ließen ihr Pinsel fallen und suchten sich ein sicheres Versteck im Haus um sich auslachen zu können. Oscar fühlte sich immer kläglicher. Sah sie wirklich so lächerlich aus? In diesem Moment kam Andre um die Ecke, um zu melden das die Pferde bereit standen. Sein Blick fiel auf Oscar, die er noch nie in so einem Aufzug gesehen hatte. „Wie siehst du denn aus und was hast du denn da auf deinem Kopf?“rief er, mit einem Finger auf Oscar zeigend. Dann brach er in schallendes Gelächter aus, das er kaum noch stehen konnte. „Na warte, ich kriege dich! Sobald ich wieder zurück bin erwische ich dich und dann kannst du was erleben?“ rief Oscar zornig. Lachend trollte sich Andre davon, in der Gewissheit das Oscar ihn in ihren hochhackigen Schuhen ausnahmsweise nicht verfolgen konnte. Oscar überlegte ob sie nicht in letzter Minute einfach umdrehen und den Besuch in Versailles absagen sollte. Aber wenn ihre Audienz beim König so ablaufen sollte, wie sie es sich ausgedacht hatte, würde sie vor ihrem Vater und seiner Idee mit der Offiziersakademie für immer Ruhe haben. Also schluckte sie ihre Wut hinunter, gab ihrem Wunsch ihre Schuhe fort zu werfen und Andre zu verfolgen nicht nach, biss die Zähne zusammen und ging die Treppen hinunter. Unten wartete ihr Mutter mit Maurice um sie zu verabschieden. Bei ihrem Anblick presste sich Emilie de Jarjayes ein Taschentuch gegen den Mund. In ihren Augen erkannte Oscar das ihre sonst so beherrschte Mutter ebenfalls über sie lachen musste. Wie sehr sie ihren Vater in diesem Moment hasste, der diese scheußliche Garderobe für sie ausgesucht hatte. Lediglich ihr Neffe blickte sie bewundernd an. „Du siehst sehr elegant aus. Sicher hält dich in Versailles jeder für den Dauphin.“ Allmählich war Oscar nur noch zum heulen zu mute. Unter scheinbar unendlichen Verhaltensmaßregeln wurde Oscar von ihrer Mutter und Sophie zur Kutsche begleitet, in der Monsineur de Jarjayes bereits ungeduldig wartete. Er war mit Oscars Kleidung sehr zufrieden. Nun wirkte sie endlich wie ein junger Höfling. Als Oscar noch einmal aus der Kutsche winkte rief ihr Maurice hinterher: „Grüßt in Versailles den König und auch meine Mutter schön von mir.“ Daran das sie in Versailles auch ihrer Schwester Veronique begegnen würde hatte Oscar gar nicht mehr gedacht. Je näher sie Versailles kamen desto aufgeregter wurde Oscar. Zwar hatte sie zu Andre gemeint der König wäre ihr vollkommen gleichgültig, doch nun begann es in ihrem Bauch zu kribbeln, ohne das sie es wollte. Immerhin war der König eben doch eine wichtige Persönlichkeit, auch wenn sie das ungern zugab. Am Schlosstor wurden sie sofort von den Wachen eingelassen. Offensichtlich war der General bekannt. Bald musste Oscar fest stellen das Versailles eine Stadt für sich war. Sie fühlte sich als wäre sie in eine andere Welt eingetaucht. Nachdem sie aus der Kutsche gestiegen waren, wanderten sie ein Stück durch die Blumengärten, die um diese Jahreszeit allerdings nichts zu bieten hatten. Oscar musste feststellen, dass sie noch lange nicht am feinsten herausgeputzt war. Die anderen Mitglieder des Hochadels wandelten ebenfalls durch die Gärten. Es war die reinste Modenschau. Oscar wusste nicht wohin sie vor lauter Reifröcken, Hochfrisuren, gepuderten Perücken und Federhüten überhaupt noch schauen sollte. Der General war auch im Garten jedem bekannt, denn von allen Richtungen wurden sie gegrüßt. Oscar spürte das sich alle Blicke auf sie richteten und bemerkte das alle Höflinge, die grüßend an ihnen vorbei gingen, einander anstießen und über sie tuschelten. „Das Kind des Generals...“ In der Tat wie ein Knabe...“ „Wer weiß ob er tatsächlich ein Mädchen ist...“ Oscar war das Interesse an ihrer Person sehr unangenehm. Sie hatte es schon immer gehasst wenn über sie geredet wurde und nun taten dies unzählige fremde Menschen, völlig egal ob sie es nun mitbekam oder nicht. Die Innenräume des Schlosses waren so prächtig ausgestattet, wie Oscar es noch gar nicht gesehen hatte. Obwohl das Palas de Jarjayes durchaus luxuriös eingerichtet war, stellte die Pracht in Versailles gar kein Vergleich dazu dar. Einen Moment lang hätte Oscar am liebsten nach der Hand ihres Vaters gegriffen. Drinnen wurde das Interesse an Oscar keinesfalls geringer, im Gegenteil. General de Jarjayes und Oscar wurden regelrecht umlagert. Eine füllige Dame mit zwei Pfauenfedern auf dem Kopf kam als erstes auf sie zugestürzt. „General de Jarjayes wie ich mich freue Euch zu sehen! Ist das Oscar in Eurer Begleitung?“ Bevor der General auch nur eine Antwort geben konnte kam eine zweite Dame hinzu. „Was für ein entzückender Knabe,“ rief sie. „General, wer ist dieser Junge?“ „Ja, weißt Ihr das denn nicht?“ fragte die andere. „Dies ist der Sohn General de Jarjayes, der in Wirklichkeit ein Mädchen sein soll.“ „Dann stimmt diese Geschichte also tatsächlich? Ist denn das die Möglichkeit?“ Sofort kamen eine dritte, eine vierte und eine fünfte Dame herangestürzt. Sie drängten Oscar von ihrem Vater ab und pressten sie gegen die Wand. Oscar fühlte das es ihr langsam aber sicher übel wurde. Die Damen waren aber in ihrem Element und dachten gar nicht daran von Oscar abzulassen. Das Kind des Generals, von dem niemand so genau wusste ob es denn nun eine Knabe oder ein Mädchen war, hatte schon seit dreizehn Jahren für Gesprächsstoff gesorgt. Endlich war es soweit das man dieses Wesen begutachten konnte! An diesem Tag war Oscar eindeutig die Attraktion in Versailles. Die Leute die gekommen waren um Oscar näher in Augenschein zu nehmen wurden immer mehr und mehr. „Seht dieses herrliche blonde Haar,“ rief jemand und begann an einer von Oscars Haarsträhnen zu ziehen, die unter ihrem Hut hervor sahen. „Dieses hübsche Gesichtchen,“ quietschte die füllige Dame mit den Pfauenfedern und kniff Oscar so fest in die Wange, dass diese am liebsten aufgeschrien hätte. „Ich muss hier weg,“ war Oscars einziger Gedanke. Schnell ließ sie sich an der Wand entlang hinunter rutschen bis sie auf dem Boden hockte. Dann ging sie auf alle Viere hinunter und krabbelte in so schnell wie möglich zwischen den Reifröcken der Damen hindurch. Diese stießen vor Überraschung ein paar spitze Schreie aus, doch bis sie sich überhaupt recht umgesehen hatten, war Oscar schon durch ihren Pulk aus Reifröcken hindurch, hatte sich wieder auf die Beine gestellt und lief in einem atemberaubenden Tempo, mit ihren hochhackigen Schuhen in der Hand, davon. Sie musste schleunigst aus dem Saal entkommen, bevor sie diese neugierigen Frauen wieder in Beschlag nahmen. Wenigstens war Versailles groß genug um ein sicheres Versteck zu finden. Oscars Lauf wurde gestoppt, als sie gegen jemanden prallte! „Oh Pardon,“ brachte Oscar außer Atem hervor. Als sie aufsah, blickte sie in ein Gesicht das ihr bekannt vorkam. Eine leichte Hakennase, Augen die eng beieinander standen... Oscar hatte dieses Gesicht einmal in ihrem Leben gesehen, im Dunkeln, im Schein einer Laterne. Trotzdem hatte sich dieses Gesicht für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt. Es war der Mann der mit ihrer Schwester den Mord an der zukünftigen Dauphine geplant hatte! Entsetzt starrte Oscar ihn an. „Wir haben es heute aber eilig;“ sagt der Mann und grinste unangenehm. „Verzeiht,“ brachte Oscar noch einmal heraus. Dann wankte sie mit weichen Knien und klopfendem Herzen weiter. Sie wollte nur noch weg von dieser Person. Erschöpft ließ sich Oscar in einem kleinen Nebenraum auf einen Diwan sinken. Es war alles noch schrecklicher als sie es sich vorgestellt hatte. Zum Glück würde ihr erster Ausflug nach Versailles auch ihr letzter sein. Nach ihrem geplanten Auftritt beim König würde man sie sicher nie wieder hierher einladen. „Verzeiht Monsineur, fühlt Ihr Euch nicht wohl?“ Als Oscar aufsah stand eine fremde Dame neben ihr. Noch nie hatte Oscar so eine schöne Frau gesehen. Ihr Haar war hellblond und ihre Gesichtszüge ebenmäßig geschnitten. „Sie ist die schönste Dame in ganz Versailles,“ ging es Oscar durch den Kopf. Oscar erhob sich rasch. „Vielen Dank Madame. Ich fühle mich schon wieder besser. Ich habe nur für einen Moment Erholung gesucht,“ antwortete Oscar. Sie betrachtete die fremde Frau. Wer sie wohl sein mochte? Diese zeigte ihr ein bezauberndes Lächeln. „Versailles kann mit unter sehr anstrengend sein. Aber es hat auch seine Vorzüge. Bestimmt werdet Ihr Euch daran gewöhnen und auch bald seinen Charme entdecken, sobald ihr öfters hier seid. Ihr seid noch so jung. Ich nehme an es ist Euer erster Besuch.“ „Ja, mein Vater hat mich heute das erste Mal mit hier her genommen,“ versicherte Oscar. Die strahlenden Augen der Dame hatten sie so in ihren Bann gezogen, dass Oscar ihren Blick nicht mehr von ihr abwenden konnte. „Dann werden wir uns sicher noch oft begegnen,“ meinte die Dame. „Entschuldigt mich bitte,“ und ging sie davon. Oscar sah ihr noch lange hinterher. Sie hatte solch eine Ausstrahlung, dass Oscar, sogar noch nachdem sie den kleinen Nebenraum verlassen hatte, ganz von ihrer Person gefesselt war. Als Oscar endlich wieder in den großen Saal trat kam ihr schon ihr Vater aufgeregt entgegen. „Oscar, da bist du endlich! Ich habe dich bereits gesucht. Unsere Audienz beim König beginnt gleich. Wir müssen uns beeilen.“ Schon hatte er Oscar am Arm gepackt und mitgezogen, so dass diese auf ihren hohen Absätzen kaum hinter her kam. Bevor sie noch recht durchatmen konnte waren sie schon durch mehrere Zimmer gestürmt und hatten vor einer bestimmten Türe halt gemacht. Der General nannte ihre Namen und Oscar hörte wie der Prozeptor mit dem Stab aufstieß und ihre Namen aufrief: „General Reynier de Jarjayes! Oscar Francoise de Jarjayes!“ Ohne Nachzudenken ging Oscar neben ihrem Vater her in den Audienzsaal. Sofort machte sie, so wie sie es gelernt hatte, eine tiefe Verbeugung und zog ihren Hut. Als sie hörte wie der König das Wort an sie richtete erhob sie sich. „Das ist also Lady Oscar von der wir schon so viel gehört haben. In der Tat, es ist verblüffend. Ihr seht tatsächlich aus wie ein Knabe.“ Oscar sah sich König Louis genau an. Sie musste zugeben das er wirklich majestätisch wirkte. Trotz seines vorgerückten Alters und der bereits ergrauten Haare wirkte er so wie man sich einen richtigen König vorstellte. Plötzlich zuckte Oscar zusammen. Die wunderschöne Dame, mit der sie zuvor in dem kleinen Nebenzimmer gesprochen hatte, stand ganz in der Nähe des Königs. „Bestimmt gehört sie zum Hochadel, vielleicht sogar zur königlichen Familie selbst,“ überlegte Oscar. „Ansonsten dürfte sie nie so nahe beim König stehen. Ich hätte sie viel ehrerbietiger behandeln müssen.“ Sie vergaß ganz das sie vom Hochadel und auch von der königlichen Familie gar nichts hielt. Aber Louis XV und die wunderschöne Dame faszinierten sie so sehr. „Aber verratet uns doch,“ fuhr der König weiter fort, „welches Geschlecht Ihr denn nun habt? Seid Ihr tatsächlich ein Jüngling, so wie aus Eurer Kleidung und Eurem Auftreten zu schließen ist oder verbirgt sich dahinter ein junges Mädchen, wie überall gemunkelt wird.“ „Die ersten zehn Jahre meines Lebens war ich der festen Überzeugung ein Junge zu sein,“ antwortete Oscar. „Doch dann habe ich eines Tages meine Nichte und meinen Neffen miteinander im Badezuber gesehen. Da Jocelyn und Jules unten herum unterschiedlich geschaffen waren, kam ich zu dem Entschluss ein Mädchen sein zu müssen.“ Der König zog eine Augenbraue hoch und die Höflinge sogen scharf die Luft an. So offenherzige Reden gehörten nun wirklich nicht an den Hof. Einen kurzen Moment kam der König ganz aus seinem Konzept. Doch schnell fand er seinen Faden wieder. „Euer Vater hat mir erzählt das er Euch in der Kriegskunst unterrichtet. Entspricht das der Wahrheit?“ „Oh ja Majestät,“ antwortete Oscar. „Wenn er nicht in Versailles oder gerade unterwegs ist dann jagt er mich und Andre mit dem Degen und der Pistole über den Hof.“ „Wer ist dieser Andre?“ fragte der König. „Unser Pferdebursche,“ antwortete Oscar möglichst arglos. „Er ist mein bester Freund.“ Empört begannen die Anwesenden miteinander zu tuscheln. „Einen Pferdeburschen zählt Ihr als Euren besten Freund?“ So etwas hatte der König noch nie von einem jungen Adligen gehört. „Aber sicher,“ antwortete Oscar. „Ich halte mich auch oft im Dienstbotentrakt unseres Hauses auf. Dort ist es sehr amüsant und man erzählt sich viel Scherzhaftes über Eure Majestät und auch andere Adlige.“ Die Empörung unter den Aristokraten wuchs immer mehr. Was war das nur für ein unverschämtes Balg das der General mit an den Hof gebracht hatte! „Hat Euer Vater den keinen adligen Spielkameraden in Eurem Alter für Euch finden können,“ fragte der König weiter. „Wir haben es mit Victore de Girondelle versucht,“ antwortete Oscar. „Ein wohlerzogener Knabe,“ meinte der König. „Es ging nicht lange gut mit uns,“ sagte Oscar. „Jedes mal wenn wir einander begegnet sind so haben wir uns geprügelt.“ „Geprügelt?“ „Jawohl Majestät, geprügelt. Bei unserem letzten Zusammentreffen bin ich in den Fluss gefallen und dabei beinahe ersoffen.“ „Was seid Ihr dabei beinahe?“ fragte der König befremdet. „Oh, Pardon! Ich wollte natürlich ertrunken sagen. Das Wort „ersoffen“ habe ich von unserem Kutscher Philippe gelernt. Ich vergaß ganz das man es bei Hofe nicht verwendet.“ General de Jarjayes wünschte sich das der Boden unter seinen Füßen aufgehen und ihn verschlingen möge. Wie konnte ihm Oscar nur so eine Schande antun? Krampfhaft überlegte er wie er das Gespräch in eine andere Richtung lenken konnte, doch solange der König ihn nicht ansprach, war es ihm auch nicht möglich sich einzumischen. Ihm blieb wohl oder übel nichts anderes übrig als dabei zu stehen und mitanhören zu müssen wie Oscar sämtliche Familiengeschichten zum Besten gab. „Wir sprachen aber gerade über Eure militärische Ausbildung.“ Der König hatte sich wieder einigermaßen gefasst. „Ihr erwähntet das Euer Vater Euch im Schießen und Fechten unterrichtet hat. Wie weit seid Ihr in diesen Disziplinen ausgebildet?“ „Hervorragend!“ antwortete Oscar. „Vater ist ein sehr guter Lehrmeister. Vergangene Woche schlug er mir sogar ein Duell vor.“ „Euer eigener Vater wollte sich mit Euch duellieren?“ der König verstand die Welt nicht mehr. Er hatte schon immer gehört das die Familie de Jarjayes etwas eigen sein sollte aber das was ihr jüngster Spross ihm nun alles erzählte übertraf seine Vorstellungen. „Ja, er forderte mich zu einem Duell heraus,“ bestätigte Oscar. Monsineur de Jarjayes schwitzte Blut und Wasser. Was war nur in ihn gefahren das er Oscar so einen Vorschlag machen konnte? Aber er hatte beim Besten Willen nicht gewusst wie er sie sonst nach Versailles hätte bekommen können. „Weshalb forderte er Euch zum Duell heraus,“ erkundigte sich der König. Dieser Sache musste er auf den Grund gehen. Wahrheitsgemäß antwortete ihm Oscar: „Weil ich mich weigerte nach Versailles zu gehen!“ „Ihr wolltet nicht zu Uns kommen? Weshalb denn nicht? Wisst Ihr nicht das es für einen jungen Adligen keine größere Ehre geben kann?“ „Gewiss Majestät, aber ich finde das es hier in Versailles nicht sonderlich unterhaltsam ist.“ Das war nun wirklich der Gipfel! Der gesamte Hof hielt die Luft an und wartete darauf das der König Oscar nun endlich hinaus werfen lassen würde. Doch dieser fragte seelenruhig weiter. „Was genau behagt Euch bei Uns nicht?“ „Die meisten Adligen hier reden nur Unsinn. Als ich hier her gekommen bin haben sie mich alle umringt und umschmeichelt, weil sie mich für etwas Besonderes halten. Genau das habe ich befürchtet. Wenn ich kein Mädchen in Knabenkleidern wäre , mein Vater nicht reich und kein angesehener General, dann hätte gewiss niemand mit mir sprechen wollen.“ Im Saal war es so still geworden, dass man eine Stecknadel fallen hören konnte. „Nun wird er mich auf der Stelle entfernen lassen und Versailles und die Offiziersakademie haben sich für alle Zeiten erledigt,“ dachte Oscar zufrieden. Zu ihrer eigenen Überraschung und der aller Anwesenden brach der König in schallendes Gelächter aus. Er ließ sich auf seinen hohen Stuhl fallen und lachte so das sein mächtiger Leib bebte. Es hätte nicht viel dazu gefehlt das er sich noch ganz unköniglich auf die Schenkel patschte. „General de Jarjayes, Euer Nachwuchs ist wirklich unbezahlbar! Ich habe mich seit langem nicht mehr so köstlich amüsiert. Sie ist so wunderbar ehrlich! Der ehrlichste Mensch dem ich je an diesem Hof begegnet bin. Ihr müsst Lady Oscar unbedingt sobald als möglich wieder mitbringen!“ Oscar glaubte nicht richtig gehört zu haben. Da war ihr schöner Plan sich daneben zu benehmen völlig falsch aufgegangen. Der König war begeistert von ihr. Das war doch nicht zu glauben! „Ihr seid zu freundlich Majestät,“ brachte der General nun endlich mühsam hervor. Er war während des Gesprächs zwischen Oscar und dem König tausend Tode gestorben. „Nur die Offiziersakademie ist etwas worüber ich mir noch den Kopf zerbrechen muss. Ich weiß nicht ob sie für Lady Oscar das Richtige ist.“ „Majestät ich bitte Euch,“ ließ sich da eine Frauenstimme vernehmen. Sie kam von der bezaubernden Dame direkt neben dem König. Erstaunt sah Oscar sie an. Was fiel ihr denn ein? Sie konnte es dich nicht einfach wagen den König so anzusprechen. Doch der König schien sich nicht das geringste daraus zu machen. „Bitte lasst sie doch auf die Offiziersakademie wenn sie das so gerne möchte,“ bat die Dame weiter. „Ich finde sie so bezaubernd und niemand der sie sieht wird darauf kommen, dass sich unter ihrer Kleidung ein junges Mädchen verbirgt. Wenn sie erst eine Uniform trägt wird die Täuschung noch echter sein. Ich selbst bin erst vor einer Stunde darauf hereingefallen und glaubte einen jungen Mann vor mir zu haben.“ Der König sah sich Oscar noch einmal genauer an. „Sicherlich habt Ihr da recht meine Liebe,“ meinte er an die Dame gewandt. In Oscar Kopf arbeitete es fieberhaft. Wer war diese Person? Sie benahm sich wie die Königin, die jedoch schon seit einiger Zeit verstorben war. „Ich fände es wundervoll wenn sie auch eines Tages zu unserem Schutz in der Leibgarde dienen würde. Sie hat mich mit Ihrer Ehrlichkeit und Ihrer natürlichen Anmut bezaubert. Sicher ist sie mindestens so tapfer wie jeder Mann, das spüre ich.“ „Nun denn, meine Teure. Wenn dies Euer Wunsch ist und ich Euch damit eine Freude bereiten kann dann soll es so sein. Oscar Francoise de Jarjayes, hiermit seid Ihr auf meinen Befehl für die Offiziersakademie zugelassen. Ich gratuliere Euch.“ „Ich danke Eurer Majestät,“ sagte Oscar. Sie fühlte sich wie wenn sie einen Schlag ins Genick bekommen hätte. Der König winkte ab und der General konnte sich zusammen mit Oscar rückwärts aus dem Audienzsaal entfernen. Ihr Vater hatte ohnehin sofort erraten das Oscar ihre Komödie nur aufzog um an der Offiziersakademie abgelehnt zu werden. Das ihr Plan nun zu seinen Gunsten ausgegangen war, machte seinen Triumph um so schöner. „Oscar, auch ich gratuliere dir! Du hast mich heute sehr stolz auf dich gemacht!“ sagte er. Um seine Mundwinkel zuckte ein hämisches Grinsen. Dann entdeckte er einen seiner engen Freunde und ließ Oscar stehen. Oscar fühlte sich so unglücklich wie schon lange nicht mehr. Hatte sich denn die ganze Welt gegen sie verschworen? Eine der Frauen, die sie vorher so in die Enge getrieben hatten, ging an ihr vorbei und gab ihr mit ihrem Fächer eine Klaps auf die Schulter. „Ihr könnt Euch glücklich schätzen. Ihr steht in der Gunst des Königs ganz weit oben. Und natürlich in der Gunst der Dubarry!“ Nun wurde Oscar einiges klar. Die schöne Dame war niemand geringeres als die Mätresse des Königs, die Gräfin Dubarry. Also stimmte es auch was alle erzählten. Madame Dubarry benahm sich wirklich wie die Königin! Dank ihres Charmes konnte man es ihr aber nicht übelnehmen und Oscar konnte den König nun auch verstehen, das er ihr so verfallen war und sie wie seine Königin in Versailles leben ließ. Man musste sie einfach von ihr hingerissen sein. „Guten Tag Oscar,“ hörte sie eine Stimme neben sich. Als sie sich umdrehte stand Veronique neben ihr. Oscar drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Alles redet schon darüber welchen Eindruck du beim König und meiner lieben Freundin Dubarry hinterlassen hast. Aber du selbst siehst überhaupt nicht glücklich aus.“ Oscar gab ihrer Schwester keine Antwort. Was sollte sie auch dazu sagen? „Du willst all das gar nicht?“ fragte Veronique. Oscar schüttelte den Kopf. Veronique hätte ihr am liebsten geholfen doch wusste sie, dass gegen den Wunsch ihres Vaters nicht ankam. „Ich soll dir von Maurice schöne Grüße ausrichten,“ sagte Oscar. „Er scheint sich bei uns recht wohl zu fühlen.“ „Danke Oscar. Ich bin froh darüber das er bei euch in guten Händen ist.“ Als Oscar mit ihrem Vater wieder Richtung Ausgang ging, wo ihre Kutsche auf sie warten sollte, traf sie erneut der Blick des Mannes, mit dem sich Veronique im Garten in der Normandie getroffen hatte. Dieses Mal verbeugte er sich leicht und grüßte ihren Vater. Dann sah er Oscar so durchdringend an, als wüsste er das sie seine Pläne kannte. Oscar wurde kalt. Erst als ihr Vater sagte: „Friert es dich sehr? Ein Lakai wird dir gleich deinen Mantel bringen,“ merkte sie das sie tatsächlich zitterte. Als sie in der Kutsche saßen war es draußen bereits dunkel geworden. Endlich waren sie alleine und Oscar traute sich nach dem Namen des für sie so unheimlichen Mannes zu fragen. „Vater, wer ist der Mann der Euch gegrüßt hat während wir hinausgegangen sind?“ „Du meinst den Herzog La Vauguyon? Er ist der Hauslehrer des Dauphins.“ Herzog La Vauguyon, der Hauslehrer des Dauphins! Mit ihm war doch vor kurzem erst etwas gewesen? Jetzt viel es Oscar wieder ein. Es war als Veronique bei ihnen gewesen war. Sie war mit Andre bei den Dienstboten in der Küche gesessen und Danielle, Veroniques Zofe, hatte einen Brief von ihr gebracht den Philippe an einen Herzog La Vauguyon überbringen sollte. Der Hauslehrer des Dauphins war es der die Dauphine umbringen lassen wollte. Er war der unheimliche Fremde aus dem Garten. Und wenn ihre Schwester ihm erst vor zwei Monaten geschrieben hatte, dann musste sie selbst höchstwahrscheinlich immer noch in das Mordkomplott verwickelt sein. Wie immer wenn sie daran dachte spürte sie wie einen Moment ihr Herz aussetzte. „Bist du müde?“ fragte sie der General. „Oder traurig?“ Oscar sah ihren Vater an. „Ich mache all das nicht um dich zu ärgern oder dir weh zu tun. Es ist nur zu deinem eigenen Besten. Du wirst auf der Offiziersakademie all das lernen was du brauchst um eine Truppe führen zu können. Wenn dann erst deine Karriere am laufen sein wird, wirst du mir dankbar sein.“ Oscar hielt es für zwecklos ihrem Vater zu erklären das sie gerade das nicht wollte und weshalb. Er würde es ohnehin nicht verstehen und dann würden sie wieder miteinander in Streit geraten. Der General begnügte sich damit das Oscar wohl nicht in Plauderlaune war. Ganz anders als während ihrer Audienz beim König. So verlief der Rest der Heimfahrt schweigend. Als Oscar endlich alleine in ihrem Zimmer war konnte sie der Wut, die sich schon den ganzen Tag in ihr angestaut hatte Luft machen. Als erstes riss sie sich den riesigen Federhut vom Kopf, warf ihn auf den Boden und versetzte ihm einen Tritt, das er quer durch das Zimmer und unter das Bett schlitterte. „Merde,“ fluchte Oscar. „Merde, Merde, Merde!“ Der ganze Tag war vollkommen anders abgelaufen wie sie es sich ausgedacht hatte. Anstatt entsetzt über sie zu sein, war der König nun so von ihr angetan das er sie unbedingt an der Offiziersakademie und später als Leibgardist an seinem Hof sehen wollte! Es war einfach nicht auzuhalten! Oscar schleuderte die albernen, hochhackigen Schuhe von ihren Füßen, so das diese nacheinander an die Wand knallten. Dann warf sie sich aufs Bett und trommelte mit den Fäusten in ihre Kissen. „Merde, Merde, Merde!“ Andre war sich erkundigen gekommen wie Oscars Audienz verlaufen war. Da sie alle gewusst hatten das Oscar heimlich etwas plante, war er nun neugierig. Das Oscar noch böse auf ihn sein konnte, weil er über ihre elegante Kleidung gelacht hatte, dachte er gar nicht mehr. Oscar antwortete auf sein Anklopfen, da sie dachte es wären ihr Vater oder ihre Mutter, die sich über das Gepolter in ihrem Zimmer beschweren wollten. Als die Tür aufging und Andre ins Zimmer kam sah sie sofort rot. Wäre ihr Ausflug zu ihren Gunsten ausgegangen, hätte sie ihm das Auslachen längst verziehen, doch nach ihrer Niederlage schwappte ihre Wut erst recht in ihr hoch. „Was willst du denn hier?“ schrie sie. „Ich wollte mich erkundigen wie deine Audienz beim König war.“ „Das kann dir egal sein! Du hast ohnehin nichts besseres zu tun als über andere Leute zu lachen.“ Ein Kopfkissen sauste Andre an den Kopf. Andre zog es vor Oscar alleine zu lassen. Vielleicht wäre sie morgen genießbarer. Ansonsten würde sie ihn wieder mit dem Degen herausfordern um sich abzureagieren. Andre seufze. So sehr er seine beste Freundin auch mochte, manchmal war sie sehr anstrengend. Oscar sollte sich wirklich so schnell nicht abregen. Als alle das in die Kissen trommeln nichts nützte, sprang sie vom Bett, schlüpfte in ihre Stiefel, griff ihren Degen, der in der Ecke stand und rannte mit ihm die Treppe hinunter. Die Haustüre war noch nicht abgeschlossen worden. Oscar lief in den Garten hinaus und begann mit einem unsichtbaren Gegner zu fechten. Wild schlug sie um sich in die Luft. Sie kämpfte und kämpfte bis zur Erschöpfung. Als sie nicht mehr konnte ließ sie sich mit dem Rücken gegen einen Baum zu Boden gleiten. Allmählich bekam sie wieder Luft. Sie glühte trotz der Kälte. Als sie wieder einigermaßen zu Atem gekommen war, konnte sie auch endlich klar denken. Ihr war durchaus bewusst das sie ihr Schicksal so hinnehmen musste, wie ihr Vater es für sie geplant hatte. Nun gab es endgültig keinen Ausweg mehr. „Dann soll es eben so sein,“ sagte Oscar zu sich selbst. Entschlossen bis sie die Zähne zusammen und machte sich auf den Weg zurück ins Haus. Kapitel 6: Geschichten von gebildeten Stallburschen, Offizierskadetten die Mädchen sind, Schmiedelehrlinge die Kronprinzen sind und einer Kronprinzessin die noch ein Kind ist ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Ein Bauer namens Albert Chevrier, aus dem kleinen Dörfchen Evry, fuhr mit seinem Ochsenkarren die schmale Landstraße entlang, um sein Feld zu bestellen. Zufrieden ließ er sich die Sonne in sein Gesicht scheinen, während der Karren gemütlich vor sich hin ruckelte. Plötzlich zuckte er erschreckt zusammen, denn er hörte wie aus heiterem Himmel jemanden schimpfen wie einen Rohrspatz: „Also musste das den passieren! Nun werden wir völlig unnötig aufgehalten und all das schöne Wild entgeht uns. So etwas geschieht immer nur Euch de Meuron.“ Um dem Gezeter auf den Grund zu gehen, hielt Bauer Albert seinen Karren an, stieg ab und ging in die Richtung aus der die keifende Stimme kam. Bald entdeckte er am Waldrand zwei Herren, der Sprache und der feinen Kleidung nach höchstwahrscheinlich Adlige, mit ihrem Knecht, einem sehr einfach gekleideten Jungen von etwa vierzehn oder fünfzehn Jahren. Mit sich führten sie drei ausgesprochen schöne Pferde und Gewehre. Offensichtlich befanden sie sich gerade auf der Jagd. Am liebsten wäre Albert auf seinen Wagen gestiegen und weitergefahren. Mit ein paar verwöhnten Adligen, die sich im Wald mit jagen vergnügten, während anständige Menschen einer rechtschaffenen Arbeit nachgingen, wollte er nach Möglichkeit nichts zu schaffen haben. Doch der eine der Männer, der gerade so heftig geschimpft hatte, hatte ihn bereits entdeckt und winkte ihm zu. „Du dort! Bleib sofort stehen! Wir benötigen deine Hilfe.“ Widerwillig trat er auf sie zu. „Nun starr uns doch nicht so an,“ zeterte der eine weiter. „Das Pferd des Grafen de Meuron hat ein Hufeisen verloren. Weißt du wie man so etwas in Ordnung bringt?“ „In Evry gibt es einen sehr guten Hufschmied. Sicher wird er sich gerne um Euer Pferd kümmern. Reitet immer nur die Straße entlang, dann kommt ihr direkt in das Dorf. Die Schmiede könnt ihr nicht verfehlen.“ Obwohl der adlige Herr keineswegs freundlich zu ihm gewesen war, gab er ihm Albert eine halbwegs freundliche Antwort. Wenigstens ließ sich der Herr nun zu einem Kopfnicken als Dank herab. „Also kommt meine Lieben. So reiten wir eben in dieses Evry. Ich hoffe der Schmied arbeitet schnell, so das wir möglichst bald mit der Jagd beginnen können.“ Ohne ein weiteres Wort saß er wieder auf. Lediglich der junge Knecht lächelte Albert schüchtern an. „Hab Dank für deinen Rat. Er hat uns sehr geholfen.“ Immerhin ein freundlicher Junge, wenn auch ein wenig zurückhaltend, dachte sich Albert. Als er wieder an seinem Karren angelangt war, sah er gerade noch wie sich die kleine Gruppe entfernte. Erstaunt stellte er fest das der Knecht weiter auf seinem Pferd sitzen blieb, während der Graf de Meuron, dessen Pferd das Hufeisen fehlte, zu Fuß ging. Kopfschüttelnd fuhr Albert weiter. Endlich in Evry angekommen fanden die drei Männer auch sofort die Schmiede. Während der Schmied Monsieur Bonnet sich sofort an die Arbeit machte, setzten sie sich vor der Werkstatt auf eine Bank in der Sonne. Doch schon nach kurzer Zeit öffnete sich die Türe der Schmiede und Monsieur Bonnet kam verschwitzt und mit rotem Gesicht heraus. „Verzeiht edle Herren, aber mein einziger Geselle liegt gerade heute krank im Bett. Ich brauche dringend Hilfe beim Beschlagen des Pferdes. Könnte nicht Euer Bursche den ihr mit dabei habt mir in der Werkstatt ein wenig zur Hand gehen?“ Zum Erstaunen des Schmieds starrten ihn die drei völlig entgeistert an. Was hatte er den verkehrt gemacht? Der junge Bursche saß schließlich nur mühsig herum. Warum sollte er sich nicht nützlich machen wenn Not am Manne war? Da fuhr der eine Herr, der recht reizbarer Natur zu sein schien, regelrecht auf. „Ihr wisst wohl nicht wen...?“ Da winkte der Bursche mit einem Handzeichen ab und erhob sich. „Ich helfe gerne mit Monsieur.“ Dem feinen Herrn blieb der begonnene Satz in der Kehle stecken, während der Junge dem Schmied in die Werkstatt folgte. In der Schmiede war es warm und voller dichtem Rauch. „Wie heißt du mein Junge?“ Einen Moment überlegte dieser. Dann antwortete er nach einigen Sekunden: „Mein Name ist Auguste, Monsieur.“ Weshalb musste der Kerl denn überlegen wie er hieß? Hoffentlich war er nicht geistig beschränkt. Dann wäre er sicher keine große Hilfe. Monsieur Bonnet reichte Auguste eine schmutzige Schürze und erklärte ihm was zu tun war. Er zeigte ihm wie er den Fuß des Pferdes halten sollte und erklärte ihm die verschiedenen Werkzeuge. Dann machten sie sich an die Arbeit. Von der ungewohnten Tätigkeit und der Hitze in der Schmiede stand Auguste bald der Schweiß auf der Stirn. Trotzdem half er eifrig mit. Monsieur Bonnet musste zugeben, dass er noch nie einen Lehrling gehabt hatte, der so schnell dazu lernte. Außerdem war dieser Auguste wirklich sehr fleißig und man sah ihm an das er an der neuen Tätigkeit offensichtlich Freude hatte. Als das Pferd des Grafen de Meuron endlich sein neues Hufeisen hatte, klopfte er Auguste freundlich auf die Schulter. „Hat dir die Arbeit bei mir gefallen?“ Auguste sah ihn an. „Ja, es hat mir so viel Spaß gemacht wie noch nichts anderes in meinem Leben,“ antwortete er in so einem überzeugenden Ton, dass man ihm einfach glauben musste. Erfreut blickte Monsieur Bonnet ihn an. „Sag mir Auguste, könntest du dir vorstellen bei mir in die Lehre zu gehen? Ich denke du bist für das Schmiedehandwerk wie geschaffen. Ich war gerade sehr mit dir zufrieden.“ Auguste sah ihn nun mit weit aufgerissenen Augen an. „Was ist mein Junge? Hat es dir die Sprache verschlagen?“ „Es tut mir sehr leid Monsieur aber meinem Großvater wäre es sicher nicht recht wenn ich hier arbeiten würde.“ „Es kann doch nicht sein das es ihm nicht gefällt wenn du ein ordentliches Handwerk erlernst. Sag mir wo du wohnst, dann geh ich selbst bei ihm vorbei und spreche mit ihm.“ Auguste sah immer entsetzter aus. „Oh, nein Monsieur das wird nicht gehen.“ „Aber weshalb denn nicht Auguste? Was zum Donnerwetter ist denn los mit dir?“ „Mein Großvater lebt in Versailles. Deshalb könnt Ihr ihn nicht besuchen.“ „Hör auf mich zum Narren zu halten! So etwas erlaube ich nicht. Merk dir das gleich von Anfang an wenn du bei mir arbeiten möchtest. Und nun sag mir endlich wo der alte Herr wohnt damit ich mit ihm sprechen kann.“ Auguste war nun schon krebsrot im Gesicht und sichtlich verzweifelt. „Hat es die die Sprache verschlagen?“ fuhr ihn Monsieur Bonnet an, der nun sichtlich die Geduld verlor. Mühsam brachte Auguste hervor: „Ich sagte bereits das es nicht gehen wird. Mein Großvater lebt in Versailles. Er... er ist der König von Frankreich.“ Monsieur Bonnet fasste sich an die Stirn. Dieser Auguste war doch tatsächlich geisteskrank! Dabei hatte man ihm während der Arbeit in keinster Weise etwas davon angemerkt. Vielleicht war er aber auch einfach nur ein Lügner - ein ausgesprochen schlechter Lügner. Aber selbst wie ein Hochstapler wirkte er nicht, sondern im Gegenteil, wie ein sehr lieber und ehrlicher Junge. Wenn er aber nun nicht verrückt war und nicht log, dann - Bonnet blickte ihm noch einmal in die hellblauen Augen- dann sprach er wohl die Wahrheit! „Du...Ihr seid der Dauphin Louis Auguste?“ „So ist es Monsieur!“ „Ich glaube ich muss mich sofort setzen. Unglaublich was einem an einem Montagmorgen so alles unterkommt!“ Andre stand am Wegrand, in der Nähe des Palas de Jarjayes und beschirmte seine Augen mit einer Hand, um sie vor der blendenden Sonne zu schützen. Er wartete seit einer Stunde vergeblich auf den Hufschmied, der für heute bestellt worden war, um die Pferde der Familie de Jarjayes neu zu beschlagen. Dem alten Monsieur Bonnet, der seit Jahrzehnten seinen Beruf ausübte, war schon alles recht beschwerlich. Sicher hatte er sich nur deshalb derartig verspätet, denn so etwas sah ihm überhaupt nicht ähnlich. Andre hatte bereits in aller Frühe alles vorbereitet, doch als der Schmied immer noch nicht kommen wollte, hatte ihn der alte Stallknecht der Jarjayes voraus geschickt um nach ihm Ausschau zu halten. Bald sah Andre eine Staubwolke näher kommen, doch die musste von mehreren galoppierenden Pferden stammen. Monsieur Bonnet besuchte seine Kunden mit einem einfachen Karren auf dem er sein Werkzeug mitführte. Endlich konnte Andre vier Reiter, die noch ein weiteres Packpferd mitführten, erkennen. Als sie Andre entdeckten zügelten sie ihre Pferde und hielten neben ihm an. Einer der Männer, der eine gescheckte Stute ritt, sprach ihn an. „Guten Tag! Befinden wir uns auf dem richtigen Weg nach Versailles?“ Der Mann sprach fließend Französisch aber mit einem Akzent den Andre nicht zuordnen konnte. „Ja Monsieur,“ antwortete Andre. „Wenn Ihr diesen Weg weiter entlang reitet dann werdet ihr direkt nach Versailles kommen.“ „Kannst du uns sagen ob es noch weit ist?“ „Es ist wohl noch etwas mehr als eine halbe Stunde zu reiten.“ Andre sah sich die Männer genauer an. Sie wirkten sehr müde, erschöpft und schmutzig, wie jemand der bereits einen langen Weg hinter sich hat. Auf dem Packpferd befand sich nur ein einziges Paket, dass groß, flach und viereckig war. Während ihres Gesprächs hatte Andre gar nicht bemerkt das inzwischen Monsieur Bonnet mit seinem ewig lärmenden Karren voller Werkzeugen und Eisenstücken angefahren gekommen war. „Guten Tag Andre! Du wartest doch nicht hoffentlich auf mich?“ „Natürlich habe ich auf Sie gewartet Monsieur Bonnet. Ich habe bereits alles notwendige vorbereitet. Wir müssen uns beeilen wenn wir heute noch alle Pferde schaffen wollen.“ Sein Blick viel auf die vier Reisenden. Er verspürte etwas Mitleid mit ihnen. Sie wirkten als wären sie ehrliche Leute und mussten von besserer Herkunft sein, da sie alle sehr gut gekleidet waren. Außerdem war er neugierig aus welchem Land sie kamen und was sich wohl in dem merkwürdigen, viereckigen Päckchen befinden mochte das sie mit sich führten. Kaufleute reisten doch meist mit vielen Waren und nicht nur mit einem einzigen Paket. So wandte er sich an die Reisenden: „Ich bin der Stallbursche im Palas de Jarjayes. Meine Herrschaften sind sehr großzügig und werden sicher nichts dagegen haben wenn ihr Euch bei uns ein wenig erfrischt. Also kommt bitte mit mir mit und ruht Euch bei uns ein wenig aus bevor die restliche Wegstrecke nach Versailles zurück legt.“ Die Männer sahen ihn dankbar an. Doch einer schüttelte den Kopf. „Wirst du den keinen Ärger bekommen Junge wenn du einfach fremde Leute mitbringst?“ „Es herrscht gerade solch ein Trubel im Palas das es vermutlich kaum jemand bemerken wird. Das jüngste Kind der Jarjayes wird heute zum ersten Mal auf der Offiziersakademie antreten und deshalb ist ein unbeschreibliches Durcheinander. Es würde mich wundern wenn es überhaupt jemandem auffallen würde, dass vier Männer da sind die niemand kennt.“ Oscar betrachtete sich im Spiegel. Die Kadettenuniform, die der Schneider ihr angemessen und nun geliefert hatte, saß wie angegossen. Auf den ersten Blick erkannte sie sich selbst kaum. Sie erinnerte sich an ihren Tag in Versailles als die Dubarry gesagt hatte: „Wenn sie erst eine Uniform trägt, dann wird die Täuschung noch echter sein.“ Ob an der Offiziersakademie jemand merken würde, dass sie kein junger Mann, sondern ein Mädchen war? Die wichtigsten Offiziere die davon wussten würden sich wohl kaum etwas anmerken lassen. Schließlich besuchte sie die Akademie auf den Wunsch des Königs. Und der Wunsch des Königs war ein Befehl, dem sie nun nachkommen würde. In der Nacht hatte Oscar kaum geschlafen vor Aufregung wegen der unbekannten Dinge die nun auf sie warten würden. Deshalb wirkte sie heute auch ungewöhnlich blass. Ihr fiel ein das sie noch nie einen Talisman oder etwas ähnliches besessen hatte. Nur ein einziges Mal hatte ihr jemand ein besonderes Geschenk gemacht das sie beschützen sollte. Sie öffnete ihr Schmuckkästchen, das kaum etwas enthielt und holte das kleine, goldene Kreuz mit der lateinischen Gravur, das sie von ihrer Schwester Juliette geschenkt bekommen hatte, heraus. Sie legte sich die Kette, an der das Kreuz hing, um den Hals, schloss hinten die Haken und steckte es unter ihren Uniformkragen. Seltsamer Weise fühlte sie sich nun wirklich beschützt. Das kühle Metall auf ihrer Haut beruhigte sie. Ein letztes Mal atmete sie tief durch und ging fest entschlossen die Treppe hinunter. Andre sollte recht behalten. Tatsächlich fiel im Palas de Jarjayes weder Monsieur noch Madame de Jarjayes auf, dass er vier fremde Männer mitgebracht hatte. Madame de Jarjayes war völlig aus dem Häuschen und weinte schon den ganzen Morgen, da sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Gewissensbisse darüber, ob es richtig war aus Oscar einen Soldaten zu machen, in ihr regten. Der General hingegen war so euphorisch wie ihn Andre noch nie erlebt hatte. Noch vor dem Morgengrauen war er auf den Beinen gewesen und scheinbar ziellos die Treppen herauf und herunter gerannt, hatte nach Sophie und seinem Kammerdiener Laurent gerufen, falls an Oscars Uniform noch etwas geändert werden musste, hatte einen regelrechten Aufstand daraus gemacht das ihre Stiefel seiner Meinung nach noch nicht genug poliert waren und lief selbst zweimal in den Dienstbotentrakt, um Andre einzuschärfen das Oscars Stute an diesem wichtigen Tag in ihrem Leben so glänzend gestriegelt sein musste wie noch nie. Andre war über die neue Situation einfach nur traurig. Von jetzt an würde er mit seiner besten Freundin Oscar längst nicht mehr so viel Zeit verbringen können wie bisher. Ihre Tage, außer den Sonntagen, würde sie nun auf der Akademie verbringen. Sie hatten sich für den vergangenen Abend verabredet und wollten noch einmal gemeinsam beisammen sitzen aber der General hatte Oscar vollkommen für sich beschlagnahmt, um ihr noch einmal ausführlich einzuschärfen, wie ihr Verhalten auf der Offiziersakademie auszusehen hatte um dem Namen de Jarjayes keine Schande zu bereiten. Das er Oscar jetzt noch einmal sehen konnte um ihr Glück zu wünschen war ebenso ausgeschlossen, denn sie mussten unverzüglich mit dem Beschlagen beginnen, denn durch Monsieur Bonnets Verspätung hatten sie ohnehin schon viel zu viel Zeit verloren. Zunächst einmal führte er aber die vier Reisenden in die Küche, damit sich Sophie um sie kümmern konnte. Sophie, die gerade dastand und Paulette zurecht wies, die ein Kleid Madame de Jarjayes schlampig gereinigt hatte, fand auf einmal vier fremde, ausgesprochen staubige aber vornehm gekleidete Herren vor sich. Andre stellte sie vor: „Meine Großmutter, Madame Sophie Glace, die Haushälterin des Palas de Jarjayes.“ Dann viel ihm ein das er die Männer nicht nach ihren Namen gefragt hatte. Diese verbeugten sich tief vor Sophie und der, mit dem Andre zuerst gesprochen hatte stellte sich vor: „Mein Name ist Fürst Starhemberg,Botschafter ihrer kaiserlichen Hoheit Maria Theresia von Österreich. Madame Glace es ist mir eine große Ehre.“ Damit gab er Sophie einen Handkuss, die sich im nächsten Moment fühlte wie wenn sie auf Wolken schweben würde. Auch Paulette lief rot an, als sie hörte welch vornehme Herrschaften auf einmal bei ihnen in der Küche standen. Andre machte sich schleunigst aus dem Staub und brachte sich im Stall in Sicherheit, wo er dafür sorgte das die Pferde der Reisenden gefüttert und getränkt wurden. Er ärgerte sich über sich selbst. So etwas Dummes konnte auch nur ihm passieren. Nun hatte er doch tatsächlich den Botschafter der österreichischen Kaiserin in die Küche des Dienstbotentraktes geführt und der Haushälterin anstatt Madame und Monsieur de Jarjayes vorgestellt. Er wusste das dies noch Ärger bringen musste. Er band das erste der Pferde die beschlagen werden sollten los und führte es hinüber in die eigene Schmiede der Familie de Jarjayes. Monsieur Bonnet hatte sich bereits an die Arbeit gemacht und das erste Hufeisen geschmiedet,dass er nun rotglühend mit einer Zange nach oben hielt. Während der Kutscher Philippe das Bein des Pferdes hielt, redete Andre beruhigend auf es ein. Das konnte niemand so gut wie er. Als sie gerade mit dem ersten Pferd fertig geworden waren, traf ihn ein heftiger Schlag auf den Rücken. Andre unterdrückte einen Aufschrei um das Pferd nicht zu erschrecken. Als er sich umdrehte, um der Sache auf den Grund zu gehen, entdeckte er hinter sich Sophie mit einem Besenstiel in der Hand, mit dem sie ihm eins übergezogen hatte. „Großmutter was soll das? Hast du den Verstand verloren?“ „Ich glaube eher das du den Verstand verloren hast Andre Grandier. Was fällt dir ein den Botschafter der österreichischen Kaiserin in eine Küche zu führen? Überlege wie beschämt Madame und Monsieur de Jarjayes darüber sein werden das so etwas in ihrem Hause vorgekommen ist. Ich hatte nun auch nichts andres was ich ihnen vorsetzen konnte außer ein paar Plätzchen und etwas trockenem Kuchen. Diese Schande Andre!“ Andre grinste seine Großmutter an. „Deine Plätzchen sind so vorzüglich, dass sogar die Kaiserin von Österreich selbst nicht genug davon bekommen würde. Der General hätte für den hohen Besuch ohnehin keine Zeit gehabt. Wenn er mit Oscar endlich los geritten ist dann können wir die Männer immer noch zu Madame de Jarjayes führen.“ „Oh nein! Das werden wir nicht machen! Madame und der General dürfen niemals heraus bekommen das wir einen kaiserlichen Botschafter in der Küche bewirtet haben. Hörst du mich Andre?“ „Ich habe es verstanden Großmutter. Wenn du es dir so wünscht dann machen wir es so.“ „Und nun komm wenigstens mit um dich von ihnen zu verabschieden. So viel Anstand wirst du doch noch haben!“ Andre folgte seiner zeternden Großmutter wieder ins Haus. Der kaiserliche Botschafter und seine Begleiter sahen keineswegs so aus als wären sie mit der Behandlung unzufrieden gewesen. Wie es sich Andre gedacht hatte, war Sophies Gebäck hervorragend bei ihnen angekommen. Paulette und Marie drängelten sich um den hohen Besuch, schenkten ihnen eifrig frischen Tee nach und kicherten gespielt verlegen, zu den Komplimenten, die ihnen die Männer in gebrochenem Französisch machten. Andre stellte fest, dass das Französisch der Anderen längst nicht so gut war wie das des Fürsten Starhemberg. Sicher würden sie sich freuen wenn er sie auf Deutsch ansprechen würde, denn bestimmt war es sehr anstrengend sich ständig in einer fremden Sprache zu unterhalten. Erstaunt sahen ihn die Männer an als sie ihn plötzlich in ihrer Muttersprache reden hörten. „Ich hoffe Ihr konntet Euch während Eures Aufenthaltes ein wenig erholen. Auch Eure Pferde habe ich gut versorgt.“ Fürst Starhemberg wandte sich verdutzt an ihn. „Du sprichst Deutsch? Wie ungewöhnlich! Wie konntest du als Stallknecht eine Fremdsprache erlernen?“ Er hatte ohnehin schon verwundert festgestellt, dass Andres Ausdrucksweise anders war als die der anderen Bediensteten. Sie war weit aus feiner und geschliffener. Dieser Pferdebursche sprach genau so wie ein französischer Aristokrat. Schon das war ihm von Anfang an aufgefallen. „Ich wurde als Spielgefährte für das Kind des Generals de Jarjayes ins Haus geholt und bin auch mit ihm zusammen unterrichtet worden,“ gab ihm Andre bereitwillig Auskunft. „Nun das erklärt sicher einiges. Aber wir müssen nun aufbrechen, da wir endlich Versailles erreichen wollen. Zum Dank für eure Gastfreundschaft möchten wir euch aber, bevor wir abreisen, noch etwas zeigen, was vor euch noch kein Mensch in Frankreich gesehen hat.“ Gespannt sahen alle in der Küche Fürst Starhemberg an. Was mochte er wohl besonderes mit sich führen? Etwas was direkt aus Österreich kam und noch niemand von ihnen kannte? „Bring das Paket und zeig es ihnen;“ befahl er einem der Männer. Andre hielt es vor Spannung kaum noch aus. Nun würde er erfahren was sich in dem geheimnisvollen Päckchen befand, dass ihm sofort aufgefallen war. Zwei der Männer stellten es senkrecht auf den Küchentisch und einer von ihnen begann vorsichtig den Ledereinband davon zu lösen. Nun konnte Andre deutlich einen Bilderrahmen erkennen. Der Einband fiel und darunter kam ein Gemälde mit einer fremden Frau darauf zum Vorschein. „Das ist lediglich ein Porträt mit einer Dame darauf,“ antwortete Andre ehrlich enttäuscht. Das konnte nicht der Ernst dieser Männer sein, dass sie bis hierher geritten waren nur um so etwas nach Versailles zu bringen. Versailles war doch ohnehin schon voll mit Bildern, wie ihm Oscar nach ihrem Besuch dort erzählt hatte. Auch die anderen im Raum schwiegen und konnten mit dem Gemälde offenbar nichts anfangen. „Du irrst dich,“ antwortete ihm der Fürst. „Das ist nicht irgendeine Dame, sondern niemand geringerer als die Erzherzogin Maria Antonia von Österreich, eure zukünftige Dauphine und so Gott will auch eines Tages eure Königin.“ „Wie wundervoll! Entzückend! Charmant!“ Seine Großmutter und die Dienstmädchen konnten sich vor Begeisterung kaum fassen als sie hörten das es sich um „ihre“ Kronprinzessin handelte. Andre konnte ihnen jedoch nicht beipflichten. Er fand die Dame auf dem Bild nicht sonderlich hübsch. Allein schon die ungewöhnlich hohe Stirn unter ihrer Frisur störte ihn. Außerdem wirkte sie auf ihn äußerst hochnäsig. Ihm viel ein das der Dauphin erst so alt war wie er selbst und plötzlich tat ihm Louis Auguste sehr leid. Seine Großmutter versetzte ihm einen Rippenstoß. „Andre, hast du denn über unsere Dauphine nichts sagen?“ „Sie ist noch gar nicht unsere Dauphine Großmutter.“ „Wahr gesprochen! Aber nächstes Jahr um diese Zeit wird sie es sein.“ Ich würde nur all zu gerne hören was Oscar zu dem Bild sagen würde?“ dachte sich Andre. Natürlich Oscar! Bald würden sie und ihr Vater los reiten und er musste ihre Pferde bereit stellen, um dann schleunigst wieder in der Schmiede zur Hand zu gehen. Plötzlich hatte er einen Einfall. Er suchte in der Küchenschublade seiner Großmutter nach Feder, Tinte und Papier, setzte sich an den Tisch und begann zu schreiben. Fürst Starhemberg sah ihm über die Schulter. „Für einen Stallburschen hast du auch noch eine ungewöhnlich schöne Schrift. Zumal viele Leute deines Standes überhaupt nicht lesen und schreiben können. Es ist wirklich erstaunlich!“ Als Oscar in ihrer Uniform die Treppen herunter kam lief ihr Vater ihr begeistert entgegen und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Jetzt beginnt unsere harte Arbeit Früchte zu tragen Oscar. Endlich ist es soweit das du Kadett an der Offiziersakademie wirst. Aber wir dürfen uns noch längst nicht ausruhen. Denke daran was wir gestern Abend besprochen haben. Ich erwarte von dir das du an der Akademie den Anordnungen deiner Vorgesetzten Folge leistest und so diszipliniert arbeitest wie du es von mir gelernt hast.“ „Natürlich Vater,“ war alles was Oscar herausbrachte. Vermutlich erwartete der General, da sie nun eine Uniform trug, dass sie vor ihm salutieren sollte, doch danach war Oscar einfach nicht zumute. Als sie mit ihrem Vater in den Hof trat, standen ihre Pferde gesattelt bereit. Von Andre war zu Oscars Bedauern nichts zu sehen. Es hätte ihr Mut für den heutigen Tag gemacht mit ihrem besten Freund noch ein paar Worte zu wechseln. Als Oscar gerade aufsitzen wollte, fand sie am Zaumzeug ihrer Stute eine zusammengerollte Nachricht, die mit einem Band zugeschnürt war. Ihr Vater wandte sich in diesem Moment an ihre Mutter, um dieser noch etwas zu sagen. Neugierig rollte Oscar die Nachricht auf. Sie erkannte sofort Andres Handschrift. Neugierig begann sie zu lesen: „Liebe Oscar, ich wünsche dir viel Glück an deinem ersten Tag an der Offiziersakademie. Leider kann ich es nicht persönlich machen, da heute morgen der Hufschmied kommt, dem ich zur Hand gehen muss. Trotzdem denke ich heute ganz fest an dich. Egal was kommt, ich werde immer dein bester Freund bleiben. Dein Andre.“ Gerührt rollte Oscar die kleine Schriftrolle wieder zusammen und steckte sie liebevoll in ihre Tasche. Sie bemerkte das Tränen in ihre Augen getreten waren. Letzten Endes ritt sie mit ihrem Vater los, durch das Tor des Palas de Jarjayes, durch das sie unzählige Male geritten war. Gerade in diesem Moment traten der Fürst Starhemberg und seine Begleiter hinaus in den Hof. Gerade sahen sie noch von der Seite wie Oscar auf ihrer weißen Stute durch das Tor hinaus ritt. „Das muss sicherlich der Sohn des Generals de Jarjayes sein. Wie schmuck er in seiner Uniform aussieht!“ rief er aus. Paulette wollte sich wichtig tun und flüsterte ihm zu: „Pssst. Bei Oscar handelt es sich nicht um einen Sohn. Der junge Kadett den ihr so eben gesehen habt ist eine Mädchen.“ „Pardon Mademoiselle?“ Der Fürst meinte sich verhört zu haben. „Wenn ich es Euch doch sage. Der General hat sie als Jungen erziehen lassen und nun soll sie, obwohl sie eine junge Dame, ist die Offiziersakademie besuchen.“ Kopfschüttelnd wandte sich Fürst Starhemberg an einen seiner Landsmänner. „In welch seltsames Land hat es uns nur verschlagen? Hier gibt es gebildete Stallburschen und Offizierskadetten die Mädchen sind.“ Oscar ritt vorbei an den Wiesen, die sie wie ihre Westentasche kannte, an dem Fluss, in dem sie beinahe ertrunken wäre und an den Apfelbäumen, die nun im Frühling in voller Blüte standen. Ihr Eintritt als Kadett in die Offiziersakademie war ein deutlicher Einschnitt in ihrem Leben, das spürte sie. Madame de Jarjayes sah ihnen von einem der Fenster im oberen Stockwerk hinterher: „Nun hat mein Mann also seinen Willen bekommen. Hoffentlich nicht zum Schaden Oscars. Ich hätte mich gegen seine Entscheidung einfach mehr wehren müssen aber nun ist es zu spät,“ sagte sie zu sich selbst. Im Hof war Sophie gerade die glücklichste Frau Frankreichs als sich Fürst Starhemberg zum Kuss über ihre Hans beugte und sagte: „Habt dank für Eure Gastfreundschaft Madame Glace. Euer Gebäck war das köstlichste das je versuchen durfte.“ Für General de Jarjayes war es selbstverständlich an Oscars erstem Tag mit ihr zu reiten . Zum Schlafen würde Oscar jeden Tag nach hause in das Palas de Jarjayes kommen. Es war nur ein Ritt von 20 Kilometern, was eine Übernachtung völlig unnötig machte. Das Oscars Geschlecht der Hauptgrund für diese Regelung war, musste niemand erfahren. Am Tor wurden sie von zwei älteren Kadetten eingelassen. Sie erkannten den General, salutierten vor ihm und vermuteten sofort richtig, dass der Neue neben ihm sein „Sohn“ sein musste. Der General und Oscar übergaben ihre Pferde einem der Stallburschen und gingen in das Büro des Akademieleiters. Dieses Amt wurde zur Zeit von General de Ronsard begleitet. Dieser war wenig erfreut darüber, dass es Oscar nun wirklich bis hierher geschafft hatte, da er sie, nach ihrem unmöglichen Verhalten, als sie zu ihrem Treffen nicht erschienen war, für ein richtigen Bengel hielt. Davon das sie dem weiblichen Geschlecht angehörte ganz zu schweigen! Oscar erinnerte sich wieder daran, dass ihre Schwester Veronique, als sie das letzte Mal bei ihnen gewesen war, sich in Sicherheit bringen wollte vor dem Klatsch in Versailles, da ihr Gatte, der sie mit de Ronsard im Bett erwischt hatte, sich mit diesem duelliert hatte. Oscar sah sich General de Ronsard genau an. Er war in letzter Zeit noch ein wenig korpulenter geworden und erinnerte sie mit seinem Schnurrbart an einen der Seehunde aus ihrem Naturkundebuch. Bei dem Gedanken daran, dass ihre Schwester bestimmte Dinge mit ihm getan haben sollte verspürte sie eine leichte Übelkeit. Wie war ihre hübsche Schwester nur auf so eine Idee gekommen? Da ihm die Aufnahme Oscars ohnehin zu wieder war, wurde lediglich ihre Akte durchgegangen und sie somit zu ihrem ersten Appell entlassen. Stolz verabschiedete sich der General von ihr mit den üblichen Ermahnungen. „Ist der Mann dein Vater?“ fragte eine Stimme neben ihr. Als Oscar sich umsah entdeckte sie rechts von sich einen jungen Mann, der etwa vierzehn Jahre alt sein mochte. Er hatte dunkelblondes Haar , große braune Augen und war nur ein kleines Stück größer als Oscar. „Ja, das ist mein Vater, General de Jarjayes“ antwortete Oscar. Der junge Mann streckte ihr die Hand hin: „Ich heiße Henry de Mortemart. Mein Vater ist der Vicomte de Mortemart.“ Er war Oscar sofort sympathisch. „Ich bin Oscar Francoise de Jarjayes,“ stellte sie sich, glücklich darüber sofort jemanden kennen gelernt zu haben, vor. „Besuchst du die Akademie schon lange?“ erkundigte sie sich. „Nein, ich gehöre auch zu den neuen Rekruten, die heute hier anfangen. Ich muss dir aber gestehen das ich nicht hierher wollte.“ „Wirklich nicht?“ Oscar war erstaunt. Sie hätte nicht gedacht, dass noch ein anderer junger Adliger als sie selbst sich so eine Chance entgehen lassen wollte. „Ja, ich weiß es klingt erstaunlich. Aber ich wollte ehrlich gesagt mein bequemes Leben zuhause bei uns nicht aufgeben. Ich hatte es wirklich angenehm. Vater war mehr in Versailles oder auf einem seiner Landgüter unterwegs als daheim. Ich konnte morgens immer liegen bleiben solange ich wollte. Ich bin täglich auf die Jagd gegangen und meine beiden älteren Brüder haben fast jeden Abend eine Gesellschaft oder ein Kartenspiel gegeben. Es war immer recht amüsant bei uns. Die meisten meiner Hauslehrer habe ich übrigens vergrault.“ Oscar sah ihn mit einer Mischung aus Erstaunen und Neugier an. So etwas hatte sie noch nie gehört. Auch wenn ihr Vater unterwegs gewesen war, hatte im Palas de Jarjayes stets Ordnung geherrscht. Gesellschaften gab es bei ihnen selten, es wäre ihrer Mutter zu viel Trubel gewesen. Morgens wurde zeitig aufgestanden, die Familienmitglieder genau so wie die Bediensteten. Den Unterricht bei ihrem Hauslehrer Monsieur Dumas durften sie, Andre und ihr Neffe Maurice, seit er bei ihnen lebte, niemals versäumen. Offensichtlich war es bei Henry zuhause ganz anders zugegangen. „Jedenfalls hat mein Vater irgendwann beschlossen das nun andere Seiten aufgezogen werden,“ fuhr Henry fort. „Vermutlich weil wir in seiner Abwesenheit viel zu viel Geld ausgegeben haben. Für meinen ältesten Bruder wurde eine passende Gemahlin gesucht. Außerdem wurden beiden meiner Brüder sofort Aufgaben bei Vaters Geschäften zugeteilt. Und meine Wenigkeit hat man hier her auf die Offiziersakademie geschickt. Aber ich habe mir fest vorgenommen das Beste daraus zu machen. Spaß kann man schließlich überall haben und wenn nicht dann sorge ich für welchen.“ Das sagte Henry ziemlich überzeugt. Oscar überlegte für sich welche Art von Spaß Henry wohl meinte. „Und was ist mit dir Jarjayes,“ fragte Henry. „Wolltest du hierher?“ „Ich wollte zunächst auch nicht aber der König und Madame Dubarry haben es so gewünscht.“ Henry sah sie erstaunt an. „Der König und seine Mätresse selbst? Da musst du sie aber schwer beeindruckt haben.“ „Das wollte ich zunächst gar nicht,“ gab Oscar zu. „Ich habe versucht mich bei einer Audienz daneben zu benehmen, in dem ich Dinge erzählt habe die nicht an den Hof gehören und außerdem erklärte ich fände Versailles langweilig und voller Heuchler. Aber gerade das fanden der König und Madame Dubarry großartig und wünschten sich das ich diese Akademie besuchen und später in die Leibgarde eintreten sollte.“ Henry lachte laut und schlug Oscar auf die Schulter. „Als ich dich gesehen habe dachte ich mir gleich das man mit dir Spaß haben kann Jarjayes. Wir werden gute Kameraden werden.“ Oscar überlegte das er wohl kaum bemerkt haben konnte das sie ein Mädchen war. Umso besser. Wenn sie sich so umsah würde sie sich unter lauter raubeinigen Jungen vermutlich wohler fühlen wie unter hochnäsigen Mädchen, die den ganzen Tag nur kicherten und nichts anderes im Kopf hatten als ihre Frisuren und welches Kleid sie zum nächsten Ball tragen würden. Vielleicht war die Offiziersakademie doch nicht das schlechteste was ihr passieren konnte. Gemeinsam mit Henry und Olivier de Gramont, einem weiteren Jungen der wiederum mit Henry bekannt war, ließen sie sich in der Waffenkammer ihre Degen aushändigen. Pistolen durften sie nur während ihrer Schießübungen benutzen, anschließend wurden diese wieder eingesammelt. So traten sie in Reih und Glied zu ihrem allerersten Appell an. Es folgten Unterricht in Strategie und Kriegskunde, sowie Stunden im Fechten und Schießen. Müde und erschöpft von den vielen neuen Eindrücken aber zu ihrem eigenen Erstaunen sehr zufrieden, ritt Oscar am Abend zum Palas de Jarjayes zurück. Henry hatte sein Zimmer auf dem Akdemiegelände, da seine Familie aus Marseille stammte. Olivier begleitete Oscar ein Stück, da wie er Oscar selbst erzählt hatte, sein Vater im letzten Jahr verstorben war und er nun von einem Onkel in Paris erzogen wurde und auch bei diesem lebte. Nachdem sie sich an einer Wegkreuzung verabschiedet hatten ritt Oscar alleine weiter. Je näher sie Palas de Jarjayes kam desto ungeduldiger wurde sie. Sie brannte darauf Andre davon zu erzählen was sie alles erlebt hatte. Zu ihrer Freude erwartet sie Andre bereits am Tor. Mit Schwung saß Oscar ab und sie und Andre umarmten sich so als hätten sie sich seit Jahren nicht mehr gesehen. Tatsächlich hatten sie auch seit Andres Einzug im Palas de Jarjayes noch nie so viele Stunden ohne einander verbracht. Fröhlich kam auch Maurice angerannt, der ebenfalls von einem der oberen Fenster nach Oscar Ausschau gehalten hatte. Aufgeregt drängelte er sich dazwischen. Er wollte so viel wie möglich über die Offiziersakademie erfahren, immerhin war es sein großer Wunsch eines Tages ebenfalls dort hinzugehen, um so zu werden wie sein Großvater. Es wurde eine lange Nacht in der Oscar Andre unzählig viel zu erzählen hatte. Oscar erzählte und erzählte, von ihren ersten Unterrichtsstunden, wie sie bereits in der ersten Fechtstunde zwei ihrer Gegner entwaffnet hatte und dann von einem Dritten selbst entwaffnet wurde, der wirklich ein hervorragender Fechter war von dem sie sicher viel lernen konnte. Sie erzählte auch von den anderen Kadetten und vor allem von General de Ronsard. „Als ich mit Vater in sein Büro gekommen bin hat er seinen Schnurrbart richtig beleidigt hochgezogen. Sicherlich ärgert es ihn maßlos das ich es als Mädchen trotzdem noch auf die Offiziersakademie geschafft habe.“ „Es war das was du zuerst gar nicht wolltest,“ bemerkte Andre. „Ja,“ stimmte ihm Oscar zu. „Aber ich glaube das ich die kommenden Jahre glücklich werden könnte. Der Unterricht macht mir wirklich Spaß und auch die Kameraden scheinen alle nett zu sein.“ Dann sah sie Andre aufmerksam an. „Aber wir haben den ganzen Abend nur von mir gesprochen. Erzähl mir doch wie dein Tag war.“ „Mein Tag war längst nicht so interessant wie deiner,“ antwortete Andre. „Nur hatte ich, da du nun fort bist, zum ersten Mal keinen Unterricht bei Monsieur Dumas. Ansonsten war alles wie immer. Es gab im Stall und auf dem Hof viel zu tun und das heute der Hufschmied da war, habe ich dir in meiner Nachricht geschrieben. Ach ja, der Hufschmied.... Der war allerdings etwas merkwürdig.“ „Monsieuer Bonnet ist auf einmal merkwürdig?“ „Um es genauer zu sagen war er heute ziemlich verrückt. Ich würde schon beinahe sagen das er den Verstand verloren hat.“ „Aber Monsieur Bonnet beschlägt doch nun schon seit Jahren unsere Pferde. Ich habe wenn ich ihm bei der Arbeit zugesehen habe noch nie bemerkt das er verrückt ist.“ „Seit du das letzte Mal mit dabei warst ist fast ein Jahr vergangen. Inzwischen hat er wirklich einige Marotten entwickelt. Stell dir vor, er behauptet steif und fest sein neuer Lehrling wäre unser Dauphin!“ „Was unser Dauphin soll bei ihm in die Lehre gehen? Dann ist er wirklich verrückt geworden!“ Oscar begann schallend zu lachen. „Stell dir mal vor wie er mit seinen königlichen Gewändern da steht, krampfhaft versucht nicht schmutzig zu werden und mit seinem seidenen Taschentuch den Rauch von sich fort wedelt.“ Nun stimmte auch Andre in ihr Gelächter ein. „Ach ja und außerdem bin ich einer der ersten Franzosen der ein Portrait unserer zukünftigen Dauphine gesehen hat.“ „Wie konnte das passieren? Andre ich glaube dein Tag war noch abenteuerlicher als meiner!“ Es war ein schöner Abschluss von Oscars erstem Tag auf der Akademie. Der Unterricht General de Jarjayes machte sich nun für Oscar eindeutig bezahlt. Sie gehörte fast in jedem Fach zu den eindeutig Besten. Oscar stellte rasch fest, dass es die unterschiedlichsten Charaktere unter den Kadetten gab. Zum einen gab es die Perfektionisten, die im theoretischen Unterricht sehr gründlich lernten und im Schießen und Fechten Woche um Woche besser wurden, so das man ihnen anmerkte, dass sie zusätzlich bis zum umfallen trainieren mussten. Es gab die „Mitläufer“, die in nichts besonders gut oder besonders schlecht waren, die sich durch keinen besonderen Ehrgeiz auszeichneten, es aber für eine wichtige und ehrenvolle Aufgabe hielten Louis XV und seine Familie eines Tages beschützen zu dürfen. Und dann gab es noch diejenigen, die lediglich auf den Wunsch ihrer Väter da waren und das Leben auf der Akademie locker nahmen, allen voran Henry. Ohne es selbst zu bemerken, hatte Oscar, obwohl sie gegen die Akademie so einen Widerwillen empfunden hatte, sich in die Gruppe der Perfektionisten hoch gearbeitet. Seit sie außer ihrem Vater und Andre noch andere Übungspartner hatte, boten sich ihr nun endlich Vergleichsmöglichkeiten an. Sie verglich sich mit den anderen Jungen und verbesserte ständig ihre Technik. Und ohne das sie es selbst bemerkte eroberte sich Henry mit seiner unbekümmerten Art, die das genaue Gegenteil ihrer eigenen war, einen Platz in ihrem Herzen. Fasziniert beobachtete Oscar wie er gegen sie und andere Kadetten haushoch verlor und dies mit einer Heiterkeit, die sie selbst nie fertig gebracht hätte, wie er Aufgaben aus Bequemlichkeit nicht erledigt hatte und dies ohne mit der Wimper zu zucken vor seinem Lehrer zugab, während sie alle schriftlichen Arbeiten tadellos erledigte. Anstatt über so viel Unbekümmertheit, die ihrem eigenen Wesen völlig fremd war, entsetzt zu sein, übte Henry bald eine ungewöhnliche Faszination auf Oscar aus, sein freches Grinsen, seine spitzbübische Art und sein Gesichtsausdruck, wenn man es ihm an der Nasenspitze ansah, dass er schon wieder etwas ausheckte. Auf der anderen Seite war Henry ein richtiger Kamerad mit dem man, wie er es bereits am Anfang versprochen hatte, besonders viel Spaß haben konnte, der aber für seine Freunde durch Feuer und Wasser gehen würde. Und diese Charaktereigenschaft schätzte Oscar am meisten an ihm. Die Tage vergingen wie im Flug. Oscar musste feststellen das sie sich auf der Akademie wohl fühlte und sich auf jeden neuen Tag freute. Auch Andres Leben verlief nun anders als bisher. Seine Unterrichtsstunden waren weg gefallen. Schließlich hatte er nur wegen Oscar an ihnen teilnehmen dürfen, da er ihr Spielgefährte gewesen war. Nachdem Oscar ihren Unterricht nun auf der Akademie erhielt, gab es keinen Grund mehr Andre zu unterrichten. Immerhin war er nun vierzehn Jahre alt und hatte mehr Bildung genossen, als es für einen Pferdeburschen üblich war. Er war nun ganz von seinen Aufgaben im Stall in Anspruch genommen. Oscar hatte nur noch wenig Zeit für ihn. Doch jeden Abend ritt er ihr, so wie an ihrem ersten Tag, ein kleines Stück entgegen und wartete auf sie ungeduldig an den alten Apfelbaum, nahe des Palas de Jarjayes. Wie gebannt sah er in die Richtung aus der Oscar kommen würde und wenn eine schmale Silhouette auf einem Pferd auftauchte, dann breitete sich ein angenehmes Gefühl von Vorfreude in ihm aus und wenn er erkannte das sich die Gestalt zu einem jungen Kadetten entpuppte dann ging ein Strahlen über sein Gesicht und er ritt Oscar entgegen. Auch Sophie hatte es sich angewöhnt immer zur selben Tageszeit aus dem Fenster zu sehen und entdeckte dann Oscar und Andre wie sie einträchtig nebeneinander her ritten. So verstrichen die Wochen. Die Blüten an den Apfelbäumen waren längst abgeblüht und zwischen ihren Blättern begannen die ersten winzigen Früchte zu reifen. Dann sollte ein Tag kommen an dem Andre umsonst auf Oscar warten würde. Vergnügt saß Louis XV bei einem Fläschchen Wein in seinen privaten Gemächern. Er fand das er sich die Flasche nach einem harten Tag voller Regierungsgeschäften mehr als verdient hatte. Bald sollte seine geliebte Dubarry hinunter kommen, denn ihre Gemächer im oberen Stock waren mit seinen verbunden. Auch diese Zerstreuung hatte er sich heute mehr als verdient. Gerade als er sich recht unköniglich auf ein Kanapee werfen wollte klopfte es an der Tür. Er verkniff sich einen Fluch und ließ den Lakaien der angeklopft hatte herein treten. „Herzog La Vauguyon bittet darum empfangen zu werden.“ Ärgerlich kniff der König die Lippen zusammen. Das kleine Mannsweib des Generals de Jarjayes hatte recht gehabt. Versailles konnte wirklich unerträglich sein. Was mochte der Lehrer seines Enkels nur von ihm wollen? Hoffentlich konnte die Angelegenheit möglichst schnell erledigt werden. Auf sein „Wir lassen bitten,“ trat Herzog La Vauguyon ein. „Majestät, verzeiht mir das ich Euch zu so später Stunde noch störe....“ Der König winkte ab. „Berichtet mit was Ihr auf dem Herzen habt Herzog. Aber bitte umgehend!“ „Es handelt sich um den Dauphin.“ „Das habe ich mir beinahe schon gedacht. Was ist mit meinem Enkel?“ „Nun ja, es verhält sich so: Jeden Tag reitet Louis Auguste auf die Jagd.“ „Das ist mir bekannt. Kommt endlich zum eigentlichen Problem.“ „Das Problem, nun ja!... Wie soll ich es nur formulieren? Louis Auguste nutzt diese Ausflüge nicht um zu jagen.“ „Was Ihr nicht sagt! Trifft sich mein Enkel mit einer weiblichen Person? Das ist doch halb so schlimm!“ „Durchaus nicht Eure Majestät, durchaus nicht.“ „Was um alles in der Welt macht er denn dann?“ „Er geht bei einem Schmied in die Lehre um das Schmiedehandwerk zu erlernen.“ „Wie bitte?“ „Er geht bei einem Schmied....“ „Das habe ich verstanden! Bringt mir sofort den Dauphin!!! Die letzten beiden Sätze Louis XV hallten düster durch die Gänge von Versailles. Der König war wütend wie schon lange nicht mehr. Der Dubarry war für den heutigen Abend abgesagt worden und statt dessen musste er sich nun um seinen missratenen Enkel kümmern, der offensichtlich lieber Schmied werden wollte, als eines Tages die Geschicke Frankreichs zu lenken. „Wollen Sie mich und sich selbst zum Gespött sämtlicher Untertanen machen Louis Auguste? Ich biete Ihnen ein Versailles eine Zerstreuung nach der anderen aber Sie, der zukünftige König von Frankreich, verbringen Ihre Zeit lieber mit einem Schmied.“ „Majestät Ihr müsst mir glauben das Monsieur Bonnet ein sehr ehrenwerter Mann ist. Sogar General de Jarjayes, auf den Ihr doch so große Stücke haltet, gehört zu seinen Kunden.“ „Selbst wenn er die Rosse des gesamten Hochadels beschlagen würde wünsche ich nicht das Sie weiter Umgang mit ihm pflegen. Wie sind Sie nur auf so einen Gedanken gekommen?“ „Es ergab sich so,“ begann Louis Auguste zu berichten. „Ich war eines Tages auf der Jagd. Mein Lehrer Herzog La Vauguyon und der Graf de Meuron begleiteten mich. Weil ich mich dabei ohnehin ständig schmutzig mache trug ich nur die aller einfachste Kleidung. Dies ist mir ohnehin am liebsten. Wir hatten noch gar nichts erlegt als das Pferd des Grafen zu hinken begann. Er saß ab und stellte fest das ein Hufeisen fehlte. Ein Bauer der mit seinem Karren vorbei kam sagte uns das ein guter Schmied in der Nähe seine Werkstatt hätte und so begaben wir uns zu ihm. Jedenfalls hielt er mich aufgrund meiner einfachen Kleidung lediglich für einen Knecht. Wir saßen draußen auf der Bank in der Sonne, als er zu uns kam, erklärte das sein Geselle gerade krank im Bett lag und forderte mich darum auf mit Hand an zu legen. Ich war noch nie in einer Schmiede gewesen und war neugierig. Deshalb stand ich auf und ging mit ihm hinein, bevor La Vauguyon und de Meuron noch recht protestieren konnten. Dort durfte ich die Pferde halten und ihm alles Nötige zureichen. Zum ersten Mal in meinem Leben hat mir etwas richtig Spaß gemacht. Ich stellte fest das es viel amüsanter ist als unsere ewigen Konzerte, Bälle und Kartenspiele in Versailles. Bald begann ich zu schwitzen aber es machte mir nichts aus. Monsieur Bonnet lobte mich das ich sehr fleißig wäre und schnell lernen würde. Er bot mir an zu ihm in die Lehre zu gehen. Da musste ich ihm wohl oder übel erklären, dass er den Dauphin von Frankreich vor sich hatte. Er wollte es mir zunächst nicht glauben und dachte ich wäre geisteskrank aber dann hat er gemeint auch wenn ich ein Prinz wäre, könnte man mich doch zu einer vernünftigen Arbeit gebrauchen und weil es mir so gut bei ihm gefallen hat, fragte ich nach, ob ich nicht doch jeden Tag zu ihm kommen dürfte um bei ihm das Schmieden zu lernen. Bitte verbietet es mir nicht Majestät! Ich fühle mich seit ich bei Monsieur Bonnet in die Lehre gehe so zufrieden wie schon lange nicht mehr.“ Seit König Louis seinen Enkel kannte, hatte dieser noch nie so lange und so viel gesprochen. Offensichtlich lag ihm wirklich etwas an der Schmiedekunst. Vielleicht gab es eine Lösung ihm dieses Handwerk nicht verbieten zu müssen, sondern es wie eine exzentrische Freizeitbeschäftigung aussehen zu lassen. Um Madame Dubarry die Zeit zu vertreiben saß ihre Hofdame Veronique de Fortune mit ihr bei einem Kartenspiel. „In einem Jahr wird wohl schon unsere neue Dauphine am Hof sein?“ erkundigte sich Veronique.“ „Das Datum der Hochzeit steht zwar schon fest aber der König will nicht das ich es verrate,“ antwortete die Gräfin Dubarry. Veronique wirkte über alle Massen gekränkt. „Aber Madame ich bin schließlich nicht irgendjemand, sondern Eure beste Freundin. Es tut mir sehr weh wenn Ihr mir so wenig Vertrauen schenkt.“ „Oh nein, meine Liebe, bitte fühlt Euch nicht von mir verletzt! Ich wollte so etwas nicht zu Euch sagen. Natürlich nehmt Ihr an allem Wichtigen in meinem Leben Anteil. Der König hat mir erzählt das die kleine Erzherzogin nächstes Jahr am 20. April in Wien abreisen wird um am 16. Mai unseren Dauphin zu heiraten.“ Veronique wirkte nun sehr zufrieden. „Sicher weiß man schon etwas Näheres über die Reiseroute der Dauphine. Durch welche Ortschaften wird sie reisen?“ „Darüber hat Seine Majestät nicht mit mir gesprochen. Außerdem ist es doch nicht wichtig. Hauptsache sie kommt heil an und wir werden in den Genuss eines rauschenden Hochzeitsfestes kommen.“ Ein genauer Beobachter hätte einen unzufriedenen Zug um Veroniques Mund bemerkt. Auf ein Klopfen trat der Herzog La Vauguyon ein, dicht gefolgt von dem österreichischen Botschafter Fürst Starhemberg und seinen Begleitern. Da der König so ungewöhnlich große Stücke auf seine Mätresse hielt, hatte der Fürst Starhemberg beschlossen das es ein kluger, diplomatischer Schachzug wäre, ihr einmal einen Besuch abzustatten. All seine Vorurteile gegenüber Madame Dubarry lösten sich in Luft auf, als sie fröhlich rief: „Wie reizend von Euch mich zu besuchen! Nicht wahr Veronique? Bitte setzt Euch, ich werde sofort nach einem guten Wein schicken lassen.“ Fürst Starhemberg betrachtete Madame Dubarry. Sie war in der Tat unbeschreiblich hübsch und wirkte durchaus liebenswürdig. „Sicher habt Ihr bereits alle erfahren das der König gerade eine Unterredung mit seinem Enkel hat,“ eröffnete der Lehrer des Dauphins das Gespräch. Alle Blicke wandten sich ihm zu. „Unser kleiner Prinz hat äußerst wenig für die Vergnügungen am Hofe übrig. Stattdessen geht er bei einem Schmied in die Lehre.“ Alle begannen zu lachen. „Für junge Damen scheint er ebenfalls wenig übrig zu haben,“ meinte Veronique. „Das Porträt unserer hübschen, zukünftigen Dauphine hat er jedenfalls kaum eines Blickes gewürdigt.“ „Mit dem Bild gibt es allerdings eine Besonderheit,“ antwortete ihr der Fürst Starhemberg. „Auf dem Bild ist die zukünftige Dauphine von Frankreich überhaupt nicht abgebildet.“ „Wer dann?“ riefen fast alle gleichzeitig. „Um allen in Frankreich zu zeigen wie hübsch ihre Tochter ist, ließ Maria Theresia den Maler Herr Ducreux nach Schloss Schönbrunn kommen. Er porträtierte dort die Erzherzogin Maria Antonia, so wie es gewünscht wurde. Allerdings war die Kaiserin mit dem Bild äußerst unzufrieden. „Weshalb denn?“ Fürst Starhemberg konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. „Weil jeder der das Bild sehen würde, sofort feststellen könnte, dass die Braut des Dauphin ein kleines Mädchen von dreizehn Jahren ist. Ist niemandem aufgefallen das auf dem Bild, das wir nach Versailles gebracht haben, eine erwachsene Dame abgebildet ist und kein junges Mädchen?“ Im Raum wurde es still. Es war wirklich niemandem aufgefallen das die Person auf dem Bild wohl kaum erst dreizehn Jahre alt sein konnte. „Die Kaiserin war jedenfalls der Ansicht, dass dieses Bild auf gar keinen Fall nach Frankreich geschickt werden könne,“ fuhr Fürst Starhemberg fort. „Immerhin sollt ihr Franzosen in dem Glauben bleiben eine voll ausgereifte junge Dame als Kronprinzessin zu bekommen, auch wenn sie in noch so jugendlichem Alter sein mag. Also musste der arme Herr Ducreux ein zweites Porträt anfertigen, auf dem Maria Antonia so abgebildet ist wie sie vielleicht einmal als erwachsene Frau aussehen wird. Dieses Bild habe ich Euch nach Versailles gebracht, während sich das Original noch in Wien befindet.“ „Dann ist Eure Kaiserin äußerst gerissen,“ meinte die Gräfin Dubarry. Damit sprach sie allen aus der Seele. „Wir haben heute übrigens etwas merkwürdiges erlebt,“ erzählte der Fürst Starhemberg weiter. „Als wir einen jungen Burschen nach dem Weg fragten, lud er uns in das Palas seiner Herrschaft ein. Er ließ uns von der Dienerschaft in der Küche bewirten, die Herrschaften selber bekamen wir erst bei unserem Aufbruch zu Gesicht. Dieser Bursche sprach jedenfalls unsere Muttersprache und konnte sehr sauber schreiben, obwohl er nur im Stall arbeitet. Als wir uns dann auf den Weg machen wollten, sahen wir das jüngste Kind dieser Familie. Es trug eine Uniform und sollte genau an diesem Tag auf der Offiziersakademie antreten. Eine der Bediensteten behauptete aber das dieses Kind ein Mädchen sei, dass wie ein Knabe erzogen wird.“ „Ihr wart bei uns zuhause!“ rief Veronique erfreut. „Ihr wart im Haus meiner Eltern, der Jarjayes und der junge Soldat den ihr gesehen habt war meine Schwester Oscar. Mein Vater hat sie tatsächlich wie einen Knaben erziehen lassen. Und der Stallbursche war unser Andre, Oscars ehemaliger Spielgefährte.“ „Dann stimmt diese Geschichte also?“ „Natürlich stimmt sie!“ rief die Dubarry. „Ich kann es kaum erwarten das unsere liebe Lady Oscar nach Versailles kommt um uns zu beschützen. Dann werden zwei Schwestern der Familie de Jarjayes uns dienen.“ Dabei sah sie Veronique freundschaftlich an. Man plauderte noch über dieses und jenes. Die Österreicher waren sehr charmant zu den Damen und Veronique stellte zu ihrer eigenen Überraschung fest, dass es auch nette Österreicher zu geben schien. Schließlich verabschiedeten sich alle Anwesenden von der Dubarry und verließen gemeinsam ihren Salon. Der Fürst Starhemberg und seine Begleiter gingen in die entgegengesetzte Richtung wie der Lehrer des Dauphins und Veronique. „Sie sind eben doch ein kurioses Volk,“ meinte der Fürst als er sich sicher war das sie wieder unter sich waren. „Gebildete Stallburschen, Offizierskadetten die Mädchen sind, Schmiedelehrlinge die Kronprinzen sind und jetzt bekommen sie auch noch eine Kronprinzessin die noch ein Kind ist.“ Sie lachten laut über ihre Gastgeber. „Aber wenigstens ihr König hat Geschmack. Die Dubarry ist rund und süß wie ein Marillenknödel.“ Kaum waren die Gäste aus Österreich außer Sichtweite, packte Herzog La Vauguyon Veronique, zog sie in eine dunkle Ecke und drückte sie grob gegen die Wand. „Was hat die Schlampe des Königs gesagt? Habt Ihr die gewünschten Informationen?“ „Die Dauphine wird sich nächstes Jahr am 20. April auf den Weg nach Frankreich machen. Die Hochzeit soll am 16. Mai stattfinden.“ „Und weiter? Welche Reiseroute wird sie nehmen? In welchen Städten wird sie Rast machen?“ „Die Dubarry wusste nichts darüber. Der König hat ihr davon nichts mitgeteilt.“ La Vauguyon drückte mit einer Hand Veronique fest die Kehle zu, so das ihr die Luft knapp wurde. Gefährlich sah er sie an. „Dann findet diese Dinge heraus! Was ist mit General de Ronsard? Ist er noch Euer Liebhaber?“ Veronique versuchte trotz seinem eisernen Griff an ihrer Kehle ein Nicken zu Stande zu bringen. „Dann trefft Euch sobald als möglich wieder mit ihm. Er wird mit aller höchster Wahrscheinlichkeit die Dauphine in Wien abholen und hier her begleiten. Also wird er auch ihre Reiseroute mit planen. Trefft Euch so oft als möglich mit ihm und dann durchsucht seine persönlichen Sachen, bis Ihr die richtigen Schriftstücke mit dem Verlauf der Reise gefunden habt!“ Endlich ließ er von Veronique ab. Ihre Kehle schmerzte. Sie hatte unbändige Angst vor La Vauguyon. Wenn sie versagte würde er sie sicher umbringen lassen. Sie bereute es bitter sich vor zwei Jahren, als die Mutter des Dauphin, Maria Josepha, noch lebte auf dieses Komplott mit eingelassen zu haben. Aber sie wusste nicht wie sie wieder heraus kommen sollte. Es schien keinen Weg zurück mehr zu geben. „Ich werde mein Bestes versuchen,“ brachte sie mühsam heraus. „Trinkt mit de Ronsard vor Eurem Akt einen Rotwein und gebt unbemerkt etwas Schlafmittel in sein Glas. Dann könnt Ihr Euch in aller Ruhe nach dem Nötigen umsehen. Er wird seine Müdigkeit sicher nur darauf zurück führen, dass er sich im Bett so verausgabt hat.“ Der Herzog lachte gehässig. „Vielleicht macht Ihr Eure Sache aber auch so gut, dass er Euch bereits im Voraus ein paar Informationen zukommen lässt. Ich verlasse mich auf Euch! Wenn Ihr versagt wird es übel mit Euch enden!“ Damit ließ er Veronique endlich alleine, die zitternd und schluchzend vor Angst zu Boden ging. Kapitel 7: Eine Sommernacht und ihre Folgen Teil 1 -------------------------------------------------- „Seine Majestät Louis XV lässt am 24. Juni 1769 zum Hofball nach Versailles bitten. Die Einladung ergeht an General Rainier de Jarjayes mit Gemahlin Emilie de Jarjayes und Lady Oscar Francoise de Jarjayes.“ Zufrieden ließ Monsieur de Jarjayes die Einladung, die ihm Laurent vor wenigen Minuten gebracht und die er seiner Gattin gerade eben laut vorgelesen hatte, sinken. „Es wird eine große Ehre für uns sein. Nicht wahr Emilie?“ „Das sagt Ihr bei jeder königlichen Einladung,“ antwortete ihm seine Gattin und sah von ihrer Handarbeit auf. „Auch dieses Mal wird es ein anstrengender und langer Abend werden, so wie an jedem der unzähligen Hofbälle die wir beiden die letzten Jahre zusammen besucht haben.“ „Nun klingt Ihr genau so wie Oscar,“ sagte der General leicht angesäuert. „Wenn wir gerade bei Oscar sind, das wird ihr erster Hofball,“ fiel Emilie de Jarjayes ein. „Ihr sagt es Emilie. Bitte kümmert Euch sofort darum das ihm eine passende Ausgehuniform angemessen wird. Das haben wir bis jetzt vernachlässigt.“ Düster sah der General vor sich hin. „Ich hoffe er wird sich dieses Mal anständig benehmen.“ Doch erst Mal galt es Oscar dazu zu bewegen überhaupt zu dem Ball zu erscheinen. Auf dem Hof der Offiziersakademie traten die Kadetten zu ihrer Schießübung an. Die Pistolen waren ihnen bereits ausgehändigt worden und so standen sie nun in Reih und Glied um ihren heutigen Lehrer General de Bouier zu begrüßen, in dem sie vorschriftsmäßig vor ihm salutierten. General de Bouier war trotz seines Ranges noch recht jung und Oscar mochte ihn und freute sich meistens auf die Stunden bei ihm. Doch ausgerechnet heute brannte die heiße Sommersonne allmählich unerträglich vom Himmel herunter. Dennoch war die Übungseinheit nicht abgesagt worden, denn ein Soldatenleben war nun einmal hart und irgendwann mussten sich die Kadetten daran gewöhnen. Mitten auf dem Übungsplatz war die große Zielscheibe aufgebaut worden, die Oscar bereits von den Übungen mit ihrem Vater kannte. Nachdem General de Bouier inspiziert hatte ob jeder mit einer Pistole angetreten war schallte auch schon sein erster Befehl über den Kasernenhof: „Ladet eure Waffen!“ Es wurde Wert darauf gelegt das jeder Kadett lernte so schnell wie möglich seine Pistole selbst zu laden, denn im Ernstfall konnte dabei keinesfalls unnötige Zeit verloren werden. Der Reihe nach bedienten sie sich rasch an der großen Kiste mit dem Schießpulver. Jeder verteilte etwas Pulver auf der Zündpfanne seiner Pistole und in deren Lauf. Nun mussten nur noch die Kugeln hineingestopft werden. General de Bouiers scharfe Augen achteten genau darauf, dass jeder sachgerecht beim Laden vorging. Es musste schnell vor sich gehen aber keinesfalls schlampig, denn auch das konnte im Kampf eine verheerende Wirkung haben. Endlich stellten sich alle Kadetten hinter der Ziellinie in einer Reihe auf. Nachdem sie nun schon zwei Monate auf der Akademie waren, war auch die Zielscheibe ein ganzes Stück weiter von der Ziellinie weg gerückt. Als erstes war Olivier an der Reihe. Er brachte sich in die richtige Position, hob die Pistole, kniff ein Auge zu, zielte, drückte ab und... es geschah nichts. „Kadett de Gramont weshalb schießt Ihr nicht?“ rief General de Bouier ungeduldig. Olivier blickte einigermaßen verwirrt aus der Wäsche. „Verzeiht!“ brachte er schließlich hervor. „Aber aus meiner Pistole kommt kein Schuss.“ „Himmel noch mal,“ fluchte General de Bouier. „Nun seid Ihr bereits seit zwei Monaten auf dieser Akademie und immer noch nicht in der Lage eine Waffe richtig zu laden. Weggetreten!“ Beschämt trat Olivier zur Seite. Was hatte er beim Laden denn nur falsch gemacht? Als nächstes war Oscar an der Reihe. Auch sie stellte sich auf, hob die Pistole, kniff ein Auge zu, zielte, drückte ab und... es geschah nichts. „Kadett de Jarjayes,“ brüllte General de Bouier. „Es ist wirklich unglaublich! Noch nicht einmal Ihr könnt plötzlich Eure Pistole sachgerecht laden! Habt Ihr alle denn alle einen Hitzschlag abbekommen?“ Einige Kadetten begannen zu lachen. Aber General de Bouier war nicht nach Lachen zumute. „Weggetreten!!!“ brüllte er nun auch Oscar an so das es im gesamten Hof hallte. Völlig geknickt stellte sich Oscar neben Olivier. Sie fühlte sich in ihrer Ehre verletzt. So etwas konnte doch ihr gar nicht passieren. Sie hatte bereits im Alter von sechs Jahren von ihrem Vater gelernt wie man eine Pistole lud. Auch der dritte Kadett namens Patrice der nun an der Reihe war hatte nicht mehr Glück. Aus seiner Waffe wollte ebenfalls kein Schuss entweichen. General de Bouier brach der Schweiß aus, nicht nur wegen der sommerlichen Temperaturen. All diesen Kadetten hatte er persönlich das Laden einer Waffe beigebracht, so das sie dies sogar im Schlaf bewältigen könnten. Litten sie alle gleichzeitig unter Gedächtnisschwund? Das war unmöglich! Und das alle Pistolen gleichzeitig Ladehemmungen hatten gab es genau so wenig. Wenn es also nicht an seinen Kadetten und nicht an den Pistolen lag so konnte nur das Schießpulver schuld daran sein. Er trat an die große Kiste, nahm etwas des Pulvers zwischen die Finger und zuckte zusammen. „Das Schießpulver ist feucht!“ rief er aus. „Ist das niemandem von Euch aufgefallen?“ Keiner der Kadetten rührte sich. Alle waren so darauf konzentriert gewesen möglichst schnell zu laden, dass es wirklich niemand bemerkt hatte. Oscar fiel ein Stein vom Herzen. Es hatte also nicht an ihr gelegen. Als sie Olivier neben sich anblickte sah sie das er genau so erleichtert war. „General,“ meldete sich Henry so vorlaut wie immer zu Wort. „Ich habe in der Waffenkammer eine neue Kiste mit Schießpulver entdeckt. Wenn Ihr mir es gestattet so werde ich sie schnell holen.“ Zustimmend blickte General de Bouier Henry an. „Das ist die beste Lösung wie wir so schnell wie möglich mit unserer Übung fort fahren können. Durch diesen groben Fehler haben wir ohnehin zu viel Zeit verloren. Also lauft Kadett de Mortemart und bringt die neue Kiste hier her.“ Schon flitzte Henry los während General de Bouier noch darüber grübelte wie Wasser in eine geschlossene Kiste eindringen konnte, noch dazu da es seit ihrer letzten Schießübung keinen einzigen Tropfen mehr geregnet hatte. Bald darauf stand Henry mit der neuen Kiste da und wurde von General de Bouier für sein schnelles und umsichtiges Handeln gelobt. Oscar die neben Henry stand entdeckte für einen Moment ein freches Grinsen auf seinen Lippen, dass er kurz darauf wieder sichtbar unterdrückte. Die Prozedur des Ladens begann also wieder von vorne. Pulver in die Zündpfanne, Pulver in den Lauf. Als erstes traten Olivier, Patrice und Emilian an die Kiste und begannen mit dem Laden. Plötzlich entfuhr Emilian ein kräftiger Niesser. „Hatschi!“ schalte es über denn Hof. Kurz darauf noch einmal „Hatschi!“ „Was hast du denn?“ fragte Patrice „Hast du dich bei dem heißen Wetter erkältet?“ Kaum hatte er ausgesprochen musste auch er lautstark niesen. Ebenso erging es Olivier. Zu dritt standen sie vor der Kiste und niesten und niesten und konnten kein Ende finden. „Was ist denn nun schon wieder?“ brüllte General de Bouier. Noch nie war der reibungslose Ablauf seines Unterrichtes derartig gestört worden wie an diesem Tag. Energisch schritt er auf seine drei haltlos niesenden Kadetten zu. Vor Aufregung und weil er vor lauter niesen nur noch taumelte stolperte Emilian über die Kiste mit dem Schießpulver. Diese kippte um und das Pulver verteilte sich über den Boden. Gleichzeitig stieg eine riesige Staubwolke auf. Eine Sekunde später standen sämtliche Kadetten einschließlich General de Bouier im Kasernenhof und niesten sich beinahe die Seele aus dem Leib. Die meisten hielten sich ihre Schnupftücher vor das Gesicht. Oscar hatte in ihrem Uniformärmel ein riesengroßes rot- weiß – gestreiftes Schnupftuch gefunden, dass Sophie ihr stets aufdrängte. Sie hatte es immer albern gefunden, doch heute war sie beinahe schon froh darüber es zu haben. Sie konnte sich nicht erinnern je so einen Niesreiz gehabt zu haben. Was war mit ihnen allen nur los? Einer der Kadetten brachte es allerdings fertig lautstark zu niesen und sich dabei trotzdem noch vor Lachen aus zu schütten, so das er kaum noch stehen konnte. Es war niemand anderer als Henry de Mortemart. Auch General de Bouier fiel das Lachen trotz der Niesattacke auf. „Hatschi! Kadett de Mortemart! Hatschi! Dahinter steckte mal wieder Ihr! Hatschiii!“ Er ließ sein Schnupftuch sinken, packte den lachenden und niesenden Henry wie ein Kaninchen am Kragen und schleppte ihn mit sich davon. Nach einigen Schritten drehte er sich noch einmal um und schrie: „Die Schießübung, hatschiii, entfällt heute hatschiii, komplett! Weggetreten!“ Als der Akademieleiter Genral de Ronsard fünf Minuten später auf ein Klopfen an seiner Bürotüre antwortete kam ein ohne Unterbrechung niesender Offizier in sein Büro getaumelt, der einen ebenso haltlos niesenden Kadetten hinter sich her zerrte. Das war jedenfalls das Ende der Schießübung an diesem Tag. Als Oscar sich gemeinsam mit Olivier in den Stall begab, um ihre Pferde für den Ritt nach hause zu holen, hatten sich ihr Nasen ein wenig beruhigt. Henry war ihnen den Rest des Tages nicht mehr begegnet. Während der Mittagspause hatten sie überlegt wie er sie nur derartig hatte zum Niesen bringen können. Das es das Werk von Henry de Mortemart war stand für alle außer Zweifel. Es roch schon förmlich nach einem seiner Streiche. „Was sie wohl mit Henry gemacht haben?“ überlegte Oscar laut. „Hoffentlich haben sie ihn nicht all zu streng bestraft“ meinte Olivier. „Ja, das hoffe ich auch,“ antwortete ihm Oscar. „Auch wenn sein Verhalten trotz seiner vierzehn Jahre albern und kindisch ist muss man ihn einfach gerne haben. Er ist so unbekümmert.“ „Oh, vielen Dank die Herren für die netten Komplimente!“ ertönte im dämmrigen Stall eine wohlbekannte Stimme. Henry stand fröhlich und aufgekratzt wie immer da und hielt eine Mistgabel in der Hand. Anstatt seiner Uniform trug er eine alte Hose und ein einfaches Hemd. Offensichtlich war er zum Stalldienst verdonnert worden. „Henry“ riefen Oscar und Olivier wie aus einem Munde. „Jawohl ich bin es. Der gute Kadett Henry. Oder besser gesagt für die nächsten zwei Wochen Knecht Henry. Der alte, dicke de Ronsard hat mich für diesen Zeitraum vom Unterricht ausgeschlossen und zur Arbeit im Stall und auf dem Akademiegelände abkommandiert. Er riet mir diese Zeit zu nutzen um darüber nach zu denken wie es wäre endlich erwachsen zu werden.“ Henry wirkte jedoch keineswegs sonderlich reuig über seine Tat. „Du hast das Schießpulver nass gemacht?“ fragte Oscar. Henry nickte. „Es war wirklich ein herrliches Bild wie der sonst so perfekte Kadett de Jarjayes dastand und aus seiner Pistole keinen Schuss abfeuern konnte.“ Henry konnte sich schon wieder vor Lachen nicht halten. Für jeden anderen hätte Oscar eine entsprechende Antwort parat gehabt aber es stimmte das man Henry nicht böse sein konnte. „Und weshalb mussten wir alle so furchtbar niesen?“ erkundigte sich Olivier. „Bei meinem letzten Ausgang hat es mich in das schöne Paris verschlagen und da habe ich einem Händler ein Päckchen Niespulver abgekauft mit dem ich das Schießpulver vermengt habe. Er hat mir versprochen das es seine Wirkung nicht verfehlen würde. Wie ihr selber heute fest stellen konntet hatte er damit recht.“ „Du hast wirklich Nerven,“ meinte Olivier und führte sein Pferd aus dem Stall. „Mach so etwas bitte nie wieder,“ sagte Oscar. „Das nächste Mal trifft dich bestimmt eine viel empfindlichere Strafe. Wirklich Henry, ich meine es ernst damit.“ „Na kommt schon,“ rief Henry ihnen hinter her. „Mir alleine habt ihr es zu verdanken das wir bei dieser Bruthitze nicht in der Sonne die Schießübungen machen mussten. Also ein kleines Dankeschön hätte ich schon erwartet. Außerdem war es doch richtig lustig wie die ganze Truppe da stand und nieste, selbst der General.“ Plötzlich hatten Oscar und Olivier wieder das Bild vor Augen wie sie selbst und all ihre Kameraden mit ihren Taschentüchern dastanden und nicht mehr zu niesen aufhören konnten. Gegen ihren Willen lachten und lachten sie, ließen sich von ihren Pferden gleiten, vor dem Akademietor in das grüne Gras rollen und lachten sich aus. Dieser Henry war einfach unbezahlbar. Nachdem sich Olivier verabschiedet hatte, um nach Paris in das Haus seines Onkles zu reiten, sah Oscar wie jeden Tag schon von weitem Andre unter dem Apfelbaum auf sie warten. Freudig wollte sie ihn begrüßen doch satt einem Gruß entfuhr ihr schon wieder ein heftiges „Hatschi!“ Vermutlich musste doch noch etwas von dem Niespulver in ihrer Nase stecken. „Oscar, hast du dich erkältet?“ fragte Andre sofort besorgt. „Nein, Henry de Mortemart hat heute die ganze Truppe zum Niesen gebracht. Aber das muss ich dir der Reihe nach erzählen.“ Wie gewohnt ritten sie gemeinsam zum Palas de Jarjayes. Bald musste auch Andre über Oscars bildliche Erzählung der niesenden Truppe lachen. „Also diesen Henry musst du mir unbedingt einmal vorstellen. Ich würde ihn zu gerne kennen lernen. So etwas traut sich sicher nicht jeder.“ Gut gelaunt betraten sie miteinander das Haus. Während des Dinners verflog Oscars gute Laune jedoch schlagartig. Ihr Vater eröffnete ihr das sie mit mit ihm und ihrer Mutter zu ihrem ersten Ball nach Versailles geladen war und der Herrenschneider morgen von Philippe in Paris abgeholt werden sollte, um ihr am Abend, wenn sie von der Akademie nach hause kam, die Ausgehuniform an zumessen. „Du weißt es ist eine große...“ begann Monsieur de Jarjayes den Satz und Oscar vollendete: „...eine große.Ehre für uns und der Wunsch des Königs ist ein Befehl.“ Verdutzt sah der General seine Tochter an. Woher wusste sie nur das er das hatte sagen wollen? Wiederholte er sich wirklich so oft? „Ich werde nicht daran teilnehmen,“ erklärte Oscar bestimmt. „Du wirst was nicht?“ fragte der General gefährlich leise. Emilie de Jarjayes stöhnte auf. Nun ging das Gezanke zwischen den beiden schon wieder los! Sie hatte es doch gewusst. Es war immer das selbe. Oscar würde sich strikt weigern und ihren Gemahl damit zur Weißglut reizen. Er würde wie jedes Mal versuchen seinen Willen durch zu setzen, was zu einem Kleinkrieg zwischen ihm und Oscar ausarten würde, den sämtliche Dienstboten mitbekämen und ihr selbst Kopfschmerzen und Magenschmerzen einbringen würde. Dabei merkten die beiden noch nicht einmal wie ähnlich sie sich waren mit ihrem Stolz, ihrem Pflichtbewusstsein und ihrem verdammten, sturen Jarjayesschädel. Aber dieses mal würde es anders ablaufen. Das hatte sich Emilie fest vorgenommen. Einer Auseinandersetzung wie üblich würde sie heute nicht standhalten. Schnell stand sie von ihrem Stuhl auf, legte Oscar beruhigend die Hand auf die Schulter und sagte: „Mein lieber Rainier, bitte gestattet das ich kurz mit Oscar unter vier Augen spreche. Es ist sehr wichtig. Oscar, folgst du mir bitte?“ Die sanfte Stimme ihrer Mutter beruhigte Oscar tatsächlich und sie ging Emilie in deren Salon hinterher. Dort angekommen bat ihre Mutter sie Platz zu nehmen. „Oscar ich muss dich darum bitten die Einladung zum Hofball anzunehmen.“ Oscars verschlossenes Gesicht entging Emilie nicht, dennoch sprach sie weiter. „Dein Vater ist nun einmal General in der Armee des Königs und dazu gehören bestimmte Verpflichtungen für ihn selbst und für uns als seine Familie. Wenn wir den König verärgern dann wird dein Vater sicher seine Stellung verlieren. Das bedeutete das jeden Monat sein großzügiger Sold entfällt und wir uns viele Dinge nicht mehr leisten können werden. Zum Beispiel müssten wir dann einen Teil unseres Personals entlassen, dass dann ohne Arbeit auf der Straße stünde. Das möchtest du doch sicher nicht? Schließlich tragen wir die Verantwortung für die vielen Menschen hier im Haus.“ Plötzlich trat in Oscars Gesicht ein betroffener Ausdruck. Madame de Jarjayes hatte an ihr Pflichtbewusstsein appelliert und damit genau das Richtige getan. Wie gut sie doch ihre Tochter kannte! „Außerdem werden sicher noch andere junge Leute an dem Ball teilnehmen. Bestimmt lernst du jemanden kennen mit dem du dir die Zeit vertreiben kannst. Das wird dir gut tun, denn außer Andre hast du kaum richtige Freunde.“ „Andre ist mir eben der Liebste von allen,“ antwortete Oscar. „Er ist mir viel lieber als sämtliche eingebildeten jungen Aristokraten.“ „Vorsicht Oscar,“ warnte Emilie. „Du hegst viele Vorurteile. In jedem Stand wirst du Menschen finden mit denen du dich gut verstehst, so wie du auch in jedem Stand Leute treffen wirst mit denen du weniger gut zurecht kommst. Auf der Offiziersakademie sind schließlich auch nur adlige junge Männer und du scheinst dich trotz deiner anfänglichen Bedenken mit den meisten von ihnen gut zu verstehen.“ Auch damit hatte Emilie vollkommen recht. „Also gut, ich werde Euch und Vater begleiten,“ antwortete Oscar. „Schließlich ist es nur für einen Abend.“ Erleichtert verließ Emilie de Jarjayes den Raum. Nachdem Oscar nun einsichtig war und ihr Mann damit zufrieden gestellt, würde es doch noch ein ruhiger Abend werden. Eines musste man Oscar lassen: Man konnte gut mit ihr reden und mit vernünftigen Argumenten überzeugen. Damit erreichte man weitaus mehr als ihr Mann mit seinem ständigen Getobe. Der 24. Juni war ein heißer Sommertag und Oscar war nach ihrer letzten Unterrichtsstunde gerade auf dem Weg in den Stall um ihre Stute zu holen. Wie versprochen würde sie pünktlich im Palas de Jarjayes sein um ihre Eltern zu dem Ball zu begleiten. Da sie es heute so eilig hatte wartete sie auch zum ersten Mal nicht auf Olivier, um ein Stück ihres Heimweges mit ihm zurück zu legen. Plötzlich hörte sie eine Stimme nach ihr rufen: „He! Jarjayes warte!“ Es war Henry der ihr hinterher lief. Schon hatte er sie eingeholt und legte eine Hand auf ihre Schulter. Als Oscar ihm ins Gesicht sah entdeckte sie diesen Ausdruck an ihm, bei dem sie bereits wusste das er wieder etwas unsägliches ausheckte. „Ein paar von den Jungs und ich wollen heute Abend nach Paris hinein reiten und in ein Wirtshaus gehen. Willst du dich uns nicht anschließen?“ Überrascht sah ihn Oscar an. Solch eine Idee konnte wirklich nur von Henry kommen. Vermutlich waren sie für ein Wirtshaus noch viel zu jung und sie hatte es ihrer Mutter fest versprochen an dem Abend ohne Wiederworte auf den Ball zu gehen. Auf der anderen Seite war Oscar noch nie in einem Wirtshaus gewesen und sie brannte vor Neugier darauf wie es wäre eines besuchen. Und auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, so freute sie sich ungemein darauf einmal mit Henry etwas außerhalb des Akademiegeländes zu unternehmen. Doch sie konnte ein Versprechen das sie ihrer Mutter gegeben hatte nicht brechen. „Es tut mir sehr leid aber ich kann nicht mit euch kommen. Meine Familie ist heute auf einen Ball des Königs eingeladen und ich habe fest versprochen daran teil zu nehmen.“ „Ach Versailles,“ sagte Henry abfällig. „Dort werden wir noch unser ganzes Leben lang ständig antreten müssen. Heute möchte ich etwas erleben. Also lass den König König sein und schliss dich uns an.“ Damit sah er Oscar in die Augen und strahlte sie auf seine unnachahmliche Art an. Oscars Knie begannen weich zu werden und in ihrem Bauch war ein merkwürdiges Ziehen zu spüren. Nicht so wie wenn sie sich vor etwas fürchtete, sondern auf eine völlig andere Weise. Sollte sie es wirklich wagen mit zu kommen? Ihr Mutter würde enttäuscht sein, ihr Vater sehr zornig. Es würde zuhause nicht angenehm werden. Sie selbst hätte niemals etwas getan das gegen die Regeln verstieß und schon gar nicht ein Versprechen gebrochen. Aber durch Henry war sie wie ausgewechselt. Plötzlich drängte es sie unbändig danach in seiner Nähe zu sein. Und sie verspürte den merkwürdigen Wunsch ihm zu gefallen. „Ich begleite euch gerne,“ hörte sie sich sagen. „Hervorragend! Das wird ein lustiger Abend!“ Damit war Henry schon verschwunden um den anderen Bescheid zu sagen. Oscar fand in ihrem Geldbeutel einige Münzen die ihr Monsieur de Jarjayes an ihrem ersten Tag auf der Akademie zugesteckt hatte. Bis jetzt hatte sie diese nicht ausgegeben. Schließlich hatte sie in ihrem Leben so gut wie noch nie Geld gebraucht. Im Palas de Jarjayes und auf der Akademie gab es immer von allem was sie brauchte. Die Burschen sattelten ihr Pferd und Oscar gab einem von ihnen ein Geldstück und schickte ihn mit der Nachricht zum Palas de Jarjayes, das sie heute nicht heimkommen würde, da sie auf der Akademie aufgehalten worden war. Oscar ritt ans Tor, wo die anderen bereits auf sie warteten. Begeistert begrüßten sie Oscar. Die Vorfreude auf ihr verbotenes Abenteuer machte sie alle ganz kribbelig. Mit von der Partie waren neben Oscar, Henry und Olivier noch Patrice und Emilian, die genau wie Henry auf dem Akademiegelände wohnten. „Müsst ihr nicht bis 21 Uhr in euren Betten sein?“ erkundigte sich Oscar. „Ach was, wir haben ein paar der Burschen bestochen das sie uns um Mitternacht das Tor aufschließen. Falls jemand in unsere Betten sieht liegen Kissen unter unseren Decken, so das es aussieht als ob jemand darinnen liegt.“ Fröhlich grinste Henry von einem Ohr zum anderen. Sein Lächeln ging Oscar durch und durch und schien ihr Herz einen kleinen Luftsprung machen zu lassen. Sie warf all ihre Bedenken fort und beschloss den Abend zu genießen. Ein herrliches Gefühl von Freiheit lag zum ersten Mal in ihrem Leben in der Luft. Der Schweiß stand dem Dauphin Louis Auguste in dicken Tropfen auf der Stirn. Die Schmiede, die ihm sein Großvater auf dem Dachboden von Versailles hatte einrichten lassen, war voll dickem Qualm aber das war Louis inzwischen gewohnt. Es machte ihm nichts aus wenn er nur seinem heiß geliebten Schmiedehandwerk nachgehen durfte. Neben ihm stand Monsieur Bonnet und sah ihm zu wie er das rotglühende Eisen bearbeitete. Der ältere Herr hatte seine Werkstatt aufgegeben um den Dauphin in der Schmiedekunst zu unterrichten. Dafür durfte er im Dienstbotentrakt von Versailles leben und wurde von König Louis XV so großzügig entlohnt wie er es sich nie in seinem Leben hatte träumen lassen. Inzwischen war aber nicht nur mehr sein Lohn der ausschlaggebende Grund dafür das er seine neue Arbeit so sehr liebte. Mit Louis hatte er einen Lehrling gefunden, der so begabt und begeistert bei der Sache war wie noch kein anderer vor ihm. Heute hatte er, obwohl er erst seit zwei Monaten sein Handwerk erlernte, sein erstes Türschloss geschmiedet. Dies war eine der schwierigsten Arbeiten in der Schmiedekunst. Louis hielt das fertige Türschloss an der Zange nach oben und Monsieur Bonnet begutachtete es. „Recht gut gearbeitet,“ lobte er. „Bis auf ein paar Kleinigkeiten nahe zu perfekt.“ Louis Auguste wurde vor Freude rot. Bei Monsieur Bonnet konnte er sicher sein das ein Lob immer ernst gemeint war und nicht das geringste damit zu tun hatte das er der Dauphin von Frankreich war. In diesem Moment klopfte es an der Tür der Schmiede. Ein Lakai trat ein und verneigte sich vor dem Dauphin. Für Monsieur Bonnet mutete es einen Moment seltsam an, dass sich der Diener in seiner eleganten Livree vor dem jungen Mann in seiner schmutzigen Arbeitsschürze verneigte, aber an diesem Hof durfte einen eben nichts verwundern. „Was gibt es?“ fragte Louis Auguste. Er hasste es wenn er in seiner Arbeit gestört wurde. „Euer Lehrer der Herzog La Vauguyon lässt Euch mit Verlaub daran erinnern das es Zeit wird sich für den Hofball heute Abend umzukleiden.“ „Der Ball! Das hätte ich beinahe vergessen!“ Der Dauphin schlug sich mit seiner verruhsten Hand gegen die Stirn und hinterließ dort einen dunklen Abdruck. Er verspürte nicht die geringste Lust auf dem Ball seines Großvaters zu erscheinen. Das Tanzen war ihm ein Greul, wusste er doch das er dabei eine ungelenke Figur machte. Aber wohl oder übel gehörte dies zu seinen Pflichten. Seufzend legte er seine Arbeitsschürze ab. „Monsieur Bonnet, Ihr müsst mich entschuldigen. Der Ball heute Abend ist für mich unumgänglich.“ Damit verließ er den Raum der ihm als Schmiede diente. Monsieur Bonnet sah ihm nach. „Sicher wäre er als einfacher Bürger viel glücklicher wie als Dauphin,“ dachte er bei sich. „Aber niemand wird bei seiner Geburt gefragt an welchen Platz er gestellt werden möchte.“ Gerade als der Dauphin um eine Ecke bog, um sich in seine Gemächer zu begeben, standen an der Seite zwei junge Damen und unterhielten sich. Die eine von ihnen war die Tochter des Grafen de Meuron, der mit ihm damals als er Monsieur Bonnet kennen lernte auf der Jagd gewesen war. Julie hatte eine zierliche Figur und ihr schmales Gesicht war von einer vollen, brünetten Lockenpracht umgeben. Ihre Freundin die neben ihr stand, eine hübsche Dunkelhaarige, die der Dauphin nicht namentlich kannte, hatte bereits eine frauliche Figur mit einem üppigen Dekolletee. Artig versanken sie, nachdem sie den Dauphin entdeckt hatten, in einem tiefen Hofknicks. Louis Auguste, der wahrgenommen hatte, dass es sich um zwei weibliche Wesen handelte, geriet ins Stolpern, fasste sich aber wieder so weit das er ihnen einigermaßen huldvoll zunicken konnte. Schnell sah er zu das er aus ihrer Sichtweite in den nächsten Gebäudetrakt kam. Dabei hörte er die beiden Mädchen albern hinter seinem Rücken kichern. Die Gegenwart von Frauen verwirrte ihn stets und brachte ihn aus der Fassung. Sollte er eine junge Dame zum Tanz auffordern oder gar noch Konversation mit ihr betreiben so brachte ihn dies stets so durcheinander, dass er kaum ein Wort heraus brachte. Meist ärgerte er sich dabei maßlos über sich selbst. Und ausgerechnet heute würde es unumgänglich sein, mit der ein oder anderen jungen Dame zu sprechen. So verlangte es sein Großvater. Je näher er seinen Gemächern kam, desto langsamer wurden seine Schritte. Auf den kommenden Abend verspürte er immer weniger Lust. Wie gerne hätte er noch ein bisschen mit Monsieur Bonnet in der Schmiede gearbeitet oder sich in eines seiner Bücher vertieft. Doch statt dessen musste er sich nun in unbequeme Kleidung zwängen und sich die gesamte Etikette eines Hofballes antun. Am liebsten wäre er davon gelaufen. Es wurde bereits Abend, dennoch wurde es heute nicht dunkel. Die Welt war in ein milchiges Zwielicht getaucht Es war die Mittsommernacht in Schweden. Die Familie des Grafen von Fersen hatte sich den Sommer über auf ihr Landgut zurück gezogen. Hans Axel, der älteste Sohn des Grafen, stimmte sich gerade mit seinem Freund Arvid von Bergen auf das nächtliche Fest ein. Eine Einstimmung auf ein Fest bedeutete für Arvid meist das es dazu eine Flasche Champagner gab, die er des öfteren aus den Vorräten seines Vaters entwendete. Er war bereits zwei Jahre älter als sein Freund Hans Axel. Eigentlich war Graf von Fersen bis vor kurzem immer strikt dagegen gewesen, dass sein Sohn an nächtlichen Festlichkeiten teilnahm. Immerhin würde Hans Axel im Herbst erst vierzehn Jahre alt werden. Da er jedoch im nächsten Jahr Europa bereisen sollte, um dort in den verschiedensten Ländern zu studieren, gab es wohl nichts mehr dagegen einzuwenden wenn er nun zum ersten Mal alleine auf einen Mittsommernachtsball ging. Das Fest fand auf dem Landgut einer befreundeten Adelsfamilie statt und Hans Axel und Arvid wollten gemeinsam auf ihren Pferden dorthin reiten. Als sie über die Felder preschten lag ein angenehmes Gefühl in der Luft. Dies war die Nacht der Nächte, in der die Sonne nicht untergehen würde. Die Nacht in der alles passieren konnte. Der Weg in das Schloss, in dem der Ball stattfinden sollte, führte sie durch ein kleines Dorf. Mitten auf dem Dorfplatz stand der Mittsommerstab, mit Birkenlaub umwunden. Die Dorfleute tanzten um ihn herum. Um sie nicht zu stören ließen sie ihre Pferde im Schritt an den tanzenden Menschen vorbei gehen. Hans Axels spürte plötzlich das ihn jemand nicht aus den Augen ließ. Als er sich umsah bemerkte er das eines der Dorfmädchen ihren Blick unverwandt auf ihm ruhen ließ. Sie sah aus wie fast alle Mädchen hier in der Gegend, blond mit blauen Augen. Doch sie lächelte Hans Axel auf eine seltsame Art an, so wie ihn noch kein Mädchen angelächelt hatte. Als er weiter ritt wurde ihm warm, so warm wie an einem brennenden Kamin. Eine Kerze brannte auf dem Schreibtisch und durch die nach oben geschobenen Fenster drang die milde Luft des Sommerabends in das Zimmer. Maria Antonia saß über ein Buch gebeugt und versuchte verbissen sich französische Vokabeln einzuprägen. Seit der Heiratsantrag aus Frankreich gekommen war machte nichts mehr so rechten Spaß. Sämtliche Vergnügungen waren gestrichen worden und zum ersten Mal in ihrem Leben wurde sie gezwungen über den ihr verhassten Büchern zu brüten. Zum ersten Mal wurde kontrolliert ob sie sich etwas eingeprägt hatte. Anstatt durch den Garten zu tollen gab es nun Geschichtsunterricht mit all seinen unendlich vielen Jahreszahlen. Spaziergänge, Ausflüge und alles Vergnügliche war nun dem Unterricht der Etikette gewichen. Die Albernheiten ihrer Brüder waren von der Kaiserin ein für allemal unterbunden worden. An ihrer Stelle gab es nun nur noch lernen, lernen und nochmals lernen. Am Schwersten war das Französisch. Ausgerechnet in dieser Sprache sollte sie nun nur noch von morgens bis abends sprechen, an dem fremden Hof, an den sie „verhökert“ worden war, wie ihr Bruder Ferdinand so spöttisch gesagt hatte. Wie es dort in dem fremden Land wohl sein würde? Und ob der Dauphin Louis Auguste wirklich der Mann war von dem sie immer träumte? Ihre Brüder hatten gesagt er wäre hässlich wie die Nacht aber ihnen war wohl kaum zu glauben. Ihr gegenüber saß die Prinzessin Johanna von Lichtenstein, ein Mädchen im selben Alter, das die Kaiserin dafür bestimmt hatte mit ihr gemeinsam zu lernen. Gerade als sie zu ihr hinüber sah, blickte auch Johanna von ihrem Buch auf. „Es ist furchtbar langweilig. Findet Ihr nicht auch?“ „Ja, da habt Ihr völlig recht,“ sagte Maria Antonia, erleichtert darüber das es der Prinzessin ebenso ging wie ihr selbst. „An solch einem Sommerabend sollte man nicht lernen müssen. Ich wäre viel lieber draußen im Garten oder noch lieber in Wien unterwegs. Ich habe gehört das es dort einen großen Jahrmarkt geben soll. Aber die Kaiserin würde niemals erlauben das wir dort hin gingen.“ „Erlauben würde sie es keinesfalls aber eine Mutter braucht nicht immer alles zu wissen,“ hörten sie hinter sich eine tiefe Stimme. Ihr Bruder Ferdinand war unbemerkt eingetreten. Er sah seine jüngere Schwester an. Seltsamerweise versetzte es ihm einen Stich wenn er daran dachte das sie nächstes Jahr um diese Zeit nicht mehr hier sein würde. Aber das würde er niemals freiwillig zugeben. Nun war er aber nicht wegen Maria Antonia unangemeldet in das Studierzimmer gekommen sondern wegen der Prinzessin von Lichtenstein, auf die er schon seit langem ein Auge geworfen hatte. Aber da sie ständig mit seiner Schwester am lernen war, hatte er noch keine Gelegenheit gefunden um mit ihr alleine zu sprechen. Nun da seine Mutter, gemeinsam mit seinem ältesten Bruder Josef und ihrem Staatskanzler Kaunitz mal wieder in wichtige, politische Besprechungen vertieft war, die vermutlich bis tief in die Nacht hinein dauern würden, bot sich endlich eine passende Gelegenheit um mit der Prinzessin alleine sein zu können. Er näherte sich dem Tisch und betrachtete Johanna von Lichtenstein. Er fand sie heute besonders hübsch. Ein Besuch auf dem Jahrmarkt, fern von den strengen Augen seiner Mutter und des Hofes wäre endlich die ideale Gegebenheit um ihr einen Kuss zu entlocken. Maria Antonia würde sich leider wohl kaum abhängen lassen. Aber um sie würde sich ihr Bruder Maximilian kümmern, dass hatte ihm dieser schon fest versprochen, damit Ferdinand sich ganz der Prinzessin widmen konnte. Ferdinand nahm Platz, die Augen fest auf seine heimliche Angebetete geheftet. „Der Jahrmarkt wird sicherlich interessant und wir werden uns dort prächtig amüsieren. Also zögert nicht lange und kommt mit mir und Maximilian mit.“ Die Prinzessin zauderte merklich. Für ihr jugendliches Alter war sie bereits sehr besonnen und vernünftig, weshalb sie auch der Kaiserin als die perfekte Gefährtin für ihre flatterhafte Tochter erschienen war. „Ich denke nicht das dies ein guter Einfall ist. Wenn man uns dabei entdeckt wie wir die Hofburg unangemeldet verlassen wird man uns sicher sehr rügen.“ Dabei sah sie brav auf ihr Buch. Wie Ferdinand erwartet hatte kam ihm seine Schwester sofort zur Hilfe. „Ach bitte Johanna! Lasst uns Ferdinand doch begleiten! Wir werden uns hier noch zu Tode langweilen! Und ohne Euch wird der Ausflug nur halb so viel Spaß machen!“ Johanna blickte in Maria Antonias ehrliche blaue Augen. Sie hatte noch keinen anderen Menschen erlebt der so wunderbar schmeicheln konnte wie die junge Erzherzogin. Das Besondere war dabei allerdings das Maria Antonias Komplimente immer ernst gemeint waren. Niemals war sie unaufrichtig, auch wenn sie noch so überschwänglich war. Wie viele Menschen die mit der zukünftigen Kronprinzessin zu tun hatten wurde sie weich wie ein Stück Butter in der Sonne. Ihre unbekümmerte, herzliche Art tat so wohl. So warf sie all ihre Bedenken davon. „Nun gut. Ich begleite Euch und Eure Geschwister gerne. Sicher habt Ihr damit recht das wir uns ein wenig Abwechslung verdient haben.“ Maria Antonia stand ungestüm von ihrem Stuhl auf und umarmte die Prinzessin. „Liebe Freundin, wie sehr ich mich freue. Wir werden bestimmt einen herrlichen Abend erleben. Nichts ist so schlimm auf dieser Welt als sich zu langweilen.“ Auch Ferdinand erhob sich. „In einer halben Stunde treffen wir uns in meinem Salon. Bitte seid pünktlich und tragt möglichst einfache Kleidung. Am besten wird sein wir erwecken den Eindruck ein paar junger Landadliger die zum ersten Mal die große Stadt besuchen.“ Damit verließ er das Studierzimmer. Draußen dachte er bei sich: „Das Tonerl kann wirklich jeden um den Finger wickeln, von der Kaiserin einmal abgesehen. Gnade dem Mann dem sie einmal ihre Gunst schenken wird. Und mein untrügliches Bauchgefühl sagt mir das es sich dabei sicher nicht um ihren zukünftigen Gatten handelt.“ Fröhlich pfiff er vor sich hin, froh darüber Johannna von Lichtenstein endlich nahe kommen zu können. Je näher sie Paris kamen desto mehr Menschen kamen Oscar und ihren Kameraden entgegen. Vor allem Kutschen von Adligen, deren Hotels in Paris waren und Bauern die ihre Ware auf dem Markt verkauft hatten und sich nun mit leeren Wägen auf dem Heimweg gemacht hatten. Bald waren sie in den Straßen von Paris angelangt. Sie fühlten sofort wie der Puls der Stadt sie ansteckte. „In welches Wirtshaus sollen wir nun?“ fragte Patrice. Henry, der unbestrittene Anführer ihrer Gruppe blickte sich suchend um. Sein Blick viel auf ein Gasthausschild mit der Aufschrift: „Bleue chien.“ (Blauer Hund). Entschlossen saß er ab und seine Kameraden taten es ihm nach. Sie banden ihre Pferde vor dem Bleue chien an und betraten die Gaststube durch eine morsche Türe, die beim Öffnen erbärmlich in ihren Angeln quietschte. Im Gasthaus herrschte dämmriges Licht und an den grob zusammengezimmerten Tischen saßen einige Handwerker, die sich ihr Bier schmecken ließen und miteinander Karten spielten. Am Tresen stand ein Wirt in einer Schürze die sichtbar seit Monaten nicht gereinigt worden war und dessen Haare vor Fett trieften. Eine üppige Bedienstete brachte den Männern ihr Bier. Sie sah kaum gepflegter aus als der Wirt. Die Gespräche und das Gelächter verstummten als sich die quietschende Türe öffnete und die fünf jungen Kadetten eintraten. Etwas erstaunt musterten die Männer sie. So junge Gäste waren noch nie in das Gasthaus gekommen. Die fünf jungen Leute blickten nun etwas verunsichert drein. Doch nach einigen Sekunden hatte sich Henry wieder gefangen und lotste seine Truppe an einen freien Tisch. Einige der Männer in der Gaststube begannen zu grinsen. Jeder erriet sofort das dies der erste Gasthausaufenthalt der fünf sein musste und vermutete das sie sich sicherlich keine Erlaubnis dafür eingeholt hatten. Die Bedienung kam zu ihnen und nahm die Bestellungen auf. Olivier bestellte sich einen Krug Bier und die anderen taten es ihm nach. Die ersten Schlucke schmeckten bitter. Oscar sah an den verzogenen Mündern der anderen das es ihnen ebenso ging wie ihr. Doch nach einigen Schlucken schmeckte es ihr immer besser. Bald wurde es Oscar warm und da sie die rot leuchtenden Wangen ihrer Kameraden sah mussten auch sie allmählich ins Schwitzen kommen. Einer der Männer in der Gaststube stand auf und setzte sich zu ihnen auf den letzten Stuhl der noch frei war. „Ihr seid wohl zum ersten Mal hier?“ fragte er. „Oh ja!“ antwortete Olivier eifrig. Sonst schätzte Oscar gerade seine ruhige, unaufdringliche Art an ihm, doch urplötzlich begann er zu reden wie ein Wasserfall. „Wir sind sogar alle zum ersten Mal nachts alleine in Paris unterwegs. Auch waren wir noch nie in einem Gasthaus.“ Unauffällig trat ihm Oscar gegen das Schienbein. Wie konnte er nur so viel von ihnen preis geben? Er kannte den fremden Mann doch gar nicht. Dieser wirkte ungut. In seinen Augen war ein gemeines Glitzern. „Komm, Yves! Lass die kleinen Bälger in Ruhe,“ rief einer der Männer, die mit ihm Karten gespielt hatten. „Auch was! Die jungen Herren Kadetten sind meine Freunde und als meinen Freunden spendier ich ihnen eine Runde.“ Er winkte der Bedienung und ließ sie eine Runde Schnaps bringen. Sofort stellte sie den Schnaps in kleinen Gläschen auf den Tisch. Oscar sah sich die klare Flüssigkeit bedenklich an. Zuhause hatte sie noch nie Schnaps bekommen. Er wurde sehr sorgsam von ihrem Vater in einem Schrank verwahrt und nur wenn einer seiner engen Freunde zu Besuch kam oder wenn er mal wieder einen Beruhigungstrunk wegen nervenaufreibenden Familienangelegenheiten brauchte, die es des öfteren bei ihnen gab, schenkte er etwas davon ein. Auch Sophie hatte ein Flasche billigeren Schnapses in der Küche versteckt und gönnte sich hin und wieder ein Schlückchen zur Beruhigung ein. Sie achtete aber stets darauf das niemand der Herrschaft sie dabei erwischte. Es musste aber schrecklich komisch sein, denn Andre hatte ihr schon einige Male vorgemacht wie seine Großmutter sich ein Gläschen nach dem anderen genehmigte, aber davon seltsamer Weise noch aufgeregter wurde und schwankend und schimpfend durch die Küche torkelte. An Weihnachten hatte Oscar beim Dinner zur Feier ihres dreizehnten Geburtstages zum ersten Mal ein Glas Wein bekommen. Bis auf den Krug Bier dieses Abends waren das die beiden einzigen Male an denen sie Alkohol bekommen hatte. Nun stand dieses Glas mit Schnaps vor ihr, von dem sie wusste das er so verheerende Wirkung haben konnte. Immerhin hatte Andre aber erzählt das Sophie immer mehrere Gläser davon trank bevor sie zu Schwanken begann. Nun stand aber lediglich ein Glas vor ihr auf dem Tisch. Ein Glas konnte sicher nichts schaden. „So ein Glas leert man in einem Zug,“ erklärte ihnen der Mann der sie eingeladen und den sein Kamerad Yves genannt hatte. „Wer das nicht schafft der ist ein Feigling oder ein kleines Mädchen und das möchte von den Herren Kadetten doch sicher niemand sein?“ Mit einem Zug leerte er sein Glas. Um nicht als Feiglinge oder kleine Mädchen zu gelten taten es ihm Oscar, Henry und die anderen nach. Das Getränk brannte in der Kehle und in ihrem Magen. Oscar versuchte fest nicht das Gesicht zu verziehen und dachte dabei das es ihr als einziger zustehen würde, da sie tatsächlich ein Mädchen war. Olivier, der ihr gegenüber saß, verzog kurz das Gesicht zu einer kleinen Grimasse, riss sich aber sofort wieder heldenhaft zusammen. Yves wandte sich wieder ihnen zu. „Und nun erzählt mir noch ein wenig von euch. Zu welcher Truppe gehört ihr?“ „Also wirklich, das seht ihr doch an unseren Uniformen,“ meldete sich Olivier entrüstet zu Wort. Oscar überlegte wie er plötzlich nur so redselig werden konnte. Inzwischen klang seine Sprache schon ein wenig lallend. „Wir besuchen alle die Offiziersakademie.“ „So, so! Die Offiziersakademie. Was du nicht sagst.“ Ein gehässiges Grinsen stahl sich auf Yves Lippen. „Dann haben wir es wohl mit lauter hochwohlgeborenen Herrschaften zu tun.“ Er stieß ein gemeines Lachen aus. Oscar begann es unbehaglich zu werden und wie sie sich umsah bemerkte sie das sich auch die anderen nicht mehr wirklich wohl zu fühlen schienen. Ein weiterer der Mann stand auf und kam zu ihnen an den Tisch. „Lauter kleine Grafen und Barone. Dann werde ich ihnen wohl ebenfalls eine Runde ausgeben.“ Dies sagte er in keinem freundlichen Ton. Seine Stimme klang so wie die von Yves sehr gemein. Er gab ihnen das Gefühl als wären sie an einem Platz an den sie nicht gehören würden. „Habt dank für die Einladung aber wir müssen pünktlich wieder auf dem Akademiegelände sein.“ Henry erhob sich. „Ach, ist unsere Einladung den hochwohlgeborenen Grafen und Baronen nicht gut genug? Wollt ihr euch lieber nur mit eures Gleichen abgeben? Oder haben die gnädigen Herrschaften Angst das wir sie unter den Tisch trinken? So ein kleiner, feiner Grafensohn verträgt wohl nicht so viel unsereins.“ Oscar wäre es am liebsten gewesen wenn sie auf dem schnellsten Wege zur Tür hinaus gegangen wären. Aber die Jungen in ihrer Runde fühlten sich durch die provozierenden Worte offensichtlich in ihrer Ehre gekränkt. Emilian fuhr auf: „Auch wenn wir adliger Herkunft sind vertragen wir genau so viel wie ihr. „Jawohl,“ rief Henry. „Gebt uns so viel ihr wollt von dem Schnaps. Dann wird sich zeigen wer hier wenn unter den Tisch trinkt.“ Die Männer in der Gaststube hatten sich nun alle um ihren Tisch versammelt und grölten rau. „Nun denn, noch eine Runde für unsere neuen Freunde,“ rief Yves. Die schlampige Bedienung brachte die nächste Runde an Schnapsgläsern. Oscar hatte das Gefühl das nun alles außer Kontrolle geraten war. Doch wusste sie selbst nicht wie sie und ihre Kameraden wieder aus dieser Sache heraus kommen sollten. Auf der Landstraße nach Versailles fuhr eine Kutsche im Eiltempo. Auf ihrem Wappen war ein roter Löwe auf blauem Grund zu sehen, das Wappen der Jarjayes. Auf dem Kutschbock saß Philippe und gab den Pferden die Peitsche um sie schneller voran zu treiben. Im Inneren saßen General de Jarjayes und seine Gemahlin in vollem Ballstaat. Nervös und gereizt trommelte der General mit seinen Fingerspitzen gegen den Griff seines Degens und sah immer wieder aus dem Kutschenfenster in die dunkle Nacht hinaus. „Philippe, nun mach schon! So treib doch endlich die Pferde an! Wir sollten schon längst in Versailles sein!“ „Jawohl General de Jarjayes,“ rief Philippe. Man hörte erneut das Knallen der Peitsche und die Pferde zogen noch etwas mehr an, auch wenn Emilie de Jarjayes bei dem Tempo mit dem die Kutsche ohnehin schon über die Straße rollte, dies nicht mehr für möglich gehalten hatte. „Rainier, seid doch vernünftig. Wollt Ihr das wir im Straßengraben landen?“ fragte sie halb ängstlich halb ärgerlich. Die Antwort blieb ihr der General schuldig. „Durch die Wartezeit auf Oscar haben wir unnötig viel Zeit vertan. Zu spät auf einen Ball seiner Majestät zu kommen wäre unerhört. Ich kann wahrlich nicht verstehen weshalb auf der Offiziersakademie nicht Rücksicht darauf genommen wird wenn einer der Kadetten nach Versailles geladen ist. Sie hätten Oscar doch an jedem anderen Tag länger dabehalten können. Ich werde mich bei seiner Majestät selbst darüber beschweren. Nicht das er noch denkt Oscar würde absichtlich seinem Ball fernbleiben.“ Emilie hüllte sich in Schweigen und fächerte sich etwas frische Luft zu. Man hatte es in dieser Familie wirklich nicht leicht. Am Tor wurde die Kutsche der Familie de Jarjayes erkannt und eingelassen. Trotz seiner Eile und der Angst zu spät zum König zu kommen vergaß Monsieur de Jarjayes nicht Emilie aus der Kutsche zu helfen und ihr den Arm zu reichen, um sie durch die Gänge von Versailles in den großen Saal zu führen. Er konnte an diesem Abend nicht verbergen wie stolz er auf seine Frau war. Obwohl sie sechs Kinder geboren hatte war Emilie de Jarjayes immer noch eine schöne Frau und in ihrer apfelgrünen Robe wirkte sie heute so elegant wie schon lange nicht mehr. Trotz ihrer Befürchtungen kamen sie gerade noch rechtzeitig. Im selben Moment in dem ihnen ein Lakai die Tür öffnete, kündigte der Prozeptor den König, den Dauphin Louis Auguste und dessen jüngeren Bruder, den Graf de Provence an, die gleich darauf in den Saal einzogen, dicht gefolgt von der Dubarry und ihren Hofdamen. Sofort entdeckte Emilie ihre älteste Tochter Veronique, die mit darunter war. An manchen Tagen war sie weit aus mehr ihr Sorgenkind als Oscar. Emilie fragte sich oft ob sie mit ihrer Rolle am Hofe glücklich war. In der als Ehefrau, an der Seite ihres ungeliebten Mannes, war sie es höchst wahrscheinlich nicht. Sicher ging es den meisten adligen Frauen und auch reicheren unter den Bürgerlichen in ihren arrangierten Ehen eben so. Aber eine Mutter wünschte sich eben ihre Kinder glücklich zu sehen. Louis XV schritt durch die Reihen seiner Adligen um diejenigen unter ihnen, die in seiner Gunst gerade besonders hoch standen, persönlich zu begrüßen. Dabei fiel sein Blick auch auf Rainier und Emilie de Jarjayes. „General de Jarjayes! Seid willkommen in Versailles und auch Ihr liebe Madame de Jarjayes. Aber sagt, wo habt Ihr Lady Oscar gelassen? Ich habe mich so darauf gefreut das sie den Hof endlich einmal wieder durch ihre frische Art belebt.“ Dem General wurde der Kragen zu eng. Es blieb ihm wohl oder übel nichts anderes übrig als die Wahrheit zu sagen. „Majestät, ich bitte vielmals darum Oscar für heute Abend zu entschuldigen. Aber er wurde auf der Offiziersakademie aufgehalten. Selbstverständlich ist er untröstlich darüber Eurem Ball nicht beiwohnen zu können.“ Dem König schien die Antwort zu genügen und er wandte sich dem Nächsten seiner Günstlinge zu. Erleichtert stellte der General fest das er nicht verärgert war. Bei ihm in Ungnade zu fallen war das schlimmste was einer Familie des Hochadels passieren konnte. Da es in Frankreich keine Königin mehr gab musste darauf verzichtet werden, dass der Ball durch das Königspaar eröffnet wurde. Als die Geigen einsetzten fühlte Emilie die Hand ihres Mannes auf ihrer Schulter. Sie blickte zu ihm auf. „Madame de Jarjayes, darf ich um diesen Tanz bitten?“ Freudig strahlte Emilie ihn an. „Mit Vergnügen, Monsieur de Jarjayes.“ Und schon wirbelten sie zu den Klängen eines Menuetts durch den Saal, vorbei an anderen Paaren, von denen einer prächtiger gekleidet war wie der andere. Doch plötzlich blieb Emilies Blick an jemandem hängen der nicht so fröhlich wirkte wie die anderen Gäste. Louis Auguste stand Abseits der anderen und sein trauriger Blick brannte sich tief in Emilies Herz ein. Auf dem Mittsommerball gab sich Hans Axel charmant, führte die Damen zum Tanz und macht mit ihnen leichte Konversation, so wie er es gelernt hatte. Doch er konnte das Dorfmädchen nicht vergessen, bei deren Blicken ihm so warm geworden war. „Ich möchte früher gehen,“ flüsterte er seinem Freund Arvid zu und schon war Hans Axel von Fersen von dem rauschenden Fest verschwunden und in die helle Mittsommernacht hinaus geritten. Es trieb ihn zurück auf den Dorfplatz. Das Fest war noch lange nicht zu Ende und nun leuchteten auch die Mittsommerfeuer. Als er an einem dieser Feuer vorbei ritt spürte er wie dessen Energie auf ihn überschlug und eine unbändige Kraft, die zuvor nicht in ihm gewesen war. Das Mädchen, das ihn mit ihren Blicken durchdrungen hatte, war noch da. Sie tanzte gerade mit einem jungen Mann. Als sie Hans Axel entdeckte ließ sie ihren Tanzpartner einfach stehen, trat auf den jungen Grafensohn zu und streckte ihm die Hände entgegen. Der nächste Tanz gehörte ihm. „Wie ist dein Name?“ fragte er sie. „Ich heiße Marga.“ „Mein Name ist Hans Axel.“ Sie lachte fröhlich. „Das weiß ich doch schon längst. Du bist der Sohn des Grafen. Ich habe dich schon oft auf deinem Pferd vorbeireiten sehen und ich fand dich schon immer wundervoll.“ Sie tanzten miteinander zu der Musik von Geigen, Flöten und Trommeln bis ihnen schwindlig wurde. Hans Axel stellte fest das dieses Mittsommerfest viel ausgelassener war wie der Ball den er zuvor besucht hatte und es gefiel ihm, genau so wie ihm Marga immer besser gefiel. Nach dem Tanz legte er den Arm um ihre Schultern, wie es auch einige andere Burschen bei den Mädchen taten. In Adelskreisen wäre dies äußerst unschicklich gewesen aber hier schien sich niemand daran zu stören. Nebeneinander ließen sie sich auf einer Bank nieder und ein Mädchen brachte ihnen ein würziges Kräuterbier. Plötzlich stand Marga auf und nahm Hans Axel bei der Hand. Er dachte sie wolle erneut mit ihm tanzen, doch sie führte ihn weg aus dem Gedränge auf eine Wiese. Dort lehnte sie sich gegen einen der Obstbäume, zog Hans Axel nahe an sich heran und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Sie schmeckte nach dem Kräuterbier und er konnte plötzlich gar nicht mehr genug von ihr bekommen. Instinktiv wanderte seine Zunge zwischen ihre Lippen und suchte die ihre. Seine Hand tastete nach den kleinen, festen Brüsten unter ihrem Mieder. Die Musik, die noch immer auf dem Dorfplatz spielte, nahmen sie schon lange nicht mehr war. Sie vergaßen die ganze Welt um sich herum. Auf dem Jahrmarkt in Wien herrschte ein dichtes Gedränge. Die Straßen waren voll von Buden und Fahrendes Volk hatte seine Zelte aufgestellt, in denen es gutgläubigen Bürgern Tränke gegen alle möglichen Beschwerden verkaufte und die Zukunft voraus sagte, die, je nach Bezahlung, mal besser mal schlechter ausfiel. Im dunkel der Nacht waren viele junge Leute unterwegs, darunter auch ein Grüppchen aus zwei jungen Mädchen und zwei Burschen. Sie waren eher schlicht gekleidet und niemand wäre auch nur auf die Idee gekommen das es sich bei ihnen um die Prinzessin von Lichtenstein und die Sprösslinge der Kaiserin persönlich handelte. Vor allem bei dem blonden der beiden Mädchen mit dem noch kindlichen Gesicht, das so unbeschwert neben den anderen herging und alles was es sah begeistert bewunderte, war kaum zu vermuten das diese in einem Jahr bereits die Dauphine von Frankreich sein würde. Der vierzehnjährige Ferdinand hatte sich die Gunst der Stunde zu nutze gemacht und der Prinzessin den Arm angeboten, den diese, ebenfalls froh darüber endlich einmal unbeobachtet zu sein, nur zu gerne angenommen hatte. Ferdinand nickte Maximilian zu. Das war das ausgemachte Zeichen dafür, das er mit der Prinzessin ungestört sein wollte und sein Bruder mit Maria Antonia des Weges ziehen sollte. Maximilian, der das Nicken gesehen hatte, blinzelte seinem Bruder verschwörerisch zu und hakte ich bei Maria Antonia unter. „Komm Tonerl! Dort drüben gibt es einen lustigen Papagei der Kunststücke kann. Ich möchte ihn dir gerne zeigen.“ Sofort ließ sich Maria Antonia mitziehen. Sie wollte so viel wie nur möglich von dem Jahrmarkt sehen. Wie Maximilian richtig vermutet hatte war seine Schwester von dem Papagei sofort begeistert, der sogar rechnen konnte und die richtigen Zahlen auf die gestellten Rechenaufgaben mit einer kleinen Glocke läutete. „Maximilian, das süße Tier! Am liebsten würde ich es mit auf die Hofburg nehmen!“ Maximilian gab seiner Schwester einen Rippenstoß. Wie gedankenlos das Tonerl doch oft war. Beinahe hätte sie alles verraten. Doch niemandem der anderen Zuschauer schien etwas bemerkt zu haben. Neben ihnen stand ein Junge, ungefähr in Ferdinands Alter und musterte das Geschwisterpaar. „Der Papagei ist sehr gelehrig. Das ist wohl war. Aber wisst ihr beiden was noch viel interessanter ist?“ Sofort hatte er die Aufmerksamkeit Maria Antonias auf sich gezogen. Allem was Spaß machte galt ihr ungeteiltes Interesse.. „Oh, bitte erzählt es uns. Wir möchten nichts versäumen! Nicht wahr Maximilian?“ rief sie lebhaft. Der fremde Junge sah wohlgefällig auf Maria Antonias frisches Gesicht und ihre leuchtenden Augen. So eine ansteckende Begeisterung und gute Laune hatte er selten bei einem anderen Menschen erlebt. „Noch viel amüsanter ist es bei der Wahrsagerin. Sie kann genau vorher sagen was das Leben euch bringen wird.“ „Wie aufregend! Ich habe schon viel von solchen Wahrsagern gehört. Ihr müsst meinen Bruder und mich sofort in ihr Zelt bringen.“ Bevor Maximilian noch etwas dazu sagen konnte hatte sich Maria Antonia mit dem jungen Mann schon auf den Weg gemacht. „Tonerl, warte,“ rief Maximilian. „Glaub doch nicht solch einen Unsinn! Es gibt keine Wahrsagerei. Die Zigeunerin möchte nur dein Geld. Mutter wäre sicher auch sehr ungehalten darüber.“ Er dachte mit Schaudern wie seine streng katholische und sittenstrenge Mutter reagieren würde, wenn sie wüsste, dass ihre Tochter zu einer Wahrsagerin ginge. Maria Antonia drehte sich um und sah ihn fest an. „Das mag sein. Aber,“ meinte sie mit Genugtuung in der Stimme, „Mutter ist nicht hier. Und sie wird niemals davon erfahren. Ansonsten müsstest du ihr auch diesen Ausflug beichten und ich glaube nicht das du das tun wirst.“ Selbstsicher folgte das Tonerl dem Jungen, der mit schnellen Schritten auf das Zelt zuging und Maximilian blieb nichts anderes übrig als wiederum seiner Schwester zu folgen. Schließlich konnte er sie nicht alleine mit dieser fremden Person ziehen lassen, auch wenn das Tonerl noch so leichtsinnig war. In der Schenke „Bleue chien“ ging es inzwischen hoch her. Ein alter Mann war mit seiner Ziehharmonika herein gekommen und spielte nun fröhliche Lieder auf. Der Lärm war bis nach draußen gedrungen und hatte nun auch einige „Damen“ angelockt, die gerade das Wirtshaus betraten. Nach der vierten Runde Schnaps, die Oscar und den Jungen ihrer Akademie ausgeschenkt worden war, war sie mit dem Kopf nach vorne auf die Tischplatte gesunken. Sie konnte sich nicht daran erinnern wann es ihr jemals in ihrem Leben so elend gegangen war. Nach einigen Sekunden zwang sie sich ihren schweren Kopf wieder zu heben. Sie sah Olivier direkt in sein Gesicht und stellte fest das die Röte in seinen Wangen verschwunden war. An ihre Stelle war eine ungesunde Blässe getreten. Die anderen Jungen sahen keineswegs besser aus. Patrice und Emilian waren ebenfalls wie Oscar gerade eben mit dem Kopf nach vorne gefallen und selbst Henry konnte nicht länger den Unbeschwerten spielen. Er sah genau so kränklich aus wie alle anderen. Eine der Frauen, die in die Schenke gekommen waren, entdeckte die jungen Gäste. „Na, was haben wir denn da Nettes?“ fragte sie in einem affektierten Ton und kam mit kokett schwingenden Hüften an ihren Tisch. Trotz dem heftigen Schwindelgefühl, das sich in ihr ausbreitete, konnte Oscar ihren Blick nicht von dieser Frau wenden. Noch nie hatte sie eine Person in solch einer Aufmachung gesehen. Ihre Lippen und Augenlider waren in solch grellen Farben geschminkt wie Oscar es von keiner anderen Dame kannte. Auch war sie sehr seltsam gekleidet. Um ihren Oberkörper schmiegte sich nichts weiter als ein enges Korsett, von dem Oscar von ihren Schwestern her wusste, dass es für gewöhnlich als Unterwäsche diente. Sie versuchte in Gedanken die Frau zu beschreiben aber ihr fiel kein passendes Wort für sie ein. Sophie, wenn sie anwesend gewesen wäre, würde so einen Kleidungsstil wohl als anstandslos und unschicklich bezeichnen. Aber das würde sie vermutlich zu dem gesamten Wirtshaus sagen. „Marielle, darf ich dir unsere jungen Freunde von der Offiziersakademie vorstellen?“ sagte einer der Männer, der sich zusammen mit dem Mann der Yves hieß noch immer an ihrem Tisch lümmelte. „Frische, kleine Aristokraten, wie reizend,“ sagte die Frau namens Marielle und strich mit ihrer Hand Olivier über den Kopf, der nicht mehr wusste wie ihm geschah. Dann zog sie sich unaufgefordert einen Stuhl heran und platzierte ihn mitten zwischen Olivier und Patrice und legte den Arm um die beiden. Oscar stellte für sich fest das nicht nur ihre Kleidung sondern auch das Benehmen dieser Person sehr unschicklich waren. Wo um alles in der Welt waren sie hier nur gelandet? „Sagt,“ fuhr Marielle fort, „Was führt euch hierher in unsere bescheidene Schenke?“ Bevor einer der Kadetten antworten konnte meldete sich Yves für sie zu Wort. „Die jungen Herren möchten unter Beweis stellen wir trinkfest sie sind. Stell dir vor, sie haben bereits vier Gläser Schnaps geschafft.“ „Nein,“ sagte Marielle und lachte meckernd. „Dabei sehen sie noch so frisch aus wie kein anderer in dieser Schenke. Also ein fünftes Gläschen geht doch sicher noch! Ihr seid doch alles stramme Burschen!“ Mit diesen Worten schlug sie Olivier und Patrice fest auf die Schultern, die immer elender aussahen. „Eine fünfte Runde für unsere Freunde von der Offiziersakademie,“ rief sie durch die Wirtschaft. „Welcher der Herren spendiert noch eine fünfte Runde?“ Ein weiterer Mann kam dazu und sagte: „Die soll auf mich gehen aber dann verschwinden wir beiden einmal für ein Stündchen, nicht wahr Marielle?“ Oscar versuchte krampfhaft einen klaren Gedanken zu fassen. Noch ein fünftes Glas von dem verdammten Schnaps und sie wären nicht mehr in der Lage nach hause zu kommen. Das bedeutete das sie auffliegen würden und dies wiederum hätte für Patrice, Emilian und Henry, die auf der Offiziersakademie wohnten, harte Folgen. Vermutlich würde man sie nach hause schicken, was für ihre Familien eine große Schande bedeuten würde. Aus irgendeinem Grund schienen die Leuten in der Wirtschaft einen großen Spaß daran zu haben sie immer mehr betrunken zu machen. Denn Grund dafür konnte sich Oscar allerdings nicht erklären. Schließlich hatten sie diesen fremden Menschen nie etwas getan. Tatsache war aber das sie auf dem schnellsten Weg aus diesem Gasthaus heraus mussten. Oscar nahm all ihre Willenskraft zusammen und sprang so heftig vom Tisch auf das hinter ihr der Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, krachend umstürzte. „Hoppla, nicht so stürmisch mein Schätzchen,“ rief Marielle „Wir gehen sofort! Und zwar alle von uns!“ sagte Oscar so fest wie es ihr nur möglich war. Sie sah ihre stark mitgenommenen Kameraden an. „Wenn wir nicht gehen dann werden wir alle ernsthaften Ärger bekommen. Ich bitte euch also das wir aufstehen und uns auf den Rückweg machen.“ „Ach was! Hört doch nicht auf diesen kleinen Spielverderber. Das magere Bürschchen verträgt eben nichts und will euch deswegen einen guten Schluck nicht gönnen,“ rief Yves „Also lasst ihn verschwinden und trinkt noch einen mit uns.“ Oscar spürte eine unbändige Wut in sich aufsteigen. Wie konnte dieser Kerl nur so gemein sein? Konnte er sich denn nicht denken das sie alle heftige Schwierigkeiten bekommen würden? In ihrem Ärger schlug sie heftig mit der Faust auf die Tischplatte des alten Holztisches. „Wie schlecht ihr doch seid!“ fuhr sie den plötzlich verdutzten Mann an. „Weshalb macht Ihr so etwas mit uns? Wir haben Euch nie etwas zu Leide getan und Ihr treibt Euren Spaß mit uns. Wie herzlos könnt ihr nur sein?“ In der Schenke herrschte nun vollkommene Stille. Alle starten den jungen Kadetten an, der so mutig versucht seine Kameraden aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Auch die Augen ihrer Freunde waren auf Oscar gerichtet. Langsam erhob sich Yves von seinem Stuhl. Dabei stützte er sich auf der hölzernen Tischplatte auf. Da auch er getrunken hatte fiel ihm das Stehen bereits schwer. Mit böse glitzernden Augen sah er Oscar an. Er rückte ihr ein gutes Stück näher, bis er mit seinem Gesicht beinahe ihres berührte. Oscar widerstand der Versuchung vor ihm zurück zu weichen. Felsenfest blieb sie vor ihm stehen. Nur ein sehr genauer Beobachter hätte in ihrem Gesicht einen Anflug von Furcht bemerkt, denn sie jedoch tapfer unterdrückte. In diesem Gasthaus war eine große Ungerechtigkeit gegen ihre Freunde im Gange und gegen jede Ungerechtigkeit musste man ankämpfen. Das entsprach Oscars Naturell. „Wir sind schlecht und herzlos sagst du?“ Oscar roch den Alkohol in seinem Atem und erneut stieg Übelkeit in ihr auf. „Du findest wir behandeln dich und die anderen Burschen ungerecht?“ fragte Yves weiter. „Ja, das macht Ihr!“ antwortete Oscar. „In dem Ihr meine Freunde und mich betrunken macht, um Euer Vergnügen mit uns zu haben, bringt Ihr uns nichts als Schwierigkeiten. Wir hätten nicht hierher kommen dürfen und wenn auf der Akademie bemerkt wird das wir betrunken sind, so werden sicher einige von uns und dort hinausgeworfen.“ Yves Hände schnellten wie aus heiterem Himmel nach vorne und packten Oscar am Hemd, das unter ihrer Uniformjacke hervor sah. Nun konnte sie ein leichtes Zittern nicht mehr unterdrücken. Was würde ihr Yves nun antun? Doch er brüllte nur los das es durch die ganze Gaststube schallte. „Ich will dir sagen was ungerecht ist, du kleiner adliger Grünschnabel! Ich habe die Hälfte meines Lebens als Soldat gedient. Ich habe im Dienste des Königs und für Frankreich jeden Tag mein Leben aufs Spiel gesetzt. Trotzdem habe ich immer nur einen mageren Sold erhalten von dem ich kaum meine Familie ernähren konnte. Obwohl ich immer meine Pflicht erfüllt habe und in der Armee vorbildlich gedient habe wurde ich niemals befördert. Soll ich dir sagen weshalb das so war Grünschnabel? Weil ich ein Bürgerlicher bin, kein verdammter Aristokrat so wie ihr. Ich wäre niemals auf der Offiziersakademie zugelassen worden. Das ist nur etwas für adlige junge Herren. Wenn ihr in ein paar Jahren die Akademie verlasst werdet ihr alle sofort zum Leutnant ernannt, während es für einen bürgerlichen Soldaten kaum Aufstiegschancen gibt. Und euer Sold wird in wenigen Jahren bereits höher sein wie der von bürgerlichen Soldaten die bereits seid Jahrzehnten dienen. Alles nur weil ihr adlig seid und der Rest der Welt nicht. Nennst du das gerecht Grünschnabel?“ Während seiner Rede hatte Yves noch etwas fester zugedrückt und Oscar spürte das sie kaum noch Luft holen konnte. Der Nerven der Anwesenden waren zum Zerreißen gespannt. Niemand konnte den Blick von dem wütenden, betrunkenen Mann wenden, der den jungen Offizierskadetten so in die Mangel genommen hatte. Plötzlich zerschnitt ein Klirren die Stille. Henry war aufgesprungen und hatte hatte seinen Degen gezogen. Dessen Spitze setzte er nun Yves in das Genick. „Lass meinen Freund sofort los und dreh dich um!“ Henrys Stimme klang nun gar nicht mehr lallend und er stand wieder kerzengerade da. Sofort ließ Yves von Oscar ab. Bedächtig drehte er sich zu Henry um. Dieser ließ seinen Degen hoch erhoben. Die Spitze zeigte nun auf Yves Kehle. Verächtlich sah Yves auf Henry hinunter. „Ein Angriff von hinten. Das sieht einem Aristokraten ähnlich.“ „Wenn ich einem meiner Freunde helfen muss der gerade in Not ist, so soll mir jedes Mittel dabei recht sein,“ antwortete Henry. Oscar konnte nun, nachdem ihr Yves grobe Hände nicht mehr die Luft abschnürten, tief durch atmen. Nun bemerkte sie erst wie sehr ihr Herz raste und wie weich sich ihre Knie anfühlten. „Was willst du von mir Bürschchen?“ fragte Yves. „Soll ich vor dir auf die Knie gehen und dir die Stiefel lecken? Das gefällt euch adligem Pack doch so gut.“ „Ich will nichts weiter von dir und von allen anderen in dieser Spelunke als das ihr meine Freunde und mich unbeschadet gehen lasst.“ „Und wenn nicht? Stichst du dann zu? Dazu hast du doch gar nicht den Mut!“ „Lass sie gehen,“ ertönte da eine Stimme durch die Gaststube. Sie kam direkt hinter dem Tresen hervor. Alle sahen in die Richtung des Wirtes der gesprochen hatte. „Ich meine es Ernst Yves. Denkst du ich will einen Haufen Ärger wegen dieser kleinen Aristokratengören?“ „Sie gehören nicht hier her. Deswegen werde ich ihnen nun eine Lektion erteilen so das sie sich für immer daran erinnern werden.“ „Wenn du ihnen auch nur ein Haar krümmst dann haben wir morgen sofort das gesamte königliche Garderegiment auf dem Hals und ich kann meine Schenke für immer schließen. Wer ernährt mich und meine Frau dann? Sag mir Yves, können wir dann jeden Tag zu dir kommen um uns bei dir satt zu essen?“ Währenddessen war Olivier aufgestanden und stellte sich neben Henry. Seine Schritte waren noch etwas schwankend. Man sah ihm deutlich an wie sehr er sich beherrschen musste. Doch er biss tapfer die Zähne zusammen. Völlig unerwartet zog auch er seinen Degen. Unwillkürlich griffen einige der Männer zu ihren Bierkrügen um eine Waffe in der Hand zu haben, falls er auf Yves los gehen wollte. Doch Olivier richtete seinen Degen nicht gegen Yves sondern richtete dessen Spitze steil nach oben. „Wenn ihr uns gehen lasst ohne uns ein Leid zu tun, dann schwöre ich Olivier de Gramont, Sohn des Baron de Gramont, bei meiner Ehre das wir keiner Menschenseele von den Vorfällen in dieser Spelunke berichten werden.“ „Ach, du hast so etwas wie Ehre?“ fragte Yves in verächtlichem Ton. „Sicher hat doch dein Vater mindestens ein großes Landgut? Findest du es auch ehrenvoll das dort Menschen für weniger als einen Hungerlohn für euch schuften müssen?“ „Nun genügt es aber Yves“ fuhr plötzlich die leicht bekleidetet Dame namens Marielle auf. „Monsieur Lefebre hat vollkommen recht.“ Dabei deutete sie auf den Wirt. „Passiert den Kindern etwas, und Kinder sind sie noch, so werden wir alle nichts als Ärger bekommen. Das ist die Sache nicht wert. Und außerdem,“ dabei deutete sie auf Oscar, Henry und Olivier „haben sie wirklich Mut und Ehrgefühl, auch wenn die Burschen Adlige sind. Das müssen wir ihnen zugestehen.“ „Ja, sie haben sich wacker geschlagen,“ meinte einer der Männer. Zustimmendes Gemurmel war in der Gaststube zu hören. Der Mann mit der Ziehharmonika legte sein Instrument auf die Seite, stand auf und legte Yves die Hand auf die Schulter. „Sei vernünftig Yves und lass sie abhauen. Es ist so wie Monsieur Lefebre gesagt hat. Es ist die Sache nicht wert.“ Widerwillig trat Yves beiseite. Oscar und die anderen Kadetten waren einen Moment wie versteinert. Viel zu schnell hatten sich die Ereignisse überschlagen, als das sie noch einen klaren Gedanken hätten fassen können. Ein rauer Anschnautzer des Wirtes löste sie aus ihrer Erstarrung. „Habt ihr nicht gehört? Ihr sollt verschwinden! Und das nächste Mal lasst unsereins in Ruhe und bleibt in eurem feinen Palais.“ Henry wandte sich an seine Freunde. „Kommt es wird Zeit für uns zu gehen.“ Gleichzeitig steckten er und Olivier ihre Degen wieder in die Scheiden zurück. Patrice und Emilian erhoben sich mühsam und die fünf Freunde versuchten einigermaßen aufrecht, denn Rest Würde bewahrend der ihnen noch geblieben war, die Schankstube zu verlassen. Kurz vor der Türe stolperte Olivier, der als letztes den Raum verließ, über einen Beutel, den jemand achtlos auf den Boden geworfen hatte und fiel der Länge nach hin, was in den Gästen des „Bleue chien“ einen schallenden Lachanfall hervor rief. Unter ihrem Gelächter schaffte es auch Olivier mit vor Scham brennenden Wangen nach draußen. Endlich im Freien fühlten sich die Freunde so erleichtert wie schon lange nicht mehr. Nachdem sie ihre Pferde los gebunden und sich mit ihnen am Zügel in sicheren Abstand von dem „Bleue chien“ gebracht hatten, ließen sie sich dort entkräftet gegen die Mauer eines offensichtlich verlassenen Hauses sinken. Nun spürten sie auch welche Ängste sie während der letzten Minuten durchgestanden hatten. Emilian wandte sich abrupt von der Gruppe ab und nach den würgenden Geräuschen zu urteilen übergab er sich in der schützenden Dunkelheit. „Es tut mir so leid,“ stieß Henry zerknirscht hervor. „Der Ausflug war mein Einfall gewesen und ich habe euch nun alle damit in Schwierigkeiten gebracht. Bitte verzeiht mir!“ Da es in ihrer Nähe keine Straßenlaterne gab, die wenigstens ein wenig Licht gespendet hätte, sah niemand Henrys Gesicht. Aber seine Stimme klang so, als würde er es wirklich tief bereuen seine Freunde zu diesem Abenteuer verleitet zu haben. „Wenn jemand Schuld hat dann wir alle,“ hörten sie plötzlich Oliviers Stimme sagen. „Ja, wir sind alle freiwillig mit dir mit gegangen. Niemand hat uns dazu gezwungen,“ sagte Oscar bestimmt. „Und wenn es heraus kommen sollte das wir unerlaubter Weise in einer Schenke gewesen sind,“ fuhr Oscar fort, „so werden wir auch alle dafür einstehen und unseren Kopf dafür hinhalten.“ „Ich danke euch! Ihr seid echte Freunde,“ meinte Henry nun einigermaßen beruhigter. Er nahm sein Pferd etwas fester am Zügel. „Nun sollten wir uns aber endlich auf den Heimweg machen. Je früher wir in der Kaserne ankommen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit das wir nicht doch noch entdeckt werden.“ So saßen die jungen Kadetten auf ihren Pferden auf, um den Rückweg anzutreten. Oscar, die sich noch etwas unwohl fühlte, führte ihre Stute ein Stück am Zügel. Sobald ihre Übelkeit verflogen war würde sie aufsitzen. Sie war so eine gute Reiterin das sie die Anderen schnell eingeholt haben würde. Das Hufgeklapper der Pferde ihrer Kameraden wurde immer leiser, je weiter sie sich von Oscar entfernten. Doch hinter ihr war das eindeutige Geräusch eines Pferdes, das im langsamen Schritt geführt wurde zu hören. „Wer ist hinter mir?“ erkundigte sich Oscar. Sie versuchte die Unsicherheit in ihrer Stimme zu unterdrücken. „Ich bin es, Henry.“ „Henry...“ Bald hatte er sie mit seinem Pferd am Zügel eingeholt. „Ich wollte dir noch sagen das ich dein Auftreten heute Abend richtig tapfer fand.“ Oscar spürte, als sie Henrys Worte hörte, wieder dieses angenehme Ziehen im Bauch, dass sie nicht näher zuordnen konnte. Aber es fühlte sich wunderbar an. „Du warst aber auch sehr mutig. Du und Olivier habt euch dem Mann den sie Yves genannt haben ohne Zögern in den Weg gestellt.“ „Ja, aber dabei gibt es einen Unterschied,“ meinte Henry bedächtig. „Du warst die Erste die bemerkt hat das die Lage außer Kontrolle gerät. Wenn du nicht gewesen wärst dann hätten uns die Kerle vielleicht wirklich noch unter den Tisch getrunken und wir wären morgen irgendwo aufgewacht, während man in der Kaserne unser Fehlen schon längst bemerkt hätte. Wirklich Oscar, das wir heute heil aus der Kneipe gekommen sind ist nur dir zu verdanken.“ Für einen kurzen Moment wurde es hell um sie herum, als sie in den Schein einer Straßenlaterne traten. Oscar sah zu Henry hinüber und entdeckte das auch er in ihre Richtung blickte. Ein Lächeln huschte bei seinem Anblick über Oscars Gesicht und zu ihrer Freude sah sie das er ihr Lächeln erwiderte. Dann verließen sie den Lichtschein der Laterne und die Nacht hüllte sie wieder ein. Sie gingen schweigend nebeneinander her, man hörte nur das Klappern der Hufe ihrer beiden Pferde. Doch Oscar spürt Henrys Nähe und genoss es endlich einmal mit ihm ganz alleine zu sein, außerhalb der Kaserne und fern von den anderen Kameraden. Sie wurde sich bewusst, dass sie sich das schon seit Wochen gewünscht hatte. Es war so schön durch die milde Sommernacht zu streifen, den Atem ihrer Stute zu spüren und Henry ganz alleine für sich zu haben. Es waren nur wenige Minuten und Oscar wünschte sich das sie nie vergehen sollten. Doch von weitem sah sie bereits ihre Kameraden unter der nächsten Straßenlaterne warten, die bemerkt hatten das zwei ihrer Freunde fehlten. Bei ihnen angekommen saßen auch Oscar und Henry auf ihren Pferden auf. Oscar spürte dabei erneut den starken Schwindel in ihrem Kopf. Als sie weiter ritten meinte Olivier: „Welch ein Glück das mein Onkel für heute Abend nach Versailles geladen wurde. So schaffe ich es vielleicht das er nicht bemerkt wie spät ich nach hause komme. Ich wüsste nicht wie ich ihm erklären sollte wo ich die halbe Nacht gesteckt habe.“ „Ich hoffe der Stallbursche den ich bestochen habe wartet wirklich am Kasernentor und wir können unbemerkt eintreten,“ sagte Henry. Er stöhnte kurz auf. „Ansonsten möchte ich gar nicht wissen was uns blüht.“ Auch Oscar fiel wieder ein das sie mit der Botschaft, die der Stallbursche ihren Eltern überbracht hatte, zum ersten Mal in ihrem Leben eine Unwahrheit gesagt hatte und das sie dies bereits den ganzen Abend innerlich bereut hatte. Außerdem würde es für sie genau so schwierig werden unbemerkt in das Palas de Jarjayes zu gelangen. Doch ob wohl so viele Unannehmlichkeiten auf sie warteten würde sie diesen Abend nicht rückgängig machen wollen. Viel zu schön waren die Minuten alleine mit Henry gewesen. Kapitel 8: Eine Sommernacht und ihre Folgen Teil 2 -------------------------------------------------- Erschöpft von dem langen Tanzen zückte Emilie de Jarjayes ihren Fächer um sich ein wenig frische Luft zu verschaffen. Obwohl ihr Ballkleid aus einem luftigen Seidenstoff bestand, spürte sie bereits wie erhitzt sie war. „Rainier, ich bitte Euch um eine längere Pause. Ich war schon lange nicht mehr so sehr außer Atem.“ Verständnisvoll reichte General de Jarjayes seiner Gemahlin den Arm um sie zu einem Kanapee zu führen. Er selbst hätte ewig mit Emilie so weiter tanzen können. Er fand seine Frau an diesem Abend einfach nur hinreißend. In einer abgelegenen Nische fand sich schließlich für Emilie ein ruhiges Plätzchen. Nachdem sie sich dort niedergelassen hatte erkundigte sich der General einigermaßen besorgt: „Fühlt Ihr Euch wirklich wohl Emilie? Soll ich noch ein wenig bei Euch bleiben?“ Emilie erriet sofort das es ihren Mann wieder ins Getümmel zog. Sicher wollte er dort mit einigen seiner Freunde sprechen. Dies nannte der General „die Pflege wichtiger Kontakte“. Emilie nannte es „den richtigen Leuten zur rechten Zeit genügend Honig ums Maul schmieren“. Aber das würde sie niemals laut sagen. Wie gut das die Gedanken frei waren! So meinte sie nur: „Es geht mir bereits besser. Ich brauche lediglich ein wenig Ruhe.“ „Oh, natürlich! Ich werde Euch alleine lassen und später noch einmal nach Euch sehen.“ Schon war Monsieur de Jarjayes auf und davon. Er hatten einen der vielen, in seinen Augen so unendlich wichtigen Generäle entdeckt, mit dem er schon seit langem ein dringendes Gespräch führen wollte. Kaum war sie alleine streifte Emilie erleichtert die Tanzschuhe von ihren Füßen ab. Die Nische in die sie ihr Gatte geführt hatte lag so abgelegen, dass sich kein anderer Ballbesucher so schnell dort hin verirren würde. Die Musik und das Stimmengewirr klangen nur noch gedämpft zu ihr. Emilie fühlte wie müde sie plötzlich geworden war. Gegen ihren Willen vielen ihr die Augen zu und sie nickte ein. Marga, die noch immer küssend mit Hans Axel gegen den Obstbaum gelehnt stand, nahm ihn an der Hand und führte ihn über die Wiese in einen Heuschober. Sie ließ sich in das frische, duftende Sommerheu fallen und Hans Axel tat es ihr nach. Um es bequemer zu haben zog er seinen Gehrock aus und ließ ihn achtlos neben sich fallen. Das Feuer in seinem Inneren loderte so wie draußen die Mitsommerfeuer. Marga öffnete ihr Mieder und ihre kleinen, festen Brüste kamen zum Vorschein. Hans Axel spürte wie er bei ihrem Anblick zwischen seinen Beinen steif wurde. Im ersten Moment war es ihm peinlich doch er wusste nicht wie er seine Erregung verbergen sollte. Marga schien sich nicht im geringsten daran zu stören. Sie führte seine Hände an ihre nun nackten Brüste und schien es sichtlich zu genießen wie Hans Axel diese sanft streichelte. Auch ihre Hand wanderte unter sein Hemd. Plötzlich begann sie es ihm über den Kopf zu streifen und Hans Axel half ihr dabei. Schon wurden sein Hals und sein nackter Oberkörper mit Küssen übersät. Hans Axel meinte noch nie so etwas herrliches gespürt zu haben, doch als Margas Hand in seine Hose glitt, merkte er das dieses Gefühl alles bisherige übertraf. Rasch entledigte er sich auch seiner Hose und lag nun nackt vor dem blonden Mädchen. Das leichte piksen des Heus spürten sie beide in ihrer Erregung nicht. Bald hatte auch Marga ihr Kleid und ihr Hemd von sich geworfen und Hans Axel sah zum ersten Mal in seinem Leben eine nackte Frau. Er konnte den Blick nicht mehr von ihr abwenden. All zu schön sah Marga in diesem Moment für ihn aus. Auf ihrem offenen, blonden Haar trug sie noch immer ihren Blumenkranz, ihre helle Haut und ihre Brüste leuchteten weiß und zwischen ihren Beinen sah er ihr seidiges, leicht gelocktes Schamhaar. Seitlich lag sie neben ihm und streichelte weiter sein steifes Glied. Hans Axel stieß ein Stöhnen aus. Sie führte seine Hand zwischen ihre Beine und auch er begann sie dort instinktiv zu streicheln. Zunächst war er noch etwas unsicher doch dann ertastete er eine feuchte Öffnung. Neugierig ließ er zwei seiner Finger dort hinein gleiten und spürte darin zum ersten Mal die Wärme und Weichheit einer Frau. Nun begann auch Marga leise zu stöhnen während Hans Axels Finger immer wieder in sie hinein und hinaus glitten. Plötzlich schob sie seine Hand sanft beiseite, richtete sich auf und setzte sich auf ihn. Er spürte wie sie sein Glied ergriff und tief in ihre Scheide führte, die er bereits mit seinen Fingern erkundet hatte. Als sie ihn in sich aufnahm war es ein Gefühl als würden alle Sterne vom Himmel fallen, die Welt schien nicht mehr wirklich. Es gab nur noch sie beide. Ihre Körper waren miteinander verschmolzen. Er spürte ihre gleichmäßigen Bewegungen und sah wie ihre Brüste dabei vor seinen Augen auf und ab wippten, was seine Erregung noch mehr steigerte. Er konnte nur noch Stöhnen und auch ihr Atem schien immer schneller und schneller zu werden, bis er sich in der Tiefe ihres Schoßes ergoss. Marga ließ sich von ihm herunter gleiten und lag wieder neben ihm im Heu. So schnell wie die Erregung in ihnen aufgestiegen war, war sie auch verschwunden. Bald kam Hans Axel wieder zu Atem. Er erhob sich, kleidete sich an und verließ den Heuschober. Mit wenigen Schritten hatte er die Wiese überquert und den Dorfplatz erreicht, wo sein angebundenes Pferd auf ihn wartete. Das Fest war noch lange nicht vorbei. Die Musikanten hatten nicht aufgehört zu spielen und die Leute aßen, tranken und tanzten noch immer um den Mittsommerstab. Niemand schien bemerkt zu haben das er und Marga miteinander verschwunden waren. Als er nach hause ritt wurde die Melodie der Flöten, Geigen und Trommeln in seinen Ohren immer leiser und leiser und er entdeckte das die ersten Mitsommerfeuer bereits am Verlöschen waren. Eine seltsame Leere breitete sich in ihm aus. Den Namen des Mädchens begann er bereits zu vergessen. Das Zelt der Wahrsagerin auf dem Wiener Jahrmarkt war mit mystischen Zeichen bestickt und rund um mit Fackeln erleuchtet, was es ihm ein recht eindrucksvolles Aussehen gab, wie sogar Maximilian zugeben musste. Vor dem Zelteingang stand ein Mann mit einem orientalischen Turban auf dem Kopf, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und streng auf Maria Antonia, Maximilian und ihren Begleiter hinunter sah. Keck trat der fremde Junge vor ihn hin. „Was wollt ihr;“ fragte der Mann mit dem Turban. Offensichtlich wirkten die beiden blonden Kinder, die aller Wahrscheinlichkeit nach Geschwister waren und der Freund an ihrer Seite nicht so auf ihn, als hätten sie genügend Geld um sich die Zukunft vor her sagen zu lassen. „Sie,“ dabei zeigte der Junge auf Marie Antonia, „möchte zu der Wahrsagerin.“ „So, so,“ brummte der Mann mit dem Turban. „Hat das kleine Fräulein denn auch genügend Geld? Madame Letitia arbeitet nicht umsonst. Wahrsagerei ist eine hohen Kunst und jede Kunst fordert ihren Preis.“„Oh ja, ich werde ganz bestimmt bezahlen können,“ rief Maria Antonia aufgeregt. „Bestellt das Madame Letitia von mir. Sie soll mir nur ihren Preis nennen. Ich kann es kaum erwarten zu erfahren was mir die Zukunft bringt.“ Maximilian versetzte seiner Schwester zu zweiten Mal an diesem Abend einen Rippenstoß. Wie leichtsinnig es doch war vor Gauklern zuzugeben das man über genügend Geld verfügte. Es wusste doch jeder das diese Leute es nur auf den Inhalt der Geldbörsen ihrer Kunden abgesehen hatten. Er konnte es kaum glauben, dass das Tonerl wirklich bereits ein ganzes Jahre älter war als er! Immer noch skeptisch betrachtet der Mann die junge Kundschaft. Dann gab er sich einen Ruck, trat beiseite und öffnete den Vorhang des Zeltes ein Stück. „Tretet ein,“ sagte er. „Ich werde Madame Leitita fragen ob sie Euch empfängt.“ „Natürlich wird sie uns empfangen,“ murmelte Maximilian. „Immerhin will sie unser Geld oder besser gesagt das Geld des Tonerls. Von mir bekommt sie nämlich nichts.“ Der Mann verschwand hinter einem zweiten Vorhang und ließ die drei jungen Leute einige Zeit miteinander warten. Im Zelt war es recht dunkel und nur durch einen Schlitz des äußeren Vorhangs drang etwas Licht in das Innere des Vorzeltes. Allmählich wurde es Maria Antonia unwohl zumute. Vielleicht hatte sie doch mal wieder etwas zu unüberlegt gehandelt. Warum musste sie nur so schrecklich neugierig sein? Unsicher griff sie mit der linken Hand nach der ihres Bruders und mit der anderen nach der des fremden Jungen, der sie zu Madame Letitias Zelt geführt hatte. Dabei fiel ihr ein das sie ihn noch gar nicht nach seinem Namen gefragt hatte. „Wie ist dein Name?“ wandte sie sich nun an ihn. „Ich heiße Thomas,“ sagte der Junge. „Ich habe bereits gehört wie du und dein Bruder einander Tonerl und Maximilian genannt habt.“ In diesem Moment teilte sich der Vorhang wieder und der Mann mit dem Turban steckte seinen Kopf heraus. „Madame Letita ist nun bereit für Euren Besuch. Aber zuvor muss ich auf ihre Bezahlung bestehen.“ Maximilian entging der gierige Ausdruck in seinen Augen nicht, als er seine nach oben geöffnete Hand heraus streckte. „Das macht drei Gulden.“ „Das ist viel zu viel Geld,“ rief der Junge Erzherzog aus. „Tonerl bitte gib ihm nichts. Lass uns wieder gehen.“ Ruhig stand der Mann da und wartete. Maria Antonia schlug Maximilians gut gemeinte Ratschläge sofort in den Wind. Viel zu groß war ihr Neugierde darüber was Madame Letitia ihr wohl zu sagen hatte. Unverzüglich griff sie in ihre lederne Geldbörse, die seitlich an einem Band an ihrem Kleid befestigt war, nahm die gewünschten Münzen heraus und legte sie in die ausgestreckte Hand. Sofort schlossen sich deren Finger um das Geld zu einer Faust, die unverzüglich hinter dem Vorhang verschwand. Nachdem er das Geld an sich genommen und in seinen eigenen Lederbeutel hatte wandern lassen, trat der Mann heraus, verbeugte sich und hielt eine Hälfte des Vorhanges auf. Da das Tonerl nun doch einen kurzen Moment zauderte trat Thomas als erstes hindurch, gefolgt von dem jungen Mädchen und ihrem wütend dreinschauenden Bruder. Im inneren Teil des Zeltes war es genau so düster wie im Vorzelt. Lediglich der Tisch an dem Madame Letitia saß wurde von einem hohen Kerzenleuchter erhellt. Zu ihrem Erstaunen sahen die Geschwister das die Kerzen in dem Leuchter pechschwarz waren. So etwas hatten sie noch nie zu vor gesehen. Überhaupt war die spärliche Einrichtung des gesamten Zeltes sehr gewöhnungsbedürftig. Der Boden war mit einem dunklen Teppich ausgelegt und neben einer großen Truhe, die an der Seite stand und Madame Letitias Tisch enthielt sie nur noch einen Stab mit einem Querbalken, auf dem ein riesiger, schwarzer Rabe thronte. Am seltsamsten war aber Madame Letitia selbst. Sie war in einen schwarzen Umhang gehüllt, der mit den gleichen mystischen Zeichen bestickt war wie ihr Zelt. Ihr Gesicht war kalkweiß und das dunkle Haar wild zerzaust. Wortlos deutete sie mit ihrem Zeigefinger, dessen Nagel schwarz lackiert war, auf drei Stühle vor ihrem Tisch und Maria Antonia, Maximilian und Thomas nahmen darauf platz. Maria Antonia zuckte unwillkürlich zusammen als der Rabe sein Gefieder aufplusterte. „Ihr seid also zu mir gekommen um meine Dienste in Anspruch zu nehmen und zu erfahren was Euch das Schicksal bringt?“ begann Madame Letitita. Ihre Stimmer klang leise und rau. „Ich möchte das nicht,“ antwortete Maximilian sofort. „Nur meine gutgläubige Schwester hat dafür bezahlt.“ Dabei deutet er auf Maria Antonia, die von Madame Letitia schwer beeindruckt wirkte. Mit weit aufgerissenen Augen saß sie da und starrte die Wahrsagerin vor sich an. Madame Letitia nickte. „Ein Blick in Zukunft für eine junge, hübsche Dame.“ Sie zog unter ihrem Umhang einen Stapel Karten hervor und begann diese zu mischen und fächerartig vor sich auszubreiten. Die Bilder darauf zeigten nach unten. „Zieht davon zehn mit Eurer linken Hand und reicht sie mir,“ befahl die Wahrsagerin. Mit vor Aufregung zitternden Händen zog Maria Antonia wahllos nach zehn Karten um diese Madame Letitia zu geben. Gebannt sah sie zu wie die Wahrsagerin daraus ein Muster legte. Die Bilder der Karten zeigten nun nach oben. Es waren nicht etwa die üblichen Zeichen wie Pik oder Herz darauf zu erkennen, sondern sie waren mit seltsamen Bildern bemalt. „Solch ein Kartenspiel habe ich noch nie gesehen,“ meldete sich Maximilian zu Wort. „Es sind Tarotkarten,“ erklärte die Wahrsagerin mit ihrer merkwürdigen Stimme. „Sie zu deuten ist eine uralte Kunst.“ Konzentriert studierte sie das Muster der Karten vor ihr auf dem Tisch. „Ihr werdet eine große Reise machen,“ begann sie mit der Deutung. „Das sagt sie sicher jedem,“ meinte Maximilian. „Aber es stimmt doch was sie sagt,“ rief das Tonerl entrüstet aus. „Ich werde doch nächstes Jahr die große Reise nach Frankreich antreten. Bitte erzählt weiter! Was könnte Ihr noch alles sehen?“ Madame Leitita fing erneut an: „In dem fremden Land werdet Ihr freundlich aufgenommen werden.“ Maria Antonias Augen begannen zu strahlen. „Wie wunderbar! Macht nur weiter!“ „Es warten aber auch Menschen auf Euch die Euch Böses wollen. Ich sehe viele Intrigen.“ Maria Antonia wich die Farbe aus den Wangen. Das freudige Lächeln, das gerade eben noch um ihren Lippen gespielt hatte, war verschwunden. „Ich sehe zwei Männer die Euch Euer Herz schenken werden. Der eine ist bodenständig, treu und zuverlässig. Der andere ist wie das Feuer, unternehmungslustig und temperamentvoll. Nur die Liebe des letzteren werdet Ihr erwidern.“ Maria Antonia begann zu zittern. Es ging um ihre große Liebe, den Mann ihrer Träume, auf den sie wartete. Es gab ihn wirklich und sie würde ihm begegnen. Nun war sie dessen gewiss. „Ich sehe auch viele Freundschaften zu anderen Frauen. Doch die meisten scheinen nur oberflächlich weil sie sich dadurch einen Vorteil erhoffen. Nehmt Euch vor ihnen in acht! Eine Freundschaft aber wird tiefer gehen und sehr lange halten. Aber ich erkenne nicht ob es sich bei ihr um einen Mann oder eine Frau handelt. Das ist sehr merkwürdig und mir noch nie begegnet.“ „Pfft,“ stieß Maximilian aus. „Nun siehst du für welchen Unsinn du Geld hinausgeworfen hast. Entweder der besagte Freund ist ein Mann oder eine Frau. Eine andere Möglichkeit gibt es doch gar nicht.“ Scharf blickte ihn die Wahrsagerin an. „Noch ein einziges Wort von Euch und Ihr verlasst das Zelt,“ bestimmte sie gereizt. „Natürlich muss diese Person eines von beiden sein. Wie gesagt, ich kann es nur nicht deuten. An dieser Stelle liegt ein Bube und dieser ist keinem bestimmten Geschlecht zugeordnet. Es ist seltsam!“ Plötzlich wurde sie Wahrsagerin sehr still. Ausdruckslos starrte sie die Tarotkarten an. Ein Schaudern lief durch ihren Körper. Auch die drei jungen Leute begannen zu frösteln. Mit einem Ruck sprang Madame Letitia auf und fegte mit ihrer Hand über die Karten, so dass das gelegte Muster wieder durcheinander geriet. „So, das war alles was ich sehen konnte. Für genauere Vorhersagen seid Ihr noch zu jung. Es ist noch nicht viel zu erkennen. Ich bedanke mich für Euren Besuch. Kommt gut nach hause.“ Völlig verdattert von diesem abruptem Ende sprangen auch Maria Antonia, Thomas und Maximilian auf. Madame Letita kam hinter ihrem Tisch hervorgeschossen, wobei sie gegen die Stange mit dem Raben stieß. Dieser krächzte laut auf, flatterte davon und wurde sofort von der Dunkelheit des Zeltes verschluckt. Eilig riss die Wahrsagerin den Vorhang auf und ließ die drei jungen Leute hinaus treten. Sie verabschiedete sich noch nicht einmal und es hätte nicht viel gefehlt damit sie den Dreien einen Schubs gab um sie schneller nach draußen zu befördern. . Ehe Maria Antonia und Maximilian sich recht umgesehen hatten standen sie wieder mitten auf dem Jahrmarktsplatz. Thomas war plötzlich spurlos verschwunden. Beide brachten kein Wort mehr heraus. „Na, komm schon Tonerl,“ sagte Maximilian. „Sei nicht traurig. Ich habe dir doch gleich gesagt das diese Leute alle Betrüger sind. Ihr ist eben nichts mehr eingefallen, darum hat sie uns so plötzlich hinausgeworfen.“ Tröstend legte er seiner Schwester den Arm um die Schulter. Auch wenn er zunächst alles für einen ausgemachten Unsinn gehalten hatte, war er sich nun vollkommen sicher das die Wahrsagerin etwas in der Zukunft Maria Antonias gesehen hatte – etwas das so schrecklich sein musste, dass sie lieber darüber kein Wort verlieren wollte. Ein ungutes Gefühl blieb in ihm zurück und auch Maria Antonias Fröhlichkeit war eines der wenigen Male in ihrem Leben getrübt. „Sie hat etwas Schlimmes vor her gesehen. Nicht wahr Maximilian?“ „Ich weiß es nicht. Ich glaube eher nicht das sie wirklich die Zukunft vorher sagen kann. Zerbreche dir nicht darüber den Kopf,“ versuchte er seine Schwester zu beruhigen. Gemeinsam gingen sie zum Stephansdom. Dieser Platz war von Ferdinand und Maximilian als Treffpunkt ausgemacht worden, nachdem Ferdinand genügend Zeit alleine mit der Prinzessin von Lichtenstein verbracht hatte. Vor dem Zelt mit den mystischen Zeichen standen, während sich die beiden Geschwister entfernten, Madame Letitia, der Mann mit dem Turban und Thomas. Madame Letitia hatte den Arm um Thomas gelegt. „Du hast uns gute Kundschaft gebracht,“ lobte der Mann mit dem Turban. „Ja, als ich ihre besseren Kleider gesehen habe und das sie noch jünger sind als ich, dachte ich mir gleich das sie ohne zu verhandeln alles bezahlen würden. Es ist schön das du mit mir zufrieden bist Papa,“ sagte Thomas. Madame Letitia sah in den Geldbeutel, der nun in ihrer Hand lag. „Jetzt mach dich wieder auf den Weg und bring uns noch mehr zahlungswillige Leute. Noch ein paar solcher Kunden und wir werden recht gut über den nächsten Winter kommen.“ „Ja, Mama. Ich werde sofort los gehen.“ Schon war Thomas erneut in der Menge untergetaucht. „Das Mädchen war die Erzherzogin Maria Antonia,“ sagte Madame Letitia als Thomas außer Hörweite war. „Ich habe sie sofort erkannt, denn ich habe sie schon einmal auf einer Spazierfahrt mit ihrer Erzieherin gesehen.“ „Die zukünftige Dauphine von Frankreich,“ antwortete ihr Mann beinahe ehrfürchtig. Letitia zuckte mit den Schultern. „Nach dem was ich in den Karten gelesen habe wäre es wohl am Besten für alle sie würde hier in Österreich bleiben. Aber niemand entgeht seinem Schicksal.“ Am Stephansdom warteten Ferdinand und Prinzessin Johanna von Lichtenstein bereits auf Maria Antonia und Maximilian. Die Prinzessin stand ein gutes Stück von Ferdinand entfernt und kehrte ihm den Rücken zu. Ferdinand, der eine ähnliche Frohnatur wie seine Schwester war, sah äußerst missmutig drein. Auf seiner rechten Wange zeichneten sich deutlich fünf feuerrote Fingerabdrücke ab, die verrieten das sein Alleingang mit der Prinzessin von Lichtenstein sicher nicht so abgelaufen sein konnte wie er es geplant hatte. Glücklicherweise erschien schon die Kutsche, die Ferdinand auf dreiundzwanzig Uhr bestellt hatte und die sie wieder in die Hofburg bringen sollte, wo sie durch einen der kleinen Seiteneingänge in ihre Gemächer gelangen würden. So fröhlich die Herfahrt verlaufen war, so gedrückt war nun die Stimmung während der Heimfahrt. Ihr Fehlen war glücklicherweise nur von ihrer Erzieherin Gräfin Brandeis bemerkt worden, die natürlich ein furchtbares Gezeter anstimmte: „Wie konntet Ihr mir so etwas nur antun! Es ist entsetzlich! Wenn nur Eure Mutter davon nichts erfährt. Welch ein Glück das sie noch immer mit Staatskanzler Kaunitz in ihrem Kabinett sitzt. Ihr bringt mich alle noch ins Grab! Wenigstens von Euch hätte ich etwas Vernunft erwartet Prinzessin von Lichtenstein. Oh, Erzherzog Ferdinand! Was ist denn nur mit Eurem Gesicht geschehen?“ Das waren die letzten Worte die Maria Antonia hörte bevor sie in ihrem Zimmer verschwand und ihren Tränen freien Lauf ließ. Bestimmt hatte Maximilian recht und alles war nur Unsinn. Die Wahrsagerin hatte sicher nichts gesehen. Aber warum war sie nur auf einmal so traurig und woher kam die Angst tief in ihrem Inneren?“ Emilie wusste nicht wie lange sie geschlafen hatte als sie das gedämpfte Lachen einer Frau vernahm. Sofort schreckte sie auf und sah sich um. Obwohl sie im ersten Augenblick nicht mehr so recht wusste wo sie sich befand, begriff Emilie recht schnell wieder das sie in Versailles war. Im Bewusstsein wie unschicklich es war während einem Ball des Königs ein Nickerchen zu halten brachte sich Emilie auf schnellstem Wege wieder in eine aufrechte Position. Erneut ertönte das Lachen und Emilie fand das es sehr albern klang. Seltsamerweise aber kam ihr die Stimme bekannt vor. In der Nische war es dämmrig, nur ein einzelner Leuchter brannte an der Wand. „Ich habe mich die letzten vierundzwanzig Stunden vor Sehnsucht nach Euch verzehrt,“ flüsterte die Frauenstimme. „Jede einzelne Sekunde musste ich an Euch denken.“ Emilie wurde sich bewusst das sie mitten in eine Liebesszene geraten war. „Oh mein Gott! Hoffentlich ist es nicht seine Majestät mit der Dubarry. Das wäre mehr als peinlich,“ schoss es Emilie durch den Kopf. Vorsichtig drehte sie sich ein Stück nach hinten. In dem spärlichen Licht erkannte sie eine zarte Frauengestalt, die sich gegen die korpulente Silhouette eines Mannes lehnte. Die Arme des Mannes hielten sie umschlungen, während sich seine Hände auf äußerst unanständige Weise den Weg ihren Rücken hinunter bis zu ihrem Hinterteil ertasteten, auf dem sie dann letzten Endes liegen blieben. Die Frau gab ein unnatürliches Stöhnen von sich. Emilie bemerkte sofort das es lediglich gespielt war. Offensichtlich täuschte die weibliche Person ihre Erregung nur vor. Der Mann schien davon nicht das geringste zu bemerken. „Männer sind eben nun einmal der festen Überzeugung sie wären unwiderstehlich,“ dachte Emilie bei sich. Der König konnte dieser Mann nicht sein, dazu war er zu feist. Emilie kniff die Augen zusammen. Sie war nun doch recht neugierig geworden um wenn es sich bei dem Liebespaar handelte. Im Schein des Leuchters konnte sie nun die schimmernden rotblonden Haare der Dame erkennen, die zu einer kunstvollen Frisur aufgesteckt und mit Perlen geschmückt waren.Sie trug ein Kleid aus cremefarbener Seide. Welche Dame in dieser Garderobe und mit diesem Haarschmuck war ihr heute sofort aufgefallen? Da fiel es Madame de Jarjayes wie Schuppen von den Augen. Die Dame war Veronique und der Mann an den sie sich so schamlos lehnte ihr Liebhaber General de Ronsard. Natürlich hatte sie sich die Abwesenheit ihres Gatten mal wieder zu nutze gemacht um sich ausgiebig ihren amourösen Abenteuern widmen zu können. „Von wegen so viel beschäftigt in den Diensten der Dubarry,“ dachte Emilie wütend. „Und ich hüte zu hause ihr Kind, damit sie sich mit de Ronsard vergnügen kann. Es ist unfassbar!“ Nun konnte sich Emilie natürlich nicht entscheiden was peinlicher war, den König mit seiner Mätresse zu ertappen oder die eigene Tochter mit ihrem Liebhaber zu erwischen. Sie entschied für sich das sie lieber dem König und der Dubarry in ihr Stelldichein geplatzt wäre. Die beiden besaßen immerhin einen deftigen Humor mit dem man die kritische Situation hätte retten können. Wie auch immer, sie musste so schnell wie möglich ungesehen verschwinden. Eine Standpauke über ihr Betragen wäre wohl in Anbetracht der Tatsache, das Veronique inzwischen achtundzwanzig Jahre zählte fehl am Platze. Außerdem würde ihre Älteste so wie so nicht auf sie hören. Das Paar hatte nun begonnen einander heftig zu küssen. Das war die Gelegenheit die Nische unauffällig zu verlassen. Vorsichtig erhob sich Emilie von dem Kanapee. Erschrocken stellte sie dabei fest das ihre Röcke raschelten, doch das Paar war so sehr miteinander beschäftigt, dass sie nichts davon bemerkten. Schnell wollte Emilie aus der Nische wieder hinaus in den Ballsaal huschen. Dabei vergaß sie völlig ihre Tanzschuhe, die sie ausgezogen hatte und die noch immer vor ihr auf dem Boden lagen. So wie sie den ersten Schritt machte stolperte sie über einen der Schuhe, machte einen Ausfallschritt, stürzte nach vorne und fing sich aber in letzter Minute an einem kleinen Schränkchen ab. Dabei stieß sie gegen eine Porzellanschale, die scheppernd zu Boden ging. Entsetzt fuhren Veronique und de Ronsard auseinander. „Maman!“ rief Veronique entgeistert. Sofort liefen ihre Wangen unter der weißen Puderschicht rot an. Von der eigenen Mutter während der Schmuserei mit einem Liebhaber erwischt zu werden war mindestens genau so peinlich wie andersherum. Mutter und Tochter wünschten sich jedenfalls beide an einen anderen Ort. Am besten möglichst weit von einander entfernt. De Ronsard, ganz vollendeter Kavalier, versuchte die unangenehme Situation zu retten. „Madame de Jarjayes habt Ihr Euch verletzt?“ fragte er hilfsbereit. „Keineswegs, mir geht es gut. Vielen Dank der Nachfrage,“ brachte Madame de Jarjayes mühsam hervor. „Ich bin nur über meine Schuhe gestolpert.“ Verdattert starrten Veronique und de Ronsard auf die hübschen Ballschuhe mit dem Schleifchen auf den Schuhspitzen, die auf dem Boden lagen und zu denen ihre Blicke nach Emilies Worten gewandert waren. Um dem peinlichen Schweigen ein Ende zu bereiten bückte sich de Ronsard nach den Schuhen, ging vor Emilie auf die Knie und sagte: „Madame, wenn ich behilflich sein dürfte.“ Dankbar, das nun wenigstens etwas geschah, ließ sich Emilie in die Schuhe helfen. „Habt vielen Dank General de Ronsard,“ sagte Emilie. „Hat Euch Lady Oscar heute Abend auf den Ball begleitet?“ erkundigte sich de Ronsard höflich. „Ich habe sie noch nirgends zu Gesicht bekommen.“ Verdutzt sah Emilie den Leiter der Offiziersakademie an. „Oscar wurde heute länger auf der Akademie behalten. Dies hat sie meinem Gemahl und mir durch einen Boten mitteilen lassen. Deshalb war es ihr nicht möglich auf dem Fest zu erscheinen. Daher verwundert mich Eure Frage ein wenig.“ General de Ronsard verstand die Welt nicht mehr. „Ich bin zutiefst erstaunt Madame. Es ist auf der Akademie nicht üblich die Kadetten länger da zu behalten. Ich habe so etwas noch nie angeordnet. Es muss ein Missverständnis vorliegen.“ Madame de Jarjayes dämmerte es allmählich das an Oscars Nachricht etwas nicht stimmte. Die Sache war ihr von Anfang an merkwürdig vorgekommen. So antwortete sie nur: „Ich denke auch das es sich um ein Missverständnis handelt. Ich wünsche Euch viel Vergnügen heute Abend.“ Damit verließ sie endgültig die Nische. Gerade als Veronique erleichtert aufatmen wollte drehte sich ihre Mutter noch einmal zu ihr um. „Amüsiere dich gut Veronique. Maurice ist übrigens wohl auf. Aber da du so viel beschäftigt bist kann es wohl kaum zu erwarten sein das du ihn einmal besuchen kommst, geschweige denn dich nach ihm erkundigst.“ Diese Spitze hatte sich Emilie de Jarjayes nicht verkneifen können. Damit rauschte sie würdevoll ab. Draußen genehmigte sie sich erst einmal ein kühles Glas Champagner, dass ihr von einem Lakai auf einem Tablett angeboten wurde. Wie gut das jetzt tat. Um sich ein wenig zu erholen stellte sie sich etwas abseits. Dabei bemerkte sie eine Gruppe junger Leute die sich angeregt unterhielt. Emilie hatte nicht vorgehabt deren Gespräche zu belauschen, doch sprachen sie mit solch lauten Stimmen, dass ihre Worte kaum zu überhören waren. Mit darunter waren der jüngere Bruder des Dauphins, der den Titel Graf de Provence trug, sowie Julie de Meuron und Louise de Girodelle, eine Nichte des Grafen Girodelle. Der Graf de Provence führte gerade das Wort und seine Ausführungen wurden von den beiden jungen Damen mit ausgelassenem Gelächter begleitet. „Es ist kein Wunder das er es vermeidet zu tanzen,“ sagte er gerade. „Er wirkt dabei so plump wie ein Bauer. Oder sollte ich eher sagen so plump wie ein Hufschmied?“ Erneut lachten Julie und Louise auf. „Wir sahen ihn am späten Nachmittag in den Gängen. Ganz offensichtlich kam er gerade wieder aus seiner Schmiede. Ihr könnt Euch nicht vorstellen wie er schon wieder aussah,“ erzählte Louise „Ja,“ fuhr Julie für ihre Freundin fort. „Er war vollkommen schwarz und verdreckt. An jedem anderen Hof würde so eine Person sofort entfernt werden. Nur nicht in Versailles versteht sich. Denn in Versailles handelt es sich bei dieser verdreckten Person um den Dauphin höchstpersönlich.“ Nun konnten sie sich vor Gelächter nur noch mit Mühe aufrecht halten. Emilie kam langsam zu dem Entschluss das es das Schicksal an diesem Abend nicht gut mit ihr meinte. Immer wieder landete sie in Situationen in denen sie lieber nicht sein wollte. Erst geriet sie in ein Treffen ihrer eigenen Tochter mit deren Liebhaber und nun bekam sie auch noch mit wie der Graf de Provence auf ganz unverschämte Weise mit zwei jungen Damen über seinen Bruder den Dauphin herzog. Dieses Gespräch hätte Emilie am liebsten nicht gehört. „Unfassbar das Louis Auguste unser Dauphin ist. Er gereicht unserem Land wirklich nicht zu Zierde.“ In diesem Moment rauschte die Dubarry an dem Grüppchen vorbei. Sie sah prächtig aus in einer dunkelroten Robe die über und über mit Goldstickereien versehen war. Auf ihrem Kopf glänzte ein Diadem, von dem schon den ganzen Abend hinter den vorgehaltenen Fächern der Damen gemunkelt wurde, der König hätte es selbst für sie aus dem fernen Florenz kommen lassen. Gerade als der Graf de Provence seinen letzten Satz vollendete war sie auf gleicher Höhe mit ihm. Unerwartet wandte sie sich um. Durchdringend blickte sie den Graf de Provence an, der sofort einen kleinen, kaum merklichen Schritt zurück wich. Darin zeigte sich die Unsicherheit seiner dreizehn Jahre. Ansprechen durfte ihn die Dubarry nicht, da sie als Witwe eines Grafen vom Rang her unter dem Enkel des Königs stand. Aber der Blick aus ihren Augen hatte genügt um den gerade eben noch so großspurigen Prinzen aus dem Konzept zu bringen. Nun wirkte er regelrecht verunsichert vor der Mätresse seines Großvaters. Da er diese Person zutiefst verabscheute ärgerte er sich maßlos darüber, dass sie es geschafft hatte ihn zurück weichen zu lassen. Zu groß war aber auch die Furcht in ihm, dass sie seine gehörten Worte sofort seinem Großvater zutragen würde, der ihn dafür am nächsten Tag scharf rügen würde. Dieses „rügen“ fiel meist bei König Louis, der sehr hitzig sein konnte, alles andere als angenehm aus.Mit einem weiteren Schritt auf die Seite stand die Dubarry Julie und Louise gegenüber. „So weit ich informiert bin muss der Dauphin Louis Auguste den Töchtern der Untertanen seines Großvaters keinerlei Rechenschaft darüber abgeben mit welchen Beschäftigungen er seine Musestunden verbringt. Habe ich damit nicht recht?“ Ihr scharfer Blick richtete sich dabei auf die beiden Mädchen um ihnen ebenfalls direkt in die Augen zu sehen. Genau wie zuvor der Graf de Provence wichen sie unbeabsichtigt ein Stück zurück. „Außerdem möchte ich daran erinnern,“ fuhr die Dubbary fort, „dass unser lieber Dauphin trotz seines jugendlichen Alters bereits sehr belesen und gebildet ist, was man durchaus nicht von jedem der jungen Leute, die diesen Hof besuchen, behaupten kann. So ist es nicht verwunderlich das Louis Auguste deren Gesellschaft nicht sucht, denn über was sollte er sich denn mit einem ungebildeten Menschen unterhalten? Insbesondere meine ich damit die ein oder andere der jungen Damen, die durch ihr unsinniges Geschnatter unseren Thronfolger zu Tode langweilen würden.“ Die beiden jungen Damen wurden nun wirklich verlegen und senkten die Köpfe. Nun entdeckte die Dubarry Madame de Jarjayes, die noch immer wie angewurzelt neben der Gruppe stand. Sie war zu gespannt gewesen was die Dubarry zu den Lästerreien zu sagen hatte, als das sie hätte weg gehen wollen. Natürlich wandte sich nun die Dubarry sofort an Emilie. „Ah, Madame de Jarjayes, seid Ihr nicht auch so wie ich der Ansicht das hier einige der jungen Leute, aufgrund Übermuts und mangelndem Taktgefühls, Dinge sagen, die besser ungesagt bleiben sollten?“ In diesem Falle konnte Emilie Madame Dubarry nur beipflichten: „Damit habt Ihr sicherlich recht Madame Dubarry.“ Da nun auch die Gattin des einflussreichen General de Jarjayes, auf den der König solche großen Stücke hielt, mitbekommen hatte wie sie alle von der Mätresse des Königs herabgekanzelt wurden, wuchs die Scham der drei jungen Leute noch mehr - und ihre Abneigung gegen die Dubarry. Mit hoch gezogenen Augenbrauen wandte diese sich an den Graf de Provence. „Mademoiselle de Meuron und Mademoiselle de Girodelle,“ sprach sie die Mädchen an. Ihre Worte waren aber ausdrücklich an den Graf de Provence gerichtet, doch in dem sie die Namen der jungen Damen nannte umging sie es das Wort direkt an ihn zu richten. „Ihr braucht keinesfalls zu befürchten das ich Gespräche des heutigen Abends, die mir zu Ohren gekommen sind, an seine Majestät weiterleite. Klatsch und böse Verleumdungen sind mir völlig zuwider.“ Damit ließ sie die drei verdattert stehen. Auch Emilie entfernte sich nun schleunigst von der Gruppe. So bekam sie es auch nicht mehr mit wie der Graf de Provence zu Julie und Louise sagte: „Ich kann Euch gar nicht beschreiben wie tief meine Abscheu über diese Frau ist. Eines Tages werde ich dafür sorgen das sie diesen Hof verlässt und zurück in die Gosse geworfen wird aus der sie kommt und die sie wieder zurück gehört.“ „Dabei werdet Ihr sicher gute Freunde brauchen die Euch bei Eurem Vorhaben unterstützen,“ antwortete Julie einschmeichelnd. Ihre Freundin Louise nickte dabei zustimmend. Die frische Nachtluft tat Oscar gut und kühlte sie etwas ab. Im ruhigen Schritt ritt sie nach hause. Dabei war es von Vorteil das ihre Stute den Weg beinahe von alleine fand. Oscar saß mit nach vorne gebeugten Oberkörper auf ihrem Pferd. Inzwischen hatte auch die Übelkeit wieder eingesetzt. Sie wusste nicht ob ihr mehr der Schnaps oder die Gedanken an Henry die Sinne verwirrten. Als sie am Tor des Palas de Jarjayes ankam, war sie wieder so weit bei sich, dass sie darüber nachdenken konnte wie sie hinein kommen würde, ohne das jemand bemerkte das sie erst zu so später Stunde zurück kehrte. Inzwischen fühlte sie sich so elend, dass sie kaum alleine die Treppen würde nach oben steigen können. Jemand musste ihr dabei helfen. Doch sämtliche Dienstboten würden sie am nächsten Tag sofort bei ihrem Vater verraten und Sophie würde ihr noch zusätzlich eine Standpauke über ihr unmögliches Benehmen halten, obwohl sie sich selbst oft genug an der Schnapsflasche vergriff. Vorsichtig rüttelte Oscar am Tor, dass aber wie immer in der Nacht verriegelt worden war. Nirgends im Haus schien noch Licht zu brennen, zumindest nicht auf der Vorderseite. Langsam ließ Oscar ihre Stute um das Palas herum traben. Im hinteren Teil befand sich ein kleiner Gemüsegarten, der aber ebenfalls von einem hohen Tor verschlossen wurde. Von hier aus konnte man jedoch die Fenster des Dienstbotentraktes sehen. Oscar beschloss einige der kleinen Kieselsteine, die auf dem Boden lagen, zu sammeln und sie gegen Andres Schlafzimmerfenster zu werfen. Sicher würde er davon wach werden und ihr zu Hilfe eilen. Mühevoll ließ sich Oscar von ihrem Pferd gleiten. Sicher auf dem Boden angekommen versuchte sie einigermaßen die Balance zu finden, gab dann aber resigniert auf, da sie zum Kies sammeln ohnehin auf den Boden hinunter musste. Bald hatte sie im Mondlicht einige Steinchen entdeckt, die groß genug waren, dass Andre sie hören konnte aber hoffentlich keinen Schaden an den kostbaren Fensterscheiben anrichten würden. Keuchend vor Anstrengung richtete sich Oscar auf. Mit beiden Händen zog sie sich am Tor nach oben. Dann begann sie auf Andres Fenster zu zielen und zu werfen. Die Steine verfehlten ihr Ziel. Die Fenster waren wohl zu weit vom Tor entfernt oder ihre Treffsicherheit hatte durch den starken Alkoholgenuss sehr gelitten. Oscar überlegte ob sie die Nacht einfach im Freien verbringen sollte. Immerhin war es eine laue Sommernacht und sie würde nicht frieren. Doch dann fiel ihr ein das so erst recht auffallen würde das sie erst so spät nach hause gekommen war, denn dann musste sie in aller Frühe am großen Tor läuten. „Ich muss es schaffen Andre wach zu bekommen,“ dachte sie sich fest. Sie nahm sich noch einmal zusammen, griff erneut nach einem Kieselstein, kniff ein Auge zu wie beim Schießen, zielte und warf den Stein mit Schwung von sich fort. Dieses Mal hatte sie Erfolg und der Stein fand sein Ziel. Mit einem feinen Klirren landete er an Andres Fensterscheibe. Nichts rührte sich. Ob er wohl so fest schlief? Entschlossen setzte sie zu einem erneuten Versuch an. Erneut klirrte ein Kiesel an Andres Zimmerfenster aber es geschah nichts. Der nächste Stein verfehlte sein Ziel und der übernächste fiel zu Oscars Entsetzen gegen das Fenster hinter dem sie Laurents Schlafzimmer vermutete. Zu allem Unglück öffnete sich wenige Augenblicke später oben tatsächlich das Fenster und Laurent erschien darin, in der Hand eine brennende Kerze in einem Halter. „Ist dort jemand?“ rief er hinaus. Oscar fluchte innerlich. Mit seinem Gerufe würde er noch die gesamte Dienerschaft aufwecken. Vielleicht könnte sie aber wenigstens versuchen Laurent zum Schweigen zu bewegen. Gerade er würde wohl für ihre Situation am ehesten Verständnis haben. „Laurent,“ rief sie leise. „Hier ist Oscar!“ „Lady Oscar!“ rief Laurent überrascht. „Ihr seid das?“ „Pssst, Laurent, bitte sei leise. Ich möchte nicht das jemand aufwacht. Ich brauche deine Hilfe. Bitte komm hinunter.“ Laurents Fenster schloss sich. Dafür öffnete sich im selben Moment das Fenster von Sophie. Schon wieder hatte Oscar einen Grund zum fluchen. Nun, wo sie endlich eine verlässliche Hilfe gefunden hatte, musste das alte Kindermädchen auf der Bildfläche erscheinen. Im Palas de Jarjayes geschah eben nichts was Sophies scharfen Augen und Ohren entging. Sich flach auf den Boden legend robbte Oscar in das nächste Gebüsch. Als sie dort zwischen den Zweigen hindurch lugte konnte sie Sophies Kopf, geziert mit einer ihrer riesigen Nachthauben und der Brille auf der der Nase, im Fensterrahmen erkennen. Oscar überlegte ob sie jemals ihre Brille abnahm. Zumindest hatte sie Sophie noch nie ohne das Gestell gesehen. Es war als wäre sie mit ihm auf die Welt gekommen. Nun sah Sophie durch ihre Gläser in den finsteren Gemüsegarten hinaus, mit so einem fest entschlossenen Ausdruck im Gesicht, der sofort verriet das sie sich erst wieder zurück ziehen würde, wenn sie heraus gefunden hatte, wer oder was den nächtlichen Frieden des Palas de Jarjayes störte. Die kleine Seitentüre, die zum Gemüsegarten führte, öffnete sich und Laurent trat heraus. Er hatte sich notdürftig mit einem Hemd und einer Hose bekleidet. Den Kerzenleuchter hielt er noch immer in der Hand. Sofort tönte Sophies Stimme von oben: „Laurent, bist du das? Was geht dort unten vor sich? Ich habe Stimmen gehört.“ „Ich habe sie auch gehört. Ich werde nachsehen ob nicht irgendwelche Spitzbuben ihr Unwesen treiben.“ Pflichtbewusstsein vortäuschend leuchtete er zuerst den Gemüsegarten ab, dann öffnete er mit dem Schlüsselbund, den er in der einen Hand trug, das große Tor und begann draußen alles ab zu suchen. Bald stand er hinter dem Gebüsch in dem sich Oscar versteckt hatte. Für einen kurzen Moment kreuzten sich ihre Blicke. Kaum merklich nickte Laurent ihr zu. Dann ging er langsam weiter, mit der Kerze in jedes Gebüsch leuchtend.Es waren nur wenige Minuten aber Oscar kamen sie vor wie Stunden. Wenn sich nur Sophie abwimmeln ließe! Endlich tönte Laurents Stimme durch die Nacht: „Ich habe niemanden gefunden. Lediglich ein paar Zweige sind abgeknickt. Wer immer sich hier herumgetrieben haben mag hat auf jeden Fall längst das Weite gesucht. Ihr könnt also beruhigt weiter schlafen Madame Glace.“ „Es wird immer schlimmer auf dieser Welt. Da treiben sich doch tatsächlich irgendwelche Vagabunden in den Büschen herum, während andere rechtschaffene Menschen längst schlafen. Ich werde morgen mit Monsieur de Jarjayes darüber sprechen. Jawohl, das werde ich!“ So vor sich hin schimpfend zog Sophie ihren Kopf samt Brille und Nachthaube wieder zurück und schloss ihr Fenster. Erleichtert atmete Oscar auf. „Lady Oscar, Ihr könnt heraus kommen! Die Luft ist wieder rein!“ hörte sie kurz darauf Laurent leise rufen. Vorsichtig erhob sich Oscar und kam aus den Büschen gewankt. Als sie Laurents entgeisterten Gesichtsausdruck sah, wurde ihr bewusst das sie recht mitgenommen wirken musste. Als Leibdiener eines Generals hatte Laurent allerdings gelernt sich recht schnell wieder zu fassen. „Was ist geschehen?“ fragte er nur. „Einige meiner Kameraden haben beschlossen in Paris eine Spelunke aufzusuchen. Ich habe mich ihnen angeschlossen. Als die dortigen Gäste bemerkten das wir Kadetten der Offiziersakademie sind, spendierten sie uns so lange immer wieder eine neue Runde Schnaps bis wir alle betrunken waren,“ schilderte Oscar die Vorfälle dieser Nacht in abgemilderter Form, wohl weislich darauf bedacht die Details weg zu lassen. „Mit anderen Worten würde man sagen das Ihr abgefüllt wurdet,“ meinte Laurent und grinste. Schwankend kam Oscar näher. Laurent zog eine Grimasse. Die Folgen von Oscars erstem Kneipenbesuch waren nicht nur in ihrem Gesicht und an ihrem Gang zu erkennen, man roch sie auch deutlich. Aber letzten Endes war Oscar nicht der erste und nicht der letzte Betrunkene den er zu Bett schaffte. Auch Philippe oder andere der männlichen Dienstboten musste er schon oft nach einer durchzechten Nacht beistehen. Und diese waren in der Regel danach weit aus lädierter als Oscar. Mit geübtem Griff legte er Oscars einen Arm um seine Schulter und führte sie durch das Tor, dass er sorgfältig wieder verschloss, durch den Gemüsegarten und die kleine Seitentüre ins Haus. Durch Oscars federleichtes Gewicht brauchte er sich kaum anzustrengen, wie er befriedigt feststellte. Philippe und die meisten anderen schienen, wenn sie in betrunkenem Zustand zu Bett geschleppt wurden, mindestens so schwer wie drei Kartoffelsäcke. „Ihr wisst das ich diesen Vorfall Eurem Vater melden muss?“ fragte Laurent plötzlich. Oscars Zuversicht verschwand. Sie hätte es sich aber auch denken können das Laurent ihrem Vater so treu ergeben war, dass er niemals etwas hinter seinem Rücken machen würde. Philippe hätte an seiner Stelle gutmütig geschwiegen wie ein Grab. Aber Philippe hielt sich mit höchster Wahrscheinlichkeit in Versailles auf, wohin er ihre Eltern kutschiert hatte und ausgerechnet Laurent war wach geworden. Oscar betrachtete dies als gemeinen Streich des Schicksals. Zu allem Pech waren nun im Hausgang auch noch Schritte zu vernehmen. „Schläft die alte Vettel denn niemals?“ stöhnte Laurent. Es war davon auszugehen das er damit Sophie meinte. „Schnell in mein Zimmer,“ flüsterte er. Mit wenigen Schritten hatte er Oscar bis vor seine Kammertüre gezogen, öffnete diese stieß sie hinein. In letzter Sekunde fing sich Oscar am Waschtisch ab, sonst wäre sie gestürzt. Laurent war ihr sofort in sein Zimmer gefolgt. Entkräftet ließ sich Oscar auf den Stuhl sinken, der neben dem Waschtisch stand. Laurent hatte die Vorhänge in seinem Zimmer nicht zugezogen und im fahlen Mondlicht konnte Oscar sich in dem kleinen Raum umsehen. Die Einrichtung war sehr schlicht gehalten. Neben dem Waschtisch und dem Stuhl enthielt der Raum nur noch einen kleinen Kleiderschrank und ein schmales Bett. An diesem Bett blieb Oscars Blick hängen und auch Laurent, der sich gegen die Türe gelehnt hatte, starrte darauf. Denn in seinem Bett hatte sich etwas zu regen begonnen. Die Bettdecke bewegte sich und eine Gestalt kam darunter zum Vorschein. Da es so dunkel im Raum war erkannte Oscar erst bei genauerem Hinsehen das Hausmädchen Paulette, das nun aufrecht in Laurents Bett saß. Ihr langes Haar, dass tagsüber unter einem Häubchen nach oben gesteckt war, lag nun gelöst und wirr um ihre Schultern und trotz der Dunkelheit erkannte Oscar das sie nackt war. „Laurent, ich habe bereits auf dich gewartet!“ rief sie vorwurfsvoll. Dann fiel ihr Blick auf Oscar. „Lady Oscar...?“ Zwei Augenpaare waren nun fragend auf Laurent gerichtet. „Was macht Paulette in deinem Bett?“ fragte Oscar, obwohl sie die Antwort bereits kannte. „Weshalb hast du Lady Oscar mitgebracht?“ fragte Paulette ebenso verständnislos. In diesem Moment klopfte es an der Zimmertüre. „Oh nein, das wird Sophie sein,“ flüsterte Laurent und sprach damit den anderen Anwesenden aus der Seele. „Ich bin es, Andre,“ tönte es da auf der anderen Seite der Türe. Sichtlich erleichtert trat Laurent, der sich noch immer gegen die Tür gestemmt hatte, einen Schritt nach vorne, öffnete einen kleinen Spalt und ließ Andre herein schlüpfen. Zum ersten Mal seit langer Zeit sah Oscar ihn wieder einmal mit geöffneten Haaren, anstatt mit einem Pferdeschwanz. Auch er war, so wie Laurent, nur notdürftig mit einer Hose und einem leichten Hemd bekleidet. Über dem Arm hatte er einen Einkaufskorb hängen und Oscar fragte sich wozu er diesen mitten in der Nacht brauchte. Andre blinzelte in die Dunkelheit und erkannte sofort die kleine Versammlung in Laurents Schlafzimmer: Laurent vor ihm, Oscar auf dem kleinen Hocker vor dem Waschtisch und mitten im Bett saß die splitternackte Paulette, die sich nun vor seinen Augen betont langsam die Bettdecke über ihre Brüste zog. „Was um alles in der Welt macht ihr alle hier?“ stieß er hervor. „Also ich für meinen Teil warte bereits seit einer halben Ewigkeit auf Laurent,“ antwortete Paulette. „Wir waren für ein Uhr miteinander verabredet. Wo hast du nur gesteckt?“ wandte sie sich nun an Laurent. „Als du nicht da warst habe ich mich einfach schon einmal ausgezogen und in dein Bett gelegt. Nur anfangen konnte ich eben nicht alleine.“ Sie bemerkte natürlich wie aufmerksam Oscar und Andre zuhörten, die noch vollkommen unerfahren waren, und genoss ihre Überlegenheit. „Ich war vor dem Haus um Lady Oscar ungesehen hinein zu bekommen,“ antwortete Laurent. „Sie steckte in einer etwas misslichen Lage.“ „Ich war mit meinen Kameraden in einer Kneipe. Wir haben dort ein wenig zu viel getrunken. Ich wusste nicht wie ich unbemerkt in das Palas kommen sollte, vor allem wegen Sophie,“ erklärte Oscar. „Sie ist schlimmer als jeder Gendarm,“ pflichtete ihr Paulette bei. „Auch ich muss mich immer so leise wie möglich zu Laurent schleichen.“ „Du warst in einer Kneipe?“ fragte Andre, der Paulette zu ignorieren versuchte, der nun wie zufällig die Bettdecke wieder nach unten glitt. „Ein Bote brachte uns die Nachricht das du heute länger auf der Akademie bleiben musst.“ „Die Botschaft war falsch,“ gab Oscar kläglich zu. „Ich weiß es war nicht richtig was ich getan habe aber ich wollte doch so gerne mit den anderen mit.“ „Aber Oscar.! Wie konntest du nur?“ entfuhr es Andre. „Wenn es nur dein Vater nicht erfährt!“ Unehrlichkeit war etwas das er von seiner besten Freundin nicht kannte. „Ich denke darüber brauchst du dir den Kopf nicht zu zerbrechen,“ meinte Laurent. „Ich werde morgen früh General de Jarjayes sofort über die Vorkommnisse der Nacht unterrichten. Wie er mit Lady Oscar weiter verfährt ist seine Sache.“ „Du wirst sie verraten?“ rief Andre aus. „Was soll verraten heißen? General de Jarjayes hat ein Recht darauf es zu erfahren wenn sein Sohn..., ähmm seine Tochter ihm falsche Nachrichten zukommen lässt und sich mit dreizehn Jahren bereits in einer Pariser Schenke herumtreibt.“ Andre sah Oscar an, die auf ihrem Stuhl förmlich zusammengesackt war. Der General würde unglaublich wütend werden. Dies war so sicher wie das Amen in der Kirche. Mit höchster Wahrscheinlichkeit würde er auf sie sogar so wütend werden wie noch nie in seinem Leben auf irgendeine seiner Töchter. „Wütend“ würde vermutlich für seine Gemütsverfassung gar kein Ausdruck mehr sein. Und so beschloss Andre seiner Freundin zu helfen, denn dazu waren gute Freunde schließlich da und Oscar würde sicherlich das selbe für ihn tun. „Ich finde genau wie du das man General de Jarjayes über solch schockierende Vorkommnisse unbedingt unterrichten sollte,“ meinte Andre. „Es freut mich das du nun doch einsichtig wirst,“ sagte Laurent mit zufriedener Stimme. „Aber sicher doch,“ sprach Andre weiter. „Der Anstand muss im Palas de Jarjayes unter allen Umständen gewahrt werden. Nächtliche Herumtreibereien sind völlig indiskutabel, vor allem da sie hinter dem Rücken des Hausherrn geschehen.“ „Genau meine Ansichten!“ pflichtete ihm Laurent bei. „Deshalb werde ich ihm sofort morgen früh darüber in Kenntnis setzen, dass sich das Personal in aller Heimlichkeit mitten in der Nacht durch die Gänge des Palas schleicht um, „obwohl sie einander nicht angetraut sind, fleischlichen Gelüsten zu frönen“, um es mit den Worten meiner Großmutter zu sagen.“ Laurent war plötzlich sehr blass geworden. Auch Paulettes Gesichtsfarbe glich von einer Sekunde zur anderen den Bettlaken. „Das wirst du nicht tun,“ stieß Laurent hervor. „Weshalb denn nicht?“ fragte Andre möglichst arglos. „Du hast doch gesagt das der General ein Recht darauf hat zu erfahren was in seinem Palas vor sich geht.“ Laurent sah ein das er wohl oder übel klein bei geben musste wenn er nicht samt Paulette am nächsten Tag auf der Straße stehen wollte. „Na schön, ich werde alles für mich behalten. Junge Leute schlagen eben einmal über die Stränge. Aber du gibst mir dein Ehrenwort das du mich und Paulette nicht verrätst.“ „Das gebe ich dir gerne,“ antwortete Andre, dem es ohnehin herzlich egal war was die beiden miteinander trieben. Hauptsache Oscar würde ohne größere Schwierigkeiten aus der Sache heraus kommen. „Na, komm! Wir hieven sie nach oben und schaffen sie in ihr Bett. Aber immer schön leise damit der Gendarm nicht wach wird.“ Beide legten Oscars Arme um ihre Schultern und zogen sie nach oben. In einer Hand hielt Andre noch immer den großen Einkaufskorb. Gerade als Laurent im Begriff war die Türe zu öffnen flüsterte Paulette vom Bett zu ihnen herüber: „He, Andre! Falls Laurent keine Lust oder nicht mehr die nötige Energie haben sollte, darfst auch du gerne noch bei mir vorbei kommen.“ Dabei klopfte sie eindeutig neben sich auf die Matratze. Wortlos verließ Andre mit Laurent und Oscar den Raum. Kaum war die Tür hinter ihnen in das Schloss gefallen schüttelte er sich angewidert. „Als ob ich freiwillig zu ihr gehen würde. Dazu ist sie mir mit ihren einundzwanzig Jahren viel zu alt,“ meinte der vierzehnjährige Andre voller Überzeugung und Oscar stimmte ihm mit einem leichten Kopfnicken bei. Hätte nicht jedes Geräusch sie verraten und Sophie oder einen der anderen Bediensteten wecken können, so hätte Laurent nun laut losgelacht. So aber blieb ihm nichts weiter übrig als sich fest auf die Zunge zu beißen und damit sein Lachen zu unterdrücken. Glücklich schafften sie es durch den Dienstbotentrakt hinüber in den Flügel den die Herrschaft bewohnte, durch sämtliche Gänge, über sämtliche Treppen, bis sie endlich vor Oscars Zimmertüre angelangt waren. Dabei merkten sie nicht das ihnen den ganzen Weg über eine kleine, weiße Gestalt folgte. Nachdem auch die Türe von Oscars Schlafzimmer möglichst geräuschlos geöffnet und geschlossen worden war, ließen sie die erschöpfte Oscar auf ihr Bett gleiten. Sofort machte sich Laurent daran ihr die Uniform zu öffnen um sie zu entkleiden. „Was machst du da?“ rief Andre entsetzt. Sofort zog Laurent die Hände wieder zurück. „Das war reine Gewohnheit,“ meinte er verlegen. „Ich gehe immer so vor wenn ich einen Betrunkenen zu Bett bringe. Ich vergaß für den Moment völlig das Lady Oscar eine Frau ist.“ Andre nickte. Das war leicht zu vergessen. Niemand der es nicht wusste wäre auf die Idee gekommen das der junge Soldat, der nun mit geschlossenen Augen auf dem Bett lag, ein junges Mädchen war. Es war nicht nur die Uniform, allein Oscars ganzes Benehmen war durch und durch männlich. Die Erziehung des Generals hatte den von ihm gewünschten Erfolg erzielt, die Monate auf der Offiziersakademie hatten ihr übriges getan. „Dann braucht ihr mich wohl nicht mehr,“ meinte Laurent. „Ich habe heute noch eine besonders wichtige Verabredung.“ Mit einem Augenzwinkern an Andre war er draußen. „Grüß mir Paulette,“ sagte Andre aber Laurent hatte es so eilig, dass er seine letzten Wort nicht mehr hörte. „Andre,“ tönte Oscars Stimme vom Bett. Ihre Augen waren noch immer geschlossen. „Bevor ich einschlafe muss ich dir noch eine wichtige Frage stellen.“ „Nur zu, frage.“ „Was hast du um Himmels willen in dem Korb den du mit dir herumträgst?“ In dieser Sekunde öffnete sich Oscars Schlafzimmertüre einen Spalt breit und die kleine, weiße Gestalt, die ihnen bereits unbemerkt durch das ganze Palas nach geschlichen war, schlüpfte herein. Es war Maurice, Oscars zehnjähriger Neffe, der mit einem langen, weißen Nachthemd bekleidet war. Das Anklopfen war eine Eigenschaft die ihm immer noch nicht anzugewöhnen war oder die er sich vermutlich nicht angewöhnen wollte. Leise schloss er die Türe wieder hinter sich und stellte sich neben Andre. „Ich weiß was er darinnen versteckt hält,“ erklärte er ungefragt. „Es sind Leckereien aus der Speisekammer.“ Ärgerlich sah Andre auf ihn herunter. Es stimmte das er in der Nacht von einem heftigen Heißhungergefühl gepackt worden war. So hatte er sich, nach allen Seiten lauschend, um seine Großmutter nicht zu wecken, in die Speisekammer geschlichen und dort einen der leeren Obstkörbe mit guten Sachen gefüllt: kalte Hähnchenschenkel vom Dinner, ein großes Stück Kuchen und ein Glas mit eingelegten Pflaumen. Er war eben damit auf dem Rückweg in sein Zimmer gewesen, um sich dort seine Ausbeute schmecken zu lassen, mächtig stolz auf sich das er unbemerkt an Sophies Schlafzimmer vorbeigekommen war, als er gerade sah wie Oscar mit Laurent in dessen Zimmer verschwand. „Kein Wunder du hast die Steine die ich gegen dein Fenster geworfen habe nicht gehört wenn du die ganze Zeit über in der Speisekammer gesteckt hast,“ murmelte Oscar. Um sich aufzuregen war sie einfach zu müde. Andre gab Maurice einen Puffer mit dem Ellenbogen. „Was hast du überhaupt mitten in der Nacht hier im Haus herumzuschleichen?“ „Ich mache dies immer wenn Großvater und Großmutter ausgehen,“ antwortete Maurice ungerührt. „Wenn sie in Versailles sind kehren sie nie vor drei Uhr zurück und was hier im Palas alles vor sich geht ist sehr interessant.“ Oscar und Andre stöhnten beide gleichzeitig verhalten auf. Das Maurice die Abwesenheit seiner Großeltern nutzte um den gesamten Haushalt und damit auch sie beide auszuspionieren gefiel ihnen durchaus nicht. „Ich habe schon oft beobachtet wie Paulette zu Laurent in der Nacht auf sein Zimmer geschlichen ist und ich habe dich auch schon mehrmals die Speisekammer plündern sehen,“ erzählte er triumphierend in Andres Richtung gewandt. Andre unterdrückte den Drang Maurice den Hals herum zu drehen. „Ich sehe auch immer wie Sophie in die Küche geht um sich ein paar Gläschen Schnaps zu genehmigen und belausche auch was die Dienstmädchen nachts auf ihren Zimmern miteinander tuscheln. Und heute habe ich gesehen wie Oscar von Laurent durch die Hintertüre in das Palas geschmuggelt wurde.“ Nun galt sein triumphierender Blick Oscar. Noch nie hatte Oscar ihren Neffen so unerträglich gefunden. Wann würde Veronique ihren Ableger wohl endlich wieder abholen? Neugierig trat Maurice näher an das Bett. „Du bist sehr blass,“ stellte er fest. Dann begann er übertrieben zu schnüffeln. „Und du stinkst,“ fuhr er fort. „Andre, bitte schaff ihn hinaus,“ bat Oscar inständig. „Ich möchte nichts weiter als endlich schlafen zu können.“ Und von Henry träumen, fügte sie in Gedanken hinzu. „Komm Maurice,“ bat Andre einschmeichelnd. „Lass Oscar in Ruhe. Wie du siehst geht es ihr nicht gut.“ „Ich weiß warum es ihr nicht gut geht. Sie riecht wie jemand der getrunken hat. So riecht Sophie danach immer und auch die Dienstboten wenn sie Ausgang hatten. Bei Großvater habe ich es auch schon gerochen. Er trinkt immer Wein und Schnaps in seiner Bibliothek. Das habe ich schon oft durch das Schlüsselloch gesehen.“ „Er soll verschwinden,“ flehte Oscar verzweifelt. „Ich mache dir einen Vorschlag,“ versuchte es Andre erneut. „Du schleichst dich schnell in mein Zimmer, denn im Schleichen bist du offensichtlich unschlagbar, und dort verspeisen wir miteinander alles was ich in meinem Korb habe. Dafür wirst du kein Sterbenswörtchen davon das Oscar so spät nach hause gekommen ist zu Madame und Monsieur de Jarjayes sagen.“ Begeistert von diesem Vorschlag dreht sich Maurice auf seinen Haken um und war, so schnell wie er aufgetaucht war, zur Türe draußen. Oscar war erleichtert. „Ich werde dich nun schlafen lassen,“ meinte Andre. „Vielleicht erzählst du mir morgen, wenn es dir besser geht, was sich heute Nacht zugetragen hat. Gute Nacht Oscar.“ Gerade hatte er seine Hand nach der Türklinke ausgestreckt als er Oscars Stimme hinter sich hörte. „Ich möchte es einmal nicht so machen wie Laurent und Paulette.“ Erstaunt wandte sich Andre ihr wieder zu. „Was meinst du damit?“ fragte er. „Ich glaube nicht das die beiden einander lieben,“ sagte Oscar. „Nein, das glaube ich auch nicht,“ meinte Andre. „Ich vermute sie machen es miteinander einfach so, weil es ihnen Spaß macht. Das machen viele Leute, vor allem Männer. Ich höre doch immer zu wenn die männlichen Dienstboten und Knechte beieinander sitzen. Da geht es um einiges deftiger zu wie wenn die Dienstmädchen dabei sind oder meine Großmutter.“ „Ich möchte es einmal anders machen,“ wiederholte Oscar. „Ich werde das Bett nur mit jemandem teilen denn ich auf ganz besondere Weise liebe. Das habe ich fest beschlossen.“ „Ja Oscar, du hast recht. Ich will es einmal ganz genau so halten,“ sagte Andre nachdenklich. Von Oscar kam kein Laut mehr und so verließ Andre ihr Zimmer. Oscars Gedanken waren bereits zu Henry gewandert. Zu Henrys spitzbübischem Lächeln, zu Henry wie er seinen Degen gezogen hatte um sie zu verteidigen und zu den Minuten die sie mit Henry Seite an Seite durch die warme Sommernacht gegangen war. Henry, Henry, Henry....Mit diesen Gedanken glitt Oscar in den Schlaf. Als Hans Axel von Fersen nach hause zurück kehrte wartete seine elfjährige Schwester Sophia auf ihn. Sie hatte ihre Zimmertüre einen Spalt weit geöffnet und lief ihm nun freudig entgegen. „Hans, ich habe schon so auf dich gewartet.“ Zuhause sprachen sie Deutsch miteinander, da seine Familie aus Norddeutschland stammte. In ihrem Nachthemd lief seine Schwester ihm in sein Zimmer nach. Sie wollte alles von ihm wissen. Was hatten die Damen auf dem Mittsommernachtsball getragen? Wie oft und mit wem hatte er getanzt? Hans Axel liebte seine Schwester Sophia. Jeder in der Familie von Fersen tat das. Sophia mit ihrem ehrlichen, gewinnenden Wesen konnte man gar nicht anders als lieben. Doch nun wünschte sich Hans Axel nichts anderes als alleine zu sein. Selbst Sophias Gesellschaft war ihm gerade zufiel. „Lass mich noch ein wenig schlafen Sophia. Ich verspreche dir das ich dir morgen früh alles erzählen werde.“ „Es ist doch schon ganz früh. Siehst du nicht wie hell es draußen ist?“ „Im Juni ist es immer hell draußen, selbst mitten in der Nacht. Das weißt du doch Sophia. Nun und sei so gut und lass mich ausruhen.“ Er drückte seiner kleinen Schwester einen Kuss auf die Wange und schob sie liebevoll zur Türe hinaus. Alleine in seinem Bett konnte er endlich in aller Ruhe über sein nächtliches Erlebnis nachdenken. Er musste zu geben, das die Begegnung mit Mar... Margareta oder wie immer sie geheißen haben mochte, sehr amüsant gewesen war. Diese bestimmte Sache die sie miteinander getan hatten bereitete tatsächlich großen Spaß. Da war es kein Wunder das so viel darüber geschrieben und geredet wurde. Er, Hans Axel konnte nun dabei mitreden. Vor allem seinen älteren Freund Arvid von Bergen musste er bei ihrem nächsten Treffen sofort darüber in Kenntnis setzen, dass er nun kein Junge mehr war, sondern ein Mann mit dem eine Frau das Lager geteilt und in die Freuden der Liebe eingewiesen hatte. In dieser Nacht beschoss Hans Axel diese besonderen Freuden noch möglichst oft zu genießen. Weshalb auch nicht? Schließlich lebte man nur einmal. Diesen Entschluss setzte er in die Tat um und sollte damit zahlreichen Frauen das Herz brechen, so lange bis er die Liebe seines Lebens finden würde. Doch davon ahnte er in dieser Mittsommernacht noch nichts und vor allem nicht das an dieser Liebe sein Herz zerbrechen sollte, da er sie niemals würde ausleben können. Noch immer aufgewühlt von dem Gespräch, das zwischen der Dubarry und dem Graf de Provence stattgefunden hatte, trat Emilie durch eine der hohen Terrassentüren hinaus in die mondbeschienen Gärten von Versailles. Hinter einer der Rosenhecken stand versteckt eine kleine, steinerne Bank. Zu dieser zog es sie nun, um dort endlich den erhofften Frieden zu finden. Doch erneut sollte sich dieser Wunsch nicht erfüllen. Kaum war sie hinter die Rosenhecke getreten fand sie die Bank bereits besetzt vor. Ein elegant gekleideter, junger Mann saß darauf und seine gebeugte Körperhaltung drückte tiefen Kummer aus. Als er hörte das jemand zu ihm getreten war hob er den Kopf und sah zu Emilie auf. Sofort erkannte sie den Dauphin Louis Auguste, der sie wie schon einmal an diesem Abend mit tief traurigen Augen anblickte. Augenblicklich versank Emilie in einem tiefen Knicks. „Ihr seid Madame de Jarjayes, wenn ich mich recht erinnere,“ sprach sie der Dauphin an. „Jawohl, so ist es Euer Hoheit,“ antwortete Emilie. „Bitte erhebt Euch. Ich bin die Förmlichkeiten für heute Abend leid.“ Emilie richtete sich wieder auf. Sie verspürte tiefes Mitleid mit diesem Jungen, der doch alles auf der Welt hatte und dennoch so unglücklich wirkte. „Was führt Euch hier hinaus in den Rosengarten. Findet Ihr am Ball meines Großvaters keinen Gefallen?“ „Er ist wunderbar und ich amüsiere mich vortrefflich, wie auf allen Festen des Königs. Ich kam hier her um etwas frische Luft zu holen und mich ein wenig auszuruhen.“ „Nun, die Bank erscheint mir groß genug für uns beide. Bitte setzt Euch zu mir.“ „Euer Hoheit sind zu freundlich.“ Emilie setzte sich neben den jungen Prinzen. „Auch mir ist es drinnen zu laut und zu heiß. Außerdem empfinde ich diese vielen Menschen als erdrückend,“ fuhr Louis Auguste fort. „Euer Hoheit, das wollte ich damit wirklich nicht sagen,“ lenkte Emilie rasch ein. Der Dauphin winkte ab. „Natürlich wolltet Ihr das nicht sagen. Dazu seid Ihr zu höflich und zu wohlerzogen. Es waren meine Worte aber es würde mich nicht wundern wenn ich Euch damit aus der Seele spreche. Auch Ihr mögt in Wirklichkeit keine Bälle, nicht wahr?“ Emilie blieb dem Dauphin die Antwort schuldig, obwohl dies dem Kronprinzen gegenüber sehr unschicklich war. Die Wahrheit kam ihr aber nicht über die Lippen und anlügen wollte sie diesen gutmütigen, lieben Jungen nicht. „Sie verachten mich dort drinnen alle.“ Louis Auguste wies mit dem Kinn in die Richtung des Schlosses. „Ich weiß das sie sich über meine Art zu tanzen lustig machen und über meine Leidenschaft zum Schmiedehandwerk. Besonders meinem Bruder und den jungen Damen in Versailles diene ich zum Gespött. Dieses Schloss hat Ohren. Es gibt in ihm keine Geheimnisse. Alles was sie über mich reden wird mir von anderen Personen zugetragen. Ihr wisst nicht wie kränkend dies alles oft ist.“ Emilie widerstand dem Drang ihren Arm um den Jungen zu legen. Louis Auguste war genau so wie sie sich immer ihren Sohn ausgemalt hatte, der ihr aber nie geschenkt worden war. Statt dessen sagte sie: „In einigen Jahren werdet Ihr der König sein. Dann könnt Ihr sie alle köpfen lassen.“ Im ersten Moment erschrak Emilie selbst über ihren derben Spaß doch dann sah sie das sich ein Lächeln auf Louis Augustes Lippen stahl. „Ihr habt recht. Vielleicht werde ich das sogar tun.“ Er wirkte nun viel gelöster und längst nicht mehr so traurig wie zuvor. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen. Dann sagte Louis Auguste: „Am schlimmsten von ihnen allen ist die Mätresse meines Großvaters, die Dubarry. Sie werde ich als erstes des Hofes verweisen sobald ich König bin. Diese Person widert mich zutiefst an.“ Emilie wollte ihn gerade darüber in Kenntnis setzen, wie sehr die Dubarry erst vor kurzem für ihn Partei ergriffen hatte, doch dann hätte sie auch die Worte seines Bruders und der Mademoiselles de Meuron und de Girodelle wiedergeben müssen und das hätte den Dauphin nur wieder aufs Neue gekränkt. Statt dessen meinte Emilie zu ihm: „Weshalb geht Ihr nicht mit mir wieder hinein und tanzt ein wenig?“ Louis Auguste wurde verlegen. „Ihr wisst das ich nicht der Beste Tänzer bin Madame. Es gäbe den anderen jungen Leuten nur wieder erneut Grund um über mich zu spotten.“ „Vermutlich liegt es daran das Ihr die richtige Tanzpartnerin noch nicht gefunden habt. Ich bin mir sicher das Ihr sie recht bald in Eurer zukünftigen Gemahlin finden werdet.“ Der Dauphin schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht das die junge Dame aus Österreich anders sein wird als die französischen Mädchen. Wenn man bedenkt das sie eine Habsburgerin ist wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach eher noch schlimmer sein.“ „Ihr dürft nicht solche Vorurteile hegen Hoheit. Ich empfehle Euch sie zunächst kennen zu lernen und dann zu urteilen.“ „Ich habe bereits ein Bild von ihr gesehen. Aber es ist nur Fälschung, wie alles was aus Österreich kommt. Man hat mir erzählt das die Erzherzogin Maria Antonia in Wirklichkeit ganz anders aussieht aber die Kaiserin den Maler beauftragt hat sie älter zu malen um uns in Frankreich mit dem Bild zu täuschen.“ „Oder um Euch nicht zu enttäuschen. Ihr alle erwartet eine reife Frau als Kronprinzessin, doch das Mädchen ist sogar noch jünger als Ihr. Sicherlich denkt auch sie nicht ohne Angst an das fremde Land in das sie bald abreisen wird.“ Doch der Dauphin ließ sich nicht so leicht umstimmen. „Ich werde es meinem Großvater niemals verzeihen das er mir eine Habsburgerin als Braut ausgesucht hat, selbst wenn diese Heirat von noch so großer politischer Wichtigkeit sein sollte. Meiner Maman, der verstorbenen Dauphine Maria Josepha, wäre es sicher nicht recht gewesen. Sie hatte ihr ganzes Leben lang einen Groll gegen Österreich.“ „Vielleicht wäre Eure Maman auch einfach glücklich gewesen wenn Ihr eine Gemahlin finden würdet die Ihr aufrichtig liebt und diese Euch in gleicher Weise. Dann wäre ihr die Herkunft der jungen Dame sicher nicht mehr so wichtig gewesen.“ „Ich weiß es nicht Madame.“ „Vermisst Ihr Eure Maman?“ fragte Emilie unvermittelt. „An manchen Tagen ein wenig. Ich habe sie nicht oft gesehen. Ich kann mich auch nicht daran erinnern das je mit mir gespielt hätte. Das haben die Erzieherinnen getan. Maman kam nur gelegentlich in die Kinderstube um sich nach meinen Fortschritten zu erkundigen.“ Eine Weile sah er Emilie von der Seite an. Ihm gefielen besonders ihre hübschen, sanften Gesichtszüge und ihre stets freundlich drein blickenden Augen. „So eine Maman wie Euch habe ich mir immer gewünscht Madame.“ Erstaunt über diese plötzlichen Worte sah Emilie ihn an. „Es ist merkwürdig Euer Hoheit aber ich habe mir gerade erst gedacht das ich gerne einen Sohn so wie Euch gehabt hätte.“ Verlegen blickte Louis Auguste auf seine Schuhspitzen. Dann nahm er all seinen Mut zusammen, bekämpfte seine Schüchternheit, erhob sich und verneigte sich leicht vor Emilie. „Würdet Ihr mir die Ehre erweisen mit mir zu tanzen Madame de Jarjayes?“ Freudig überrascht antwortete Emilie: „Mit dem aller größten Vergnügen Hoheit. Aber ich dachte das Tanzen bereitet Euch keine Freude?“ „Das macht es auch nicht. Aber ich denke Ihr seid die netteste und wunderbarste Dame in ganz Versailles. Um mit Euch zusammen sein zu können werde ich sogar das Tanzen in Kauf nehmen.“ Dies war eines der wenigen Male in seinem Leben in denen Louis Auguste einer Dame ein Kompliment machte. Es kam jedoch so sehr von Herzen das wiederum Emilie sich so geschmeichelt fühlte wie nach keinem anderen. Zum Erstaunen aller Gäste des Königs sah man kurz darauf wie Emilie de Jarjayes vom Dauphin in den Ballsaal geführt wurde und kurz darauf für den Rest des Abends nur noch mit ihm tanzte. „Ihr habt recht gehabt Madame,“ sagte er zu Emilie. „Das ich bis jetzt am Tanzen keinen Gefallen gefunden habe, lag tatsächlich daran das mir die richtige Tanzpartnerin dazu gefehlt hat. Dies hat sich nun an diesem Abend geändert.“ Niemand fand Louis Auguste, während mit Emilie tanzte, plump oder ungeschickt, noch nicht einmal sein Bruder der Graf de Provence. Er meinte nur zu Julie de Meuron und Louise de Girodelle: „Ausnahmsweise gibt er keine so schlechte Figur ab wie sonst.“ Aus seinen Worten sprach viel Neid. Auf der Heimfahrt war die Stimmung in der Kutsche zwischen Emilie und General de Jarjayes sehr gedrückt. Niemand von ihnen sprach ein Wort. Emilie musste an Oscar denken und hoffte das sie inzwischen heil nach hause gekommen war. Sie nahm sich vor sofort mit Oscar zu sprechen, sobald sie daheim angekommen waren. Als sie nur noch eine kurze Wegstrecke vom Palas de Jarjayes entfernt waren meinte der General endlich: „Ihr habt zum ersten Mal seit Jahren wieder mit einem anderen Mann als mit mir getanzt. Ich frage mich wie es dazu kam, nachdem Ihr doch zuvor so entsetzlich müde wart.“ „Ihr seid eifersüchtig auf einen vierzehnjährigen Jungen?“ fragte Emilie erstaunt. Beinahe hätte sie zu lachen begonnen. „Ihr schient Euch beide prächtig zu amüsieren,“ gab der General leicht gereizt zurück. „Und ausgerechnet dieser Junge ist einer der beiden einzigen Männer in Frankreich die ich nicht zum Duell fordern kann.“ „Ich bitte Euch, macht Euch nicht lächerlich Rainier. Es ist wahr das ich mich mit dem Dauphin recht gut unterhalten habe. Er ist so wie ich mir immer unseren Sohn gewünscht hätte.“ „Dann haben wir wohl recht unterschiedliche Vorstellungen darüber wie ein Sohn der Familie de Jarjayes zu sein hat.“ „Offensichtlich haben wir das.“ Damit war das Gespräch zwischen ihnen beendet. Emilie blickte den Rest der Fahrt in den heran brechenden Sommermorgen hinaus. „Er ist so ein liebenswerter junger Mann und er fühlt sich furchtbar einsam in Versailles. Ich wünschte ich könnte ihm irgendwie helfen,“ dachte sie für sich. Im Hof des Palas de Jarjayes half Rainier seiner Gemahlin wortlos aus der Kutsche und ebenso wortlos geleitete er sie in das Haus. „Ich wünsche Euch eine gute Nacht Emilie,“ verabschiedete er sich in der Halle knapp von ihr und stieg im Eiltempo die Treppen hinauf, so das ihm seine Frau nicht folgen konnte. Wütend ging Emilie nach oben. Sie verstand nicht was in ihren sonst so selbstbewussten Gatten gefahren war. Noch nie war er derartig eifersüchtig geworden. Es war wirklich gerade zu lächerlich. Allerdings hatte Emilie selbst nicht bemerkt wie sehr sie der Dauphin während des Tanzes angehimmelt hatte. Dies war aber den meisten der Anwesenden nicht entgangen, einschließlich General de Jarjayes. Wenn er jedoch gewusst hätte, das zu allem Überfluss Louis Auguste zu der selben Zeit in seinem Schlafgemach verträumt in den Sonnenaufgang über den Gärten von Versailles hinaus sah und dabei fest an Emilie dachte, so hätte er umgehend sein Pferd gesattelt und wäre mit bereits gezücktem Degen nach Versailles geritten, Dauphin hin oder her. Bevor sich Emilie zurück zog ging sie wie beschlossen in Oscars Schlafzimmer, um nach ihrer Tochter zu sehen. Zu ihrer grenzenlosen Erleichterung fand sie Oscar tief schlafend in ihrem Bett vor. Ihr schulterlanges, blondes Haar lag wirr um ihr Gesicht. Emilie sah sofort das sie noch ihre Uniform trug und nur die Stiefel abgestreift hatte, die neben dem Bett lagen. Offensichtlich musste die sonst so ordentliche Oscar sehr müde gewesen sein, wenn sie sich einfach so in ihr Bett fallen ließ. Ihr Gesicht wirkte jedoch im Schlaf so friedlich, wie man Oscar im wachen Zustand nie erleben würde. Emilie hätte ihre schlafende Tochter am liebsten eine Weile so betrachtet, doch sie hatte sich vorgenommen noch ein ernstes Wort mit ihr zu sprechen, bevor sie sich selbst nach der langen Ballnacht nieder legen würde. Ohnehin musste Oscar demnächst aufstehen, denn der Unterricht auf der Offiziersakademie begann immer recht früh. „Oscar! Oscar, bitte wach auf,“ hörte Oscar im Schlaf die Stimme ihrer Mutter. Dreimal musste Emilie rufen bis Oscar endlich aufwachte, so übermüdet war sie. Als sie endlich die Augen aufschlug entdeckte sie zu ihrer Überraschung ihre Mutter neben ihrem Bett. „Maman?“ „Ich wollte dich wecken damit du nicht verschläfst.“ Oscar fuhr in ihrem Bett nach oben. Sofort erfasste sie ein heftiges Schwindelgefühl und sie spürte einen stechenden Schmerz hinter ihrer Stirn, der sie wieder nach hinten sinken ließ. Dabei drehte sie den Kopf seitwärts um ihre Mutter ansehen zu können und ihr Blick fiel auf die Schneiderpuppe, über der ihre neue Ausgehuniform hing, die sie am vergangenen Abend hätte tragen sollen und sofort fiel ihr alles was Geschehen war wieder ein. Oscar war plötzlich sehr elend zu mute. Glücklicherweise kam Emilie umgehend zur Sache. „Oscar, ich habe General de Ronsard auf dem Ball in Versailles getroffen. Er wusste nichts davon das man dich länger auf der Akademie behalten hatte. Die Botschaft die du uns geschickt hast hat wohl nicht der Wahrheit entsprochen.“ Oscar antwortete sofort: „Nein Maman, das hat sie nicht. Es tut mir sehr leid.“ Emilie zog sich einen Stuhl neben Oscars Bett. Einerseits war sie über Oscars Lüge verärgert, andererseits hatte Oscar noch nie die Unwahrheit gesagt und so beschloss sie ihrer Tochter zu verzeihen. Dennoch wollte sie wissen wo Oscar sich statt dessen aufgehalten hatte. „Dein Vater war nicht dabei als ich mit de Ronsard gesprochen habe. Er braucht es nicht zu erfahren, unter der Bedingung das du mir sagst wie du den Abend statt dessen verbracht hast.“ „Ich bin mit einigen anderen Kadetten nach Paris geritten um dort eine Schenke zu besuchen,“ antwortete Oscar wahrheitsgemäß. Emilie wurde sehr nachdenklich. „War dieser junge Mann, Henry de Mortemart, von dem du so oft erzählst auch mit euch unterwegs?“ „Ja, Henry war mit dabei.“ „Diesen Henry scheinst du recht gerne zu haben.“ „Er ist ein guter Kamerad,“ antwortete Oscar. Das sie sich in Henry verliebt hatte konnte sie ihrer Mutter einfach nicht sagen und Emilie beließ es dabei. „Du solltest nun aufstehen und dich zurecht machen, damit du noch eine Kleinigkeit zu dir nehmen kannst bevor du zur Akademie musst,“ sagte Madame de Jarjayes. Selbstverständlich hätte sich Oscar für diesen Tag krank melden können, doch wer sich nachts durch die Straßen von Paris trieb konnte auch am nächsten Tag seinen Pflichten nach kommen und wenigstens ein bisschen Strafe musste sein, fand Emilie. Sofort richtete sich Oscar wieder auf und setzte sich auf den Bettrand. Als das Schwindelgefühl und die leichten Kopfschmerzen allmählich nachließen richtete sie sich auf und auch Emilie erhob sich von dem Stuhl auf dem sie gesessen hatte. „Ich ziehe mich nun zurück um noch ein wenig zu Schlafen. Der Ball war sehr anstrengend. Ich wünsche dir einen schönen Tag Oscar.“ Unvermittelt schlang Oscar ihre Arme um den Hals ihrer Mutter und umarmte sie. Madame de Jarjayes strich ihr kurz über das Haar. „Ich bin froh das dir in Paris nichts passiert ist Oscar.“ Nachdem Oscar sich gewaschen und ihr Haar in Ordnung gebracht hatte, sah schon weit aus weniger mitgenommen aus, wie ihr ein Blick in den Spiegel verriet. Zwar war sie noch immer etwas unsicher auf den Beinen, doch auch dieser Tag würde sicher vorüber gehen. Vermutlich ging es ihren Kameraden heute keine Spur besser und wie ein altes Sprichwort sagte war geteiltes Leid halbes Leid. Gerade als Oscar das Frühstückszimmer betrat schlug ihr Sophies Stimme entgegen, die lauthals zeterte und ihre Kopfschmerzen meldeten sich augenblicklich zurück. „Während anständige Menschen bereits im Bett liegen, Guten Morgen Lady Oscar, treibt sich dieses Gesindel in unseren Büschen herum. Sicherlich waren sie eben im Begriff bei uns, pardon, bei Euch einzusteigen, als Laurent nach draußen ging um nach dem Rechten zu sehen. Monsieur de Jarjayes ich beschwöre Euch etwas dagegen zu unternehmen. Wer weiß ob sie nicht wieder kommen. Die Welt wird immer verdorbener.“ Mit betont unschuldiger Miene nahm Oscar ihrem Vater und ihrem Neffen Maurice gegenüber Platz und Sophie, die ohnehin gerade Luft holen musste, schenkte ihr den Tee ein. General de Jarjayes legte sich selten nach einer durchtanzten Nacht hin. Seine Angelegenheiten waren viel zu wichtig um warten zu können. Dennoch sah man ihm an diesem Morgen an wie müde er war und das er sich Sophie samt ihren Beschwerden zum Kuckuck wünschte, auch wenn er beides zu verstecken versuchte. So erkundigte er sich auch nicht bei Oscar nach dem vergangenen Abend, worüber diese sehr froh war, denn ansonsten hätte sie nun doch ihrem Vater die Wahrheit erzählen müssen. Auf der Akademie lief die Angelegenheit allerdings nicht so glimpflich ab. Bereits am Tor wartete Olivier auf sie. Oft trafen sie sich auf dem Weg dort hin, doch heute war Olivier deutlich früher dagewesen. Als er Oscar sah winkte er ihr zu, doch Oscar sah an seiner Miene das es nichts Gutes zu berichten gab. „Guten Morgen Olivier. Ist etwas geschehen? Hat dich dein Onkel doch noch erwischt als du so spät nach hause gekommen bist?“ Olivier schüttelte den Kopf. „Mein Onkel war bis in die frühen Morgenstunden in Versailles. Meine Tante, die sich nicht wohlgefühlt hat und ihn deshalb nicht begleiten konnte, hat auf mich gewartet. Sie hat sich große Sorgen gemacht aber fest versprochen ihm nichts zu erzählen.“ „Mir erging es ähnlich,“ erzählte Oscar. „Meine Mutter hat de Ronsard in Versailles getroffen und so erfahren das er nie angeordnet hatte uns Kadetten länger als üblich auf der Akademie zu behalten. Natürlich hat sie sofort gemerkt das etwas nicht stimmte. Aber auch sie hat versprochen meinem Vater nichts davon zu erzählen.“ „Wir hatten wirklich Glück,“ meinte Olivier. „Ganz anders als Henry, Patrice und Emilian. Sie wurden alle drei erwischt.“ „Oh nein!“ entfuhr es Oscar. „Ich habe es gerade als ich gekommen bin von den anderen Kadetten, die ebenfalls auf der Akademie wohnen, erfahren. Henrys Einfall mit den Kissen unter der Decke war weniger genial als er gedacht hatte. Als die Kontrolle in die Zimmer hinein leuchtete bemerkten sie sofort das niemand in den Betten lag, sondern das die Kissen absichtlich so drapiert worden waren. Sie errieten natürlich sofort worum es sich in diesem Fall handelte und warteten auf die drei Ausreißer. Sie sind jetzt im Büro bei General de Bouier. De Ronsard ist heute morgen noch nicht anwesend.“ Oscar überlegte eine Weile. Dann sah sie Olivier an. „Wir beiden hatten nur so viel Glück weil wir nicht auf der Akademie wohnen. Mit dabei waren wir aber genau so wie Henry, Patrice und Emilian. Ich finde wenn nur sie eine Strafe bekommen würden wäre es sehr ungerecht, denn immerhin waren wir zu fünft unterwegs.“ „Du hast recht,“ antwortete Olivier. „Ich werde zu General de Bouier gehen und zugeben das ich mit dabei war.“ „Ich werde mit dir kommen,“ sagte Oscar. „Denn sonst könnte ich es mir niemals verzeihen das ich meine Freunde im Stich gelassen habe.“ Gemeinsam gingen sie über die Gänge der Offiziersakademie, bis sie vor General de Bouiers Bürotüre angelangt waren. Auf Oliviers Klopfen ertönte ein „Herein“ und er und Oscar betraten das Büro. Mit strenger Miene saß General de Bouier hinter seinem Schreibtisch und vor ihm standen die drei Missetäter. Es war offensichtlich das er ihnen gerade eine ausgiebige Strafpredigt gehalten hatte. „Kadett de Jarjayes und Kadett de Gramont, wenn ihr etwas Wichtiges vorzubringen habt so tut es möglichst rasch. Ich habe hier gerade noch eine sehr wichtige Angelegenheit zu regeln,“ verlangte de Bouier in scharfem Ton. „General de Bouier, wir sind deshalb hier um Euch zu sagen das auch wir beide bei dem nächtlichen Ausflug nach Paris mit dabei waren. Es tut uns wirklich sehr leid und wir bitten darum die gleiche Strafe zu erhalten wie die anderen.“ General de Bouier sah sie erstaunt an. Etwas derartiges erlebte er zum ersten Mal. „Da Ihr nicht auf der Akademie wohnt ist es Eure Sache was Ihr nach Unterrichtsschluss unternehmt. Folglich kann ich Euch auch keine Strafe aufbürden.“ „Wir möchten aber genau so behandelt werden wie die anderen die mit dabei waren,“ sagte Olivier. „Aber weshalb denn nur?“ fragte General de Bouier verständnislos. „Weil sie unsere Freunde sind,“ antwortete Oscar. „Dann muss ich Euch sagen das die drei Kadetten soeben einen Verweis erhalten haben. Lassen sie sich noch einmal etwas zu schulden kommen, so werden sie auf der Stelle die Offiziersakademie verlassen müssen. Da Ihr um die gleiche Behandlung gebeten habt werde ich auch Euch einen ebensolchen Verweis erteilen. Ihr könnt nun alle wegtreten.“ Erleichtert, das mit einer noch einigermaßen milden Strafe davon gekommen waren, drehten sich die fünf jungen Kadetten auf dem Absatz um und verließen eilig das Büro. „Kadett de Jarjayes, Ihr bleibt noch einen Moment,“ ertönte de Bouiers Stimme. Erstaunt und ein wenig aufgeregt blieb Oscar zurück. Sie fragte sich was de Bouier von ihr wollte. Als sich die Türe wieder geschlossen hatte wandte er sich an Oscar. „Ich habe bemerkt das Kadett de Mortemart Euch sehr zu imponieren scheint. Schon seit einigen Wochen kann ich beobachten wie Ihr ihm immer wieder bewundernde Blicke zuwerft. Habe ich das so richtig gesehen?“ „Für mich ist Kadett de Mortemart ein guter Kamerad,“ antwortete Oscar. Etwas anderes viel ihr dazu nicht ein und sie bemerkte sofort das sie erst heute morgen ihrer Mutter die gleiche Antwort gegeben hatte. Im Stillen fragte sie sich ob es denn so offensichtlich war das sie für Henry Gefühle hegte. „Wie auch immer,“ fuhr General de Bouier fort. „Ich gebe Euch hier nun einen gut gemeinten Ratschlag, denn ich Euch empfehle zu befolgen. Haltet Euch fern von Henry de Mortemart!“ Erstaunt blickte ihn Oscar an. „Weshalb sollte ich das?“ „Weil Henry de Mortemart sich selbst, und alle die mit ihm näher zu tun haben, mit seiner Unbesonnenheit immer wieder in Schwierigkeiten bringen wird. Er ist ständig darauf aus irgendeinen Unfug auszuhecken und eines der Resultate davon habt Ihr heute selbst erlebt.Er ist ein Taugenichts, genau wie seine beiden Brüder, die ich nur all zu gut kenne. Also hört auf meinen Ratschlag und macht um ihn einen Bogen.“ In Oscar brodelte es. Wie konnte General de Bouier es nur wagen so über Henry zu sprechen? Natürlich stimmte es das ihm immer einige Dummheiten einfielen aber er hatte so eine herzliche Art, dass man ihm diese Eigenheit doch verzeihen musste. Ärgerlich beschloss Oscar sofort Henry zu verteidigen. „Henry de Mortemart ist einer der besten Freunde die ich habe und daran wird sich niemals etwas ändern,“ sagte sie fest. General de Bouier winkte ab. „Im allgemeinen ist es mit egal was die Kadetten machen, solange es nicht gegen die Regeln verstößt. Meine Warnung habe ich Euch nur deshalb gegeben, weil Ihr mit Abstand der beste Kadett seid den ich ausbilden darf und es schade wäre wenn jemand wie de Mortemart Euch durch den Umgang mit ihm verdirbt - und weil Ihr eine Frau seid und ich bemerkt habe was in Euch vorgeht.“ Es war das erste Mal in all den Monaten auf der Akademie das Oscar auf ihr Geschlecht angesprochen wurde. Starr blickte sie General de Bouier an. „Ich bitte darum wegtreten zu dürfen,“ war alles was sie noch hervor brachte. Draußen machte sie ihrer Wut auf General de Bouier gründlich Luft, in dem sie die Fäuste ballte und ihren Zornestränen freien Lauf ließ. Längst hatte sie vergessen das er bis vor kurzem noch ihr Lieblingslehrer gewesen war. Was er gerade über Henry gesagt hatte würde sie ihm niemals verzeihen. Zwanzig Jahre später sollte Oscar General de Bouier mit seiner Ansicht über Henry de Mortemart vollkommen recht geben und sich wünschen sie hätte seinen Ratschlag damals befolgt. Kapitel 9: Geheime (Liebes)Briefe --------------------------------- Nachtgang Wir gingen durch die stille milde Nacht, dein Arm in meinem, dein Auge in meinem. Der Mond goß silbernes Licht über dein Angesicht, wie Goldrund ruhte dein schönes Haupt. Und du erschienst mir wie eine Heilige, mild, mild groß und seelenvoll, heilig und rein wie die liebe Sonne. Und in die Augen schwoll mir ein warmer Drang, wie Tränenahnung. Fester faßte ich dich und küsste, küsste dich ganz leise. Langsam ließ der Dauphin Louis Auguste den Gedichtband mit Liebesgedichten sinken und sah von seinem Fenster in die Gärten von Versailles hinaus. "Nachtgang" eines deutschen Dichters war sein Lieblingsgedicht, erinnerte es ihn doch so sehr an seine Begegnung mit Emilie auf der Ballnacht, die er einfach nicht vergessen konnte. Er musste stets daran denken wie er im Mondschein neben ihr auf der Parkbank gesessen und ihren Duft nach einem zarten Parfum eingeatmet hatte. Ihr volles braunes Haar und das hübsche Gesicht spukten ihm seit zwei Monaten durch die Gedanken und wollten ihn nicht mehr los lassen. Wie gerne würde er sie wiedersehen, erneut neben ihr sitzen und vielleicht sogar ihre Lippen küssen, genau wie in dem Gedicht beschrieben, wenigstens ein einziges Mal in seinem Leben. Noch nie hatte er solche Gefühle für eine Frau gehegt. Im Gegenteil hatten ihn bis vor kurzem alle Frauen und Mädchen nur in Verwirrung gebracht, so das er sich vor ihnen benahm wie ein tolpatschiger Tölpel und er sich am liebsten in einem Loch verkrochen hätte. Aber mit Emilie war alles ganz anders. Noch nie hatte er sich neben einer anderen Person so geborgen gefühlt. Bei dem Gedanken an sie wurde ihm so warm um sein Herz, dass er spürte es musste Liebe sein. Selbstverständlich würde er Emilie niemals heiraten können, dessen war er sich vollkommen bewusst. Abgesehen davon das für ihn bereits das österreichische Mädchen als Braut ausgesucht worden und diese Ehe für die Zukunft des Landes von höchster Wichtigkeit war und eine Verweigerung seinserseits einen erneuten Krieg mit dem Erzfeind Österreich bedeutet hätte, war Emilie auch gar nicht frei, sondern die Gemahlin eines der treuesten Generäle seines Großvaters. Er seufzte tief. So viel Unglück sah gerade ihm ähnlich. Nicht genug das sich der gesamte Hof über ihn lustig machte, über seine wahrhaft unkönigliche Leidenschaft zum Schmiedehandwerk, seine plumpe Figur, seine Ungeschicklichkeit beim Tanzen und seine angeborene Verschlossenheit, so wusste er vor allem das ihn außer seiner verstorbenen Mutter noch nie jemand geliebt hatte und dies versetzte ihm, so oft er daran dachte, einen tiefen Stich. Seinem Großvater war anzumerken das es ihn sichtlich wurmte, dass ausgerechnet er, Louis Auguste, von all seinen Enkelsöhnen der Älteste und somit der Dauphin war. Viel schneidiger wäre doch sein um ein Jahr jüngerer Bruder der Graf de Provence gewesen, der mit seiner offenen und gewinnenden Art seinem Großvater viel ähnlicher war als er. Eine heimliche Träne rollte Louis Auguste über die Wange. Er fragte sich ob Emilie etwas an ihm lag. Zumindest hatte es auf ihn so gewirkt als wäre sie gerne mit ihm zusammen, als sie sich auf der Parkbank unterhalten und später miteinander getanzt hatten. Dieses Problem hatte er erst am vergangenen Morgen mit seinem engsten Vertrauten Monsieur Bonnet ausgiebig erörtert. Bei der gemeinsamen Arbeit in der Schmiede während der letzten Wochen, hatte der alte Schmied seinem Lehrling angesehen, dass dieser offensichtlich Kummer hatte. Seine Augen blickten trübe und er schien zum ersten Mal nicht ganz bei der Sache zu sein, was für ihn sehr ungewöhnlich war. Irgendwann als sie sich hinsetzten, um eine Pause einzulegen, meinte der alte Schmied: "Und jetzt erzähle mir einmal was dich bedrückt mein Junge," und legte ihm einen Arm um die Schulter. Louis Auguste blieb beinahe der Bissen seiner Tarte, die auf einem Tablett von einem Diener als Imbiss bereit gestellt worden war, im Halse stecken. Seit Monsieur Bonnet herausgefunden hatte, dass das es sich bei dem Jungen, der in seine Werkstatt getreten war um den Kronprinz von Frankreich handelte, hatte er nie wieder gewagt ihn anders als mit "Ihr" und "Eure Hoheit" anzusprechen, ganz zu schwiegen davon ihn auch nur zu berühren. Aber nun stand ein Gespräch an wie es ansonsten Vater und Sohn miteinander führen würden und da konnte ohne weiters auf die Etikette gepfiffen werden - das fand zumindest Monsieur Bonnet und Louis Auguste musste zugeben das ihm der Arm um seiner Schulter und die vertraulichen Worte ungemein gut taten. Angestrengt suchte er nun nach den richtigen Worten um sein Problem zu schildern. Er konnte doch wohl kaum erzählen das ihn Emilie de Jarjayes so durcheinander gebracht hatte. "Könnte es sein das eine weibliche Person dir gerade etwas Kummer bereitet?" hakte der Schmied nach. Erstaunt wie sein Gegenüber das wohl erraten hatte antwortete der Dauphin, erleichtert darüber das ihm Monsieur Bonnet die richtigen Worte abgenommen hatte: "Oh ja! Woher habt Ihr das nur gewusst?" "Na ja, du bist jetzt in einem Alter in dem Frauen interressant werden. Es würde mich sehr verwundern wenn es anders wäre." Louis Auguste nickte zustimmend. "Die junge Dame ist wohl sehr hübsch?" "Sie ist wunderschön!" "Und du bist sicher gerne in ihrer Nähe?" "Ich kann mich nicht erinnern jemals in jemandes Nähes so gerne gewesen zu sein wie in ihrer," antwortete Louis Auguste in vollster Überzeugung. "Weißt du was?" schlug der Schmied vor. "Schreibe ihr doch einfach einen romantischen Brief. Mädchen sind von so etwas begeistert. Schreibe ihr was du fühlst wenn du an sie denkst und und was du dir von ihr wünscht." "Habt Ihr denn einmal einen solchen Brief geschrieben an eine Frau in die Ihr verliebt wart?" "In der Tat, das habe ich getan. Dieses Mädchen war einzigartig, hübsch aber resolut. Ihr schrieb ich einen wunderbaren Liebesbrief. Sie war davon entzückt und bald darauf waren wir schon so gut wie verlobt." "Weshalb habt Ihr das Mädchen nie geheiratet?" fragte Louis Auguste neugierig, da er wusste das Monsieur Bonnet sein Leben lang ledig geblieben war. "Wir sind wegen einer albernen Sache miteinander in Streit geraten. Jeder von uns fühlte sich im Recht und schmollte. Ich hätte damals den ersten Schritt zur Versöhnung machen müssen, doch ich war jung und stolz. Als ich erfuhr das sie inzwischen einen anderen Mann geheiratet hatte war es zu spät um einzulenken. Ich lief aus meinem Heimatdorf davon, um ihr nicht mehr begegnen zu müssen. Nachdem ich mich einige Zeit als Tagelöhner durch geschlagen hatte, kam ich nach Evry und erfuhr das der dortige Schmied dringend einen Lehrling suchte. Er stellte mich ein, bildete mich aus und da seine beiden Söhne bereits im Kindesalter verstorben waren vermachte er mir seine Schmiede." "Habt Ihr das Mädchen jemals wiedergesehen?" fragte der Dauphin. Die unglückliche Liebesgeschichte Monsieur Bonnets bewegt ihn sichtlich. "Unsere Wege haben sich tatsächlich eines Tages wieder gekreutzt. Der Zufall wollte es das sie selbst eine Anstellung in der Nähe von Evry fand. Inzwischen war sie verwitwet, aber wir mussten fest stellen das unsere Leidenschaft zueinander abgekühlt war. Wir hatten einander einfach nichts mehr zu sagen." Betreten blickte Louis Auguste auf seine Hände, die er während der Geschichte des Schmieds vor Spannung in einander gefaltet hatte. "Also mein Junge halte dich ran, wenn es dir nicht ebenso ergehen soll." Dabei blinzelte Monsieur Bonnet dem Dauphin gutmütig zu und nahm seine Arbeit wieder auf. Natürlich wusste er das für den Dauphin bereits eine Braut gefunden worden war, aber unter den Adligen mit ihren arangierten Ehen sah man eine kleine Affaire nicht so eng. Sein Großvater war wohl das beste Beispiel dafür und sicher nicht dagegen das sich sein Enkel die Hörner abstieß. Wenn Monsieur Bonnet gewusst hätte, das es sich bei der Angebeteten seines Schützlings um eine verheiratete Dame, die zu allem Überfluss auch noch über fünfundzwanzig Jahre älter als der Kronprinz war, handlete, hätte er kaum derartiges vorgeschlagen, sondern das Augenmerk des Prinzen auf Mädchen seines Alter gelenkt. So aber, das wohltuende Gespräch mit Monsieur Bonnet noch lebhaft vor Augen, wusste Louise Auguste plötzlich wie er all seinen Liebesschmerz aus sich heraus lassen konnte. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, entzündete eine Kerze, spitzte einen frischen Federkiel an, steckte ihn in das Tintenfaß, nahm einen Bogen feines, weißes Briefpapier und begann sich all seine Gedanken von der Seele zu schreiben. In einem Brief an Emilie konnte er endlich seine Gefühle offenbaren, ganz anders als wenn er ihr gegenüber sitzen würde. Vermutlich hielt sie sich, wie die meisten Adligen um diese Jahreszeit, auf einem Sommersitz auf, aber dies einen Lakai gegen eine angemessene Bezahlung herausfinden zu lassen, dafür zu sorgen das der Brief Madame de Jarjayes erreichte und zwar ohne das unnötig viele Personen etwas davon erfuhren, war das geringste Problem. Manchmal hatte es eben auch seine Vorteile der Dauphin von Frankreich zu sein. Wie er so zu schreiben begonnen hatte flossen tatsächlich all seine Gefühle für Emilie aus ihm heraus. Und was hatte Monsieur Bonnet noch gesagt: "Schreibe ihr was du dir von ihr wünscht." Etwas gab es was er sich von Emilie so sehensuchtsvoll wünschte. Mühsam plagte sich Sophia von Fersen mit ihren Deutschvokabeln. Neben ihr saß ihre neue Gouvernante Fräulein Juliana von Elverfeld, die Tochter eines deutschen Barons, die ihr Vater, der Graf von Fersen, vor einigen Wochen angestellt hatte, um Sophia ihre Muttersprache näher zu bringen. Genau wie ihre beiden Brüder sprach Sophia sehr gut Deutsch, da sich im Hause der von Fersens beinahe ausschließlich in dieser Sprache unterhalten wurde, aber im Gegensatz zu den beiden war ihre Rechtschreibung und die Grammatik schauderhaft, so fand zumindest ihr Vater. Um diesen Missstand zu beheben hatte er sich nach einer deutschen Gouvernante umgehört. Fräulein Julianas Familie war zwar von altem Adel, aber leider derartig verarmt, so das ihr Vater, der Baron von Elverfeld, ihr keine Mitgift geben konnte, was aber wiederum bedeutete, dass es unmöglich war Juliana zu verheiraten. So hatte sie darum gebeten selbst ihren Unterhalt verdienen zu dürfen. Ihr Vater nahm ihr Angebot gerne an, froh darüber sie nicht bis an sein Lebensende durchfüttern zu müssen. Über eine befreundete Familie, die um viele Ecken herum mit den von Fersens verwandt war, konnte Juliana als Gouvernante nach Schweden vermittelt werden. Als sie mit schwerem Herzen und im Voraus bereits ganz elend vor Heimweh in die Reisekutsche, die sie zum Hamburger Hafen bringen sollte, stieg, wusste sie nichts weiter als das sie die Tochter einer deutschstämmigen, schwedischen Grafenfamilie unterrichten sollte - und das es in Schweden recht kalt und dunkel werden konnte. Gegen all ihre Erwartungen gefiel es ihr in Stockholm weit aus besser als sie es sich ausgemalt hatte. Sie wurde von den von Fersens nicht wie eine Bedienstete, sondern wie eine gute Freundin der Familie behandelt, was nur wenige Gouvernanten behaupten konnten. Sophia von Fersen war bald nicht mehr nur ihre Schülerin, sondern fast wie eine Schwester für sie und Schweden war lange nicht so kalt und dunkel wie sie es sich vorgestellt hatte, zumindest jetzt im Sommer noch nicht. Ein weiterer Grund weshalb es ihr aber in ihrer neuen Anstellung besonders gut gefiel lag am ältesten Sohn der Familie, Hans Axel. Nicht das er unbedingt schön zu nennen gewesen wäre, aber er besaß trotz seiner jungen Jahre einen Charme, wie sie es noch nie bei einem jungen Mann erlebt hatte. Natürlich war Juliana von Elverfeld intelligent genug um zu wissen das sie ohne Geld niemals die Gattin eines vermögenden Grafensohnes werden konnte, aber heimlich zu träumen und ein bisschen zu schwärmen war noch nie jemandem verboten worden. So sparte sie fleißig ihr weniges Gehalt und hoffte darauf später einmal, wenn sie genug beisammen hatte, einen ärmeren Landadligen heiraten zu können, während sie in aller Heimlichkeit Hans Axel anhimmelte. Gerade jetzt öffnete sich die Tür und es kam der Gegenstand ihrer Schwärmerei gemächlich in das Studierzimmer geschlendert. Juliana spürte zu ihrem Ärger das sie rot wurde, ihre Beine sich butterweich anfühlten und ein flatterndes Gefühl durch ihren Bauch zog. Hoffentlich fiel dies ihrer Schülerin nicht auf. Doch diese saß noch immer tief über ihren Papierbogen gebeugt. Zuvorkommend wie stets bat Hans Axel:"Dürfte ich mich ein wenig zu den Damen dazu setzen?" "Aber gerne, wir sind froh Euch bei uns zu haben," fuhr es aus Juliana heraus und sie merkte selbst das es ein Stück zu euphorisch klang und wurde noch aufgeregter als sie es ohnehin schon war. Sophia sah von ihrer Arbeit auf. Natürlich war ihr nicht entgangen wie Juliana ihren Bruder anschmachtete und heimlich hoffte auch sie, das die Gouvernante, die sie fast wie eine Schwester lieb gewonnen hatte, ihre Schwägerin werden würde und nicht irgend ein fremdes Mädchen und selbstverständlich wollte sie ihren Beitrag dazu leisten, das sich ihr Bruder in die junge Gouvernante verliebte und ihre Eltern überreden würde diese heiraten zu dürfen. So meinte sie lediglich zu ihrem Bruder, trotz der Störung: "Natürlich darfst du uns Gesellschaft leisten. Dort drüben liegen meine Arbeitsbücher, also nimm lieber diesen Stuhl neben Fräulein Juliana," worauf sich Hans Axel den besagten Stuhl heran zog und sich lässig neben der überglücklichen Juliana niederließ. Sofort begann er auf seine einnehmende Art und Weise Konversation zu machen. "Heute Abend werden unsere Eltern eine Opernaufführung besuchen. Das bedeutet das der Salon hier im Hause frei sein wird und mir die Möglichkeit verschafft für die jüngeren Leute in Stockholm eine kleine Abendgesellschaft zu geben." Sophia zog ihre Augenbrauen nach oben. "Hat Vater dir das erlaubt? Das kann ich mir nicht denken." "Wir haben noch nicht darüber gesprochen." "Und wann wirst du ihn darum bitten?" "Wenn du und unseres reizendes Fräulein Juliana," dabei lächelte er die Gouvernante an das diese meinte auf Wolken zu schweben, "euch nicht aus Versehen versprecht wird es nicht nötig sein mit ihm darüber zu sprechen." "Das heißt du lädst deine Freunde ein ohne darum zu bitten und wir sollen dich nicht verraten." "Du hast es erfasst. Aber was soll man schon von einer von Fersen mit ihrem scharfen Verstand anderes erwarten." Sophia verdrehte die Augen. "Aber selbstverständlich," fuhr Hans Axel fort, "möchte ich an diesem Abend, den ich mit meinen besten Freunden verbringen werde, auch meine liebe Schwester und unser liebes Fräulein Juliana mit dabei haben, denn auch sie zähle ich zu meinen Freunden, " und machte dabei eine leichte Verbeugung zu der jungen Gouvernante. "Oh, Hans Axel, wie lieb von Euch mich mit einzuladen," rief Juliana und ihr Herz machte vor Freude einen riesigen Sprung. Sie merkte selbst das sie ihre Begeisterung über die Aufmerksamkeiten des jungen Grafensohnes viel zu sehr nach außen zeigte, aber sie hatte ihre Gefühle noch nie gut verbergen können. "Und deine Einladung ist natürlich nicht als eine Art Schweigegeld an uns zu verstehen?" meinte Sophia in einem für ein elfjähriges Mädchen ungewöhnlich sarkastischen Ton, aber sie kannte ihren Bruder eben weit aus besser als Fräulein Juliana, die sich von seinem Charme, wie so viele vor ihr, um den Finger wickeln ließ. "Aber nicht doch, liebe Schwester. Welch grastige Gedanken unterstellst du mir?" antwortete Hans Axel in betont süßlichem Ton und lachte schallend auf, worauf Sophia nur ein undamenhaftes "Ähhh" von sich gab. "Nun, kann ich auf euch beide zählen?" wollte Hans Axel wissen. "Hat es jemals eine Frau geschafft dir ein "Nein" zu geben?" fragte Sophia zurück. "Wir nehmen Eure Einladung gerne an und unser Schweigen soll Euch gewiss sein," antwortete Juliana mit voller Zustimmung. "Mit etwas anderem habe ich auch nie gerechnet," sagte Hans Axel sich erneut an die Gouvernante wendend, erhob sich und zu ihrem grenzenlosen Erstaunen schob ihr Hans Axel ein kleines Stück Papier zu. Erstaunt blickte sie auf und sah ein Zwinkern in seinen Augen. "Manche Dinge liest man am besten allein," flüsterete er ihr noch zu und schon war er zur Tür hinaus. "Moment, du Wichtigtuer," rief ihm Sophia hinterher. "Hast du dir schon darüber Gedanken gemacht was geschieht wenn Maman und Vater die Eltern einer deiner Gäste in der Oper treffen und auf diesem Wege erfahren das du hier bei uns hinter ihrem Rücken eine Abendgesellschaft gibst?" Hans Axel steckte noch einmal seinen Kopf zur Tür herein und zog betont gleichgültig die Schultern hoch. "Dann hat unsere Gesellschaft bereits statt gefunden. Habe ich denn je für irgendetwas von unseren Eltern Schwierigkeiten bekommen? Es gab bis jetzt nichts was sie mir nicht sofort verziehen haben.," und damit war er entgültig fort. Leicht angesäuert dachte Sophia das dies allerdings der Wahrheit entsprach. Hans Axel war als Ältester stets der Liebling ihres Vaters gewesen und hatte noch nie für ein Vergehen eine schwerere Strafe erhalten. Auch diesmal würde er ungeschoren davon kommen. Ihr Missmut hielt aber nicht lange an, viel zu aufgeregt war sie darüber das ihr Bruder ihrer Gouvernante offensichtlich ein Briefchen zugeschoben hatte. "Fräulein Juliana, was hat mein Bruder Euch gegeben? Lest es doch bitte schnell. Ich bin gar zu neugierig." "Oh, ich weiß nicht ob es recht ist es vor Euren Augen zu lesen. Euer Bruder meinte doch ich solle dabei alleine sein." Als sie den enttäuschten Gesichtsausdruck ihrer Schülerin sah überlegte sie es sich schnell anders. Was war schon dabei wenn Sophia davon erfuhr? Immerhin waren sie mehr Freundinnen als Schülerin und Lehrerin. Eilig faltete sie das Papierstück auseinander und las darin: "Ich lag wach die ganze Nacht und habe dabei nur an Euch gedacht. So denk ich auch an Euch den ganzen Tag, daran merkt Ihr wie sehr ich Euch mag. Hans Axel von Fersen." Sophia, die sich zu Juliana hinüber gebeugt und mitgelesen hatte, fiel dieser glücklich um den Hals. "Es ist wahr, er liebt Euch! Ihr werdet meine Schwägerin und keine andere und dann bleibt Ihr für immer hier bei uns." "Nun, davon kann noch keine Rede sein. Aber offensichtlich scheint Eurem Bruder etwas an mir zu liegen," antwortete Juliana und ihrer Stimme war anzumerken wie sehr sie die kleine Nachricht bewegt hatte. Die Begeisterung der beiden Mädchen hätte einen gehörigen Dämpfer erhalten, wenn sie gehört hätten was Hans Axel auf dem Weg zu seinem Zimmer vor sich hin murmelte: "Was für eine dumme und naive Gans dieses Mädchen doch ist, auch wenn sie noch so hübsch ist. Das wird meine leichteste Eroberung seit langem werden. Es ist nur eine Frage der Zeit bis sie mit gespreitzten Beinen vor mir auf dem Rücken liegt." "Schade das sich der Sommer bald dem Ende neigt," meinte Oscar. Zufrieden ließ sie sich in den heißen Sand rollen. Es lag eine milde Brise in der Luft der Normandie und der Wind spielte mit ihren Haaren. Neben ihr lag Andre, der ebenso wie Oscar einen sehr zufriedenen Gesichtsausdruck zeigte. "Aber irgendwann müssen wir wieder an unsere Pflichten. Ich daheim im Palas de Jarjayes und du auf der Offiziersakademie." "Ja, da hast du sicher recht," pflichtete ihm Oscar nachdenklich bei. Mit gemischten Gefühlen dachte sie an ihre Rückkehr auf die Akademie, denn während des ganzen Sommers hatte Oscar Henry nicht vergessen können. Jeden Tag dachte sie an ihn, wie sie ein Stück miteinander alleine durch die dunkle Sommernacht gegangen waren, an seine großen, braunen Augen und sein spitzbübisches Lächeln. Vielleicht war es gerade ein Glücksfall das ihr nicht all zu viele Musestunden zum Nachdenken blieben und sie ihre Ferien nicht mit melancholischen Gedanken vergeuden konnte, denn Andre forderte diesen Sommer Oscars Aufmerksamkeit so sehr wie noch nie, nachdem er, seit sie die Akademie besuchte, so oft auf sie verzichten musste. So verbrachten sie jede wache Minute, außer bei den Mahlzeiten die das Personal getrennt von der Herrschaft einnahm, miteinander. Außerdem waren Oscars Nichte Jocelyn und ihr Neffe Jules, die Kinder ihrer Schwester Marguerite mit in die Normandie gefahren, so wie ihr Neffe Maurice, der Sohn ihrer Schwester Veronique, die ebenfalls in das Ferienhaus angereist war um Ruhe und Erholung zu suchen. Gerade Jules und Jocelyn hingen besonders an Oscar, da ihre Mutter nicht hatte mitreisen können, da sie gerade kurz vor ihrer dritten Niederkunft stand, wohin gegen Maurice glücklich darüber war endlich einmal seine Maman bei sich zu haben. Während also Oscar und Andre mit geschlossenen Augen im warmen Sand lagen und sich die Augustsonne ausgiebig auf den Pelz brennen ließen, suchten Maurice, Jules und Jocelyn eifrig am Ufer nach Muscheln. "Wir haben noch eine Woche miteinander, eine himmlische Woche die wir genießen wollen, ohne an irgendwelche lästigen Pflichten zu denken, meinst du nicht auch?" sagte Oscar zu Andre. Bevor dieser antworten konnte traf sie beide ein eiskalter Schwall Meerwassers im Gesicht. Entsetzt richteten sie sich auf und sahen wie sich die drei "Kleinen" vor lachen bogen. Maurice hielt eine der Feldflaschen in der Hand, in denen sie Trinkwasser mit an den Strand genommen hatten und die jetzt, da sie leer getrunken war, als Wasserspritze diente. "Na wartet," rief Andre gespielt wütend und wie auf ein Kommando sprangen er und Oscar auf, ergriffen den zappelnden Maurice, bevor dieser die Flucht ergreifen konnte, und warfen ihn samt Kleidung und Schuhen in die Wellen. Schnell rappelte sich dieser triefend vor Nässe im hüfthohen Wasser wieder auf und sah gerade noch wie Jocelyn auf dem selben Wege neben ihm im Meer landete. Jules, der sich schnell in sichere Entfernung gebracht hatte, tauchte nun hinter Oscar auf, versetzte dieser einen leichten Stoß, so das sie vor Überraschung kurz aufschreiend ebenfalls ins Meerwasser stürzte. Andre war zu kräftig, als das der siebenjährige Jules ihn hätte ins Meer befördern können, doch als er spürte das dieser versuchte ihn in das Wasser zu stoßen, ließ er sich auf seine gutmütige Art von selbst hinein gleiten, nicht ohne den heftig protestierenden Jules hinter sich her zuziehen, so das sie alle fünf bald darauf lachend in den Wellen lagen. Durchnäßt aber fröhlich kamen sie daheim an, Sophies Standpauke, mit der sie ohnehin schon gerechnet hatten, ignorierend. Noch während sie im Salon den Nachmittagstee und die Biskuits servierte, über die sich die Kinder ,inzwischen in trockener Kleidung, hungrig hermachten, schimpfte sie lautstark über "diese Unvernunft, bei der man sich eine Lungenentzündung holen konnte," was bei den spätsommerlichen Temperaturen ziemlich weit her geholt war. Schließlich erhob sich Jocelyn und schlang wortlos ihre Arme dem schimpfenden Kindermädchen um die Hüften, was deren Redeschwall schlagartig beendete. Gerührt strich sie Jocelyn über die blonden Haare. "Das es aber für diesen Sommer das letzte Mal war das ihr klatschnaß nach hause gekommen seid," brachte sie noch hervor,bevor sie in ihre Schürzentasche griff und drei Briefe daraus hervor holte. "Ein Bote ist heute Nachmittag zu uns heraus geritten und hat uns die Post gebracht. Es ist ein Brief für Madame de Jarjayes und je einer für Madame Veronique und Lady Oscar dabei." Mit diesen Worten reichte sie die Briefe an die genannten Personen. Sofort stach Oscar der Absender ins Auge: Henry de Mortemart. Zu ihrem Ärger spürte sie wie ihr die Hitze in das Gesicht schoß. "Oh, ein Brief von meiner lieben Freundin Dubarry," rief Veronique freudig aus. Dabei sah sie nicht wie sich das Gesicht ihres Sohnes schlagartig verfinsterte. Er verabscheute diese Frau, bei der seine Maman als Hofdame tätig war und wegen der sie stets in Versailles und niemals bei ihm weilte. "Mein Brief trägt keinen Absender," meldete sich Emilie zu Wort und drehte das Papier fragend hin und her. Andre war der Wechsel von Oscars Gesichtsfarbe beim Anblick ihres Briefes nicht entgangen. "Ist er von einem Freund?" fragte er, obwohl er die Antwort bereits ahnte. Schon all zu oft hatte ihm Oscar von dem kecken, dreisten Henry vorgeschwärmt und allmählich versetzte ihm dies jedes Mal einen kleinen, ungewohnten Stich. Ein unangenehmes Gefühl das er nicht benennen konnte. "Ja, Henry de Mortemart der mit mir die Offiziersakademie besucht hat mir geschrieben," antwortete Oscar schnell. Ihre Mutter und Sophie sahen sie an und Oscar wandt sich unter ihren Blicken. "Handelt es sich um diesen Henry der immer die vielen Streiche spielt?" erkundigte sich Maurice neugierig. "Genau dieser Henry hat mir den Brief geschrieben," bestätigte Oscar. "Deine Maman und deine Tante Oscar haben eben Kontakte mit Personen, mit denen man den Umgang doch unbedingt pflegen sollte," meinte Sophie in äußerst bissigem Ton an Maurice gewandt, der ausdrückte was sie von königlichen Mätressen und jungen Kadetten, die ständig über die Stränge schlugen hielt. Schnell entschuldigte sich Oscar ,um den Blicken und Bemerkungen der anderen zu entgehen, und lief mit ihrem Brief auf ihr Zimmer, um ihn dort ungestört lesen zu können. Er war in Henrys flüchtiger Handschrift geschrieben und so kurz gehalten und einfach geschrieben wie es seiner Art entsprach. "Lieber Oscar. Du und die anderen Jungs auf der Akademie fehlt mir sehr. Zuhause in Marseilles ist es aber auch nicht übel. Meine Brüder halten mich bei Laune. Auch wenn ich nie gedacht hätte dies jemals zu schrieben, aber ich freue mich bereits auf die Akademie und darauf euch im September alle wieder zu sehen. In Freundschaft mit dir verbunden, Henry." Oscar ließ den Brief sinken und tat etwas was man mit Briefen von guten Freunden normalerweise niemals machen würde. Sie hielt ihn an ihre Lippen und küsste ihn, dann legte sie ihn unter ihr Kopfkissen. Zum Glück ahnte sie nicht was Emilie und Sophie, die, nachdem die Kinder das Zimmer verlassen hatten, endlich alleine waren, gerade über sie sprachen. "Sophie ist das nicht wunderbar? Unsere Proleme werden sich wie von selbst lösen. Oscar ist in den jungen Mann sichtlich verliebt. Sie wird bald von sich aus nicht mehr das Leben eines Mannes führen wollen. Vielleicht offenbart sie ihm eine Frau zu sein, er erwiedert Oscars Gefühle und macht ihr einen Heiratsantrag. Ihr habe mich bereits erkundigt. Die Familie de Mortemart aus Marseilles ist sehr vermögend. Allerdings ist dieser Henry der drittgeborene Sohn, aber was solls. Oscar wird von uns bei ihrer Hochzeit mit einer mehr als großzügigen Mitgift ausgestattet werden und wenn sie heiraten kann ihr Mann ihren Namen an seinen an hängen. Sicherlich wird mein Mann einen General als Schwiegersohn mit seinem Namen im Anhang, wenn ihm schon kein eigener Sohn vergönnt war, ebenfalls akzeptieren." Glücklich schwelgte Emilie in Zukunftsphantasien. "Ich würde mich lieber noch nicht zu früh freuen," meinte Sophie missmutig. "Es klingt alles beinahe zu einfach." Gut gelaunt ließ sich Emilie nach hinten auf ihr Kanapee sinken, nahm einen Schluck Tee und erbrach das wappenlose Siegel ihres Briefes. Kaum hatte sie die ersten Zeilen gelesen, begann sie fürchtelich zu husten. "Madame de Jarjayes, habt Ihr Euch an Eurem Tee verschluckt?" rief Sophie besorgt. Eilig lief das alte Kindermädchen herbei um Emilie auf den Rücken zu klopfen. Diese ließ schnell den Brief mit der beschriebenen Seite gegen ihre Brust sinken. "Es ist nichts Sophie. Wirklich, es geht mir schon sehr viel besser." "Es sind doch hoffentlich keine schlechten Nachrichten in dem Brief enthalten?" "Nein, nicht doch. Er ist von meiner alten Freundin Madame de Boulainvilliers. Du weißt doch das sie schon etwas schrullig wird. Deshalb hat sie wohl auch den Absender vergessen. Ich werde ihn nachher zu Ende lesen. Du entschuldigst mich doch sicher liebe Sophie? Ich werde mich auf mein Zimmer zurück ziehen. Ich brauche einen Moment Ruhe." Schon war Madame de Jarjayes zur Tür hinaus, den Brief weiterhin fest an ihr Brust gepresst. "Man fasst es nicht.," schüttelte Sophie den Kopf. "Madame benimmt sich wie ein junges Mädchen das einen Liebesbrief von einem Verehrer erhalten hat." Sophie ahnte kaum wie Recht sie damit doch hatte. Hastig setzte sich Madame de Jarjayes an ihren Sekretär, faltete ihren Brief erneut auseinander, um bei seinem Inhalt zum zweiten Male nicht glauben zu können was sie da laß: "Sehr verehrte Madame, es ist mir kaum möglich die richtigen Worte zu finden, denn wie Ihr wisst liegen mir große Reden nicht. Deshalb habe ich mich zu diesem Brief entschlossen. Ich fühle mich außerstande unsere gemeinsame Zeit während des vergangenen Balls zu vergessen. Ihr habt mich so sehr fasziniert wie noch nie eine Frau zuvor. Bereits als Ihr neben mir im Mondschein auf der Parkbank gesessen habt konnte ich meinen Blick nicht von euch abwenden. Ich vergöttere euer wundervolles Haar, eure strahlenden Augen und euren Mund, der wohl der schönste ist den ich je gesehen habe. Nur den einen Wunsch hege ich, ehe ich mich verheirate. Einmal möchte ich mit meinen Lippen die Euren berühren. Louis Auguste, Dauphin von Frankreich." "Du lieber Himmel!" war alles was Emilie hervor brachte. Sie hatte schon seit ewigen Zeiten keinen Liebesbrief mehr bekommen. Um genau zu sein war es bis jetzt nur ein einziges Mal in ihrem Leben gewesen, kurz bevor sie General de Jarjayes versprochen worden war. Obwohl sie zugeben musste das der Dauphin trotz seiner vierzehn Jahre weit aus mehr Stil besaß als ihr Kavalier von damals. Sie gestand sich ein das Louis Auguste mit seiner ruhigen, unaufdringlichen Art, ihr durchaus gefiel. Er war einer der wenigen wirklich intelligenten und gebildeten Leute bei Hofe, mit denen man sich gepflegt, wenn nicht gar tiefsinnig unterhalten konnte und seine traurigen Augen hatten etwas tief in ihr angerührt. Wenn sie jung und ungebunden wäre dann... ,aber solchen Neigungen durfte sie als verheiratete Frau Ihres Alters nicht nachgeben. Schweren Herzens ergriff sie sofort Briefbogen und Feder und begann sie zu schreiben: "An Eure Hoheit, Euer Brief hat mich tief geehrt. Ich weiß Eure Zuneigung aufrichtig zu schätzen. Doch müsst Ihr bedenken das ich mich nie ohne das Wissen meines Gatten mit einem Mann treffen würde, noch nicht einmal mit meinem zukünftigen König, geschweige denn mir einen Kuss zu erlauben. In mütterlicher Verbundenheit Emilie de Jarjayes." Eine zuverlässige Person musste nun gefunden werden die den Brief überbringen konnte. Der Kutscher Philippe kam dafür nicht in Frage. Er würde seinem Herrn auf der Stelle berichten das Emilie einen Brief an den Dauphin abgesandt hatte und außerdem würde in diesem Falle bald die ganze Dienerschaft darüber bescheid wissen. Noch während sie ihren Gedanken nachhing klopfte es an ihre Türe. Auf ihr "Herein" trat ihre älteste Tochter Veronique ein. "Maman, ich muss mich leider entschuldigen. Madame de Dubarry bedarf meiner Dienste. Sie vermisst mich als Ihre beste Freundin so sehr und wünscht das ich meine Aufgaben als Hofdame sofort wieder aufnehme." War vielleicht Veronique die richtige Person um den Breif zu überbringen? Sofort begann es im Kopf Emilies zu arbeiten. Veronique war verschwiegen - zumindest wenn es um geheime Liebesbeziehungen ging, und sie war auch die Person die am meisten für eine solche Verständnis zeigen würde. "Nun, dann möchte ich dich nicht aufhalten mein Kind. Zuvor habe ich aber noch einen Gefallen um den ich dich bitten möchte." "Gerne Maman, wenn ich Euch helfen kann." "Würdest du für mich einen Brief an eine Person in Versailles weitergeben? Es wäre wünschenswert das niemand anderer davon erfährt das wir beide im Briefaustausch miteinander stehen." Ein breites Grinsen stahl sich auf Veroniques Gesicht. "Ihr habt doch nicht etwa einen Liebhaber in Versailles? Maman, das hätte ich Euch beim besten Willen niemals zugetraut! Aber weshalb nicht? Vater lässt Euch so viel alleine wegen irgendwelcher politischen Belange. Wenn man bedenkt wie lange sie allein schon wieder darüber diskutieren werden, bis sie die passendste Reiseroute für die kleine Österreicherin ausgearbeitet haben." Erstaunt sah Emilie ihre Tochter an. "Woher weißt du das sie gerade an der Reiseroute arbeiten? Selbst wenn dies so wäre, so ist es doch streng geheim über was im Kabinett des Königs gerade verhandelt wird." Veronique sah man sofort an das ihr der letzte Satz wohl versehentlich herausgerutscht war und sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen hätte." "Nun, es wird eben gerade in Versailles so manches darüber gemunkelt." "Madame de Dubarry hat wohl mit dir darüber gesprochen?" Veronique hüllte sich in Schweigen und blieb ihrer Mutter die Antwort schuldig. Emilie schüttelte den Kopf. "In all den Jahren unserer Ehe hat dein Vater mir gegenüber kein einziges Wort darüber verloren worüber gerade verhandelt wird. Und seine Majestät der König selbst weiß nichts Besseres als gerade solch ein Geheimnis seiner Mätresse gegenüber auszuplaudern und diese wieder nichts als mit ihren Hofdamen darüber zu klatschen. Es ist einfach unmöglich!" Madame de Jarjayes schüttelte den Kopf darüber wie leichtfertig der König selbst mit wichtigen Informationen umging, wo doch überall darüber Gerüchte kursierten, dass es eine geheime antiösterreichische Bewegung geben sollte, deren Ziel es wohl war die zukünftige Dauphine auf ihrem Weg nach Frankreich zu beseitigen. Glücklicherweise ahnte Emilie nichts davon, dass diese Gerüchte der vollkommenen Wahrheit entsprachen und eines der Mitglieder der geheimen Bewegung in Gestalt ihrer Tochter gerade vor ihr stand. Sie wäre wohl augenblicklich in Ohnmacht gefallen. "Aber Maman, die Dubarry spricht doch nur mit mir über solche Dinge, da sie weiß das sie mir als ihrer besten Freundin vertrauen kann. Und wenn ich mich versprochen habe, so doch nur dieses einzige Mal Euch gegenüber und Ihr seid doch verschwiegener als ein Grab." Madame de Jarjayes winkte ab. "Sei es darum. Hüte aber in Zukunft deine Zunge über solche Geheimnisse. Und was deine Vermutung angeht ich hätte einen Liebhaber - da muss ich dich wohl enttäuschen. Es handelt sich lediglich um einen jungen Mann der eine kleine Schwärmerei für mich entwickelt hat und den ich als verheiratete Dame wieder in seine Schranken weisen muss." "Wie schade Maman. Überlegt es Euch noch einmal. Ihr habt Euer halbes Leben Euren Kindern und Euren Pflichten der Gattin eines Generals gewidmet. Ich fände nichts verwerfliches daran wenn Ihr Euch einmal ein kleines Amüsement außerhalb Eurer Ehe gönnnen würdet. Beinahe alle tun so etwas. Es ist nichts daran dabei und wenn Ihr es geschickt genug anstellt, was ich Euch zutraue, würde Vater nie etwas davon bemerken, so viel beschäftigt wie er ist." Veronique leckte sich unbewusst die Lippen. Im Geiste ging sie alle adligen, jungen Männer durch, die Zutritt in Versailles hatten. Um wenn es sich wohl handelte, der sein Herz an ihre Mutter verloren hatte? Eine Affaire mit einem frischen, noch völlig unverdorbenen Jüngling würde auch sie reizen. Wie gerne würde sie gerade mit ihrer Mutter tauschen. Sie würde den jungen Mann sicher nicht abweisen, so viel stand fest. Aber Emilie verhielt sich völlig korrekt, so wie es von ihr zu erwarten war. "Veronique nun ist es aber genug davon. Du weißt das ich so etwas niemals tun würde, selbst wenn dein Vater nie davon erführe. Und was das "geschickt anstellen" angeht, denk doch einmal an den Skandal den gerade du im letzten Jahr verursacht hast als dein Gemahl die Affaire zwischen dir und General de Ronsard heraus bekommen hat, obwohl du doch so vorsichtig zu Werke geganen bist." "Es ist ja gut Maman. Gebt mir einfach Euren Brief, damit ich ihn weiterleiten kann. An welchen unglücklichen jungen Herrn darf ich mich wenden und ihm Eure Absage zu überbringen?" "An Ihre Hoheit den Dauphin Louis Auguste." Nun war es an Veronique entsetzt zu sein. Der in sich gekehrte, schweigsame Kronprinz hatte wider alle Erwarten noch etwas anderes im Sinn als Bücher und Türschlößer - und zwar Emilie de Jarjayes. Es machte ihn ihr ein Stück menschlicher, auch wenn der Gegenstand seiner Schwärmerei nun doch nicht ausgerechnet ihre Mutter hätte sein müssen. Das Leben hielt aber immer wieder die sonderlichsten Überrachungen bereit! Nachdem sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte versuchte sie in bemüht beiläufigem Tonfall zu antworten: "Nun, wer hätte das gedacht? Übergebt den Brief nur mir. Da ich nicht das Recht habe den Dauphin anzusprechen, werde ich den Brief am besten Monsieur Bonnet, dem Schmied, geben, damit dieser ihn weiterleiten kann. Ich denke da ist er in guten Händen." Damit steckte Veronique den Brief ein. An der Türe drehte sie sich noch einmal zu ihrer Mutter um: "Selbstverständlich werde ich die Sache diskret behandeln, vor allem damit Vater nichts mit bekommt. Obwohl Ihr zugeben müsst das es recht lustig wäre wenn der General den Dauphin fordern und mit dem Degen durch die Gänge von Versailles jagen würde." Selbst Emilie konnte nun ein Lächeln nicht unterdrücken. Mit weit aus problematischeren Dingen als geheimen Liebesbriefen setzte sich König Louis XV zur selben Zeit mit seinen Generälen und Beratern in seinem Kabinett auseinander. Seit Stunden saßen sie mit ernsten Mienen über die verschiedensten Landkarten gebeugt, um die sicherste Route für die Reise der Dauphine von Wien nach Paris zu erstellen. Im Zimmer war es brütend heiß und dicke Schweißperlen standen den Männern auf der Stirn. Wenn seine Majestät der König nicht anwesend gewesen wäre, hätten sie längst die schweren, gepudeten Perücken abgenommen und die hochgeschlossenen Halsbinden gelockert. Da aber die Ettikette unter allen Umständen gewahrt bleiben musste litten sie alle stumm. Keiner kam allerdings auf die Idee das sich der König genau das selbe wünschte wie alle anderen Anwesenden: endlich zu einem Ergebniss zu gelangen, leichtere Kleidung anlegen zu können und sich zu einem kühlen Glas Wein zurück zu ziehen. General de Ronsard deutete mit wichtiger Miene auf die aufgefalltete Landkarte Europas, die vor ihnen allen auf dem großen Tisch lag und auf der mit roter Kreide die Reiseroute aufgezeichnet war. Jede Übernachtungsstation war rot umrandet worden und mit dem passenden Datum des Anreisetages versehen. "Nun meine Herren, fassen wir noch einmal zusammen was wir bereits erarbeitet haben: Am 20. April 1770 wird unsere zukünftige Dauphine in Wien abreisen. Ihre Reise führt sie von Wien nach Melk, und von dort nach Enns, Lambach, Altheim, Altötting, München, Augsburg, Günzburg, Riedlingen, Stockach, Donaueschingen, Freiburg und zuletzt in die Abtei Schüttern." Bei der Aussprache der deutschen Städtenamen schien sich der General beinahe die Zunge zu verrenken, was dazu führte das General de Bouier und ein weiterer jüngerer General ihr Lachen krampfhaft hinter ihren Taschentüchern verstecken mussten um nicht loszuprusten. Tadelnd blickte Louis XV in ihre Richtung. Einigermassen gekränkt zog de Ronsard seinen Schnurrbart nach oben. "Bis dorthin liegt es an den Österreichern unsere Dauphine zu beschützen. Wenn etwas unvorhergeshenes auf diesem Teil der Route geschieht ist dies zwar ein bedauerlicher Umstand aber nicht unsere Schuld." Nun nickten alle zustimmend. "Aber am 7. Mai betritt die Dauphine mit ihrem Einzug in Straßburg französischen Boden, " erläuterte de Ronsard weiter. "Auf dieser Insel im Rhein," er deutete erneut auf einen Punkt auf der Landkarte, " findet die Übergabe an uns statt und ab da sind wir für ihren Schutz und ihr sicheres Geleit bis nach Paris verantwortlich. Bis dorthin wird es einen Halt in Soissons und einen weiteren in Compiegne geben, wo die Dauphine auch seine Majestät den König," dabei wandte er sich mit einer kleinen Verbeugung in die Richtung Louis XV, die dieser mit einem huldvollen Nicken entgegennahm, "und ihren zukünftigen Gemahl seine Hoheit den Dauphin Louis Auguste kennen lernen wird. Ich befehle noch einmal die allerstrengste Geheimhaltung der Reiseroute. Wie wir alle wissen soll es eine antiösterreichische Bewegung geben, die sicher nichts unversucht lassen wird um dafür zu sorgen das die geplannte Hochzeit nicht stattfinden kann und unser Bündnis mit Österreich in die Brüche geht." Dabei blickte er alle beteiligten betont streng an, um seinen Worten das nötige Gewicht zu verleihen. "Es werden eintausendzweihundert Soldaten des königlichen Garderegimentes für den Schutz der Dauphine zuständig sein. General de Bouier, General de Jarjayes und meine Wenigkeit werden jeder eine Einheit mit 400 Mann leiten. Außerdem habe ich vor einige meiner vielversprechensten älteren Kadetten, die im nächsten Jahr die Offiziersakademie abschließen werden, mit einzubinden und ihnen einige Aufgaben anzuvertrauen." Bei diesen Worten wurde General de Jarjayes augenblicklich hellhörig. Sofort richtete er das Wort an General de Ronsard und vergass für einen Moment sogar völlig, dass er gegen diesen, seit er darüber bescheid wusste das er mit seiner ältesten Tochter Veronique eine Affaire führte, eine gewisse Abneigung verspürte. "Wenn Ihr vorhabt einige Kadetten mit zunehmen, so werdet Ihr doch sicher auch an Oscar denken. Er hat in den letzten Monaten seine Fähigkeiten weiter ausgebaut..." Weiter kam Raynier de Jarjayes nicht, denn General de Ronsard fiel ihm so schnell er konnte ins Wort. Er verspürte wenig Lust sich Lobeshymnen auf Oscar de Jarjayes von deren Vater anhören zu müssen. Außerdem fand er es äußerst lächerlich das de Jarjayes es nicht unterlassen konnte von Oscar in der männlichen Person zu sprechen. "General de Jarjayes, sicherlich habt Ihr verstanden das ich von Kadetten sprach die bald abschließen werden. Eure Tochter (dieses Wort betonte er in möglichst gehässigem Ton) hat wenn ich mich erinnere doch im Frühjahr erst mit ihrer Ausbildung begonnen. Es ist doch sicher nicht in Eurem Sinne das ein junger Mensch mit Aufgaben, denen er noch gar nicht gewachsen sein kann, überfordert wird." Nun schaltete sich auch der König ein. "General de Ronsard hat vollkommen Recht. Wir brauchen Männer für diese wichtige Mission die bereits gut ausgebildet sind und keine Neulinge. In den kommenden Jahren werden sich sicher auch passende Aufgaben für Oscar finden." Damit war die Sache für Louis XV abgetan, aber längst nicht für General de Jarjayes. In seinem Kopf begann es fieberhaft zu arbeiten, wie er Oscar in die geplannte Mission mit einschleußen konnte, die er als hervorragenden Beginn einer steilen Kariere betrachtete, sofern es Oscar gelingen würde sich dabei besonders hervor zu heben. Aber das dies der Fall sein würde, daran hatte er keinerlei Zweifel. Er würde schon noch Mittel und Wege finden, um Oscar in die Truppe zum Geleit der neuen Dauphine zu bringen. Mit geschickten Händen steckte Juliana von Elverfeld ihrer Dienstherrin, der Gräfin Hedvig von Fersen, die langen Haare nach oben. Diese betrachtete sich zufrieden im Spiegel. "Das habt Ihr wunderbar gemacht. Keine meiner Zofen hätte es so gut gekonnt." Seit Juliana einmal ihrer Tochter Sophia die Haare für einen Besuch im Theater nach oben gesteckt hatte und die Frisur weit aus gelungener war, als wenn es die sonstigen Bediensteten übernahmen, nahm Hedvig von Fersen immer wieder deren Dienste in Anspruch. "Ich bin so froh das Ihr bei uns seid, nicht nur wegen meiner Haare versteht sich," dabei blinzelte die Gräfin Juliana zu." Auch Sophia mag Euch sehr. Seit Ihr ihren Unterricht übernommen habt lernt sie viel lieber und hat auch große Fortschritte gemacht." "Vielen Dank Madame. Auch ich bin gerne bei Euch in der Familie," antwortete Juliana ehrlich. Sie strahlte über das Lob. "Nun seid aber noch so lieb und helft mir mit meiner Perlenkette. Sie ist ein altes Familienerbstück der von Fersens und ich möchte sie heute abend in der Oper unbedingt tragen. Ich bewahre sie in meinem Schmuckkästchen auf. Der Schlüssel dafür liegt versteckt in meiner Bibel. Nehmt sie doch bitte aus dem Bücherregal." Obwohl sie recht verdutzt drein blickte, über dieses verwunderliche Versteck, trat Juliana auf die Anweisung hin an das Regal, nahm das bezeichnete Buch heraus und öffnete es. In einen Teil der Seiten war ein Rechteck geschnitten und darin lag ein kleiner, silberner Schlüssel. "Raffiniert, nicht wahr? Man muss einfallsreich sein. Es gibt nicht viele Plätze an denen die Hausmädchen niemals nach sehen würden. Aber wenigstens Euch kann ich vertrauen." Juliana von Elverfeld legte Hedvig von Fersen die Perlenkette um den schlanken Hals und verschloss sie. Dabei dachte sie das die Perlen an der Gräfin nicht nur besonders elegant aussahen, sondern auch wirkten als wären sie sehr wertvoll. Wütend trat Maurice draußen im Garten so heftig er konnte gegen einen Baum. Den Schmerz den dies ihm selbst verursachte schien er kaum zu spüren. "Was ist nur in dich gefahren? Wirst du wohl damit aufhören und mit kommen?" hörte man Sophie durch den Garten schimpfen. Erneut holte Maurices Bein aus und traf diesmal die Blumen, die fein säuberlich in einem der Beete angepflanzt waren und nun durch seinen Tritt der Reihe nach umbrachen. "Herr Gott nochmal, ich glaube der Junge hat den Verstand verloren!" schrie Sophie erneut auf. Doch Maurice war klar bei Sinnen, aber in ihm da tobte ein unglaublicher Zorn darüber das seine Maman schon wieder aus seinem Leben verschwinden wollte. Sophie hatte auf Veroniques Bitte hin, nach Maurice, der gerade alleine im Garten spielte gesucht, um ihm zu erklären das seine Mutter wieder an den Hof abreisen musste und ihn zu ihr zu bringen, damit sie sich von einander verabschieden konnten. Sophie hatte sich zwar bereits ausgemalt das Maurice recht enttäuscht sein würde, aber nicht mit einem solchen Zornesausbruch gerechnet. Maurices Hände waren zu Fäusten geballt und sein Gesicht vor Wut zu einer häßlichen Fratze verzogen. "Du wirst nun mit mir mitkommen und dich von deiner Mutter verabschieden. Hörst du was ich dir sage?" Sophies Stimme fing allmählich an so hilflos zu klingen wie sie sich fühlte. Sie konnte Maurice nur all zu gut verstehen, aber nichts für ihn tun. "Wenn du jetzt brav mit mir mitkommst darfst du heute etwas länger aufbleiben und unten in der Küche noch eine Schokolade trinken. Wie wäre es damit?" versuchte sie etwas versöhnlicher zu klingen. Maurice überlegte kurz, schien sich in das Unausweichliche zu fügen und setzte sich letztenendes, noch immer finster drein blickend, Richtung Haus in Bewegung. Sophie holte erleichtert Luft und ging gemeinsam mit Maurice auf die Eingangstür zu. Trotz ihrer jahrelangen Erfahrung als Kindermädchen hatte sich sich schon gefragt was sie machen würde wenn sich Muarice verweigerte. Als sie zusammen das Foyer betreten hatten brachte Maurice mühsam und mit Tränen in der Stimme hervor: "Nie hatt Maman Zeit für mich, dabei habe ich mir die gemeinsame Ferienzeit bereits so schön ausgemalt. Nun fährt sie wieder nach Versailles, nur weil diese blöde Dubarry ihr schon wieder geschrieben hat. Mit ihr verbringt sie mehr Zeit als mit mir. Ich glaube auch sie liebt sie mehr als mich." Sophie widerstand der Versuchung dem kleinen Kerl den Arm um die Schultern zu legen, da sie merkte wie tapfer er gegen die Tränen ankämpfte und die berechtigte Vermutung hatte, dass Maurice bei dieser mütterlichen Geste seine Beherrschung verlieren würde. Offensichtlich wollte er verbergen wie sehr ihn das Verhalten seiner Mutter verletzte. So sagte sie nur: "So darfst du nicht sprechen. Deine Maman hat dich sehr lieb." In diesem Moment zweifelte sie jedoch selbst an ihren Worten. Oben angekommen hatte Maurice seine Tränen so weit zurück geträngt das er scheinbar gefasst das größere der beiden Zimmer, die seine Mutter während ihres Aufenthaltes bewohnte und ihr als Salon diente, betreten konnte. Ihre Zofe Danielle war bereits fleißig am packen und häufte gerade Hüte, Kleider und Unterröcke, die auf dem Kanapee ausgebreitet waren, in verschiedene große Koffer, die auf dem Boden verteilt standen. Sie schien ihn vor lauter Arbeit kaum zu beachten. "Eure Maman wird sofort da sein," war alles was sie hervor brachte. Da das Kanapee durch den Berg aus Kleidungsstücken bereits beschlagnahmt war, setzte sich Maurice an den Sekretär seiner Mutter, um dort auf sie zu warten. Gelangweilt begann er eine Feder in ein Tintenfaß zu stecken und auf einem der bereit liegenden Briefbögen allerlei Schnörkel zu malen. "Werdet Ihr wohl damit aufhören," fuhr ihn Danielle an. "Ihr könnt doch nicht das teure Papier für irgendwelche Kritzeleien verschwenden! Bleibt ruhig sitzen und betragt Euch!" Durch Danielles Rüffel kochte Maurices Wut erneut in ihm hoch. Böse sah er sich auf dem Sekretär um. Da entdeckte er zwischen allerlei Papierkram einen Brief der an seine Mutter adressiert war und als Absender den Namen Gräfin Jeanne Marie Dubarry trug. Beim Anblick dieses Briefes durchzuckte ihn ein Geistesblitz. Eine kleine Rache stand ihm durchaus zu, wie er fand. Schnell sah er sich nach Danielle um, die von ihm aber, zwischen dem Kleiderberg, den sie zu verpacken hatte, immer noch keine Notiz nahm. So griff er nach dem Brief und steckte ihn tief in die Tasche seiner Weste. Dabei stahl sich ein diebisches Grinsen auf seine Lippen. Wie würde seine Mutter den Brief ihrer Freundin suchen! Das war die gerechte Strafe. Das Glück schien Hans Axel von Fersen an diesem Abend nicht hold zu sein. Es war die dritte Runde "Pharao" die gespielt wurde und ebenso die dritte Runde die er zu verlieren drohte. Mit einem Teil seiner jungen Gäste hatte sich Hans Axel an den Kartentisch zurück gezogen, während die andere Hälfte das Spiel beobachtete, den Champagner, den er aus dem Weinkeller seines Vaters hatte kommen lassen, in Strömen fließen ließ, miteinander flirtete und anzügliche Witze machte. Die Hälfte davon verstand Juliana von Elverfeld nicht, da ihr Schwedisch noch recht holprig war, aber das was sie verstand trieb ihr die Schamröte ins Gesicht. Sie bereute bereits die Einladung angenommen und noch mehr die elfjährige Sophia mit nach unten genommen zu haben. Als ihre Gouvernante hatte sie die Verantwortung für sie und die Abendgesellschaft, die ihr Bruder gerade gab war wohl kaum die richtige Veranstalltung für ein Mädchen ihres Alters. Gerade erzählte einer von Hans Axels Freunden, der schon ein wenig älter war als die meisten anderen und bei der schwedischen Armee diente, lautstark von einem Bordellbesuch. "Als ich meinen letzten Sold bekommen hatte, der 10 Taler betrug, fand ich das ich mir ein bisschen weibliche Gesellschft mehr als verdient hatte. Also machte ich mich auf in ein bestimmtes Etablissement. Dort angekommen erkundigte ich mich nach den Preisen. Eine der dort angestellten Damen erklärte mir folgendes: auf dem Bett kostet es 10 Taler, auf dem Fußboden 5 Taler und im Stehen einen Taler. Also sagte ich sofort das ich es für 10 Taler haben möchte. "Also im Bett," fragte sie? Nein, lieber zehnmal im Stehen," antwortete ich. Er lachte schallend über seinen eigenen Witz, so wie auch einige der jungen Leute. Einzig Juliana verzog angewidert das Gesicht. Zur selben Zeit hatte Hans Axels bester Freund Arvid von Bergen seinen Arm um ein Mädchen gelegt, das etwas jünger war als Juliana, hübsches hellblondes Haar hatte und dem Champagner bereits mehr zugesprochen hatte als für sie gut sein konnte. Wenn sich Juliana noch recht erinnern konnte war das Mädchen die Tochter eines schwedischen Barons. Zu ihrem Entsetzten sah Juliana wie Arvid von Bergen seine Hand ein Stück nach unten rutschen ließ und die Brust der kleinen Baronesse wie zufällig berührte. "Oh, Pardon!" Gespielt verlegen zog er seine Hand wieder weg und platzierte sie auf der Schulter des Mädchens. "Wenn Euer Herz so weich ist wie Eure Brust, dann werdet Ihr mir sicher noch einmal verzeihen." Das Mädchen lachte kurz auf. Offensichtlich schien sie die Zudringlichkeit Arvids nicht im entferntesten zu stören. Anstatt ihm eine saftige Ohrfeige zu verpassen, wie Juliana es an ihrer Stelle getan hätte, lehnte sie sich nur ungeniert an seine Schulter und meinte: "Und wenn ein bestimmter Gegenstand von Euch so hart und fest ist wie eure Schulter, dann dürft Ihr mir einmal im Stadthaus meiner Eltern einen Besuch abstatten. Mein Fenster steht jetzt im Sommer jede Nacht offen und ist über ein Efeuspalier leicht zu erreichen." Juliana war nun mit ihrer Geduld am Ende. Solche zottigen Gespräche hatte sie zuhause auf einer Gesellschaft noch nie erlebt, genau so wenig wie das sie jemals gesehen hatte, dass so viel Alkohol sinnlos zu sich genommen wurde. Energisch stand sie auf. "Ich bitte darum Fräulein Sophia und mich zu entschuldigen. Es ist doch schon recht spät geworden. Sophia kommt Ihr bitte?" In bemüht strengem Ton wandte sie sich in ihrem gebrochenen Schwedisch an ihre Schülerin. Sophia, die von den Vorgängen und Gesprächen um sich herum sichtlich faszieniert war, wirkte nicht als ob sie Fräulein Julianas Anweisungen folge leisten wollte. Dazu war es gerade viel zu spannend, auch wenn sie die meisten Späße tatsächlich noch nicht verstand. Allein das es sich offensichtlich um "das Thema" drehte, über das sonst nie gesprochen wurde und die ganze Gesellschaft hinter dem Rücken ihrer Eltern stattfand und so wunderbar verboten war genügte um alles interessant zu finden. Doch bevor sie dazu kam heftig zu protestieren schaltete sich bereits ihr älterer Bruder ein. "Nun gönnt doch Sophia noch ein kleines bisschen Spaß hier unten. Wer weiß wann ich wieder die Gelegenheit für solch einen Abend haben werde. Außerdem könnte ich einen Glücksbringer gut gebrauchen. Kommt Juliana, setzt Euch auf diesen Stuhl neben mich, " dabei deutete er auf einen freien Platz, den ein Mitspieler, mit einer ähnlichen Pechsträhne wie Hans Axel, nach der vergangenen Runde verlassen hatte. "Ich bin mir sicher das Eure Nähe mir Glück bringen und meine Gewinnchancen steigern wird." Dabei lächelte er die junge Gouvernante auf seine unnachahmliche Art an. Wie immer bei seinem Lächeln vergaß Juliana alles andere um sich herum. Nicht nur ihr, sondern auch Sophia war aufgefallen das er vor ihren Namen plötzlich nicht mehr das obligatorische "Fräulein" gehängt hatte, sondern sie direkt mit "Juliana" angesprochen hatte. Aufgeregt drückte Sophia die Hand ihrer Gouvernante und gab ihr somit zu verstehen, dass sie das Angebot ihres Bruders, der sie offensichtlich so gerne in seiner Nähe hatte, annehmen sollte. "Wenn Ihr es wünscht und denkt das ich Euch Glück bringen werde, so bleibe ich noch ein wenig," hörte Juliana von Elverfeld ihre eigene Stimme hervorbringen und ehe sie sich versah, hatte sie am Spieltisch neben Hans Axel Platz genommen. Wie schaffte er es nur das sie Dinge tat, die sie selbst gar nicht wollte? Lieber blieb sie in dieser unangenehmen Gesellschaft und damit in seiner Nähe, als sich in ihr sicheres Zimmer zu flüchten. Wie zufällig legte sich nun Hans Axels Hand für einen kurzen Moment auf die ihre und ein Hochgefühl schoß durch ihren ganzen Körper. "Na seht Ihr," meinte er an sie gewandt. "Es war doch gar nicht so schwer sich zu mir zu setzen. Ich bin mir sicher das Ihr der beste Talisman seid den man sich wünschen kann. Also lasst uns weiter spielen!" rief er seinen Freunden übermütig zu und die Bank begann erneut neue Karten auszuteilen. Oscar lag seitlich auf ihrem Bett, den Kopf auf einer Hand abgestützt und hatte Henrys Brief vor sich liegen. Sie hatte ihn wohl schon an die hundertmal gelesen, seit sie ihn erhalten hatte und nun lag sie nur noch ruhig da und sah sich seine Handschrift vor ihren Augen an, während sie an ihn dachte. Ein heftiges Klopfen an ihrer Türe ließ sie aufschrecken. "Was willst du?" fragte Oscar unfreundlich als Maurice auf ihr "Herein" in ihr Zimmer trat. Wenigstens hatte ihr Neffe in der Zwischenzeit gelernt anzuklopfen und erst auf eine Bitte hin einzutreten. Henrys Brief schob sie so schnell sie konnte unter ihr Kopfkissen. "Ich muss mit dir reden," brachte Maurice kleinlaut hervor. So nieder gedrückt hatte Oscar ihn noch nie gesehen. "Was gibt es denn Maurice?" fragte sie nun trotz der Störung eine Spur versöhnlicher. "Ich habe auf dem Sekretär meiner Maman einen Brief gefunden. Ich dachte die Dubarry habe ihn geschrieben, da auch ihr Absender auf dem Umschlag stand. Da habe ich ihn Maman gestohlen, weil ich so böse darüber bin das sie wieder nach Versailles fährt. Aber als ich den Brief gelesen habe stellte ich fest das er gar nicht von der Dubarry stammt, sondern von einem Herzog La Vauguyon, der wie ich mich erinnern kann, der Lehrer unseres Dauphins ist. Es stehen wirklich sehr schlimme Dinge darin. Er plant das unserer Dauphine, wenn sie zu uns reist, etwas angetan werden soll und Maman soll ihm dabei helfen. Er möchte auch das sie sich wieder mit General de Ronsard trifft, der Mann gegen den sich Vater duelliert hat, weil Maman immer zu ihm geht." Oscars Herz begann zu rasen. Nun hatte also Maurice herausgefunden in welche Machenschaften seine Mutter verstrickt war. Sofort streckte Oscar ihre Hand nach dem Brief aus und begann ihn halblaut vorzulesen: "Der König hat sich mit seinen Beratern und Generälen zurück gezogen. Wenn die Informationen stimmen, die Euch die Dubarry zugetragen hat, wird gerade über die Reiseroute und das Datum der Abreise der zukünftigen Dauphine verhandelt. Trefft Euch unverzüglich mit General de Ronsard und findet das heraus was wir wissen müssen. Je früher wir Kenntnis davon erlangen wann und auf welchem Wege die Österreicherin zu uns kommt, desto besser werden wir den Anschlag auf sie vorbereiten können. Also ist Eurerseits absolute Eile geboten. La Vauguyon." Oscar saß nun kerzengerade auf ihrem Bett. Vor Angst und Aufregung begann es ihr ganz schlecht zu werden. Auf ihrer Stirn hatte sich ein feiner Film aus Schweiß gebildet und man sah ihr an das sich die Angst, vor dem was bald kommen würde, in ihrem Körper ausbreitete. Nun war es also so weit und ihr Neffe war nun auch mit hinein geraten. Wenigstens verstand sie nun was ihre hübsche Schwester dazu veranlasste eine Affaire mit de Ronsard einzugehen. Sie schenkte ihm nur ihre Zuneigung um ihn auszuspionieren. Oscar ergriff Maurices Schultern so fest sie konnte, sah ihm ins Gesicht und begann eindringlich auf ihn einzureden: "Maurice, hör mir jetzt gut zu! Du darfst niemandem davon erzählen was du in diesem Brief gelesen hast! La Vauguyon und deine Maman planen den Anschlag schon seit Jahren. Ich habe schon längst darüber Bescheid gewusst." Vor Überrschung bekam Maurice kugelrunde Augen. "Du weißt bereits von allem?" "Ja, ich habe sie vor drei Jahren hier in der Normandie Nachts im Garten belauscht, als sie alles einzufädeln begonnen hatten. Ich wusste damals noch nicht das es sich bei dem fremden Mann, mit dem sich deine Maman traf, um den Lehrer des Dauphins handelt, bis ich ihm in Versailles begegnet bin. Es geschah in den Ferien als ich Stubenarrest hatte, weil ich mich weigerte de Ronsard wegen meiner Aufnahme auf die Offiziersakademie kennen zu lernen. Da habe ich mich eben eines Nachts durch ein offenes Fenster in den Garten geschlichen und Veronique und La Vauguyon ertappt und belauscht." "Bist du dir überhaupt sicher das es sich bei dem Fremden um La Vauguyon handelte?" "Ja, das bin ich. Ich habe ihn zwar im Dunkeln nicht richtig erkennen können, aber als er mir in Versailles begegnet ist lief mir ein solcher Schauer über den Rücken, das ich es sofort gespürt habe das er der Fremde von damals sein musste. Außerdem habe ich seine Stimme und seine Gestalt sofort wieder erkannt. Ich könnte sie in einhundert Jahren niemals vergessen." Oscar schüttelte sich, da ihr eine dicke Gänsehaut bei dieser Erinnerung über den Rücken lief. Maurice fühlte sich immer kläglicher. Seine Mutter war eine Verräterin! Das durfte doch alles nicht wahr sein. In ihm breitete sich der Wunsch aus sofort in seinem Bett aufzuwachen, um fest stellen zu können das dies alles nur ein Alptraum war. Aber dieses Wunder stellte sich leider nicht ein. "Was sollen wir nur tun Oscar? Wir können doch nicht zu lassen das unsere neue Dauphine ermordet wird und schon gar nicht das meine Mutter dabei Hilfe leistet!" "Wir können nichts tun außer zu schweigen," sagte Oscar so fest sie konnte. "Wenn es an das Tageslicht kommen sollte, dass deine Mutter in ein Komplott gegen das Königshaus verstrickt ist, wird sie als Verräterin aufgehängt werden. Das willst du doch sicher nicht?" Maurice schüttelte betreten den Kopf. So wütend er gerade noch auf seine Mutter gewesen war, so wenig wollte er das mit ihr so etwas Entsetzliches geschehen sollte. Instinktiv streckte er die Arme nach Oscar aus und Oscar erwiderte seine Umarmung und zog ihn neben sich auf ihr Bett. Beide spürten das sie jetzt eine Stütze brauchten, die nur sie beide einander geben konnten. Noch nie war Oscar ihrem Neffen, den sie oft als lästig empfunden hatte, so nahe gewesen. Die Angst um ihr gemeinsames Geheimnis verband sie nun fest miteinander. Aus Maurices Augen floßen all die bis jetzt zurück gehaltenen Tränen der Enttäuschung über seine Mutter und auch Oscar konnte endlich den Tränen freien Lauf lassen, die sie die drei Jahre lang zurück gehalten hatte, in denen sie ihr Geheimnis mit niemandem teilen durfte. Ihre Tränen tropften auf Maurices dunkle Locken und seine Tränen nässten Oscars Hemd, bis sie irgendwann auf beiden Seiten versiegten und die beiden sich nur noch aneinander fest hielten. Nach einer Weile an Oscars Schulter brachte Maurice hervor: "Oscar, weshalb benützt der Herzog als Absender den Namen Gräfin Jeanne Marie Dubarry?" Oscar konnte nicht anders als Maurice einen leichten Schlag auf den Kopf zu geben. "Damit nicht die ganze Familie de Jarjayes davon weiß das sich die beiden schreiben! Herr Gott, was frägst du manchmal für Sachen Maurice." "Aha, das verstehe ich vollkommen. Immerhin wissen wir doch immer alles sofort voneinander, vor allem Sophie, nicht wahr?" Nun stahl sich trotz all der Aufregung wieder ein Lächeln auf Oscars Lippen. Einige Zimmer weiter war allerdings niemandem nach einem Lächeln zumute. Völlig aufgelöst stand Veronique in ihrem Salon, der komplett von ihr und Danielle auf den Kopf gestellt worden war. "Such weiter nach dem verdammten Brief! Er kann doch nicht einfach von meinem Sekretär veschwunden sein!" fuhr Veronique ihre Zofe außer sich an. Strähnen ihres rotblonden Haares hatten sich aus ihrer Frisur gelöst und auf ihrem sonst so blassem Teint zeichneten sich hektische rote Flecken ab. "Oh Madame, wir haben doch bereits das gesamte Zimmer abgesucht. Ich wüsste nicht was wir noch unternehmen könnten," klagte Danielle, die von der vergeblichen Suche bereits völlig erschöpft war. Sicher hatte ihre Herrin immer schon ein paar Marotten gehabt, aber nun war es wirklich unglaublich was sie für einen Aufstand wegen eines einfachen Briefes veranstalltete. Da klatschte eine schallende Ohrfeige von Veroniques Hand in Danielles Gesicht. Fassunglos hielt sich Danielle die Wange. Noch nie zuvor war ihrer Herrin die Hand ausgerutscht. "Dann suchst du eben den ganzen Salon noch ein zweites Mal komplett nach dem Brief ab! Wir werden beide nicht schlafen gehen bis wir ihn gefunden haben!" schäumte Veronique. Während sich Danielle mit zusammen gepressten Lippen umwandte, um wohl zum dutzensten Male unter dem Sekretät nach zu sehen, ließ sich Veronique erschöpft auf einen Stuhl sinken. Sie war sich bereits darüber bewusst das jedes weitere Suchen vollkommen nutzlos sein würde, wollte es sich aber dennoch nicht eingestehen. Irgendjemand im Hause, um wen immer es sich auch handelte, musste den Brief an sich genommen haben, wusste nun über alles Bescheid und würde es vermutlich zu gegebener Zeit gegen sie ausspielen. Ihren eigenen Sohn und ihre jüngste Schwester hätte sie allerdings als letztes im Verdacht gehabt. Ab jetzt würde das ganze Komplott, von dem sie schon seit langem bereute sich darauf überhaupt eingelassen zu haben, aus dem Ruder laufen, das spürte sie tief in sich. Kapitel 10: Ein Kapitel in dem etliche hinterlistige Personen auftreten ----------------------------------------------------------------------- Ein Kapitel in dem etliche hinterlistige Personen auftreten Versailles im September 1769 Im Hof von Versailles stand eine Reisekutsche bereit, in die gerade allerlei Gepäckstücke verladen wurden. Ein junger Mann betrat den Hof an der Seite des Dauphins, des österreichischen Botschafters Fürst Starhemberg und dem Hauslehrer des Dauphins, Herzog La Vauguyon. Voller Wohlwollen legte der Botschafter dem jungen Mann die Hand auf die Schulter und wandte sich mit folgenden Worten an ihn: „Mein lieber Nicolas, ich wünsche Euch von ganzem Herzen eine gute Reise in unser schönes Wien. Übergebt dieses Schreiben mit den hochachtungsvollsten Grüßen Seiner Majestät Louis XV und meiner Wenigkeit der Kaiserin Maria Theresia, sobald Ihr in Schönbrunn angekommen seid. Es steht darin das Ihr mein vollstes Vertrauen und meine Hochachtung genießt und das selbst Seine Majestät der König Euch für einen vortrefflichen jungen Mann hält, der für die wichtige Aufgabe, die ihm zuteil wird, nur all zu geeignet erscheint.“ „Ich danke Euch,“ antwortete der junge Mann den Fürst Starhemberg mit Nicolas angesprochen hatte. „Ich schwöre bei Gott das ich mein Bestes geben werde um meinen Auftrag in Wien und während der Anreise unserer künftigen Dauphine zu erfüllen, um all jenen, denen am Gelingen meiner Mission etwas am Herzen liegt und besonders meinen lieben Vater mit Stolz zu erfüllen.“ Dabei blinzelte er dem Herzog La Vauguyon kaum merklich zu, was weder der Botschafter Fürst Starhemberg in seiner Euphorie, noch der Dauphin Louis Auguste, der an diesem Tag selbst für seine Verhältnisse ungewöhnlich abwesend wirkte, zu bemerken schien. „Das wissen wir doch alle, mein bester Nicolas. Ihr habt uns in den wenigen Wochen, in denen wir Euch kennen lernen durften, sehr beeindruckt,“ antwortete ihm Fürst Starhemberg mit so viel Wohlwollen in der Stimme, wie es bis dahin nur wenige Menschen von ihm gehört hatten. „Nicolas, ich hege den Wunsch mit Euch unter vier Augen zu sprechen, bevor Ihr Eure große Reise antretet, sofern es die Zeit noch gestattet,“ meldete sich unvermittelt der Dauphin zu Wort. Er mochte den jungen Mann, der von seinem Hauslehrer wärmstens empfohlen worden war, um als Page die künftige Dauphine nach Paris zu begleiten. Als Sohn eines französischen Vaters und einer deutschen Mutter, sprach er die Sprachen beider Elternteile fließend und da er außerdem französischer Staatsbürger war, sollte er als Einziger mit der Dauphine die Grenze zwischen Österreich und Frankreich überqueren, denn es galt als eine fest beschlossene Sache, dass weder österreichische Personen noch Gegenstände aus ihrer alten Heimat die Dauphine in ihr neues Reich begleiten sollten. Natürlich wäre eine junge Frau als Vertraute der Dauphine wesentlich besser geeignet, aber La Vauguyon hatte dem König gegenüber fest den Standpunkt vertreten, dass auf solch einer Reise, bei der immer wieder Gepäckstücke neu zu verladen waren und noch andere beschwerliche Aufgaben an standen, ein junger Mann wie Nicolas diese doch weit aus besser bewältigen konnte. Das Überreden war La Vauguyon nicht weiter schwer gefallen, denn Nicolas hatte am französischen Hof solch einen gewinnenden und verlässlichen Eindruck hinterlassen, dass jedermann, selbst der König, ihm jede noch so heikle Aufgabe anvertraut hätte. So erregte er auch in Louis Auguste ein derartiges Vertrauen, dass sich dieser, entgegen seiner sonst so verschlossenen Art, bald wünschte ihn zum Freund und Vertrauten zu haben. „Aber natürlich, für Eure Hoheit werde ich doch immer Zeit haben. Wir können gerne noch ein Stück miteinander gehen, so das ich mir vor der Reise die Füße vertreten kann,“ antwortete Nicolas dem Dauphin mit einer artigen Verbeugung. „Ihr entschuldigt uns?“ und mit dieser rethorischen Frage Louis Augustes ließen er und Nicolas den Botschafter Fürst Starhemberg und den Herzog La Vauguyon stehen. Selbstverständlich wäre es bereits an der Zeit für den Aufbruch gewesen, doch die Wünsche des Dauphins hatten grundsätzlich Vorrang vor allem anderen. Kaum waren die beiden jungen Männer außer Hörweite ergriff Louis Auguste erneut das Wort: „Ich weiß wir beiden kennen uns noch nicht lange, doch hoffe ich dennoch Euch mein Vertrauen schenken zu dürfen.“ „Aber selbstverständlich Euer Hoheit, erzählt mir nur was Ihr Wichtiges auf dem Herzen habt. Ich will Euch gerne anhören und auch wenn wir einander noch nicht lange kennen, bin ich der festen Überzeugung das wir uns gegenseitig vertrauen können wie gute Freunde,“ antwortete ihm Nicolas auf seine herzliche Art, die ihn am Hof innerhalb kürzester Zeit zum Liebling aller gemacht hatte und dem schüchternen Dauphin stahl sich vor Freude ein seltenes Lächeln auf die Lippen. „Mein Anliegen ist sehr privater Natur. Es handelt sich dabei um eine Dame der ich sehr zugetan bin.“ Louis Auguste errötete leicht, bevor er fort fuhr. „Auf Anraten Monsieur Bonnets habe ich Ihr vor wenigen Wochen einen Liebesbrief an sie geschrieben, doch ihre Antwort war leider nicht zufriedenstellend.“ „Und was genau habt Ihr besagter Dame geschrieben, wenn ich mir die Frage erlauben darf?“ „Ich schrieb ihr wie sehr ich sie bewundere und wie gerne ich einmal im Leben meine Lippen auf die ihren drücken möchte.“ Erleichtert atmete Louis Auguste auf, denn während seiner „Beichte“ hatte er vor Aufregung die Luft angehalten. Es fiel ihm nicht leicht über seine Gefühle und den Brief an Emilie zu sprechen, aber bei Nicolas war dies etwas anderes. In ihm meinte er endlich einen Mann in seinem Alter gefunden zu haben, dem er sich öffnen konnte und stellte dabei fest wie gut es doch tat endlich einen gleichaltrigen Freund zum Sprechen zu haben. Vor Aufregung und Freude bemerkte er nicht wie Nicolas leicht seine Augen verdrehte. „Aber Euer Hoheit, da seid Ihr mit Verlaub gesagt doch etwas mit der Türe ins Haus gefallen. Sicher hat sich die von Euch Angehimmelte bedrängt gefühlt. Ich würde Euch raten sie doch erst einmal auf einen Kaffee einzuladen. Wenn Ihr mir gestattet so schlage ich Euch vor in einem der vielen Gartenpavillons, die in den Gärten von Versailles zu finden sind, eine kleine Tafel nur für euch beide eindecken zu lassen. Die Fenster müsst Ihr selbstverständlich verhängen lassen, denn niemand weiß besser als Ihr selbst wie viele neugierige Personen doch an diesem Hof verkehren.“ Hier nickte Louis Auguste zustimmend. „Den Brief lasst Ihr einen Boten heimlich überbringen. Geht so diskret wie nur möglich vor.“ Erleichtert strahlte der Dauphin auf und beinahe hätte er Nicolas umarmt. „Ich danke Euch! Euer Rat hat mir sehr geholfen. Ihr habt recht, was ich geschrieben habe war wirklich etwas zu voreilig, wenn nicht gar dreist gewesen. Selbstverständlich gehe ich diskret vor. Meinen vorherigen Brief schickte ich ebenfalls über einen Boten in Ihre Sommerresidenz.“ Nicolas nickte und legt dem Dauphin die Hand auf die Schulter. „Seht Ihr, lieber Freund, Ihr wisst bereits worauf es ankommt. Wenn ich im nächsten Jahr mit Eurer Braut nach Versailles zurück kehre, werde ich gespannt darauf sein zu erfahren, ob Ihr bei der Dame Erfolg gehabt habt. Doch nun muss ich leider an meinen Aufbruch denken, denn Ihr wisst der Weg nach Wien ist weit.“ Ein seltenes Glücksgefühl durchzog die Seele Louis Augustes. Nicolas hatte ihn „mein Freund“ genannt. Das dieser als Untergebener nicht das Recht hatte ihn als zukünftigen König so zu nennen kümmerte ihn nicht, dazu war es viel zu wunderbar einen Freund wie Nicolas zu haben. So antwortete er ihm bewegt: „So habt eine gute Reise, Nicolas, der Ihr nun mein Freund seid und kommt wohl in Schloss Schönbrunn an.“ Noch lange sahen Louis Auguste, La Vauguyon und der österreichische Botschafter Fürst Starhemberg der Kutsche nach, die Nicolas an sein Ziel bringen sollte. „Habt noch einmal Dank dafür, dass Ihr einen passenden jungen Mann für diese wichtige Aufgabe gefunden habt,“ wandte sich Fürst Starhemberg an La Vauguyon. „Oh ja, Nicolas wird das, wofür er nach Wien geschickt wird sicher hervorragend meistern, da bin ich mir sicher,“ antwortete der Herzog in vollster Überzeugung. Zum Glück sahen der österreischische Botschafter und der Dauphin nicht das Nicolas, nach dem er in die Kutsche gestiegen war, hinter den geschlossenen Vorhängen eine obszöne Geste, wie sie sonst nur beim Pöbel üblich war, mit seinem mittleren Finger in ihre Richtung machte, bevor er sich in seinen Sitz lümmelte. Stockholm im September 1769 „Wie bitte, bedeutet dies das ich keinen Kredit bekomme?“ Entsetzt blickte Hans Axel von Fersen den Bankier, der ihm gegenüber saß, an. Im letzten Jahr hatte ihm sein Vater ein Konto in einer Stockholmer Bank eingerichtet, mit einem bestimmten, monatlichen Betrag, über den Hans Axel frei verfügen konnte. Bis vor kurzem hatte ihm sein Geld, wenn auch nur knapp, jeden Monat genügt. Im Verlauf der letzten Wochen war sein Lebensstil jedoch immer extravaganter geworden. Daran war sein bester Freund Arvid van Bergen nicht ganz unschuldig. Mindestens einmal in der Woche überredete er ihn an einem der Kartenspielabenden, die gerade bei den jungen Leuten in der aristokratischen Gesellschaft sehr beliebt waren, teilzunehmen, auf denen aber selbstverständlich um Geld gespielt wurde, wobei Hans Axel das Glück nicht immer hold war. Bereits jetzt hatte er eine ansehnliche Summe an Spielschulden bei seinen Freunden, derentwegen er nun bei seiner Bank um einen Kredit gebeten hatte, um so eben zu erfahren, dass dieser ihm aufgrund seines Kontostandes keinesfalls gewehrt werden konnte. Auch das ständige Bestellen neuer, moderner Kleidung bei seinem Schneider, da Arvid darauf bestand das man bei den Damen nur Erfolg hatte, wenn man nach der neusten Pariser Mode gekleidet war, und die immer häufiger werdenden Besuche in Restaurants und Kaffees an der Seite seines besten Freundes, hatten ihr Übriges dazu beigetragen das er sich in seiner jetzigen finanziellen Lage befand. Vor der Bank, die Hans Axel recht geknickt verließ, wartete sein bester Freund Arvid bereits auf ihn. „Erzähle, haben sie dir nun den Kredit gewährt?“ erkundigte sich dieser sofort gespannt. Unglücklich schüttelte Hans Axel den Kopf. „Nein, mir wurde kein Kredit in Aussicht gestellt und wenn ich ehrlich bin, so kann ich es der Bank noch nicht einmal verübeln. Ich denke ich werde abwarten bis am Ende des Monats die regelmäßige Überweisung von meinem Vater eintrifft und so nach und nach meine Spielschulden abbezahlen.“ Kaum hatte Arvid den Vorschlag seines Freundes für die Lösung dessen Problems vernommen, begann er sofort heftig ihm diesen wieder auszureden, während sie Seite an Seite über die Fjärgatan (Anmerkung: wichtigste Straße in Stockholm) gingen. „Das kannst du doch nicht machen Hans Axel. Sei bitte vernünftig! Willst du von nun an monatelang an keiner Gesellschaft mehr teilnehmen, dir keine neuen Kleider gönnen und am Ende völlig vereinsamen? Das ist doch wohl nicht dein Ernst!“ „Leider muss ich dir sagen das es so ist. Es ist unmöglich das ich mich immer weiter in Schulden stürze. Irgendwann wird mein Vater davon erfahren und was soll dann nur geschehen?“ „Dann brauchen wir eben einen Plan mit dem du deine Finanzen aufbessern kannst. Mir schwebt da schon etwas vor. Komm, setzen wir uns in ein Kaffeehaus und ich erzähle dir welchen Geistesblitz ich habe.“ Kaum hatten die beiden im Kaffeehaus an einem etwas abgeschiedenen Tisch platz genommen und ihren Tee und das Gebäck bestellt, wobei Arvid seinem Freund versichert hatte das er auf jeden Fall eingeladen wäre, rückte er mit seiner Idee heraus. „Du brauchst also Geld und bist Mitglied einer alten, reichen Familie. Ist es nicht so das ihr einige Familienerbstücke besitzt, die eine Menge wert sind?“ „Natürlich ist das der Fall. Besonders alte Schmuckstücke zählen dazu, an denen meine Mutter sehr hängt. Aber meine Eltern würden mir nie gestatten diese zu verkaufen.“ „Von verkaufen ist auch nicht die Rede. Ein Schmuckstück kann zum Beispiel auch dadurch verschwinden das es gestohlen wird. Dem Dieb wiederum kann es sehr viel Geld einbringen, in dem er es zum Pfandleier bringt und dort gegen Bares eintauscht.“ „Du schlägst mir vor das ich meine Familie bestehlen soll?“ Entsetzt blickte Hans Axel seinen Freund an. Auf solch einen Vorschlag war er nicht gefasst. Doch Arvid beruhigte ihn sofort: „Aber nicht doch! Es geht eher darum jemanden zu finden der dies für dich übernimmt. Jemanden der ohnehin bei euch im Hause lebt, der weiß wo sich die Sachen befinden und zu ihnen Zugang hat. Jemanden der so unschuldig wirkt, das ihn niemals jemand verdächtigen würde.“ „Du sprichst doch hoffentlich nicht von meiner jüngeren Schwester Sophia?“ Empört sah Hans Axel ihn an. „Aber nein, es gibt eine andere Person bei euch im Hause, die so ziemlich alles für dich machen würde.“ „Wenn die Rede von Fräulein Juliana von Elverfeld ist muss ich dich leider enttäuschen. Sie hat mich eiskalt abblitzen lassen. Das hätte ich niemals erwartet!“ Hans Axel kniff ärgerlich die Lippen zusammen. Noch immer fühlte er sich in seiner Ehre gekränkt. All zu sicher war er war sich gewesen die deutsche Gouvernante seiner Schwester innerhalb weniger Wochen, wenn nicht gar Tagen, in sein Bett zu bekommen. Hingegen seinen Erwartungen hatte sich diese jedoch als äußerst hartnäckig erwiesen. Zwar war sie über seine Liebesbotschaften sehr angetan gewesen, doch als es sich ergeben hatte und die beiden einmal allein im Salon waren und er nach einem zarten Kuss den Versuch unternommen hatte, seine Hand in ihre Korsage wandern zu lassen, war sie empört aufgesprungen und hatte ihm all zu deutlich erklärt nicht „diese Sorte Mädchen“ zu sein, denn bestimmte Dinge kämen für sie nur in Frage mit dem Mann den sie einmal heiraten würde. Damit war sie davon gerauscht und hatte Hans Axel seitdem keines Blickes mehr gewürdigt und war ihm außerdem so gut es ging aus dem Weg gegangen. Tief frustriert über diese Abfuhr hatte er sich umgehend danach seinem besten Freund anvertraut. „Es geht doch in diesem Falle nicht darum Juliana in dein Bett zu bekommen,“ fuhr Arvid fort. „Sie schwärmt nach wie vor von dir. Das steht fest, ansonsten müsste mich meine Frauenkenntnis sehr täuschen. Aber sie wünscht sich etwas völlig anderes als nur den Beischlaf mit dir. Ich würde mich wetten trauen das sie davon träumt eines Tages Juliana von Fersen zu heißen.“ Erstaunt sah Hans Axel seinen Freund an. So weit hatte er nie gedacht. Natürlich war er trotz seiner jungen Jahre bereits ein begehrter Junggeselle und eines Tages würden seine Eltern sicher die passende junge Aristokratin für ihn finden, aber das würde sicher nicht Juliana von Elverfeld sein. Allein der Gedanke eine Bedienstete, denn etwas anderes war eine Gouvernante genau genommen nicht, zu heiraten war völlig abwegig, davon einmal abgesehen das ihm Juliana als Ehefrau viel zu langweilig und prüde wäre. Mit diesen Gedanken wandte er sich an seinen besten Freund: „Dabei musst du nur bedenken, dass ich diese verarmte Gouvernante auf keinen Fall heiraten würde. Allein der Gedanke wäre lächerlich!“ Arvid winkte beruhigend ab. „Das musst du doch gar nicht! Es genügt schon wenn du sie nur glauben lässt, sie würde deine Frau werden. Du wirst ihr sagen das du dringend Geld brauchst, um zum Beispiel ein kleines Haus für euch zu kaufen, da dein Vater mit der Heirat nicht einverstanden ist und dich nun nicht mehr unterstützen möchte, du aber nicht mehr ohne sie leben willst. Irgendetwas in der Art wird dir schon einfallen. Vor lauter Glück wird sie dir den Schmuck besorgen. Ihr werdet das ganze wie einen Einbruch aussehen lassen und den Schmuck bringst du zum Pfandleier. Niemand wird euch auf die Schliche kommen und glaube mir, dieses Mädchen ist so in dich vernarrt, dass sie dir vollkommen hörig sein wird, bei dem Gedanken daran deine Frau zu werden.“ Hans Axel begann das Herz schwer zu werden als er an den Schmuck seiner Mutter dachte. Ihr lag so viel daran, nicht nur wegen seines finanziellen Wertes, sondern weil er von Generation zu Generation weitergegeben wurde und die ganze Familie stolz darauf war. Wie sollte er seine Eltern und Geschwister je wieder ansehen können wenn er sie bestehlen ließ? Alles in ihm sträubte sich dagegen dem Plan seines Freundes zuzustimmen. „Ich denke ich bringe es nicht über mich...“ Arvid machte eine wegwerfende Handbewegung und unterbrach seinen Freund. „Irgendwann wirst du im Spiel auch wieder eine Glückssträhne haben und dann sehen wir wie du den Schmuck wieder auslösen kannst. Vertrau mir nur. Oder willst du nun wirklich monatelang auf alles wichtige im Leben verzichten? Du wirst dich selbst aus der Gesellschaft aller jungen Adligen ausschließen und wenn du einmal draußen bist so wirst du nie wieder richtig dazu gehören. Möchtest du das?“ Beklommen schüttelte Hans Axel den Kopf. „Sehr vernünftig von dir. Also nimm meinen Vorschlag an. Es dürfte einem Mann wie dir doch nicht schwer fallen ein so naives Mädchen wie Juliana alles glauben zu lassen was du ihr erzählst und sie so von dir abhängig zu machen, das sie alles für dich machen würde.“ „Ich denke nicht das mir das schwer fallen würde,“ hörte sich Hans Axel mit heiserer Stimme sagen. Er fand Arvids Plan abscheulich, doch war es seine einzige Rettung um nicht aus seinem Freundeskreis ausgestoßen zu werden, nachdem er nun nicht mehr in der Lage war ihren Lebensstil zu pflegen. „Dann schlag ein,“ rief Arvid begeistert und hielt Hans Axel seine Hand entgegen. „Wir ziehen meinen Plan durch! Glaub mir das wird ein Spaß werden!“ Wieder willig schlug Hans Axel ein, doch er wünschte sich bereits in diesem Moment das dieses Gespräch nie zustande gekommen wäre. Paris im September 1769 Schwer keuchend schleppte sich Catherine Gaspard die lange Treppe nach oben. Mit der rechten Hand stützte sie sich am hölzernen, mit allerlei geschnitzten Schnörkeln versehenen Treppengeländer ab. In der linken Hand trug sie einen schweren Kübel, der randvoll mit Putzwasser war und ihren Körper schräg nach unten zog. Ihr Gesicht war vor Anstrengung krebsrot und unter dem weißen Tuch, dass sie sich um den Kopf gelegt und hinten zusammen gebunden hatte, lugten ein paar ihrer goldblonden Haare hervor, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatten. Oben angekommen stellte sie den schweren Eimer ab um einmal tief Luft zu holen. Niemand hätte in dem Hausmädchen in dem verwaschenen, mehrmals geflickten Kleid die Tochter General de Jarjayes erkannt, die noch vor einem Jahr als eine der schönsten, und bei den jungen Männern als eine der begehrtesten jungen Damen aller aristokratischen Familien gegolten hatte. Es war knappe neun Monate her, seit sie sich im letzten Jahr in einer bitterkalten Winternacht aus dem Palas de Jarjayes geschlichen hatte, niemandem Lebewohl sagend als ihrer jüngeren Schwester Oscar. Was jedoch niemand wusste, zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal sie selbst, war das sie bereits ein Kind unter ihrem Herzen trug, das Ergebnis ihrer heimlichen Treffen mit Frederic, stets dann wenn er aus Paris kam um seine Eltern zu besuchen und die von den Hausmädchen im Palas de Jarjayes, Marie und Paulette, tatkräftig unterstützt worden waren, in dem sie kleine Nachrichten zwischen Catherine und Frederic Gaspard hin und her schmuggelten und die zunächst im Schutz des Dickichts des nahe gelegenen Sees statt gefunden hatten, später, als das Wetter dann merklich kälter wurde, in der Scheune von Frederics Vater. Noch am nächsten Tag nach Catherines Verschwinden aus dem Palas de Jarjayes wurden sie und Frederic in einer kleinen Kirche in Paris getraut und so war aus der adligen Generalstochter die Schreinersgattin Catherine Gaspard geworden. Gemeinsam zogen sie in das Haus, in dessen Untergeschoss sich die Werkstatt von Frederics Onkel befand, die der kinderlose alte Herr sofort seinem Neffen überschrieb, um in die kleine Kammer umzuziehen in der bis jetzt Frederic geschlafen hatte und dem jungen Paar das große Schlafzimmer überließ. Anfangs war Catherine ihre Flucht an der Seite ihres geliebten Frederics abenteuerlich und romantisch erschienen, so wie in einem Liebesroman, in dem sie nun plötzlich die Heldin spielte. Die Romantik in der jungen Ehe verschwand allerdings recht schnell. Catherines Tagesablauf unterschied sich zu dem im Palas de Jarjayes so sehr wie sie es sich nicht einmal im Traum hätte vorstellen können. Vor Sonnenaufgang wurde aufgestanden, dann hieß es selbst mit einem schweren Eimer Wasser am Brunnen zu holen, Feuer zu machen und nach einem einfachen Frühstück das Haus zu versorgen, während Frederic und sein Onkel in der Werkstatt tätig waren. So versuchte Catherine alle anfallenden Arbeiten, vom Leeren der Nachttöpfe, über das Schrubben der Böden und dem Waschen und Bügeln der Wäsche, zu bewältigen, all das was von den Bediensteten ihres Vaters bis vor kurzem übernommen worden war und was sie als selbstverständlich betrachtet hatte. Am Anfang fühlte sie sich so überfordert, dass sie jeden Tag heulend auf der Treppe saß, weil die Wäsche nicht richtig sauber wurde, das Feuer nicht brennen wollte, Frederics Nachthemden vom Bügeleisen versengt wurden und die Mahlzeiten die sie versuchte zuzubereiten nicht genießbar waren, geschweige denn überhaupt etwas essbarem ähnelten. Von den Frauen und Mädchen in der Nachbarschaft war keine Hilfe zu erwarten. Sofort hatten diese Catherine als eine erkannt die nicht zu ihrer Schicht gehörte. Allein ihre Art zu sprechen, ihr Gang und ihr ganzes Gehabe, das aus ihrer Erziehung resultierte, entlarvten sie als einer anderen Klasse zugehörig und machten sie zur Außenseiterin. Letzten Endes schrieb der verzweifelte Frederic seiner Mutter, die äußerst widerwillig nach Paris fuhr, da ihre eigenen Pflichten zu hause nun unter Frederics jüngeren Schwestern aufgeteilt werden mussten, die aber selbst schon genug mit anpacken mussten, um der dummen, verwöhnten, aristokratischen Gans, wie sie ihre Schwiegertochter nannte, die ihr Sohn unbedingt ehelichen musste, in alle anfallenden Aufgaben einer Bürgerfrau einzuweisen. Mit Genugtuung erzählte sie auch Catherine, auf deren drängende Frage hin, dass sich ihre Familie nie nach ihrem Verbleib erkundigt hatte. Es wäre ein Leichtes gewesen Frederics Eltern nach ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter zu fragen, auch war seine Werkstatt in Paris nicht schwer zu finden. Doch niemand schien Interesse daran zu haben, zu erfahren wie es Catherine ergangen war. Es war als wäre sie aus der Familie de Jarjayes ausradiert, was Catherine das Herz vor Kummer zusammen drückte. Selbstverständlich fiel der Schwiegermutter irgendwann auf das beim Versorgen der Wäsche keine Monatsbinden von Catherine auftauchten, worauf diese zugab seit Ende des Herbstes nicht mehr unwohl gewesen zu sein. Sofort wurde eine der Pariser Hebammen aufgesucht, die nach eingehender Untersuchung bestätigte was Catherine bis dahin erfolgreich verdrängt hatte: das am Ende des Sommers wohl ein neuer kleiner Gaspard seine Nase ans Licht der Welt stecken würde. Catherine wusste nicht ob sie Lachen oder Weinen sollte. Allmählich kam ihr alles wie ein einziger Alptraum vor. Freude auf die bevorstehende Mutterschaft wollte keine in ihr aufkommen, anders als bei Frederic, der sich vor Begeisterung darüber Vater zu werden kaum fassen konnte und zur Feier des bevorstehenden Ereignisses eine der wie Schätze gehüteten Weinflaschen aus dem Keller holte, um auf das Wohl seines Nachwuchses anzustoßen. Am 25. August, während die große Sommerhitze über Paris lag, brachte Catherine, nach dem sie fast einen ganzen Tag lang in den Wehen gelegen hatte, ihren Sohn Louis Antoine zur Welt, Louis dem König zu Ehren und Antoine weil Frederics Onkel so hieß. Als der kleine Antoine Catherine in den Arm gelegt wurde waren alles Leid der letzten Monate vergessen und sie meinte noch nie einen anderen Menschen so sehr geliebt zu haben wie ihren Sohn. Noch ahnte niemand das der kleine Antoine einmal als der große Revolutionär Saint Juste in die Geschichte eingehen sollte. Das Glück hielt wiederum nicht lange an, da die Zeiten merklich schlechter wurden. Es kamen weniger Aufträge für Frederic und viele Kunden konnten ihre Bestellungen nicht bezahlen, ließen das Geld anschreiben und tauchten nie wieder auf. Bald reichte das Geld hinten und vorne nicht aus. Um so mehr freuten sie sich als der Graf de Meuron einige neue Schränke und Kommoden bei Frederic in Auftrag geben ließ, so wie ihn für diverse anstehenden Reparaturen in sein Haus bestellen ließ. Während seiner Arbeit wurde Frederic vom Hausverwalter des Grafen gefragt ob er eine zuverlässige Hilfe für den Haushalt wüsste, da eines der Dienstmädchen ausgefallen wäre. Sofort war ihm dabei seine Frau Catherine eingefallen. Hingegen seiner Annahme das Catherine über die Möglichkeit ein zusätzliches Einkommen zu erwerben begeistert sein würde, brach diese in Tränen aus. „Niemals werde ich im Haus des Grafen de Meuron als Dienstmagd arbeiten. Wo denkst du nur hin Frederic? Er kennt mich seid ich ein kleines Mädchen war. Wir sind einander bereits in Versailles und bei verschiedenen Gesellschaft in adligen Kreisen begegnet und nun soll ich bei ihm sauber machen? Davon einmal abgesehen das seine Tochter Julie de Meuron vom Alter her zwischen mir und Oscar steht und mich ebenfalls erkennen würde. Auch deren bester Freundin Louise de Girodelle, die bei ihr ein und aus geht, würde ich begegnen und du kannst dir nicht vorstellen wie sich diese über mich lustig machen würde, denn sie ist mit Abstand eines der gemeinsten Mädchen in unseren Kreisen. Ich müsste mich in Grund und Boden schämen und bald würde ganz Versailles wissen, das ich, Catherine de Jarjayes, ein Dienstmädchen geworden bin." Und damit steigerte sich ihr Weinen in ein hysterisches Heulen. Das war das erste Mal in ihrer Ehe das Frederic der Geduldsfaden riss. „Du bist aber nicht mehr Catherine de Jarjayes sondern Catherine Gaspard und das wusstest du als du mich geheiratet hast, ebenso das ich dir kein Palas mit Dienstboten wie zu hause anbieten kann! Also höre mit dem Gejammer auf und packe gefälligst mit an! Ich selbst stehe bis in die Nacht hinein in der Werkstatt um dir und Antoine ein gutes Leben zu ermöglichen. Trag jetzt du bitte das deine dazu bei!" Offensichtlich waren Frederics laute Worte bis in das Nachbarhaus gedrungen, da die Häuser in der Pariser Altstadt Wand an Wand gebaut waren, denn sofort rief eine der Nachbarinnen zu ihnen hinüber: „Jawohl Gaspard, lies deiner Alten endlich einmal ordentlich die Leviten und versohle ihr am besten gleich ihren faulen Hintern! Die denkt wohl sie wäre etwas besseres als unsereins, nur weil sie aus einer Adelsfamilie kommt. Höchste Zeit das die endlich lernt was Arbeit heißt." Frederics Mutter hatte es sich bei ihrem Besuch nicht nehmen lassen sämtliche Nachbarinnen davon in Kenntnis zu setzen das es sich bei ihrer Schwiegertochter um eine durchgebrannte Aristokratentochter handelte, was Catherines ohnehin schon schwacher Beliebtheit in der Nachbarschaft kaum zuträglich gewesen war. Sich in das Unausweichliche schickend biss Catherine die Zähne zusammen, unterdrückte tapfer ihr Weinen und antwortete schnippisch: „Na schön, so werde ich eben Dienstmädchen beim Graf de Meuron. Immerhin möchte ich nicht schuld daran sein das wir am Ende noch verhungern." Das war allerdings das letzte was sie an diesem Abend zu ihrem Mann sagte und im Bett kehrte sie ihm demonstrativ gekränkt den Rücken zu. Am nächsten Morgen trat sie ihren neuen Dienst an. Den kleinen Antoine durfte sie mitnehmen, meist trug sie ihn in einem Bündel vor ihrer Brust mit sich herum. Stets wenn sie aber ein Mitglied der Familie de Meuron kommen hörte verkroch sie sich in eine Nische oder huschte in eines der Nebenzimmer. Zu ihrem Glück legte de Meuron keinen Wert darauf seine Bediensteten persönlich kennen zu lernen, so wie es bei ihrem Vater im Palas de Jarjayes üblich gewesen war, sondern behandelte diese, bis auf die wenigen höher gestellten unter ihnen, wie Luft. All diese vergangen Ereignisse huschten Catherine durch die Gedanken, als sie ihren Eimer wieder aufnahm und eines der Zimmer betrat, dessen Fenster hinaus in den Hinterhof zeigten. Draußen hatte bereits die Dämmerung eingesetzt, denn nun Anfang September wurde es täglich etwas früher dunkel. Bei besagtem Zimmer handelte es sich um eines der vielen unbenutzten Gästezimmer, das aber ausgerechnet an diesem Tag dringend benötigt wurde. Eigentlich war Catherine gerade schon dabei gewesen sich auf den Heimweg zu machen, als das oberste Dienstmädchen sie bat doch noch zu bleiben und das Gästezimmer vorzubereiten, was an diesem Tag in der vielen Arbeit einfach untergegangen war. Gerade als Catherine beginnen wollte den Boden zu reinigen gab Antoine ein kurzes Quäcken von sich, mit dem er in der Regel ankündigte das er hungrig war. Schnell nahm ihn Catherine ab, setzte sich auf das Gästebett und öffnete ihr Kleid um ihn zu stillen. Kaum das Antoine begonnen hatte gierig zu saugen hörte sie Geräusche aus dem sonst so stillen Hinterhof zu ihr nach oben dringen. Es klang gerade so als würde ein Wagen vorfahren. Dabei konnte es sich nur um einen Lieferanten handeln, denn jene waren neben den Dienstboten die einzigen die durch den Hinterhof das Palas de Grafen de Meuron betraten, doch war es recht ungewöhnlich das zu so später Stunde noch etwas angeliefert wurde. Neugierig stand Catherine auf, den kleinen Antoine, der seine Mahlzeit noch nicht beendet hatte, weiter an ihre Brust gedrückt. Gerade sah sie noch wie das kleine Tor, das von einer der vielen Pariser Seitenstraßen in den Hinterhof des Palas des Grafen de Meuron führte, von einem unbekannten Mann geschlossen wurde. Mitten im Hof entdeckte sie eine kleine, einfache Kutsche, auf die der Unbekannte nun zuging um einem Fahrgast die Tür zu öffnen. Vermutlich könnte es sich auch um einen neuen Dienstboten handeln, der von weit her anreiste, wie Catherine überlegte, denn wenn es sich um einen höher gestellten Gast handelt würde, hätte die Kutsche vor dem Haupteingang gehalten und außerdem ein Wappen getragen. Immer neugieriger beugte sie sich weiter nach vorne, um nun endlich sehen zu können wer wohl aus dem Wagen steigen würde. Schließlich kam eine männliche Person, in dunkler, guter Kleidung mit einem breiten Hut auf dem Kopf, der sein Gesicht verdeckte, heraus. Misstrauisch sah sich der Mann um. Offensichtlich fühlte er sich, in diesem Fall tatsächlich nicht unberechtigt, beobachtet und blickte instinktiv nach oben. Erschrocken wich Catherine schnell zurück, doch sie meinte in dem Mann den Herzog La Vauguyon erkannt zu haben, den Hauslehrer des Dauphins. Doch sie musste sich irren. Weshalb sollte der Herzog in einer schäbigen Kutsche im Hinterhof des Grafen de Meuron halten? Sie spürte das es besser wäre ihre restliche Arbeit zu verrichten und schnell nach hause zu gehen, doch die Neugier trieb sie erneut ans Fenster. Der Mann, in dem sie den Herzog La Vauguyon zu erkennen geglaubt hatte, klopfte gegen die Türe, die vom Hinterhof in den Keller führte. Diese öffnete sich einen kleinen Spalt so das der Herzog La Vauguyon und der Kutscher hinein huschen konnten. Catherine wusste nun das hier Irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging. Bald darauf öffnete sich das kleine Tor erneut, um die nächste Kutsche ein zu lassen, aus der ebenfalls ein einfach gekleideter Herr stieg, der jedoch von vornehmer Herkunft sein musste. Das erkannte Catherine allein schon an seinem Verhalten und seinem Gang, so wie sie von den Menschen in ihrer Nachbarschaft ebenfalls sofort als Adlige erkannt worden war. Er gab sich weniger Mühe sein Gesicht zu verbergen als der erste Herr und Catherine konnte in ihm sofort den Marquise de Levigne erkennen, dem sie früher ebenfalls öfters in Versailles begegnet war. Auch er klopfte wie sein Vorgänger gegen die Kellertüre, um sofort dahinter zu verschwinden, allerdings drehte dessen Kutsche sofort um und verließ den Hof, anstatt wie die des Herzogs dort stehen zu bleiben. Gebannt blieb Catherine am Fenster hängen und beobachtete wie sich nach und nach der Hof mit Personen füllte, die alle im Keller verschwanden. Alle waren sie ausnahmslos mit wappenlosen Kutschen gekommen, vermutlich alles Mietdroschken, die sofort wieder durch das kleine Tor abfuhren, kaum das ihre Insassen ausgestiegen waren. Die meisten zeigten sich so klug ihre Gesichter bedeckt zu halten, sei es unter großen Hüten oder Kapuzen. Jedenfalls war niemand mehr dabei den Catherine ohne weiteres hätte identifizieren können. Einzig allein bei einer Dame, die sich einen dunklen Kapuzenmantel tief in ihr Gesicht gezogen hatte unter dem eine rotblonde Haarsträhne hervorlugte, hätte sie hoch und heilig schwören können diese Frau schon ewig zu kennen, obwohl deren Gesicht verborgen blieb. Als die letzte Person durch die Kellertüre verschwunden war, trat der Graf de Meuron selbst aus dem Keller heraus, verschloss die Hoftüre mit einem Riegel, um wieder hinter der Kellertüre zu verschwinden. Catherine verharrte noch einige Zeit gebannt am Fenster, während es draußen stockfinstere Nacht geworden war. Erst Antoine, der sich satt getrunken hatte und auf sich aufmerksam machte holte sie in die Gegenwart zurück. „Es wird wohl im Keller des Grafen de Meuron illegales Glücksspiel abgehalten werden oder sie werden geschmuggelte Ware aus dem Ausland, die einer auf seinen Geschäftsreisen durch den Zoll gebracht hat, billig verkaufen,“ dachte Catherine bei sich. Darauf das es sich um weit aus gefährlichere Machenschaften handelte kam sie keine Sekunde. Im Kellergewölbe des Grafen de Meuron waren einige Kerzen aufgestellt, um den engen Raum zu erhellen, der sonst im Dunklen gelegen hätte. Einige der Personen hatten auf einem der wenigen Stühlen Platz genommen, der Rest stand gegen eines der Fässer oder die Wand gelehnt. Aus der kleinen Verschwörergemeinschaft, zu der am Anfang vier Personen gehört hatten, die inzwischen verstorbene Mutter des Dauphins inbegriffen, war mittlerweile auf einen Kreis von fünfzehn Leuten angewachsen. Denn Vorsitz der Gruppe führte offensichtlich der Herzog La Vauguyon. Ihm war es äußerst unrecht das die Gruppe so viele Mitgliedern gewonnen hatte, denn um ein Geheimnis bewahren zu können waren es bereits zu viele. Er trat nach vorne und sofort blickten alle gebannt zu ihm. „Hiermit erkläre ich unsere Versammlung als eröffnet. Während der letzten Wochen war ich nicht untätig und habe einiges in die Wege geleitet.So konnte ich einen fähigen Mann anheuern, der uns helfen wird das Attentat an der „l autre chien“ zu vollbringen. (Anmerkung: das französische Wort für Österreicherin: „l autrichienne“ wurde von den Gegnern Marie Antoinettes wie „l autre chienne“, was ungefähr so viel wie „die andere Hündin“ bedeutet ausgesprochen.“) Er ist heute hier, um uns den bisherigen Plan für unser Vorhaben vorzustellen: Nicolas de la Motte, ein ehemaliges Mitglied des königlichen Garderegiments.“ Der Mann, der dem Herzog als Kutscher gedient hatte trat nun ebenfalls nach vorne und verbeugte sich. Dabei zog er seinen Hut und wer ihm in sein Gesicht sah konnte erkennen das seine Augen heimtückisch und verschlagen leuchteten. Sofort meldete sich der Marquise de Levigne zu Wort. „Ich kenne diesen de la Motte. War er nicht das einzige Kind des alten Grafen de la Motte? Das gesamte Vermögen seines Vaters hat er verspielt, versoffen und verhurt. Letzten Endes ist er wegen Verleumdung und Diebstahl aus dem königlichen Garderegiment unehrenhaft entlassen worden. Er ist nichts weiter als ein krimineller Tunichtgut, der für Geld alles machen würde." „Er ist ganz genau eben das was wir suchen," antwortete der Graf de Meuron. Die anderen im Raum nickten zustimmend. Bei einem Mordkomplott auf ein Mitglied der königlichen Familie war nun einmal nur ein kriminelles Individuum bereit mitzuhelfen. De la Motte meldete sich nun unvermittelt zu Wort: „Meine Vergangenheit braucht niemanden zu interessieren. Ihr habt einen Auftrag für mich und ich werde ihn erfüllen. Was ich dazu brauche sind genügend andere Männer und um diese an zu heuern brauche ich wiederum genügend Geld." La Vauguyon winkte ab. „Daran soll es nicht scheitern. Nenn uns den Betrag den du benötigst. „Neben den 5000 Livre für mich, die wir bereits miteinander vereinbart haben, noch einmal 10 000 weitere Livre, um meine Mithelfer gewinnen zu können.“ „15 000 Livre ist eine unverschämte Forderung," brauste de Levigne auf. „Dann sucht euch jemand anderen. Ich habe meinen Preis genannt und von dem werde ich nicht abweichen." Sofort setzte sich de la Motte in Bewegung und begann auf die Türe zuzugehen. „Wartet," rief La Vauguyon. „Wir werden die Summe aufbringen. Jeder von uns wird einen Teil dazu beisteuern." „So viel Geld habe ich nicht," rief der Graf de Meuron empört. „Meine Tochter Julie ist im heiratsfähigen Alter und muss aus gesteuert werden und meine Geschäfte liefen in letzter Zeit ausgesprochen schlecht!" Einige der Anwesenden murmelten und nickten zustimmend. Wütend schlug La Vauguyon auf eines der Fässer. „Ruhe! Das Geld wird durch fünfzehn geteilt und jeder von euch wird 1000 Livre dazu beisteuern. Wir sitzen alle im selben Boot und jeder hält sich daran was in unseren Versammlungen vereinbart wird. Wer dies nicht tut der lebt nicht mehr lange, merkt Euch das! Also seht zu das ihr bis zum nächsten Treffen den Betrag beisammen habt, ansonsten erwartet euch, wenn ihr das nächste Mal euer Haus verlasst, einer meiner Bekannten, der ähnlich skrupellos wie de la Motte sein wird und euch für eine weit aus geringere Summe ins Jenseits befördert. Hat mich jeder verstanden?“ Verschreckt nickten die Angesprochenen zur Zustimmung. Mit La Vauguyon war nicht zu spaßen und jeder der ihn kannte wusste das er seine Drohungen in die Tat umsetzen würde. „Hervorragend,“ sagte La Vauguyon als er zu seiner Zufriedenheit alle genügend eingeschüchtert hatte. „Und nun wird uns de la Motte seinen wunderbaren Plan vorstellen, den er und ich miteinander erarbeitet haben. De la Motte, beginnt mit Euren Ausführungen!“ Und Nicolas de la Motte begann: „Als ehemaliges Mitglied des Garderegiments weiß ich glücklicherweise wie die Truppe vorgehen wird, denn ich kenne noch alle ihre Taktiken. Es wird nicht leicht sein an die Dauphine auf ihrer Reise von Österreich nach Frankreich heran zu kommen, da sie ihre Kutsche mit möglichst vielen Soldaten umstellen werden. Auch wenn die Reiseroute geheim ist wird so ein riesiger Zug für Aufsehen sorgen und selbstverständlich werden etliche Bauern und Bürgersleute kommen um zu gaffen und zu winken. Unsere Leute mischen sich unter sie und zwar mit Pistolen, die sie in ihrer Kleidung verstecken. Dabei wird peinlich genau darauf geachtet werden das unsere Helfer absolut neutral wirken, denn so wie ich das königliche Garderegiment kenne wird die Gegend von einer Vorhut eingehend nach verdächtigen Personen und Gegenständen überprüft werden. Einige von uns werden auf Pferden, in der Kleidung reicherer Bürgersleute getarnt, ebenfalls an der Straße stehen, während der Zug der Dauphine vorbeikommt. Auf Kommando gehen wir mit unseren Pferden auf die kleineren Wägen los, so das wir den Anschein erwecken als wären wir nur Diebe und hinter dem Schmuck des Hofstaates her. Dies vollziehen wir aber an mehreren Stellen des Zuges. Die als Bauern verkleideten Helfer überfallen nach und nach ebenfalls einige der Wägen. Natürlich werden etliche Soldaten die dem Schutz der zukünftigen Dauphine dienen zur Hilfe eilen. So werden aber nach und nach Wachen rund um die Kutsche der „l autre chienne“ weg fallen. Zwischenzeitlich werden einige meiner Leute etwas abseits der Weges Sprengsätze zünden, was für weitere Verwirrungen sorgen und Soldaten des Garderegiments zu den verschiedenen Stellen der Explosionen rufen wird, was sie natürlich ebenfalls davon abhält in der Nähe der Dauphine zu bleiben. Es wird also, wenn man es so ausdrücken will, plötzlich richtig die Hölle los sein. Zu guter Letzt greifen wir die Wägen vor und nach der Kutsche der „l autre chienne“ an. So haben wir die kaiserliche Kutsche eingekeilt und vom Rest abgedrängt. Der Kutscher der einer unserer Leute sein wird, fährt nun vom Wege ab und mit ihr auf und davon. Als letztes bleibt nur noch der „l autre chienne“ und den Insassen in ihrer Kutsche die Kehlen durch zuschneiden." „Und dies soll gelingen?" fragte entgeistert einer der Anwesenden und sprach so mit aus was alle dachten. De la Motte lachte dröhnend. „Wer nicht wagt gewinnt nicht!" „Und woher wollt Ihr die Leute nehmen die Kopf und Kragen riskieren?" mischte sich de Meuron ein. „Paris ist voll mit Galgenvögeln die für ein bisschen Geld alles tun würden. Überlasst das nur mir,“ antwortete de De la Motte. „Und wer soll die „l autre chienne“ letzten Endes ins Paradies schicken? Werdet Ihr selbst das übernehmen oder der von Euch angeheuerte Kutscher?" „Es wird ein kleiner Page in der Kutsche sitzen, der sich gerade jetzt in diesem Augenblick auf dem Weg nach Wien befindet. Da er eine deutsche Mutter hat spricht er diese Sprache akzentfrei und als Sohn eines französischen Vaters hat er dessen Staatsbürgerschaft und eignet sich somit hervorragend dazu mit der „l autre chienne“ nach Frankreich zu reisen. Er wurde von unserem geschätzten Herzog La Vauguyon, dem österreichischen Botschafter Fürst Starhemberg, der gerade am französischen Hof weilt, wärmstens für diese Aufgabe empfohlen und mit allerlei Empfehlungsschreiben versehen. Er hat bereits König Louis den XV für sich eingenommen und er wird es verstehen das Herz der „l autre chienne“ zu erobern und vor allem deren Mutter von sich zu überzeugen. Wenn die Kutsche erfolgreich abgedrängt ist wird er der Dauphine den Gar aus machen. Ich werde vor Ort und Stelle warten, ihn nach dem er sein Werk vollbracht hat schnell aus der Kutsche ziehen, vor mir auf mein Pferd setzen und mit ihm davon galoppieren." „Und woher habt Ihr dieses Prachtexemplar von einem Knaben?" „Es handelt sich dabei um meinen Sohn, Nicolas de la Motte den Jüngeren, von mir selbst ausgebildet und instruiert. Er versteht es hervorragend anderen Menschen den charaktervollen, liebenswerten jungen Mann vor zu gaukeln, auf das in kürzester Zeit alle von ihm eingenommen sind und auf der anderen Seite habe ich ihn gelehrt skrupellos vorzugehen und wenn es sein muss auch zu töten.“ „Ihr seid des Wahnsinn de la Motte! Wie soll so ein irrwitziger Plan den funktionieren? Kein Wunder Ihr seid aus dem königlichen Garderegiment geflogen!“ rief de Levigne. „Pass auf Bürschchen," de la Motte kam gefährlich näher. „Ruhe! Meine Herren, ich darf doch sehr bitten!" La Vauguyon schritt dazwischen. „Die verrücktesten Pläne haben sich bis jetzt als die besten erwiesen. Wir werden es so machen wie de la Motte es uns gerade erläutert hat. Oder hat jemand einen besseren Vorschlag?“ Niemand meldete sich zu Wort doch de Meuron wandte ein: „Die Sache klingt so bizarr das sie schon wieder als genial gelten kann. Ich bin dafür es zu versuchen.“ „Wohl gesprochen,“ pflichtete ihm La Vauguyon bei. „Um unser Ziel jedoch verwirklichen zu können brauchen wir nur noch die Reiseroute der „l autre chienne“, die uns inzwischen unsere geschätzte Comtesse de Fortune beschafft hat," damit wandte er sich mit gespielter Zuvorkommenheit an Veronique. Diese war blass geworden. „Verzeiht mir Monsieurs und Madames wenn ich Euch mitteilen muss das die Reiseroute noch nicht vorliegt." „Wie kann das sein?" schäumte La Vauguyon auf. „Ihr trefft Euch doch noch mit de Ronsard. Wie konnte es passieren das Ihr noch nicht an die Unterlagen gekommen seid?" „Ich treffe mich zwar noch mit de Ronsard, aber es war mir bis jetzt unmöglich an die Reiseroute zu gelangen. Ein paar mal haben wir uns heimlich in seinem Büro in der Offiziersakademie getroffen, damit seine Gattin nichts von unseren Treffen mit bekommt. Doch nach dem er eingeschlafen war, da ich ihm wie vereinbart ein Schlafpulver in den Wein gemischt habe, fand dort ich nur wertloses Papier. In seinem Arbeitszimmer in seinem Hause konnte ich noch nicht nach sehen, denn dort können wir uns nur treffen wenn seine Gattin gerade aus ist." „Ich warne Euch, macht keine Spielchen mit uns. Es ist ein leichtes einer Person die Kehle durchschneiden zu lassen und niemals wird heraus kommen wer dafür verantwortlich ist." Dies stimmte nur all zu gut. Paris wimmelte nur so von Mordfällen die niemals aufgeklärt wurden. „Hört zu, vereinbart schleunigst ein Treffen in de Ronsards Hause. Sorgt dafür das es möglichst spät ist und die Dienerschaft bereits schläft und denkt auch weiterhin an das Schlafpulver. So könnt ihr ungestört sein Arbeitszimmer durch suchen. Ich warne Euch Comtesse de Fortune, wenn Ihr nicht endlich die Reiseroute bringt hat Euer letztes Stündlein geschlagen.“ Ängstlich zitternd nickte Veronique. Zum wiederholten Male in den letzten Wochen fragte sie sich wie sie je wieder aus dieser Sache heraus kommen sollte. Als sie später den Keller verließen schüttete es draußen in Strömen. Veronique zog sich erneut ihren Kapuzenmantel über ihr Haar. Schweigend öffnete der Graf de Meuron den Riegel des kleinen Tores und ließ seine Gäste hinaus, die jeder in eine andere Richtung des Pariser Straßennetzes davon liefen. Auch Veronique ging so schnell sie konnte durch die engen Gassen. Das Wasser lief ihr über den Mantel, der bald völlig durchnässt war. In die erste Mietdroschke die sie am Straßenrand entdeckte stieg sie ein und wies den Kutscher an, sie in das Palas ihres Mannes zu bringen. Erschöpft zog sie ihre Kapuze vom Kopf und ließ sich in die Polster der Kutsche sinken. Dann öffnete sie die Vorhänge der Kutsche ein Stück und sah in den strömenden Regen hinaus. Das gleichmäßige Plätschern der Wassermassen beruhigte sie langsam und sie fühlte sich von einer seltenen Stille umfangen. Ruhig faltete sie die Hände und begann für sich zu beten: „Lieber Gott, ich bitte dich steh mir bei und lass mich endlich diese verdammte Reiseroute finden, bevor sie mich noch wirklich umbringen lassen, denn ich möchte noch nicht und keinesfalls auf diese Weise mein Leben lassen. Und bitte sorge dafür das der verschwundene Brief des Herzogs La Vauguyon an mich nicht in falsche Hände geraten ist und niemand je davon erfährt das ich in ein Mordkomplott auf unsere zukünftige Dauphine verstrickt bin. Bitte lass mich aus dieser Sache heil heraus kommen und ich verspreche dir mich nie wieder auf solch eine Intrige einzulassen, niemals wieder meinen Gemahl zu betrügen und mich, wenn dies alles durchgestanden ist, so viel wie irgend möglich meinem Sohn Maurice zu widmen. Amen.“ Dabei rollten ihr leise Tränen der Angst und der Verzweiflung über die Wangen, während die Kutsche durch den Regen rollte. So schüttete es die ganze Nacht hindurch, bis in den Morgen hinein, um dann endlich in ein Nieseln überzugehen. Missmutig stand Oscar am nächsten Morgen am Fenster und sah in den Nieselregen hinaus. Bis vor kurzem hatte sie sich noch darauf gefreut das die Sommerpause zu Ende war und das neue Semester auf der Offiziersakademie beginnen würde, aber das nasskalte Herbstwetter, das ausgerechnet an diesem Tag hereingebrochen war, vergällte ihr alles. Selbst Sophies heiße Schokolade konnte sie nicht aufmuntern. Glücklicherweise frühstückte sie an diesem Tag nur mit ihrem Neffen Maurice, da ihre Mutter noch schlief und ihr Vater, wie so oft in letzter Zeit bei Verhandlungen in Versailles weilte. Und Maurice der seine Tante allzu gut kannte hielt sich dabei zurück auch nur einen Mucks von sich zu geben, so das während ihres Frühstücks tiefstes Schweigen herrschte. Bald darauf stand sie in ihrer Kadettenuniform, über die sie ein Regencape gezogen hatte, unter der überdachten Türe im Hof und wartete darauf das Andre ihre gesattelte Stute bringen würde. Aufmunternd wandte sich Sophie an sie, der Oscars finstere Stimmung ebenfalls nicht entgangen war. „Nun, strengt Euch weiter an Lady Oscar und ich bin sicher das Ihr es schaffen werdet genau wie im ersten Semester uns alle und natürlich ganz besonders Euren Vater stolz auf Euch zu machen.“ Natürlich wollte Oscar an diesem Morgen offensichtlich nichts als ihre Ruhe, doch Sophie fand das eine kleine Ansprache zum Beginn des neuen Semesters dazu gehörte. „Sicher freut Ihr Euch darauf Eure Kameraden wieder zu sehen," meinte sie noch abschließend. Wie ein Sonnenstrahl huschte es über Oscars Gesicht. Endlich würde sie Henry wieder sehen! Wie wunderbar! Kaum hatte ihr Andre ihre Stute gebracht, zog sie sich die Kapuze ihres Regencapes über den Kopf, nahm ihm die Zügel aus der Hand, saß mit neuem Schwung auf, hob kurz die rechte Hand zu einem Lebewohl für Andre und Sophie und ritt weit aus fröhlicher los, als sie es vor einer halben Stunde noch für möglich gehalten hatte. Dafür hatte sich nun Andres Miene verfinstert. „Sie braucht nur an ihre neuen Kameraden zu denken, besonders an diesen Henry, und schon bin ich unwichtig. Kaum das sie sich richtig von mir verabschiedet hat,“ sagte er zu sich selbst. Dann drehte er sich um und kehrte an seine Arbeit in den Stall zurück. Als Oscar ihr Pferd einem der Stallknechte der Offiziersakademie übergeben hatte kamen ihr bereits Olivier und Patrice entgegen. „Wie schön dich zu sehen de Jarjayes" riefen sie fröhlich und schlugen Oscar kameradschaftlich auf die Schulter. „Ich freue mich auch euch beide wieder zu sehen nach den langen Ferien. Habt ihr Henry bereits irgendwo entdeckt?" fragte Oscar und versuchte dabei so gleichgültig wie möglich zu klingen. „Nein, sicher wird er wie üblich ein wenig zu spät kommen. Du weißt doch das Pünktlichkeit nicht zu seinen Stärken gehört," antwortete ihr Olivier lachend. „Ja, da hast du recht. Sicher wird er es wie üblich, kurz bevor die erste Stunde beginnt, noch in letzter Sekunde in den Unterrichtsraum schaffen,“ antwortete Oscar und versuchte sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Sie hatte so sehr darauf hin gefiebert das ihr Henry am ersten Tag sofort entgegen kommen würde. Doch dann beruhigte sich sich das noch genügend Zeit vor Unterrichtsbeginn war und Henry sicher noch ankommen würde, mit seiner üblichen Verspätung, wie Olivier höchstwahrscheinlich richtig vermutete. Allmählich begaben sich die Kadetten, nachdem sie sich nach den Ferien alle überschwänglich begrüßt und Neuigkeiten ausgetauscht hatten, auf den Weg in ihre Unterrichtsräume. Auch Oscar schritt an der Seite von Patrice und Olivier zügig über den langen Gang der Akademie, um noch rechtzeitig vor Unterrichtsbeginn da zu sein, da auch sie viel zu viel Zeit mit ihrem Gerede vergeudet hatten. Doch plötzlich schob sich von hinten etwas zwischen ihre Beine. Überrascht verlor Oscar das Gleichgewicht und schlug der Länge nach hin. Die jungen Männer um sie herum auf dem Gang begannen lauthals zu grölen. Sofort hielten ihr Patrice und Olivier jeder eine Hand hin und halfen ihr beim Aufstehen. „Haut dich die Aussicht auf das kommende Semester gleich um?" fragte Patrice. „Jemand hat mir ein Bein gestellt, "antwortete Oscar, nicht im mindesten darum bemüht die Wut in ihrer Stimme zu unterdrücken. Zornig drehte sie sich um, damit sie den Übeltäter zur Rede stellen konnte. Ihre Augen schienen Blitze zu schleudern und ihre Wangen waren vor Scham und Wut rot angelaufen. Dabei entdeckte sie vor sich ein altbekanntes Gesicht, mit grau-blauen Augen unter einem wohl frisiertem, braunem Lockenschopf. „Guten Morgen Mademoiselle," rief ihr Victore de Girodelle, der in einer Kadettenuniform vor ihr stand, hämisch grinsend zu. „Ich hoffe für Euch das Ihr endlich richtig schwimmen gelernt habt, dann das Gehen beherrscht Ihr offensichtlich immer noch nicht." Eine furchtbare Ahnung stieg in Oscar auf das ihr zweites Semester nicht so reibungslos verlaufen würde wie das Letzte. Kapitel 11: Liebeskummer, ein romantisches Treffen und fast eine Rauferei ------------------------------------------------------------------------- Offiziersakademie bei Paris, September 1769 Neben Victore, ebenfalls in einer Kadettenuniform, stand Clement de Ligniville, der junge Mann der einst Oscars Schwester Catherine hätte heiraten sollen, der in gleicher Weise hämisch grinste. Oscar meinte ihren Augen nicht zu trauen. Wütend ballte sie die Fäuste. „Du warst es der mir ein Bein gestellt hat Girodelle," fauchte sie außer sich. „Aber, aber, Mademoiselle wird doch nicht zornig werden und falsche Anschuldigungen stellen? Ich als Kavalier könnte niemals einem Mädchen gegenüber so dreist sein. Euch ist wohl eher etwas schwindlig geworden. Soll ich denn nach Eurem Riechsalz schicken lassen?" und damit brachen er und Clement in ein derart heftiges Gelächter aus, dass sie sich vor Lachen bogen. „Lasst Oscar zu Frieden! Er ist unser Freund. Was fällt Euch ein ihn Mademoiselle zu nennen? Er ist einer unserer besten Kadetten.“ Wütend stand Patrice seinem Freund bei, denn noch nie war Oscar, der als allseits beliebt galt, angegriffen worden. Auch Olivier war sofort an Oscars Seite. „Wenn Ihr Euch mit Oscar anlegt, dann bekommt Ihr es auch mit uns zu tun. Habt Ihr mich verstanden?“ „Immer mit der Ruhe! Wer wird denn gleich die Nerven verlieren?“ Clement machte mit den Händen eine beschwichtigende Geste, während Victore Oscar und ihre Freunde mit tiefster Verachtung in den Augen musterte. Clement versetzte Victore einen leichten Stoß mit dem Ellbogen und nickte in die entgegengesetzte Richtung, worauf sich die beiden mit einem letzten verächtlichen Blick umdrehten, um ohne ein weiteres Wort gemeinsam davon zu gehen. Außer sich vor Wut sahen Oscar, Olivier und Patrice ihnen nach. Ihnen hinter her zu gehen machte wenig Sinn, denn dann wäre es sicherlich zu einer Schlägerei gekommen, was auf der Akademie, insbesondere für denjenigen der den ersten Schlag ausgeführt hatte, empfindliche Folgen haben konnte. „Kennst du die beiden Knaben?“ fragte Olivier, während sie sich in Richtung der Unterrichtsräume in Bewegung setzten, denn es war höchste Zeit um nicht zu spät zu kommen, was im Regelfalle auf der Akademie ebenfalls mit einer empfindlichen Strafe geahndet wurde. Er war noch immer, genau so wie Patrice, empört darüber, dass jemand derartig mit Oscar umgehen konnte. „Ja, so ist es. Victore de Girodelle, der junge Mann mit den braunen Locken, ist der Sohn des Generals de Girodelle, der ein alter Freund meines Vaters und mein Taufpate ist, während mein Vater wiederum als Victors Pate fungierte. Wir sind schon als Kinder ständig aneinander geraten. Einmal bin ich sogar bei einer Rangelei mit ihm in den Fluss gestürzt und dabei beinahe ertrunken. Der Name des anderen lautet Clement de Ligniville. Er hätte vor Jahren meine Schwester Catherine heiraten sollen, aber mein Vater war mit einigen Klauseln im Ehevertrag nicht einverstanden.“ Ein Lächeln huschte über Oscars Lippen als sie an den denkwürdigen Nachmittag dachte, als die de Lignivilles bei ihnen zum Tee eingeladen waren, und Andre, der damals noch recht neu bei ihnen gewesen war, das Teetablett fallen ließ und so mit eine Katastrophe auslöste. Während ihres Gespräches waren sie vor ihrem Unterrichtsraum angekommen, vor dem bereits Emilian auf sie wartete, der seine Freunde begeistert begrüßte. Als Olivier die Türe des Unterrichtsraumes öffnete, um sie ihnen aufzuhalten, huschte ein hoffnungsvoller Gedanke durch Oscars Kopf: „Vielleicht wartet Henry bereits auf uns. Wieso sollte er auch nicht etwas früher angereist sein und bereits im Unterrichtsraum sitzen?“ Doch vergeblich blickte sie sich um. Es war kein Henry weit und breit zu sehen. Ein Henry der durch Überpünktlichkeit glänzte wäre auch kaum vorstellbar gewesen. Dafür hatten Victore und Clement jeder an einem der Schreibpulte platz genommen. Sie sahen sich betont auffällig nach der Gruppe um Oscar um und tauschten demonstrativ gehässige Blicke miteinander aus. Oscar, Olivier, Emilian und Patrice schafften es gerade noch ihre Plätze einzunehmen, ehe General de Ronsard den Raum betrat. Augenblicklich standen die Kadetten stramm und salutierten. De Ronsard salutierte zurück bevor er mit einer kurzen Ansprache begann: „Ich begrüße Euch zurück auf der Offiziersakademie zum Beginn Eures zweiten Semesters. Wie Ihr bereits bemerkt haben werdet haben wir zwei neue Kadetten. Ihre Namen lauten Clement de Ligniville und Victore de Girodelle. De Girodelle hat zu hause von seinem Vater, der ein hervorragender General ist, bereits eine Menge aus der Kriegskunst erlernt, so das er das erste Semester überspringen kann. De Ligniville hat bereits das erste Semester abgeschlossen, musste aber aus gesundheitlichen Gründen einige Zeit pausieren. Leider wird Henry de Mortemart für das Erste nicht bei uns sein. Sein Vater in Marseille ist schwer erkrankt." Oscar spürte beinahe körperlich wie sie etwas regelrecht nach unten zog. Was war nur die Akademie ohne Henry, auf den sie sich den ganzen Sommer über gefreut hatte? Dafür saßen nun die beiden Jungen mit ihr in einem Semester, die zu den wenigen Menschen, wenn nicht gar zu den einzigen, auf der Welt gehörten die ihr nicht wohl gesonnen waren. So hatte sie sich den Beginn des neuen Jahres nicht vorgestellt. Das ihr Victore ein Bein gestellt hatte, war sicher erst der Anfang. Was würden sich die beiden wohl noch alles einfallen lassen? Auf einmal wünschte sie sich möglichst weit weg, vielleicht zurück in die Normandie, oder noch besser in eines der vielen fernen Länder die es auf dem Globus gab, aber in genügend Entfernung von allem um sie herum. Glücklicherweise verging der restliche Tag ohne weitere Zwischenfälle, außer das Victore und Clement immer wieder provokativ zu ihr hinüber grinsten. Mit Angst und einem tiefen Unbehagen in sich machte Oscar sich am ersten Abend des neuen Semesters auf den Heimweg. Paris, September 1769 Wesentlich wohler fühlte sich während dessen Oscars Schwager, Maxime Leclerc de la Tour. Er ließ sich gerade behaglich am Schreibtisch des Grafen de Soisson nieder. Dieser war ein neuer Geschäftspartner von ihm. Maxime wusste wie sehr es de Soisson zu wider war, mit ihm als Bürgerlichem mit einem gekauften Adelstitel zu verhandeln. Am liebsten wäre es den verfluchten Aristokraten selbstverständlich nur mit ihresgleichen Geschäfte zu tätigen, aber mit so einflussreichen Geschäftsleuten wie ihm, blieb ihnen der Umgang eben nicht erspart, wenn sie selbst weiterkommen und ihr Vermögen vermehren wollten. Er, Maxime, war eben reicher und angesehener als die meisten Grafen und Barone von Geblüt. Auch die Ehe mit seiner adligen Gattin Marguerite und die guten Beziehungen seines Schwiegervaters General de Jarjayes waren ihm stets eine wertvolle Unterstützung dabei gewesen, Geschäftspartner in den „besseren“ Kreisen zu gewinnen und somit seinen Wohlstand stetig zu vergrößern. Genüsslich ließ er sich in seinem Sessel zurück sinken. Er kostete die Situation voll und ganz aus, dass der Grafen de Soisson zutiefst abgeneigt war mit ihm an einem Tisch zu sitzen und ihn wie seinesgleichen behandeln zu müssen, was dieser mehr schlecht als recht verbergen konnte. Die geschäftlichen Papiere lagen bereits vor den beiden Männern, doch noch unterhielt man sich betont höflich über den privaten Bereich. „Wie geht es Euren Kindern, Graf de Soisson? Waren es nicht zwei wenn ich mich recht erinnere?" Gespielt angestrengt dachte er nach, dabei waren ihm die Bälger seines Gegenübers leidlich egal, aber Interesse am Nachwuchs schaffte eben meist eine vertrauliche Atmosphäre und die brauchte er jetzt. „Ja wohl, zwei sind es," bestätigte der Graf. „Ein Knabe und ein Mädchen, Alain und Diane. Und wie ist es um Euren Nachwuchs bestellt?“ „Ich habe mittlerweile drei Kinder: Jules, Jocelyn und im Sommer ist noch die kleine Emilie geboren, benannt nach der Mutter meiner Frau.“ Abrupt stockte die Unterhaltung, mehr private Themen ließen sich offensichtlich nicht mehr finden die es zu erörtern galt. Nach einigen Sekunden peinlichem Schweigen leitete der Graf de Soisson nun endlich zum geschäftlichen Teil über. „So, de la Tour, Ihr möchtet also Euer Haus in La Rochelle verkaufen?“ „So ist es. Im Vertrauen gesagt steht es mit meinem Weinhandel gerade nicht zum Besten. Daher muss ich mich schweren Herzens von manchem trennen.“ De Soisson rieb sich heimlich die Hände. Das geschah dem Kerl schon recht! Ein Bürgerlicher, der es wagte sich zu benehmen und aufzutreten wie ein Adliger, nur weil er über genügend Geld verfügte und mit der Tochter General de Jarjayes verheiratet war, und sich sogar Zeiten weise benahm als ob ihm die Welt gehören würde, durfte einfach nicht sein. Das war gegen die gottgegebene Ordnung. Es würde ihm einen gehörigen Dämpfer versetzen wenn er nun endlich in einem finanziellen Engpass steckte. De Soisson bemühte sich darum ein hämisches Grinsen zu verbergen. „Es würde sich aber nicht nur um das Haus in La Rochelle handeln,“ fuhr Maxime fort. „Auch drei meiner Schiffe, die „Undine“, die „Saint Marie“ und die „Marguerite“, die in La Rochelle vor Anker liegen mit ihrer gesamten Besatzung gehören zu meinem Angebot, das ich Euch hiermit unterbreite. Ich kann die Kapitäne und die Mannschaften nicht mehr bezahlen, denn Ihr wisst selbst wie kostspielig es ist eine Familie standesgemäß zu unterhalten.“ „So ist es. Man soll sich auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Es hat sich schon manch einer finanziell zu viel zugemutet.“ „Da habt Ihr vollkommen recht. Doch nicht nur mein Haus und Schiffe biete ich Euch an. Bis jetzt nenne ich auch einen Landbesitz in Kalifornien, genau genommen in Santa Cruz, mein Eigen, zu dem ein großes Weingut gehört, das eine Weinsorte aus der neuen Welt, die hier zu Lande noch gar nicht bekannt ist liefert. Verehrter Graf ich biete Euch all das für die Summer von 8 Millionen Livre.“ „8 Millionen Livre? Wollt Ihr mich ruinieren?“ „Nun, die Schiffe würden natürlich für Euch arbeiten. Auch die Weinberge in Santa Cruz stellen eine kleine Goldgrube dar. Meine Schiffe transportieren den Wein von Amerika bis nach Großbritanien und Italien. All das bringt eine Menge Geld ein, denn Wein aus Amerika wir in den nächsten Jahren immer begehrter in Europa werden, da es sich dabei um etwas Neues handelt. Aber man braucht natürlich einen gewissen finanziellen Grundstock um die Schiffe und das Weingut zu unterhalten, über den ich, ganz im Vertrauen gesagt, nicht mehr verfüge. Es wäre mir lieb wenn mein Eigentum, nachdem ich selbst nicht mehr dafür aufkommen kann, was mich zutiefst schmerzt, in Eure tüchtigen und erfahrenen Hände fallen würde. Selbstverständlich bitte ich Euch darum über meine finanzielle Misere Stillschweigen zu bewahren. Ich möchte nicht das ganz Paris davon erfährt.“ „Das ist verständlich und Ihr könnt Euch voll und ganz darauf verlassen das Euer Geheimnis bei mir sicher ist. Aber über die 8 Millionen Livre müssen wir noch einmal reden. Ich gebe Euch höchstens 5 Millionen Livre dafür.“ „Aber Graf de Soisson, bedenkt doch das meine Schiffe und Ländereien einen der reichsten Männer Frankreichs aus Euch machen werden. Euer Alain wird all das einmal erben und noch reicher und mächtiger werden als Ihr es in Eurem Leben je ward, und Euch wird es nach dem Kauf schon mehr als reichlich Gewinn einbringen. Und die kleine Diane werdet Ihr mit einer Mitgift ausstatten können die ihresgleichen sucht.“ Graf de Soisson dachte einen kurzen Moment nach. Vor seinem geistigen Auge spielte sich das ganze Szenario ab, das ihm Maxime so anschaulich beschrieben hatte. Ein kurzes Zögern noch, dann hörte er sich die Worte sagen: „So soll es sein.“ Die beiden Männer besiegelten ihr Geschäft mit einem kräftigen Handschlag und de Soisson unterschrieb bereitwillig die vor ihm liegenden Verträge, mit dem sicheren Gefühl das Geschäft seines Lebens für sich und seine Familie an Land gebracht zu haben. Vor seinem Hause stieg Maxime beschwingt in seine dort wartende Kutsche und pfiff fröhlich vor sich hin. Für einen Mann der finanziell vollkommen ruiniert war, schien seine Laune ungewöhnlich prächtig zu sein. Brief von Louis Auguste, Dauphin von Frankreich an Emilie de Jarjayes Versailles im September 1769 Sehr geehrte Madame, hiermit bitte ich vielmals um Verzeihung, für meine unbedachten Worte im letzten Brief. Sie waren Euch gegenüber gar zu dreist gewählt. Ich vergaß vollkommen das Ihr eine vollendete Dame und verheiratete Frau seid und habe Euch mit meiner unziemlichen Bitte unabsichtlich gekränkt. Vergebt mir! Dennoch würde mich eine Geste Eures Wohlwollens zum glücklichsten Mann Frankreichs machen. Nach wie vor schätze ich Eure wohltuende Gegenwart und Eure mehr als angenehme Weise auf gebildete und einfühlsame Art Konversation zu halten, denn dies findet sich bei den Damen am Hofe sehr selten. Erlaubt mir die Kühnheit Euch zu sagen, wie sehr ich Euch vermisse, obwohl unser einziges persönliches Gespräch nur sehr kurz war, aber ich vermeinte dabei zu spüren das unserer beider Wesen miteinander harmonieren. Daher bitte ich Euch mir die Ehre zu erweisen einer Einladung zum Tee nach zu kommen. Ich fühle mich am Hofe meines Großvaters stets sehr einsam und es fehlt mir an echten Freunden, so das ich hoffe in Euch einen solchen zu finden. Selbstverständlich würde unser Treffen sehr diskret ablaufen, aus Rücksicht auf meine Stellung und Euren Familienstand. Am kommenden Mittwoch den 8. September wird in der Rue des Halles, in der Nähe des Pont Neuf, um 15 Uhr eine Kutsche auf Euch warten. Der Kutscher trägt als Erkennungszeichen eine blaue Blume am Hut. Er ist ein Diener meines Vertrauens und wird Euch in die Gärten von Versailles bringen. Dort werde ich Euch in einem abgelegenen Pavillon erwarten. Bitte erweist mir die Gunst einer Zusage. Euer ergebenster Louis Auguste, Dauphin von Frankreich Brief von Juliana von Elverfeld an Louise de Girodelle Stockholm im September 1769 Werte Freundin, schon all zu lange war ich nachlässig und habe Euch in Unkenntnis über mein Ergehen gelassen, doch meine Stelle als Gouvernante bei der Familie von Fersen füllt mich vollkommen aus. Jedoch gibt es nun ein großes Geheimnis zu berichten und ich weiß noch von unseren gemeinsam verbrachten Ferien, mit unseren Familien, an der niederländischen Küste, als wir beiden uns kennen lernten und zu Freundinnen wurden, wie sehr Ihr Geheimnisse liebt, aber auch wie wunderbar Ihr diese für Euch behalten könnt, denn über dieses müsst Ihr unbedingt Stillschweigen bewahren. Gewiss erinnert Ihr Euch das zu der Familie von Fersen nicht nur die kleine Sophia gehört, die ich das Vergnügen zu unterrichten habe, sondern auch der Sohn der Familie Hans Axel. Er hat etwas an sich von dem ich zugeben muss das es mir die Sinne raubt. Selbstverständlich habe ich mir nie Hoffnungen gemacht, denn aufgrund meiner finanziellen Lage bin für einen Sohn aus solch einer angesehenen Familie wie den von Fersens keine passende Partie. Doch bekam ich nach einigen Wochen Grund zu der Annahme das ich auch Hans nicht ganz egal bin und er etwas für mich empfindet, da er mir während der Unterrichtsstunden mit der kleinen Sophia ein Briefchen mit einem Liebesgedicht zusteckte und mir immer wieder kleine Nettigkeiten sagte. Leider ist er den jungen Damen in der Gesellschaft sehr zugetan und ich habe ihn im Verdacht das er gewisse Dinge, die nur den Ehepaaren vorbehalten sind, sicher schon mit einigen von ihnen getan hat. Auch habe ich für seine Freunde nicht viel übrig. Sie trinken sehr viel, erzählen sich derartig obszöne Witze die mir die Schamröte in die Wangen treibt und spielen gegen hohe Geldsummen Karten. Besonders Hans bester Freund Arvid van Bergen ist mir einer der Unsympathischsten, denn er verleitet Hans zu allerlei schlechten Dingen. Vor kurzem wurde Hans zudringlich als wir beiden miteinander allein waren und ich musste ihn in seine Schranken weißen. Die Versuchung nach zu geben war sehr groß, doch ich wusste das es nicht sein darf, denn Maman hat mir erklärt, wenn ich je einen passenden Ehemann finden sollte, so würde er sicher merken das er nicht der erste ist dem ich meine Gunst schenke und könnte mich verstoßen. Bald packte mich jedoch die Reue und ich wünschte mir nachgegeben zu haben. Vielleicht wäre es mir das einmalige Vergnügen wert gewesen. Aber als ich gestern mein Zimmer betrat erlebte ich eine Überraschung die Ihr Euch kaum vorstellen könnt. Neben meinem Sekretär saß Minka, die Katze der Familie. (Später erfuhr ich von Hans das sie auf dem Sekretär hätte auf mich warten sollen, aber dazu war sie nicht zu bewegen.) In ihrem Halsband steckte eine kleine Nachricht, die an mich adressiert war. „Ich will mein Leben ohne Euch nicht mehr leben. Bitte werdet meine Frau. Hans Axel von Fersen.“ Dann betrat Hans das Zimmer, kniete vor mir nieder, nahm meine Hand und küsste sie. Ich kann mich an weiter nichts mehr erinnern, außer daran „Ja“ gesagt zu haben. Ich kann mir nicht vorstellen jemals im Leben so glücklich gewesen zu sein. Das Hans das Gleiche für mich empfindet wie ich für ihn habe ich immer gehofft, aber nie gewagt daran zu glauben. Mir ist vor Freude ganz schwindelig und ich frage mich womit ich so viel Glück auf dieser Welt verdient habe. Es ist nicht wegen Hans Vermögen und nicht deshalb weil ich die nächste Gräfin von Fersen werde, es ist weil ich Hans mehr liebe als ich in Worten ausdrücken kann und der Gedanke mein ganzes Leben als seine Frau an seiner Seite verbringen zu dürfen, mein ganzes Herz mit Glückseligkeit erfüllt. Natürlich ist es noch geheim, niemand darf es wissen, besonders meine Familie in Deutschland nicht. Hans möchte seine Eltern erst noch vorbereiten. Ich habe Angst das sie dagegen sind, aber er meinte sie würden mich so sehr schätzen und sein Glück wäre ihnen wichtiger als alles andere. Ich kann Euch nicht sagen wie wunderbar sich das alles anfühlt und wenn wir erst einmal verheiratet sind so werde ich Hans seine unguten Angewohnheiten wie das Glücksspiel und das unnötige Geld ausgeben sicher abgewöhnen können, denn Maman hat immer gesagt: „Ein Mann darf tun und lassen was immer seine Frau möchte.“ Sicher wird er dann auch weniger Zeit mit seinen Freunden und ganz besonders mit diesem Arvid van Bergen verbringen und alles wird gut werden! Ich zähle auf Eure Diskretion und hoffe Ihr seht über mein holperiges Französisch hinweg, das seit unserer Ferien vor zwei Jahren nur leidlich besser geworden ist. Eure sehr glückliche Juliana von Elverfeld Palas de Jarjayes, September 1769 „Ich habe euch doch ausdrücklich gesagt das es morgen, wenn Monsieur zurück kommt, den Rinderbraten geben soll und die anderen Tage ein einfaches Gericht. Ist denn das so schwer zu begreifen?“ Ungewöhnlich herrisch und gereizt fuhr Emilie de Jarjayes Paulette an, die ihr und Maurice im Speisesaal das Mittagessen servierte. Es war dieser Tage aber auch zum Wahnsinnig werden! Ausführlich hatte sie mit Sophie den Speiseplan für die nächste Woche besprochen und dennoch wurde schon wieder das falsche Gericht serviert. Nicht genug damit das sich nie an die von ihr angeordneten Speisen gehalten wurde, ein Teil von Oscars Wäsche war vor kurzem im Schrank von General de Jarjayes gelandet, ein Teil ihrer Kleider wiederum tauchte in Maurices Schrank auf. Dieser hatte es fürchterlich komisch gefunden als man seinen Großvater vor Wut im gesamten Palas brüllen hörte, als er mit Hilfe von Laurent vergeblich versuchte, sich in eines von Oscars engen Hemden zu zwängen. Vielleicht wurde Sophie einfach alt und brachte deshalb den Speiseplan und die Wäschestapel durcheinander oder das Personal war einfach zu dumm um Sophies Anweisungen Folge zu leisten oder beides miteinander. „Ich bitte um Verzeihung Madame,“ antwortete Paulette und ging mit ihrem Serviertablett nach draußen. Im sicheren Flur äffte sie Emilie nach „...den Rinderbraten wenn Monsieuer zurück kommt! Pfft! Was gäbe ich um so einen Rinderbraten. Die weiß doch gar nicht wie gut sie es hat.“ Damit stapfte sie davon. Emilie legte instinktiv die Hände an ihre Schläfen. Noch nie hatte sie der große Haushalt derartig überfordert und noch nie war ihr das Personal derartig inkompetent erschienen wie in den letzten Wochen. Außerdem war Ihr Enkel Maurice seid der letzten Ferien merkwürdig bedrückt und in sich gekehrt, so das sie sich ernsthaft Sorgen machte. In einer Stunde würde auch noch ihre Freundin Madame de Boulainvilliers mit einer anderen Damen zum Tee kommen. Die wievielte Teeeinladung ihres Lebens war das wohl? Vermutlich die Tausenste, damit lag sie sicher nicht falsch. Wie satt sie das alles doch hatte. Seid Jahren das immer gleiche Einerlei ihres Haushaltes im Palas de Jarjayes und die ewig gleichen Menschen des Hochadels mit ihrem lästigen Geschwätz, daraus bestand ihr ganzes Leben. Zu dem bekam sie Rainier de Jarjayes kaum noch zu Gesicht. In letzter Zeit verbrachte er sogar für seine Verhältnisse ungewöhnlich viel Zeit in Versailles und wenn er zwischendurch nach hause zurück kehrte war er beschäftigt und arbeitete seine Schriftstücke durch. Noch nie war er in ihrer Ehe so unaufmerksam gewesen. Eher erkundigte er sich bei Oscar ob ihrer Fortschritte auf der Offiziersakademie, als das er Emilie fragte wie diese sich fühlte. Von Maurices Verwandlung schien er noch gar nichts bemerkt zu haben, wodurch Emilie sich besonders im Stich gelassen fühlte, waren sie doch zu zweit für das Wohl ihres Enkels verantwortlich. Kaum war das Mittagessen beendet und Emilie hatte Maurice gestattet sich vom Tisch zu erheben und das Zimmer zu verlassen, klopfte es auch schon an der Türe. Es war Monsieur Dumas, Maurices Hauslehrer, der auch bereits Oscar und Andre unterrichtet hatte. „Darf ich um ein Gespräch bitten Madame de Jarjayes?“ brachte dieser sein Anliegen hervor. „Aber natürlich Monsieur Dumas, bitte nehmt Platz.“ Kaum hatte sich der Hauslehrer gesetzt erkundigte sich Emilie: „Nun denn, was habt Ihr auf dem Herzen Monsieur?“ „Es geht um Euren Enkel Maurice.“ „Das dachte ich mir.“ „Er wirkt seid den Sommerferien in auffälliger Weise abwesend und unaufmerksam.“ „Das ist mir selbst schon bei den Mahlzeiten, die er mit uns einnimmt, aber auch bei anderen verschiedenen Gelegenheiten aufgefallen.“ „Ich denke das ihn etwas sehr bedrückt und das wir heraus finden sollten worum es sich handelt, damit wir ihm helfen können. Denkt Ihr das er seine Mutter vermisst?“ „Ich weiß es nicht. Er hat sie von klein auf nicht oft gesehen.“ Emilie dachte angestrengt nach. Die ungewöhnlich starke Verwandlung seid ihren Sommerferien in der Normandie im Wesen des sonst so lebendigen Maurice war durchaus eine ernste Sache. Was mochte ihn nur so sehr belasten? „Vielleicht würde er gerne mit Lady Oscar über seinen Kummer sprechen? Die Dienstboten haben mir erzählt das die beiden oft die Köpfe zusammen stecken,“ schlug Monsieur Dumas vor. Natürlich, Oscar! Emilie durchzuckte es wie durch einen Blitzschlag. Bis vor kurzem hatte Oscar für ihren Neffen nichts übrig gehabt. Es war für die ganze Familie offensichtlich das dieser ihr mehr als lästig war und sie versuchte ihn so oft es möglich war abzuhängen. Seid der vergangenen Wochen steckten die beiden ständig zusammen und tuschelten über etwas und zwar ohne Andre! Dies hätte ihr unlängst zu denken geben müssen. „Wir werden Maurices Sorgen auf den Grund gehen. Selbstverständlich spreche ich mit Oscar. Nun muss ich mich aber umkleiden, da einige Damen zum Tee erwartet werden.“ Mit diesen Worten entließ Emilie Monsieur Dumas. Das Teekränzchen war wie immer sehr ermüdend. Zu allem Unglück hatte Madame de Boulainvilliers ihre kleine Tochter Jeanne mitgebracht, die keine Minute still sitzen konnte und erst eine Vase vom Tisch stieß und anschließend einige Fäden aus dem Teppich zog. Madame de Boulainvilliers und ihr Gemahl waren lange Zeit kinderlos geblieben, bis sie zu einer Zeit schwanger geworden war, als es niemand mehr für möglich gehalten hatte, noch nicht einmal sie selbst. Kurz nach der Geburt der kleinen Jeanne war ihr Mann verstorben, so das sich ihr Leben nur noch um ihr Kind drehte, das ihr als einziges geblieben war und das sie mit an einer an Hysterie grenzenden Mutterliebe umsorgte und verwöhnte, so das es niemandem verwunderlich erschien das es sich um ein in höchstem Masse verwöhntes kleines Mädchen handelte. Erschöpft ließ sich Emilie in ihrem Zimmer vor ihrem Spiegel nieder. Um ihre Mundwinkel hatten sich kleine Fältchen gebildet. Sie fühlte sich alt und verbraucht. Alles wurde ihr zu viel. Die Eintönigkeit ihres Lebens, die Belastungen des großen Haushaltes und ein Ehemann der offensichtlich am König mehr Interesse zeigte als an ihr. Und nun machte auch noch ihr Enkel Probleme, was gar nicht ihre Aufgabe wäre, sondern die ihrer nichtsnutzigen Tochter. In diesem Moment schlug eine Tür im Erdgeschoss mit voller Wucht zu und jemand rannte die Treppen nach oben. Den Schritten nach handelte es sich dabei eindeutig um Oscar. Außer sich vor Wut stürzte sie in Emilies Zimmer. „Maman, es ist etwas Entsetzliches geschehen! Victore de Girodelle ist auf der Offiziersakademie! Ist das nicht furchtbar?“ Und damit war sie schon zur Tür draußen um diese ungemein wichtige Nachricht Andre zu unterbreiten. Nun musste Emilie sich auch noch mit Oscar und ihrem Kleinkrieg mit Victore auseinander setzen, denn sicher würde diese Trost und ermunternde Worte von ihrer Mutter einfordern. Ganz zu schweigen das damit schon wieder Probleme in der Luft lagen. Wie gerne würde sie doch ihrem Alltag entfliehen, sich noch einmal jung fühlen. In Gedanken versunken ergriff sie einen Brief, den sie am heutigen Morgen bekommen hatte und lass ihn noch einmal durch. Dann nahm sie einen Bogen Papier, tauchte eine Feder ein und begann die Antwort zu schreiben: „Sehr geehrter Monsieur Dauphin. Ich bin sehr glücklich darüber Eure Einladung annehmen zu dürfen. Ich freue mich bereits auf unser Zusammentreffen am 8. September. Emilie de Jarjayes“ Stockholm, September 1769 Juliana lag im Dunkeln und lauschte in die Nacht. Jeden ihrer Atemzüge konnte sie selbst laut und deutlich hören und das Herz schien ihr bis zum Hals zu schlagen. Leise Schritte näherten sich der Tür und sie hielt den Atem an. Erst als sich diese entfernten spürte sie das sie vor Aufregung die Luft angehalten hatte und atmete erleichtert aus. Vermutlich handelte es sich um den Graf von Fersen, der noch eine Runde durch das schlafende Haus ging. Die nächsten Schritte blieben jedoch vor ihrer Tür stehen, diese öffnete sich leise und eine schmale Gestalt schlich herein. Juliana versuchte vergeblich ein Wort heraus zu bringen bis sie schließlich krächzte: „Hans, seid Ihr es?“ „Habt Ihr noch jemand anderen erwartet?“ „Aber natürlich nicht!“ antwortete diese entrüstet. Im Neumond konnte sie ihn kaum erkennen, doch seine Stimmer jagte Ihr die wohligen Schauer über den Rücken, an die sie schon gewöhnt war. „Rutscht etwas herüber,“ forderte Hans sie auf, um sich, kaum das sie seiner Aufforderung Folge geleistet hatte, neben sie zu legen. Er roch gut, auf seine ihm eigene Art. Unsicher streckte Juliana ihre Hand aus und berührte ihn. Noch nie hatte sie einen Mann berührt. Ganz zart gab ihr Hans einen Kuss auf die Lippen. Es durchzuckte Juliana auf eine ihr bis dahin unbekannte Art und Weise. Hans streifte ihr das Nachthemd ab und zu ihrer eigenen Überraschung ließ es geschehen. Sanft berührte er ihre Brüste, seine Lippen schlossen sich darum und er begann gierig daran zu saugen. Juliana entfuhr ein Laut der Überraschung, was Hans, der es als Ausruf des Schmerzes deutete, sofort veranlasste aufzuhören. „Verzeiht, ich wusste nicht das Ihr so empfindlich seid.“ „Nein, es tat mir nicht weh, es ist nur ein neues, ungewohntes Gefühl,“ antwortete ihm Juliana verlegen. Sanft streichelte er sie weiter, seine Hand wanderte zwischen ihre Beine und begann sie dort zu berühren, was ihr ein Stöhnen entlockte. Als Hans sich im Mondlicht schließlich seiner Kleidung entledigt hatte, begriff Juliana ,dass das was sie in seiner Körpermitte aufragen sah wohl sein Geschlecht sein musste. Sie hatte zu hause, wenn sie sich mit ihren Freundinnen unterhielt, schon darüber tuscheln gehört, das dieses bei Männern, wenn sie erregt waren, zu einer beachtlichen Größe anschwellen sollte. Dieser für sie vollkommen neue Anblick macht sie verlegen, faszinierte sie jedoch so sehr das sie ihren Blick nicht abwenden konnte. Als sich Hans wieder neben sie gelegt hatte, spreizte er ihre Beine, doch Juliana presste sie schnell wieder zusammen. Hans sah sie fragend an. „Lieber nicht Hans. Lasst uns doch warten bis wir verheiratet sind. Ich fände es nicht recht wenn wir heute schon wie Eheleute beieinander wären.“ Im Dunkeln verdrehte Hans kaum merklich die Augen. Seine „Verlobte“ war schon recht schwierig mit ihren ganz eigenen Vorstellungen von Moral. Das sie ihm endlich Zutritt zu ihrem Schlafzimmer gewährt hatte musste für sie wohl ein ungewöhnliches Entgegenkommen darstellen und hatte sicher nur deswegen statt gefunden, da sie nun miteinander verlobt waren. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Vorsichtig schob er noch einmal ihre Beine auseinander, kniete sich zwischen ihre Schenkel und begann mit seiner Zunge sie zart an ihrer empfindlichsten Stelle zu verwöhnen. Ein Stöhnen, das sie nicht unterdrücken konnte, entfuhr Juliana. Es wurde ihr von Sekunde zu Sekunde schwerer um Atem zu ringen. Etwas derartiges hatte sie noch nie erlebt. Sie fühlte sich wie als Kind, wenn sie um die Wette gelaufen und sich dabei völlig verausgabt hatte. Vor Lust keuchend krallte sie ihre Hände in Hans Axels Haare, ihr Körper begann unkontrolliert zu zittern und zu beben, bis sie schließlich mit einem letzten aufstöhnen Erlösung fand. Erschöpft blieb sie liegen und starrte in die Dunkelheit. „Ihr liegt beinahe andächtig da,“ neckte Hans sie. Juliana brachte kein Wort mehr über die Lippen. „Wisst Ihr das ich Euch am liebsten sofort heiraten würde? Vater und Mutter würden die Nachricht unserer Verlobung und unseren Wunsch nach einer baldigen Heirat jedoch wesentlich besser aufnehmen wenn ich etwas eigenes Geld zur Verfügung hätte.“ „Habt Ihr denn selbst nichts was Ihr angespart habt?“ erkundigte sich Juliana erstaunt. „Ich verfüge nur über das was mir Vater jeden Monat überweisen lässt. Aber dies reicht selbstverständlich nicht um einen eigenen Hausstand zu gründen. Aber ich hätte einen wunderbaren Vorschlag wie wir diesem Umstand Abhilfe schaffen könnten. Wie Ihr wisst verfügt die Familie von Fersen über einige Wertgegenstände. So zum Beispiel der Schmuck meiner Mutter, denn diese wiederum von der Mutter meines Vaters geerbt hat.“ „Ja, ich habe ihr einige Male geholfen ihn anzulegen und sie hat mir auch gezeigt wo er verwahrt wird.“ Hans Axel musste ein Grinsen unterdrücken. Es lief besser als er zu hoffen gewagt hätte. Offensichtlich hatte seine Mutter grenzenloses Vertrauen in Juliana. „Wir werden uns den Schmuck borgen. Meine Mutter legt ihn nur zu besonderen Anlässen an, da wird es nicht auffallen das er für ein Weilchen fehlt. Arvid bringt ihn zum Pfandleiher und später werden wir ihn von dort zurück holen und wieder an seinen Platz bringen. Wir könnten meinen Eltern vollkommen anders gegenüber treten wenn ich eigenes Kapital vorzuweisen hätte. Meinem Vater werde ich sagen das ich mit meinem monatlichen Betrag den ich von ihm erhalte, in Wertpapiere investiert und Gewinn gemacht habe. Das wird mein Ansehen vor ihm ungemein heben und er wird nichts gegen unsere Ehe ein zu wenden haben, da ich offensichtlich tüchtig genug bin um eine Familie zu ernähren.“ Entgeistert richtete sich Juliana auf. Vor Entsetzen über Hans Axels Vorschlag vergaß sie völlig die Bettdecke festzuhalten, die sie bis jetzt über ihrer Brust festgehalten hatte. „Ich werde Eure Mutter sicher nicht bestehlen! Was denkt Ihr Euch nur dabei?“ stieß sie entrüstet aus. „Sie wird es sicherlich nicht merken. Bis sie ihren Schmuck braucht liegt er wieder sicher an seinem Platz. Vater wird mir, wenn er von unserer Verlobung erfährt, einen Teil seiner Geschäfte übergeben und wir lösen den Schmuck von meinem ersten Gewinn aus. Ich bitte Euch Juliana, lasst mich nicht im Stich! Ihr macht dies doch für uns beide!“ Alles in Juliana sträubte sich gegen den Plan ihres Verlobten. Gerade noch war alles so wunderbar gewesen und nun verlangte er von ihr einen Diebstahl zu begehen. Dies würde sie einfach nicht über sich bringen. Andererseits hatte sie das Beisammen sein mit ihm so sehr genossen und sie war so neugierig darauf wie es wohl sein würde sich Hans nach ihrer Hochzeit vollkommen hinzugeben. Sie wollte doch nichts so sehr wie seine Frau zu werden. Doch dies war nur möglich wenn Hans durch eigenes Geld bei seinem Vater an Ansehen gewinnen würde. Schweren Herzens willigte sie ein, eine Stimme tief in ihrem Inneren ignorierend, die ihr sagte das sie einen vollkommen falschen Weg eingeschlagen hatte. Offiziersakademie bei Paris, September 1769 Die ersten Tage des neuen Semesters waren ruhig verlaufen, und außer das Oscar Henry unglaublich vermisste, dies aber stillschweigend für sich behielt und sich von Victores und Clements Blicken ständig provoziert fühlte und dies gegenüber Andre, Sophie und ihrer Mutter zu hause laut stark kund tat, geschah nichts außergewöhnliches. Bis die Situation eines Tages eskalieren sollte. Victore hatte getan was er konnte um Oscar mit seinen hämischen Blicken aus der Fassung zu bringen, aber keinen Erfolg damit erzielt. Es wäre ihm nur recht gewesen wenn diese auf ihn los gegangen wäre und sich so mit gehörigen Ärger eingehandelt hätte, aber diesen Gefallen tat sie ihm nicht. Das sie in Gedanken die meiste Zeit bei Henry weilte tat natürlich sein übriges dazu, um sie genügend abzulenken. Es sollte mitten in ihrer zweiten Woche geschehen, das sich Victores Lebenslanger Hass auf Oscar voll entlud. Das Mittagessen wurde wie jeden Tag in der Mensa eingenommen. Zu Victores Leidwesen gehörte er im Gegensatz zu Oscar nicht zu den beliebtesten Kadetten, was vor allem an seiner schüchternen und zurückhaltenden Art lag. Außer Clement, der einer seiner wenigen Freunde war, hatte er kaum Anschluss gefunden. Die anderen jungen Männer machten sich sogar heimlich über ihn lustig, was dem sensiblen Jungen insgeheim sehr weh tat, aber unter einer kühlen Fassade tapfer von ihm versteckt wurde. Auch jetzt wurde verstohlen gegrinst als er sich an einem der langen Tische gegenüber von Clement niederließ. Victore dachte sich zunächst nichts dabei. Doch als er sein Fleisch an schnitt und sich den ersten Bissen in den Mund steckte erlebte er sein helles Wunder. Sein Mund und seine Lippen schienen plötzlich in Flammen zu stehen und zu seinem eigenen Entsetzten stiegen ihm Tränen in die Augen. Verzweifelt griff er nach seinem Wasserglas, setzte es an seine Lippen und kippte dessen gesamten Inhalt auf einmal hinunter, während sich um ihn herum alles vor Lachen krümmte. „Ich hoffe dein Braten schmeckt dir!“ rief Patrice fröhlich. Er hatte noch nicht verziehen wie Victore Oscar am ersten Tag des neuen Semesters behandelt hatte und seinen festen Entschluss seinen Freund zu rächen nun endlich in die Tat umgesetzt. „Das Küchenpersonal hat auf eine Bestechung von mir hin dein Fleisch mit einem südamerikanischen Gewürz namens Chilli präpariert. Es soll ungewöhnlich scharf schmecken, was anhand deiner roten Gesichtsfarbe wohl der Wahrheit entspricht.“ Tatsächlich war Victore dem inzwischen der gesamte Mundraum und der Rachen wie Feuer brannte puterrot angelaufen, was die jungen Kadetten nur noch mehr zum Lachen reizte. „Was habt ihr denn alle?“ fragte Patrice betont unschuldig. „Nachdem unser Henry gerade nicht hier ist muss doch jemand die Streiche übernehmen und wie ihr alle seht gelingt es mir ihn einigermaßen würdig zu vertreten. Er wird sicher stolz auf mich sein, wenn ich ihm dies schreibe.“ In Victore kochte der Zorn hoch. Er fühlte sich von der ganzen Akademie verlacht und verhöhnt und das auch Oscar vor Lachen nicht mehr an sich halten konnte ließ ihn nur noch rot sehen. Plötzlich stand Olivier neben ihm und hielt ihm ein frisch aufgefülltes Glas mit Wasser hin und wenn Victore nicht so wütend und außer sich gewesen wäre, hätte er Mitleid und eine gewisse Zuneigung in Oliviers Blick wahr genommen. Doch so schlug er ihm das Glas aus der Hand, das klirrend auf dem Boden zerbrach und baute sich vor Oscar auf. „Du wagst es über mich zu lachen? Du dreckiges Miststück machst dich über mich lustig? Dein Vater mag noch so ein angesehener General sein, so hat er doch nur Mädchen zustande gebracht. Du bist du nur hier weil du dich bei der Dubarry angebiedert hast. Deine Schwestern taugen alle nichts. Die eine ist die Hure von de Ronsard, eine mit einem bürgerlichen Kaufmann verheiratet, die andere Verrückte ist in einem Kloster weg gesperrt und eine ist mit einem Zimmermann durchgebrannt. Dein Vater setzt seine ganze Hoffnung in dich, aber das wird ihm nichts nützen, denn es wird heraus kommen was du wirklich bist. Niemals wird dich jemand als Offizier ernst nehmen und dann bricht deinem Vater das Herz!“ Mit geballten Fäusten erhob sich Oscar. „Nimm sofort zurück was du über meine Familie gesagt hast oder du kannst etwas erleben!“ schrie sie nun ebenfalls völlig außer sich vor Zorn darüber, das Victore sich derartig verletzend über ihre Familie äußerte. Dieser konnte seinen Triumpf darüber Oscar endlich in Rage gebracht zu haben nicht unterdrücken. „Es ist doch nur die Wahrheit oder verträgt Mademoiselle diese nicht?“ Da ging Oscar mit erhobenen Fäusten auf Victore los, doch Olivier und Emilian hielten sie mit aller Kraft zurück. „Lasst mich!“ schrie Oscar mit sich vor Wut überschlagender Stimme. „Ich mache ihn fertig!“ Da trat General de Bouier auf den Plan, der von dem ungewöhnlichen Tumult in der Mensa der Kadetten angelockt worden war. Mit einem Blick hatte er die Situation erfasst und befahl mit seiner ruhigen, aber bestimmten Stimme einen einzigen Satz: „Oscar Francoise de Jarjayes, Ihr kommt augenblicklich mit mir mit.“ Dies war in einem Tonfall ausgesprochen der Oscar sofort wieder zur Vernunft rief. Äußerlich ruhig, innerlich aber immer noch kochend vor Wut, folgte sie de Bouier in sein Arbeitszimmer. Kaum hatte sie dort auf seine Aufforderung hin platz genommen schoss ein Strom von Tränen aus ihren Augen und sie begann wild zu schluchzen. „Es ist wohl nicht nur wegen de Girodelle, sondern auch wegen Henry de Mortemarte?“ erkundigte sich General de Bouier. Oscar nickte weinend. Wie seltsam es doch war das ausgerechnet de Bouier als einziger etwas bemerkt hatte. Mitfühlend reichte er Oscar ein Taschentuch. „Nun beruhigt Euch Kindchen. Die Liebe kann eben auch weh tun. Ich habe Euch bereits darüber in Kenntnis gesetzt was ich persönlich von Henry halte, aber Eure Gefühle sind Eure Sache. Im Übrigen ist Euer kleines Geheimnis bei mir gut aufgehoben, die wenigsten Soldaten haben für solche Dinge ein so feines Auge wie ich. Da ich jedoch mit acht Schwestern aufgewachsen bin habe ich nun einmal einen geschulten Blick für Frauen mit Liebeskummer.“ Er blinzelte Oscar, die inzwischen zu ihm auf sah, zu. „Was Euer Problem mit Victore angeht, so verspreche ich Euch das Ihr ab jetzt Eure Ruhe vor ihm haben werdet.“ Langsam beruhigte sich Oscar wider und gewann an Fassung. Es tat ihr tatsächlich gut das ein anderer Mensch von ihren Gefühlen für Henry wusste, hatte sie es bis dahin noch nie gewagt sich jemandem anzuvertrauen. „Und welche Strafe erhalte ich nun?“ erkundigte sich Oscar. „Immerhin bin ich doch auf de Girodelle los gegangen.“ De Bouier winkte ab. „Eine Strafe stünde nur an wenn Ihr den ersten Schlag ausgeführt hättet. Doch waren Emilian und Olivier so geistesgegenwärtig Euch fest zu halten. Somit habt Ihr Euch keines Vergehens schuldig gemacht auf das eine Strafe stünde.“ Erleichtert atmete Oscar auf. Vor der nun hinfällig gewordenen Strafe hatte sie sich kaum gefürchtet. Viel schrecklicher war der Gedanke daran, wie wohl ihr Vater reagiert hätte, wenn er von einem Vergehen Oscars, in diesem Falle von einer von ihr begonnenen Schlägerei, in Kenntnis gesetzt worden wäre. Doch hatte Victore mit seinen Äußerungen noch ein vollkommen anderes Problem hervorgerufen. „General de Bouier, bis jetzt ahnt von den Kadetten noch niemand das ich eine Frau bin. Aber nachdem mich Victore nun zum wiederholten Male Mademoiselle genannt hat und nun auch verlauten ließ das mein Vater nur Mädchen zustande gebracht hätte, wird sicher der ein oder andere stutzig werden. „Macht Euch darüber keine Sorgen. Im allgemeinen Tumult wird Victores Bemerkung über Eure Familienkonstellation niemandem aufgefallen sein und das „Mademoiselle“ wird lediglich als Spottname gewertet werden. Außerdem denke ich nicht das sich Victore noch einmal mit Euch anlegen wird, dafür werde ich schon sorgen.“ Dieses Vorhaben setzte General de Bouier in die Tat um. Als nächster Kadett wurde Victore de Girodelle zu ihm zitiert und er lass ihm so gründlich die Leviten, dass Victore, als er de Bouiers Arbeitszimmer verließ, die Knie schlotterten. Vor allem zeigte aber die Drohung, Victores Vater davon zu berichten, sofern er Oscars wahres Geschlecht heraus posaunen würde, seine Wirkung. Dies war ihm von seinem Vater bereits vor Jahren strengstens untersagt worden, da es sich dieser auf keinen Fall mit General de Jarjayes verscherzen wollte. Und Victores Vater sah Verstöße gegen seine Anordnungen noch strenger als General de Jarjayes, und dies wollte durch aus etwas heißen. Zwar gab Victore General de Bouier sein Ehrenwort als Soldat fortan Oscar zu Frieden zu lassen und verzichtete darauf Patrices Streich mit dem präparierten Braten zu melden, da Verrat ohnehin als unehrenhaft galt, doch loderte sein Hass auf Oscar und ihre Freunde nach wie vor, wenn nun nicht sogar noch heftiger in ihm. Versailles, September 1769 Ein junger Mann in einfacher Kleidung galoppierte durch den Schlosspark. Niemand hätte in ihm den Graf de Provence, Enkel Louis XV, vermutet. Er liebte es ohne Begleitung und inkognito aus zureiten und da er im Gegensatz zu seinem Bruder nicht der Dauphin war, sah sein Großvater über diese Unart großzügig hinweg. Trotz des kühlen Tages war sein Pferd schnell verschwitzt und um ihm und auch sich selbst eine kleine Pause zu gönnen stieg er ab und führte es ein Stück am Zügel. Dieser Teil der Gärten von Versailles war recht abgelegen und die königliche Familie und die Adligen die Zugang nach Versailles hatten nutzten ihn eher selten. Auch das kleine Pavillon, dem er sich nun näherte, das in diesem Teil der Gärten stand, wirkte wenig einladend und wurde daher kaum betreten. Doch nun glaubte der Graf de Provence seinen Augen nicht zu trauen. Aus dem Schornstein des Pavillons stieg Rauch! Irgendjemand nutzte ihn für sich und, da war er sich sicher, es musste sich um etwas handeln das aus irgendeinem Grund geheim bleiben sollte. Nachdem er sein Pferd angebunden hatte ging er neugierig weiter und schlug sich möglichst leise durch das Gebüsch, das rund um den Pavillon wucherte, um nicht bemerkt zu werden. Als er sich schließlich vorsichtig auf die Zehenspitzen stellte, um in eines der Fenster hinein zu lugen, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. An einem eingedeckten Tisch saß dort niemand geringerer als sein älterer Bruder und – man fasste es nicht – trank seelenruhig Tee mit Emilie da Jarjayes, der Gattin eines der besten Generäle seines Großvaters. Was um alles in der Welt hatten die beiden miteinander zu schaffen? Wohlweislich, damit sie ihn nicht entdeckten, blieb er im Gebüsch sitzen und lauschte durch die dünnen Holzwände. „Liebe Emilie, ich bin so glücklich darüber das Ihr meine Einladung angenommen habt.“ „Auch ich genieße die Gesellschaft Eurer Hoheit sehr. Es ist so angenehm mit Euch zu plaudern.“ Unter dem Vorwand Einkäufe erledigen zu wollen hatte sich Emilie von Philippe, dem Kutscher, nach Paris fahren lassen. Dort ging sie, mit einem Herz das ihr bis zum Hals klopfte, in die abgelegene Rue des Halles, mit tief in die Stirn gezogener Kapuze. Wie versprochen wartete dort eine einfache Kutsche, mit dem Kutscher der als Erkennungszeichen eine blaue Blume am Hut trug. Während der Fahrt atmete Emilie erst einmal tief durch, mit dem Gefühl dies seid Stunden nicht mehr getan zu haben. Irgendwie machte es ihr, trotz, oder vielleicht sogar wegen, der Aufregung und der Angst erwischt zu werden ungewöhnlichen Spaß. Sie fühlte sich wie ein junges Mädchen, bereit für jedes Abenteuer. Glücklich darüber endlich einmal wieder von einem Mann, dazu noch von einem so jungen wie Louis Auguste, so viel an Aufmerksamkeit zu bekommen, ließ sie nun zu das dieser ihre Hand nahm und seine Lippen darauf drückte. Ein Schauer durch lief sie als er sagte: „Es bedeutet mir so viel das ihr heute gekommen seid.“ Dabei ahnten weder sie, noch der Dauphin das sie beobachtet wurden. Der Graf de Provence hatte genug gesehen um sich nun einen Reim auf die sich vor seinen Augen abspielende Situation zu machen. Zufrieden zog sich dieser möglichst leise zurück, was kaum nötig gewesen wäre, da Emilie und Louis Auguste kaum etwas um sich herum wahr zu nehmen schienen. Als er sein Pferd los band und sich mit ihm am Zügel entfernte, arbeitete es in seinem Kopf bereits an einem Plan, wie er des soeben Gesehene für sich am sinnvollsten einsetzen konnte. Dabei wäre er beinahe über Julie de Meuron gestolpert, die ebenfalls ohne Begleitung durch den Garten spazierte. Augenblicklich versank diese, als sie den Enkel des Königs erkannte, in einem tiefen Knicks. Dem Graf de Provence kam die unerwartete Begegnung mit Julie gerade wie gerufen. „Guten Tag Mademoiselle de Meuron. Es trifft sich ungemein gut das wir einander gerade jetzt begegnen. Wie Ihr wisst haben wir noch eine Rechnung offen mit einer gewissen Person, die es gewagt hat uns, trotz ihres niederen Standes, offen zu kritisieren. Jetzt ist eine gute Gelegenheit gekommen um sie in ihre Schranken zu weisen und ihr einen gehörigen Denkzettel zu verpassen. Dazu müssen wir aber allerhand besprechen. Wie wäre es heute in einer Woche mit einem belanglosen Treffen bei Euch, im Palas Eures Vaters. Nur Personen unseres Vertrauens sollen dabei sein. Neben uns beiden noch Louise de Girodelle, Clement de Ligniville und Victore de Girodelle.“ Julie, die sofort erriet das der Graf de Provence auf die Dubarry und ihre unverschämten Äußerungen am Ball ihres Grpßvaters anspielte, war sofort begeistert. Der verhassten Mätresse Louis XV ihr herablassendes Verhalten endlich heim zu zahlen, reizte sie ungemein, so wie ihr das Vertrauen schmeichelte das der Graf de Provence ihr entgegen brachte. „Eure Hoheit, Ihr könnt Euch voll und ganz auf mich verlassen. Ich werde die von Euch gewünschten Personen verständigen.“ „Ich habe auch nichts anderes von Euch erwartet.“ Schloss Schönbrunn bei Wien, September 1769 Durch das weit geöffnete Fenster des Musikzimmers drangen die letzten warmen Sonnenstrahlen des Jahres hinein. Die Finger der Erzherzogin Maria Antonia fuhren über die Tasten des Klaviers, dem sie zum wiederholten Male die Töne der kleinen Nachtmusik zu entlocken versuchte. Durch die Klänge des Instruments war plötzlich das Rattern der Räder einer Kutsche zu vernehmen, die in den Hof von Schloss Schönbrunn einfuhr. Neugierig und dankbar für die willkommene Ablenkung erhob sich Maria Antonia und beugte sich weit aus dem offenen Fenster, um zu sehen wer neu im Schloss Schönbrunn angekommen war. Die Türe der Kutsche wurden geöffnet und ein junger Mann stieg aus, gerade in dem Moment als Maria Antonia ihren Kopf aus dem Fenster streckte. Durch die Bewegung aufmerksam geworden blickte im selben Moment der Neuankömmling nach oben und die zukünftige Dauphine von Frankreich und Nicolas de la Motte blickten einander tief in die Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)