Portrait der Sünde von LauraAStern (Eine Geschichte aus Mr. Crawfords Haus im Nebel) ================================================================================ Kapitel 3: 09. September ------------------------ Es scheint mir, als hätte ich die ganze Nacht lang wachgelesen, doch irgendwann muss ich wohl eingeschlafen sein, denn ich erwachte früh und blickte einem strahlenden, goldenen Septembermorgen entgegen. Doch nicht nur auf den Boden meiner Mansarde fällt der wohltuende Schimmer der Morgensonne; er erhellt auch die Geschehnisse der letzten Nacht, vertreibt ihre schattenhaften Schrecken. Ach, wie lächerlich und pathetisch mir der Eintrag von gestern Nacht doch nun erscheint. Wenn ich irgendetwas mit absoluter Gewissheit sagen kann, dann ist es dies: Wen auch immer ich da sah, Cherubina war es nicht! Ich gestehe, der Gedanke daran, dass irgendwo in Oxford eine arme Dame ist, die von unserer nächtlichen Begegnung ebenso verwirrt und erschreckt wurde, weil ich, ihr vermeintlicher Geliebter, schreiend vor ihrer liebevollen Umarmung flüchtete, beruhigt und erheitert mich. Und doch: Das Portrait ist noch immer leer. Erneut wurde Lawrences Schrift zittrig und unstet und blieb es bis zum Ende des Eintrages. Ein schlechtes Gefühl machte sich in Viktors Magengrube breit. Natürlich war die Idee einer einem Bild entstiegenen gestalt lachhaft. Allerdings musste er gestehen, dass er sich fragte, was wohl wäre, wenn dies doch keine Spinnerei seines Freundes war. Genauso wie ich den Eintrag von gestern Nacht heute Morgen für albern hielt, so ist es nun der Eintrag von heute Morgen, der mir lächerlich erscheint. Wie sehr wünsche ich mir diese absolute Gewissheit, dass es nicht Cherubina sein kann, zurück. Doch diese Gewissheit ist ein falsches Biest. Ich weiss es nun: ich lag falsch. Denn heute sah ich Cherubina erneut und das helle Tageslicht liess keinen Zweifel. Schon während meines Tagewerks, als ich weiter an Mrs. Finleys Portrait arbeitete, hatte ich das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden, glaubte, aus dem Augenwinkel heraus eine Silhouette im Türrahmen stehen zu sehen. Zunächst dachte ich mir nichts weiter dabei, wähnte die Gestalt ein neugieriges Hausmädchen, das gewiss gleich wieder verschwinden würde. Doch die Figur machte keinerlei Anstalten, den Türrahmen und meinen Augenwinkel zu verlassen und wieder brav ihrer Arbeit nachzugehen. Schliesslich gewann meine Neugier die Oberhand, ich wollte wissen, wer mich und Mrs. Finley so unverschämt beobachtete und wandte mich für einen Moment mit finsterem Blick der Tür zu. Ein Beistelltisch auf der anderen Seite des Flurs mit einer Vase, in der sich kunstvoll arrangierte Feuerlilien befanden, war jedoch alles, was ich dort sah. Der Türrahmen war leer. Und doch kehrte die schattenhafte Figur in meinen Augenwinkel zurück, sobald ich mich wieder meiner Arbeit zuwandte. Ich sah erneut zur Tür, und wieder sah ich nichts im Mindesten Ungewöhnliches. Dies mag ein vernünftiger Mensch wohl als Sinnestäuschung abtun und dies war genau, was auch ich tat. Zumindest versuchte ich es, aber der geisterhafte Schatten erwies sich als äusserst hartnäckig, so dass ich immer wieder finstere Blicke nach der Tür warf, nur um immer und immer wieder lediglich jenes prächtige Liliengesteck vorzufinden. Als ich Mrs. Finley nach einem hervorragenden Mittagessen wieder verliess, hoffte ich, den Schatten gleichfalls hinter mir lassen zu können und machte mich auf zu Mr. Kingston, meinem nächsten Kunden. Dessen Butler liess mich ein und teilte mir mit, ich möge bitte im Salon warten, denn der Hausherr befand sich noch in einer Besprechung mit einem seiner Kunden. Während der brave Mann mich durch die Diele führte, beschlich mich abermals das Gefühl, beobachtet zu werden. Der Schrecken von letzter Nacht kehrte jäh in mein Gedächtnis zurück, als ich oben an der Treppe ein Mädchen erspähte. Mit weitem, blassviolettem Krinolinenrock und wallenden goldenen Locken schaute das schöne Kind um eine Ecke in die Diele hinab. Gerade noch konnte ich einen Schrei des Entsetzens unterdrücken, beruhigte mich mit dem Gedanken, er werde sich dabei wohl um die Tochter oder Dame des Hauses handeln, die meiner Cherubina auf den ersten Blick unglücklich ähnlich sah. Sicherlich werde sich diese frappante Ähnlichkeit bei näherer Betrachtung als Täuschung herausstellen, sagte ich mir. Mortimers vielsagendes Lächeln bestätige die stumme Vermutung seines Sohnes, der ihm einen fragenden Blick zuwarf. Auf keine der Damen aus dem Haus Kingston traf die Beschreibung des seltsamen Mädchens, das Lawrence gesehen haben wollte, zu. Viktor fühlte, wie eine Gänsehaut langsam seinen Rücken hinaufkroch. Mr. Kingston erwies sich als grossgewachsener Mann mit strengen Gesichtszügen und vorzeitig ergrautem Backenbart. Er beauftragte mich mit einem Familienportrait, was mir gerade sehr gelegen kam, sah ich doch die perfekte Möglichkeit, meine Ängste vor der Mädchengestalt auf der Treppe zu zerstreuen. Also bat ich ihn, doch die Familie kurz für eine erste Skizze zusammenkommen zu lassen. Mr. Kingston entschuldigte rasch seine Gattin - sie war ausser Haus, beim Tee mit einer anderen Dame, an deren Name ich mich nicht mehr erinnern kann - liess jedoch die Kinder der Familie holen. Als die Kinder den Raum betraten, schnürte sich mir die Kehle zu. Mr. Kingstons älteste Tochter kam der Figur von der Treppe zwar in Alter und Grösse nahe und sicherlich war sie ein hübsches Kind, doch mit dem mausbraunen Haar und dem sommersprossigen Gesicht, konnte sie es sicherlich nicht gewesen sein. Die jüngeren Kingstontöchter - Zwillinge, wie Mr. Kingston mir nicht ohne Stolz mitteilte - glichen ihrer älteren Schwester nicht nur, sondern trugen auch noch Zöpfe. Ach, auch jetzt wird mir noch ganz flau, wenn ich an diesen fürchterlichen Moment gnadenloser Realisation zurück denke. Natürlich war ich kaum zu einem sauberen Strich fähig, das Skizzieren schien sich eine Ewigkeit hinzuziehen, war ich doch nun sicher, dass meine nächtliche Begegnung mit Cherubina keine Einbildung, keine überschäumende Fantasie, sondern ganz und gar echt war. Sie ist hier; In dieser Welt, in diesem Haus; Dem Bilderrahmen wahrhaftig entstiegen um mich zu verfolgen, einzufordern, was ich versprochen habe; meine Seele, mein Leben. Ach, ich Tor! Ich Narr! Hätte ich doch auf Viktor gehört, als er mir riet, meine Seele nicht leichtfertig zu verschenken. Mortimer konnte nicht umhin, neben Unglauben auch eine Gewisse Genugtuung in den Augen seines Sohnes zu entdecken. Natürlich versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen und doch zitterten mir die Hände, wieder und wieder sah ich gehetzt von der Skizze auf. Zwei- oder dreimal glaubte ich, mir müsste wahrhaftig das Herz stehen bleiben, weil ich Cherubina lauernd hinter den schweren Samtvorhängen wähnte. Ach, es war fürchterlich und es wurde nicht besser, denn als ich das Haus Kingston eilig verliess, ja geradezu flüchtete, schien mir jede Dame, welche unschuldig die Strasse entlang spazierte, Cherubinas Antlitz zu tragen. Wo auch immer ich mich hinwandte, überall sah ich nur sie, als hätte sie ganz Oxford in ihrem vermaledeiten Bann gezogen. Ein Teil mag sicherlich meinem geschundenen Nervenkostüm und meiner von Natur aus überschäumenden Phantasie geschuldet sein, und doch: Nicht alles, was ich in jenem Moment des Schreckens sah, war erdacht. Ich bin sicher, ich sah Cherubina in Mr. Kingstons Haus und auf der Strasse. Sie verfolgte mich mit einer Schnelligkeit, die wohl nur Engel oder Dämonen zu Wege bringen. Sah ich sie eben noch in der Albert Street stehen, erwartete sie mich nur einen Augenblick später bereits in der Observatory Street, als hätte sie die ganze Zeit dort gestanden. Mehrmals bog ich um eine Ecke, nur um sie bereits dort vorzufinden, als sei sie geradewegs aus dem Boden gewachsen, so dass ich einen grossen Umweg nach Hause nehmen musste. Ausser mir schien niemand die infernalische Erscheinung zu bemerken, einmal sah ich sogar eine Droschke direkt durch das scheussliche Gespenst hindurch fahren! Meine Tür ist versperrt, obwohl ich nicht weiss, ob dies den Dämon der mir auf den Fersen ist, aufzuhalten vermag. Ohne Zweifel werde ich in dieser Nacht kein Auge zu tun können... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)