Film Noir von MadameFleurie (Don't fear the reaper... (Bakura x Ryou)) ================================================================================ Kapitel 11: Spielothek ---------------------- Es war ihm unmöglich zu begreifen, dass er seit mehreren Monaten hier sein sollte. Der Januar neigte sich bereits dem Ende und auch, wenn die Sonne gelegentlich die viel zu kurzen Tage erhellte, hingen die Temperaturen hartnäckig jenseits des Gefrierpunktes fest. Jeden Morgen, bevor er zu Bett ging, betrachtete er das Funkeln des Raureifs, der Bäume und Sträucher überzog und schmeckte sie, die kalte, trockene Winterluft. Von seinem Vater hatte er nichts ausfindig machen können. Inzwischen hatte er es aufgegeben, die Zeitungen nach ihm zu durchforsten und sich dem Wissen, dass man ihn vergessen hatte, hingegeben. Er versuchte, sich mit seinem Schicksal abzufinden. Nichts würde sich ändern. Es machte die Dinge nur schmerzhafter, je mehr er sich dagegen sträubte. Das einzige Geschenk, dass er sich in seiner Lage machen konnte, war, sich in die Situation einzufügen. Soweit er es beurteilen konnte, schlug er sich gut. Das Ticken der Wanduhr, seiner einzigen Verbindung zur Realität, hallte blechern und seltsam hohl in seinen Gedanken wider. Es brachte ihn um den Schlaf und doch wagte er es nicht, die Batterien zu entfernen. Die glänzenden, schwarzen Zeiger waren in den Stunden des Wartens der einzige Wegweiser in eine Welt, die ihm keinerlei Orientierung mehr bot. Es war fünf nach drei. Seit Stunden schon war er wach, doch die Müdigkeit war nicht verflogen, im Gegenteil. Er fühlte sich abgekämpft, zu massiv, um sein Lager auch nur für einen Gang zur Toilette zu verlassen. Er hatte den Fernseher eingeschaltet, wann, daran erinnerte er sich nicht, nahm er vom Programm ohnehin kaum Notiz. Es bildete eine Geräuschkulisse, die seine Gedanken in Watte packte und ihn vor sich selbst schützte, nicht mehr. Er wartete. Auf Ihn. Tag für Tag. Er sehnte sich nach dem Moment, an dem das leise Quietschen der sich öffnenden Tür seine Lethargie durchbrach, nach dem Lächeln, das auf seinen Lippen erschien, wenn sich ihre Blicke das erste Mal trafen. Wenn seine Hände feucht wurden und sein Herz zu klopfen begann. Die Besuche des Anderen hatten sich zu einem Trost spendenden Ritual entwickelt. Er wusste, es war masochistisch. Trotzdem klammerte er sich daran wie ein Ertrinkender an ein Stück Holz. Es bildete die einzige Sicherheit, die ihm geblieben war. Wortlos harrte er aus, einem Knecht gleich, der auf seinen Herrn wartete. Das Zigarettenetui, welches Bakura so oft in den Händen gehalten hatte, hatte Ryou schon lange nicht mehr gesehen. Von einem auf den anderen Tag war es verschwunden. Seither rauchte Bakura seine Zigaretten aus dem Päckchen, in dem er sie kaufte. Ryou hatte sich gewundert, doch keine weiteren Fragen gestellt. Nur der Stich, der seine Brust mit der Intensität einer heißen Nadel durchfuhr, wann immer er an die beiden dachte, hatte ihn den restlichen Tag auf Trab gehalten. Das Klicken des Türschlosses durchschnitt das Rauschen des Fernsehers und ließ Ryou erschrocken aufhorchen. Plötzlich hellwach fuhr er herum, die Augen weit aufgerissen. Nie zuvor war es vorgekommen, dass sich jemand vor vier Uhr blicken ließ. Überwältigt von der Befürchtung, der frühe Besuch könne nichts Gutes verheißen, blickte er zum einzigen Ausgang. Als die Tür zu erkennen gab, mit wem er es zu tun hatte, entglitten seine Gesichtszüge. Nicht Bakura, sondern Marik, Jonouchi und Yuugi standen im Türrahmen. Während Yuugis Mundwinkel ein zartes Lächeln umspielte, stand der Barkeeper feixend hinter ihm. Es war ungewohnt, die beiden in ziviler Kleidung zu sehen. Schlicht gekleidet, mit Jeans, Sweatjacke und Turnschuhen, blickten sie auf ihn hinab. Nur Marik stach mit seinem Hang zu exzentrischer Kleidung zwischen den anderen hervor, eingehüllt in die voluminöse, nach Patchouli duftende Plüschjacke und hautengen Hosen aus schwarzem Leder. Der junge Mann schmunzelte und kaute betont lässig auf einem Kaugummi herum. Alles an ihm, jede Bewegung, jeder Lidschlag, brachte zwangsläufig etwas anstößiges mit sich. Verwirrt ließ Ryou den Blick zwischen den Besuchern hin und her gleiten und begann nach einigen Sekunden des Schweigens voll Freude zu strahlen. „Was macht ihr denn hier?“ Er begann zu lachen, strich sich fahrig einige der blassen Haarsträhnen hinter das Ohr. Yuugi ließ sich neben ihm aufs Bett fallen und ergriff Ryous Hand. Er verschränkte ihre Finger miteinander und betrachtete Ryou mit ungetrübter Freundlichkeit. „Wir sind gekommen, um dich abzuholen, Ryou-kun“, sagte er aufgeregt und nickte, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. Seine Hände waren warm und weich, überzogen von einem Film kaum wahrnehmbarer Feuchtigkeit. Ryou lächelte und erwiderte nichts. Manchmal, wenn man nicht damit rechnete, brach dieses Leuchten aus Yuugi hervor. Diese Leichtigkeit, die sich mit jedem Lächeln auf sein Gesicht legte, musste ihn bei seinen Freiern so beliebt machen. Es musste diese Eigenschaft gewesen sein, die Jonouchis Aufmerksamkeit erregt hatte, damals, als sie zusammen zur Schule gegangen waren. Viel war davon nicht geblieben. Nach all den Jahren des käuflichen Sex, hatten ihn die fremden Körper zu sehr abgenutzt. Nur manchmal, da bahnte es sich sein wahres Naturell den Weg zurück nach draußen. Dann wirkte er vergnügt wie ein kleines Kind. „Malik und Bakura mussten weg.“ Marik verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Türrahmen. Dabei hob er den Kopf auf eine Art, die klar machte, dass er mehr wusste, als er durfte. Der Stricher zwinkerte Ryou schelmisch zu. „Geschäftlich. Es wird spät. Vor heute Abend sind sie nicht wieder hier.“ Yuugis Händedruck verstärkte sich. „Wir wollen in die Spielothek“, platzte es aus ihm heraus und er begann, unruhig auf und ab zu wippen. Er wirkte aufgedreht, konnte kaum an sich halten, die Augen glänzten glasig. Sein letzter Schuss lag nicht lang zurück. Ryou kannte ihn inzwischen gut genug. Marik fuhr sich mit den Fingern durch das karamellblonde Haar und ließ den Blick durch Ryous winziges Zimmer gleiten. Unverständnis und Abscheu ergriffen mit jeder verstreichenden Sekunde zunehmend die Macht über sein Gesicht. Schließlich schüttelte er den Kopf. „Und hier lassen sie dich den ganzen Tag? Das Zimmer hat ja nicht mal sechs Matten. Du musst mitkommen, hörst du? Das ist ja ‘ne regelrechte Gummizelle.“ „Wie viel Zeit haben wir denn?“ Ryou hob die Augenbrauen. Das Angebot war verlockend, doch konnte so viel schiefgehen. Was, wenn Bakura und Malik früher zurück kehrten? Was würde man dann mit ihnen machen? Jonouchi warf einen beiläufigen Blick auf seine Armbanduhr und zuckte mit den Schultern. „Etwas mehr als drei Stunden. Schau nicht so kariert, es wird nichts passieren.“ Er lachte heiser über seine eigene Bemerkung, nur Ryou verzog besorgt das Gesicht. „Wo habt ihr den Schlüssel her?“, fragte er, ohne auf die vorangegangene Bemerkung einzugehen. Jonouchi verstummte. Auf Mariks Gesicht breitete sich ein wissendes Lächeln aus. „Jonouchi hat vor Jahren heimlich eine Kopie des Generalschlüssels anfertigen lassen.“ Die Hand auf den Mund gepresst, lachte Ryou auf. Jeden Tag verstand er ein Stück mehr, warum Bakura, der Kontrolle und Ordnung liebte, Jonouchi auf den Tod nicht leiden konnte. Doch so viel Dreistigkeit und kriminelle Energie hatte Ryou nicht einmal ihm zugetraut. „Wirklich?!“ Der Barkeeper signalisierte Marik mit einem kühlen Blick, dass es besser war, nun den Mund zu halten und verschränkte schließlich betont gleichgültig die Arme hinter seinem Kopf. Mit ausdruckslosem Gesicht starrte er in die Luft. „Kein Kommentar.“   Von unzähligen Menschen eingerahmt standen sie im Erdgeschoss der mehrstöckigen Spielhalle und hatten Mühe, sich ihren Weg durch die Massen zu bahnen. Die Geräusche unzähliger Automaten übertönten alles, vermischten sich mit lauter, elektronischer Musik, die aus Lautsprechern über ihren Köpfen ertönte. Es war ein Rausch der Sinne, der, hatte man ihm sich erst einmal für längere Zeit ausgesetzt, anschließend absolute Stille verlangte. Das Licht war schummrig, kaum hell genug, als das man sehen konnte, wohin man ging, nur durchbrochen durch den Schein blinkender Bildschirme. Dazwischen mischte sich der Qualm rauchender Geschäftsmänner, die ihre kurzen Pausen nutzten, der Einsamkeit zu entfliehen, die sie auch nach Feierabend an jenen Ort trieb. Überreizt glitten ihre Augen durch das Dämmerlicht, sogen alles in sich auf wie Schwämme, die man nach langer Zeit der Dürre zum ersten Mal mit Wasser benetzte. Sie liebten es. Ryou, der früher oft mit seiner Schwester an solchen Orten gewesen war, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Unfähig, nur ein Wort zu sagen, nahm er einen Schluck Cola aus einer Dose, die sie an einem der umstehenden Automaten gezogen hatten. Marik stand neben ihm und paffte, die Blicke der umstehenden ignorierend, Zigarillos. Zusammen betrachteten sie Jonouchi und Yuugi, die zusammen an einer Konsole standen und sich bei einem Prügelspiel zeigten, wer hier das Sagen hatte. Selbst aus der Ferne erkannte man das ausgelassene Strahlen, welches ihre Gesichter beherrschte. „Sie wirken unbeschwert, wenn sie dort so stehen, nicht?“ Ryou blickte Marik, der die Hände in die Hosentaschen schob, aus den Augenwinkeln an. Er lächelte mild und nickte. „So waren sie früher sicher immer.“ Marik nickte stumm. „Oh ja. Die Schule schwänzen und in Spielhallen rumhängen.“ „Und Manga lesen.“ Sie lachten. Es war ein freies, ausgelassenes Lachen, das Ryou ein wenig von jener Anspannung, die sich über die vergangenen Monate auf seine Schultern gelegt hatte, nehmen konnte. Sie lachten, bis ihre Bäuche schmerzten und Tränen über ihre Wangen liefen. Als sie sich beruhigt hatten, hakte Marik sich bei Ryou ein und klaute ihm wortlos etwas Popcorn. Dann nickte er Yuugi und Jonouchi, die noch immer miteinander beschäftigt waren, zu. „Das wird noch eine Weile dauern. Komm, wir suchen uns auch etwas.“ Er löste den Griff und ging vor. Ryou blickte ihm nach. Es dauerte nur wenige Sekunden und schon war der braungebrannte junge Mann zwischen den Menschen verschwunden. In dem Moment, als Ryou zum ersten Schritt ansetzte, traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag ins Gesicht. Augenblicklich erstarrte er. Zum ersten Mal seit Monaten war er unbeobachtet. Niemand kümmerte sich um ihn, niemand bewachte ihn, niemand würde ihn aufhalten, wenn er sich jetzt auf dem Absatz umdrehte und das Weite suchte. Langsam wandte Ryou sich um und blickte in Richtung des Ausgangs. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, der Strom seines Blutes rauschte in seinen Ohren. Wenn er wollte, war dies sein Tor in die Freiheit. Er musste nichts weiter tun, als rauszugehen und sich in ein Taxi zu setzen. Die Freiheit war zum Greifen nah. Sie lag ihn seinen Händen. Und doch... Wenn er jetzt ging, riss er die Anderen in den Abgrund. Sie würden zwangsläufig auffliegen. Er wollte sich den Ärger, der darauf folgte, nicht ausmalen, wusste er nur zu gut, zu was Malik in der Lage war. Außerdem lagen seine Papiere in Maliks Büro. Und auch, wenn er nie wieder zu seinem alten Wohnhaus zurückkehren würde, konnten sie immer noch an seinem Vater Vergeltung üben. All jene Menschen, die ihm vertrauten, sie würden den Preis seiner Freiheit zahlen. Vor seinem inneren Auge flackerten Bilder vergangener Tage auf. Bakura, rauchend, auf dem Dach stehend, den leeren Blick in den Abgrund gerichtet. Sie beide balancierten auf Messers Schneide, um nicht endgültig den Halt im Leben zu verlieren. „Ryou?“ Der Junge fuhr herum, die Augen groß, starr vor Schreck. Er fühlte sich ertappt. Kaum einen Meter von ihm entfernt stand Marik und blickte ihn fragend an. Das Haar hing ihm ins Gesicht, die gepflegten Fingernägel deuteten auf den Gang hinter ihm. Unsicher runzelte er die Stirn. „Was ist los?“ Er trat einen Schritt näher heran, doch Ryou hob beschwichtigend die Hände und setzte ein Lächeln auf. „Es ist nichts“, hörte er sich sagen. Seine Stimme erklang wie aus weiter Ferne. „Gehen wir.“   Marik war niemand, der sich mit Renn- und Kampfspielen anfreunden konnte. Ryou ging es ähnlich. Da auch Glücksspiel nicht ihrem Geschmack entsprach, blieben sie nach einigen Minuten ziellosem Umherschlenderns vor einer Ansammlung von Greifautomaten stehen. Aus weißem Kunststoff und Plexiglas gefertigt, waren sie bis auf wenige Ausnahmen mit Plüschtieren und Merchandise bekannter Animeserien gefüllt. Kaum, dass die Maschinen in ihr Sichtfeld getreten waren, begannen Mariks Augen zu leuchten. Er packte Ryou am Handgelenk und zog ihn mit sanfter Gewalt hinter sich her. Als sie die Maschine erreichten, prallte Ryou, nicht länger Herr seines Körpers, schwungvoll dagegen. Nur mit Mühe hielt er sich auf den Beinen. „Wenn meine Geschwister das sehen könnten. Sie wären so neidisch.“ „Währen sie das?“ Benommen fuhr sich Ryou mit den Fingern durch das Haar und betrachtete, wie Marik ohne zu zögern sein Portemonnaie öffnete und einige Hundertyenmünzen heraus nahm. Verhalten trat Ryou ein Stück näher an ihn heran, musterte den Inhalt der Maschine. Es handelte sich um große, aus weißem Plüsch gefertigte Stoffhasen, die man auf einer langen Stange aufgereiht hatte. Man musste sie mit der am Dach der Maschine befestigten Kralle in den Schacht befördern, um sie entnehmen zu können. „Du bist nicht aus Japan“, bemerkte Ryou trockener, als beabsichtigt. Marik nickte schwach. „Ich komme aus Ägypten.“ „Aus Ägypten?“ „Ja.“ Marik warf das Kleingeld ein, ohne näher auf Ryous Frage einzugehen. Dieser lehnte sich gegen die Maschine und betrachtete den Stricher still, die Stirn in Falten gelegt. „Warum in Japan?“, brach es schließlich aus ihm hervor. Der Andere zuckte mit den Schultern. „Studium. Wirtschaft und Japanisch. Sie sagten, hier in Japan liegt die Zukunft.“ Ryou lächelte müde und drückte die Stirn gegen das Plexiglas. In seinen Ohren klang diese Äußerung wie ein schlechter Scherz. „Die Blase ist geplatzt. Wir sind mitten in der Krise.“ „Solche Dinge gehen vorbei.“ Marik beugte sich ein Stück vor. Die Tasten des Geräts blinkten wild und er las still die Betriebsanleitung, die man auf einer Plakette notiert hatte. Ryou schlang die Arme um seinen Oberkörper und betrachtete ihn nachdenklich. „Wie lange bist du schon hier?“ „Seit zwei Jahren.“ Marik hob den Kopf und verzog die Mundwinkel zu einem gequälten Schmunzeln. „Aber es lohnt sich für mich mehr, hier zu arbeiten. Ehrlich gesagt will ich gar nicht zurück. In Ägypten machen sie Jungs wie mich fertig. Und heiraten müsste ich auch. Meine Familie...“ Mit schlanken Fingern betätigte er die blinkenden Knöpfe. Die Kralle begann zu surren und suchte sich ihren Weg. Seine Augen waren ausdruckslos auf die Szene gerichtet, das Gesicht wie versteinert. „Ich bin der älteste Sohn, sie erwarten es von mir.“ Ryou antwortete nicht. Stattdessen verließ ein leises Seufzen seine Kehle. Die Fingerspitzen gegen das Glas gelegt, betrachtete er den anderen stumm, ehe er den Blick abwandte. Alle, einfach alle schienen vor irgendetwas auf der Flucht zu sein. Vor sich selbst, vor den Taten ihrer Vergangenheit. Sie alle waren auf der Suche. Nach Frieden, Glück, wer wusste das genau zu sagen. Erneut zuckte Marik mit den Schultern. „Schau nicht so, Ryou. Ich liebe den Job. Ernsthaft. Keine Ahnung, warum ich mich all die Jahre umsonst verramscht habe.“ Ihre Blicke trafen sich und nach einer Sekunde der Stille brachen sie in Gelächter aus. Nicht so ungehalten, wie zuvor, doch es vertrieb für einen Moment die Sorgen aus Ryous Gedanken. Es war Mariks pragmatische Sicht auf die Dinge, die große Ängste klein wirken ließen. Er erwartete vom Leben, dass sich die Dinge irgendwie richteten, und bislang schien er mit dieser Einstellung erfolgreich durchs Leben gekommen zu sein. Aus dem Nichts heraus begann Marik zu fluchen. Die Kralle hatte ihr Ziel verfehlt und kehrte nun an ihre Ausgangsposition zurück. Das Spiel war verloren. Ryou griff in seine Hosentasche und holte einige Münzen hervor. „Lass mich mal.“ Sie tauschten die Plätze. Ryou warf das Geld in den Münzschlitz und startete das Spiel. „Bakura und du, ihr habt die gleichen Zigarettenetuis, nicht?“, fragte er dann, den Blick stur auf die Greifvorrichtung gerichtet. Er war zu schüchtern, solch direkte Fragen zu stellen, doch nun, wo er Marik nicht in die Augen blicken musste, brachte er den nötigen Mut auf. „Ja.“ Marik, der mit der Schulter an der Maschine lehnte, drehte sich auf den Rücken und begann, wahllos vorüberziehende Passanten anzuflirten. „Ich hab’s ihm geschenkt. Von meinem ersten Gehalt im Film Noir. Er hat mir damals den Job dort besorgt, weißt du?“ Er lächelte, während sich in Ryous Magen alles zusammen zog. Ryou ließ sich nichts anmerken, umklammerte lediglich den kleinen Joystick, mit dem er die Kralle steuerte, etwas fester. „Ach so“, presste er zwischen den Zähnen hervor. „Ich bin in einer Kneipe in ihn reingelaufen. Ich weiß gar nicht mehr, wo genau. In Ni-Chome? Ist auch egal. Du hättest ihn mal sehen sollen.“ Marik begann zu kichern. In seiner Stimme hatte sich der Klang des nostalgischen eingeschlichen, die Augen waren auf Dinge gerichtet, die Ryou nicht sehen konnte, gehörten sie schon ewig der Vergangenheit an. „Auf drei Kilometer hat man ihm angesehen, in welchem Business er tätig ist.“ „Warum das?“ „Diese viel zu schneidigen Anzüge, alles auf Hochglanz poliert. Er hatte Goldringe an den Fingern und einen Pferdeschwanz. Er sah aus wie diese typischen Zuhälter in Kabukicho.“ Marik strich sich einige Strähnen hinter das Ohr und seufzte gedankenverloren. „Er hat mich dann gefragt, ob ich das nicht mal ausprobieren möchte. Nun bin ich hier. Eine glückliche Verkettung von Zufällen, wenn man so will. Neben Malik bin ich wahrscheinlich der einzige, der es nicht hasst, dort zu arbeiten.“ Ryou sagte nichts. Stechend stieg die Eifersucht in ihm auf, seine Hände wurden feucht. Die Kralle hob sich. Zu ihrer beidseitigen Überraschung hatte sie etwas gefangen. Ein etwa fünfzig Zentimeter großer Plüschhase fiel in den Gewinnschacht. Wortlos nahm Ryou ihn hervor und betrachtete ihn still, ehe er ihn Marik überreichte. Dieser lächelte, auf seine weiche, feminine Art, schlang die Arme darum und nickte Ryou beschwichtigend zu. „Mach dir keine Sorgen.“ Der Stricher beugte sich nach vorn und drückte Ryou einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Als er Ryous verlegenen Gesichtsausdruck bemerkte, wandte er sich amüsiert ab und schlenderte zu einer der angrenzenden Spielekonsolen. Schweigend, die Wangen von einem zarten Kribbeln erfüllt, blickte Ryou ihm hinterher. „Was?“ Marik wandte sich um, die Augen funkelten im Licht der Neonröhren. „Wir sind kein Paar. Bakura und ich. Wir sind nicht zusammen und waren es nie.“ Ryous Atem stockte. Sofort verfärbten sich seine Wangen dunkelrot. Ertappt schob er die Hände in die Hosentaschen seiner Jeans und starrte auf den Linoleumboden, dunkelgrün und klebrig von verschütteten Getränken. Er zuckte mit den Schultern, ließ den Kopf sinken und tappte Marik, eingehüllt in den Zigarettenqualm der Anderen, still hinterher.   An diesem Abend ging Ryou die Arbeit leichter von der Hand. Angestachelt von dem Gefühl, etwas verbotenes getan zu haben und damit davon zu kommen, konnte er heute über das zudringliche Verhalten der Gäste hinweg sehen. Seit dem Zwischenfall mit Ueno hatte sich das Klima deutlich verbessert. Er war seither nicht zurück gekehrt, was daran liegen mochte, dass er vermutlich noch immer im Krankenhaus lag. „Oi, Ryou!“ Von dem Ruf aus den Gedanken gerissen wandte Ryou sich um und hob die Hände, als er etwas auf sich zufliegen sah. Ehe er realisieren konnte, um was es sich handelte, prallte ein kleines, silbernes Päckchen gegen seine Brust und fiel raschelnd in seine Hände. Bunt bedrucktes Zellophan. Erdnüsse. Ryou hob den Kopf und erblickte Jonouchi, der gut gelaunt hinter der Theke stand und ihn nachdrücklich zu sich heran winkte. „Mach mal kurz Pause. Komm her.“ Stumm trat Ryou hinter die Theke, wo Jonouchi ihm mit einer schnellen Handbewegung das Haar zerzauste. Ryous Protest ignorierte er gekonnt und stützte sich schließlich mit dem Ellenbogen auf der Schulter des Jüngeren ab. „Wer hat eigentlich bei euch gewonnen?“, fragte Ryou, den Blick auf die Schar von Geschäftsmännern gerichtet, die hier ihren Abend ausklingen ließen, ehe sie betrunken in ihre Wohnungen torkelten. Nomikai. Jonouchi kniff die Augen zusammen und ging auf Abstand. „Ich natürlich.“ Er ließ Ryou los und deutete energisch mit beiden Daumen auf seine Brust. „Ich bin der Meister der Prügelspiele!“ Vergnügt lachend hob Ryou die Augenbrauen. Jonouchi, empört den Kopf schüttelnd, packte Ryou an den Schultern und zog ihn näher an sich heran. „Kein Spaß!“ Yuugi ist ein geschickter Spieler, aber wenn es um Schlägereien geht, kann nicht mal er mir das Wasser reichen.“ „Na, wenn du das sagst, Jonouchi...“ Ryou sagte dies nicht ganz ohne freundlich gemeinten Spott, was dem anderen nicht entging. Gut gelaunt grinsten sie einander an, verbunden in stiller Freundschaft, als Ryou aus den Augenwinkeln etwas bemerkte, das sein Lächeln gefrieren ließ. Am Ende des Raumes bahnten sich Yuugi und Marik ihren Weg durch die Menge. Es war Yuugi, der eilig voran ging. Beide wirkten gehetzt, prallten gegen Gäste und verfehlten Tische und Stühle einige Male nur sehr knapp. Als Jonouchi bemerkte, wie Ryous Lächeln verblasste, wurde auch er ernst. Er wandte sich um, folgte Ryous Blick, da hatte Yuugi sie schon erreicht. Mit schnellen Schritten lief er zu ihnen hinter die Theke, wo er ungebremst gegen den Barkeeper prallte. Aufgelöst stand der junge Stricher vor ihnen, seine Schminke war den Tränen zum Opfer gefallen, Mascara und Lidschatten liefen in schwarzen Schlieren über sein Gesicht. Die Augen waren gerötet, ebenso die Wangen. Der zierliche Körper bebte unter Schluchzern. Sowohl auf dem linken Jochbein als auch an den Oberarmen fanden sich dunkelrote Striemen. Wie ein Fisch auf dem Trockenen öffnete er immer wieder den Mund, doch kein Laut verließ seine Lippen. Stattdessen klammerte er sich hilfesuchend an seinem Freund fest, der ihn unschlüssig und besorgt betrachtete. „Es tut mir leid.“ Sie blickten hinüber zu Marik, welcher an der Theke stand und entschuldigend die Hände hob. „Er ist mir einfach entwischt. Ich konnte nichts tun. Ich wollte ihn aufhalten, aber er ist einfach abgehauen.“ Mit den Fingerspitzen hob Jonouchi Yuugis Gesicht an und betrachtete die dunkelroten Flecken, die quer über Yuugis Gesicht verliefen. Mit jeder Sekunde verdüsterte sich sein Gesichtsausdruck zunehmend. Man hatte den Jungen regelrecht zusammen geschlagen. Langsam schwoll das linke Auge zu. „Übernimm kurz für mich“, sagte er an Ryou gewannt, so kalt, dass es diesem die Nackenhaare aufstellte. Dann packte er Yuugi an den Schultern und führte ihn behutsam in den angrenzenden Lagerraum. Sprachlos blickte Ryou den beiden hinterher. Dann wandte er sich an Marik. Sie tauschten unschlüssige Blicke. „Was ist denn passiert?“ Noch steif vor Schreck, begann Ryou, Bier zu zapfen. Mechanisch stellte er die Gläser auf der Theke ab, nahm das Geld entgegen und steckte es in die Kassenschublade. Aus dem Nichts schlangen sich ein Paar schlanker Arme um seinen Oberkörper. Es war Marik, der zu ihm gekommen war und sich nun von hinten an ihn schmiegte. Still platzierte er sein Kinn in Ryous Halsbeuge. Es war nicht das erste Mal, dass sie so zusammen standen. Es war seine Art, Sympathie zu bekunden. Die Gäste störte es wenig. Ungeachtet dessen trieb es Ryou nach wie vor die Röte ins Gesicht. „Einer der Kunden ist übergriffig geworden und hat Yuugi um die Einnahmen geprellt“, flüsterte er leise. Der Hauch seiner Stimme jagte Ryou einen Schauer über den Rücken. Ohne es zu merken, entglitt ihm das Glas, dass er gehalten hatte und fiel zu Boden, wo es in tausend Einzelteile zersprang. Wie betäubt blickte Ryou auf den Scherbenhaufen zu seinen Füßen. „Und jetzt?“, flüsterte er tonlos. Ein bittersüßes Schnauben glitt über seine Haut. „Jetzt wird es hässlich.“ Marik seufzte und lehnte die Stirne gegen Ryous Schulter. Dieser starrte geradeaus und schwieg. Nach einer Zeit niedergeschlagener Stille zog er Ryou näher an sich heran. „Die Kunden buchen Leistungen. Wenn sie nicht zahlen, stimmt bei Feierabend die Kasse nicht.“ „Diesem Malik entgeht nichts, was?“ „Er hat seine Augen überall.“ Minuten später wurde die Tür hinter ihnen aufgeschoben und gab Jonouchi und Yuugi preis. Sie wirkten um Jahre gealtert. Noch immer waren die Augen des Strichers vor von den Tränen, die er zuvor vergossen hatte. Er schien sich etwas beruhigt zu haben. Marik ließ Ryou los und ging zu seinem üblichen Platz hinter der Theke. Sie wagten kaum, einander in die Augen zu sehen. War die Stimmung am Nachmittag noch ausgelassen gewesen, so war nun das Gegenteil der Fall. Wortlos zog Jonouchi eine Glasflasche unter dem Tresen hervor und reichte Yuugi Sekunden später das allabendliche Schnapsglas mit der kaktusgrünen Flüssigkeit. Das Glas fest umklammert, setzte dieser sich neben Marik. Ryou sagte nichts. Mit gesenktem Blick spülte er von den Gläsern, wovon er sich nicht reinwaschen konnte. Die anderen signalisierten mit jeder Bewegung, dass sie wussten, was nun folgte, während er allein mit seiner Ratlosigkeit zurecht kommen musste. Er wagte es nicht, zu fragen und malte sich gedanklich bereits das Schlimmste aus. Irgendwann hob er den Kopf und ließ den Blick ziellos umher schweifen. Sie alle wirkten seltsam entrückt. Marik, der Mittags noch mit den Passanten geflirtet hatte, starrte gedankenverloren auf das Thekenholz, während Jonouchi, der einem Roboter gleich ein Glas nach dem anderen abfertigte, nur hin und wieder den Kopf reckte und einen prüfenden Blick über die Menge schickte. Er schien nach etwas Ausschau zu halten. Nur Yuugi wirkte, nun, da die Tränen versiegt waren, merkwürdig unbeeindruckt. Still betrachtete er sein Glas, ehe er es in einem Zug leerte. Sein Blick war gezeichnet von einer Melancholie, die man auf den ersten Blick leicht übersah. Eine blasse Hand legte sich auf Yuugis Schulter. Ryou runzelte die Stirn und hob den Blick, nur um eine Sekunde später inne zu halten. Ein lautloses Zittern durchlief die Runde, jeder von ihnen schien zu Eis erstarrt. Bakuras Augen funkelten bedrohlich im Halbdunkel. Das schummrige Kneipenlicht verstärkte die Schatten, welche schon tagsüber sein schmales Gesicht zeichneten und verliehen ihm die Ausstrahlung eines Mannes, mit dem man es sich besser nicht verscherzte. Er trug die Uniform des japanischen Büroangestellten. Eine graue, schmal geschnittene Nadelstreifenhose, lederne Schuhe und ein weißes Hemd, dessen Ärmel er bis über die Ellenbogen hochgekrempelt hatte. „Oben gab es Tumult.“ Er sprach leise, doch so nachdrücklich, dass selbst Ryou ihn über all die Distanz noch verstehen konnte. „Was ist passiert?“ Schweigen war die einzige Antwort, die er erhielt. Je länger er wartete, desto dunkler wurden die Schatten in seinem Gesicht. Leise knurrend verstärkte er den Griff um Yuugis Schulter. „Wird’s bald?“ Sie tauschten betretene Blicke. Dann, nach anfänglichem Zögern, war es Marik, der den Mund öffnete und die Stille durchbrach. Seine Stimme, sonst voller Selbstbewusstsein, klang resigniert, war kaum mehr als ein Flüstern. „Einer der Gäste ist handgreiflich geworden und hat Yuugi um die Einnahmen geprellt.“ Bakura verzog das Gesicht. Für eine Weile sagte er nichts, dann beugte er sich nach vorn und tauschte einige vielsagende Blicke mit Yuugi, der ruhig zwischen ihnen saß und sich nicht gerührt hatte. „Das wird den Boss interessieren, glaubst du nicht auch?“ Yuugi nickte. Dabei wich die letzte Farbe aus einem zugeschwollenen Gesicht. Marik, dessen Hände zu Fäusten geballt auf seinen Knien ruhten, schloss die Augen, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen gepresst. Plötzlich schepperte es hinter ihnen. Ryou riss die Augen auf und fuhr herum. Es dauerte nicht lange und er erkannte Jonouchi, der, beim Versuch, so schnell wie möglich den Thekenbereich zu verlassen, einige der frisch gespülten Gläser umgerissen hatte. Ehe Ryou und Marik ihn aufhalten konnten, hatte er Bakura am Kragen gepackt und mit einer heftigen Handbewegung zu sich heran gezogen. „Du verdammter Mistkerl!“ Seine Finger verkrallten sich im weißen Hemdstoff. Sein Gesicht war rot vor Zorn, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt. Durch seine Haut traten die Knöchel weiß schimmernd hervor. „Fass ihn noch ein Mal an und ich mach dich fertig. Glaub mir, ich sorge dafür, dass deine eigene Mutter dich nicht mehr als ihren Sohn erkennt.“ In Sekundenbruchteilen waren alle auf den Beinen. Marik erwachte aus seiner Lethargie und auch Ryou ließ alles stehen. Zusammen packten sie Jonouchi an den Armen und versuchten, ihn von Bakura herunter zu zerren, doch ohne Erfolg. Die beiden Männer, die sich in ihrer ganzen Feindseligkeit ineinander verkrallt hatten, bewegten sich keinen Zentimeter. „Lass mich sofort los.“ Bakuras Stimme war nicht mehr als ein Knurren. Voller Selbstbeherrschung packte er Jonouchis Hand, versuchte, sie zu lösen, doch der Andere zeigte keine Reaktion. „Du überspannst den Bogen, Katsuya.“ Der Blonde lachte kalt. Er zog Bakura noch näher zu sich heran. „Aber du, was? Du überspannst ihn jeden Tag. Du kannst dir deine Großkotzigkeit nur erlauben, weil du Maliks Liebling bist, vergiss das nicht.“ Er atmete tief ein und spuckte vor Bakura auf den Boden. „Du bist die einzige Nutte hier, und das weißt du ganz genau.“ Stille. Die Musik, so laut, dass sie jede Konversation erschwerte, schien zu verstummen. Fassungslos starrten sie den Blonden an, der wieder im Begriff war, den Mund zu öffnen, als Yuugi aufsprang und sich zwischen die beiden drängte. „Jonouchi, hör auf!“ Sein Gesicht, sonst das eines Kindes, war vor Wut verzerrt. „Es reicht. Hör auf. Es ist genug. Es ist in Ordnung. Bitte.“ Wie vom Donner gerührt, erstarrte der Barkeeper. Nur langsam lockerte sich der Griff um Bakuras Hals. Bakura, der auf diese Gelegenheit gewartet hatte, ergriff sie und löste sich mit einem Ruck aus Jonouchis Händen. „Yuugi, was sagst du da?“ Der Jüngere setzte ein Lächeln auf, doch es wirkte maskenhaft und falsch. Jeder hier wusste, dass er sich opferte, damit sein bester Freund nicht in Schwierigkeiten geriet. Vorsichtig schob er die beiden ein Stück auseinander. „Bitte.“ Seine Stimme klang flehend. „Es war mein Fehler und ich muss die Verantwortung dafür übernehmen.“ Jonouchis Mund klappte auf. Verständnislos hob er die Hände und trat näher an seinen Freund heran. „Yuugi, du hast überhaupt nichts getan. Das ist doch bescheuert!“ Er packte ihn an den Schultern. Sein Gesichtsausdruck pendelte zwischen Verständnislosigkeit und Sorge. Bakura, der hinter ihnen stand und sich beherrscht den Hemdkragen richtete, funkelte Jonouchi hasserfüllt an. Die beiden hatten sich noch nie gut verstanden, doch heute hatte ihre Antipathie ein neues Level erreicht. „Du hast ihn gehört“, knurrte er und verzog missbilligend das Gesicht. „Jetzt schieb deinen Arsch zurück hinter die Theke und mach deine verdammte Arbeit.“ Knapp nickte Bakura Yuugi zu, der diese Geste erwiderte und sich anschließend peinlich berührt eine der blonden Strähnen hinter das Ohr strich. Die Energie, die ihn soeben beflügelt hatte, hatte sich aufgelöst. Still blickte er zu Boden, die Arme schutzsuchend vor der Brust verschränkt. Ein letztes Mal tauschten Bakura und Jonouchi Blicke aus. „Das wird ein Nachspiel haben, klar?“ Mit vor Zorn funkelnden Augen stierte Jonouchi zurück. Niemand in diesem Raum schien mehr Selbstbewusstsein, mehr Standhaftigkeit zu haben als diese beiden Männer. „Leck mich, Bakura. Ernsthaft. Leck mich.“ „Dir wird das Lachen noch vergehen, verlass dich drauf.“ Erneut legte er Yuugi die Hand auf die Schulter. Es war sein Stichwort. Zusammen verschwanden sie in der Menschenmenge und ließen die Verbliebenen ratlos zurück. Steif und mit geballten Fäusten starrte Jonouchi ihnen hinterher, bereit, bei der kleinsten Provokation erneut auf Bakura loszugehen, während Ryou und Marik still nebeneinander standen. Einmal mehr stiegen in Ryou die Bilder seiner Ankunft auf, die Szene, in die er hinein geraten war, als er das erste Mal Maliks Büro betreten hatte. Schweigend blickte er Bakura nach, blinzelte sie fort, die Bitterkeit, die plötzlich von ihm Besitz ergriffen hatte.   Gegen drei Uhr am Morgen - die Zahl der Gäste hatte sich zur Zeit des letzten Zuges beachtlich gelichtet - wurde am anderen Ende des Schankraumes jene schwarze Metalltür aufgeschoben, die zu Maliks Büro führte. Es war Bakura, der heraus trat und er war allein. Er wirkte abgekämpft und müde, schien obendrein blasser zu sein, als sonst. Obschon er zum Rauchen stets nach draußen ging, schob er sich, kaum, dass die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, eine Zigarette zwischen die schmalen Lippen und zündete sie an. Anschließend sank er mit dem Rücken gegen die Wand, die linke Hand in der Hosentasche vergraben. Sein Hemd war makellos sauber, die Ärmel immer noch hochgekrempelt. Marik, der wie besessen zu jener Tür gestarrt hatte, sprang auf, sobald er den Anderen sah und eilte durch die verbliebenen Gäste hindurch zu ihm. Ryou und Jonouchi blickten auf und unterbrachen ihre Arbeit. Obwohl Bakura auf Marik stets mit offener Ablehnung reagierte, verhielt er sich dieses eine Mal merkwürdig neutral, als der junge Stricher ihn in ein Gespräch verwickelte. Sie standen dicht beieinander, redeten ernst und interagierten auf eine vertraute Art, die Ryou nicht entging. Den Kopf gegen den Backstein gelehnt, die Zigarette zwischen den schlanken Fingern eingeklemmt, antwortete Bakura lediglich einsilbig auf das, was sein Gegenüber ihm zu sagen hatte und während Marik stets den Blickkontakt suchte, wich Bakura diesem gezielt aus. Als Marik erkannte, dass er keine weiteren Informationen erhalten würde, schob er sich an Bakura vorbei und verschwand. „Ich gehe ihm hinterher.“ Ryou warf Jonouchi das Spülhandtuch zu, dass er soeben noch in den Händen gehalten hatte, und zog die Schürze über seinen Kopf. Er hatte damit gerechnet, dass Jonouchi ihn aufhalten würde, doch dieser sagte nichts. Manchmal, da brauchte es keine Worte, um auszudrücken, dass man das gleiche fühlte. Raschen Schrittes durchquerte Ryou den Schankraum, besorgt über den Anblick, der sich ihm gleich bieten würde. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, seine Hände waren kalt und zitterten. Selbst Bakura wirkte verstört über das, was in Maliks Büro vorgefallen sein musste. Wie schlimm hatte er Yuugi zugerichtet? Wie schwer mochte er verletzt sein? Plötzlich packte ihn jemand am Oberarm und brachte ihn zum Stehen. Der Griff brannte wie Feuer. Ryou, der einen Moment brauchte, um zu realisieren, was vor sich ging, hob den Kopf. Es war Bakura, der ihn festhielt. In der Linken noch immer die Zigarette haltend, gruben sich die Finger seiner rechten Hand unbarmherzig in seine Haut. Ihre Blicke trafen sich. Die wachen, intelligenten Augen des Anderen, die stets eine bedrohliche Kälte ausgestrahlt hatten, trugen nun einen Ausdruck, den Ryou nicht deuten konnte. Er wusste nur, dass ihm jetzt, in diesem Moment, alles zu viel wurde. Er wollte nicht mehr. Er hatte die Nase voll davon, ständig herum geschubst zu werden. Mit einem ungeahnt harten Ruck riss er sich los und trat einen Schritt zurück. Er war wütend über das, was geschehen war und machte keinen Hehl daraus. Seine sonst warmen Augen schienen aus Eis zu sein. Zornig starrten sie Bakura an, seine ganze Körperhaltung drückte den Abscheu aus, den er ihm gegenüber in diesem Moment empfand. „Fass mich nicht an.“ Etwas in Bakuras Gesicht flackerte auf, dann verschwand es. Sie blickten einander für einige Sekunden stillschweigend an, ehe Ryou - es fühlte sich an, als habe er eine Ewigkeit so verharrt - sich abwandte und Marik hinterher lief. Keine Worte hätten ausdrücken können, was er in diesen Sekunden Bakura gegenüber empfand. Es war besser für sie, es nicht auszusprechen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)