Portrait der Sünde von LauraAStern (Eine Geschichte aus Mr. Crawfords Haus im Nebel) ================================================================================ Kapitel 6: 12. September ------------------------ Ich befand mich in meiner Dachkammer, rastlos wie ein in die Enge getriebenes Tier ging ich auf und ab, eine Möglichkeit zu entkommen suchend, bis ich bemerkte, dass etwas mit der Leinwand vor sich ging. Es schien, als bewegte sich etwas hinter dem Leinen, als drückte jemand von hinten dagegen. Ich sah schauernd, doch fasziniert, zu, wie vor meinen eigenen Augen von Geisterhand ein Bild auf diese leere Leinwand gemalt wurde. Erst skizzenhaft erschien eine Figur auf ihr, Zunächst vermutete ich Cherubina, doch je klarer und ausgearbeiteter das Bild wurde, desto deutlicher erkannte ich, dass die Figur männlich sein musste und schliesslich stand ich meiner selbst gegenüber. Ich war es, der mir panisch von der Leinwand entgegen starrte, das Gesicht von unbeschreiblichem Schrecken entstellt und verzerrt, die Hände hilflos erhoben, als presste ich sie gegen eine Glasscheibe. Mein gemaltes Selbst wand sich und schien zu schreien, doch ich hörte keinen Ton. Der Anblick war grauenvoll, doch nicht so grauenvoll, wie das, was dann mit mir geschah. Mir war, als erfasse mich ein Polarsturm, so eisig kalt war der Wirbel, der mich plötzlich packte und mir für einen Moment die Sinne raubte. Als ich wieder zu mir kam, sah ich meinen Körper von aussen, beobachtete voller Entsetzen, wie er zusammenbrach und leblos liegen blieb. Und ich war gefangen in eine kalten Schwärze, in der nicht lebte, nur mit einem kleinen Fenster zur Wirklichkeit; der Leinwand auf der Staffelei. Alsdann betrat Cherubina mein Blickfeld. Ganz ruhig beugte sie sich über meinen Körper, streichelte langsam, geradezu zärtlich über meine Wange und ich spürte diese Geste tatsächlich. Und ebenso fühlte ich den Kuss, den sie meinem scheinbar toten Körper auf die Stirne hauchte. Ich schauerte und wollte mich abwenden, doch ich konnte nicht, ich war wie hypnotisiert und musste mitansehen, wie mein Körper verschwand, sich in ihren Armen in Luft auflöste, wie Nebel in der Morgensonne. Dann schliesslich erhob sich meine Peinigerin wieder und wandte sich der Leinwand zu. Sie sah mir direkt in die Augen und lachte, unschuldig, wie ein Kind, das ein schönes Geschenk, das ihm schon seit langem versprochen worden war, bekommen hatte. Dieses Lachen - es hätte schöner und zugleich grausamer nicht sein können - klang mir noch in den Ohren, als ich aus dem Schlaf schreckte. Ich tastete bebend nach meiner Brust, als ich zurück in die Kissen sank, froh, meinen eigenen Leib zu spüren, ja, überhaupt noch einen Körper zu besitzen. Der Schrecken des Traumes sass mir tief in den Knochen und ich spähte misstrauisch nach der Leinwand, die jedoch still und scheinbar unschuldig auf der Staffelei stand, wo ich sie selbst abgestellt hatte. Dass ich derzeit - von wirren Träumen geplagt - nur wenig Schlaf finde, ist nichts Neues für mich, doch im Gegensatz zu den vorherigen Träumen, die ich nur vage, aber als seltsam und schrecklich in Erinnerung habe, erinnere ich mich an jede scheussliche Detail dieses Traumes. Ist dies das Schicksal, das mich erwartet, wenn es mir nicht gelingt, Cherubinas verdorbenes Tun aufzuhalten? Auch Mortimer blickte zu der Leinwand, dem Portrait des Malers und seiner Kreation, das auf ihr zu sehen war, und stellte sich die selbe Frage. Ich werde es nicht so weit kommen lassen! Ich bin nach wie vor überzeugt, dass es eine Möglichkeit gibt und ich habe auch schon eine Idee, wie ich es bewerkstelligen will. Mortimer bezweifelte, dass Mr. Sterling noch grossen Einfluss auf diese Geschichte nehmen konnte und die zackige, eilige Schrift des nächsten Absatzes bestätigte seine Vermutung. Diese verdammte Leinwand! “Wenn bereits etwas auf der Leinwand gemalt ist“, dachte ich naiv, “kann man meine Seele auch nciht darauf bannen.“ Also sammelte ich rasch meine Pinsel und Farben zusammen. Ich vergeudete sogar ein paar Momente damit, eine schnelle Skizze anzufertigen, da ich es ja hasse, einfach ins Blaue hinaus zu malen. Und trotz meines Zorns auf diesen höllischen Haufen Stoff und Holz und die Misere, für die er steht, lässt mich der Gedanke an diese alte Eigenheit lächeln. Bei all dem Phantastischen und unnatürlichen, das in den letzten Tagen passierte, erscheint es doch so erfrischend und wunderbar, etwas so profanes zu tun, wie vor dem ersten Strich auf der Leinwand eine kleine Skizze anzufertigen. Tatsächlich fand Mortimer zwischen den Seiten einen Zettel mit einer groben Skizze und studierte ihn aufmerksam. Unglaublich, dass aus so etwas später Kunst wurde; sogar er hätte das zu Stande gebracht. Nervös und mit zitternden Fingern setzte ich also an, den erster Strich zu tun. Aber, oh dieses dreimal verdammte Teufelsding! Kaum war der Strich getan und mein aufgewühltes Gemüt dabei, sich etwas zu beruhigen, da verschwand er auch sogleich wieder. Fort! Einfach so! Als wäre da nie irgendetwas auf dieser Leinwand gewesen, als hätte ich sie gerade erst gekauft! Ich kann noch jetzt kaum glauben, was dort geschah. Von keinem meiner verzweifelten Pinselstriche, blieb auch nur die geringste Spur zurück. Ich versuchte in einem Anflug von Panik eine grosse Farbfläche mit einem Spachtel aufzutragen, doch auch sie verschwand! Es war Cherubinas Art, mich und meine Bemühungen zu verspotten und mit dieser Erkenntnis ergriff mich einmal mehr heisser Zorn, wie er es in dieser schicksalhaften Nacht schon getan hatte. Sollte sie spotten, solange sie denn noch konnte! Ich rammte meinen Spachtel mitten in das Leinen, riss es in Fetzen und zertrümmerte den Rahmen bis nur noch kleine Stücke von ihm übrig waren. Als ich damit fertig war, atmete ich schwer, doch mein Herz schlug leicht. War dieser Ausbruch auch zweifelsohne rüde und ungesittet, ach, so war er doch auch so befreiend wie es die blosse Entledigung von Ärger und simpler Frustration nicht hätte sein können. Der Bann ist gebrochen, ich weiss es, ich fühle es. Auch daran wagte Mortimer noch erheblich zu zweifeln, immerhin fehlte heute, nur zwei Tage nach diesem Eintrag, jede Spur seines Verfassers. “Viktor? Mr. Sterling schreibt hier, er wollte eine Dame namens Christine besuchen. Weisst du, um wen es sich dabei handeln könnte?“, fragte Mortimer seinen Sohn interessiert, nachdem er die letzten Zeilen des Eintrages gelesen hatte. Viktor legte den Kopf schief, während er überlegte, eine Angewohnheit, die er - im Gegensatz zu seinen Geschwistern - von seinem Vater übernommen hatte. “Ich glaube, seine Schwester heisst Christine. Wenn ich mich recht erinnere, wohnt sie in Liverpool“, sagte er dann. “Also... lebt Lawrence noch?“, fügte er nach einem Moment des Schweigens zögernd hinzu. “Zum Zeitpunkt dieses Eintrages war er sicherlich noch recht lebendig, aber ob das noch immer so ist... Das muss sich erst noch zeigen“, erwiderte sein Vater bedächtig. Ein letzter Eintrag befand sich noch im Tagebuch und seine ersten Worte liessen Mortimer nichts Gutes ahnen. “Du solltest zum Postamt gehen und versuchen, Miss Christine zu telegraphieren. Frag sie, ob sie etwas von ihrem Bruder gehört hat, wenn du kannst“, wies Mortimer seinen Sohn an und steckte ihm ein paar Schilling für das Telegramm zu, bevor er sich dem letzten Eintrag zuwandte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)