My other Self von Erenya (Persona 4 Golden mit weiblichen MC) ================================================================================ Prolog: Welcome to the Velvet Room ---------------------------------- Inmitten von Nebel stand sie irgendwo im Nirgendwo. Ihre Sicht war durch den dichten Schleier getrübt- und sie wusste nicht, wo sie hin sollte. Dennoch lief sie langsam, Schritt für Schritt, in eine ihr ungewisse Richtung, hoffend, dass sich der Nebel bald verzog. Erst als sie das Geräusch eines Automotors vernahm, blieb sie stehen und wartete. Und schließlich, ganz langsam, vernahm sie die Silhouette einer schwarzen Limousine, die in ihre Richtung kam und schließlich vor ihr hielt. Die Tür ging auf, und als wäre es selbstverständlich, stieg sie ein und fand sich im blauen Inneren des Wagens wieder. Ohne sich groß zu wundern setzte sie sich auf einen Platz gegenüber des Mannes mit der langen Nase und der blonden Frau, die ihr Eindringen scheinbar ignorierte. Sie nahm einen leichten Ruck wahr und ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass sich der Wagen wieder in Bewegung gesetzt hatte. Doch auch weiterhin sah sie nichts außer dicken Nebelschwaden, die das Auto erneut zu verschlucken schienen. Erst jetzt, wo die Fahrt begonnen hatte, nahmen ihre Mitfahrer sie wirklich wahr, als wäre sie mit der Bewegung des Fahrzeuges wirklich in ihre Welt getreten. „Willkommen im Velvet Room.“ Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als der langnasige Mann sie begrüßte und sie im Nachhinein noch als ihren Gast bezeichnete. Freundlich und zuvorkommend stellte er sich als Igor vor, was sie nur mit einem leichten Nicken als Antwort bedachte. Ihr war dennoch etwas unwohl, denn oberflächlich betrachtet wirkte Igor mehr als suspekt und nicht gerade Vertrauenswürdig. Doch dasselbe traf nicht auf seine schöne Begleitung zu, die sie mit ruhigem Blick musterte und sie förmlich mit diesen gelben Augen zu durchbohren schien. Obwohl sie nicht danach gefragt hatte, erklärte ihr Igor sofort, was der Velvet Room war. Ein Raum, der irgendwo zwischen Realität und nicht Realem war. Ein Raum, den nur jene betreten konnten, die einen Vertrag- irgendeiner Art, geschlossen hatten. Aber sie hatte keinen Vertrag. Wieso war sie dann hier? „Es kann sein, dass dich in naher Zukunft so ein Schicksal erwartet.“ Leicht blinzelte sie und sah den Mann an, der scheinbar nicht nur ihre Gedanken gelesen hatte, sondern auch mehr wusste als sie. Zumindest glaubte sie es aus seinen Worten herauszuhören. Und das behagte ihr gar nicht. „Also dann, warum stellst du dich nicht erst einmal vor?“ Erwartungsvoll blickte Igor sie an, während sie um die Worte rang, mit denen sie ihm ihren Namen nennen wollte. Sie zweifelte, ob sie diesem Mann wirklich ihren Namen nennen sollte, doch irgendeine fremde Macht in ihr zwang sie dazu. „Narukami Otome“, stellte sie sich schließlich vor und fragte sich, was Igor mit dieser Information wollte. „Verstehe. Nun dann, lass uns in deine Zukunft sehen.“ Kaum dass Igor das gesagt hatte, erschienen Tarotkarten vor ihm auf den Tisch. Sie glaubte nicht an so etwas, und obwohl sie ihm das sagte, immerhin hatte er sie auch gefragt, ließ er sich nicht beirren. Mit einer Handbewegung legten sich die Karten mit ihrem Rücken nach oben vor ihr auf dem Tisch, doch bevor Igor die Erste aufdeckte, erklärte er ihr, wie das Kartenlegen funktionierte. Dass man immer dieselben Karten benutzte und die Ergebnisse doch immer anders seien. 'Unheimlich...' Sie konnte nicht anders, als das zu denken. Nicht nur, weil sich die Karten von selbst auf seinen Wink bewegt hatten, sondern weil ihr einfach das ganze Tarotprinzip zu suspekt war. Vor allem wenn der Kartenleger eine so merkwürdige Person wie Igor war. „Mmh... Der Turm ist aufrecht und repräsentiert die nahe Zukunft. Eine große Katastrophe wird geschehen. Die Karte, die damit einhergeht, ist... der Mond in der aufrechten Position. Die Karte steht für „Mysterien“ und eine „Unterbrechung“... das ist wirklich interessant. Es scheint so, dass dir auf deiner Reise ein Unglück geschehen wird und sich ein großes Rätsel vor dir auftut.“ Sie verstand nicht, was der Mann meinte oder wovon er genau sprach, doch sie schwieg und lauschte weiter seinen Worten. „In den kommenden Tagen wirst du einen Vertrag abschließen. Danach wirst du wieder hier her zurückkehren. Das kommende Jahr ist ein Wendepunkt in deinem Leben. Wenn das Rätsel ungelöst bleibt, könnte deine Zukunft für immer verloren sein. Meine Aufgabe wird es sein, dich zu unterstützen, damit das nicht passiert.“ Noch während sie seinen Worten lauschte, verschwanden die Karten wieder vom Tisch und ein kurzer Moment der Stille kehrte ein, bis Igor seine Stimme erneut erhob und ihm seine Assistentin, die blonde Frau in blauer Kleidung, vorstellte. „Mein Name ist Margaret. Ich bin hier, um dich auf deiner Reise zu begleiten.“ Nur kurz hatte die Frau ihre Stimme erklingen lassen, ehe Igor wieder das Wort an sich nahm und seinem weiblichen Gast erklärte, dass sie die Details ein anderes Mal erklären würden. 'Als ob ich wieder hierher zurückkommen würde. Man träumt nicht zweimal dieselben Dinge', dachte Sie und lächelte leicht, was wohl auch Igor bemerkte, der wieder geheimnisvoll kicherte. „Bis dahin, auf Wiedersehen...“ Ihre Sicht verschwamm und wurde ihr von der Dunkelheit genommen. Und schließlich schien der Velvet Room nicht mehr als ein Traum gewesen zu sein. Nur noch das Ruckeln des fahrenden Busses erinnerte sie halbschlafend an diesen doch abstrusen Traum. Kapitel 1: The Arrival ---------------------- April 11 Otome hatte gewusst, dass sie einfach zu nahe an den großen Bildschirmen am Bahnhof gestanden hatte, als sie Risette verkünden hörte, was für einen Diätdrink man wohl benutzen sollte, wenn man seine Figur halten wollte. Wahrscheinlich würde dieser Werbespot ein voller Erfolg werden, denn Rise Kujikawa, alias Risette hatte einen Traumstart als Idol hingelegt. Doch Otome interessierte das nicht, denn sie hatte bei weitem andere Probleme als ihre Strandfigur. Heute war es soweit, heute würde sie nach Inaba fahren weil ihre Eltern einen Job im Ausland angenommen hatten und damit nicht in der Lage waren für sie zu sorgen. Es war einfach lächerlich. Immerhin war Otome im zweiten Jahr der High School und damit alt genug um auf sich selbst aufpassen zu können. Aber die überfürsorgliche Seite ihrer Mutter schien das nicht zu interessieren, weswegen sie nun auf dem Weg zu ihrem Onkel war. Mit einem Seufzen stieg Otome in den Zug, als dieser vor ihr zum Stillstand kam. Es war schon seltsam, denn scheinbar war sie unfähig alleine zu leben, aber dennoch alt genug um eine längere Reise in eine kleinere Stadt anzutreten. Eltern konnten manchmal so widersprüchlich sein. Noch dazu war Ryutarou Dojima wie ein Fremder für sie. Sie wusste zwar, dass er ihr Onkel war, immerhin hatte man es hin und wieder geschafft ihn zu erreichen wenn man Geburtstagswünsche verteilen wollte, aber so recht konnte sie sich nicht mehr an ihn und seine Frau Chisato erinnern. Sie hatte noch nicht einmal ihre Cousine Nanako kennengelernt. Doch wenn man es positiv sah, würde das heute passieren. Sie hatte schon ein gutes Stück auf ihrer Reise zurückgelegt und las noch einmal die SMS ihres Onkels. Triff uns um 4 draußen an der Station von Yasoinaba. Emotionslos, kalt vollkommen fremd las sich die Nachricht ihres Onkels. Kein Wunder, er wusste von ihr genauso viel wie sie von ihm. Da fragte man sich doch, ob es nicht besser gewesen wäre, in einer Stadt zu bleiben, mit vielen bekannten Gesichtern und einer vertrauten Umgebung. Inaba war so fremd, so unbekannt und vor allem alles andere als heimisch. Und doch würde diese Kleinstadt für ein Jahr ihr Zuhause werden. Sie fühlte sich wie ein heranwachsender Baum, für den man entschieden hatte, dass er woanders doch besser wachsen würde, obwohl es ihm selbst an seinem derzeitigen Ort gefiel. Sicher, Otome hatte nicht zu viele Freunde in ihrer Heimat, sie wusste nicht einmal, ob man das als Freundschaft bezeichnen konnte, was sie hatte, aber immerhin hatte sie dort so etwas wie ein soziales Leben. Demotiviert, länger die Augen offen zu halten, schloss Otome eben jene. Die ganzen Gedanken an eine neue Familie, an eine neue Stadt, ermüdeten sie und so döste sie, getragen von dem Rattern der Zugräder, ein. Ohne es selbst zu bemerken, glitt sie in Träume hinab, die sie an einen Traum von vergangener Nacht erinnerten. Das Auto, die blaue Innenausstattung. Diese verheißungsvolle und doch vertraute Atmosphäre. Und schließlich, Igor und Margarete. Erschrocken öffnete Otome ihre Augen. Sie waren so real gewesen, so wie in der einen Nacht, als sie sie zum ersten Mal gesehen hatte. Doch sie war sich so sicher, dass es nur ein Traum gewesen war. Ein einfacher, nichtssagender Traum und dennoch hatte sie ein ungutes Gefühl bei der Sache. Was hatte Igor gesagt, ein Unglück würde ihr widerfahren und ein Rätsel sich auftun. Nachdenklich sah Otome aus dem Fenster. Sie war fast da, ländlicher konnte die Gegend nicht mehr werden. Sie war bald da, in ihrem neuen Leben. Und vergessen war der Traum, dem sie keine tiefere Bedeutung mehr schenken wollte. „Nächste Station, Yasoinaba. Ich wiederhole, Yasoinaba.“ Müde erhob sich Otome. Die Reise war wirklich lang gewesen, doch sie war noch lange nicht vorbei, immerhin lag noch das letzte Stück bis zu Dojimas Haus vor ihr. Erst dort würde sie etwas essen, vielleicht auch duschen, und erschöpft ins Bett fallen können. Der erste Blick außerhalb des Bahnhofs verriet ihr, dass Inaba wirklich Irgendwo im Nirgendwo liegen musste. Eine gähnende Stille demonstrierte ihr glaubhaft, dass es hier nichts gab, was die Jugend wohl in naher Zukunft zum bleiben bewegen würde. Es war kein Vergleich zur Großstadt, wo es an Bahnhöfen vor belebten Geschäften nur wimmelte und man schnell noch einen Einkauf erledigen konnte. Hier hingegen war das unmöglich. „Hey! Hier drüben!“ Die Stimme Dojimas riss Otome aus ihren Gedanken. Sie erinnerte sich dank einiger kurzer Telefonate noch ganz genau an diesen Teil seiner Existenz, doch als sie zu ihm sah, erkannte sie nur einmal mehr einen ihr Fremden. Zuhause hatte sie zwar ein Bild von Dojima und Chisato gesehen, aber der Mann vor ihr sah vollkommen anders aus. Abgelebt, und unrasiert. Da Otome von ihrer Mutter erfahren hatte, dass Chisato verstorben war, glaubte Otome zu wissen, dass Dojima wohl noch nicht vollkommen über die ganze Situation hinweg war. Vielleicht war es aber auch nur ein Anzeichen davon, dass er älter geworden war. Sicherlich war es das. So ein standhafter Mann wie ihr Onkel würde sich mit Sicherheit nicht von einem Schicksalsschlag in die Knie zwingen lassen. Das passte einfach nicht zur Widerstandsfähigkeit die bei ihnen in der Familie lag. Mit Sicherheit irrte sie sich also. Langsam ging Otome auf ihren fremden Onkel und dessen kleine Tochter zu. Sie versteckte sich schüchtern hinter ihrem Vater, der ihr gerade den perfekten Sichtschutz bot. Otome konnte sich noch zu genau erinnern, dass sie das als kleines Mädchen auch getan hatte, und obwohl sie sich auch gerade lieber hinter irgendeiner starken, schützenden Schulter versteckt hätte, lächelte sie ihren Onkel unsicher, aber dennoch standhaft an. „Nun, du bist hübscher als auf den ganzen Fotos“, erklärte Dojima und reichte seiner Nichte zur Begrüßung die Hand. Scheinbar machte man das hier so, denn Otome war doch schon sehr die traditionelle Art der Begrüßung, in Form einer Verbeugung, gewohnt. „Willkommen in Inaba. Ich bin Ryutarou Dojima. Ich werde mich hier um dich kümmern. Mal sehen... ich bin der jüngere Bruder deiner Mutter und das ist eigentlich schon alles.“ Lächelnd nickte Otome und erklärte mit ihrer zarten aber doch schon kräftigen Stimme, dass ihr Treffen wirklich lange her war. Wahrscheinlich erschien es Dojima so, als wollte sie sich dadurch erklären, warum sie etwas gebraucht hatte, um zu erkennen wer er eigentlich war. Doch das nahm er ihr nicht übel, denn er nickte nur verständnisvoll. „Das würde ich auch meinen. Ich erinnere mich noch an dich, als du in den Windeln lagst.“ Ein Lachen kam über Dojimas Lippen und entspannte Otome nun doch etwas. Gut der Witz war nicht beste und eigentlich war es auch peinlich, aber wer sollte sie hier schon hören? Niemand war zu sehen. Er konnte also peinliche Dinge ausplaudern wie er wollte. „Das hier ist meine Tochter Nanako.“ Mit sanfter Gewalt schob Dojima das kleine Mädchen mit den zwei Zöpfen hervor und platzierte sie so vor Otome, dass Nanako nicht anders konnte als was zu sagen. „Komm schon, stell dich deiner Cousine vor.“ Eingeschüchtert sah Nanako zu Boden. Ihr gelang es einfach nicht Otome in die Augen zu sehen, immerhin war diese eine vollkommen Fremde. Und so war es auch nicht verwunderlich, dass nur ein leises, fast schon stummes: „'lo“ über ihre Lippen kam, ehe sie sich wieder schutzsuchend hinter ihrem Vater versteckte, der nur sehr erheitert lachte. Scheinbar kannte er seine Tochter viel gesprächiger oder zumindest vorlauter. „Warum bist du so schüchtern?“ Otome verzog leicht das Gesicht. Keine Frau, egal wie alt sie war, hörte gerne, dass sie schüchtern war. Schon gar nicht vor einer fremden Person. Doch noch weniger, hätte man das gerne vor einem Jungen gehört. Immerhin, Otome erkannte nun die Ähnlichkeit Nanakos mit dem väterlichenTteil der Familie, als sie ihm mit einem Klaps, für seine Worte, zur Rechenschaft zog. Doch nicht einmal dieser, vielleicht nicht ganz so starke, aber doch schon sehr schmerzhafte Klaps brachte Dojima dazu in seinem Gelächter inne zu halten. Einen echten Mann konnte eben nicht einmal ein richtiger Klaps von seinem Tun abbringen. Otomes Vater war da nicht anders und sicher hatten er und Dojima ein gutes Verhältnis. Vielleicht lag es aber auch eher daran, dass beide Väter waren und die sich solche unangenehmen Macken teilten. „Also dann... lass uns gehen. Mein Auto steht dort drüben.“ Mit einer Handbewegung verwies Dojima auf sein Auto. Ein alter, aber doch sehr treuer Wagen, der der Kleinfamilie auch in Zukunft noch treue Dienste erweisen würde. Soviel stand fest. Da Dojima zusammen mit Nanako bereits zu ihrem Auto gegangen war, wandte sich auch Otome ab und bemerkte nur noch das Mädchen, dass sie just in diesen Moment anrempelte. Doch da sie die Großstadt gewohnt war, und man da für gewöhnlich selbst in der U-Bahn sehr engen Körperkontakt bekam, störte sie sich nicht weiter daran und wollte gehen. „Du hast das verloren.“ Verwundert drehte sich Otome wieder zu dem Mädchen um, dessen Ton doch schon recht barsch war, und sah sie an. Sie hatte was verloren? Davon hatte sie nichts bemerkt. Erst als das Mädchen etwas vom Boden aufhob und ihr entgegenhielt, verstand sie es. Auch wenn es nur ein einfacher Zettel war, wusste Otome sofort was sie verloren hatte. Es war ihr kleiner Notfallplan, den sie sich am morgen gemacht hatte, um sicher zu Dojimas Haus zu finden. Allerdings war das nun nicht mehr nötig, da Dojima sie ja ohne dorthin bringen würde, wenn sie schon bei ihm im Auto mitfuhr. Dennoch bedankte Otome sich höflich und nahm dem Mädchen den Zettel ab. „Was auch immer. Ich hab es nur aufgehoben.“ Otome wieder vollkommen ignorierend, wandte sich das Mädchen ab und lief ihres Weges. Wenn alle Menschen in der Kleinstadt so waren wie sie, dann konnte es für Otome wirklich ein heiteres Jahr werden. Oder hatte sie was falsch gemacht? Egal wie man es betrachtete, dieses Mädchen war neben ihrer unhöflichen Art zu sprechen, doch schon sehr merkwürdig. Auch wenn Otome nicht so recht sagen konnte, woran sie dieses „merkwürdig“ festmachen konnte. Es war einfach ein untrüglich Gefühl, dass sich bei ihrem Anblick breit machte. „Was ist los?“ Erneut war es die Stimme ihres Onkels, die sie aus ihren Gedanken riss. Wenn sie so weitermachte, würde das noch zur Gewohnheit werden. Sie hatte ihre Abreise für einen kurzen Moment verdrängt, doch jetzt, da sie sich wieder daran erinnerte, rückte alles andere in den Hintergrund. Sie wollte einfach nur noch in die vier Wände ihres neuen Heimes, etwas essen und hinterher schlafen. Auch die Kleinstadt hatte ihre gewissen Tücken. Zumindest bekam Otome das zu spüren, als sie eine gefühlte Ewigkeit in Dojimas, nach Zigarette riechenden Wagen saß. Noch nie war ihr eine kurze Strecke so unsagbar lang vorgekommen wie heute, als sie nur noch einen sehnlichsten Wunsch verspürte. Ein Bett. Und doch, ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass dieses Bett wirklich noch wesentlich länger warten musste, als geplant, denn Dojima bevorzugte es, an einer Tankstelle halt zu machen. Nun, eigentlich war es nicht Dojima, der darauf aus war, sondern eher Nanako, die unruhig auf ihrem Platz hin und her rutschte und versuchte den Inhalt ihrer Blase nicht sofort auf dem Beifahrersitz zu verteilen. Da war die Tankstelle doch genau die richtige Lösung um eine Katastrophe zu verhindern. „Hi! Willkommen bei Moel!“ Der Wagen war gerade mal zum Stillstand gekommen, als ein über motivierter Teilzeitjobber auf sie zugelaufen kam. Doch Dojima und Nanako waren gut darin ihn zu ignorieren, als wäre er nur Luft. „Du weißt wie du zur Toilette kommst?“ Fragend sah Dojima zu seiner Tochter, die mit einem etwas geräuschvolleren Nicken zu verstehen geben wollte, dass ihr der Weg vertraut war. „Es ist hinten zu deiner Linken. Du weißt wo links ist? Das ist die Seite mit der du keine Stäbchen hältst.“ Aufdringlich. Genau das war der Gedanke, der Otome sofort kam. Nicht einmal sie hätte Nanako für so dumm eingeschätzt, dass sie nicht wusste, wo Links war. Im Gegenteil, sie machte sogar einen sehr gescheiten Eindruck auf sie. Es bestand somit also auch keine Notwendigkeit ihr noch zu sagen, wo sich Links befand. „Ich weiß... Mann...“, seufzte Nanako und lief zur Rückseite der Tankstelle, wo sich die Sanitäranlagen befanden. „Machen Sie eine Reise?“ Ja, aufdringlich war wirklich das richtige Wort gewesen. Das wurde Otome immer bewusster, je mehr neugierige Fragen der über motivierte Teilzeitjobber stellte. Doch schnell kam Otome auf den Gedanken, dass es hier vielleicht üblich war, denn Dojima antwortete wie selbstverständlich auf seine Frage. Es lag wohl aber auch daran, dass Dojima nicht einmal richtig auf ihn achtete und stattdessen in Gedanken abdriftete. Nebenbei erklärte er noch, dass man sie vom Bahnhof abgeholt hätte und sie aus der Stadt käme. Zu viele Informationen. Genau das war, es was Dojima gerade preisgab. Scheinbar war das so eine Krankheit die sich in Kleinstädten herum trieb. Zuviel Neugier und zu viel Auskunftsfreudigkeit. Otome konnte nur hoffen, dass sie sich damit nicht auch noch ansteckte. „Ein guter Moment um eine zu rauchen.“ Behände zog Dojima eine Schachtel Zigaretten aus der Brusttasche seines Hemdes und entfernte sich, ohne sich wirklich groß um Otome zu kümmern, von den Tanksäulen. Sie war nun also alleine, mit dem Tankwart, der sie anlächelte und Anstalten machte, auch mit ihr ein kleines bisschen Small Talk zu machen. „Gehst du in die High School? Überrascht es ein Mädchen aus der Stadt zu sehen, wie klein es hier ist? Hier gibt es so wenig zu tun, ich bin mir sicher, dass du dich schnell langweilst. Du wirst entweder mit deinen Freunden rumhängen oder Teilzeitjobs machen. Da wir gerade davon reden, wir suchen momentan Teilzeitjobber. Denk darüber nach. Uns ist es egal ob du eine Schülerin bist.“ In Windeseile hatte der Tankwart ihr ein Ohr abgekaut und so viele Informationen wie nur möglich an den Kopf geworfen. Dass er ihr dabei wohl nichts Neues erzählte und ihr Hoffnungen machte, hier so etwas wie Freunde zu finden, verschwieg sie. Es kam ihr seltsam vor, denn er kam weiter auf sie zu, hielt ihr seine Hand entgegen und lächelte sie auffordernd an. Flirtete er etwas gerade mit ihr? Oder war es wirklich so eine Kleinstadtmarotte so vertraut mit Wildfremden zu reden? So richtig einordnen konnte es Otome nicht, doch sie kam ihm etwas entgegen und schüttelte seine Hand. Wahrscheinlich würde sie diesen Jungen noch öfter sehen und da war es nur gut, sich mit einigen Leuten gut zu stellen und nicht gleich einen ersten schlechten Eindruck zu hinterlassen. „Oh. Ich sollte zurück an die Arbeit gehen.“ Fast schon fluchtartig löste sich der Angestellte von Otome, als er Nanako bemerkte, die wohl alles erledigt hatte, was ein kleines Mädchen erledigen konnte. Es war seltsam, doch Otome kam nicht einmal dazu sich Gedanken darüber zu machen, denn sie spürte plötzlich diesen Schwindel der sie ergriff und dafür sorgte, dass sie sich, die rechte Hand an den Kopf haltend, an den Wagen lehnte um nicht zusammenzubrechen. Zu ihrem Unglück, blieb das auch Nanako nicht verborgen. „Geht es dir gut? Bist du Reisekrank? Du siehst nicht gut aus...“ Otome war schleierhaft, woher diese plötzliche Erschöpfung kam. Sie war doch für gewöhnlich nie Reisekrank gewesen. Oder lag es einfach an der Umstellung? War die Landluft vielleicht so rein, dass sie als geborenes Stadtkind sich erst daran gewöhnen musste? Nein, dass konnte es nicht sein. Sie war einfach nur müde. So einfach war es. Müde. „Was ist los? Geht es dir gut?“ Nun hatte auch Dojima mitbekommen, dass es seiner Nichte nicht gut ging. Immerhin etwas, wobei das nicht verwunderlich war, denn mit Sicherheit war ihr auch schon alle Farbe aus dem Gesicht gewichen und sie sah sicherlich wie ein Geist aus. Normal für solche langen Reisen und besonders für lange Tage die einfach nicht enden wollten. „Mir ist nur schummrig...“, flüsterte sie leise und schüttelte etwas den Kopf. Irgendwie wollte sie den Schwindel loswerden, auch wenn Kopfschütteln da wohl nicht die beste Variante war. „Das ist verständlich. Es muss eine lange Reise für dich gewesen sein. Warum machst du nicht einen kleinen Spaziergang und holst etwas tief Luft? Sag es mir einfach, wenn du weiterwillst.“ Dankbar nickte Otome und entfernte sich von ihrem letzten Reisevehikel um die Shoppingmeile etwas zu erkunden. Doch schnell merkte sie, dass es nur eines gab, was diese Shoppingmeile am besten beschrieb. Leer. Langsam lief Otome über die leere, kaum befahrene Straße. Nur ein paar Menschen hatten sich raus gewagt. Zwei Geschwister, die sich wohl stritten und andere fremde Menschen. Ebenso wirkte die Schmiede doch schon recht befremdlich, aber hier störte sich scheinbar niemand dran. Es war einfach nichts los, weder im Bücherladen, noch im 24 Stunden-Markt mit der alten Dame. So langsam fragte sich Otome wirklich, wie sie es hier aushalten sollte. Und plötzlich, stand sie vor ihr. Dem Mädchen vom Bahnhof. „Was...? Haben wir uns schon einmal gesehen?“ Scheinbar erinnerte sie sich nicht an Otome, dafür waren ihre Erinnerungen aber sehr lebendig. Wie war sie so schnell hier hergekommen? Was hatte sie am Bahnhof gemacht? Es waren Fragen, die Otome brennend interessierten, doch warum? Hatte die Kleinstadtkrankheit sie bereits befallen? „Was hast du am Bahnhof gemacht?“ Ohne es richtig kontrollieren zu können, kam Otome die Fragen über die Lippen. Mit ernsten Blick fixierte sie die Fremde, die nun scheinbar auch Otome wieder erkannte. „Der Bahnhof? Oh, das eine Mal... Nichts. Ich bin nur... Ich habe keinen Ort zu dem ich kann.“ Sie verfiel in andächtiges Schweigen. Seltsam. Ja, das war sie wirklich. Kam sie etwas nicht von hier? Was meinte sie damit, dass sie keinen Ort hätte, zu dem sie konnte? Otome wollte gerade zu ihrer Frage ansetzen, als sie inne hielt. Nein, es hatte keinen Zweck. Die Fremde würde ihr jetzt nicht antworten. Aber vielleicht, wenn sie das Mädchen wiedersah, würde sie Antworten auf ihre Fragen bekommen. Unverrichteter Dinge ging Otome wieder zurück zu Dojima, der sich fast schon erleichtert anlächelte. Wahrscheinlich war er froh, dass sie in der Shoppingmeile nicht zusammen gebrochen war. „Wie geht es dir? Bist du bereit wieder ins Auto zu steigen?“ Stumm nickte Otome. Sie war ohne Zweifel immer noch etwas blass um die Nase herum, aber immerhin war der Schwindel gewichen und sie musste sich keine Sorgen mehr machen, dass ihre Beine nachgaben. Dennoch es war schon merkwürdig gewesen, dass dieser Schwindel genauso gegangen war, wie er sie befallen hatte. Sie hatte sich gerade an den Zigarettengestank im Auto gewöhnt, als ihre Reise bei Dojimas Haus endete und sie das Vehikel erleichtert verließ. Länger hätte sie wahrscheinlich nicht in der ruckelnden Kiste sitzen können, auch wenn sie noch recht mobil für ihr Alter war. Schweigend betrachtete sich Otome das Haus mit zwei Etagen, in dem sie nun ein Jahr leben würde. Ein Jahr lang wäre das ihr Zuhause. Es fühlte sich seltsam an. Nicht so, als würde man nach einer langen Reise nach Hause kommen, sondern eher so, als würde man als Eindringling in irgendein vorgefertigtes Bild eindringen und die Idylle zerstören. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag fragte sich Otome, ob ihre Eltern das wirklich ernst meinten. Ob sie wirklich von ihr erwarteten, dass sie sich in eine Familie eingliederte, die zwar ein Teil von ihr war, aber doch vollkommen fremdartig. Ohne ein Wort zu sagen, oder sich zu bewegen, blieb sie noch etwas stehen und starrte zum Fenster in der zweiten Etage. War sie bereit in diese fremdartige Welt einzudringen? Eigentlich nicht. Aber es war doch egal. Denn sie musste es tun, ob sie wollte oder nicht. Seufzend hob Otome ihre Reisetasche auf und schulterte sich diese auf. Sie würde jetzt da rein gehen und einfach dieses Spielchen mitspielen, auch wenn sie schon beschlossen hatte, wie sie es spielen würde. Ein Jahr der Einsamkeit, als Alien auf einen fremden Planeten. „Okay, wie wäre es mit einem Toast?“ Lächelnd hob Dojima sein Glas und wartete, bis es Nanako und Otome gleichtaten. Kurz erklang das blecherne Geräusch von einer Dose, die gegen eine Andere prallte und schon war die Willkommenszeremonie beendet. Durstig genehmigte sich Otome einen Schluck und sah zu Nanako, die ihr Glas wieder abstellte und sich stattdessen dem gekauften Bento widmete. Wahrscheinlich hatte Dojima heute keine Zeit zum kochen gehabt, was okay war. Ab und an ein Bento konnte nie schaden. Noch dazu hätte Otome nach so einer Fahrt auch keine Lust mehr verspürt auch nur einen Finger krumm zu machen. „Deine Mutter und Vater sind also beschäftigt wie immer...“, setzte Dojima an und versuchte sich an ein klein wenig Konversation. „Sie arbeiten doch jetzt im Ausland, oder? Ich weiß, dass es nur für ein Jahr ist, aber wegen der Arbeit deiner Eltern hier festzusitzen ist... Nun ja, es ist schwer ein Kind zu sein. Nun, hier sind nur Nanako und ich, deswegen ist es schön dich hier zu haben. Also bist du, solange du hier bist, ein Teil dieser Familie, deswegen fühl dich wie Zuhause.“ Ein Teil dieser Familie. Dojima hatte wirklich gut reden. Wie konnte sie ein Teil dieser Familie werden, wenn er wohl der einzige war, der mit ihr sprechen würde? Nanako zeigte ihr ja sogar jetzt noch die kalte Schulter und das war kein angenehmes Gefühl. Sie fühlte sich abgelehnt und doch konnte sie das kleine Mädchen verstehen, dass weiterhin ihr Bento aß und die beiden Erwachsenen einfach ignorierte als seien sie nicht da. „Danke für Ihre Freundlichkeit.“ Otomes Mutter hatte ihr vor der Abreise noch eingebläut, dass sie nett zu ihrem Onkel sein sollte. Es war wie ein Befehl, den sie jetzt ausführte, auch wenn sie Dojima wohl nur ein Lachen entlockte. „Komm schon, du musst nicht so förmlich sein. Sieh nur, wegen dir ist Nanako ganz verspannt.“ Erneut sah Otome zu Nanako, die ihren Vater fragend ansah. Wenn sie so schon verspannt aussah, dann wollte sie nicht wissen, wie das Mädchen auf sie wirken würde, wenn sie entspannt war. Dojimas belustigtes Lachen verklang, als sein Handy klingelte. Er hatte gerade zu seinem Getränk greifen wollen, doch das konnte er sich nun wohl abgewöhnen. Sofort nahm er das Gespräch an, erhob sich vom Tisch und führte es nahe der Couch. „Okay, ich bin sofort da.“ Verwundert hob sich eine Augenbraue Otomes. Wohin wollte ihr Onkel noch zu dieser Zeit? Und wer hatte ihn da angerufen? Irgendwie konnte sie sich keinen Reim darauf machen. Schon gar nicht, als er erklärte, dass sie ohne ihn weiter essen sollten und er sich bereit zum Aufbruch machte. Als Dojima die Haustür geöffnet hatte, konnte Otome deutlich hören, dass es regnete, was Dojimas Frage an Nanako, was sie wohl mit der Wäsche gemacht habe, nur noch mehr verdeutlichte. Und schließlich war er weg. Der einzige Mensch, mit dem Otome noch kommunizieren konnte. „Was macht dein Vater eigentlich?“ Bevor sich Otome einen weiteren Bissen in den Mund schieben wollte, konnte sie nicht umhin, ihre Cousine zu fragen, was für einen Beruf Dojima ausübte, dass er wohl jederzeit bereit zum Aufbruch sein musste. Noch dazu wollte sie diese bedrückende Atmosphäre, die durch den Fernseher zum Glück nicht auch noch zu bedrückender Stille geworden war, durchbrechen. „Er... untersucht Zeug. Wie zum Beispiel Tatorte. Er ist ein Kriminalbeamter.“ „Und jetzt zu den lokalen Nachrichten. Stadtrat Sekretär Taro Namatame steht unter Beschuss eine Affäre mit einer weiblichen Reporterin zu haben. Seine Frau, die Enka-Balladen Sensation, Misuzu Hiiragi, offenbarte unserem Sender dass sie einen Imageschaden verursachen wird. Als Antwort darauf hat Eye Television entschieden alle öffentlichen Auftritte mit Nachrichtensprecherin Mayumi Yamano abzusagen.“ Irgendwo hatte Otome diese Nachrichten schon gehört. Sicher, sie waren in aller Munde, schon alleine weil die Sängerin Misuzu Hiiragi förmlich gegen die Nachrichtensprecherin hetzte, die Otome jedoch vollkommen unbekannt war. Es lag wohl daran, dass sie sowieso selten bis nie Fernsehen sah, was ihre Freundinnen, aus der Heimat, bis heute nicht verstehen konnten. Wozu brauchte sie schon die Flimmerkiste mit all seinen Tratsch und Klatsch, wenn sie diesen auch von ihren Mitschülern bekommen konnte? So hat Otome zumindest gedacht, weswegen sie innerlich gehofft hatte, dass man hier in einer Kleinstadt anders mit dem Thema Fernsehen umgehen würde, doch scheinbar hatte sie sich geirrt, oder sie war einfach, aus Nanakos Sicht, zu langweilig. „Das ist langweilig...“ Desinteressiert von Affären und Racheakten, von denen sie sowieso noch nichts verstand, griff Nanako zur Fernbedienung und schaltete auf einen Sender ein, auf dem ein fesselnder Ohrwurm Werbung für einen Schnäppchenmarkt machte. „In Junes ist jeder Tag ein Anerkennungstag für Gäste. Sieh es dir selbst an und lerne unsere Produkte kennen! Every day's great at your Junes.“ Ein ungeahntes Lächeln schlich sich auf Nanakos Lippen, als sie den Ohrwurm hörte. Scheinbar war es nicht das erste Mal, denn fehlerfrei sang sie eben jenen mit. Doch genauso schnell wie das Lächeln aufgetaucht war, und Nanako sich bewusst wurde, dass ihre Cousine noch hier war, verschwand es wieder. „Willst du nichts essen?“ Immerhin. Einen Satz hatte das Mädchen ihr gewidmet. Doch so richtig klang es nicht danach, als würden sie noch warm miteinander, oder gute Freunde werden. Das Zimmer, das Dojima ihr zur Verfügung stellte, war für die Bedürfnisse eines Jugendlichen wirklich ausreichend. Hier gab es einen Fernseher, ein Regel, eine Couch, einen Tisch und zusätzlich noch einen Schreibtisch. Es war ideal um Freunde einzuladen, auch wenn Otome irgendwie ihr westliches Bett vermisste und nun auf einen Futon umsteigen musste. Aber für ein Jahr würde es gehen. Noch dazu, wenn sie es positiv sah, würde sie durch das verrücken des Tisches Muskeln bekommen. Aber vorerst musste sie ihre Kisten ausräumen. Stück für Stück füllte sich der leere Raum mit Erinnerungen an ihre alte Klasse, an vergangene Zeiten und längst vergessenen Freunden, die sie aus den Augen verloren hatte. Sie wurde mit einem Mal wehmütig, denn wenn sie nun ein Jahr hier verbrachte, würden sie dann nicht ihre Freunde in der Großstadt auch vergessen? Oder würden sie waren? Zweifelnd zog Otome ihr Handy aus der Rocktasche und sah auf das Display. Sie hatte keine neue Nachricht bekommen, und es war auch kein verpasster Anruf zu sehen. Hatte man sie jetzt schon vergessen? Oder wartete man darauf, dass sie den ersten Schritt machte und eine SMS schrieb? Otome ließ sich auf ihre Couch sinken und starrte auf das Handy, während sie Namen für Namen in ihrer Kontaktliste durchging. Und schließlich hielt sie bei einem inne. Miwako aus ihrer Klasse war wohl etwas, was man beste Freundin nannte. Sie hatte bei ihren Abschied geweint und gemeint, dass sie sie vermissen würde. Otome hatte ihr geglaubt und versprochen, dass sie sich, sobald sie da war, meldete. Im ganze Eifer des Gefechts hatte sie das wohl irgendwie vergessen. Schlief Miwako schon? Wartete sie vielleicht auf eine Nachricht von ihr? Otome war sich unsicher, was sie tun sollte, aber keinesfalls wollte sie Miwako enttäuschen, weswegen sie entschied den ersten Schritt zu machen. Hallo Miwako. Ich bin sicher angekommen. Alles ist so ruhig und friedlich hier. Onkel Dojima ist nett, aber ich bezweifle, dass ich mich hier gut einleben werde. Ich melde mich die Tage wieder, deine Otome. Ein Knopfdruck später war ihre Nachricht abgeschickt und die Müdigkeit, die sie seit Yasoinaba heimsuchte, umfing sie wieder. Sie hatte alles erledigt. Ihre Kisten waren ausgepackt, die Uniform für ihre neue Schule lag bereit und sie wollte einfach nur schlafen. Müde erhob sich Otome von ihrem Sofa und ging zu dem Futon, den sie ausbreitete. Sie wollte nur noch eine Dusche nehmen, ehe sie wirklich endlich schlafen konnte. Als sie die Augen öffnete, konnte sie nichts sehen. Dicker Nebel hüllte sie ein und gab ihr nicht einmal die Gelegenheit sich einen Überblick über ihren momentanen Standort zu machen. Sie war sich sicher, dass es ein Traum war, immerhin war sie doch zu Bett gegangen, nachdem sie geduscht hatte, doch irgendwie erschien ihr das alles so real. Was sollte sie tun? 'Es ist nur ein Traum', wisperte sie sich in Gedanken zu und entschied, einfach dem Weg zu folgen, auf dem sie sich befand. Schritt für Schritt, Meter um Meter kam sie voran und plötzlich erklang ein Glöckchen. „Suchst du die Wahrheit?“ Die Stimme die erklang, schien sich zwar auf derselben Ebene zu befinden, aber sie war dennoch so weit entfernt. Ihr Echo wurde von dem Nebel verschluckt, so dass es unmöglich war, einen genauen Standort fest zu machen. Aber mehr als diesen Weg gab es nicht. Otome hatte somit keine andere Wahl als ihm weiterhin zu folgen. Erneut kam sie Schritt für Schritt voran, bis wieder ein Glöckchen erklang und sie inne hielt. „Wenn es die Wahrheit ist, die du begehrst, dann komm und finde mich...“ Ein unsagbar starkes Verlangen, den Urheber dieser Stimme zu finden, machte sich in Otome breit. Sie wollte wissen wer es war, wer sich hinter dem ganzen Nebel versteckte und sich scheinbar so sicher fühlte. 'Nur Verbrecher verstecken sich...' Ein Gedanke keimte auf. Vielleicht hatte ja die Person einen Grund sich zu verstecken? Sie musste es einfach erfahren, weswegen sie das letzte Stück bis zu einer Tür lief. Erst davor blieb sie stehen, starrte auf Tor, dass sich langsam öffnete und ihr Eintritt gewährte. Ohne darüber nachzudenken, zog sie ein Schwert. Sie wusste nicht woher sie es auf einmal hatte, doch immerhin war das ein Traum. Warum sollte sie sich dann also über so unwichtige Details Gedanken machen? Entschlossen, trat Otome durch die Tür und erkannte die im Nebel verhüllte Silhouette. „So, du bist also Diejenige, die mich verfolgt... Hahahaha... Gib alles was du hast.“ Es brauchte keine Aufforderungen von Seiten der Stimme, damit Otome entschlossen ihr Schwert umklammerte und auf ihren Gegner zu stürmte. Sie wusste nicht wer es war, ob Mann oder Frau. Alles was ihr mit einem Mal klar wurde, war die Tatsache, dass sie diese Person, warum auch immer, aufhalten musste. Mit aller Kraft holte sie aus, sie spürte auch, wie die Klinge ihr Ziel traf, aber nicht, wie schwer es dieses verletzte. „Hm... Es scheint als könntest du trotz des Nebels etwas sehen... Ich verstehe... In der Tat... das ist eine interessante Information... Aber... Du wirst mich nicht so leicht fangen... Wenn es Wahrheit ist, die du suchst, dann wird deine Suche noch viel schwerer...“ Die Worte verklangen und der Nebel wurde dichter. Otome konnte nicht mehr sehen, ob ihr Gegner noch da war, doch sie spürte ihn klar und deutlich. Erneut lief sie erhobenen Schwertes zu der Stelle, doch dieses Mal traf die Klinge nicht ihr Ziel. Sie konnte mit diesem Nebel nicht zielen. Und doch musste sie etwas tun, bevor dieser Gegner verschwand. Hilfesuchend streckte sie ihre Hand in die Luft. Es gab nur eines was sie tun konnte. Ein bläuliches Leuchten regnete auf sie herab. Sie spürte eine unbändige Macht in sich aufsteigen. Wie Blitze durchzuckte es sie und es fühlte sich auf seltsame Weise vertraut und gut an. Entschlossen formte sie die Hand zur Faust, als wollte sie etwas zerdrücken. Es war der Ruf den sie tätigte, um eine schemenhafte Gestalt zu beschwören die mit einem mächtigen Blitz ihren Gegner angriff. Doch auch dieser ging daneben. „Alle sehen nur was sie wollen... Und der Nebel wird sich nur verdichten... Werden wir uns wiedersehen...? An einem anderen Platz als hier... Haha ich freue mich darauf...“ Die Stimme schwand und Otome verstand, dass sie nicht wieder erklingen würde. Doch etwas blieb, der Nebel, der immer dichter wurde und ihr schließlich das Bewusstsein raubte. Kapitel 2: The First -------------------- April 12 Als der Morgen anbrach und Otome die Augen öffnete, hörte sie nur den Regen der in prasselnder Monotonie gegen ihre Fensterscheibe klopfte. Sie fühlte sich gerädert, so wie sie es immer tat, wenn sie einen Alptraum hatte. Doch anders als die anderen Male, kam ihr nicht in den Sinn, wovon sie genau geträumt hatte. Ihre Erinnerungen waren so unklar, als hätte jemand sie in einen dichten Nebel gehüllt. Müde fuhr sich Otome durchs Haar und versuchte das beklemmende Gefühl abzuschütteln. Heute war ein neuer Tag in einer fremden Umgebung, die wachsen würde, denn heute hatte sie auch ihren ersten Schultag an der Yasoinaba High School. Nur zu gut erinnerte sie sich an den letzten ersten Schultag, als sie damals noch in der Mittelschule gewesen waren und ihre Eltern aus beruflichen Gründen in die Großstadt gezogen sind. Damals hatte sie ein paar Probleme gehabt sich einzugliedern, doch dank ihrer Freundin Miwako war alles besser geworden. Miwako. Sich daran erinnernd, dass sie Miwako noch den Abend zuvor geschrieben hatte, erhob sich Otome aus dem Bett und ging auf den kleinen Tisch zu, auf dem sie ihr Handy abgelegt hatte. Hoffnungsvoll ergriff sie dieses und weckte es aus seinem Schlummer. Vielleicht hatte Miwako ihre Nachricht schon gelesen und ihr nun geantwortet. Wahrscheinlich würde dann so etwas drin stehen wie „Halt die Ohren steif“ und „Sei einfach du selbst.“ Ja, dass passte zu ihrer Miwako. Sie hatte ihr immer Mut gemacht, selbst am Tag vor ihrer Abreise. Miwako hatte sie angelächelt und gemeint, dass alles gut werden würde. Doch nichts war gut. Denn es gab keine Nachricht von Miwako an diesem verregneten Morgen. Obwohl Otome enttäuscht war, versuchte sie sich einzureden, dass es sicher einfach nur zu früh oder zu spät gewesen war. Sicher würde Miwako noch im laufe der restlichen Woche anrufen und sich entschuldigen, dass sie es einfach verschwitzt hatte. Genau so würde es sein. Das klappern von Tellern hatte Otome, gekleidet in ihrer neuen Schuluniform, in des Essbereich des Wohnzimmers geführt. Sie war recht verwundert als sie Nanako sah, die alleine den Tisch deckte und scheinbar für ein kleines, aber doch sättigendes Frühstück verantwortlich war. Zum ersten Mal fragte sich Otome, wer für Nanako sorge, wenn ihr Vater auf Arbeit war. Kochte sie etwas ganz alleine? Erneut bewunderte sie das kleine Mädchen, dessen Vater sie scheinbar für Überlebensfähiger hielt als ihre Eltern. „Guten Morgen.“ Mit einem Nicken erwiderte Otome den Gruß ihrer Cousine, die ihren Teller auf den Tisch stellte und sich auf ihren Platz setzte. Da eine zweite Portion direkt ihr gegenüber aufgestellt war, schlussfolgerte Otome, dass dies wohl ihr Platz war. Sie setzte sich also ihrer Cousine gegenüber und sah sie an, als wollte sie, dass Nanako den ersten Bissen nahm und das Frühstück damit eröffnete. „Lass uns essen.“ Nun, da sie am Tisch saß, betrachtete sich Otome das Frühstück doch etwas genauer. Getoastetes Brot und Spiegeleier waren zwar nicht das schwierigste, aber für ein kleines sechsjähriges Mädchen wie Nanako war es mit Sicherheit auch keine Leichtigkeit. „Kochst du hier immer?“ Otome wollte gleich wissen, wie es hier lief und ob sie Nanako nicht vielleicht auch etwas Arbeit abnehmen konnte. Schließlich würde sie nun ein Jahr hier leben und da wollte sie nicht auf der faulen Haut liegen. Immerhin kostete auch ihre Anwesenheit Geld, da musste sie sich einfach nützlich machen, wenn die Zeit dafür passte. „Ich kann Brot toasten... und Spiegeleier. Papa kann nicht kochen, deswegen kaufe ich das Abendessen. Heute fängst du in der Schule an richtig?“ Im Gegensatz zum Vortag, schien Nanako nun mit Otome etwas warm geworden zu sein. Sie war auskunftsfreudiger, auch wenn Otome nicht gerade erfreute was sie hörte. Hier in diesem Haushalt musste sich etwas ändern, man konnte doch nicht ständig nur von gekauften Bentos leben. Vielleicht war es nur gut, dass Otome hier her gekommen war. Immerhin konnte sie selbst ausgezeichnet kochen, zumindest würde sie das von sich behaupten. Bisher waren zumindest weder Miwako noch sie vom Stuhl gefallen weil etwas ungenießbar war. „Meine Schule liegt auf dem Weg... also lass uns gemeinsam laufen.“ Ein niedliches Lächeln lag auf Nanakos Lippen. Es erwärmte Otomes Herz allgemein, denn es war nun das erste Mal, dass sie sich in der Familie Dojima wirklich von allen Mitgliedern willkommen fühlte. Wahrscheinlich würde das Jahr doch nicht so unerträglich werden, wenn wenigstens ihre kleine Cousine schon so schnell warm mit ihr wurde. Freundlich erwiderte Otome das Lächeln und griff zu ihrem Besteck. Heute schmeckte das Essen in der Kleinstadt ganz besonders gut. Laut und rauschend prasselte der Regen auf auf Nanakos und Otomes Schirme. Das Wetter war heute wirklich mies und eigentlich hätte sie sich für ihren ersten Tag besseres Wetter gewünscht. Doch mit Nanako an Ihrer Seite, selbst wenn sie bis zum Samegawa Überflutungsgebiet schwieg, machte es ihr das alles nichts aus. „Du musst hier gerade aus weitergehen...“ Mitten auf dem Weg blieb Nanako stehen und wies Otome in die Richtung, in die sie noch gehen musste, wenn sie die Yasogami High School erreichen wollte. „Meine Schule liegt in dieser Richtung. Bis dann.“ Mit einem freundlichen Lächeln wandte sich Nanako um und lief in die Richtung ihrer Schule. Sie musste also doch noch den letzten Weg alleine gehen. Doch immerhin würde sie am Abend vielleicht ihre lächelnde Cousine begrüßen. Das war wohl der einzige Lichtblick an diesen trüben, verregneten Tag. Als Otome an der Kreuzung vor ihrer neuen Schule quietschende Geräusche hörte wandte sie sich um und erkannte einen Jungen auf seinem Fahrrad, dessen Koordination wohl nicht die beste war. Er hatte das Problem das Gleichgewicht zu halten, weil ein Schirm in seiner Hand ihn vor den Regen schützen sollte. Sie an seiner Stelle hätte auf den Schirm verzichtet und sich einen Regenmantel übergeworfen, aber scheinbar kannte man so etwas in der ländlichen Gegend nicht. Es verwunderte sie daher nicht, als er gegen einen Laternenpfahl fuhr und sich augenscheinlich sehr verletzte. Zumindest konnte sie sein schmerzverzerrtes Gesicht sehen und Laute von ihm vernehmen, die sehr offensichtlich machten, dass er gerade die Qualen eines Mannes litt, der sich die Kronjuwelen gestoßen hatte. Nur kurz sah sie zu dem Jungen, dessen oranges Fahrrad bemitleidenswert am Boden lag. Auch wenn sie kurz überlegte, ob sie den Jungen ansprechen sollte, entschied sie sich weiterzugehen. Mit Sicherheit wollte ein Junge gerade jetzt nicht wissen, oder hören, dass ein Mädchen ihn bemitleidete. Mitleid, dass war das richtige Wort, das Otome für sich empfand, als sie das Lehrerzimmer betrat und sie sogleich von einem Lehrer mit vorstehenden Zähnen angemault wurde. Kein Guten Morgen, kein Fragen wer man war. „Na endlich bist du da? Ihr Stadtkinder wisst nicht, was Pünktlichkeit ist. Du mit deiner verrotteten Moral wirst hier nicht sehr weit kommen, versuch also gar nicht erst den Jungs hier den Kopf zu verdrehen. Du mit deinen kurzen Röcken und den überschminkten Gesicht. Ich behalte dich im Auge.“ Irritiert sah Otome den Lehrer an, der scheinbar glaubte, sie sofort durchschaut zu haben. Das seine Worte übertriebener Unsinn war, stand außer Frage, denn sie benutzte kein Make-Up. Sie hatte nicht einmal in der Stadt viel davon gehalten sich mit Farbe zu beschmieren um ihr äußerliches zu verfälschen. Ebenfalls hatte sie noch nie einem Jungen den Kopf verdreht. Zumindest war ihr nicht einmal bekannt, dass sie jemals einen Freund hatte. Woher wollte dieser Lehrer also soviel von ihr wissen? „Na na, Herr Morooka. Beruhigen sie sich. Lernen sie Narukami-san doch erst einmal kennen, bevor sie sich hingeben auf wilde Gerüchte und Klischees zu hören.“ Dankbar lächelte Otome einer Frau zu, die sich zu ihrem Kollegen umgewandt hatte. Normal war diese auch nicht, immerhin trug sie einen Kopfschmuck, der sehr ägyptisch anmutete. Vielleicht war sie auch einfach nur eine Geschichtslehrerin, die sich gerade genauer mit Ägypten befasste und ihren Schülern erklären wollte, wie schwer dieser goldene Kopfschmuck war. Zumindest versprach so etwas einen äußerst informativen Unterricht, von dem Otome hoffte, dass sie ihn bei dieser Frau haben würde. „Na schön. Komm mit. In meiner Klasse gibt es kein zu spät kommen.“ Zum dank, dass die Frau sie davor bewahrt hatte sich noch mehr von dem Unsinn Morookas antun zu müssen, nickte sie ihr zu und folgte dem Lehrer, der mit den Händen in den Hosentaschen, lustlos seinen Weg zu seiner Klasse angetreten war. Doch noch immer fragte sie sich, woher dieser Mann wusste, dass sie zum einen die Neue war und zu anderen in seine Klasse gehörte. Sie war nicht einmal dazu gekommen, ihren Namen zu nennen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie die einzige Neue in dieser Stadt war. „Okay, haltet eure Klappen!“ Kaum das Morooka den Klassenraum betreten und das Gehör der Schüler gefordert hatte, wurde es still. Otome konnte sich so schon einmal ein Bild davon machen, inwieweit die Klasse gehorsam war oder nicht. „Ich bin Kinshiro Morooka und von heute an eurer Klassenlehrer. Kommen wir zuerst zum Wichtigsten. Nur weil es Frühling ist, bedeutet es nicht, dass ihr wie verrückte verliebte Paradiesvögel füreinander schwärmen dürft. Solange ich in der Nähe bin, seid ihr so rein wie frisch gefallener Schnee. Und nun, weil ich es hasse Zeit zu verschwenden, stelle ich euch die neue Schülerin vor. Diese traurige Gestalt wurde aus ihrer großen Stadt in die Mitte von Nirgendwo geworfen, als wäre sie Abfall. Und sie wird hier genauso ein Flittchen sein, wie sie es dort war. Ihr Jungs kommt also besser nicht auf die Idee sie anzumachen. Nun sag ihnen deinen Namen und mach schnell!“ Wütend darüber, dass ihr neuer Klassenlehrer scheinbar nichts besseres zu tun hatte als böse Gerüchte über sie zu verbreiten, sah sie zu dem Menschen, der äußerlich genauso widerlich erschien wie er auch in seinem Inneren war. „Wen nennen Sie hier ein Flittchen?“ Sicher, Otome wusste, dass man nicht soviel auf äußeres geben durfte, was sie bei Morooka tat, aber sie fühlte sich im Recht. Zum einen war er nicht besser, auch wenn sie nicht wie ein leichtes Mädchen aussah, und zum anderen war er einfach nur unerträglich Sie merkte nicht einmal in ihrem Zorn, dass ihre Klasse voller Bewunderung zu ihr aufsah. Scheinbar hatte noch nie jemand dieser Kröte auch nur die Meinung gesagt. „Okay, das reicht. Du kommst, ab sofort wirksam, auf meine Abschussliste. Also hör zu. Du bist Kilometer von deiner großen Stadt mit all ihren Perversen und Arschlöchern entfernt. Und das mehr als auf nur einer Weise. Du denkst besser nicht einmal im Traum daran hier mit den Jungs anzubandeln. Aber was weiß ich schon... Es ist nichts so wie in den alten Tagen. Die Kinder von heute werden so verdammt groß. Jedes Mal wenn ich euch den Rücken zuwende, spielt ihr mit euren verdammten Handys, überprüft eure Weblogs und eure My-wasauchimmer.“ Schnell hatten sich Morookas Warnungen, die sich ausschließlich auf Otome gestützt hatten nun auf die gesamte Jugend von heute verlagert. Scheinbar war das Problem Morookas nicht Otome, sondern die gesamte Jugend, was schon sehr prägend für seinen Charakter war. „Entschuldigung, darf die neue Schülerin neben mir sitzen?“ Otome fiel sofort das Mädchen im grünen Oberteil auf. Sie unterschied sich wirklich von den anderen und es wunderte sie, als Morooka einfach zustimmte, ihr ein paar Beleidigungen entgegenwarf, und scheinbar nicht einmal auf die Mitschülerin in grün achtete. Irgendwie war ihr Klassenlehrer schon ein sehr oberflächlicher Mann. „Er ist wirklich das Schlimmste, oder?“ Verwundert sah Otome zu dem Mädchen, dass nun ihre Banknachbarin war. Stumm nickte sie, denn sie wollte nicht gleich noch fürs schwatzen erwischt werden, auch wenn sie nicht glaubte, dass es für Morooka einen Unterschied machen würde ob sie wirklich schwatzte, oder nicht. Sie stand immerhin auf seiner Abschussliste. „Das ist Pech, dass du in diese Klasse gekommen bist. Aber nun hängen wir hier ein Jahr lang gemeinsam rum.“ Erst jetzt wurde Otome bewusst, dass sie diesen Kerl, wirklich ein Jahr lang ertragen und sich wahrscheinlich seine unbestätigten Beleidigungen anhören müsste. Wenn er Glück hatte, würde sie ihm bis Ende des Schuljahres nicht umbringen. Und wenn sie es nicht tat, dann vielleicht einer ihrer Klassenkameraden, denn das Getuschel, dass lauter wurde, ließ sie nur zu deutlich vernehmen, dass sie nicht die einzige war, die mit Morooka alles andere als zufrieden war. „Haltet eure Klappen! Ich werde eure Namen aufrufen und ich erwarte verdammt nochmal, dass ihr mir auf vernünftiger Weise antwortet.“ Stille kehrte ein und zurück blieb nur noch Morookas Stimme, der Name für Name von seiner Liste ablas. Ihr Blick wandte sich immer an die angesprochene Person, denn sie wollte sich schnell in diese Gemeinschaft integrieren, oder zumindest nicht so schnell gesellschaftlich abstürzen, dass sie zu einem Einsiedler mutierte. Ohne ein vertrautes Gesicht, würde sie es sicher nicht leicht haben, sich in einem Jahr hier heimisch zu fühlen. Miwako war schließlich nicht hier. „Das war's für heute. Der normale Unterricht beginnt Morgen.“ Schnell hatte Morooka seine Tasche gepackt und war bereit das Zimmer zu verlassen. Wahrscheinlich war er genauso wenig scharf darauf noch mehr Zeit mit dieser verdorbenen Jugend zu verbringen, wie diese mit ihm verbringen wollte. Doch anders als ihr überaus charmanter Lehrer zeigten sie es nicht so deutlich und bildeten in ihren Grüppchen kleine Konversationsgruppen. „Achtung an alle Lehrer! Bitte melden Sie sich umgehend beim Lehrerzimmer für eine kurzfristige Lehrerversammlung. Alle Schüler müssen zu ihren Klassenräumen zurückkehren und dürfen das Schulgelände nicht verlassen bis weitere Informationen folgen.“ Na super. Das hatte Otome ja noch gefehlt. Sie hatte gerade ihre Tasche gepackt und war in Gedanken schon aus der Klassenzimmertür rausgegangen als eine Mitteilung der Schulleitung erfolgte und die wildesten Fantasien der Schüler anzuregen drohte. „Ihr habt es gehört. Macht nichts, bevor man euch was anderes sagt.“ Ärger erklang in Morookas Stimme. Sicher hatte er sich seinen Nachmittag auch anders vorgestellt. Aber da waren Otome und er sich ausnahmsweise mal einig, denn sie verbrachte ihre Zeit auch viel lieber woanders als hier in dieser Klasse, in der bereits lautstark irgendwelche Gerüchte über die Nachrichtensprecherin Mayumi Yamano ausgetauscht wurden. In so einer Kleinstadt war Klatsch und Tratsch eben nur normal und wahrscheinlich musste sie sich erst einmal daran gewöhnen. „Achtung an alle Schüler. Es gab einen Vorfall innerhalb des Schulbezirks. Polizisten wurden innerhalb des Gebietes positioniert. Bitte bewahrt Ruhe und kontaktiert eure Eltern oder Aufsichtspersonen so schnell wie möglich und verlasst schnellst möglichst den Schulbereich. Stört nicht die Polizisten. Geht direkt nach Hause.“ Es hatte etwas erleichterndes als Otome die Stimme der Ansage vernahm. Endlich konnte sie zurück zu ihrem neuen Heim, weg von Morooka und vorallem weg von den ganzen Gerüchten, die ihr diese Stadt alles andere als sympathisch machten. Sie verabschiedete sich noch von den beiden Mädchen ihrer Klasse, mit denen sie so etwas wie ein Gespräch angefangen hatte und packte endgültig ihre Tasche. „Hey, gehst du alleine nach Hause?“ Verwundert sah Otome zu ihrer Banknachbarin auf, die scheinbar ein großes Interesse an ihr hatte. Warum war ihr nicht klar, aber sie fühlte sich schon irgendwie wie ein Affe im Käfig. Wahrscheinlich war das für jeden Neuen eine Hürde sein, die er nehmen musste. „Warum kommst du nicht mit uns? Oh, ich hätte es fast vergessen. Ich bin Chie Satonaka. Du weißt schon, deine Banknachbarin.“ Verstehend nickte Otome und sah zu dem Mädchen im roten Oberteil, das ihr nur einen entschuldigenden Blick zuwarf. Wahrscheinlich war es ihr selbst etwas unangenehm, dass ihre Freundin so ungefragt die Initiative ergriffen hatte. „Nun, es ist schön dich kennenzulernen. Das hier ist Yukiko Amagi.“ Es wurde immer deutlicher, dass Yukiko einfach nur ihrer Freundin gefolgt war und nun erkannte wie unangenehm diese Situation war. Etwas, dass Chie scheinbar selbst nicht erkannte. „Oh, es ist schön dich kennenzulernen. Tut mir leid, dass das alles so plötzlich kommt...“ „Komm schon, entschuldige dich nicht. Das lässt mich so aussehen, als hätte ich nichts anderes zu sagen. Dabei wollte ich etwas fragen. Wirklich, das ist alles.“ Otome wollte gerade, da es scheinbar auch Chie unangenehm wurde, erwidern, dass es für sie okay war, doch der Junge, der sich am morgen aufs schmerzhafteste verletzt hatte, kam ihr dazwischen. Es war unübersehbar, dass er und Chie sich doch schon etwas besser kannten, zumindest zeigte sich ihr das dadurch, dass er dem Mädchen eine geborgte DVD zurückgeben wollte. Doch noch etwas anderes schwang in seiner Stimme mit. So etwas wie Angst. „Und... Es tut mir wirklich leid! Es war ein Unfall! Bitte zeigen sie Erbarmen bis zu meinem nächsten Gehaltsscheck.“ Eindeutig, er hatte was zu verbergen, denn kaum das Chie ihre DVD entgegen genommen hatte, gab der Junge Fersengeld. Doch er war nicht schnell genug, denn Chie schien sein Spiel durchschaut zu haben, bemerkte die zerbrochene DVD und lief ihm hinterher. 'Bis einer weint...', dachte sich Otome und just in diesem Moment, lief ihr Klassenkamerad unbedacht gegen einen der Schülerpults und verzog voller Schmerzen das Gesicht. 'Wusste ich es doch.' „Was zum? Ich kann es nicht glauben, sie ist kaputt... Mein Trial of the Dragon.“ Chies Stimme klang genauso weinerlich, wie Miwakos, wenn sie wieder einmal nicht ihre Lieblingszeitschrift bekommen hatte. Wenigstens etwas war hier vertraut. Die weinerliche Stimme einer Freundin. Wobei Chie wohl eher nicht als Freundin gesehen werden konnte, da sie sich erst seit wenigen Minuten kannten. „Ich denke meine Nüsse sind auch zerbrochen... Ein kritischer Treffer...“ Schon bei seinen Anblick schmerzte es Otome, doch da es scheinbar Chie nicht wirklich interessierte und Yukiko ihrer besten Freundin gehorsam folgte, als diese meinte, man solle sich nicht um ihn kümmern, entschied auch Otome, dass es besser war, wenn man dieses Drama ignorierte und sich um seine eigenen Sorgen kümmerte. Nur schnell nach Hause, das hatte Otome sich gedacht, als sie aus dem Schulgebäude gekommen war. Doch erneut wollte das Schicksal ihr einen Strich durch die Rechnung machen, als am Tor sich eines der wohl unschönen Gesichter Inabas präsentierte. „Du bist Yuki, oder? W-Willst du mit mir irgendwohin gehen?“ Ein kalter Schauer lief Otome über den Rücken, als sie diese Szene beobachtete. Sicher, es kam auf die inneren Werte an, aber die Aura des Verehrers von Yukiko war gruselig. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass sein äußeres nicht gerade das war, was Otome vorschwebte, wenn sie an ihren Traumprinzen dachte. „W-Was? W-Wer bist du?“ Okay, gerade wurde es noch besser. Yukiko kannte diese Horrorgestalt nicht. Und dennoch hatte er sie so vertraut angesprochen, als würden beide sich schon ewig kennen. 'Einfach ignorieren und weitergehen' Ja, dass wäre Otomes Variante gewesen, was sollte immerhin passieren. Nun gut er hätte ihr nachlaufen können, aber als Mädchen war sie aerodynamischer. „Ähm... kommst du nun oder nicht?“ Da Otome in ihren Gedanken etwas weiter abgedriftete war und sich vorgestellt hatte, wie sie vor dieser Gruselfigur davonlief, hatte sie nicht bemerkt, wie ihre Klassenkameraden von der „Amagi-Challenge“ gesprochen hatten. Wahrscheinlich war das auch besser so, denn auf die Gerüchteküche einer Kleinstadt stand Otome so gar nicht. Dennoch war sie dank dem Guppymann wieder in die Realität gekommen und konnte live miterleben, wie Yukiko wohl unwissend eben jenen abservierte, was den Abservierten wohl eher verärgerte. Sicher, auch sie wäre nicht begeistert gewesen, aber dennoch hätte sie bei ihrem Abgang etwas von ihrer Würde bewahrt, indem sie den Kopf stolz erhoben und weggegangen wäre. „Was wollte er von mir?“ Sowohl Chie als auch Otome konnten es nicht fassen, denn noch offensichtlicher konnte man ein Mädchen nicht um ein Date bitten. Doch scheinbar war bei Yukiko offensichtlich nicht offensichtlich genug. Oder... Otome dachte etwas nach, als auch schon ihr Klassenkamerad mit dem zerbrochenen Nüssen kam und sich wohl etwas über die Szene lustig machte, indem er von einem Liebeskummer geplagten Narren sprach und sich gleich mit diesem in ein und dasselbe Boot setzte, als er erklärte, dass sie ihn im letzten Jahr ebenso abserviert hatte. „Ich kann mich nicht erinnern das getan zu haben.“ Otome sah, wie ein Hoffnungsschimmer in den Augen ihres Klassenkamerads mit den zerbrochenen Nüssen entfacht wurde. Scheinbar sah er dies nun als seine Gelegenheit doch noch irgendwie an die unnahbar geltende Yukiko ranzukommen. War das irgendein seltsamer Volkssport in dieser Stadt? Oder waren es einfach nur die Jungs, die nicht verstanden, dass ein Mädchen, das eine Anmache nicht verstand auch kein Interesse hatte? Es war doch nur logisch, dass Yukiko den Jungen auch jetzt wieder zurückweisen würde. Es war unausweichlich und vorhersehbar. „Das wohl eher nicht...“, antwortete Yukiko und wirkte doch schon etwas traurig. Wahrscheinlich war das einfach zuviel für sie. Immerhin brachte es ihren gepeinigten Mitschüler dazu jegliche Hoffnung fahren zu lassen. Sein Leben würde weitergehen. Da Yukiko, Chie und Otome doch zuviel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten, waren die Mädchen schließlich zu dem Entschluss gekommen, den Tatort der peinlichen Abfuhren zu verlassen und sich auf ihren Weg nach Hause zu machen. Es war vor allem Chie, die den ganzen Weg über sprach und Otome von der Schönheit Inabas zu begeistern versuchte. Oder ihr zumindest erklären wollte, dass auch Inaba für diverse Dinge berühmt war. Doch leider, wie hätte es anders sein sollen, hatte Otome gerade von diesen Dingen noch nie etwas gehört. Außer vom Amagi-Inn, dass wohl doch schon eine kleine Berühmtheit war, wenn es darum ging, das man ein Traditionsverbundenes Inn besuchen wollte. Immerhin, Otomes Bildung in Sachen Ländlichkeit war nicht ganz so mangelhaft wie man es vermuten konnte. „Was? Es ist nur ein altes Inn.“ Verwundert hob sich Otomes Augenbraue auf Yukikos Worte. Sie spielte ihr sogenanntes „altes Inn“ wirklich runter. Und das war wirklich seltsam. Fast so, als läge ihr nichts an dem Familienunternehmen. Dabei sollte es gerade Yukiko sein, die mit stolz von ihrem Inn sprach, und nicht Chie. Doch schnell versuchte Chie diesen negativen Kommentar wieder aufzupolieren, indem sie erwähnte, dass gerade dieser Stolz Inabas in allen möglichen Arten von Magazinen abgebildet wurde und das man fast schon mit Begeisterung darüber berichtete. Otome war die letzte, der man das erzählen musste, schließlich kannte sie das Inn aus diversen Reisemagazinen. Und um Yukiko noch vollkommen in Verlegenheit zu bringen, oder sie davon abzulenken ihr Inn noch schlechter zu machen, kam Chie schnell auf ein anderes Thema. „Also sag schon. Ist Yukiko nicht eines der elegantesten Mädchen, die du je gesehen hast?“ Erneut hoben sich Otomes Augenbraue. Wahrscheinlich konnte sie diese weiter oben fest tackern, denn sie bezweifelte, dass dies das letzte Mal sein würde. Wie kamen nur diese Landmenschen auf solche Fragen? Oder war das einfach nur der sogenannte Landslang? Otome konnte sich keinen Reim darauf machen. Doch sie wollte auch Chie keine Antwort schuldig bleiben und nickte zaghaft. Ein Fehler, denn sie hatte Yukiko mit Sicherheit nicht in Verlegenheit bringen wollen. „Sie ist wirklich beliebt in der Schule. Aber sie hatte noch nie einen festen Freund. Das ist doch seltsam, oder?“ Ja, sie hätte sich die Augenbrauen wirklich an der Stirn fest tackern können. Die Bewohner Inabas waren wirklich seltsam. Für sie war es alles andere als seltsam, dass die Erbin des Amagi-Inns noch keinen festen Freund hatte. Otome selbst war in der Hinsicht auch noch vollkommen unerfahren. Es gab sicher wichtigere Dinge als einen festen Freund. Es gab eben ein paar Spätzünder. Außerdem war es wesentlich besser als eben jene Mädchen, die jeden Tag einen neuen Kerl an der Angel hatten oder ihre festen Freunde wie die Unterwäsche wechselten. Doch Chie wollte sie das nicht auch sagen. Wer wusste schon, wann sie Otome als „seltsam“ abstempelte. Wer solche Freunde hatte, brauchte keine Feinde. „Also, die High School Schülerin hat die Schule früher verlassen, und als sie die Straße hier entlang kam...“ Die kleine Gruppe von Mädchen blieb stehen, als sie die tratschenden Damen hörten, die vor einem abgesperrten Tatort standen. Es war eindeutig das hier etwas passiert war, denn das Polizeiaufgebot schien nicht klein zu sein. Es schien sich also um etwas großes zu handeln. Und wenn Otome ehrlich war, wollte sie nur zu gerne wissen, was passiert war. 'Das Kleinstadtleben steckt mich schon an.' Unglaublich. Dabei war nicht einmal ein Tag vergangen. Warum interessierte sie so etwas? „Nun, ich denke, dass es furchterregend ist. Ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet hier ein toter Körper aufgetaucht ist.“ Otomes Magen schlug einen Salto. Selbst in der großen Stadt, zumindest in dem Viertel in dem sie lebte, waren Leichen so selten, dass es eigentlich gar keine gab. Und nun, ausgerechnet hier, in dieser verschlafenen Kleinstadt, einen Tag nach ihrer Ankunft, wurde sie mit so etwas konfrontiert. 'Moment, war Onkel Dojima nicht ein Cop?' Suchend versuchte sie durch die Menge Schaulustiger zu sehen. Sie hoffte ihren Vormund zu erspähen, doch die Mühe machte sie sich vollkommen umsonst, als der unrasierte Klischeecop auch schon auf die Mädchen zukam. Super. Der Tag war einfach nur super. „Hey, was macht ihr hier?“ Er war durch und durch ein Cop. Versessen auf die Regeln und wahrscheinlich auch misstrauisch. Otome wusste, dass sie besser nichts sagte, was in irgendeiner Weise sein Misstrauen weckte. „Wir sind hier nur vorbei gekommen.“ Etwas schmollendes, fast schon rebellisches lag in Otomes Stimme. War es jetzt schon ein Verbrechen nach Hause zu gehen? Wenn ja, dann sollte Dojima sie gleich in den nächstbesten Bau werfen. „Was? … Ich hätte wissen sollen, dass das passiert.“ Immerhin, ihr Onkel war einsichtig, so dass sie nicht befürchten musste, sich noch eine Standpauke anzuhören, weil sie seinen nicht vorhanden gewesenen Anleitungen nicht gefolgt war. „Dieser verdammte Direktor... Wir haben ihm gesagt sie hier nicht durchzulassen.“ Ein fragender Blick von Chie, mit der dazugehörigen Frage, machten sowohl Dojima als auch Otome klar, dass sie scheinbar nicht von allein bemerkte, dass sie sich doch schon besser kannten, oder ihre Art miteinander zu kommunizieren, vertrauter war als zwischen zwei Fremden. „Ich bin Detective Dojima. Ihr Vormund. Nun... wie soll ich das sagen. Ich hoffe ihr kommt gut mit ihr aus. Dennoch solltet ihr drei aufhören herumzulungern und nach Hause gehen.“ Dojima hatte sich gerade von den Mädchen abgewand und wollte sich wieder seiner Arbeit widmen, als ein junger Kriminalbeamter an ihm vorbeilief und seinen Mageninhalt in einer ungesehenen Ecke verteilte. Nun war Otome sich sicher, dass die Leiche wirklich in keinen guten Zustand war und nicht sehr appetitanregend war. Es war wohl besser, dass die Polizei sie bereits abgenommen hatte. So konnte Otome hoffen, dass sie das Abendessen doch noch genießen konnte. Zuhause sah Otome das gewohnte Bild. Zumindest war es schon nach diesem einen Tag so vertraut geworden, dass es sie nicht überraschte, dass Nanako wieder vor dem Fernseher hing und sich vom Stumpfsinn der Medien berieseln ließ. Eigentlich hatte sie die Gerüchte über die Generation Fernsehen, also jene Kinder, die von der Glotze erzogen wurden, nicht glauben. Aber Nanako war irgendwie der lebende Beweis. Immerhin reagierte die Kleine auf die Tür und erhob sich sofort. Doch die Hoffnung vom Morgen, dass sie warm miteinander werden würden, war gestorben. Denn wie schon am Abend zuvor, war die Atmosphäre doch eher unterkühlt und nicht einmal der angebotene Tee konnte das noch ändern. Aber immerhin, ein Tee. Vielleicht half er ja doch. „Ich frage mich, ob Papa heute wieder nicht nach Hause kommt...“ In der Stimme ihrer Cousine schwang etwas Trauer mit und Otome ärgerte sich, dass sie Dojima nicht noch am Nachmittag gefragt hatte, ob er denn nach Hause kommen würde. Wahrscheinlich hätte sie das Mädchen mit einer Antwort etwas glücklicher machen können. Stattdessen musste der Fernseher Aufklärungsarbeit leisten, indem er den Fall vom Nachmittag erläuterte. Nun hatte das Opfer für Otome auch ein Gesicht. Die Nachrichtensprecherin Mayumi Yamano und es war die Abteilung in Inaba, die sich dieses Mordes angenommen hatte und nun nach dem Täter ermittelte. Nanako wusste sofort, was das bedeutete und die Sorge in ihren Augen blitzte nur zu deutlich hervor. Diesen Kummer konnte sie nicht verbergen. „Es wird alles gut.“ Ruhig und aufmunternd lächelte Otome ihre Cousine an. Doch im Gegensatz zu anderen Kindern, hellte sich ihre Mimik nicht auf. Wahrscheinlich war sie es einfach gewohnt, weswegen sie Otome die Worte nicht glaubte, aber dennoch nickte, um nicht unhöflich zu sein. Bedrückt sah Otome auf ihren Becher Tee. Sie wollte die Kleine aufmuntern und dachte darüber nach wie, doch der Fernseher hatte scheinbar genau die richtige Antwort, denn ein Werbespot von Junes erhellte sofort die Miene des Mädchens, das begeistert, wie schon am Abend zuvor, die Melodie mitsang. Sie musste sich das unbedingt merken. Vielleicht konnte sie ja irgendwann mal selbst die Stimmung heben, indem sie einfach den Werbejingle sang. TICK TACK TICK TACK. Klar und deutlich vernahm Otome die Uhr in ihrem Zimmer. Ihr Blick war starr auf das Display ihres Handys gerichtet. Sie hoffte, obwohl es schon weit nach Mitternacht war, dass ihre Freundin Miwako doch noch schrieb. Doch nichts. Otome war unsicher, denn sie fühlte sich hier so alleine und wünschte sich eigentlich die Stimme einer vertrauten Person zu hören. Doch alles was sie hörte, war die Zimmeruhr. TICK TACK TICK TACK. Würde Miwako noch antworten? Sollte sie vielleicht noch einmal schreiben? War die letzte SMS überhaupt angekommen? Sie wusste es nicht. Und dennoch, beschlich sie die Angst. Was wenn Miwako nicht mehr antworten wollte? Was, wenn ihr etwas passiert war? Sollte sie anrufen? Nein... Um diese Uhrzeit schlief Miwako sicher. Erneut drückte Otome einen Knopf auf dem Handy, sodass ihr Display sich erhellte. Sie hatte Empfang, daran konnte es also auch nicht liegen. Ihre Nummer war auch aktiv. Immerhin hatte sie die SMS ihrer Eltern erhalten. Irgendwie hatten sie die Zeit gefunden ein „Wir lieben dich, mach meinem Bruder keinen Ärger.“ zu schreiben. Liebevoll. Aber von Miwako, gab es nichts. 'Kein Grund zur Panik. Ihr seid erst einen Tag voneinander getrennt. Wahrscheinlich genießt sie es erst einmal, dass du nicht mehr da bist.' Ein seichtes Lächeln huschte Otome bei diesem Gedanken übers Gesicht. Genau. Sicher genoss Miwako erst einmal die Otome-freie Zeit. Irgendwann, wenn sie Sehnsucht nach ihr bekam, würde sie sich melden. Das konnte höchstens ein paar Tage dauern. In ein paar Tagen konnte sie sich wieder Sorgen um Miwako machen. Erst einmal musste sie sich noch in Inaba einleben. Der Rest war vorerst unwichtig. Allerdings... Otome legte das Handy weg. Gute schlafen würde sie heute sicher nicht. Immerhin gab es da noch diesen Mord, der ihr nicht aus dem Sinn wollte. Diese Nachrichtensprecherin, war Kopfüber auf einen Dach aufgehängt wurden. Was hatte das zu bedeuten? Wozu machte sich ein Täter soviel Mühe, eine Leiche zu drapieren, wenn es doch dazu führen konnte, dass man ihn entdeckte? Otome verstand es nicht. Aber sie musste es auch nicht verstehen. Immerhin war das die Arbeit ihres Onkels und der Polizei. Dennoch, irgendetwas störte sie. Und dieses Etwas nagte auch noch lange an ihr, bis sie eingeschlafen war. Kapitel 3: Midnight Channel --------------------------- April 13 Es war der Dreizehnte April, ein Tag ohne Regen, aber auch ohne Sonne, als Otome zum zweiten Mal in Inaba erwachte. Pünktlich, wie am Tag zuvor, dank ihrer inneren Uhr. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass sie früh zu Bett gegangen war. Daran konnte sie sich ja schon einmal in der Kleinstadt gewöhnen. Es war eben so, wie es der Tankwart gesagt hatte. Hier gab es nichts. Und noch hatte sie keinen Gelegenheitsjob mit dem sie ihr Taschengeld aufbessern und die Zeit tot schlagen konnte. Alles was ihr blieb war die Schule und das ein oder andere Buch. Aber selbst das hatte ihre am Abend zuvor keinen wirklichen Sinn gemacht. Wie schon am Tag zuvor, wahrscheinlich wollte sie daraus ein Ritual machen, griff sie zu ihrem Handy und sah nach, ob sie eine Nachricht erhalten hatte. Nichts. Nur ihr Bildschirmhintergrund mit den lächelnden Sonnenblumen, die Miwako ihr eingerichtet hatte, waren zu sehen. Es war noch zu früh um was zu erwarten. Definitiv. Und doch... Es machte sie traurig, dass sie keine Botschaft von Miwako lesen konnte. Keine Nachricht, die sie aufmunterte und ihr sagte „Hey, du hast einen bescheidenen Klassenlehrer, aber du bist Otome, du schaffst das schon.“ Ja, nur zu gerne hätte sie so etwas gelesen. Doch stattdessen hinterließ Miwako einfach nur eine unsagbar tiefgehende Leere. Im Gegensatz zum vergangenen Tag, hatte Otome ein schnelles Frühstück eingenommen und war so früh wie möglich aus dem Haus gegangen. Sie wollte Morooka keine Angriffsfläche bieten, wenn sie sowieso schon auf seiner Abschussliste stand. Und scheinbar hatten viele ihrer Klassenkameraden ebenfalls diesen Gedanken, denn sie sah einige bekannte Gesichter vom Vortag auf ihren Weg. Genauso wie sie die wohl vertrauten quietschenden Bremsen eines orangefarbenen Fahrrades hörte, dass an ihr vorbeifuhr. Ein Deja-vú. Zumindest kam ihr der Moment sehr bekannt vor, in dem der Junge mit dem zerbrochenen Nüssen gegen etwas fuhr. Doch Fortuna schien ihm heute treu sein zu wollen und sorgte nur dafür, dass er zwischen dem Abfall landet und kopfüber in einer Mülltonne landete. Ob Fortuna ihm irgendetwas damit sagen wollte? Vorsichtig näherte sich Otome der kugelnden Tonne, aus der sie Hilfe suchende Laute hörte. Sie überlegte kurz, ob sie ihm helfen sollte, da er aber sonst zu spät zur Schule kam, konnte sie nicht anders als ihm zu helfen. „Irgendjemand...“ Es hatte Otome etwas Kraft und etwas, vielleicht für den Jungen schmerzhaftes Ziehen benötigt, um ihn aus seinem Gefängnis zu befreien. Doch er schien nicht soviel gelitten zu haben, denn ein strahlendes Lächeln lag auf seinem Gesicht. „Mann, du hast mich gerettet. Danke. Also... ähm, du bist doch die Neue, Otome Narukami.“ Blitzmerker. Das war der erste Gedanke, der Otome durchfuhr. Wie konnte man auch den Namen der Person vergessen die zum einen aus der großen Stadt kam und zum anderen sich auch noch vor der gesamten Klasse mit Morooka angelegt hatte? „Mein Namen ist Yosuke Hanamura. Schön dich kennenzulernen.“ Lächelnd reicht Yosuke ihr die Hand, in die sie ebenso freundlich einschlug. Immerhin hatte der Herr mit den geknackten Nüssen nun endlich einen Namen für sie und sie musste nicht bei diesem seltsamen Spitznamen bleiben. Wobei sie doch auch dazu neigen wollte, ihm irgendwann, vielleicht wenn sie Freunde wurden, mit diesen Namen zu konfrontieren. „Geht es dir gut?“ Erst als Otome diesen albernen Gedanken beiseite schieben konnte, besann sie sich wieder dazu, dass Yosuke bis vor wenigen Augenblicken noch in der Mülltonne gelegen hatte. Der Sturz da hinein hatte sicher die ein oder andere Blessur mir sich geführt, weswegen sie einfach sicher gehen wollte, dass man ihn an der Schule nicht gleich im Krankenzimmer abliefern musste. „Ach ja, mir geht’s gut.“ Das Grinsen aus seinem Gesicht schwand nicht, als wollte er damit versichern, dass es ihm wirklich gut ging. Sie konnten also weitergehen, sich Morookas endlosen Dialoge antun und schließlich nach Hause kommen, so wie am Tag zuvor, den nächsten Tag darauf und so weiter. Zumindest dachte Otome das. Doch Yosuke schien andere Pläne zu haben. „Sag, hast du von den Vorfall gestern gehört? Sie haben diese Nachrichtensprecherin auf einer Antenne hängend gefunden. Meinst du nicht auch, dass es so eine Art Warnung ist? Es ist doch absolut unmöglich, dass etwas so seltsames nur ein Unfall war.“ Da war es wieder. Das Kleinstadtleben mit all seinem Klatsch und Tratsch. 'Natürlich war das kein Unfall.' Innerlich seufzte Otome. Wie sollte so etwas ein Unfall sein? Wie sollte eine Leiche auf eine Antenne kommen, ohne das ihr Flügel wuchsen? Und selbst mit Flügeln hätte sie so ganz Tod Probleme gehabt, da hoch zu kommen. Dazu musste man weiß Gott kein Kriminalbeamter sein, um das zu erkennen. Allerdings, Otome konnte nicht abstreiten, dass Yosuke in einem Punkt Recht hatte. Der Täter, der die Leiche drapiert hatte, wollte irgendetwas damit sagen. Eine Botschaft zu übermitteln. „Wahrscheinlich hast du recht.“ Otome nickte. Sie war froh, dass Yosuke scheinbar mit einer Zustimmung zufrieden war, denn mehr wollte sie sich nicht in diese Klatsch und Tratsch hineinziehen lassen. „Einen Körper so von einer Antenne baumeln zu lassen ist... Das ist so eine Sauerei. Wobei jemanden umzubringen selbst schon eine Schweinerei ist.“ Letzteres hatte Yosuke schnell nachgeworfen. Scheinbar wollte er nicht, dass Otome irgendetwas falsch verstand und sein guter erster Eindruck zunichte gemacht wurde. Doch die Schulglocke rettete ihn, denn wahrscheinlich hätte er sich noch um Kopf und Kragen geredet, wenn das überhaupt möglich gewesen wäre. „Oh verdammt, wir kommen zu spät. Hey, willst du mitfahren? Es knarrt zwar etwas, aber es sollte gehen.“ Zweifelnd sah Otome zu dem Fahrrad von Yosuke. Sie war etwas unschlüssig, nachdem sie in den letzten Tagen seine Fahrkünste beobachten konnte. Und irgendwie war sie auch nicht scharf darauf, von einem Moment zum anderen plötzlich in einer Mülltonne zu hängen und um Hilfe zu rufen. Erschöpft ließ Otome ihren Kopf auf den Tisch sinken. Sie hatte es doch tatsächlich überlebt. Sie hatte die Fahrt auf Yosukes Horrorbike überlebt. Und wahrlich, sie würde niemals behaupten, dass es eine angenehme Fahrt war. Fest hatte sie sich an den Jungen geklammert, daran erinnerte sie sich noch, denn sie spürte seinen Körper immer noch an den ihren. Doch genauso gut spürte sie auch noch das Knarren unter ihrem Po und das war alles andere als angenehm. Noch dazu musste sie sich nun in den nächsten Tagen das Getuschel ihrer Mitschüler anhören, die scheinbar glaubten, dass sie und Yosuke... Nein, sie wollte nicht einmal daran denken. Niemals. In einer Millionen Jahre nicht. Der Junge war gar nicht ihr Typ. „Okay seid ruhig, ihr Idioten!“ Da war sie wieder. Die Stimme des Grauens. Die Stimme jener Person, die sie nun ein Jahr verfolgen würde. Wahrscheinlich sogar bis in ihre Träume. „Ihr seid jetzt in der High School, oder? Könnt ihr nicht wenigstens da die Klappe während des Unterrichts halten? Besitzt ihr alle den keinen gesunden Menschenverstand? Also zuerst, es ist mein verdammter Job euch Arschlöchern Philosophie zu lehren. Und weil ich so nett bin, werde ich euer Verhalten verbessern, während ich schon einmal dabei bin. Ist das nicht eine Ehre? Und ich werde mir besonders jene zu Herzen nehmen, die sich so interessiert mit diesem Mord beschäftigen. Verstanden? Dann nehmt eure Bücher heraus!“ Ein leises Seufzen entkam Otome. Das konnte ja heiter werden. Auch wenn Morooka nicht ganz unrecht hatte, und das wusste sie. Der Kerl taugte einfach nicht zum Lehrer, denn das was er gerade vermitteln wollte, kam wohl nur bei den wenigsten an. Dennoch, sich darüber zu beklagen brachte nichts und das wusste sie, weswegen sie ihr Buch herauskramte und schließlich zum ersten Mal in diesem Jahr, sich mit der Philosophie beschäftigte. Die Stunden des Schultages waren fast schon wie im Flug vergangen. Mal wieder. Wahrscheinlich war das aber auch das einzig gute an dieser Kleinstadt. Die Stunden vergingen genauso schnell wie sie anbrachen und brachten den Tag schnell über die Bühne. Mehr konnte Otome doch nicht erwarten, außer vielleicht, dass etwas passierte, was für sie von Belang wäre. Zum Beispiel das Morooka vom Blitz erschlagen wurde. Aber darauf konnte sie wohl lange warten. „Hey!“ Otome sah auf, als jemand, der sich heimlich wie ein Ninja an sie angeschlichen hatte, neben ihr stand. Sie sah in das breit grinsende Gesicht von Yosuke, der scheinbar noch etwas mehr Zeit mit ihr verbringen wollte. Erneut hatte sie ein Deja-vù. Sie konnte sich dunkel daran erinnern, dass ihre Banknachbarin Chie sich erst einen Tag zuvor auf sie „gestürzt“ und zum gemeinsamen verbringen der kostbar dahinschwindenden Freizeit gebeten hatte. Scheinbar war das ein Ritual und in den nächsten Tagen musste Otome damit rechnen, dass noch mehr Schüler das tun würden. Wahrscheinlich hatten sie sogar schon Nummern gezogen und Yosuke hatte wenigstens im Spiel Glück bewiesen. Nein, dieser Gedanke war einfach absurd. „Also, hast du dich an Inaba gewöhnt?“ Lächerlich, genau so hätte Miwako ihn wahrscheinlich beschrieben, wenn sie an ihrer Stelle gewesen wäre. Sie war gerade mal hochgerechnet drei Tage vor Ort und sollte sich schon an Inaba gewöhnt haben? Das war doch einfach lächerlich. Mal davon abgesehen, dass sie sich mehr mit Inaba abgefunden, als wirklich daran gewöhnt hatte. „J-Ja, sicher“, antwortete sie ruhig und schluckte jeden zynischen Kommentar der ihr auf der Zunge lag runter. Mit Sicherheit war es leicht sich an eine Kleinstadt zu gewöhnen, in der jeder Tag dem vorangegangenen gleicht. Aber doch nicht nach drei Tagen! „Wirklich? Wow, das ging schnell. Aber naja, hier ist ja auch nicht soviel wie in der Großstadt. Aber es gibt auch hier etwas, das man nirgendwo anders finden kann. Die Luft ist sauber, das Essen ist großartig und... Oh kennst du die lokale Spezialität? Das ist gegrilltes Steak. Mann. Als ob das etwas besonderes wäre. Ich kenne aber einen Ort, an dem es billig bekommt. Willst du mitkommen? Du hast mir immerhin heute Morgen geholfen, also geht es auf mich.“ Gegrilltes Steak. Ja, in der Tat, so etwas konnte nur in einer Kleinstadt als lokale Spezialität gelten. Aber vielleicht, Otome wollte ja nicht vorschnell urteilen, hatten sie ein ganz besonderes Rezept für die Marinade oder eine spezielle Technik um das Steak zu grillen. Sie sollte es wenigstens probieren, bevor sie voreilig urteilte. Zumindest riet ihr Bauchgefühl dazu. „Was ist mit mir? Willst du dich nicht entschuldigen? Wegen meines Trial of the Dragon?“ Ein missmutiges Seufzen verließ Yosukes Mund, als Chie, die scheinbar von der Einladung mitbekommen hatte, sich zu ihnen gesellte. Das beide sich scheinbar gut kannten, hatte Otome ja schon am Vortag geahnt, schließlich verlieh man nicht an irgendwelche wildfremden Menschen seine geheiligten DVDs. „Argh, du tauchst immer dann auf, wenn vom Essen die Rede ist.“ Verwundert hob Otome eine Augenbraue und sah zu Chie. Das Mädchen war, abgesehen von der grünen Trainingsjacke, die alle Weiblichkeit eliminierte, recht schlank gebaut. Soviel konnte sie da doch nicht essen, bei dieser Figur. Oder hatten die Menschen in der Kleinstadt auch noch speziellen Sportunterricht, der die Pfunde dahin purzeln ließ? Etwas unwillkürlich, es beachtete sie sowieso keiner der beiden, schüttelte Otome den Kopf. Mit Sicherheit lag es einfach nur an ganz anderen Dingen. Sie wusste immerhin nichts über Chie, vielleicht trainierte sie auch einfach viel in irgendeinem Club. „Ich passe, ich möchte nicht noch mehr zunehmen. Außerdem muss ich heute im Inn aushelfen.“ Yukikos Stimme war es, die Otome wieder in die Realität holte und sie realisieren ließ, dass Yukiko wohl von jemanden, wahrscheinlich Chie, ebenfalls eingeladen worden war. Sie hatte das in ihrer ganzen Grübelei nicht bemerkt, was vielleicht auch besser so war. Denn wer wusste schon, was für freundschaftliche Spitzen Chie und Yosuke untereinander ausgeteilt hatten. Fakt war nur, dass Chie nun wohl doch mitkam und sie sich den ganzen restlichen Tag die zwei Streithähne anhören durfte. Sie hätte nie gedacht, dass man so Recht haben könnte, als sie nach einem schier endlos lang erscheinenden Weg endlich im Junes Gastronomiebereich saß. Den ganzen Weg über hatte Chie über ihren Tiger of the Dragon gejammert und Yosuke irgendwelche Ausflüchte gesucht, die ihr sagten, warum es nicht fair wäre, dass sie sich einfach so selbst eingeladen hatte. Sie stritten wie ein altes Ehepaar und Otome erwischte sich sogar bei dem Gedanken Wetten darauf anzunehmen, ob die beiden innerhalb diesen Jahres noch zusammenkommen würden. Zumindest glaubte sie zu erkennen, das zwischen den beiden sicher der ein oder andere Funken noch überspringen konnte. „Das ist der billige Ort von dem du gesprochen hast? Hier gibt es kein gegrilltes Steak!“ Es war der Gong für die zweite Runde, den Otome in ihrem Geiste hörte und sie war wirklich gespannt, wer gewinnen würde. Denn Yosuke Hanamura, der gerade mit wohl duftenden Takoyaki ankam, machte sich für seinen Gegenschlag bereit. „Ja, weil ich meine Pläne ändern musste, als du auf den 'Essen für Lau'-Zug aufgesprungen bist.“ Ein Seufzen kam von Otome, als die unnachgiebige Chie Satonaka nun ihrerseits versuchte das Herz des tapferen Yosukes zu verletzten, indem sie mit einem vermeintlich direkten Treffer darauf hinwies, an welchem Ort sie sich genau befanden. Zwar verstand Otome es nicht, doch genauso schnell wie Chie es aufgegriffen hatte, wurde ihre Unwissenheit von Yosuke beseitigt. „Ach ja, ich habe es dir noch nicht erzählt, oder? Vor sind sechs Monaten sind wir aus der Stadt hier her gezogen. Junes hatte gerade geöffnet und mein Vater wurde als Manager eingestellt. Deswegen ist unsere gesamte Familie hier her gezogen.“ In der Tat, das hatte Otome nicht erwartet, immerhin verteilte auch Yosuke diesen Kleinstadt Klatsch und Tratsch. Er passte wohl bereits viel besser in dieses Leben, als sie es je würde, zumindest glaubte sie das, aber mit Sicherheit würde sie sich das nicht anmerken lassen. Deswegen lächelte sie, nahm sich die ihr gereichte Soda und Takoyaki-Portion. Otome hatte die ganze Zeit geschwiegen, während Yosuke und Chie sich angeregt über Inaba unterhielten, um die Kleinstadt der Neuen doch noch irgendwie schmackhaft zu machen. Doch es brachte nichts, denn Chie selbst, die erst von dem ausgezeichneten Tofu und dem tollen Textilienladens gesprochen hatte, kam plötzlich auf ein etwas heikleres Thema zu sprechen. „Es ist bereits ein halbes Jahr her, seit Junes eröffnet hat, aber seitdem war ich kaum noch in der Shoppingmeile. Viele Läden dort schließen mit der Zeit und... oh...“ Erst jetzt bemerkte Chie Yosukes bitteren Gesichtsausdruck, als sie von den schließenden Läden der Shoppingmeile sprach. Scheinbar war das sein wunder Punkt und Otome ahnte, dass da mehr dahinter steckte. „Du kannst nicht die ganze Schuld auf Junes schieben!“ Wütend, und weil er Chie einfach nach diesem indirekten Vorwurf nicht in die Augen sehen konnte, wandte er seinen Blick ab. Es war wirklich sein wunder Punkt und irgendwie konnte Otome ihn verstehen. Es war viel leichter die Schuld bei anderen zu suchen, als etwas gegen das eigentliche Problem zu unternehmen. Aber das war nicht nur in der Kleinstadt so, sondern überall auf der Welt. Immer suchten die Menschen den einfachsten Weg ohne den schweren zu probieren. „Hey, da ist Saki-senpai! Tut mir leid, ich bin gleich zurück.“ Der bittere Ausdruck auf Yosukes Gesicht war verschwunden und er erhob sich von seinem Platz. Otome folgte seiner Blickrichtung und erkannte eine Mitarbeiterin des Junes, die sich scheinbar müde und erschöpft auf einen Stuhl sinken ließ. „Ist sie seine Freundin?“ Nun war es doch die Neugier die Otome packte, vielleicht lag es auch an der frische Landluft, die man in der großen Stadt nicht bekam. Auf einmal interessierte sie dieser Kram und Otome konnte sich weiß Gott nicht erklären warum. „Das wünscht er sicher“, erklärte Chie lachend, was nur um so deutlicher machte, dass diese Romanze wohl eher auf einseitiger Basis beruhte. So ganz war sich Otome nicht sicher, ob sie das beruhigen sollte oder nicht, aber sie beobachtete mit großem Interesse das Geschehen. „Das ist Saki Konishi. Ihre Eltern besitzen einen Schnapsladen in der Einkaufsmeile. Ich glaube aber, dass sie hier Teilzeit arbeitet.“ Der Unterton in Chies Stimme gefiel Otome gar nicht. Es war immerhin klar, dass es wohl zu Problemen führte, wenn die eigene Tochter an dem Ort arbeitete, den alle für den Untergang der Einkaufsmeile verantwortlich machte. Zumindest würde Otome sich an Stelle der Eltern verraten fühlen. Vielleicht sah sie es aber auch als Fremde alles zu streng und ihre Eltern hatten nichts gegen diesen Nebenverdienst. Gedankenversunken sah Otome auf ihren Getränkebecher. Das Geschehen war schon lange nicht mehr so interessant wie die Frage, was die Tochter des Schnapsladens dazu gebracht hatte hier im verhassten Junes zu arbeiten. „Bist du die neue Schülerin? Hast du schon von mir gehört?“ Erschrocken sah Otome zu Saki auf, die ihr ein freundliches, willkommen heißendes Lächeln schenkte. Und dennoch wirkte sie erschöpft, fast schon müde. „Es muss schön sein, mit jemand anderen aus der großen Stadt reden zu können. Ich sehe Hana-chan nicht sehr oft mit anderen aus der Schule.“ Ein verräterischer, verlegener Schimmer setzte sich auf Yosukes Wangen. Scheinbar hatte Saki da etwas erwähnt, was vor Otome eigentlich ein Geheimnis bleiben sollte. So als ob er versucht hätte cooler dazustehen und am Ende kam raus, dass man gar nicht cool war. „Er hat nicht viele Freunde, deswegen hoffe ich, dass ihr gut miteinander auskommt. Hana-chan ist ein guter Junge, aber manchmal kann er etwas laut werden. Wenn er dich nervt, musst du ihm das direkt sagen.“ Ein belustigter Unterton schwang in Saki Stimme mit, und dennoch wusste Otome nicht, was sie sagen sollte. War das nun ein Scherz, oder tarnte sie die Tatsache, dass sie es ernst meinte mit einem Lachen? „Nein, Yosuke ist eigentlich okay.“ Freundlich lächelte Otome Saki an und ignorierte, dass Yosuke sich fast schon etwas verlegen abwandte. Wahrscheinlich hatte ihr Kompliment ihn etwas verlegen gemacht, oder es war ihm peinlich, das Saki so von ihm sprach. Vielleicht meinte sie es ja wirklich ernst und Yosuke wusste es. Zumindest glaubte Otome das, bis Saki ihr erklärte, dass es wirklich nur ein Spaß gewesen war und Yosuke sich noch verlegener abwandte. „Nun, meine Pause ist vorbei. Ich mache mich wieder an die Arbeit. Bis später.“ Ein letztes Mal lächelte Saki freundlich in die Runde, ehe sie sich von der Gruppe abwandte und zurück in die Richtung ihrer Abteilung ging. Yosuke hingegen schien alles andere als erfreut zu sein. Es war deutlich zu sehen, dass er gerne noch mehr mit Saki gesprochen hätte, doch gleichzeitig akzeptierte er, dass sie ihren Pflichten nachgehen musste. „Sie sagt ich bin nervig, dabei ist sie doch die Lauteste. Sie hat übrigens einen jüngeren Bruder und behandelt mich im Prinzip wie ihn.“ Erneut kehrte die Bitterkeit in Yosukes Gesichtsausdruck zurück, auch wenn er diese mit einem Lächeln zu tarnen versuchte. Doch vor ihr musste er sich nicht die Mühe geben ein großes Schauspiel hinzulegen, denn sie verstand nur zu gut, wie es sich wohl anfühlen musste, wenn man in jemanden verliebt war, der einen nur als kleine Schwester sah. Sie hatte dieses Phänomen oft in ihrer alten Schule beobachten können, wie verzweifelt die Mädchen gewesen waren, wenn der coolste Junge der Schule sie nur als kleine Schwester ansahen, weil sie noch zu jung und unreif waren. Otome war dieses Schicksal zum Glück erspart geblieben. „Hey!“ Es war schon wieder passiert. Otome erschrak, denn erneut war sie wieder zu tief in ihren Gedanken versunken und hatte die Diskussion zwischen Chie und Yosuke gar nicht mehr mitbekommen. Erst als Chie sie direkt angesprochen hatte, sah sie auf, in dieses schelmisch grinsenden Gesicht Chies, die sich wahrscheinlich gerade einen Kommentar auf ihre geistige Abwesenheit verkniff. „Habt ihr vom Midnight Channel gehört? Man muss an einem verregneten Abend, alleine um Mitternacht in einen ausgeschalteten Fernseher sehen. Während man sein eigenes Spiegelbild ansieht, erscheint eine andere Person auf dem Bildschirm. Und diese Person soll der eigene Seelenverwandte sein.“ Zweifelnd hob sich eine Augenbraue Otomes. So etwas hätte sie in der Großstadt sicher nie zu hören bekommen. Ein Sender der nur an verregneten Tagen, bei ausgeschalteten Fernseher um Mitternacht lief. Nein, solche Gerüchte könnte es wirklich nur in einer Stadt wie Inaba geben. „Was? Für einen Moment habe ich geglaubt, du willst uns etwas nützliches erzählen. Wie kannst du bei so einer Legende nur so aufgeregt sein?“ Immerhin so ganz hatte man Yosuke wahrscheinlich doch noch nicht an das Kleinstadtleben verloren. Zumindest hoffte Otome, dass, denn sonst hatte sie hier wirklich nichts mehr, an das sie sich etwas klammern konnte. So ganz verstand Otome nicht, was sie hier eigentlich tat. Gut, sie stand nun vor dem Fernseher, in dem zum gefühlten Millionsten Mal ein Bericht über den tragischen Tod der Nachrichtensprecherin Mayumi Yamano lief. Sie konnte den Text bereits rauf und runter beten, schließlich hatte sie eben jene Sendung auch mit Dojima und Nanako beim Abendessen gesehen. Ersterer war allerdings eingeschlafen, sodass sie sich fragte, wie Nanako ihren alten Herren ins Bett buxiert hatte. Aus ihrem Zimmer heraus, in dem sie bis kurz vor Mitternacht die Hausaufgaben für Morookas Unterricht gemacht hatte, hatte sie nur gehört wie der müde Trampel durch die Gänge unten, in Richtung seines Bettes gepoltert war. Aber gut, dass war ja nicht der Grund, warum sie nun hier stand und den Fernseher anstarrte, während draußen der Regen prasselnd gegen ihren Fensterscheibe klopfte. Geistig reiste sie noch einmal in der Zeit zurück, bis zu dem Moment, in dem sie von dem Midnight Channel erfahren hatte. Da Yosuke und sie Chie nicht geglaubt hatten, hatte sich die Burschikose dazu herabgelassen ihnen zu befehlen, dass sie heute allesamt das Gerücht auf Herz und Nieren testen würden. Eigentlich, so empfand es Otome, war es eine reine Zeitverschwendung, denn mit Sicherheit würde nichts auf der Mattscheibe erscheinen, außer ihrem eigenen Spiegelbild, in dem sie, mit sehr viel Fantasie vielleicht sogar Saki, oder Chie oder sonst wen wieder erkennen konnte. Nur so konnte sie sich erklären, wie es zu diesem Gerücht gekommen war. Sicher hatte ein verschlafener Oberschüler abends in den Fernseher gesehen und dank Dunkelheit und Übermüdung ein anderes Gesicht zu sehen geglaubt, als das seinige. Mit Sicherheit war das so. Dennoch, Otome konnte nicht umhin, es doch zu probieren. 'Die Landluft tut mir wirklich nicht gut...', murrte sie sich in Gedanken zu und ging zum Fenster, bei dem sie die Vorhänge zurückzog und hinaus sah. Es schüttelte wirklich wie aus Eimern, was wohl erneut das aufkommen von Nebel zur Folge haben würde. Irgendwie war diese Vorstellung deprimierend. Seit sie diese Stadt erreicht hatte, hatte sie wohl mehr Nebel als Smog zu Gesicht bekommen, wobei das wohl übertrieben war. Denn mit Sicherheit hatte sie schon mehr Smog gesehen. Seufzend zog Otome wieder die Gardine zu und wandte sich von dem Fenster ab. Es war bald soweit und mit Sicherheit konnte sie Chie nicht irgendeine Lüge auftischen. Sie war nicht sonderlich gut darin, wenn es ums Lügen ging. Miwako hatte das zumindest immer behauptet. Lustlos schaltete Otome den Fernseher ab und starrte auf die Mattscheibe. Sie kam sich unbeschreiblich albern vor, vor allem weil sie diese Geschichte mit dem Midnight Channel einfach nicht glaubte. Und dennoch stand sie hier, auf Befehl eines Landeis und warf jegliche Vernunft über Bord nur um hinterher festzustellen, dass sie nichts, außer ihrem eigenen Gesicht sehen würde. Gedanklich legte sich Otome bereits dämliche Witze zurecht, die sie Chie unter die Nase reiben würde. Dinge wie: „Uh ich bin meine eigene Seelenverwandte.“ Wenn sie es nicht tat, würde Yosuke es tun, soviel stand fest. Tick Tack, Tick Tack. Das Ticken der Uhr verriet ihr, dass die Stunde, man nannte es anderswo Geisterstunde, immer näher kam. Es waren höchstens noch 30 Sekunden und bisher war der Bildschirm schwarz geblieben. Und schließlich, ein leises Dong ihrer Uhr sagte ihr, dass es soweit war. Mitternacht. Und wirklich nichts geschah. Kein Bild, außer ihrer eigenen Reflexion und damit auch kein geheimer Sender offenbarte sich ihr. Es war wirklich so lächerlich, dass Otome den Drang laut loszulachen unterdrücken musste, bis... Ihr stockte der Atem, als der Bildschirm plötzlich aufflackerte und sie das verschwommene Bild eines Mädchens sah. Sie schien in Panik zu sein, etwas schien sie zu greifen, zu drehen und zu wirbeln. Otome konnte, obwohl das Bild so schwach war, den schmerzerfüllten Ausdruck der Person erkennen, die sich noch am Tage im Junes gesehen hatte. Ih... seiet ihr Ihr seiet ih... Ihr seiet die, der die Tür zu öffnen gestatten sei... In ihrem Kopf erschallte die Stimme von irgendjemanden. Doch sie hatte keine Angst, denn in ihrem Herzen fühlte sie die Vertrautheit dieser Stimme, auch wenn sie in einem Dialekt sprach, den man wohl schon vor etlichen Zeiten begraben hatte. Ihr Kopf schmerzte und sie hatte etwas Halt gebraucht, war auf die Knie gegangen, weil die Beine ihr nicht mehr gehorchen wollten. Und doch, die Kraft kehrte zu ihr zurück, während das leidvolle Antlitz der ihr bekannten Person über den ausgeschalteten Bildschirm flimmerte. Schwer atmend erhob sich Otome von ihrem Platz und ging wieder auf den Fernseher zu. Es war, als steuerte sie eine unbekannte Kraft, als sie ihren Arm hob und die Hand zum Bildschirm führte. So ganz wusste sie nicht, warum sie es tat, aber sie vertraute der Kraft die sie führe. Und schließlich, als sie das glatte Glas des Fernsehers berührte, schlug es Wellen. Es war wie Wasser und Otome konnte nicht anders als ihre Hand darin zu versenken um zu fühlen was auf der anderen Seite war. Doch Nichts, es war nicht nass, es war nicht kalt, es war einfach nichts auf der andere Seite, bis sie etwas packte und versuchte auf seine Seite zu ziehen. Erschrocken setzte Otome alle ihre Kraft dagegen ein, klammerte sich, nachdem sie mit den Kopf und den Schultern schon fast im Fernseher verschwunden war, mit der noch freien Hand an dem Hartplastik des Gehäuses Fest. Sie hatte die Augen geschlossen, sah damit auch nicht, was an ihr zerrte, doch sie bekam Luft, was sie aber erst realisierte, als sie sich von dem Etwas löste, und mit ganzer Wucht nach hinten, aus dem Fernseher raus und gegen ihren Tisch fiel. Ein stechender Schmerz durchzog ihren Kopf, den sie sich rieb, während kleine Tränen ihre Wange hinab glitten. Der Schock saß ihr noch in den Gliedern und erst als sie Schritte von der Treppe draußen hörte, wurde ihr bewusst, dass ihr Sturz wohl nicht ungehört geblieben war. „Geht es dir gut?“ Müde drang Nanakos Stimme von der anderen Seite der Tür in ihr Zimmer. Otome hatte fast schon Gewissensbisse, dass sie diesen Krach gemacht und die Kleine wohl aus einem flauschigen Traum geweckt hatte. „Ich habe laute Geräusche gehört...“, erklärte sie noch, Sorge schwang nun in ihrer Stimme mit. Sorgen, die sie Nanako eigentlich nicht hatte bereiten wollen. „E-Es ist alles okay. Ich bin nur über meine Tasche gestolpert, als ich vom Klo kam“, erklärte Otome und lachte verlegen. Sie konnte immerhin schlecht sagen, dass der Fernseher sie beinahe gefressen hatte und eine im Weg herumliegende Tasche war hoffentlich in der Kleinstadt auch nicht so ungewöhnlich, dass man ihr diese Notlüge nicht abkaufen würde. „Okay. Schlaf gut.“ Erleichterung machte sich breit, als Nanako sich von ihrem Zimmer entfernte. Zum Glück war das Mädchen eben doch noch ein Kind, dem sie diese Lüge glaubhaft machen konnte. Wäre es Dojima gewesen... Daran wollte sie gar nicht denken, weswegen sie einfach froh war, dass er wohl noch felsenfest schlief. Allerdings blieb eine Frage offen. Was war da eben geschehen war? Diese Stimme in ihrem Kopf, der Fernseher in dem sie beinahe hineingezogen wäre. Ein ungutes Gefühl verblieb bei Otome, doch sie musste es den anderen erzählen. Innerlich hoffte sie, auch wenn das absurd war, dass dies für die Kleinstadt Inaba wohl vollkommen normal war und Chie und Yosuke ihr das am nächsten Tag versichern würden. Kapitel 4: Inside the TV ------------------------ April 14 Es war der 14. April, als Otome erwachte und der Regen immer noch grausam gegen ihre Fensterscheiben hämmerte. Ihr Kopf schmerzte und sie wurde das Gefühl nicht los, überhaupt nicht geschlafen zu haben, obwohl sie nach dem Vorfall, um Mitternacht, ohne große Probleme eingeschlafen war. Von den Schmerzen ihres Kopfes gepeinigt, griff Otome nach ihrem Handy um zu sehen wie spät es war. Sechs Uhr morgens. Wer hätte das gedacht. Und obwohl der Morgen alles andere als gut begonnen hatte, schlich sich ein Lächeln auf Otomes Gesicht. Sie hatte eine SMS. Und sie war von Miwako. Rufe dich später an. Das neue Schuljahr hat stressig begonnen. Halt die Ohren steif. Miwa Das Lächeln verstarb, als sie die Zeilen las. Vielleicht war sie ja etwas egoistisch, aber sie hätte sich von ihrer besten Freundin doch ein paar mehr und vor allem aufbauendere Worte gewünscht. Vielleicht auch eine kleine Notiz, was bei ihr genau los war. So hingegen wirkte die Nachricht lieblos, fast so, als wollte Miwako Otome nur damit abspeisen um ihre Ruhe zu haben. Nein, dass würde ihre Freundin niemals tun. Energisch schüttelte Otome diesen Gedanken ab und antwortete auf die ihr gesandte Nachricht. Ich freue mich auf deinen Anruf. Ich habe dir soviel zu erzählen. Oto Otome biss sich etwas auf die Unterlippe. Ihre Nachricht klang wahrscheinlich genauso unpersönlich und lieblos wie die von Miwako, doch in Anbetracht ihrer Kopfschmerzen war das nur verständlich. Sie tat sich schon schwer das bisschen Konzentration für diese Zeilen zusammen zukratzen. Sie brauchte wirklich dringend eine Kopfschmerztablette. Seufzend erhob sich Otome und schälte sich aus ihrem Futon. Der Weg zum Bad erschien ihr heute mit einem mal so ungemütlich weit. „Perfektes Timing. Machst du bitte etwas Platz.“ Obwohl sich Otome eine Kopfschmerztablette organisiert hatte und der pochende Schmerz allmählich nachließ, verzog sie murrend das Gesicht, als sie Chies Stimme vernahm. Sie klang plötzlich so unerträglich, genauso wie der Regen, der auf ihren durchsichtigen Regen prasselte. Allerdings hatte sie sich an diesen bereits gewöhnt. Anders als an Chie, die angerannt kam und sich neben sie unter ihren Schirm gesellte. „Danke.“ Von oben bis unten war Chie durchnässt und Otome konnte nicht umhin zu fragen, warum sie ohne Schirm das Haus verlassen hatte. Immerhin hatte es schon den ganzen Morgen geregnet und sollte somit nichts für ihre Klassenkameradin gewesen sein. Chie bemerkte scheinbar ihren fragenden Blick und lächelte verlegen, als sie zu ihrer Erklärung ansetzte. „Ich habe einen Schirm, aber ich habe einen Kung Fu Film gesehen, in dem sie mit für einige tolle Techniken einen Schirm benutzt haben. Und... Ich habe meinen zerbrochen, als ich versucht habe diese Techniken zu kopieren.“ Ein Seufzen kam über Otomes Lippen. Irgendwie war es ihr doch klar gewesen, dass der Grund irgendetwas damit zu tun hatte. Doch innerlich hatte sie gehofft, dass er etwas dramatischer sein würde, wie zum Beispiel, dass Chie beim Training darauf gefallen wäre. Aber selbst das wäre wohl zu Klischee gewesen und besser in einem Spiel oder Anime aufgehoben gewesen. „Ach ja, hast du es gesehen?“ Noch am Morgen als Otome das Haus verlassen hatte, hatte sie drauf gehofft, dass Chie es vielleicht vergessen hatte und ihr die Rekapitulation ihres wohl peinlichsten Erlebnis im Leben erspart geblieben wäre. Doch zu früh gefreut. Natürlich hatte das Kung-Fu-Mädchen es nicht vergessen. „Aber die Person die gezeigt wurde... Egal. Ich erzähle es später, wenn auch der Rest da ist. Wir kommen sonst zu spät zur Schule.“ Erleichterung machte sich, für Chie nicht deutlich sichtbar, in Otome breit. Sie hatte eine Schonfrist bekommen und musste sich noch nicht jetzt blamieren. Sie hatte so gesehen noch genug Zeit ihre Geschichte so gut zurecht zulegen, dass sie nur halb so peinlich, wenn auch nicht mehr glaubwürdiger klang. Es war ein nervöses Zucken, das Otomes Augenbraue plötzlich zum Besten gab, als sie ihre Geschichtslehrerin, Kimiko Sofue zu Gesicht bekam. Abnormalität bei den Lehrern war in einer Kleinstadt wohl vollkommen normal. Ihr Klassenlehrer war ein Pferdegesicht und die Geschichtslehrerin ein fanatischer Ägyptenfan. Zumindest deuteten die Pharaonen Artefakte daraufhin. „Da dies meine erste Stunde im neuen Semester ist, fange ich mit einer leichten Frage an. Wie wäre es mit unserer neuen Schülerin Narukami-san? Bitte steh doch auf. Der westliche Kalender basiert auf das Anno Domini, dem Jahr, von dem man traditionell glaubt, dass Jesus Christus geboren sei. Wie wird das Jahr vor 1 AD genannt?“ Obwohl Otome von den pharaonischen Insignien abgelenkt gewesen war, hatte sie sich wie von selbst von ihrem Platz erhoben und lauschte der für sie bestimmten Frage. Sie war wirklich einfach, was Otome fast schon verwunderte. Wenn Fragen dieses Kalibers dem Standard der ländlicheren Kleinstadtschulen entsprachen, konnte das ja noch richtig heiter werden. Aber gut, sie wollte das Spielchen mitspielen und unter Beweis stellen, dass Großstädter etwas auf den Kasten hatten. Hier ging es schließlich um Ehre. Ihre eigene und die ihrer geliebten Heimat. „1 BC“, antwortete sie kurz und bündig, ohne zu großen Erklärungen anzusetzen. Immerhin hatte man ihr in der Schule gesagt, dass man nur auf Fragen antworten sollte, die auch gestellt waren. In der Regel nickten dann die Lehrer, man setzte sich hin und erfreute sich an den bewundernden Gemurmel der anderen Klassenkameraden. Aber auch hier unterschied sich die Schule. Zwar wurde sie für die richtige Antwort gelobt, doch das Gemurmel blieb aus, oder ging unter den Ausführungen ihrer Lehrerin unter. Vielleicht musste sie sich auch daran gewöhnen, dass die Lehrer dieser Schule sich gerne reden hörten. Es gab nur ein Thema, dass an diesem Tag die Schule beherrschte. Die Leiche die von einer Antenne hing und Saki Konishi die wohl die Leiche gefunden hatte. Wenn das wirklich stimmte, hatte sie Mitleid mit ihrer Senpai. Vor ihrem inneren Augen konnte sie immerhin selbst die Absurdität des Tatorts sehen und gerade in einer so verschlafenen Kleinstadt, musste dieser Anblick traumatisierend gewesen sein. Wobei, so eine Szene wäre selbst für einen hartgesottenen Großstädter alles andere als normal oder gewohnt gewesen. Nur zu gut erinnerte sich Otome noch, wie es sie damals verstört hatte, als ein Schüler sich vor ihren Augen vor die anfahrende Untergrundbahn geworfen hatte und sein Körper wie eine Tomate aufgeplatzt war und seinen Saft verteilt hatte. Sie war damals gerade einmal sechs Jahre gewesen, doch von Jahr zu Jahr, gewöhnte sie sich mehr an so einen Anblick. Er war fast schon normal, wenn auch nicht alltäglich. Anders als hier, wurden solche Themen auch nicht ausgeweitet und tagtäglich durchgekaut. Am Abend lief ein kurzer, nichtssagender Bericht über solche Geschehnisse. Die Person und ihre Hintergründe blieben verschleiert und geriet schon am nächsten Tag in Vergessenheit. Hier allerdings, wurde förmlich das gesamte Leben der Nachrichtensprecherin ausgeweitet. Wann sie ihre Arbeit antrat, wie beliebt sie war, was mögliche Affären gewesen sein konnten und natürlich ihre Affäre mit Taro Namatame. Es war absolut widerwärtig, dagegen wäre es doch besser gewesen, wenn sie wie die Großstadtopfer schnell in Vergessenheit geriet. Genauso hätte dann auch Saki Konishi anonym bleiben können. Niemanden hätte interessiert, wer die Leiche gefunden hatte. Niemand auch nur ein Wort darüber verloren. „Hey, ähm... Es ist... nun... nicht wirklich so wichtig, aber... Gestern habe ich im Fernsehen.... Also... Egal. Ich erzähle es dir später.“ Verwundert sah Otome zu Yosuke auf, der sich zusammen stotterte, was er ihr sagen wollte. Letzten Endes blieb es erfolglos, denn sie verstand gar nichts. Wie sollte sie auch, sie war noch nicht fähig Gedanken zu lesen und selbst wenn sie es gekonnt hätte, sie wollte niemals in den Gedanken eines Jungen lesen wollen, abgesehen von denen, die ihre potentiellen Loveinterests waren. „Yosuke, hast du die Gerüchte gehört? Saki-senpai war wahrscheinlich diejenige, die die Leiche gefunden hat.“ Als wäre Otome nicht Yosukes aktuelle Gesprächspartnerin, mischte sich Chie in das Gespräch und verlangte mit nur einem Namen nach Yosukes gesamter Aufmerksamkeit. Sie war wieder vergessen, Geschichte, für einen kurzen Moment, den Chies und Yosukes Gespräch andauerte. Immerhin das unterschied sich nicht von der Großstadt. Es war ein guter Moment um abzuschalten und die Gedanken etwas streifen zu lassen, wenn die anderen sowieso nicht nach ihr verlangten. Vielleicht hatte sie Glück und beide vergaßen sie vollkommen, sodass das peinliche Erlebnis von der Nacht für immer ihr Geheimnis bleiben würde. Wobei, sie musste es den beiden ja nicht sagen. Es würde doch reichen, wenn sie einfach von dem Mädchen erzählte. „Wie sieht es bei dir aus? Hast du es gesehen?“ Es war wohl Otomes Worst Case Szenario, als Yosuke sie ansprach und in sein Gespräch mit Chie und der Sache mit dem Midnight Channel einbringen wollte. Otome hatte nicht zugehört. Sie wusste nicht, was die anderen gesehen oder getan hatte. Wenn sie jetzt nur erzählte, dass sie das Mädchen gesehen hatte und aus Scham die weiteren Details verschwieg, den anderen diese aber bekannt war, weil es ihnen auch passiert war, hätte sie ein Problem. Sie wollte nicht absonderlich sein. Sie wollte normal sein, auch wenn das was sie erlebt hatte, alles andere als unter der Definition von normal fiel. Jedoch was wenn die anderen beiden dieses Erlebnis nicht hatten? Dann galt sie auch als absonderlich. Sie hatte eine 50:50 Chance nun richtig zu liegen. Hätte sie doch nur zugehört. Sie bereute es gerade bitterlich, in Gedanken versunken gewesen zu sein. „Der Fernseher hat mich fast gefressen.“, beendete sie daher ihre Erläuterung und brachte ihren Abend so ziemlich auf den Punkt. „Klingt als hätten wir alle dieselbe Person gesehen... Aber... abgesehen von der seltsamen Stimme, wie war das doch gleich, dass dein Fernseher dich fast gefressen hätte?“ Yosukes Worte machten deutlich, dass sie sich definitiv für die falsche Version entschieden hatte. Bei Entweder-Oder Spielchen war sie noch nie sonderlich gut gewesen. Wobei sie sich wirklich dafür hasste, dass sie sich nicht für die normalerer Version entschieden hatte. Aber wenn man es so bedachte, jeder in ihrer Situation hätte wohl von der Stimme und dem Menschenfressenden Fernseher berichtet. Schließlich war ein Fernseher der sich selbst auf einen seltsamen Kanal schaltete, auch alles andere als normal. „Warst du letzte Nacht so müde, dass du vor dem Fernseher eingeschlafen bist?“, neckte Yosuke sie, was er mit einem Zwinkern deutlich machte. Das war ja klar gewesen. Und als ob der Prinz des Junes nicht reichte, sprang Chie auf den Zug auf. „Aber das muss ein sehr interessanter Traum gewesen sein. Ich meine es ist schon sehr realistisch, dass du stecken geblieben bist, weil der Fernseher zu klein war. Wenn das ein größerer gewesen wä-“ Chie stoppte und schien über irgendetwas nachzudenken, bis sie sich schließlich wieder an etwas erinnerte, was wohl bis eben gerade in Vergessenheit geraten war. Und damit war Otomes peinlichster Moment wieder unwichtig genug. Immerhin das war der Vorteil einer Kleinstadt. Otome wollte es nicht so wirklich glauben, als sie vor dem großen Fernseher in der Elektronikabteilung Junes' stand. Sie hatten ihr zwar nicht geglaubt und obwohl sie beleidigt sein sollte, hatte sie sich breitschlagen lassen mit den beiden für Chies Eltern nach einem neuen, größeren Fernseher zu suchen. In Momenten wie diesen fragte sich Otome wirklich, was mit ihr nicht stimmte. „Wow, der ist gigantisch! Und... Verdammt ist der teuer! Wer kauft sich so etwas?“ 'Auf jedenfall keine Schüler', antwortet Otome im Geiste Chie, die den riesigen Flachbildschirm anstarrte, als hätte sie zum ersten Mal einen gesehen. Vielleicht war das auch so in der Kleinstadt, für Otome war es normal, noch dazu besaßen ihre Eltern selbst so einen, der nun an ihrer heimatlichen Wand in Tokyo verstaubte. Zum Glück, sonst hätte der Fernseher sie am Abend zuvor wohl wirklich ohne Chance auf Rettung gefressen. „Keine Ahnung... Reiche Leute? Ehrlich, hier kaufen nicht viele Menschen etwas. Deswegen sind haben wir keine Angestellten hier.“ Es leuchtete schon ein, dass man in einer Abteilung ohne große Besucherzahlen auch kaum Angestellte positionierte. Noch dazu wer würde schon einfach so einen Flachbildschirmfernseher klauen wollen. Das fiel auf. Zumindest hoffte Otome für die Umsätze im Junes, dass es wirklich auffiel. „Okay, immerhin ist das angucken umsonst“, erklärte Chie und sah zu Yosuke, der sie auf seltsame Art und Weise ohne ein Wort verstand. Irgendwie unheimlich, wenn man bedachte, mit wie viel Leidenschaft sich beide bekämpften. Wahrscheinlich stimmte das Sprichwort, dass das was sich neckte wirklich liebte. „Nö, ich kann nicht rein. Damit ist das geklärt.“ „Das beweist es. Es war alles nur ein Traum.“ Einigkeit in so großen Maßen bei Yosuke und Chie. Das war Otomes persönliches Highlight. Doch gleichzeitig kränkte es sie auch. Sicher, sie selbst hatte an sich gezweifelt und die Geschichte klang auch wirklich bescheiden, aber sie war sich zu 100 Prozent sicher, dass sie das nicht geträumt hatte. Schmollend sah Otome zu ihren Mitschülern, die noch den ein oder anderen Witz rissen, schnell aber wieder zum eigentlich Thema zurückkamen. Der Tatsache, dass Chies Eltern einen neuen Fernseher kaufen wollte. Zumindest war dieses Thema für Otome nicht interessant genug, denn sie hatte ein anderes Problem. Ihr Blick glitt zu dem Fernseher, in den sie körperlich dreimal reinpassen würde. Allerdings, was wenn sie wirklich geträumt hatte, oder es nur bei ihrem eigenen Fernseher ging? Nachdenklich besah sich Otome den teuren Flachbildschirm. Sie wog alle Möglichkeiten ab, immerhin wollte sie nicht schon wieder von einer Glotze halb gefressen werden. Wer konnte ihr aber wirklich garantieren, dass es funktionierte? Immerhin hatte sich bei Chie und Yosuke nichts getan. Warum sollte sie anders sein? Vorsichtig trat Otome näher an den Fernseher und hob ihren Arm, so dass ihre Fingerspitzen nur noch weniger Millimeter von dem glatten kühlen Glas entfernt waren. Ein kurzer Augenblick des Zögerns war alles was sie sich erlaubte, ehe sie ihre Hand vor bewegte und mit dieser durch die Scheibe fasste, als wäre sie Wasser. Ihr wurde klar, dass der Abend zuvor kein Traum gewesen war, den wieder fühlte es sich nicht nass an. Anders als aber am Abend zuvor, griff dieses Mal nichts nach ihr. Es weckte diese Neugier in ihr, denn sie wollte wissen, was sie am Abend zuvor ergriffen hatte. „I-Ist ihr Arm... im Fernseher?“ Otome bemerkte die aufgeregten Worte Yosukes und Chie nur nebenher. Mit Sicherheit lachten sie jetzt nicht mehr, immerhin wurden sie gerade Zeuge von dem, was Otome bereits am Abend zuvor erlebt hatte. Otome empfand etwas wie Schadenfreude, für diesen einen, flüchtigen Moment. Schnell wurde diese aber von der Neugier überwältigt. Was war eigentlich hinter dieser wabbernden Fernseherscheibe? Sie konnte ihren Wissensdurst nicht länger im Zaum halten, sie musste einfach wissen, was hinter all dem steckte. Ohne Chie und Yosuke Antworten auf ihre Fragen zu geben, zog sie ihre Hand wieder aus dem Fernseher und klammerte sich am unteren Rand von eben diesen fest, um mit dem Kopf darin eintauchen zu können. Otome musste einige Male blinzeln, doch der nebelige Schleier vor ihren Augen schwand nicht. Dennoch bemühte sie sich, durch die dicke Nebelsuppe zu blicken und etwas zu entdecken, das ihr sagen würde, was für ein Ort die Welt hinter der Matschscheibe war. Es war aber nichts zu sehen. Nur ein weiter, leerer Raum. „Hier drinnen ist es leer“, verkündete Otome und hörte das Hallen in ihren Ohren wieder. Dabei bemerkte sie keine Wände, an denen der Schall abprallen konnte. „W-Was meinst du mit 'drinnen'?“ Panik stieg in Yosukes Stimme an. Otome konnte das deutlich hören, doch es interessierte sie nicht. Viel interessanter war doch diese andere Welt. „Was meinst du mit leer?“ Nun war es Chie, die noch einen nachsetzte. Doch wozu sollte sie erklären, was sie meinte? Es wäre viel einfach ihnen das zu verdeutlichen was sie wollte, wenn sie es sehen konnte. „Es ist hier ziemlich weiträumig.“ Obwohl sie es nicht weiter beschreiben wollte, weil sie verzweifelte, dass die beiden es verstanden, wagte sie dennoch den Versuch um ihnen eine Vorstellung von dem zu geben, was sie genau sah. „Was meinst du mit weiträumig?“ Erneut meldete sich Yosuke zu Wort. Aufgeregt, fast schon panisch. Dabei war noch gar nichts geschehen. Otome konnte es nicht verstehen und überlegte, wie sie sich noch besser ausdrücken konnte. Sie merkte aber schnell, dass weder Chie noch Yosuke auf sie hören würden. Sie waren viel zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt und damit Panik zu machen. Zumindest waren das die Art von Laute, die sie hören konnte, obwohl ihr Oberkörper in dieser fremden Welt schwamm. „Heiliger... I-Ich glaube das ist alles zu viel für meine Blase.“ Angewidert verzog Otome das Gesicht, als sie hörte, was Yosuke von der anderen Seite rief. Es war absolut unpassend, denn so schlimm war das was sie tat nun auch wieder nicht. Auch wenn sie zugab, dass es wirklich nicht normal war. Aber je mehr Drama ihre beiden Klassenkameraden machten, desto auffälliger wurden sie. Das schienen aber weder Chie noch Yosuke zu verstehen. Noch dazu würde Yosukes, „Voller-Blase-Tanz“, zumindest glaubte sie, dass er wie ein Medizinmann herum sprang und tanzte, noch viel mehr Aufmerksamkeit auf sie ziehen. „Verdammt, Besucher kommen!“ Die Panik bei Yosuke stieg, ebenso bei Chie, die das auch lauthals kund tat. Und das konnte sie verstehen. Mit Sicherheit wirkte es verstörend, wenn drei Jugendlich einfach so in der Gegend herumstanden und einer davon mit dem halben Körper in einem Fernseher steckte. Allmählich reicht es. Auch wenn es wirklich Spaß gemacht hatte, die beiden Ungläubigen in Panik zu versetzen. Mit einem stummen Seufzen machte sich Otome bereit zurück in die Realität zu kommen und dem ganzen Spuk ein Ende zu setzen. Sie kam aber nicht dazu, denn ein plötzlicher Stoß, beraubte sie ihrem Gleichgewicht und Halt, den sie hatte, und drückte sie tiefer hinter die Welt im Fernsehen. Einen kurzen Moment lang wurde Otome schlecht. Abwechselnd schienen weiße und schwarze Querstreifen an ihr vorbeizuziehen und ihren Blick verwirren zu wollen. Die Frage, warum sie es nicht zuvor schon gesehen hatte, kam ihr nicht einmal in den Sinn. Aber sie wünschte sich, dass es bald aufhörte. Damit ihr Magen sich nicht noch mehr drehte, schloss Otome die Augen und erwartete den Moment, an dem sie auf etwas hartes aufkam. Alles was sie hoffen konnte, war nur zu hoffen, dass sie nicht mit dem Kopf aufkam und sich letztendlich das Genick zu brechen. Sie hatte immerhin nicht vor gehabt in dem Jahr bei ihrem Onkel das Zeitliche zu segnen und mit Sicherheit wären ihre Eltern davon auch nicht begeistert gewesen. Wie sollte das denn klingen? 'Sie ist gestorben als sie in den Fernseher fiel.' Absolut lächerlich. Wobei man es auch als lächerlich sehen konnte, dass sie sich gerade jetzt um so triviale Dinge Sorgen machte. Das wurde Otome bewusst, als ihr Körper hart auf den Boden aufschlug und einen schmerzerfüllten aber auch sehr erleichterten Laut von sich gab. Schmerzen waren gut. Sie waren ein Zeichen dafür, dass sie lebte, doch darüber war sie sich bei ihren beiden Begleitern nicht so sicher. Sie hoffte zumindest, das die anderen aufschlagenden Körper, die sie hörte, von Chie und Yosuke kamen. „Au ich bin direkt auf meiner Brieftasche gelandet...“, murrte Yosuke. Immerhin, beide lebten noch, was Otome ein erleichtertes Lächeln abrang, als sie sich wieder erhob und versuchte jeglichen Schmerz zu ignorieren. „Mann, wo sind wir? Was zum Teufel ist das für ein Ort? Sind wir hier irgendwo in Junes?“ Das Chie nicht die Hellste war, hatte Otome wirklich früh verstanden, aber das sie glaubte, dass sie hier noch in Junes war, gab aller Hoffnung, dass sie nicht die dümmste der Dummen war, den Gnadenstoß. „Natürlich nicht! Immerhin sind wir durch einen Fernseher gefallen! Überhaupt... Was... uhm geht hier vor sich?“ Wie gerne hätte Otome eine Antwort auf Yosukes Frage gewusst. Doch es gab für all das keine logische Erklärung. Doch viel wichtiger, war in diesem Moment etwas ganz anderes. Immerhin waren sie, wenn Otome es richtig bedachte, aus dem Himmel gefallen, weswegen ihr Blick nach oben glitt. Doch sie sah nichts, außer Nebel. Sie konnte damit gar nicht ausmachen, wie tief sie gefallen waren. „Geht es euch gut?“ Auch wenn das Klagen und Jammern ihrer beiden Begleiter nur zu deutlich davon zeugte, dass es beiden gut ging, wollte sich Otome doch noch einmal nach ihrem Befinden erkundigen. „Ich glaube mein Hinterteil ist gebrochen...“, antwortete Yosuke ihr. Auf so eine Antwort hatte Otome zwar nicht gehofft, aber augenscheinlich ging es dem einzigen Jungen in der Runde gut. An Chies Befinden zweifelte sie gar nicht mehr, schließlich hatte sie noch Kraft genug sich über Yosuke lustig zu machen, selbst wenn weder er noch sie das wohl als eben so etwas wahrnahmen. Froh darüber, dass immerhin etwas okay war, ließ Otome ihren Blick etwas durch die nähere, vernebelte Umgebung schweifen. Sie erkannte Pfeiler aus Metall, einige Treppen und sonst... „Wow!“ „Was denn? Hast du in die Hose gemacht?“ „Nein, du Idiotin! Sieh dich mal um!“ Otome wurde klar, dass Yosuke, der wohl Ausschau nach dem Ausgang oder nächsten Toilette gehalten hatte, zur selben Erkenntnis gekommen war, wie sie. Diese teilte er nur zu gerne mit Chie, die erst jetzt einen flüchtigen Blick durch den Nebel wagte und lautstark verkündete, was sowohl Yosuke als auch sie bereits erkannt hatten. Ein Filmstudio. Hier, in einer Welt von der sie nicht einmal wussten, wo sie war. Auch wenn es etwas ironisches hatte, dass die Welt im Fernseher ein Fernsehstudio war, oder zumindest so aussah wie eines. „Und was machen wir jetzt?“ Zweifelnd hob Otome eine Augenbraue und sah Chie an, die allen ernstes glaubte, dass sie, Otome, nun die ultimative Antwort auf ihre Frage hatte. Mit Sicherheit hatte sie nicht vor, hier Wurzeln zu schlagen. Schon gar nicht, wenn sie nichts über ihren Aufenthaltsort wusste. Sie wusste immerhin nicht, ob es hier gefährlich oder der Nebel giftig war. „Gehen wir nach Hause“, schlug Otome vor. Ihr war wirklich nicht wohl bei der ganzen Sache, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, was ihr mit einem mal soviel Unbehagen bereitete. Es passte ganz und gar nicht zu ihr. Noch dazu... Sie durfte nicht nur an sich denken, immerhin war sie verantwortlich dafür, dass Chie und Yosuke in diese Welt gekommen waren, auch wenn das falsch war, denn schließlich waren es die beiden aufgeschreckten Hühner gewesen, die sie in die Fernsehwelt gestoßen hatten. „Moment, woher sind wir gekommen? Ich sehe weder einen Ein- noch Ausgang.“ Panik ergriff Yosuke und Chie die sich erst jetzt dem bewusst wurden, was Otome schon vor einen Minuten realisiert hatte. Seufzend schüttelte Otome den Kopf und sah die beiden an, die wie kleine Kinder verzweifelten, sich ihrer Panik ergaben und nicht mehr in der Lage waren klar zu denken. „Beruhigt euch!“ Lauter, aber dennoch mit einer stoischen Ruhe in der Stimme, machte Otome die beiden auf sich aufmerksam. Und es half. Sie vergaßen für einen Augenblick ihre Sorgen und Ängste und richtete ihren Blick erwartungsvoll auf Otome. „Wir sollten uns hier umsehen. Wer weiß, was wir finden.“ Es war der erst Gedanke, der Otome gekommen war, als sie vorgeschlagen hatte nach Hause zu gehen. Das es einfach werden würde, hatte sie bezweifelt, immerhin war ihr Weg in dieser Welt auch alles andere als gewöhnlich gewesen. Mit Sicherheit war ihre Tür in ihre Welt genauso ungewöhnlich. „Wenn es keinen Ausgang gibt, sind wir gefangen, also drücken wir die Daumen.“ Natürlich, das war genau das was ein Mädchen von einem Jungen hören wollte. Yosuke musste wirklich noch viel lernen, wenn er jemals eine Freundin haben wollte. Auf diese Weise, mit dieser unheldenhaften Art, würde es nichts werden. Soviel stand fest. Dennoch, er hatte Recht. Wenn es keinen Ausgang gab, würden sie gefangen sein. Doch daran wollte Otome nicht denken, denn das hätte nur bedeutet, dass sie bereits aufgegeben hätte. Selbstbewusst schritt Otome in die einige Richtung, die ihr das Gefühl gab, an ihr Ziel zu kommen. Sie ignorierte das Toben in ihrem Inneren, das neugierig versuchte die Oberhand zu gewinnen. Es war schwer gewesen durch den dichten Nebel auch nur etwas zu sehen. Otome hätte schwören können, dass es mit jedem Schritt schwerer wurde, doch irgendwie schafften sie und ihre Begleiter es, bis zu einem Ort zu kommen, der einem Gasthaus ähnelte. „Scheint so, als wären wir in einer Art Gebäude... aber verdammt, dieser Nebel ist so dicht, dass ich nur schwer sehen kann.“ Es war den ganzen Weg über dasselbe gewesen. Yosuke jammerte, Chie jammerte und sie versuchte irgendwie einen Weg zurück in ihre Welt zu finden, denn fest stand, dass man dies mit Jammern nicht erreichen konnte. Auch wenn Chies Bedenken sich nicht zu weit von ihrem Startpunkt zu entfernen, berechtigt waren, sie würden nicht mehr entdecken wenn sie auf der Stelle traten. Noch dazu, wer sollte sie finden wo sie waren? Mit Sicherheit hatten nicht viele Menschen die Möglichkeit in diese Welt zu gelangen. Und wenn es welche gab, waren sie sich ihrer Fähigkeit bestimmt nicht bewusst. Otome selbst hatte erst vor kurzem und eher durch einen Zufall davon erfahren. „Was ist das für ein Ort? Hier fühlt es sich anders an, als bei dem zuvor...“ Chie hatte inne gehalten und sah sich in ihrer näheren Umgebung um. Verwundert sah Otome sie an und konzentrierte sich nun bewusst auf die Atmosphäre und alles andere. Erst dadurch bemerkte sie, dass Chie Recht hatte. Etwas blutrünstiges, bedrückendes lag in der Luft. Etwas, dass ihre Sinne zur äußersten Vorsicht ermahnte. Dennoch, sie konnte sich nicht länger zögern, vielleicht war die Tür, von der sie glaubte sie zu sehen, ein Ausgang. Es war als hätten sie erneut eine vollkommen andere Dimension betreten. Der Nebel hatte sich verflüchtigt und gab Otome eine klare Sicht auf das Zimmer zu. Es wirkte wie ein normales, privates Zimmer, das spärlich eingerichtet war. Ein Bett, einige Schränke und... Otome gefror das Blut in den Adern, als sie sich umsah und die vielen Poster an der Wand erblickte. Aus eben jenen war das Gesicht der Person geschnitten oder gekratzt, die darauf zu sehen gewesen war. Fast so, als hätte jemand sie hier aufgehangen, um den Bewohner des Zimmers zu quälen und ihn in den Wahnsinn zu treiben, was scheinbar gelungen war. Denn in der Mitte des Zimmers stand ein Stuhl, über dem ein roter Schal zu einer Schlaufe an einem Seil gehängt wurden war. Otome erkannte diese Konstellation sofort, sie hatte sie immerhin schon oft in diversen Filmen und Animes gesehen. Es war eindeutig, dass sich hier jemand umbringen wollte, die Frage war nur, wo die Leiche war, wenn es wirklich eine gab. „Das ist eine Sackgasse! Es gibt keinen Ausgang.“ Verzweiflung lag in Chies Stimme, als sie endlich das Zimmer betreten hatte und sogleich ihre Meinung kundtat. Das hier etwas nicht stimmte, schien sie nicht bemerkt zu haben. Wenn es hier wirklich keinen Ausgang gab, wo war dann die Person, die diese Schlaufe gebunden hatte? Noch dazu war viel rote Farbe an den Wänden. Otome ging dabei vom Worst Case Szenario aus. Hier war ein Mord geschehen und sowohl Leiche als auch Täter waren verschwunden. Der Logik zufolge musste es also einen Ausgang geben. Sie hatten ihn nur noch nicht gefunden. „Argh, ich kann es nicht länger halten... Meine Blase explodiert gleich...“ Yosukes Gezetter riss Otome aus ihren düsteren Gedanken. Sie hatte ganz vergessen, dass der Junge vor ihrer Ankunft so etwas ähnliches gesagt hatte. Augenscheinlich machte seine Blase nun Probleme und er wollte sich erleichtern, bevor er sich vor Chie und ihr zum Narren machte. Kein Junge machte gerne seine Hose vor zwei Mädchen feucht. Der persönliche Albtraum von jedermann. „D-Dreht euch um, ich kann nicht, wenn jemand hinsieht.“ Als hätte Otome vor auf Yosukes Befehl zu hören, wandte sie sich um und schloss die Augen. Sie verstand selbst nicht, wieso sie das getan hatte, doch im Gegensatz zu Chie war sie nicht sonderlich wild darauf jetzt schon fürs Leben traumatisiert zu werden. Sie wartete nur noch darauf das plätschern zu hören, doch nichts. Der Ton blieb aus und Otome wandte sich wieder zu Yosuke, der kapitulierend seufzte. „Aaargh, ich kann das nicht! Es ist alles eure Schuld wenn meine Blase platzt.“ Vorwurfsvoll wandte sich Yosuke zu den Mädchen um, von denen eine bereit war ihm nun gehörig den Marsch zu blasen. Nur dank Chie, die ihm deutlich machte, wie egal ihr seine Blase war, blieb er vom Totschlag verschont. Erst jetzt wurden Otomes Begleiter auf den gesamten Raum aufmerksam. Auf das was sich hier vielleicht abgespielt hatte, auch wenn sie eher weniger auf Otomes kombinierten Gedanken gekommen waren. „Mir geht es nicht so gut...“ Otome kam wieder zu sich, als Chies schwache, kränkliche Stimme zu ihr vordrang. Verwundert sah sie das Mädchen an, dass sich die Stirn hielt und in der Tat blasser wirkte als zu Beginn ihrer Suche. „Jetzt da du es erwähnst, ich mich auch...“ Ihr Blick wanderte zu Yosuke, der ebenfalls nicht gut aussah und mit Sicherheit lag das nicht an seiner Blase die zu explodieren drohte. Und die beiden waren nicht die einzigen. Erst jetzt bemerkte Otome, dass auch ihr Körper schwerer geworden zu sein schien. Wahrscheinlich war dieser Nebel der Grund dafür, denn diesem waren sie bereits seit einer gefühlten Ewigkeit ausgesetzt. Noch dazu war diese Atmosphäre hier alles andere als gesund. Es lag definitiv etwas in der Luft. Etwas, dass von ihren Kräften zerrte und nun dafür sorgte, dass sie sich alle schlecht fühlten. „Gehen wir zurück. Ich fange an mich immer kränker zu fühlen.“ Zustimmend auf Yosukes Vorschlag, nickten Chie und Otome und verließen das Zimmer. Nur kurz blieb Otome noch einmal stehen und sah zu dem Tatort. Etwas in ihr war nicht zufrieden. So als ob sie dort etwas finden würde, dass ihr mehr über diese Welt und seine Regeln sagen konnte. Ein Augenzeuge von dem, was hier wohl passiert war. Es war keine Neugier und auch keine Todessehnsucht, die in ihr aufgekeimt war. Vielmehr wollte sie die Wahrheit wissen. Was hier passiert war, oder warum sie die Fähigkeit hatte in diese Welt einzudringen. Das alles, so sagte es ihr ein Gefühl, stand irgendwie in Verbindung miteinander. Und dieses Gefühl nagte an ihr. Otome war sich gar nicht sicher wie, aber sie hatten es zurück zu ihrem Ausgangspunkt geschafft. Doch anders als bei ihrer Wanderung zuvor, zerrte jetzt jeder Schritt an ihren Kräften. Als sie endlich zum Stillstand kam, fühlte sich ihr Körper an, als habe er einen Marathon durchgestanden. Dieser Umstand bereitete ihr Sorgen, denn sie fürchtete, dass sie vor Erschöpfung zusammenbrechen würden, wenn sie noch länger hier blieben. Sie mussten zurück in ihre Welt, egal wie. „M-Moment... Was ist das?“ Verwundert sah Otome in die Richtung, in die Chie verwies und erkannte die erst schwache, aber immer deutlicher werdende Silhouette, die sich ihnen näherte. Sie waren nicht alleine. Doch das schlimmste war, dass diese Silhouette zu der Person gehören konnte, die vielleicht auch das Blutbad in dem Zimmer verursacht hatte. Nervös sah sich Otome um und versuchte etwas ausfindig zu machen, mit dem sie im Notfall angreifen konnte. Sie hatte nicht einmal ihre Tasche hier. Nichts. Sie waren dem was kam ausgeliefert. „Was ist das für ein Ding? Ein Affe? Ein Bär?“ Ihre Vorsicht aufrechterhaltend, sah Otome zu dem großen Plüschtier-ähnlichen Wesen, dass aus dem Nebel trat. Es sah alles andere als gefährlich aus und mehr wie ein Bär als ein Affe. Dennoch, man konnte nie vorsichtig genug sein. Diese Welt war fremd, ebenso wie ihre Bewohner und nur weil etwas niedlich war, so wie dieses Ding, konnte man nicht davon ausgehen, dass es ungefährlich war. Auch die Sirenen gaukelten den Seefahrern vor schön zu sein und lockten sie damit in ihr nasses Grab. Otome war der Meinung, dass es für sie noch viel zu früh war um zu sterben. „D-Das will ich gerne wissen, kuma! Wer seid ihr?“ Überrascht darüber, dass der Bär zu sprechen begann, zog Chie scharf die Luft ein und sah zu dem Wesen, dass die Arme hinter seinem Rücken verschränkt hielt und nicht den Eindruck machte, dass es sie angreifen wollte. Seine Haltung war ruhig, gelassen kein wenig aggressiv oder verängstigt, sodass Otome diese Haltung reflektierte und sich selbst entspannte. „Willst du einen Kampf?“ Gerade in Momenten wie diesen wünschte sich Otome, dass sie nicht mit Chie in dieser Welt gelandet wäre. Ihr fehlte einfach die Interpretation der Körpersprache oder vielmehr etwas mehr weibliches Feingefühl um zu verstehen, dass wenn es zu einem Kampf kam, sie mit ihren Worten Schuld daran wäre. „S-Schrei mich nicht so an, kuma!“, wisperte der Bär verängstigt und ging, soweit es möglich war in eine schützende Haltung. Es wirkte fast so, als befürchtete er, dass Chie auf ihn eintreten wollte, weswegen er schon der Vorsicht wegen seine Hände auf den Kopf legte um diesen zu schützen. Nein, mit Sicherheit war dieser Bär nicht der Täter des Blutbades. Und wenn doch, war er ein herausragender Schauspieler. Otome vertraute einfach ihrer „Bärenkenntnis“ und trat einen Schritt auf das Wesen zu, dass spürte wie sie sich ihm näherte und aufsah. „Was ist das für ein Ort?“, fragte Otome, hoffend, dass dieser Bär ihr eine zufriedenstellende Antwort geben konnte. Er musste immerhin wissen, was das für eine Welt war, schließlich schien er in dieser zu leben. „Dieser Ort ist was er ist. Er hat keinen Namen. Hier lebe ich.“ Unzufrieden verzog Otome das Gesicht. Das war nun doch nicht die Antwort, die sie sich erhofft hatte. Im Grunde war sie nun genauso schlau wie vorher, allerdings ergab das, was der Bär sagte auch keinen Sinn. Wenn diese Welt keinen Namen hatte, so musste man davon ausgehen, dass sie bis zu ihrer Entdeckung unbekannt war. Und doch wirkten die Orte hier so, als wären sie von Menschenhand geschaffen worden. „Wenn ich ihr wäre, würde ich zurück auf die andere Seite gehen, kuma. Irgendjemand wirft Personen hier rein. Das macht nichts als Ärger, kuma.“ Otomes Augen weiteten sich, als sie hörte, was der Bär sagte. Ihre Alarmglocken klingelten, denn wenn jemand Menschen in diese Welt warf, hieß es, dass da draußen noch jemand existierte, der dieses Tor, dass sie durchschritten hatten, ebenfalls öffnen konnte. Noch dazu warf er dann auch Menschen rein. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was aus diesen wurde, wenn es niemanden gab, der ihnen helfen konnte. „Was? Wirft Personen hier rein? Wovon redest du?“ „Ich weiß nicht wer es ist! Ich will nur, dass man darüber nachdenkt, bevor man so etwas macht!“, erklärte der Bär auf Yosukes Frage. Sein Gesicht, war vor Wut verzerrt, doch es wirkte mehr niedlich als bedrohlich. Allerdings konnte Otome seine Worte nachvollziehen. Sie und ihre Freunde waren immerhin ausversehen hier reingefallen. Sie wollte sich nicht ausmalen, wie sich eine Person, einsam und alleine, fühlte wenn sie hier zu sich kam. „J-Jedenfalls solltet ihr schnell zurück gehen.“ Otome wollte gerade zu einem Satz ansetzen, um zu fragen, wie sie es denn sollten, wenn es augenscheinlich keinen Ausgang für sie gab. Doch Yosuke kam ihr mit dieser Frage, zumindest in abgewandelter Form, zuvor. „Du willst damit sagen, dass du willst, dass wir gehen, richtig? Würden wir gerne. Wir wissen nur nicht wie, verdammt!“ Die Stimmung in ihrer kleinen Gruppe wurde aggressiver und das gefiel Otome ganz und gar nicht. Es wäre mit Sicherheit verherrend gewesen, wenn sie es sich nun mit dem Bären verscherzten. „Wie ich es schon sagte, wir wissen nicht wo der Aus- … … Moment, was?“ Yosuke hatte nicht die Chance seine Frage zu formulieren, als der Bär aus dem Nichts mit viel Rauch und Glitzer, drei aufeinander gestapelte Fernseher erscheinen ließ. Otome selbst staunte nicht schlecht, denn das hatte sie dem Bären gar nicht zugetraut. Er wirkte so schwach so, unmagisch wie ein großes Kuscheltier. „Okay, und jetzt geht geht, geht raus hier, kuma. Ich bin ein sehr beschäftigter Bär.“ Noch während Otome und die anderen Beiden die alten Fernseher bestaunten, hatte sich der Bär hinter die drei Yasogami gestellt und drückte sie mitsamt seines weichen Körpers auf die Fernseher zu. Sie wehrten sich dagegen, doch auf kurz oder lang mussten sie dem Druck nachgeben und wurden durch die Fernseher gedrückt. Otome öffnete die Augen, als sie die Musik vom Junes-Werbejingle hörte. Vor ihr stand der Fernseher über den sie in die andere Welt gekommen war. Sie waren eindeutig wieder zuhause. Sicher war sie sich aber erst, als die Ansage über die kurzzeitigen Angebote für Beilagen gemacht wurde. „Verdammt, es ist schon so spät?“ Fragend sah Otome zu Yosuke. Er wusste scheinbar anhand dieser Ansage, wie spät es war. Doch das merkte sie recht schnell selbst, als sie ihr Handy zog und auf die Uhr sah. Es war Zeit nach Hause zu gehen, zumindest wenn sie nicht wollte, dass ihr Onkel ihr die Hölle heiß machte. Polizisten waren wirklich so Regeltreu. „Ah, daher kannte ich die Poster.“ Verwundert sah Otome von ihrem Handy zu Yosuke und folgte seinem Blick zu einigen Promotionpostern, die das neuste Album von Misuzu Hiiragi zeigten. Auf diesem war auch die Sängerin selbst zu sehen. Otome kannte sie nur aus den Nachrichten der letzten Tage. Immerhin ging ihr Bild als Exfrau des Politikers Namatame durch die Presse. Sie war es wohl auch gewesen, die diese Affäre bekannt gemacht hatte und damit nun in aller Munde war. Wenn man es recht bedachte, war es ein guter Marketingtrick gewesen. Wenn auch nicht gerade ein positiver. Aber schlechte Werbung war auch welche. „Hey, könnte das bedeuten... Das dieser seltsame Raum, den wir gesehen haben, irgendwie mit dem Tod von Yamano zu tun haben könnte? Jetzt wo ich so darüber nachdenke... Von der Decke hing diese seltsame Schlaufe.“ Da war es wieder. Der Versuch eine Verbindung zu etwas zu erstellen, was augenscheinlich nichts mit all dem zu tun hatte. Zumindest wollte Otome das glauben, denn ihre Fähigkeit, jemanden in eine andere Welt bringen zu könnte, hätte sie genauso gut zu einem potentiellen Täter machen können, auch wenn sie bereits wusste, dass es noch jemanden mit dieser Fähigkeit gab. „Ich möchte, dass was passiert ist gerne aus meinem Gedächtnis verbannen. Mehr verträgt mein schwaches Herz nicht“, nuschelte Yosuke müde und gab damit das Signal, dass es Zeit war den Tag für heute ruhen zu lassen. Otome konnte das verstehen, denn sie selbst war viel zu müde um jetzt über so etwas wie einem Mord nachzudenken. Sie wollte nur noch eine Kleinigkeit essen, baden und dann müde in ihrem Futon fallen und schlafen. Dieser ungewollte Ausflug hatte einfach zu viel von ihr und auch von den anderen abverlangt. „Machen wir Schluss für heute. Wir sehen uns morgen in der Schule...“, flüsterte Otome und wandte sich von den beiden ab. Sie wollte nur noch ihre Tasche aus dem Schließfach holen und nach Hause gehen. Ihr war klar, dass es den anderen beiden nicht anders ging, weswegen sie wusste, dass sie ihr nicht böse sein würden, wenn sie sich nicht angemessen verabschiedete. Als Otome nach Hause kam, saßen Nanako und Dojima bereits am Tisch. Vor ihnen standen jeweils eine Packung Nudelsuppe. Sie war froh, dass man sie nicht mit ins Abendessen eingeplant hatte, denn sie hatte sich im Junes noch eine Kleinigkeit mitgenommen und unterwegs gegessen, auch wenn ihr Magen mit einem Mal versucht hatte jegliche Nahrung zu verwehren. „Willkommen zurück“, begrüßte ihr Onkel sie freundlich. Doch Otome fühlte sich nicht Willkommen. Die Worte ihres Onkels klangen etwas lieblos, fast so als wollte er damit einen stummen Vorwurf machen. Wahrscheinlich bildete sie sich das aber ein, weil sie einfach nur müde war. Schweigend setzte sich Otome an ihren Platz und schloss die Augen. Ihr Körper fühlte sich so schwer an, dass sie glaubte hier sofort im Sitzen einschlafen zu können. Zumindest driftete ihr Geist langsam, Stück für Stück ab. „Ähm... ich bezweifle, dass du das weißt... Aber hast du irgendetwas über eine Schülerin namens Saki Konishi gehört?“ Die Stimme ihres Onkels riss sie zurück in die Gegenwart und hinderte sie daran sofort ihren verdienten Schlaf zu bekommen. „Sie soll heute nicht in der Schule gewesen sein...“, murmelte Otome müde und rieb sich die Augen. Sie hoffte, dass ihr Onkel diese Geste verstand und das Verhör schnell beendete. Sie wollte nur noch schlafen gehen. Das wohltuende Bad hatte sie bereits unterwegs gecancelt, dafür würde sie aber am nächsten Morgen ausgiebig duschen. „Oh... Verstehe. Um ehrlich zu sein, haben wir einen Anruf von ihren Eltern bekommen. Sie ist verschwunden. Unsere Leute suchen bereits nach ihr, aber sie wurde noch nicht gefunden.“ Die Worte ihres Onkels drangen nur bis in ihr Unterbewusstsein vor. Bewusst nahm sie diese gar nicht mehr wahr, sonst hätten ihre Alarmglocken wohl geschrillt. Erneut lehnte sie sich wieder etwas zurück und schloss die Augen um sie etwas ruhen zu lassen. Doch wieder kam sie nicht zur Ruhe. Im Fernseher lief erneut ein Bericht über die Nachrichtensprecherin Yamano, die wohl im Amagi Inn untergekommen war, nachdem man den Skandal öffentlich ausgeschlachtet hatte. Kurz keimte in Otome der Gedanke auf, dass es doch kein Wunder war, wenn die Nachrichtensprecherin die Sängerin gehasst hätte. Immerhin war diese dafür verantwortlich gewesen, dass ihr gesamtes Leben und ihre Karriere den Bach runterging. Und nun war sie tot. „Hatschi!“ Schniefend rieb sich Otome die Nase. Ihr war plötzlich so kalt und mit jeder Sekunde fühlte sie sich schlechter, was nun auch ihr Onkel bemerkte. „Wirst du krank? Du gewöhnst dich wahrscheinlich noch an die neue Umgebung. Nanako, bring ihr die Erkältungsmedizin aus dem Schrank. Du solltest schlafen gehen, nachdem du sie genommen hast.“ Ohne sich zu wehren nickte Otome und wartete auf Nanako, die sich sofort erhoben hatte und ins Bad lief. Sie wusste was ihre Cousine dort wollte, denn sie hatte die kleine Hausapotheke schon am ersten Tag ihrer Auskunft dort ausgemacht. „Hier?“ Zurückhaltend hielt ihr das Mädchen die Medizin, die in einer roten Flasche war, entgegen. Mit einem schwachen Lächeln nahm Otome ihr diese ab und füllte eine Kappe voll der flüssigen, scharf riechenden Medizin. Angewidert verzog Otome das Gesicht, als der erste Tropfen der Medizin ihre Zunge berührte und bitter ihren Hals hinabglitt. Schon als kleines Kind hatte sie diese Medizin gehasst und wahrscheinlich würde sie sich nie daran gewöhnen, soviel stand fest. Tief atmete sie ein und aus, während sie im Futon lag und schwitzte. Gevatter Schlaf hatte sie, kaum dass sie sich hingelegt hatte, in seine Arme genommen und ließ sie nun nicht mehr los. Otome nahm nicht einmal ihr vibrierendes Handy auf dem Tisch war. Hätte sie es doch getan, so wäre ihr das Herz sicher aufgegangen, denn auf dem Display stand der Name der Person, die sie so dringend erwartet hatte. Zumindest heute würde ihr verwehrt bleiben zu erfahren, was ihre Freundin Miwako zu sagen hatte. Kapitel 5: Izanagi ------------------ April 15 Wo war sie? Wohin wollte sie? Wer war sie? Das Mädchen wusste es nicht. Sie irrte einfach ziellos umher. Sie wusste nicht einmal wie sie hierher gekommen war. Alles was sie sah war Nebel. Und es machte ihr Angst. Dieser Nebel, er war so vertraut. Wieso? Es erschien ihr fast so, als würde dieser Nebel sie schon seit ewigen Zeiten begleiten. Verfolgen, wie ein Schatten, den sie abschütteln wollte. Mit einem unwohlen Gefühl schlang sie ihre Arme um den Körper, der bekleidet von einer weisen ärmellosen Bluse war. Sie spürte den samtenen Stoff ihrer schwarzen Krawatte selbst durch die Handschuhe, die ihre Unterarme bedeckten. Sie empfand sich selbst als Seltsam. Wann hatte sie entschieden, dass sie so gekleidet sein wollte? Wo hatte sie diese Sachen gekauft? Wer war sie? Auch das war ihr alles unbekannt. Sie akzeptierte einfach, dass sie war. Alleine, ohne Erinnerungen. Ihre Schritte wurden langsamer. Nicht weil ihre Beine nicht mehr wollten. Sie sah einfach keinen Sinn mehr darin ihre Reise ins Unbekannte fortzusetzen. Sie hatte kein Ziel und damit auch keinen Antrieb auch nur einen Schritt weiter zu gehen. Was sollte sie schon tun? In einer Welt, die sie nicht kannte. Müde schloss sie die Augen und drückte ihre Arme fester an ihren Körper. Ihr wurde kälter. Und plötzlich, schwand sie, die Kälte, die Einsamkeit einfach alles, was sie bis eben im Inneren bedrückt hatte. Verschwunden, weil eine Melodie ertönte. Eine Musik, die beruhigend war. Eine Arie ihrer Seele. Gefolgt wurde sie von dem leisen Brummen eines Motors. Sie wandte sich um und erkannte die schwarze Limousine, die durch den weißen Nebel wie ein Licht erstrahlte. Neben ihr, blieb sie stehen und eine der hinteren Türen öffnete sich und gab ihr die Möglichkeit einzutreten. Sie zögerte kurz, doch schließlich, weil sie keine andere Alternative hatte, stieg sie ein und erblickte den Mann mit der langen Nase und seine blonde Begleiterin. „Willkommen, im Velvet Room.“ Otome war froh, dass sich der Nebel ihres Traumes gelöst hatte, als sie die Augen öffnete. Sie hatte geträumt, von dieser Limousine und dem Mann, der sich selbst als Bewohner des Velvet Rooms bezeichnete. Noch immer klammerten die Gefühle und Sorgen an ihr, die sie im Traum empfunden hatte. Sorgen die sie nicht haben sollte, von denen sie auch wusste, dass sie falsch waren. Immerhin war es nicht so gewesen. Soviel hatte sie verstanden. Die weiße Bluse, die Armstulpen, der Rock. Sie hatte diesen Kleidungsstil schon einmal gesehen und es war nicht der ihrige. „Seltsam...“, wisperte Otome leise und strich sich eine Strähne zurück. Es hatte sich für sie so real angefühlt, so als wären sie und dieses Mädchen aus ihrem Traum ein und dieselbe Person, oder zumindest einander ähnlich. Dabei wusste sie doch, wer sie war. Sie war Otome Narukami aus Tokyo und sie besuchte die zweite Klasse der High School. Das reichte doch, oder? 'Was bringt es mir, jetzt darüber nachzudenken wer ich bin oder sein will? Ich sollte mich darauf konzentrieren einen guten Abschluss zu bekommen.' Müde schüttelte Otome die letzten Zweifel ihres Traumes ab und schlug die Decke ihres Futons beiseite. Sie spürte die Vibration ihrer knackenden Knochen, als sie sich erhob und diese verkündeten, dass sie auch wieder erwacht waren. Steif schleppte sie sich zu ihrem Tisch auf dem ihr Handy lag und nahm es in die Hand. Ein gewohntes Ritual in der Kleinstadt, dass ihr das Herz brach. 'Fünf Anrufe in Abwesenheit... von Miwako...' Ihre beste Freundin aus der Großstadt hatte ihr Versprechen gehalten und sie war nicht in der Lage gewesen es einhalten zu können. Sie hatte ihren Anruf verschlafen. Sofort, ohne darüber nachzudenken, wählte Otome die Nummer ihrer besten Freundin. Ihr war dieses Mal egal, wie spät es war. Sie wollte einfach mit Miwako reden, ihre Stimme hören und sich dafür entschuldigen, dass sie den Abend zuvor geschlafen und deswegen nicht abgenommen hatte. Dabei war sie es doch gewesen, die sich so unbedingt einen Anruf ihrer Freundin gewünscht hatte. „Der gewünschte Teilnehmer ist zur Zeit nicht erreichbar. Bitte hinterlassen sie eine Nachricht nach dem Ton.“ Otome wusste nicht, wie sie das deuten sollte, ob Miwako ihr Handy ausgeschaltet, oder einfach nur keinen Empfang mehr hatte. Dennoch, sie wollte jetzt nicht aufgeben. „Miwa, ich bin es, Oto. Tut mir leid, dass du mich gestern nicht erreicht hast. Hier passieren ein paar ganz verrückte Dinge. Bitte melde dich noch mal, ich werde dieses Mal garantiert da sein.“ Es war ein stummes Versprechen, das Otome halten wollte. Mit Sicherheit würde sie nicht noch einmal in die andere Welt gehen. **~~** Verwundert sah Otome zu ihrem Onkel, der gerade seine Jacke schnappte und auf dem Weg zur Haustür war. Sie erkannte anhand seines Gesichtsausdruckes, dass etwas passiert war und seufzte innerlich. Es musst schwer sein als Kriminalbeamter und als Tochter von einem. Schließlich war Dojima immer in Bereitschaft. Doch was war mit Nanako, die immer zurückblieb, alleine, erzogen vom Fernseher, ohne eine Mutter die ihr Bentos machte, oder ihr vor dem Schlafen eine Geschichte erzählte. „Ah, du bist wach. Nun ja, ich bin dann mal weg.“ Otome nickte nur schweigend und sah Dojima nach, der zur Haustür ging, wo er eilig in seine Schuhe schlüpfte und schließlich das Haus verließ. Einen guten, familiären Morgen, stellte sich Otome anders vor, doch sie selbst war es nicht anders gewohnt. Auch bei ihr Zuhause gab es selten Gelegenheiten, bei denen sie mit ihren Eltern Frühstücken konnte. Allerdings, im Gegensatz zu Nanako, hatte sie vor der Mittelschule genug solcher Momente gehabt. „Papa hat einen Anruf bekommen... Deswegen musste er gehen.“ Die Worte ihrer Cousine klangen mehr wie ein Tantrum, mit dem sie sich selbst beruhigen wollte, statt Otome irgendetwas zu erklären. Zumindest brauchte es in Otomes Welt keine Erklärung, warum ihr Onkel fluchtartig das Haus verlassen und seine kleine Tochter zurückgelassen hatte. **~~** Monoton tropfte wieder der Regen auf Otomes Schirm, als sie das Haus verließ. Es hatte kurzzeitig mal aufgehört, doch nun schien der Himmel wieder die Menschen zu beklagen. Das hatte zumindest immer ihre Freundin Miwako gesagt, um den Regen zu erklären. Naturwissenschaftliche Fakten waren ihr egal gewesen und Otome hatte diese unbedarften Momente genossen. Einfach normal sein, ohne sich über etwas Gedanken zu machen. Mit Miwako konnte sie richtig abschalten, doch nun hatte sie niemanden mehr. Sie war alleine auf sich gestellt. „Als ich hinsah, sah ich drei Polizeiwagen die vorbeigefahren sind.“ Otomes Gedanken wurden wieder ins Hier und Jetzt gezogen, als sie die Stimmen zweier Mitschüler hörte, die den neusten Klatsch und Tratsch des Morgens austauschten. Es musste wirklich an dem Kleinstadtklima liegen, denn in der Regel blieb Otome nicht einfach stehen und lauschte Dingen, die sie nichts angingen. „Ich habe ein paar Schreie gehört. Aber sonst nichts. Absolut enttäuschend, sage ich dir.“ Mehr Worte brauchte es nicht, um in Otomes Kopf Bilder aufleben zu lassen. Schreie waren immerhin nie ein gutes Zeichen und drei Polizeiwagen schon einmal gar nicht. Noch dazu hatte ihr Onkel früh das Haus verlassen und war wahrscheinlich ebenfalls zum Tatort gerufen worden. 'Die müssen hier wirklich unterbelegt sein, wenn man einem Kriminalbeamten zwei Fälle aufhalst. Als gäbe es keinen anderen...', dachte Otome und ging weiter ihres Weges. Vielleicht sollte sie für die Familie Dojima kochen. Zumindest ihr Onkel konnte gute Hausmannskost nach einem harten Tag vertragen. Da war sich Otome mehr als sicher. Noch dazu freute sich sicher auch Nanako mal von einer Frau aus dem Haushalt bekocht zu werden. Das war mit Sicherheit viel gesünder als die fertigen Bentos, die sie nach der Schule kaufte, weil Dojima selbst keine Zeit und auch kein Talent zum kochen hatte. Wenn Otome es sogar recht bedachte, konnte sie ja nun der weibliche Einfluss im Haushalt werden und Nanako vielleicht etwas von der Familienatmosphäre geben, die sie selbst in ihrem Alter erfahren hatte. **~~** Die Zeit verging und obwohl die Glocke bereits zum Unterricht geläutet hatte, war King Moron immer noch nicht vor Ort. Nervöses Getuschel machte sich in dem Klassenzimmer breit, doch Otome ignorierte das alles. Ihr war egal, warum der Klassenlehrer noch nicht erschienen war. Ihr Blick war auf ihr Handy gebannt, dass sie vor lauter Langeweile aus ihre Tasche genommen hatte, um zu sehen, ob Miwako vielleicht doch noch geschrieben hatte. Doch nichts. Was hatte sie auch anderes erwartet? Mit Sicherheit saß ihre Freundin nun selbst im Unterricht und hörte sich vielleicht die geistigen Ergüsse Descartes an. „Habt ihr heute Morgen auch die Polizei gehört? Ob es was mit dem Mord an Yamano der Nachrichtensprecherin zu tun hat? Ich habe gehört, dass der Täter immer noch nicht gefasst wurde. Beängstigend oder?“ Es war das übliche, dass wohl der Kleinstadttratsch mit sich brachte. Doch gleichzeitig zog sich etwas in Otome zusammen. Etwas, das ausgelöst durch einen Gedanken, eine Erinnerung in ihr Bewusstsein drang. 'Was wenn sie dort in diesem Zimmer gestorben ist?“ Sie steckte ihr Handy wieder weg und sah auf zu Yosuke und Chie. Ob diese beiden dasselbe dachten? Nein! Wild schüttelte Otome diesen Gedanken ab. Sie durfte nicht an diese andere Welt denken. Sie durfte sich nicht aus ihrem normalen Leben reißen lassen. Immerhin wollte sie hier etwas lernen. Oder zumindest das Jahr, bis zu ihrer Rückkehr in die große Stadt, angenehm gestalten. „Achtung, an alle Schüler. Versammelt euch bitte in der Aula.“ Das Getuschel wurde lauter, kaum dass die Ansage der Sekretärin vom Direktor gesprochen war. Es war selten, dass innerhalb des Schuljahres, der Direktor eine Versammlung einberief, von der wirklich niemand wusste worum es gehen sollte. „Man sagt, dass er Ärger bekommen hat, weil er uns zu früh gehen lassen hatte, als es um den Mord an der Nachrichtensprecherin ging. Vielleicht müssen wir nun die nächsten Tage in der Schule nächtigen.“ Belustigtes Gekicher kam von Otomes Klassenkameradinnen. Anscheinend hatte sich schnell das unschöne herumgesprochen, aber wie sollte das auch anders sein. Klatsch und Tratsch jeglicher Art wurde schnell verbreitet. Davor war nicht einmal der Direktor einer Schule gefeit. „Richtig, wir hatten ja keine Eröffnungszeremonie. Gehen wir zusammen in die Aula, Otome. Ich informiere besser auch gleich Yukiko über die Versammlung und frage, wann sie wieder hier sein wird.“ Otome nickte stumm auf Chies Angebot, doch ihr Blick glitt zu Yosuke, der einen tiefen, Trauer erfüllten Seufzer von sich vernehmen ließ. Etwas stimmte mit dem Jungen nicht, dass hatte Otome schnell bemerkt, immerhin war er mit einem Mal so ruhig und zurückhaltend. Eigenarten die sie in den letzten Tagen nicht bei ihm wahrgenommen hatte. Er schien sogar in Gedanken versunken zu sein, weswegen seine Bewegungen etwas monotones, gebrochenes an sich hatten. Schweigend erhob sich ihr Mitschüler und folgte den anderen Schülern seiner Klasse, die sich bereits in Richtung Aula in Bewegung gesetzt hatten. Wirklich niemand wusste, warum diese Versammlung einberufen wurde und es waren die wildesten Gerüchte, die ihr zur Ohren kamen, während Chie mit Yukiko die ein oder andere SMS austauschte. Otome selbst stand vollkommen alleine da, denn Yosuke schien immer noch nicht in der Stimmung zum Reden zu sein. „Yukiko sagt, dass sie nach dem Essen kommt... Ich frage mich, warum es so plötzlich eine Schulversammlung gibt. Hey, was ist los, Yosuke?“ Es grenzte an ein Wunder, dass Chie, die die ganze Zeit mit ihrem Handy und Yukiko beschäftigt war, endlich selbst Yosukes Abwesenheit registriert hatte. Da sie nun endlich die Frage gestellt hatte, die auch Otome die ganze Zeit gequält hatte, horchte sie auf und sah zu ihrem Klassenkameraden, der ungewohnt ruhig antwortete. „Oh, es ist nichts.“ Etwas stimmte ganz und gar nicht. Das war Otome auch nach dieser kurzen Zeit bewusst. Noch dazu lag etwas nachdenkliches, trauriges in Yosukes Stimme. Er schien gerade geistig überall zu sein, aber nicht in der Schule. „Ich... befürchte, dass ich euch eine schreckliche Nachricht verkünden muss. Eine unserer Schüler des dritten Jahrgangs, Saki Konishi-san aus Klasse 3... ist verstorben.“ Unruhe machte sich breit, als die Nachricht laut kund wurde. Otome konnte die Bestürzung spüren sie selbst war nicht weniger betroffen. Immerhin hatte sie Saki Konishi vor zwei Tagen selbst kennengelernt. Es war so unwirklich, dass sie nun Tod sein sollte, obwohl sie zu ihrer Begegnung noch so munter gewesen war. Die Frage, die Otome beschäftigte war, was genau der Schülerin widerfahren war. „Konishi-san wurde heute morgen verstorben aufgefunden... Der Grund für ihren Tod wird noch von der Polizei untersucht. Wenn sie euch um eure Hilfe bitten, fordere ich von euch, dass ihr nur Fakten darlegt.“ Ein stummes Seufzen kam Otome über die Lippen, als sie hörte, was der Direktor weiter zu sagen hatte. Immerhin das, war auch in der Großstadt nicht anders. Natürlich gab es auch an dieser Schule kein Mobbing, wie auch. Alle mochten sich, alle waren Freunde. Otome hatte diese Lüge noch nie geglaubt, denn man musste nur die Augen offen halten und sah wie die Schüler einander behandelte, wenn die Lehrer einmal nicht wagten hinzusehen. Oder nicht hinsehen wollten, um die Verantwortung von sich zu weisen und der Wahrheit zu entkommen. Es war eben einfacher wegzusehen als die Wahrheit und Realität akzeptieren zu wollen. **~~** Die Rede des Direktors war Chie und Otome wie eine Ewigkeit erschienen. Ebenso der Rest der Tages, der deutlich von dieser Neuigkeit beschattet wurde. Die tot aufgefundene Saki war das Thema gewesen und selbst jetzt, nach Schulschluss, schien es nichts zu geben, was wichtiger war. Chie und Otome hatten extra deswegen ihre Klasse verlassen und waren auf dem Weg zum schwarzen Brett, an dem in späterer Zeit die Ergebnisse der Prüfungen aufgehangen werden würden. „Sie ist genauso wie die Nachrichtensprecherin gestorben, richtig? Das ist wirklich gruselig...“ Es war wirklich egal wohin man ging, überall gab es Klatsch und Tratsch. „Jemand sagte, dass die Ursache ein unbekanntes Gift gewesen ist.“ Otome und Chie waren im Gang stehen geblieben und sahen zu den Schülern die gerade so vertieft in ihrem Gespräch waren. Sie belegten die Sicht auf das schwarze Brett, weswegen die beiden geduldig darauf warteten, dass sie endlich gingen. Sie bemerkten nicht einmal andere, die sich an ihnen vorbei schlängeln wollten, oder sie ignorierten sie. „Übrigens, hast du das gehört? Jemand sah ein Mädchen wie Saki in diesem Midnight Channel Ding.“ Otomes Aufmerksamkeit war nun vollkommen erwacht. Auch wen sie sich selten bis nie für Klatsch und Tratsch interessierte, war das doch eine interessante Nachricht. Und erneut ein Hinweis darauf, dass diese Welt etwas mit dem Mord an Yamano zu tun hatte. „Also ehrlich... Es ist wirklich einfach irgendwelche Theorien zu erschaffen, wenn man selbst nicht involviert ist“, murrte Chie und stemmte dabei die Hände in die Hüften. Ihr war die Verbindung zu der Nachrichtensprecherin scheinbar vollkommen verborgen geblieben. Genauso wie die Verbindung zu dieser anderen Welt, in der sie nur einen Tag zuvor gewesen waren. Dennoch, sie hatte Recht. Es war leichter Gerüchte zu verbreiten, wenn man nicht direkt betroffen war, so wie... Otome hielt für einen kurzen Augenblick den Atem an. Nein, sie und Chie waren nicht direkt betroffen, dafür aber Yosuke, der tiefe Gefühle für Saki gehegt hatte. Wenn er seit dem Morgen bereits gewusst hatte, dass sie... Otome wollte das gar nicht weiterdenken. Zumindest erklärte das alles, warum er so geistesabwesend war. „Hey...“ Erschrocken fuhr Otome zusammen, als eben der Junge neben ihr stand, an den sie eben gedacht hatte. Sie war wieder einmal zu sehr in Gedanken versunken gewesen, so dass sie nicht bemerkt hatte, woher der Junge überhaupt gekommen war. „Habt ihr letzte Nacht Fernsehen gesehen?“ Seine Stimme klang ernst und hatte dennoch etwas depressives an sich. „Nicht du auch noch!“ Chie war deutlich genervt, was Otome verstehen konnte. Er war schließlich nicht der erste, der auf diesen Gerüchtezug aufsprang und diesen scheinbar nicht verlassen, sondern noch weiterleiten wollte. Es war unerträglich, doch Yosuke war nicht der Typ, der viel auf Gerüchte gab. Zumindest hoffte Otome das. „Hör mir einfach kurz zu! Etwas hat mich gestört, also habe ich ihn noch einmal gesehen... und... Das Mädchen das ich sah, war Saki-senpai. Ganz ohne Zweifel. Sie sah aus, als würde sie sich winden vor Schmerz und dann war sie plötzlich verschwunden.“ Mit jedem Wort das Yosukes sprach, wurde Otome bewusst, was er sagen wollte. Die Verbindung zu Yamano war bald nicht nur, dass Saki den Leichnam der Nachrichtensprecherin gefunden hatte, sondern auch, dass sie beide auf dieselbe Weise drapiert worden waren. Mit einem Zufall rechnete sie da nicht. Nicht nur sie bemerkte diese Verbindung, auch Yosuke war es aufgefallen und er ging sogar noch weiter. „Vielleicht... Nur vielleicht, war Frau Yamano auch im Midnight Channel zu sehen, bevor sie gestorben ist.“ Nachdenklich sah Otome zu Yosuke. Er meinte das wirklich ernst und wenn sie ehrlich mit sich war, konnte auch sie diese Theorie nicht einfach so abschmettern. Es waren einfach zu viele Zufälle auf einmal. „Moment! Willst du damit sagen, dass Menschen die im Fernsehen erscheinen, sterben werden?“ Auch in dem Punkt konnte Otome Chie verstehen. Es klang schon sehr abwegig. Allerdings, diese andere Welt war nicht gerade normal. Warum sollte es da unmöglich sein das Sterbeorakel über den Midnight Channel zu sehen. „Das kann ich nicht sicher sagen. Aber etwas sagt mir, dass ich es nicht einfach als Zufall abtun sollte.“ Natürlich konnte Yosuke es nicht als Zufall abtun. Dafür waren die Gemeinsamkeiten zu prägend. Allerdings wie sollten sie das erforschen? Noch einmal wollte Otome nicht in diese Welt. Es war einfach zu gefährlich. Die Auswirkungen vom Tag zuvor waren schließlich so verherrend gewesen, dass sie nicht einmal bemerkt hatte, dass ihre beste Freundin sie angerufen hatte. Yosuke, vergaß aber diese Gefahr, auch wenn er sie in seiner Argumentation bedachte. Wie hätte man da nicht glauben können, dass es wirklich so war? „Also, was denkst du?“, fragte sie Yosuke schließlich nach seinen Ausführungen. Ihr war nicht klar, was er sich von ihr erhoffte, aber sie konnte auch nicht so stehen lassen. „Du könntest wirklich Recht haben, aber...“ Mehr zu sagen gab es aus Yosukes Sicht nicht. Sofort fiel er ihr ins Wort und machte klar, war seine Pläne für diesen Nachmittag waren. „Das ist also nicht nur mein Gedanke. Wenn es eine Verbindung zwischen den beiden gibt, dann ist es gut möglich, dass sie in diese Welt gelangt sind. Das würde die Poster erklären. Das wiederum bedeutet... wenn wir uns gut genug umsehen, könnten wir einen Platz finden, der mit Senpai zu tun hat.“ Genau das hatte Otome von Yosuke erwartet. Er wollte nun in diese Welt gehen und den Tod seiner geliebten Saki erforschen. Wie dumm musste man sein? Schließlich war diese Welt kein Spielplatz. Sie kannten sie nicht und wussten nicht, was für Gefahren dort auf sie warten würden. „M-Mach das nicht... Du solltest das der Polizei überla-“ „Du glaubst, dass wir uns auf die Polizei verlassen können? Sie haben noch nicht einmal im Fall der Nachrichtensprecherin Fortschritte gemacht. Außerdem, selbst wenn wir es ihnen von der Welt im Fernsehen erzählen würden, sie würden uns nicht glauben.“ Nein, das würde die Polizei in der Tat nicht. Deswegen hatte Otome auch den Abend zuvor darauf verzichtet, Dojima von ihrer Erkundungstour zu berichten. Wie verrückt sollte das denn klingen? „Nach all dem was ich gesehen und kombiniert habe, kann ich das nicht einfach ignorieren. Auch wenn es wirklich gefährlich ist... Otome... Es tut mir leid, dass ich dich darum bitte, aber du bist die Einzige die mir helfen kann.“ Otome verzog das Gesicht, als sie hörte, was Yosuke von ihr wollte oder viel mehr verlangte. Sie hatte es ja geahnt. Es hatte einfach nicht anders sein können, immerhin war sie die einzige von ihnen, die diese Fähigkeit hatte, mit der man in die andere Welt reisen konnte. „Ich kann ja verstehen wie er sich fühlt, aber... wir können nicht sicher sein, dass er auch sicher wieder zurückkommt. Was sollen wir tun?“ Fragend sah Chie zu Otome. Es war doch klar was sie tun mussten oder vielmehr sollten. Zu so etwas musste man doch nicht sie fragen. Dennoch, Otome konnte es nicht so stehen lassen. „Halten wir ihn auf“, wisperte Otome und versicherte sich mit einem Blick zu Chie, dass sie einverstanden war. Es war zwar kein guter Plan, aber alles was sie hatten, wenn sie Yosuke von ihrer Dummheit abhalten wollten. **~~** Chie und Otome hatten ihre Taschen bei den Kundenfächern gelassen und waren sofort in die Elektronikabteilung des Junes gelaufen. Und da stand er. Yosuke, mit einem Seil um die Hüfte gebunden und in der Rechten einen Golfschläger, den er bereit war zu benutzen. Das sah Otome anhand seiner Augen, die entschlossen funkelten und ihr klar machten, dass er sich nicht mehr von seiner absurden Idee abbringen lassen würde. „Wir sind gekommen um dich aufzuhalten, du Idiot. Komm schon... Das solltest du wirklich nicht machen. Es ist zu gefährlich.“ Es war Chies wirklich letzter Versuch Vernunft in Yosuke einzuhämmern, doch umsonst. Er hatte sich bereits entschieden und er war nicht der Typ Mann, der von seinen Entscheidungen einfach zurücktrat, nur weil jemand sich um ihn sorgte. „Was ist mit Chie?“, fragte Otome schließlich. Sie wollte diese Diskussion nicht führen, wenn sie vergeblich war. Aber sie wollte nicht auch noch Chie in die ganze Sache mit hineinziehen. Denn wie es ihre Sitznachbarin richtig erkannt hatte, war es gefährlich. „Ja, ich bin leider auf dich angewiesen. Auch wenn ich es nur ungern tue, Otome. Wäre dem nicht so, hätte ich dich sonst darum gebeten mit Chie auf mich zu warten.“ Deutlich erkannte Otome in Yosuke, wie widerwillig er sie nur mitnehmen wollte. Sexistisch, wenn man Otome fragte. Nur weil sie ein Mädchen war, musste man sie nicht beschützen. Sie war stark genug um auf eigenen Beinen zu stehen. „Aber keine Sorge, wir gehen nicht ohne einen Plan los. Hier, Chie, ich überlasse dir dieses Seil.“ Mit ernstem Blick hielt Yosuke dem Mädchen dieses Seil entgegen. Doch der Ernst wich schnell einem Lächeln, dass Chie wohl aufmuntern sollte. „Was? Das ist eine Rettungsleine? Komm schon, wartet noch einen Moment.“ Yosuke gab Chie keine Chance und drückte ihr das Seil in die Hand. Sie hatte wirklich keine andere Wahl als die Rettungsleine zu halten und dafür zu sorgen, dass sowohl Otome als auch Yosuke heil wieder zurückkamen. Aber Yosuke hatte nicht nur für Chie vorgesorgt. Auch für sich hatte er in Form eines Golfschlägers für eine Notfallverteidigung gesorgt. „Keine Sorge, Otome. Egal was passiert, ich werde dich beschützen. Vertrau mir einfach.“ Verspielt zwinkerte Yosuke ihr zu und lächelte dabei. Wirklich wohl war Otome dabei aber nicht, was sie auch nur zu deutlich zum Ausdruck brachte. „Und du kannst wirklich mit dem Ding umgehen? Nicht das du dich selbst verletzt.“ Es war nicht so, das Otome den Golfschläger als Waffe gerne an sich genommen hätte, aber in Anbetracht der Tatsache, dass sie in ihrer Mittelschulzeit im Kendoclub gewesen und an diversen Turnieren teilgenommen hatte, mit nicht gerade unersichtlichen Erfolg, wäre es ihr wohler gewesen, wenn sie ihr Leben hätte selbst verteidigen dürfen. Wenn es um das ging, war Vertrauen Mangelware. Sie hätte nicht einmal Miwako, die mit einer Nagelpfeile bewaffnet wäre, ihr einziges Leben anvertraut. Soviel stand fest. „Vertrau mir einfach. Es wäre unverzeihlich, wenn ich dich schon in Gefahr bringe, aber nicht verteidigen kann. Also keine Sorge.“ Yosukes Worte beruhigten Otome nicht gerade, aber sie hatte keine andere Wahl als ihm zu vertrauen. „Chie, egal was passiert, lass das Seil nicht los.“ Mit einem Seufzen wandte sich Otome dem Fernseher zu. Sie wollte diese Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen, immerhin wartete an diesem Abend Miwako auf sie. Sie wollten telefonieren, zumindest in Otomes geistiger Welt, und über ihre ersten Tage reden wollte. Wobei sie wohl die ungewöhnlichen Dinge, wie eine Welt hinter dem Fernseher, verschweigen wollte. Otome merkte noch, das Yosuke dicht hinter ihr war, als sie die früher so glatte Ebene des Bildschirms berührte und in diesen eintauchte, als sei sie aus Wasser. **~~** Otome war froh, dass sie wusste, auf was sie sich gefasst machen musste, als sie durch den Fernseher gestiegen war. Noch während ihres Fluges durch die schwarz-weiße Eingangszone, brachte sie sich in Position und kam schließlich weniger schmerzhaft als am Tag zuvor, am Boden auf. Anders als Yosuke, dessen Schmerzenslaute sie erneut höre. Und so wie es klang war er unsanft auf den Knien aufgekommen. 'Heute sind also die Knie gebrochen...', dachte sie und grinste dabei hämisch. Das Bild ihres verletzten Retters in der Not war einfach nur witzig und Schadenfreude machte die Welt ja bekanntlich zu einem besseren Ort. „Ist das...? Sieht aus als wären wir am selben Ort wie gestern. Also sind sie wirklich miteinander verbunden, unsere Welt und diese.“ Stumm nickte Otome und sah sich in der dichten Nebelsuppe um. Man konnte wirklich die Hand vor Augen nicht erkennen, was sie verfluchte. Wie sollten sie da frühzeitige Gefahr erkennen? Vielmehr noch, wie sollte Yosuke auf einen Gegner losgehen, den er nicht sehen konnte? „I-Ihr! Warum seid ihr zurückgekommen, kuma!“ Erschrocken wandten sich Yosuke und Otome um, wobei Yosuke sich schützend vor Otome stellte, obwohl er bereits wusste, wer dort auf sie zukam. „Ich verstehe, kuma. Ihr steckt hinter all dem“ Näher kam der Bär auf die beiden Schüler und sah sie mit seinen leblosen Augen an. Das Wesen hatte etwas niedliches an sich und dennoch, Otome konnte dem Frieden einfach nicht trauen. Schon gar nicht wenn es sie für all das, was geschehen war, und weder Yosuke noch sie getan hatten, beschuldigte. Es war nun natürlich an Yosuke sie beide zu verteidigen, auch wenn das nicht fruchtete, denn der Bär ließ nicht von seiner Behauptung ab. Für ihn waren sie bereits die Schuldigen, die er nonverbal darum bitten wollte, damit aufzuhören. „In letzter Zeit spüre ich, dass jemand Menschen hier reinwirft. Das bringt diese Welt immer mehr aus dem Gleichgewicht, kuma. Ihr seid nun das zweite Mal hier und ich glaube nicht, dass euch jemand dazu gezwungen hat. Das bedeutet, dass ihr die Verdächtigsten hier seid. Ihr müsst diejenigen sein, die Menschen hier reinwerfen, kuma.“ „Sei ruhig!“ Otome wusste nicht genau, was in sie gefahren war, aber sie hatte das Gefühl, den Bären anschreien zu müssen, damit sie überhaupt eine Chance bekamen um sich zu verteidigen. Und in der Tat, der Bär hielt inne, Zeit genug für sie, eine Verteidigungslinie aufzubauen. „Wovon redest du? „Menschen hier reinwerfen“?! Wenn jemand hier reingeworfen wird, können sie nicht mehr heraus und könnten sterben! Wer würde so etwas ma-“ Yosuke stockte während seiner Erklärung. Scheinbar war ihm ein Licht aufgegangen. Eines, von dem Otome bereits vor einigen Stunden gedacht hatte, dass es ihm aufgegangen war. Tatsächlich. Auf einmal hatte Yosuke einen weiteren Grund warum sie sich hier umsehen mussten. „Waren das, Senpai und die Nachrichtensprecherin? Hat „jemand“ die beiden hier reingeworfen? H-Hey, was meinst du?“ Es war einfach unglaublich. Gerade als Otome gedacht hatte, dass Yosuke wirklich ein helles Köpfchen war, demonstrierte dieser, wie sehr sie sich geirrt hatte. Ihm war ja wirklich schnell dieser Geistesblitz gekommen. Wozu hatte er hierher kommen wollen, wenn ihm all das nicht klar gewesen war? Wozu wollte er sich da in Gefahr bringen? „Das wird es sein“, antwortete Otome ruhig und sah wieder zu dem Bären. „Was tuschelt ihr beiden miteinander, kuma? Warum seid ihr hier hergekommen? Das hier ist eine Einbahnstraße, kuma. Man kommt hier nicht raus, sobald man einmal drin ist. Erinnert ihr euch? Wer hat euch denn rausgelassen, kuma?“ Desinteressiert wandte sich Yosuke dem Bären zu und ließ ein verächtliches Schnauben aus. Siegessicher griff er zu dem Seil um seiner Hüfte und hob das andere Ende hoch, dass nicht wie erwartet nach oben reichte. Es war auf dem Weg hierher gerissen. „Wir brauchen deine Hilfe dieses Mal nicht. Wir haben eine Rettungslei-“ Er stockte, als er bemerkte, dass seine Rettungsleine gerissen war und sie damit nicht zurück in ihre Welt konnten. Sie waren erneut auf den Bär angewiesen. Das schmeckte Yosuke gar nicht. „D-Du lässt besser zu, dass wir unsere Untersuchungen durchführen und stehst uns nicht im Weg.“ „Grrrr! Ich bin derjenige der alles untersucht, kuma! Ich lebe schon lange hier, aber noch nie war es so laut hier. Habt ihr einen Beweis? Beweist, dass ihr keine Menschen hier reinwerft, kuma!“ Es war deutlich, dass weder Yosuke noch der Bär wirklich gute Freunde werden würde. Eine Tatsache, die Otome aber voll und ganz nachvollziehen konnte. Der Bär verstand nicht von dem was sie sagten. „So funktioniert das aber nicht...“, murmelte sie daher und sah zu dem Bären, der nur zu glücklich über diese Antwort zu sein schien. Für ihn waren diese Worte nur Beweis genug, dass sie und Yosuke die Täter waren. „Zum letzten Mal, wir sind es nicht und wir müssen dir nichts beweisen! Hey, du beantwortest besser unsere Fragen. Es ist nicht so wie letztes Mal als wir hierhergekommen sind. Wir meinen es todernst. Hör zu, der Grund dafür ist, dass Menschen in unserer Welt gestorben sind... Jedes Mal wenn der Nebel sich lüftet erscheint eine Leiche. Das muss irgendwie in Verbindung mit diesem Ort stehen! Wenn du etwas weißt, dann erzähl es uns!“ Erstaunt über diese Information, sah der Bär zu den beiden Menschen. Otome konnte nicht genau sagen, ob in seinem Kopf gerade ein Licht aufgegangen war oder es darin arbeitet. Sie sah nichts, außer diese leblosen Augen. Er machte zumindest deutlich, dass er etwas dachte verstanden zu haben. Was genau konnte Otome aber nicht festmachen. Nicht einmal Yosuke verstand, weswegen die Diskussion zwischen Bär und Mensch weiterging. „Ich verstehe nicht, was ihr meint. Diese Welt war schon immer so. Niemand hat diese Aufnahme-Sache gemacht“, antwortete der Bär auf die Worte Yosukes, der zusammengefasst hatte, was sie über diese Welt wussten, oder viel mehr darüber, was sie in ihrer Welt von der Fremden mitsamt ihrer Opfer, gesehen hatte. „Sie war schon immer so?“, fragte Otome verwundert. Es war wirklich seltsam, denn der Midnight Channel schien erst vor kurzem ausgestrahlt zu werden. Hatte der Mörder vielleicht einen Weg gefunden ihn zu aktivieren? „Nur ich und die Shadows sind hier! Das habe ich euch schon gesagt!“ Otome gefiel nicht, wie genervt der Bär klang. Sicher, sie verstanden seine wagen Worte nur schwer, aber für ihn war es genauso. Dennoch, eine neue Frage kam Otome in den Sinn. Was waren diese „Shadows“ und warum waren sie so gefährlich? Es gab einfach keine Antwort, denn am Tag zuvor war alles, was sie von dieser Welt gesehen hatten, der Bär vor ihnen. Ein Bär der eine Einbahnstraße in eine Doppelspurige verwandeln konnte. Er hatte die Möglichkeit hier heraus zu gehen und jemanden in diese Welt zu stoßen. Er kannte diese Welt in- und auswendig. Mit diesem Gedanken war Otome nicht alleine, wobei sie vorsichtiger war, diese äußern zu wollen. „Du bist das Verdächtigste hier! Vielleicht bist du der wahre Täter. Was soll eigentlich dieses dumme Kostüm? Zeig endlich dein Gesicht!“ Murrend ging Yosuke auf den Bären zu, der wie versteinert einfach stehen blieb und zuließ, dass Yosuke ihm den Kopf von dem Kostüm riss. Er bereute diese Tat aber schnell, als er in das leere Innere des Bären sah. Selbst Otome stockte der Atem, denn das hatte sie nicht erwartet. Der merkwürdige Bär war nichts weiter als eine leere Hülle, etwas was man nach seiner Art sich zu verhalten und zu sprechen, nicht geglaubt hätte. „Ich, der Täter? Ich würde so etwas niemals tun. Ich lebe hier und ich will hier auch friedlich weiterleben. Na schön, ich glaube euch, dass ihr nicht der Täter seid, aber ihr müsst den wahren Täter für mich finden. Versprecht mir das, oder ich werde euch hier nicht herauslassen.“ Das war doch unglaublich. Dieses leere Stofftier versuchte sie zu erpressen. Dabei wollte sie doch nur ein normales Leben leben. Und nun sollte sie Polizist spielen und einen mörderisch veranlagten Täter schnappen? Wie paralysiert starrte Otome den Bären an, anders als Yosuke, der lautstark bekannt gab, dass es ihm nicht gefiel und dem Bären damit die Tränen in die Augen trieb. „Hey, was sollen wir tun?“ Ernst wandte Yosuke sich an Otome und riss sie damit aus ihrer Paralyse heraus. Dunkel erinnerte sich Otome wieder an ihren Traum mit dem Mann mit der langen Nase. Er hatte ihr ein großes Unglück voraus gesagt. Hatte er etwa das gemeint? Einen leeren Bär, der sich weigerte sie zurück in ihre Welt zu lassen, wenn er nicht seinen Willen bekam? Das konnte doch alles nur ein böser Traum sein. Genauso wie der Traum mit Igor selbst nur einer gewesen war. Sie glaubte nicht an das übernatürliche... Allerdings... Ihr Blick glitt erneut durch die nähere Umgebung. Sie konnte nicht abstreiten, dass das hier real war. Seufzend sah sie wieder zu Yosuke. Sie hatten beide keine andere Wahl, als dem Bär dieses Versprechen zu geben. „Also gut, ich verspreche dir, dass ich dir helfe“, antwortete sie und konnte förmlich die Dankbarkeit aus den Worten des Bären spüren. „Du verdammter Bär! Du hast uns ja förmlich eine Pistole auf die Brust gesetzt“, setzte Yosuke nach und gab damit auch sein Wort. Otome konnte nicht abstreiten, dass Yosuke Recht hatte, doch sie hatte dem Bär dieses Versprechen nicht nur deswegen gegeben. Etwas stimmte in dieser Welt nicht, auch wenn Otome noch nicht wusste, was es genau war. „Wir sollten uns vorher aber vorstellen. Mein Name ist Yosuke Hanamura und das Mädchen hier ist Otome Narukami. Und wie heißt du?“ Otome nickte nur auf die Vorstellung von Yosuke und sah gespannt zu dem Bären. Wie konnte so ein Wesen heißen? Hollow? Em? Oder irgendetwas anderes, dass seine Persönlichkeit und sein Wesen zum Ausdruck brachte? „... Kuma, kuma.“ Was hätte es auch anderes sein sollen? Synchron stießen Otome und Yosuke einen verzweifelt klingenden Seufzer aus. Natürlich hieß der Bär Kuma. „Wer hätte das gedacht... … Egal, zurück zum Thema. Wie sollen wir den Täter finden.“ Bewundernd sah Otome zu ihrem Klassenkameraden. Yosuke war sichtlich gut darin das Thema schnell wieder zu wechseln, und auf den eigentlichen Grund ihres Deals zu sprechen zu kommen. Aber gut, auf diese Weise konnten sie ihr Versprechen schnell halten und diese ganze Geschichte beenden, bevor sie hier noch Wurzeln schlugen und Kuma auf die Idee kam, doch gefährlich zu sein und ihnen beiden den Gar auszumachen. „Ich weiß nicht, kuma... Aber ich kann euch zu den Ort bringen, an dem die letzte Person war.“ Spurensuche war angesagt. Das wurde Otome bewusst, als sie hörte, dass Kuma sie zu einem neuen Ort bringen wollte. Schaden konnte es ja nicht, aber es würde dauern ihr Versprechen gegenüber dem leeren Bären zu halten. „Dort könntet ihr Hinweise finden, kuma. Aber zuerst, solltet ihr die hier aufziehen.“ Zufrieden zog Kuma von irgendwo zwei Brillen heraus, die er ihnen reichte. 'Wie in einem Anime', dachte Otome und fühlte sich dabei selten dämlich, dass dieser Vergleich sogar griff. Es war wie in einem Anime. Ein mysteriöses Verbrechen, eine fremde Welt und Jugendliche, die dieses Verbrechen aufklären konnten. Es fehlten nur noch übernatürliche Kräfte und sie hatten den Stoff für einen neuen Anime beisammen. Vielleicht verliehen ihnen ja die Brillen übermenschliche Kräfte, mit denen sie das Böse besiegen konnten, wobei Otome glaubte, dass sie bei ihrem Glück als leicht bekleidetes Magical Girl enden würde. Eine Vorstellung die ihr nicht gefiel und sie einen kurzen Moment zögern ließ. Doch was sollte schon passieren, dass hier war kein Anime. Yosuke war nicht heldenhaft genug um der Protagonist zu sein und sie selbst war... zu... zu... Sie klappte die Bügel der Brille auf und überlegte, warum sie als Protagonistin nicht qualifiziert genug war. Dafür nutzte sie all ihr vorhandenes Wissen über Animes, die sie kannte. 'Der Held zieht in eine neue Stadt... Check. Der Held ist ein Einzelgänger... Check. Der Held wird durch aufdringliche Menschen in seiner Umgebung in die Geschichte hingezogen... Check. Der Held ist das beste vom Besten... … Beste vom Besten... Beste vom Besten...' Gedankenverloren zog Otome ihre Brille auf und blickte durch die Gläser, die ihr seltsamerweise eine klare Sicht durch den Nebel boten. Verwirrt darüber, zog sie die graue Brille wieder ab und sah nichts außer Nebel. 'Der Held bekommt mysteriöses Equipment... Check.' „Wow, das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Mit denen hier ist es, als würde der Nebel gar nicht existieren.“ Otome nickte auf Yosukes Feststellung. Diese Brillen waren wirklich unglaublich. „Sie werden euch helfen, euch hier umsehen zu können. Ich lebe schon ewig hier, kuma, also könnte ihr euch auf mich verlassen. Allerdings, kuma... kann ich euch nur den Ort zeigen, verteidigen müsst ihr euch selbst, kuma.“ 'Ein nutzloses Maskottchen... Check.' Ihr wurde ganz anders bei diesem Gedanken. Denn meist ließen nutzlose Maskottchen einen Magical Girl Anime vermuten und nein, sie wollte nicht in einem leicht bekleideten Kostüm vor Yosuke stehen und Wesen namens Shadows bekämpfen. „Soviel zum Thema auf dich verlassen. D-Da sind besser keine Monster, hast du verstanden?“ Erneut machte Otome ein Häkchen auf ihrer imaginären Liste. Yosuke, der verängstigte Assistent den sie retten musste. Hoffentlich würde letzteres niemals passieren, denn sie wollte wirklich nicht als Magical Girl enden. **~~** Obwohl Otome neu in Inaba war, erkannte sie sofort, dass der Bereich, zu dem Kuma sie geführt hatte, wie die Einkaufsmeile aussah. Und doch war hier alles anders. Der Himmel war in einem schwarz-rot getaucht und in der Atmosphäre lag etwas unheimliches, bedrohliches. Kein Ort an dem man in Ruhe einkaufen wollte. Doch weder sie noch Yosuke waren hier um zu shoppen. Sie mussten ein Versprechen halten und den Täter finden, der unschuldige Menschen in diese Welt schickte. „Einige seltsame Orte sind hier in letzter Zeit aufgetaucht. Alles ist so durcheinander geraten, dass ich nicht weiß, was ich tun soll, kuma.“ Verzweiflung schwang in Kumas Stimme mit und Otome bekam langsam aber sicher Mitleid mit dem Bären. Das hier war seine Heimat und irgendjemand missbrauchte sie um Menschen zu töten und brachte sie damit durcheinander. Ihr selbst hätte das auch nicht gefallen. Niemanden würde so etwas gefallen. Und deswegen, mussten sie Kuma einfach helfen. Damit wieder Frieden in seine Heimat kam. 'Der Held will Unrecht wieder gut machen und unschuldige beschützen... Check.' Auch wenn es Otome nicht gefiel, dass ihre Checkliste für den perfekten Protagonisten immer mehr auf sie verwies, wollte sie jetzt nicht den Schwanz einziehen. Es reichte, dass Kuma dies tat, indem er den, von Yosuke gerade so stark kritisierten, Abstand zu ihnen hielt, „Moment, wenn das unsere Einkaufsmeile ist, dann ist Saki-senpais-“ Otome sah zu Yosuke, aus dessen Gesicht alle Farbe wich. Als hätte er einen Geist gesehen, oder eine böse Vorahnung, lief er los, den Golfschläger fest umklammert. Er achtete nicht einmal mehr darauf, ob Otome oder Kuma hinterher kamen, er wollte einfach wissen, was dem Mädchen widerfahren war, was hier mit großer Wahrscheinlichkeit ihr Leben gelassen hatte. Sollte sie wirklich hier gestorben sein, so hatten sie ein Problem, denn dann brachten sie sich Hals über Kopf in Gefahr, wenn sie das ignorierten und blind losliefen. Selbst wenn Yosuke einen Golfschläger hatte und auch wusste mit diesem umzugehen, waren sie nicht sicher, das musste Otome dem Jungen unbedingt vermitteln. Vor dem Schnapsladen kam Yosuke erst zum Stehen und sein Blick wurde bitter. „Ich wusste es...! Das ist der Schnapsladen den Senpais Eltern führen. Bedeutet das... Das sie hier verschwunden ist? Was ist nur passiert?“ Otome rang mit sich. Sie spürte wie aufgebracht und gleichzeitig traurig Yosuke über den Verlust Sakis war, doch sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sicher, sie hätte ihm einfach die Hand auf die Schulter legen und so ihre Anteilnahme kundtun können, aber hätte das geholfen? Otome wusste es nicht. Wenn es um die Gefühle anderer ging, war sie noch nie sonderlich empathisch gewesen. „M-Moment, wartet! S-Sie sind hier!“ Erschrocken wandte sich Otome zu Kuma, der näher auf sie zugelaufen war und nach Yosukes Hemd griff um ihn von der Tür zurückzuziehen. Der leere Körper bebte vor Angst. Angst, die Otome seltsamerweise verstand. Denn auch sie spürte ganz schwach etwas, dass hinter dieser Tür verborgen lag und sich ihnen immer mehr näherte. Es war zu spät, es gab kein Entkommen mehr. „Was?“, rief Yosuke, der nichts von alledem mitbekam und nur den Golfschläger umklammerte. „Shadows... Sie werden uns angreifen!“ Die Worte hatten Kumas plüschigen, geschlossenen Mund nicht einmal verlassen, als auch schon schwarze, dickflüssige Fladen durch die Tür auf den Boden fielen. Wie von Zauberhand erhoben sie sich und nahmen die Form zweier Kugelförmigen Wesen an, aus deren Münder lange roten Zungen reichten, die nur darauf zu warten schienen von dem Angstschweiß der Menschen zu naschen. Yosuke ging einige Schritte zurück, stolperte aber und ließ den Golfschläger fallen. Im Angesicht dieser Gefahr waren alle Vorsätze Otome zu beschützen dahin. Er wusste, dass sie sterben würden, Hier und Jetzt, genau wie Saki. Es war aus. „Verdammt! Das lasse ich nicht zu!“ Es war der Kampfschrei einer Amazone den Otome ausstieß, als sie an Kuma, der zu ihr gelaufen war, vorbeilief und auf Yosuke zuhetzte. Sie wollte noch nicht aufgeben. Sie wollte nicht kampflos hier sterben. Ohne darüber nachzudenken, bückte sie sich nach dem Golfschläger und hob diesen vom Boden auf. Fest umklammerte sie ihn und ging in ihre angelernte Kampfhaltung. Egal was es kostete, sie würde Yosuke beschützen und dafür sorgen, dass er sicher hier rauskam. „Kuma! Bring Yosuke hier weg. Ich werde euch genug Zeit verschaffen!“ Sie hatte alles, was sie an Mut aufbringen konnte in ihre Worte gelegt und sie so sicher klingen lassen, dass nicht einmal sie daran zweifelte, dass sie es wirklich schaffen konnte. Doch zu spät. Yosuke und Kuma konnten nicht mehr fliehen, denn sie wurden umzingelt von diesen Wesen, die Kuma als „Shadows“ bezeichnet hatte. 'Dann kämpfen wir uns den Weg frei!' Erneut stieß Otome einen Kampfschrei aus und lief auf eine Gruppe Shadows zu. Sie hob ihre Waffe und schlug auf die Wesen vor sich ein, die unter der Wucht des Schlages nachgaben und wieder als dickflüssige Maske zu Boden fielen. Stück für Stück, beseitigte sie die Wesen, die ihr im Weg standen. „Otome! Pass auf!“ Erschrocken wegen Yosukes Warnung, fuhr sie herum und erkannte, dass sie gefangen war. Die besiegten Shadows erhoben sich wieder vom Boden und versperrten ihr den Weg und die Sicht auf Kuma und Yosuke. 'Er ist verloren wenn...' Sie musste zurück. Sie musste zurück zu Yosuke, denn mit Sicherheit war er nun, da er schutzlos war, leichte Beute. Aber was wenn sie wieder dort war? Diese Wesen waren unbesiegbar. Sie mussten doch einen Weg finden, wie sie diese Monsterhorden minimieren konnten. Es musste einen Weg geben. „Otome, hilf-“ Nachdenken konnte sie später. Sie musste vorerst zu Kuma und Yosuke. Vielleicht wusste der Bär ja einen Schwachpunkt. Das wäre zumindest gut, denn auf Dauer konnte sie den Kampf nicht halten. Wieder kämpfte sie sich durch die Horden und kam zurück zu Yosuke, der umzingelt von den Shadows am Boden hockte. Er wich ihnen nur aus, wenn sie über ihm hinweg flogen, was ihnen scheinbar einen heiden Spaß bereitete. Sie spielten mit ihm, wie eine Katze mit der Maus, bevor sie diese verschlang. „Wir müssen ihn retten, kuma!“ So schnell Kuma konnte, tapste er auf Otome zu, die den Golfschläger fester umklammerte. Das wusste sie auch, dass sie Yosuke retten mussten, nur wie? Diese Dinger standen immer wieder auf und im Gegensatz zu ihr, setzte ihnen diese Welt nicht zu. Denn mit der Zeit, spürte Otome wie am Tag zuvor den Einfluss dieser Welt auf ihren Körper. Ihr Kopf schmerzte und ein Brummen in ihren Gedanken ließ diesen Schmerz noch heftiger werden. 'Ich muss Yosuke retten... Ich muss ihn retten, es ist immerhin meine Schuld, dass wir diese Welt entdeckt haben! Bitte... Gib mir die Kraft ihn zu retten!' Es war ein stummes Gebet, das Otome an die Götter schickte. Eines, dass erhört wurde, als ihre Kopfschmerzen schwanden und durch eine tiefe, männliche Stimme ersetzt wurden. Ih seiet ihr... und Ihr seiet Ih... Die Zeit ist gekommen! Öffnet eure Augen und rufet, was in euch schlummert! Zusammen mit ihren Kopfschmerzen verklang auch die Stimme. „Was ist das, kuma?“ Verwirrt sah Otome zu Kuma, der auf ihre rechte Hand zeigte. Wann hatte sie die eigentlich von dem Golfschläger genommen? Das war Otome unerklärlich, genauso wie die Karte, die sie in der Hand hielt. Eine Karte, die auf der Rücken eine Maske hatte, zweigeteilt, eine Hälfte schwarz, die andere weiß. Das Bild kannte sie, sie hatte es schon einmal gesehen. Bei Igor. 'Eine Tarotkarte?' Verwundert drehte sie die Karte. Doch nichts, kein Bild, kein Figur, kein Zeichen, dass dies eine Tarotkarte war. Und dennoch schlich sich ein Lächeln auf Otomes Gesicht. 'Der Held erweckt seine geheimnisvolle Fähigkeit... Check.' Kaum dass dieser Gedanke gedacht war, leuchtete die Karte auf. Ein warmes, elektrisierendes Gefühl erfüllt sie. Es war vertraut, als kannte sie es schon seit Ewigkeiten. Sie wusste, dass sie keine Angst mehr haben musste, denn sie konnte diese Shadows besiegen. Mit einer Macht, die tief in ihr verborgen lag. Die soeben endgültig erweckt wurde. Eine Macht, für die es nur ein Wort gab, welches Otome unbewusst, mit einem manischen Lächeln aussprach. „Per... So... Na!“ Die letzte Silbe war gesprochen und mit aller Kraft zerdrückte Otome die Karte. Zwischen ihren Fingern stoben Blitze hervor, die den grollenden Donner beschworen. Wolken zogen auf und ein Blitz ging direkt hinter Otome auf die Erde nieder und erhellte die Umgebung. Erstarrt hatten die Shadows ihren Angriff auf Yosuke abgebrochen und wandten sich Otome zu, hinter der sich eine maskierte Gestalt mit einem überdimensionalen Schwert und einem wehenden, schwarzen Mantel erhob. Wortlos fixierte das Wesen mit göttlicher Anmut seine Gegner und ließ sich anmerken, dass er das bisherige Treiben der Shadows nicht weiter dulden würde. Kapitel 6: Jiraiya ------------------ April 15 Otome musste sich nicht umdrehen um zu verstehen, wer oder was hinter ihr stand. Sie spürte die Macht des Wesens, dieser Persona, von der sie wusste, dass sie Yosuke und auch sie beschützen konnte. Mit einem Mal wusste sie, was zu tun war und sie fühlte sich so sicher. „Zio!“ Sie streckte ihre Hand aus und verwies damit auf die Shadows die ihren Klassenkameraden Yosuke bedrohten. Sie musste dafür sorgen, dass er sicher war und ihre Persona konnte das tun. Auf ihren Befehl hörend, sammelte das Wesen hinter ihr Energie und schoss unzählige Blitze auf die Monster, die durch die elektrisch geladenen Strahlen zerfielen. Kurz wandte sich Otome zu dem Wesen um, dass ihren Blick erwiderte. Deutlich hörte sie die tiefe, grollende Stimme des Wesens in ihrem Kopf, fast so, als wäre es ihre eigene, verzerrte. „Ich verlasse mich auf dich, Izanagi.“ Das Wesen hatte ihr seinen Namen genannt, stumm für alle anderen. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, denn sie wusste, dass nun alles gut werden würde. Nickend wandte sich die Persona um und hob sein Schwert, bereit die Front hinter sich zu lichten. Otome wollte die Arbeit aber nicht nur ihrem übernatürlichen Partner überlassen. Sie hatte auch eine Aufgabe und auf diese wollte sie sich nun konzentrieren. Ohne zu zögern, lief sie los und hob ihren Golfschläger. Sie war bereit zuzuschlagen und jeden Feind zu vernichten, der sich Yosuke nähern wollte. „Du muss die Masken zerstören, kuma. Und setze Elektrizität gegen die Shadows ein!“ Verwundert sah Otome hinter sich. Kuma folgte ihr auf Schritt und Tritt, doch etwas war anders. In seinen Augen leuchtete etwas wissendes auf. Fast so, als hätte er ihre Gegner bereits analysiert. Wenn dem so war, dann konnten sie nur gewinnen. „Verstanden!“, rief sie ihm zu und holte aus. Mit ganzer Kraft schlug sie auf die Maske eines angreifenden Shadow. Sie zersprang sofort und kaum dass die Einzelteile zu Boden gefallen waren, löste sich der Shadow genauso auf wie jene, die Izanagi mit seinen Blitzen erledigt hatte. Immerhin in diesem Punkt hatte Kuma recht. Supportiv hatte er es drauf. „Pass auf, links!“ Otome verließ sich vollkommen auf Kuma, der dicht hinter ihr blieb und die Angriffe ihrer Gegner vorauszuahnen schien. Sie sah nicht einmal hin, als sie ausholte und sich um 90 Grad drehte um einen weiteren Shadow den Gar auszumachen. 'Izanagi, Ziele auf die Masken und benutze Zio!' Im Geiste koordinierte Otome gerade die Angriffe ihrer Persona, während sie sich um den Schutz Yosukes kümmerte. Mehr konnte sie nicht tun, denn schon diese aufrechterhaltene Beschwörung dieser Persona ging an ihre Essenz. Sie verdankte es wahrscheinlich ihrem Adrenalin, dass sie noch immer aufrecht stand und das Gefühl hatte, dass sie auch noch einige Minuten durchhalten würde. Mit einem letzten Schlag, beseitigte Otome auch die letzte Maske von dem verbliebenen Shadow. Die Vibrationen unter ihren Füßen hatten schon vor einigen Minuten aufgehört und Izanagi hatte ihr garantiert, dass er seinen Teil der Arbeit erledigt hatte. Als auch dieser Shadow das Zeitliche segnete und dahin zurückkehrte, wo auch immer er hergekommen war, erlaubte es sich Otome, ihrer Erschöpfung nachzugeben. Müde sank sie auf ihre Knie und bedankte sich bei der Persona, die zu ihr schwebte und respektvoll auf sie herabblickte. Sie erwiderte seinen Blick und beobachtete, wie er durchsichtig wurde, bis schließlich alles, was von ihm verblieb eine einzelne Karte war, die zu ihr herabsank. Otome erkannte die Karte sofort wieder, es war jene gewesen, die sie in der Hand gehalten hatte, bevor sie mit ihrer Zerstörung ihr anderes Ich beschworen hatte. 'Anderes Ich... das hat er gesagt', erklärte sie sich selbst, während sie die Karte auffing und auf das Bild ihrer Persona sah. Das war es also, ihr anderes Ich. Der Urgott Izanagi. „Wow... W-Was war das? Habe ich dich wirklich Persona sagen hören? Was war das? I-Ich meine... Wie hast du das gemacht? Glaubst du ich kann das auch?“ Stumm seufzte Otome, als sie Yosuke vernahm, der sich vor sie stellte und ihr die behilflich die Hand reichte. Woher sollte sie wissen, ob er das konnte? Sie hatte bis eben gerade nicht einmal selbst gewusst, dass sie diese Fähigkeit besaß. „Beruhige dich, Yosuke. Du belästigst Sensei, kuma.“ Sensei? Fragend sah Otome zu Kuma, der in diesem Kampf hilfreicher als Yosuke selbst gewesen war. Seine Ankündigungen, von welcher Seite ein Feind kam und was ihre Schwachpunkte waren, hatten sich als richtig erwiesen, was Otome ehrlich gesagt überrascht hatte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass der Bär wirklich so ein nützlicher Support sein konnte, doch nun da sie es wusste, fühlte sie sich auf seltsame Art und Weise sicher mit ihm. Dennoch, ihr war nicht klar, warum er sie als „Sensei“ bezeichnete. „Gott allmächtiger, kuma! Du bist unglaublich, Sensei! Ich bin wirklich bäreindruckt, kuma.“ Bäreindruckt? Hatte Kuma eben einen Wortwitz versucht? Otome war sich nicht ganz sicher ob Kuma sich dessen bewusst war und er versuchte sie zum Lachen zu bringen, oder ob es seiner Art entsprach so etwas zu sagen. „Ich kann nicht glauben, dass so eine unglaubliche Kraft in dir steckte, kuma. Kein Wunder, dass die Shadows Angst vor dir hatten! Kann es sein... Kann es sein, dass du die Fähigkeit besitzt andere in diese Welt zu bringen?“ Schweigend nickte Otome auf Kumas Frage und machte sich schon darauf gefasst, von ihm erneut als Täter bezeichnet zu werden. Doch genau diese Behauptung blieb aus, was Otome wirklich verwunderte. „Hey! Wieso nennst du sie Sensei und sprichst mich so respektlos an?“ Otome konnte nicht anders als bei Yosukes Einwand loszulachen. Es war alles so unwirklich. Shadows, Personas und die Tatsache das sie Yosuke gerettet hatte. Die Einzige von ihm war aber nur, das Kuma ihn respektlos ansprach. Sie konnte einfach nicht mehr anders als lachen, auch wenn sie die verwunderten Blicke von Yosuke und Kuma erntete. „Entschuldigt. Mach nur weiter so, Yosuke-sensei“, erklärte sie lachend und rieb sich ein paar Tränen aus dem Augenwinkel. Yosuke war wahrlich nicht der Protagonist eines Animes, aber er schaffte es zu einem passablen Sidekick oder viel mehr, Freund der sich um einen sorgte und zum Lachen brachte. „W-Wie auch immer, machen wir weiter mit unserer Ermittlung.“ Verlegen räusperte sich Yosuke und sah zurück zu dem Eingang, aus dem zuvor die Shadows gekommen waren. Otome sah deutlich genug, dass er mit sich haderte, immerhin konnte dahinter noch mehr dieser Shadows sein. „Kuma, spürst du noch Shadows?“, fragte Otome deswegen und sah zu Kuma, von dem sie schnuppernde Geräusche hörte. Der Bär schien erschnuppern zu wollen, was dahinter zu war. Wenn das klappte, so absurd es auch war, wussten sie immerhin genaueres. „Ich wünschte Junes würde untergehen...“ Stimmen wurden laut und in Gemurmel, von dem nicht alles gut hörbar war. Dennoch waren einige laut genug um durch das Gewirr zu kommen. „Das ist alles die Schuld von diesem Laden.“ Otome konnte nicht behaupten, dass die Stimmen ihr bekannt vorkamen. Es waren vielmehr die Worte, die sie von Chie in ähnlicher Form und auch von anderen Bewohnern Inabas gehört hatte. „Ich habe gehört, dass Konishis Tochter dort arbeitet. Oh wie kann sie nur, wenn ihre Familie so leidet? Ich hörte, dass ihre Verkäufe zurückgegangen sind und das nur wegen Junes. Der arme Mann, dessen Tochter für den Feind arbeitet. Was für ein missratenes Kind.“ Stadtgeschwätz. Das war der erste Gedanke, der in Otomes Kopf erschallte. Das war typischer Tratsch und Klatsch, doch er hatte eine starke Wirkung auf Yosuke, der förmlich darum flehte, dass die Stimmen verstummten und nicht mehr so über Junes und Saki sprachen. „Hey, Kuma. Du sagtest, dass dieser Ort für jene, die hier sind, Realität ist. Bedeutet das, dass dies Senpais Realität war, als sie sich hier befand?“ Schweigen machte sich breit. Scheinbar wusste auch Kuma nicht genau ob dies auf sie zutraf. „Ich weiß nur, was hier ist“, murmelte Kuma betreten und wandte seinen Blick von Yosuke ab. Ihm war es unangenehm die Frage nicht beantworten zu können. Das sah Otome nur zu deutlich. Sie wollte aber nicht darauf zu sprechen kommen. Kopfschüttelnd, wandte sich Otome von den beiden ab und ging schon einmal vor ins Gebäude. Sie hatte bisher den Schnapsladen noch nicht von Innen gesehen und bisher hatte sie auch gut darauf verzichten können. Dojima hätte es nicht erlaubt, dass sie an einen Ort für Erwachsene ging. Schon gar nicht einen Schnapsladen. „Verdammt nicht schon wieder!“ Unter das Stimmgewirr, an das sich Otome von Sekunde zu Sekunde mehr gewöhnte, mischte sich Yosukes Stimme, der dicht hinter ihr den Laden betrat. Ihr war klar, dass er die Anfeindungen gegen Junes nicht ertrug, sie hätte es wohl auch nicht getan, wenn sie in seiner Position gewesen wäre. „Saki! Wie oft muss ich dir das noch sagen? Du weißt doch, was die Nachbarn sagen! Schämst du dich nicht? Du bist die älteste Tochter der Familie, die diesen Laden bereits seit Generationen führt. Ist es wegen Geld? Oder triffst du dich dort mit einem Jungen? Sag mir einfach, warum du ausgerechnet DORT arbeiten musst.“ Die Worte des Mannes, der eindeutig der Vater Sakis sein musste, klangen hart und vorwurfsvoll. Verachtet von den Nachbarn, von den Eltern missverstanden. Das wäre für jeden zu viel gewesen. Genauso wie es für Yosuke schon zu viel war. Denn er hatte all das scheinbar nie bemerkt. „Willst du mir wirklich weiß machen, dass Senpai die Sache SO gesehen hat?“ Verzweiflung lag in Yosukes Stimme. Verletzlichkeit, die nur mehr Ausdruck von dem war, was er über Saki wusste und vor allem nicht wusste. Murrend versuchte er die Stimmen zu ignorieren, wurde aber schnell auf den Tresen aufmerksam, auf dem bunte Prospekte von Junes lagen. Sie waren zerschnitten und über den Tresen verstreut, wie ein Puzzle, dessen Teile man erst finden musste um es zusammenzusetzen. Doch zwischen all diesen Teilen lag ein zerschnittenes Gruppenfoto. Otome erkannte die Schürzen, welche die Angestellten Junes trugen und unter ihnen war Yosuke und auch Saki. Sie standen nebeneinander und wirkten glücklich. Zumindest Yosuke wirkte glücklich, denn in Sakis Lächeln lag etwas trauriges und falsches. Fast so als zwang sie sich dazu. Nur wieso? „Ich hatte nie die Chance es zu sagen... Ich wollte Hana-chan immer sagen... Das er absolut nervig ist. Ich war nett zu ihm, weil er der Sohn des Ladenmanager war. Das ist alles. Aber er hat das vollkommen falsch verstanden und machte sich Hoffnungen... Was für ein Idiot.“ Langsam wandte Otome ihren Blick zu Yosuke, von dem sie nur zu deutlich sah, wie eine Wagenladung von Steinen auf ihn fiel. Sie begruben ihn unter sich, wie eine Lawine „Wen interessiert schon Junes? Wegen diesem Laden ist das Geschäft ruiniert, meine Eltern hassen mich und die Nachbarn reden hinter meinem Rücken über mich... Ich wünschte es würde verschwinden.“ „D-Das ist eine Lüge! Senpai war niemals so!“ Otome wusste, wie tief betroffen ihr Klassenkamera sein musste, und sie kannte Saki auch nicht gut genug um ihn aufzufangen und aufmuntern zu können. Sie stand einfach daneben und sah zu, wie Yosuke sich quälte und gegen die Worte dieser Welt, der Saki die er hier hörte, ankämpfte. „Es... ist so traurig... Ich bemitleide mich selbst ja so sehr... Wähä~“ Erschrocken sah Otome auf, als sie die verzehrte Stimme Yosukes nicht unweit von ihnen, neben den großen Bannern, erklang. Ihre Augen weiteten sich, als sie den zweiten Yosuke, mit goldenen Augen sah, der ein diabolisches Grinsen auf den Lippen trug und scheinbar Spaß daran hatte, sein Ebenbild so leiden zu sehen. „Eigentlich bin ich derjenige, der alles nervig findet.“ Fest umklammerte Otome den Golfschläger. Sie wusste nicht, woher dieser zweite Yosuke gekommen war oder was er wollte, aber ihr innerliches Gefühl mahnte sie zur Vorsicht. „Wer bist du? I-Ich würde so etwas niemals denken!“ Yosuke stottert. Misstrauisch sah Otome zu ihrem Klassenkameraden. Wenn das alles wirklich nicht wahr war, warum stotterte er dann? Und wenn es wahr war, woher wusste der zweite Yosuke davon, der verächtlich sein Ebenbild dazu aufforderte sich nicht länger selbst zu belügen. „Du bist gut darin so zu tun als seist du glücklich und vollkommen sorgenfrei und das nur, weil du so große Angst davor hast alleine zu sein. Du umgibst dich mit Menschen um dich vor dem Schmerz der Isolation zu schützen. Und was sollte das, dass du für Saki diese Welt erkundest? Hah! Ich kenne den wahren Grund warum du herumschnüffelst...“ Erneut forderte Yosuke sein anderes Ich auf, still zu sein. Doch dieses lachte nur und weckte damit Otomes Neugier. Wenn Yosuke nicht wegen Saki hier her gekommen war, warum dann? Warum hatte er es für nötig gehalten, sich und sie in Gefahr zu bringen? „Wieso hast du solche Angst? Ich dachte ich rede nur Unsinn! Oder vielleicht... Weiß ich wirklich alles was du denkst! Und wieso? Weil ich DU bin! Du bist doch nur hergekommen, weil du dachtest, dass es toll werden würde. Was gibt es denn sonst anderes in diesem Drecksloch? Eine Welt im Fernseher. Das ist wirklich interessant. Es gab keinen einzigen anderen Grund hier her zu kommen!“ Die Worte des anderen Yosukes waren schmerzhaft. Otome fühlte sich benutzt, denn wenn Yosuke wirklich nur hergekommen war um etwas Spaß zu haben, dann hatte er sie benutzt und grundlos in Gefahr gebracht. „Du versuchst nur wie die große Nummer zu wirken. Wenn alles gut läuft, vielleicht könntest du ein Held sein! Vor allem wenn du das Mädchen beschützt, dass dich als einzige hier her bringen könnte. Du wolltest dich bei ihr anbiedern, sie von dir, dem großen starken Mann abhängig machen, weil sie auf einmal im Mittelpunkt stand. Du wolltest ihre Aufmerksamkeit um nicht einsam zu werden. Und was ist der niedlichen Senpai? Ihr Tod war doch die perfekte Ausrede für deinen Besuch in dieser Welt.“ Otome verzog das Gesicht. Es war schon hart das zu hören und zu verstehen, dass die Freundlichkeit Yosukes nur gespielt war. Oder... Vielleicht nicht vollständig gespielt. Aber es war klar für sie, dass Yosuke von Anfang an ein paar Hintergedanken hatte. „Das stimmt nicht! Was bist du überhaupt? Wer bist du?“ Ein verspieltes Lachen kam von dem zweiten Yosuke, der auf Otome und ihren Mitschüler zu lief und vor ihnen zum stehen gab. Etwas bedrohliches lag in der Luft und die Stimme Izanagis mahnte Otome in ihrem Geist zu noch mehr Vorsicht. Unbemerkt von dem zweiten Yosuke, schob Otome ihre Hand in die Rocktasche, in der die Karte Izanagis ruhte. Sie musste im Notfall schnell handeln. „Ich habe es dir doch bereits gesagt. Ich bin DU! Dein Shadow! Es gibt nichts über dich, was ich nicht über dich weiß!“ Hämisches Gelächter machte sich breit, zusammen mit einem besorgten Blick von Yosuke an Otome. Sie sah es nur zu deutlich, wie er litt, wie sehr die Wahrheit ihn schmerzte und das es ihm leid tat. Gleichzeitig, war ihr Blick von dieser unterschwelligen Angst beseelt. Angst, weil sie sah was die Wahrheit war. „Verdammt, du! Ich kenne dich nicht! Du bist nicht Ich, du Mistkerl!“ Die Atmosphäre änderte sich schlagartig, als Yosuke den anderen ablehnte und weiterhin bestritt, dass dieser Er war. Das war alles, worauf er andere hingearbeitet hatte. Mit einem zufriedenen Lachen, beschwor der andere Yosuke die Dunkelheit aus seiner näherliegenden Umgebung. „Hahahahaha! Genau, sag es noch einmal!“, rief Shadow-Yosuke, der sich in die Dunkelheit einhüllte und es nur noch mehr genoss, wie Yosuke ihn ablehnte, sich gegen ihn wehrte und ihn nicht eine Sekunde lang als sein Ebenbild, sein verborgenes Ich akzeptieren wollte. „Genau! Ich bin jetzt Ich. Siehst du, ich bin nicht mehr du!“ Die Worte des Schattens klangen bitter, beinahe schon verletzt und traurig. Yosuke hatte ihn, der wohl nur ein Teil von ihm war, abgelehnt und wehrte sich vehement gegen diese ungern gezeigte Seite. Es musste schmerzen und ihn einsam machen. Wer hätte da nicht darauf gehofft, ein eigenständiger Teil zu werden, wenn das eigene Ich einen Ablehnte. „Er dreht durch!“ Otome nickte ernst und sah zu Yosuke, der ins Wanken geriet. Etwas schien ihm der Schatten seiner Selbst zu entziehen. Etwas, dass ihm das Bewusstsein raubte. Otome reagierte blitzschnell und fing ihren Klassenkameraden währenddessen Yosukes Shadow eine Form annahm, die ihrer Persona glich. Und dennoch war alles anders. Mordlustig blinzelte der Shadow sie an und verkündete was sie erwarten würde. „Ich bin ein Shadow... Das wahr Ich. Ich werde alles zerstören was mich langweilt. Angefangen mit dir!“ Otome konnte gar nicht so schnell reagieren, wie der Shadow sie mit einem Windangriff attackierte und sie zusammen mit Yosuke gegen eine Wand am anderen Ende des Zimmers schleuderte. „Wie lange wirst du das hier überleben?“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht erhob sich Otome wieder vom Boden und hob ihren Golfschläger auf. Erneut schob sie die Hand in ihre Tasche, doch dieses Mal zog sie ihre Karte hervor und zerdrückte sie vor den Augen des Shadows. „Sensei ist alles okay, kuma?“, fragte Kuma, der aufgeregt zu Otome gelaufen kam, die ihn nur schweigend ansah. Natürlich war nichts okay. Dieser Shadow war anders als die anderen und sie konnte nicht abstreiten, dass es sogar mulmig wurde. „Kuma! Was sind seine Schwachpunkte!“ Otome wollte trotz dieser Übermacht nicht aufgeben. Noch dazu sah sie keine Maske die sie zerschlagen konnte. Es musste also einen anderen Weg geben, diese Seite von Yosuke zu besiegen, ohne auch noch ihr letztes bisschen Kraft zu verbrauchen. „Du musst aufpassen, Sensei. Izanagi ist schwach gegen Windattacken, kuma. Sollte Shadow-Yosuke erneut eine Windattacke einsetzen, musst du Izanagi befehlen sich zu verteidigen, kuma!“ Ernst nickte Otome und sah zu ihrer Persona, der sie diese Worte Kumas weiterleitete. Izanagi verstand sofort und wusste auch, was es zu tun galt. Ohne zu zögern, beschwor es Blitze, die auf den Shadow zurasten. Doch dieser, der noch so fit war, wich ihnen gekonnt aus, indem er über Izanagi hinweg sprang und vor Otome und Yosuke wieder zum stehen kam. „Hehe, das war es? Wie langweilig...“ Natürlich war das noch nicht alles, was Izanagi und Otome zu bieten hatten, allerdings wollte sie nichts überstürzen. Sie brauchte Hilfe und der einzige der sie ihr gerade geben konnte, war Kuma. „Ich fragte nicht, was Izanagis Schwächen sind, sondern die von Shadow-Yosuke. Ich sehe keine Maske die ich einfach so zerschlagen könnte.“ Aufmerksam beobachtete Otome den Kampf den Izanagi alleine ausfocht, indem er die Aufmerksamkeit von Shadow-Yosuke immer wieder auf sich zog. Auf kurz oder lang würde nicht einmal die übermächtige Persona das mitmachen. „Ich weiß es nicht, kuma. Versuch seine Schwäche zu finden. Mit den Blitzen von vorhin, sollte man ihn aber für einige Zeit aufhalten können.“ Verstehend nickte Otome und gab Izanagi den Befehl sofort zu seinem Zio-Angriff. Ohne Wiederworte zog der Gott sein Schwert, woraufhin eine Wolke über ihm aufzog. Als wäre die Waffe eine Verlängerung seines Armes, zeigte er auf Shadow-Yosuke und entließ grelle Lichtblitze aus der graublauen Wolke. Wie schon zuvor gelang es dem Shadow einigen der elektrischen Stößen auszuweichen, doch jene die trafen, zogen tiefe Furchen in den Körper des Shadows. Otome nahm dies als ihre Chance war. Ihrer Müdigkeit nicht länger nachgebend, erhob sich Otome und umklammerte fest den Schläger. Er war zwar nicht scharf wie ein Schwert, aber mit genug Kraft, konnte sie die Furchen tiefer machen, oder zumindest dem Shadow genug Schmerz zufügen, damit er in die Knie ging und seine ursprüngliche Form wieder annahm. Zeitgleich mit ihrer Persona, stürmte Otome, synchron mit erhobenen Schwert auf den Shadow zu. Dieser wollte dem ausweichen, indem er mit seinen riesigen Händen nach Izanagi schlug. Er schien die Persona für die größere Bedrohung zu halten, sehr zu seinem Nachteil. Gezielt schlug sie auf die Furche, woraufhin Shadow-Yosuke in die Knie ging. „Du wirst langsam richtig nervig... Na schön, ich werde dich zerquetschen, mit allem was ich habe!“ Otome wollte gerade zurückweichen, als Shadow-Yosuke sie packte und einen Teil seiner Macht in seine Hand konzentrierte, mit der er zudrückte. Sie hatte das Gefühl, jeden einzelnen Knochen zu spüren, wie sie sich anspannten und kurz davor standen gebrochen zu werden. Ein leiser Laut des Schmerzes entwich ihren Lippen. Sie wollte frei kommen, doch es gab keine Möglichkeit. Selbst ihre Persona, wusste was passieren würde, wenn er den Shadow nun angriff. Er konnte nicht riskieren, dass Otome verletzt wurde. „So einsam bist du also...“, wisperte Otome gequält und sah den Shadow an, der kurz überrascht den Griff um ihren Körper lockerte. Erleichtert lächelte sie auf und atmete tief ein und aus. Erst wenige Sekunden später war ihr bewusst, wie falsch das war. Shadow-Yosuke sah dies als seine Gelegenheit sie erneut würgen zu können. „Du bist etwas widersprüchlich, Yosuke. Aber das ist vollkommen in Ordnung. Wir haben alle soviel mehr was uns ausmacht. Diese Seite ist nur ein Teil von dir. Und das bedeutet nicht, dass du schlecht bist. Dann wolltest du eben hier her um ein Held zu werden, na und? Welcher Junge träumt nicht davon. Das was zählt ist doch, dass du mich wirklich beschützen wolltest.“ Otome konnte nicht anders als ihre Gedanken auszusprechen. Wenn dieses Ding wie vermutet von Yosuke kam, dann musste sie doch irgendwie an es herankommen. Erneut lockerte sich der Griff um Otomes Körper, doch anders als zuvor, ließ der Shadow sie fallen, so dass sie auf dem breiten Kopf der Kröte landete. „Es sollte nur Show werden! Wenn ich die Neue rette, dann werden sie mich alle bewundern. Die Neue wäre Vergangenheit. Ich wäre der Held“, erklärte sich der Shadow und sah auf Otome, die sich erhob. Ihr Körper schmerzte, doch für diesen einen Moment, durfte sie sich diese Schwäche nicht eingestehen. „Und du wirst auch ein Held sein. Ohne dich, wären wir nicht hier her gekommen. Wir hätten nie erfahren, was passiert ist, wenn du nicht unbedingt hier her gewollt hättest. Der Mörder könnte dann einfach weitermachen. Aber nun können wir das verhindern. Allerdings...“ Otomes Blick wurde ernster, als sie zu ihren glorreichen Worten ansetzte. 'Der Held hält einen großartige Rede... Check, denke ich mal' „... dafür musst akzeptieren wer du bist! Und wenn es unangenehm ist, als Held wächst man nur an Herausforderungen, wenn man ihnen entgegensieht, an sich arbeitet und schließlich dieser Herausforderungen meistert. Dafür darfst du aber nicht ablehnen wer du bist!“ „Sensei!“ Otome wandte sich um und sah Kuma, der ihr den von ihr fallen gelassenen Golfschläger zuwarf. Sie stieß sich von dem Krötenkopf ab, sodass sie näher an den Golfschläger kam und diesen fangen konnte. Ein Blick zu dem Shadow zeigte ihr, dass dieser sie nicht angreifen würde, im Gegenteil, er schien mit sich hadern, denn die dunkle Aura, die ihm zuvor diese Form gegeben hatte entwich. Es brauchte nur noch einen Schlag. 'Izanagi, gemeinsam greifen wir jetzt an!' Ihre Persona verstand sofort, was sie vor hatte und beschwor wieder eine Wolke. Otome hingegen holte mit ihrem Schläger aus und sah in Shadow-Yosukes Gesicht. Auch wenn es sie schmerzte, einen Teil ihres Klassenkameraden verprügeln zu müssen, es war besser wenn sie es jetzt tat, als wenn dieser Shadow sich wieder fing und zum Angriff blies. Sie spürte die Blitze an sich vorbeischießen, die in Shadow-Yosukes Körper einschlugen. Schreiend und Ächzend ging dieser zu Boden und wartete nur noch auf den Todesstoß den Otome ausführte, indem sie direkt auf das Gesicht des Shadows zielte. Mit einem Amazonen gleichen Schrei, ließ sie ihren Golfschläger auf den Kopf des geschwächten Gegners rasen. Erst als sie den harten Untergrund unter ihrer Waffe spürte, war sie sich sicher, dass sie getroffen hatte. Mit einem Schrei entließ der Shadow alle dunkle Energie und nahm wieder seine ursprüngliche Form an. Otome war froh, dass Izanagi schnell reagiert und sie sicher auf den Boden getragen hatte. Fest hatte er seine Arme um ihren zierlichen, schmerzenden Körper geschlungen und gab ihr noch einen kurzen Moment den Halt den sie brauchte, bevor er wieder verschwand, in Form einer Karte, von der Otome wusste, dass sie erscheinen würde, wenn sie sie brauchte. „Sensei! Ist alles in Ordnung, kuma?“ Aus Kumas Worten konnte Otome deutlich die Sorgen des Bären hören. Doch ihre Aufmerksamkeit galt jemand anderen. Ihr ging es schließlich soweit noch gut, doch was war mit Yosuke, der plötzlich in Ohnmacht gefallen war? Kraftlos klammerte sich Otome an Kuma, der ihren Blick in Richtung ihres Klassenkameraden richtig deutete und sofort wusste, was sie sagen wollte. Auch wenn es ihm, wegen ihres Gewichtes, schwer fiel auf seinen Beinen zu bleiben, versuchte Kuma sein möglichstes, um ihre im Moment tragende Kraft zu sein und führte sie zu Yosuke, der wieder zu sich gekommen war und sich langsam aufrappelte. „I-Ich...“ Otome sah deutlich, wie unangenehm Yosuke diese ganze Geschichte noch war. Dabei gab es keinen Grund dafür. Mit Sicherheit hatte auch sie die ein oder andere unangenehme Seite, die sie noch niemanden gezeigt hatte. „W-Was ist da eigentlich passiert?“ Kaum dass die Frage über Yosukes Lippen gekommen war, näherte sich sein anderes Ich. Es sah reumütig aus, fast schon entschuldigend, aber gleichzeitig bittend. Es flehte stumm bei Yosuke darum, von ihm akzeptiert zu werden, selbst nicht mehr alleine zu sein. „DU... Du bist nicht... Ich.“ Yosuke brachte es einfach nicht übers Herz, diese Seite von sich zu akzeptieren. Eine Seite die ihm vor Otome so unangenehm war, dass er lieber ein schlechtes Gewissen in Kauf nahm als diesen Teil von sich. „Es kam von dir, Yosuke. Du musst es akzeptieren, kuma, oder es wird wieder Amok laufen.“ Unsicher sah Yosuke zu Otome die seinen Blick erwiderte und nickte. Sie stimmte Kuma zu, noch dazu wollte sie nicht, dass der Shadow erneut durchdrehte, denn ein zweites Mal konnte sie sicher nicht gegen ihn bestehen. Sie hatte ja jetzt schon Probleme sich aufrechtzuerhalten, noch dazu spürte sie allmählich den nagenden Hunger in ihrem Magen. „Yosuke, du musst tapfer sein. Außerdem bist du mehr als das. Das ist nur ein Teil von dir.“ Auch wenn es nicht die Worte waren, die Yosuke vielleicht gerade hören wollte, aber es war die Wahrheit und Otome lag es fern die Wahrheit zu verschweigen. „Verdammt... Es tut weh sich selbst gegenüber zu treten... Ich wusste, dass er nicht lügt. Aber ich war so beschämt, dass ich es nicht akzeptieren wollte.“ Langsam trat Yosuke näher auf sein Ebenbild zu, dass ihn hoffnungsvoll ansah. Es wartete so sehnsüchtig darauf von Yosukes akzeptiert zu werden. Es schien sogar so, dass es sein einziger Wunsch war und es nur aus verletzten Stolz heraus durchgedreht war. „Du bist Ich... Und Ich bin Du. Wenn man es genau betrachtet, ist das alles Ich.“ Glücklich nickte Shadow-Yosuke auf die Feststellung des anderen und löste sich in einem hellen Licht auf. Doch es verschwand nicht, es verwandelte sich in eine Karte, die kurz das Hologramm eines Ninjas in die Luft projizierte. Eine Persona, die einzig und alleine Yosuke gehörte. „Jiraiya...“, wisperte Otomes Mitschüler. Beide wussten sofort was das bedeutete. Yosuke hatte seine Persona erhalten und war damit fähig im Notfall an Otomes Seite zu kämpfen und diese Welt zu überleben. „Das ist also meine Persona...“ Obwohl Otome vor wenigen Stunden noch gedacht hätte, dass Yosuke darüber erfreut sein würde, war seine Reaktion nun doch anders als erwartet. Er war nachdenklich geworden. Vielleicht sogar ein bisschen Erwachsener. „Als wir Senpais Stimme hörten... Ich frage mich, ob das etwas war, dass Senpai verborgen hatte. „Er ist richtig nervig“... Was für eine Art das herauszubekommen. Ich wollte eigentlich dich beschützen und am Ende warst du es, die mich beschützt hat, Otome. Danke.“ Otome merkte, dass Yosuke selbst nicht mehr Fit war, doch er sammelte all seine Reserven um sie, die noch wesentlich geschwächter war als er, zu stützen. „Kuma, wurde Senpai von ihrem Shadow angegriffen? So wie ich?“ Es war das letzte Puzzle, dass in ihrem Puzzle fehlte. Dann hätten sie immerhin herausgefunden, wie die Menschen in dieser Welt gestorben waren. Die Frage wäre dann nur noch gewesen, wer sie in diese Welt geschickt hatte und ob diese Person auch wusste, dass es sie umbringen konnte. „Das glaube ich, ja. Der Ursprung von Shadows sind Menschen, kuma. Manchmal löst sich der Nebel hier auf und dann laufen sie hier Amok. Du hast gesehen was passiert ist. Ein Shadow mit starkem Willen zieht andere an, kuma. Und diese große Menge an Shadows hat die Opfer getötet, kuma.“ Nachdenklich sah Yosuke den Bären an, als habe er endlich alle Zusammenhänge verstanden. Doch nicht nur er wusste nun, was genau geschehen war, auch Otome war nun vollkommen im Bilde. „Damit sind wir in der Lage schneller zu handeln...“, murmelte Otome und sah Yosuke an, der ihr einen verwunderten Blick schenkte. Sie lächelte ihn aufmunternd an, denn immerhin hatte sie ihm damit einen Wink gegeben. Einen Wink, den er nicht verstanden hatte. „Yosuke scheint sehr erschöpft zu sein... Diese Welt ist nicht für Menschen gemacht. Für euch scheint es nicht sehr angenehm hier zu sein. Ich höre keine Stimmen mehr. Damit sind wir hier wohl fertig. Gehen wir zurück.“ Auch wenn Kuma nur darüber sprach, dass Yosuke erschöpft von den ganzen Ereignissen war, so wusste Otome auch, dass Kuma um sie besorgt war. Sie war es immerhin gewesen, die fast alle Kraftreserven im Kampf gegen Yosukes Shadow verbraucht hatte und doch fühlte sich Otome besser. Fast so, als hätte sie ein Level-Up erhalten. **~~** Obwohl Yosuke wirklich erschöpft war, hatte er Otome seine Schulter nicht verweigert. Für diesen Moment wollte er wenigstens seinen Mann stehen und Otome den Halt bieten, den sie brauchte. Sie schätzte das sehr an ihm, denn es gab ihr die Gewissheit, dass sie sich in allen möglichen Situationen auf ihn verlassen konnte. „Der Nebel lichtet sich hier manchmal, kuma. Die Shadows werden dann sehr brutal. Mir wird dann immer so anders. Ich verstecke mich dann, wenn das passiert, kuma! Zweimal habe ich schon Menschen hier gespürt. Beide sind aber verschwunden, als der Nebel sich lichtete...“ Den ganzen Weg über hatte Kuma den beiden Menschen von den Eigenarten dieser Welt erzählt. Allmählich fügte sich alles zusammen. Otome und Yosuke wussten nun, wann sie in diese Welt konnten und wann sie es besser vermieden. Zwar hatten nun beide eine Persona, aber da diese Welt ihnen körperlich auch zusetzte, wollten sie keine unnötigen Risiken eingehen. „Du meinst also, dass wir jemanden der hier her gebracht wird retten können, bevor sie verschwinden und wieder in unserer Welt auftauchen? Genauso wie Otome mich gerettet hat?“ Otome nickte. Das war zumindest das, was sie verstanden hatte. Sie mussten zeitlich nur abpassen, wann es zu Nebel in ihrer Welt kommen würde, damit sie ihre Gelegenheit nicht verpassten und weitere Opfer vermieden werden konnten. „Ä-ähm, darf ich euch auch etwas fragen, kuma? Wenn Shadows von Menschen geboren werden, woraus wurde dann Kuma geboren?“ Verwunderte Blickte tauschten Otome und Yosuke miteinander aus. Woher sollten sie denn wissen, wie Kuma entstanden war? Sie hatten diese Welt erst vor kurzem entdeckt. Dennoch, es war schon interessant zu erfahren, wie Kuma entstanden war. Wenn nur Shadows hier hausten, war Kuma eine sonderliche Existenz. „Du weißt nicht einmal von woher du kommst? Woher sollen wir das wissen?“ Traurig sah Kuma gen Boden und seufzte tief auf. Otome wusste nicht, wie sie den Bären trösten konnte, denn es schien ihn wirklich zu bedrücken, was sie verstehen konnte. Zu wissen wer man war, woher man kam... Als Mensch war das selbstverständlich. Aber Kuma war kein Mensch. Er war ein lebendes, gigantisches Plüschtier ohne Wurzeln. „Werdet ihr... wiederkommen, wenn ich euch rauslasse, kuma?“ Immer noch schien Kuma traurig zu sein. Wer konnte es ihm auch verübeln. Er war der einzige seiner Art in dieser Welt und die ersten Menschen, mit denen er kommunizieren konnte, verließen ihn wieder, weil sie den Umständen dieser Welt nicht lange ausgesetzt sein konnten. Er würde wieder einsam sein, sobald sie durch die Fernseher traten. Mit einem Lächeln trat Otome daher auf den Bären zu und strich sanft über seinen Kopf. „Wir haben dir doch ein Versprechen gegeben. Also wirst du uns wiedersehen. Keine Sorge“, flüsterte sie ihm zu, woraufhin der Bär zu erröten schien. Selbst diese Geste war neu für ihn. Aber doch sehr schön. „Ihr werdet euer Wort halten, kuma?“ Schlag auf Schlag war die Trauer verschwunden und Hoffnung lag in der Stimme des Bären. Otome nickte und lächelte auch weiterhin. Sie würde auf jedenfall wiederkommen und ihr Versprechen halten. Es hing nur noch an Yosuke. „Du hast doch gesagt, du lässt uns nicht raus bis wir dir das Versprechen geben.“ Verspielt zwinkerte Yosuke dem Bären zu, der diesen Wink verstand. „Oh, d-das stimmt. Ich lasse euch raus. Aber eine Sache noch, kuma. Ihr müsst immer vom selben Ort hier herkommen. Wenn ihr das nicht macht, kommt ihr irgendwo anders raus, kuma. Ich weiß nicht, ob ich diesen Ort erreichen könnte. Wenn das passiert seid ihr verloren, kuma.“ Otome gefiel die Vorstellung gar nicht. Sie wollte nicht in dieser Welt gefangen sein. Da bevorzugte sie doch lieber den Weg über den Fernseher im Junes. So konnte sie sich wenigstens sicher sein, dass es immer einen Ausweg gab. „In Ordnung, zeigst du uns nun den Weg nach draußen?“ Eilig nickte Kuma, was aufgrund seiner Körperform, die das Nicken unmöglich machte, weswegen es fast so wirkte als verbeugte er sich. Wie schon am Tag zuvor klopft Kuma mit dem Fuß auf den Boden, woraufhin die aufgestellten Fernseher erschienen. „Okay, zuerst müssen wir dafür sorgen, dass keine Gäste in der Nähe sind.“ Otome nickte. Mit Sicherheit wirkte es nur zu seltsam, wenn plötzlich zwei Jugendliche aus einem Fernsehgerät kamen. Beide würden ganz schön in Erklärungsnot kommen, denn auf eine Promotion Aktion konnten sie es nicht schieben. „Und jetzt geht, geht, geht!“ Kuma schien das ganze nicht zu interessieren. Er kannte ihre Welt nicht und wusste daher auch nicht, was für ein Bild entstehen würde, wenn beide aus dem Fernseher fielen. Er drückte beide Menschen gegen die Bildschirme, wodurch beide gingen und schließlich wieder im Junes landeten. **~~** Otome atmete erleichtert auf, als sie endlich wieder an der frischen Luft, oder viel mehr in der Elektronikabteilung von Junes war. Mit einem Mal fiel ihr die Last der anderen Welt von den Schultern und sie fühlte sich für einen kurzen Augenblick wieder stärker. „I-Ihr seid zurück...!“ Erleichterung schwang in Chies Stimme mit und war nur Ausdruck dessen, was Otome in den Augen ihrer Banknachbarin sehen konnte. Tränen hatten ihren Bahnen auf ihrer Wange gezeichnet und Otome tat es richtig leid, dass sie Chie solche Sorgen bereitet hatten. Ihr wäre es nicht anders ergangen wenn man bedachte, dass die sogenannte Rettungsleine gerissen war. „Wie? Chie? Was soll das lange Gesicht?“ Wie gerne hätte Otome ihm gerade eine harte Ohrfeige gegeben. Empathisch war Yosuke nicht gerade. Es wunderte daher Otome nicht, das Chie ihm das Seil entgegen warf und beide wütend als Idioten bezeichnete. Auch wenn Otome sich davon ungerecht behandelt fühlte, sie konnte es einfach verstehen. Sie hatte aber keine Zeit, sich noch bei Chie zu entschuldigen, denn diese lief wütend davon. „Ich... Ich glaube, dass könnte unsere Schuld sein. Vielleicht sind wir etwas zu weit gegangen.“ Böse sah Otome zu Yosuke, der sofort zuckte und zu verstehen schien, was Otome ihm mit diesem tödlichen Blick sagen wollte. „Entschuldigen wir uns morgen“, sagte Yosuke schnell. Doch an Otomes Stimmung konnte das nichts mehr ändern. Dennoch wollte sie ihm nicht zu lange böse sein. Er hatte sie immerhin in der anderen Welt unterstützt und mit Sicherheit würde er das auch, damit zwischen Chie und ihr wieder alles in Ordnung war. Seit wann ist dir wichtig, ob diese Landeier dich mögen. Otome zuckte zusammen, als sie diese Stimme hörte. Sie klang wie ihre und doch war sie es nicht. Die Stimme in ihrem Kopf klang kalt, gehässig und hatte Recht. Seit wann war es ihr wichtig, ob Chie sie mochte oder nicht? Sie war erst seit einigen Tagen hier und wusste nichts über die Menschen in ihrem Umfeld. Warum war sie dann so sauer auf Yosuke? Warum wollte sie nicht, dass Chie sie hasste? „Ist alles okay?“ Yosuke hatte bemerkt, dass bei Otome etwas nicht stimmte. Sie war blasser geworden und auch dankbar darüber, dass er es bemerkt hatte. „Mann, ich bin vollkommen erschöpft. Ich werde nach Hause gehen und erst einmal eine Dusche nehmen, bevor ich ins Bett falle. Heute Nacht werde ich sicher gut schlafen.“ Otome nickte. Nicht nur Yosuke würde gut schlafen. Auch sie würde mit Sicherheit den Schlaf der Gerechten ersuchen. **~~** Otome war alles andere als begeistert, dass es nun regnete. Glücklicherweise hatte sie den Regenschirm dabei und wurde nicht auch nass. Sie war müde und verabscheute die Tatsache, dass in dieser Kleinstadt alles so nah gelegen war. Sie musste laufen und das obwohl ihre Beine ihr nur widerwillig gehorchten. Sie hatte schon den größten Teil ihrer Strecke zurückgelegt und war gerade an der Flussaue angekommen. Ihr Blick glitt ungewöhnlich unkonzentriert durch die nahende Umgebung und schließlich, nicht weit von sich entfernt, sah sie Yukiko. Das Mädchen saß alleine auf einer Bank und starrte deprimiert auf den Boden. Selbst von dieser Entfernung konnte Otome erkennen, dass etwas nicht stimmte. Dunkel erinnerte sie sich auch daran, dass das Mädchen nicht zur Schule gekommen war, weil sie im Gasthaus ihrer Eltern hatte aushelfen müssen. Vielleicht war das der Grund, warum sie nicht nur deprimiert, sondern auch erschöpft wirkte. Otome wollte eigentlich schon weitergehen, doch Yukiko schien sie bemerkt zu haben und sah zu ihr auf. „Otome? Was machst du so spät noch hier?“ Otome zwang sich zu einem Lächeln und ging auf Yukiko zu. Erst jetzt erkannte sie den rosafarbenen, seidenen Tsukesage. Er stand ihr wirklich gut und einen kurzen Moment erwischte sich Otome dabei, Yukiko für ihre Schönheit zu beneiden. Sie selbst hatte sich nicht einmal zu Tempelfesten getraut einen Kimono zu tragen. Sie hatte nie die richtige Farbe für sich gefunden, obwohl ihre Mutter jedes Jahr gewillt war, ihr einen Kimono zu kaufen. Yukiko bemerkte schnell, wie Otome sie anstarrte. Jedoch deutete sie ihre Blicke falsch und errötete verlegen. „Oh... Bist du überrascht mich so zu sehen? Meine Eltern haben mich losgeschickt ein paar Erledigungen zu machen.“ Verstehend nickte Otome und setzte sich neben Yukiko, die erneut auf den Boden sah. Wieder wurde ihr Blick trauriger und dennoch bemühte sie sich, dass man es ihr nicht anmerkte. „Ähm... Gewöhnst du dich langsam an das Leben hier?“ Otome wusste nicht, wie sie diese Frage beantworten sollte. Wie sollte man sich an das Leben hier gewöhnen? Ihr Onkel war kaum da, die kleine Nanako hatte eine etwas unterkühlte Beziehung mit ihr aufgebaut, sie hatte eine fremde Welt entdeckt, ihr Klassenlehrer hasste sie bis aufs Blut... Ja, mit Sicherheit konnte man sich innerhalb von fünf Tagen an all das gewöhnen. „Irgendwie wird es schon...“, antworte Otome schließlich und sah in den grauen Himmel. Warum sollte sie auch Yukiko darüber berichten, dass sie dieses Leben hier bisher mehr als seltsam fand? Warum sollte sie sich einer vollkommen fremden Person, mit der sie nur in eine Klasse ging, anvertrauen? „Ich bin froh das zu hören. Es muss schwer sein an einem Ort zu leben, über den man gar nichts weiß. Ich war noch nie außerhalb von Inaba, deswegen weiß ich nicht, wie man sich fühlen muss, wenn man als Neue in eine andere Schule kommt. Da fällt mir ein! Wie kommst du mit Chie aus? Ich meine... ich gehe immer früh... deswegen...“ Ein leises Seufzen kam über Otomes Lippen. Yukiko machte sich scheinbar wirklich Sorgen um Chie. Ein Zeichen, dass beide wirklich beste Freundinnen waren, doch gleichzeitig, war da etwas in ihrem Unterton, dass Otome merkwürdig erschien. So etwas wie... Neid? „Chie ist ein gutes Mädchen... ich hab aber keine Ahnung, was sie wirklich von mir denkt. Dafür kenne ich sie einfach noch nicht gut genug.“ Auch wenn Otome Yukiko nicht alles erzählen konnte, so wollte sie doch wenigstens im Bezug auf Chie ehrlich sein. Sie wusste wirklich nicht, was ihre Sitznachbarin von ihr dachte und ob sie nur mit ihr sprach, weil sie eben die Neue war. Dafür kannte sie die Mitglieder dieser Klasse einfach nicht gut genug. „Ich verstehe... Chie ist sehr hilfsbereit. Sie ist es immer, die mir den kleinen Extra-Schub gibt, den ich brauche. Im letzten Jahr waren wir auch schon gemeinsam in einer Klasse und ich erinnere mich noch gut daran, wie wir hin und wieder, gemeinsam den Unterricht geschwänzt haben.“ Otome sah sich Yukiko genau an. Ihre Augen leuchteten als sie von Chie sprach. Sie war glücklich mit diesen Erinnerungen und mit der Tatsache, dass sie und Chie seit Jahren beste Freundinnen waren. Es war erneut an Otome, Yukiko zu beneiden. Sie hatte zwar ihre Freundin Miwako, aber gerade jetzt, da sie ihre Freundin brauchte, war sie nicht hier. „Oh, ich muss langsam gehen. Ich muss einige Angelegenheiten für morgen klären. Unser Gasthaus kommt momentan einfach nicht ohne mich aus. Ähm... Wir sehen uns dann morgen in der Schule.“ Otome nickte und sah Yukiko an, die sich erhob und elegant zu ihrem Schirm griff. Noch in dieser Bewegung öffnete sie diesen und hob sich den schützenden Teil über ihren Kopf. Mit kleinen, aber schnellen Schritten entfernte sich Yukiko von Otome, die ihren Stil und ihre Grazie noch einige Zeit lang bewunderte. Aus ihrer Sicht war Yukiko eine wunderschöne Kirschblüte, doch sie war noch nicht erblüht und Otome fragte sich, ob sie Yukiko noch offener kennenlernen würde. **~~** Eine warme Mahlzeit, eine Dusche und ein grüner Tee. Das war alles was Otome gebraucht hatte um sich von den Strapazen des Tages zu erholen. Auch wenn sie immer noch müde war, so fühlte sie sich doch wesentlich besser. Im Fernsehen liefen gerade die aktuellen Nachrichten des Tages worunter auch der Mordfall von Saki Konishi fiel. „Ein weiterer Fall... Papa wird heute Nacht wohl nicht nach Hause kommen.“ Trauer schwang in Nanakos Stimme mit. Wer konnte es ihr verübeln. Gerade jetzt da soviel in Inaba geschah, bekam sie ihren Vater nur noch selten zu Gesicht. Vielleicht sogar noch seltener als zuvor schon. „Keine Sorge, ich bin bei dir.“ Erneut wollte Otome versuchen sich Nanako anzunähern. Kurz sah das Mädchen sie auch an, doch schnell war der Fernseher wieder viel interessanter. „... Schon okay, mir geht es gut. Hilfst du mir gleich bei dem Haushalt?“ Abgewiesen. So fühlte sich Otome von Nanako. Sie fragte sich, was sie dem Mädchen getan hatte, dass es solche Momente gab, in denen sie Otome einfach so abblitzen ließ, als sei sie gar nicht existent. Erneut zweifelte Otome daran, dass sie sich hier wie zu Hause fühlen konnte, wenn sie nicht einmal bei ihrer eigenen Cousine Willkommen war. So sind die Menschen. Bist du nicht von Nutzen für sie, bist du ihnen nicht Willkommen. Otome verzog das Gesicht, als sie erneut diese Stimme hörte. Die Worte schmerzten, lösten ein unangenehmes Pochen in ihrem Kopf aus und versuchten sich in ihren Geist als einzig wahre Wahrheit zu schleichen. Otome wollte diese Gedanken nicht zulassen. Sie war sicher willkommen. Sie brauchte nur etwas Zeit um mit Nanako warm zu werden. „Das ist langweilig...“ Es waren Nanakos Worte, die sie aus ihren Gedanken heraus rissen. Otome sah zu dm Fernseher und erkannte eine Sendung, in der auch Yukiko zu sehen war. Ihr Blick war verzweifelt, etwas überfordert. Wahrscheinlich hatten die Reporter sie eiskalt erwischt. Doch gerade als Otome mehr darüber erfahren wollte, schaltete Nanako den Fernseher aus und stand auf. „Ich muss den Abwasch machen.“ Vielleicht war das ihre Chance. Otome erhob sich ebenfalls und sah Nanako an. Sie wollte ihrer Cousine helfen. Immerhin hatte sie lange genug den Haushalt alleine gemacht. Solange sie hier lebte, konnte sie sich doch auch nützlich machen. **~~** Ob sich Nanako wirklich während der Hausarbeit geöffnet hatte, konnte Otome nicht sagen. Aber ihre Cousine hatte gelächelt und gemeinsam hatten sie sogar etwas Spaß. Otome freute sich darüber, dass ihre Cousine sie als helfende Hand akzeptiert hatte und ließ sich erschöpft auf der Couch in ihrem Zimmer fallen. Sie schloss einen Augenblick die Augen und lauschte dem trommelnden Regen, der gegen ihre Fensterscheiben prasselte. Es war eine beruhigende Stille. Sieh in den Fernseher... Es war nicht die Stimme, die schon ein paar Mal an diesem Tag gehört hatte. Im Gegenteil. Diese, konnte sie gerade zuordnen. Es war Izanagi, der ihr etwas sagen wollte, weswegen sie die Augen öffnete und zum Fernseher sah. Was sollte sie da sehen? Kurz sah Otome auf die Uhr und wurde sich mit einem Mal bewusst, was sie im Fernsehen sehen sollte. Es war kurz vor Mitternacht. Nur noch wenige Sekunden würden verstreichen bis der Midnight Channel auf Sendung ging. Die Umstände dafür waren heute ideal. Es regnete und die Zeit war bald gekommen. Ob sie wieder einen Mord sehen konnten? Oder würde sich der Mörder selbst zeigen? Otome erhob sich von ihrem Platz und ging auf den Fernseher zu. Sie wollte alles so genau wie möglich sehen. Schließlich hatte Izanagi sie nicht ohne Grund auf den Fernseher aufmerksam gemacht. Ihre Persona spürte sicher, dass etwas passieren würde. Es dauerte auch nicht lange, bis auf dem schwarzen Bildschirm ein Bild aufflackerte. Wieder war das Bild unscharf, doch anders als das letzte Mal, konnte Otome nur eine Silhouette erkennen. Sie erkannte nur einen Kimono, was seltsam war, denn sie hätte schwören können, dass diese Person ihr vielleicht vertraut war. Die Frage war nur, ob diese Person bereits auf der anderen Seite war, oder nicht. 'Ob ich die Person berühren kann, wenn ich mit der Hand den Bildschirm anfasse?' Es war ein seltsamer Gedanke, der Otome kam, gleichzeitig wurde sie aber auch neugierig. Vorsichtig streckte sie ihre Hand nach dem Bild aus, berührte das Bild, dass verschwamm, streckte ihre Finger zur andere Seite aus. Sie spürte nichts, nur Leere und kurz darauf verschwamm auch endgültig das Bild der unscharfen Silhouette. **~~** Otome hatte sich bereits vor Stunden von dem Fernseher abgewandt und starrte auf ihr Handy. Während sie mit Yosuke in der anderen Welt gewesen war, hatte Miwako zehn Mal versucht sie zu erreichen. Sie hatte es vergessen. Vollkommen. Und jetzt, da es nach Mitternacht war, brauchte sie nicht mehr anrufen. „Miwa... ich weiß ich habe gesagt, dass ich heute auf dich warte. Ich melde mich Morgen bei dir, versprochen. Dann erzähle ich dir von den unglaublichen Dingen die hier passiert sind. Es tut mir wirklich leid. Wie läuft das neue Schuljahr bei dir? Mit wem bist du in einer Klasse? Vermissen mich einige?“ Otome hoffte, dass ihre Freundin nicht sauer auf sie war. Mit Sicherheit würde sie alles verstehen, wenn sie nur die Chance bekam. Immerhin war so eine andere Welt nicht normal. Wobei, vor etwa zwei Jahren war schon einmal etwas geschehen, dass nicht normal war. Damals, als sie und viele andere Menschen um Punkt Mitternacht in der Dunkelheit gestanden hatten. Irgendetwas war damals passiert, dass spürte sie, jetzt noch mehr denn je, doch sie hatte es vergessen. Müde schüttelte Otome diese Erinnerung ab und ging zu ihrem Futon, in den sie sich legte und schloss die Augen. Morgen würde endlich ein normaler Tag sein. Keine andere Welt, keine Shadows, keine Personas... Das alles würde für den nächsten Tag nicht von Relevanz sein. Es würde nur sie und ein klärendes Gespräch mit Miwako geben. Kapitel 7: Broadcast -------------------- April 16 „Es ist so kalt... Warum haben mich alle im Stich gelassen?“ Die Kälte kroch an ihrem Körper hoch und ließ ihre knochigen Gebeine erzittern. Der dünne Stoff ihres weißen Kimonos schützte nichts von der Haut, die von ihrem Körper faulte und nichts weiter als Leere zurück ließ. „Er hat mich verlassen... Er hat mich wirklich zurückgelassen...“ Ihre ausgehöhlten Augen sahen sich um. Ihre ganze Welt war erfüllt von Nebel der undurchdringbar war. Sie sah die Gestalten der Unterwelt in schattigen Formen um sie kriechen. Sie warteten nur darauf, dass sie ihr Bewusstsein verlor und sie ihre letzte Menschlichkeit verschlingen konnte. Es war nichts mehr von ihrer einstigen göttlichen Pracht verblieben. Nur noch Hass und Zorn auf das einzige, göttliche Wesen, dem sie vertraut hatte. Er hatte sie verraten, sie nur geliebt, weil sie einst schön gewesen war und jetzt, da sie das hässliche Abbild der Vergänglichkeit war, hatte er sie abgelehnt. „Er wird es büßen... er und seine geliebten Menschen werden es büßen... Er wird zusehen müssen... wie sie sich selbst zu Grunde richten.“ Obwohl alle ihre Kraft entwichen war, bewegte sie jeden einzelnen ihrer Knochen. Sie musste aufstehen, musste sich rächen, musste sich jemanden suchen, der ihr ähnlich war, von dessen Kraft sie schöpfen konnte. Sie musste zu einem entwickelten Schatten werden, um diese Welt zugrunde richten zu können. Denn das wünschte sie sich und ihr Wunsch, war und würde, auf ewig der Wunsch der Menschheit sein. **~~** Wie der Schrei einer Banshee erklang das Schrillen von Otomes Wecker und riss sie aus ihrem Albtraum. Ihr Herz schlug schwer im selben Takt wie ihr Atem und die Kälte des Nebels hing immer noch in ihren Gliedern. Dieser Traum hatte sich so real angefühlt. Sie war das Knochengerüst gewesen, das der Menschheit und ihrem ehemaligen Gefährten Rache geschworen hatte. Sie hatte Angst davor, dass sie diesem Wesen wirklich ähnelte, denn wenn sie ehrlich war, hatte sie selbst in der Vergangenheit von diesem Hass gezehrt und sich gewünscht, dass die Menschheit untergehen würde. Nur warum? Warum hatte sie sich das gewünscht? Sie erinnerte sich nicht mehr. Alles, was vor zwei Jahren passiert war, war irgendwie in Vergessenheit geraten. Egal wer sie zu dieser Zeit gewesen war, sie fürchtete sich davor. Vor diesem Ich, das sie zwar akzeptieren musste, aber an das sie keine Erinnerungen mehr hatte. „Wichtig ist doch nur, wer du heute bist.“ Das hatte ihr zumindest immer Miwako gesagt. Sie war die einzige die ihr altes Ich kannte. Doch sie hatten nie darüber gesprochen. Im Gegenteil, Miwako war diesen Fragen immer ausgewichen. Irgendwann hatte sie aufgehört zu fragen und all das weit hinter sich gelassen. Seit sie aber in Inaba war und all diese seltsamen Dinge erlebt hatte, holte sie ihre Vergangenheit wieder ein. Auch wenn sie sich nicht erinnerte, sie fürchtete sich davor. Warum? Warum? Warum? „Warum, ist das auf einmal so wichtig?“, wisperte Otome und hielt sich den Kopf. Sie hatte schon wieder Kopfschmerzen und es würde wohl wieder einige Zeit dauern, bis sie vergingen. Vielleicht würde ein Frühstück helfen das unter Kontrolle zu bekommen, und eine erfrischende Dusche. **~~** Die Kopfschmerzen hatten sich wirklich nach dem Frühstück verflüchtigt. Allerdings wusste Otome nicht, ob es wirklich an dem Toast mit Aufstrich war, oder die Tatsache, dass sie keine Gedanken mehr an die Ereignisse von vor zwei Jahren verschwenden wollte. Vielleicht konnte sie heute so etwas wie Normalität erfahren. Auch wenn sie das bezweifelte, schließlich hatte sie am Abend zuvor diese Silhouette im Kimono im Fernsehen gesehen. Sicherlich war sie nicht die Einzige. „Yo...“ Otome zuckte zusammen, als sie die Stimme Yosukes hörte, der mit seinem quietschenden Fahrrad hinter ihr angefahren kam. Sie durfte sich nicht anmerken lassen, dass es ihr nicht so gut ging, weswegen sie ein Lächeln aufsetzte und sich zu ihrem Klassenkameraden umdrehte. Mit diesem gespielten Lächeln winkte sie ihm zu und wartete darauf, dass er vor ihr stehen blieb. „Morgen, Yosuke-sensei~“, säuselte sie grinsend und erntete ein verzweifeltes Seufzen ihres Freundes. Es war schon seltsam, dass sie so einen Witz machte, aber Yosuke hatte es verdient. Immerhin hatte er sich am Tag zuvor darüber aufgeregt, dass Kuma ihn nicht so höflich angesprochen hatte. Jetzt hingegen schien es so, dass Yosuke dieses „Sensei“ störte. „Du hast letzte Nacht auch gesehen, was auf diesem Kanal lief, oder? Ich konnte nicht erkennen wer es war, aber wenn jemand zu sehen war, können wir das nicht ignorieren. Überprüfen wir das nach der Schule. Vielleicht kann Kuma uns mehr sagen. Wenn wieder jemand da reingeworfen wurde, könnte es wirklich einen Täter hinter all dem geben. Selbst wenn es dieser Ort ist der tötet... Wenn jemand diese Welt als Waffe benutzt, ist das unverzeihlich.“ Otome nickte. Es war in der Tat unverzeihlich, auch wenn Otome bereute, dass sie beiden die einzigen waren, die den Täter finden und dem Gar ausmachen konnten. Sie waren immerhin Schüler, noch halbe Kinder, die sich nicht um Sachen kümmern sollten, die alleine die Erwachsenen etwas anging. Allerdings, kein Erwachsener würde ihnen glauben, dass es eine Welt hinter der Matschscheibe gab. „Wir müssen den Täter schnappen, egal was es kostet. Die Polizei kann das nicht machen... Wer würde auch glauben, dass der Mörder die Opfer in den Fernseher wirft um sie umzubringen?“ Es war seltsam. Obwohl Otome geglaubt hatte, dass sie und Yosuke nichts gemeinsam hatten, teilten sie sich doch einen Gedanken. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass es der nächstliegendste war. „Ich zähle auf dich, Yosuke. Nur wir können das zu Ende bringen.“ Es war nun an Yosuke zu nicken. Sie waren sich einig. Wenigstens in diesem Punkt. Und genau das reichte Otome auch, denn so wusste sie, dass sie sich auf ihren Klassenkameraden verlassen konnte. „Da fällt mir ein...“, verlegen lachte Yosuke auf und rieb sich mit der Hand den Hinterkopf. Scheinbar war das was er gerade sagen wollte etwas unangenehm, vor allem vor ihr, weil sie ein Mädchen war. Er wollte eben immer noch der Held sein. Erwachsen, mutig und klug. Eben jemand, auf den ein Mädchen sich verlassen konnte. „Ich habe letzte Nacht versucht meinen Kopf und in den Fernseher zu stecken und es hat wirklich funktioniert. Ich glaube es funktioniert jetzt, weil ich dieselbe Kraft habe. Persona... richtig? Es könnte sein, dass wir diese Macht von jemanden bekommen haben, um diesen Fall zu lösen. Allerdings... du hast es vor mir geschafft in den Fernseher zu gehen und deine Persona zu erwecken...“ Eine ihrer dünnen Augenbrauen hob sich, als sie hörte, was Yosuke sagte. Es klang so, als sei er eifersüchtig auf sie, dabei war es nichts, worauf man eifersüchtig sein musste. Wenn Otome ehrlich war, machten ihr die Ereignisse schon ein wenig Angst. Sie wusste nicht einmal, woher sie diese Macht bekommen hatte oder wozu. „Weißt du, ich habe das Gefühl, dass du, solange du bei mir bist, ich den Täter finden und den Fall lösen kann. Deswegen verlasse ich mich auf dich.“ Als Otome das hörte, fühlte sie die Wärme in ihre Wangen steigen. Es war wirklich unglaublich. Yosuke kannte sie kaum und doch setzte er schon soviel Vertrauen in sie. Allerdings, wenn sie ehrlich war, ging es ihr nicht anders. Auch sie vertraute Yosuke. Er hatte dieselbe Macht wie sie und konnte nun an ihrer Seite kämpfen. Es war beruhigend zu wissen, selbst wenn sie wusste, wie gefährlich das ganze war. „Zusammen schaffen wir das“, erklärte sie und hielt Yosuke ihre Hand entgegen. Sie lächelte den Jungen an, der ihren Blick erwiderte und ihre Hand nahm. Sein Händedruck war nicht unsicher, er war fest und Halt bietend. Eben so, wie Otome es von einem verlässlichen Partner erwartete. Du bist bereit dich noch einmal darauf einzulassen? Wie schon am Morgen bäumte sich der stechende Kopfschmerz über alle Schmerzlosigkeit und Stille auf. Dicht gefolgt von ihrer Stimme, die doch nicht ihre war. Ihre Beine gaben leicht nach,was Yosuke schnell genug bemerkte um sie sicher festhalten zu können. „Hey ist alles okay?“ Sorge trat in seine Stimme. Sorge um sie, die sich mit einem Mal so schwach fühlte. Doch Yosuke war bei ihr und gab ihr auch jetzt den Halt den sie brauchte. Ja, sie war bereit mit ihm eine Freundschaft einzugehen. Mit dieser Gewissheit konnte sie die Schmerzen vergessen und wieder festen Halt unter ihren Füßen finden. „Es geht schon, danke Yosuke.“ Sie lächelte zufrieden und ignorierte das aufbäumen ihrer Stimme, bis sie schließlich verklungen war. Wenn sie alles anzweifelte, wohin sollte sie das dann führen? Sie würde vereinsamen, wenn sie keine Freundschaften einging. Ih seiet Ihr und Ihr seiet Ih. Ihr habet einen neuen Bund geknüpft Er bringet euch näher zur Wahrheit Ihr seiet gesegnet wenn ihr... Personas des Magiers beschwört. Izanagis Stimme erklang und erfüllte Otome mit einem wohligen Gefühl. Es war dasselbe Gefühl, das sie hatte, wenn sie Yosukes Hand hielt. Nun war sie sich noch sicherer, dass sie mit Yosukes Hilfe auf der sicheren Seiten war. „Wir sollten uns beeilen, die Schule beginnt gleich“, erklärte Otome schließlich und löste sich von Yosuke. Er nickte und stieg wieder auf sein Fahrrad auf. Auch wenn Otome nur ungern wieder hinten bei ihm aufstieg, riskierte sie es. Sie wollte auch pünktlich in die Schule kommen und wenn Yosukes Fahrrad sie pünktlich dahin bringen würde, riskierte sie auch gerne eine erneute Nahtod Erfahrung. **~~** Ob Yosuke nun vorsichtiger gefahren war, wusste Otome nicht. Die Fahrt auf dem Höllenrad war aber dieses Mal wesentlich angenehmer gewesen. Ihr Magen rebellierte nun auch nicht so, dass sie den Beginn ihres Schultages mit Morooka fürchtete. Im Gegenteil. Sie war bereit für alles, was er ihr entgegenschleudern würde. „Im Sommer brauchen wir in Junes immer Hilfe. Ich würde mich freuen, wenn du uns dann helfen könntest, Otome. Wir bezahlen dich natürlich auch für diese Zeit.“ Otome nickte auf Yosukes indirekte Anfrage. Er hatte nichts dagegen, hin und wieder in Junes zu arbeiten und so ihr Taschengeld aufzubessern. Sie hatte sich sowieso schon gefragt, wo sie hier einen gut bezahlten Job finden konnte. Damals, in ihrer Heimatstadt, hatte sie auf Teilzeit in einer Bar gearbeitet und ab und an auch Nachhilfeunterricht gegeben. Mit etwas Glück, konnte sie immerhin das auch in der Kleinstadt ausüben, auch wenn es nicht sofort sein musste. Sie hatte noch etwas an die 15.000 Yen von ihrem gesparten Geld dabei. „Ich werde mir das definitiv überlegen“, erklärte Otome, doch kaum, dass ihre Worte verstummt waren, wurde die Tür zu ihrem Klassenzimmer aufgeschoben und Chie eilte zu ihnen rein. Sie wirkte hektisch, fast schon panisch und bei Yosuke und Otome begannen die Alarmglocken zu schrillen. Es musste etwas passiert sein. „Ah, Chie... Ähm, wegen gestern es tut uns lei-“ „Das ist nicht so wichtig! Ist Yukiko hier?“ Verwirrt sahen Yosuke und Otome einander an, als Chie so plötzlich von Yukiko sprach. Sie hatten ihre Mitschülerin selbst noch nicht gesehen, da sie aber wussten, dass die Schönheit der Klasse häufiger im Gasthaus ihrer Eltern aushelfen musste, hatten sie sich nichts dabei gedacht. Immerhin war sie auch am Tag zuvor später zum Unterricht gekommen. „Wie? Nein, wir haben sie noch nicht gesehen“, antwortete Yosuke ihr und brachte zum Ausdruck, wie verwirrt er über Chies Aufregung war. Den Tag zuvor hatte sie sich auch nicht so aufgeregt, dass ihre beste Freundin nicht erschienen war. „Oh mann, was soll ich tun? Hey, stimmt das alles was ihr mir erzählt habt? Ihr wisst schon, diese Sachen das dieser Midnight Channel, in dem Menschen gezeigt werden, mit der anderen Welt in Verbindung stehen.“ Erneut tauschten Otome und Yosuke verwunderte Blicke miteinander aus. Wirklich schnell kam Chie nicht auf den Punkt, sodass es beiden schwer fiel dem ganzen zu folgen. „Wir haben heute früh schon darüber gesprochen. Wir wollen das noch überprüfen.“ Als wollte Chie sich versichern, dass Yosuke die Wahrheit sprach, sah sie zu Otome die nur zustimmend nickte. „Die Person gestern im Fernsehen... Ich glaube das war Yukiko. Der Kimono den sie getragen hatte, sah wie der aus, den Yukiko im Gasthaus immer trägt und sie hat ihn auch während des Interviews vor ein paar Tagen getragen. Ich habe mir Sorgen gemacht, weswegen ich ihr gestern Abend eine E-Mail geschrieben habe, aber sie hat nicht geantwortet. Am Nachmittag zuvor hatte ich sie auch angerufen und sie sagte, dass sie zur Schule kommen würde. I-Ich...“ Panik sprach aus jedem Wort Chies. Sie war vollkommen aufgebracht und in diesem Zustand alles andere als fähig logisch zu denken. Das erkannte selbst Yosuke, der nur das Gesicht verzog. „Beruhige dich. Wir verstehen was du sagen willst. Und du hast immer noch nichts von ihr gehört?“ Chie schüttelte den Kopf, aber sie holte nun tief Luft und versuchte ruhiger zu werden. So ganz wollte es nicht funktionieren, allerdings war sie nun in der Lage die Fakten, die Yosuke und Otome am Tag zuvor gesammelt hatten, aufzunehmen. „Es scheint wohl so zu sein, dass alle Menschen die wir im Midnight Channel sehen in die andere Welt geworfen wurden. Wenn der Nebel sich in dieser Welt löst, wird es allerdings gefährlich für die Personen. Jedoch können wir sie retten, wenn wir vor der Ablaufsfrist reingehen und die Person retten.“ Schnell und kurz hatte Otome alles zusammengefasst, was sie erfahren hatten. Sie versuchte Chie auf diese Weise zu beruhigen, doch das Gegenteil war der Fall. „Soll das heißen, jemand hat Yukiko in die andere Welt gestoßen?“ Erneut wurde ihre Stimme panischer und Otome bereute es, dass sie ihr wirklich alles in zusammengefasster Form erzählt hatte. Es hätte klar sein müssen, dass Otome vor allem für die schlechten Dinge ihrer Zusammenfassung empfänglich war und nicht für das positive. „Das wissen wir noch nicht sicher. Wir sollten erst einmal sicher gehen, ob sie nicht doch noch hier ist. Ruf sie einfach noch einmal an.“ Otome nickte wieder. Yosuke hatte Recht. Vielleicht war es bei Yukiko einfach zu geschäftig im Gasthaus, so dass sie noch keine Zeit hatte zu antworten. Hektisch griff Chie nach ihrem Handy und wählte aus dem Gedächtnis heraus Yukikos Nummer. Gespannt sahen Yosuke und Otome sie an. Otome betete förmlich darum, dass die Tochter der Gasthausbesitzer abnahm und antwortete, denn das war eine gute Nachricht, anders als wenn sie gar nicht abnahm. „Das ist nicht gut... Ihre Mailbox geht ran... Sie antwortet nicht...“ Verzweiflung schwang in Chies Stimme mit. Sie machte sich wirklich Sorgen um ihre beste Freundin, was Otome nur nachvollziehen konnte. Ihr wäre es nicht anders gegangen, wenn Miwako nicht mehr auf ihre Nachrichten geantwortet hätte. „Ist das dein Ernst? Bedeutet das, Yukiko ist an diesem Ort?“ Otomes Magen schnürte sich zu, als Yosuke aussprach, was sie beide dachten. Auch wenn sie sich bereits bewusst war, wie offensichtlich diese Antwort gewesen sein mochte, sie hätte sich doch ein anderes Ergebnis gewünscht. Immerhin war die Welt hinter dem Fernseher gefährlich. „Hör auf! Sicher ist etwas dazwischen gekommen... Eine Lieferung oder so. Oder sie hilft im Gasthaus aus. Dann könnte sie gar nicht auf den Anruf antworten.“ Wie eine Ertrinkende, klammerte sich Chie an alle möglichen Strohhalme, doch wahrscheinlich versuchte sie nur, sich selbst damit zu beruhigen. Nervös fingerte sie an ihrem Handy herum, sah in die ungläubigen Blicke Otomes und Yosukes und entschied schließlich eine letzte Maßnahme um zu beweisen, dass Yukiko nicht in dieser anderen Welt war. „Ich rufe im Gasthaus an... Ich habe die Nummer irgendwo hier...“ Stoßgebete gen Himmel schickend, wählte Chie die Nummer des Gasthauses. Noch während es klingelte, biss sie sich nervös auf die Unterlippe und wippte auf ihren Füßen hin und her. „Yukiko? Gott sei dank! Aha... ha... ja, verstehe. Nein nein, es war nichts. Ich schreibe dir später nochmal.“ Erleichtert legte Chie auf und steckte ihr Handy weg. Nicht nur ihr war eine Last von den Schultern gefallen. Auch Otome und Yosuke atmeten erleichtert auf. Immerhin bedeutet dies, dass Yukiko nicht in der anderen Welt war. Sie war außer Lebensgefahr. Doch statt sich darüber zu freuen, bedachte Chie Yosuke mit bösem Blick. „Mann, Yosuke, du hast mir grundlosen Sorgen bereitet. Ihr geht es vollkommen gut! Aber du musstest ja Panik machen. „Ist Yukiko an diesem Ort?“ Wirklich...“ Empört sah Yosuke zu Chie, die ihn nun für ihre Panik verantwortlich machte. Dabei war Chie selbst nicht besser gewesen. Otome und Yosuke hatten sie immerhin zu einem erneuten Anruf überreden müssen. „Nun... wir dachten, das Menschen Menschen im Midnight Channel auftauchen, wen sie auf der anderen Seite sind. Ich meine, das macht doch Sinn, oder? Menschen erscheinen im Fernsehen, weil sie in der Welt des Fernsehens sind. Dennoch... Yukiko ist immer noch hier. Wir könnten nachsehen, was das alles zu bedeuten hat. Treffen wir uns nach der Schule in Junes.“ Otome und Chie nickten. Zwar war Yukiko nichts geschehen, aber sie mussten einfach sicher gehen, dass in der anderen Welt niemand gefangen war. Kuma konnte mit Sicherheit mehr wissen. **~~** Es war wie immer. Wenn man die Zeit schnell herum bekommen wollte, verging sie einfach nicht. Otome war schon kurz davor in die Tischkante zu beißen, denn das abstoßende Geschwafel Morookas schien kein Ende zu nehmen. Es war nicht leicht, seinen Worten zu folgen, denn zwischen all den unnützen, frauenfeindlichen Dingen, lagen doch noch wichtige Informationen im Bezug zur Philosophie verborgen. Wirklich schlauer fühlte sich Otome aber dadurch auch nicht. Im Gegenteil. Sie wünschte sich ihren Philosophielehrer vom letzten Jahr zurück und verfluchte jeden negativen Gedanken, die sie jemals über ihn gedacht hatte. „Und deswegen seid ihr Schmeißfliegen noch weit davon entfernt, auch nur annähernd an die geistige Größe Platons zu kommen.“ Otome verzog das Gesicht und sah auf das Buch das vor ihr lag. Wahrscheinlich wusste Morooka nicht einmal, was platonische Liebe war. Er lehrte es nur stupide, vermischte es mit seinen gehässigen Bemerkungen und tarnte sich als altklugen, über alles stehenden Lehrer. In der Welt hinter der Matschscheibe hätte ihm das nichts gebracht. Nachdenklich blätterte Otome in ihrem Buch herum. Sie fragte sich, was wohl Morookas wahres Gesicht war. Denn das was er hier vor der Klasse offenbarte, schien ihr doch nicht sein wahres Ich zu sein. Wahrscheinlich war unsicher und schwach, weswegen er große Töne spuckte und sich so aufführte. Vielleicht war er auch einsam, immerhin hassten ihn die Schüler. Andererseits, er war auch nicht darauf angewiesen, dass die Schüler ihn mochten. Dennoch, sein Leben wollte Otome nicht haben. Sie war schließlich nicht einmal mit ihrem jetzigen Leben zufrieden. Ihr Onkel war meist auf Arbeit, Nanako blieb weiterhin zurückhaltend, wenn auch nicht mehr so sehr wie vor ein paar Tagen, und der einzige Freund den sie hatte, war wohl nur aus dem Grund des Mordfalles mit ihr befreundet. Sicher, sie würde nicht einsam sein, aber konnte man auf dieser Grundlage ein Jahr lang leben. 'Ich könnte vielleicht später mal nachsehen, was es für Schulclubs gibt. Ob sie hier auch rhythmische Sportgymnastik haben? Oder einen Theaterclub?' Nachdenklich fuhr Otome mit ihrem Kugelschreiber kleine Kreise auf dem Blatt Papier vor ihr. Sie fragte sich, wie ihr Leben noch weiter verlaufen sollte. Normal würde es nicht sein. Immerhin ermittelte sie in diesem Mordfall. **~~** Zu dritt waren sie ins Junes gegangen. Anders als die Tage zuvor war die Elektronikabteilung voll, was eindeutig an den Sonderangeboten lag. Zum Glück war ihre Eingangspassage nicht vom Preis her reduziert, denn sonst hätte es mit ihren Reisen düster ausgesehen. Doch selbst wenn sie den Preis reduziert hätten, niemand hätte dieses Ding kaufen wollen. Es war selbst billig noch zu überteuert. Zum Glück. „Und deswegen glauben wir, dass diese Person, die wir im Midnight Channel gesehen haben, eventuell auf der anderen Seite ist. Bevor der Nebel sich auflöst, müssen wir sie dann also retten.“ In kurzen, prägnanten Worten, hatte Otome für Chie noch einmal alles das zusammengefasst, was bis zum vergangenen Abend geschehen war. Verstehend nickte ihre Banknachbarin und sah zu Yosuke, der erneut errötete. Otome hatte nicht einmal von seinem ihm unangenehmen Ich erzählt und doch schien ihn schon die Erinnerung daran panisch werden zu lassen. „Wenn ich diesen Ort nicht mit eigenen Augen gesehen hätte... würde ich diese Geschichte wirklich nicht glauben.“ Immerhin das verstand Chie. Wie unglaublich all das klang und dass man es wirklich nur glauben konnte, wenn man es mit eigenen Augen gesehen hatte. „Ja. Jedenfalls müssen wir herausfinden, was auf der anderen Seite vor sich geht.“ Zustimmend nickte Otome auf Yosukes Worte und trat näher an den Fernseher. Doch ihr Mitschüler legte sanft seine Hand auf ihre Schulter und hielt sie Kopfschüttelnd zurück. Verwundert hob sie eine Augenbraue und sah ihn an. Glaubte er wirklich, dass sie vor all den Menschen auf die andere Seite gehen würde? Wahrscheinlich. „Wie wollt ihr das herausfinden? Indem ihr diesen Kuma fragt?“ Yosuke nickte und sah sich in ihrer naheliegenden Umgebung um. Es war wirklich nicht möglich jetzt einen Ausflug auf die andere Seite zu wagen. Dabei war diese Information so wichtig. Sie mussten schließlich den genauen Zeitpunkt abpassen um die Person aus dem Midnight Channel, sollte sie wirklich auf der anderen Seite sein, zu retten. „Zu schade dass hier so viele Besucher sind. Ich habe ganz vergessen, dass wir einen Ausverkauf in der Elektronikabteilung haben. Wobei... Ich hab's... kommt her.“ Wie ein Footballspieler beugte sich Yosuke etwas nach vorne und winkte Chie und Otome näher an sich heran. Er schien einen Plan zu haben, der nun im geheimen, verborgen vor den Ohren der anderen, ausgesprochen werden sollte. Die beiden Mädchen kamen seiner Aufforderung nahe und beugten sich zu ihm, so dass sie seine flüsternde Stimme ganz deutlich hören konnten. „Steck deine Hand rein und versuch ihn zu dir zu winken. Ich wette mit dir, dass der Bär am Eingang sehnsüchtig auf uns wartet. Chie, du wirst eine Mauer mit mir bilden, und Sie vor den anderen abschirmen.“ Es war sicherlich nicht die beste Idee, die Yosuke hatte, aber dennoch für den Moment war sie alles was sie hatten. Es lag also an Otome den Bären zu rufen und so über die Fernseher mit ihm zu kommunizieren. Mit etwas Glück hatte er die drei aufgestapelten Fernseher noch am Eingang stehen und er würde die Hand sehen. Wenn nicht, mussten sie sich etwas anderes überlegen, immerhin war der Sturz auf die andere Seite nicht gerade von geringer Höhe erfolgt. Wartend sah Otome zu Chie und Yosuke, die sich so neben ihr platziert hatten, dass niemand sehen konnte, was sie tat. Gleichzeitig würden alle denken, dass hier nur drei Schüler standen, die gerade davon träumten genug Geld zu haben, um sich diesen Fernseher für ihr Zimmer zu leisten. Ein Traum, der ewig nur einer bleiben würde, denn kein Teilzeitjob würde genug Geld bringen um diesen Flachbildschirm zu kaufen. Noch einmal holte Otome tief Luft und steckte ihre Hand durch den Bildschirm. Sie führte einige winkende Bewegungen durch und hoffte, dass Kuma sie sehen würde. Einige Sekunden verstrichen, als plötzlich ein stechender Schmerz durch ihre Finger fuhr und sie erschrocken die Hand aus dem Fernseher zog. Es hatte sich wie ein Biss angefühlt und als Otome auf ihre Hand sah, erkannte sie Zahnabdrücke. „W-Was ist passiert?“ Panisch sah Yosuke zu Otome, die ihm einfach nur die Hand entgegenstreckte, damit auch er verstand, was passiert war. Chie hingegen näherte sich ihr und sah ebenfalls auf die Hand und verstand sofort, was passiert war. „M-Moment, sind das Bissspuren? Geht es dir gut?“ Einen Schmollmund ziehend nickte Otome und sah zu dem Fernseher. Wie gerne hätte sie nun den Bären auf ihre Seite gezogen und ihm gehörig den Marsch geblasen. „Wenn ich den in die Finger bekomme...“, murrte Otome erbost und sah zu Chie, die ihren Unmut eindeutig verstehen konnte. Es schmerzte zwar nicht mehr, aber wer wusste schon, was für Krankheiten der Bär in sich trug. Sie wussten nichts über seine Welt, über ihn oder über die möglichen Krankheiten die vor Ort sein konnten. „Hey du! Wir wissen, dass du da bist!“ Es war ein leises wütendes Flüstern, das Otome dem Fernseher entgegen schrie. Sie mussten vorsichtig sein, denn noch immer durfte keiner der Kunden bemerken, dass hier etwas übernatürliches von sich ging. „Oh~ ist das ein Spiel, kuma?“ Otomes Laune wollte nun einfach nicht mehr besser werden. Erst wurde sie von einem Bären gebissen und dann stellte er auch noch dumme Fragen. „Das ist kein Spiel verdammt! Kannst du jemanden auf deiner Seite spüren?“ Kurze Stille herrschte auf Yosukes Frage. Scheinbar untersuchte Kuma, ob auf seiner Seite wirklich niemand zu finden war. Doch schon nach kurzer Zeit bekamen sie ihre Antwort. „Wer ist „Jemand“? Ich bin nur ein einsamer, kleiner Bär, kuma. Hier ist alles bärleer.“ Erleichtert atmeten Chie und Otome auf. Wenn auf der anderen Seite wirklich niemand außer Kuma war, dann war Yukiko noch in Sicherheit. „In Ordnung, ich werde Yukiko warnen. Auch wenn sie das ganze Wochenende arbeiten wird und nirgends hin kann...“ Chie stockte und sah zu Yosuke und Otome, als wollte sie sich versichern, dass das was sie tun wollte, wirklich richtig war. Yosuke gab ihr schließlich die Zustimmung. Etwas womit auch Otome vollkommen konform ging. Sie hätte wohl nicht anders gehandelt. „Du wirst Montag doch auch mit ihr gemeinsam zur Schule gehen, oder?“ Nun war es an Chie zu nicken. Sie würde ihre beste Freundin jetzt, da sie vermuteten, dass der Mörder hinter ihr her war, nicht alleine lassen. Soviel stand fest. Wieder beneidete Otome Chie und Yukiko. Und gleichzeitig bekam sie ein schlechtes Gewissen. Sie war neu hier und drängte sich in alle bestehenden Beziehungen. Selbst wenn niemand ihr das Gefühl gab, dass sie ein Eindringlich war, so fühlte sie sich wie einer. Du wirst immer nur ein Eindringling sein. Ist es nicht unfair, dass du keinen Platz in dieser temporären Heimat, in dieser Welt hast? Da war er wieder, dieser stechende Kopfschmerz, ausgelöst durch diese Stimme. Die Stimme die ihre Zweifel und ihre Ängste nur verstärkte. Kein Platz in dieser Welt. Das hatte sie schon einmal gehört. Vor langer Zeit. Nur wann genau? Und wieso? Angestrengt versuchte sie sich daran zu erinnern. Sie klammerte sich daran, als konnte sie nur so erfahren, was diese Stimme war. Wer sie war. „Otome?“ Erschrocken sah Otome zu Yosuke, der sie aus dem Nebel ihrer vergessenen Erinnerungen gezogen hatte. Er hielt sein Handy in der Hand, weswegen sie nur verwirrt blinzelte. Sie hatte nicht bemerkt, was Chie und er noch besprochen hatten. Das Chie aber nicht mehr da war, fiel ihr erst jetzt auf. „Ähm... Ich... Also... Wegen der Ermittlungen... tauschen wir Handynummern?“ Es war seltsam Yosuke so herum drucksen zu sehen. Es passte gar nicht zu ihm. Aber genauso wenig passte es zu ihr, einer Stimme nachzugeben. Sie hatten wichtigeres zu tun. Da spielte ihre Vergangenheit keine Rolle. „Ja klar. Warte ich schick sie dir gleich.“ Lächelnd zog Otome ihr Handy aus ihrer Schultasche und und machte ein paar Klicks, ehe Yosukes Handy vibrierte und ihm ihre Kontaktdaten sandte. Sie war froh, dass er so weit dachte, denn wenn sich etwas ergab, mussten sie einander informieren können und dazu war doch ihr Handy ausnahmsweise geeignet. **~~** „Willkommen zurück...“ Es war eine unterkühlte Begrüßung die Otome zu Hause erwartete. Doch sie war zufrieden, denn im Gegensatz zu den vorherigen Tagen war es immerhin eine Begrüßung. Vielleicht war dies ein Zeichen, dass Nanako langsam aber sicher warm mit ihr wurde. „Guten Abend, Nanako-chan.“ Lächelnd zog Otome ihre Schuhe aus und stellte sie ordentlich am Eingang ab. Fröhlich lächelte sie, denn in der Hand hielt sie eine Tüte von Junes, gefüllt mit Zutaten für ein leckeres Abendmahl. „Hast du Hunger, Nanako-chan? Ich war im Junes einkaufen. Wenn du magst, koche ich uns etwas.“ Das Wort Junes war noch nicht einmal richtig verstummt, da kam auch schon Nanako angelaufen und bestaunte mit großen Augen die Tüte. „Vielleicht reicht ja was ich gekauft habe und ich kann dir am Montag noch ein Bento machen.“ Mit einem breiten Grinsen hielt Otome Nanako den Beutel entgegen. Fast ehrwürdig streckte Nanako ihre Ärmchen aus und griff nach dem Beutel. Otome verstand was die Kleine wollte, sie wollte ihr beim einräumen helfen, was sie zufrieden annahm. „Du kannst kochen? Darf ich dann helfen?“ Aufgeregt, weil sie noch nie selbst mehr gekocht hatte außer Spiegeleier und Toastbrot, sah Nanako ihre Cousine an. Genau so hatte sich Otome das vorgestellt. Dass sie und Nanako sich näher kommen würden, wenn sie gemeinsam kochten. Im Haushalt selbst hatte es den Tag zuvor schließlich auch geklappt. „Ich werde eine helfende Hand sicher gut gebrauchen können. Dann fangen wir doch einfach mal an.“ Die kühle Atmosphäre, die durch die Begrüßung entstanden war, war mit einem schlag vorbei. Otome fühlte sich plötzlich heimisch, auch wenn es seltsam war, dass sie nun die Rolle der Mutter eingenommen hatte. Zumindest gab es diese Situation wider. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie ihre Mutter und sie in der Küche gestanden und sie zusammen ein Curry bereitet hatten. Damals hatte sie einiges an Tipps mit auf den Weg bekommen. Tipps, die sie nun vielleicht an Nanako weitergeben konnte. **~~** Das Ticken der Uhr hatte an diesem Abend, in Verbindung mit dem prasselnden Regen etwas bedrohliches. Otome war mulmig zumute, denn sie fürchtete das, was sie im Midnight Channel sehen würde. Zwar hatte Chie heute schon bestätigt, dass Yukiko in Sicherheit war, aber wer von ihnen wusste schon, was alles in der Zwischenzeit passiert war. Sie konnte nur hoffen, dass alles in Ordnung war, wenn der Zeiger auf Zwölf sprang. Tick... Tack... Tick... Tack... So musste sich vielleicht auch ein Bombenentschärfer fühlen, wenn er der Gefahr ins Auge sah. Und bei ihm war ein Fehler viel verheerender. Tick... Tack... Tick... Tack... „Guten Abend! Heute hat Prinzessin Yukiko eine besondere Überraschung. Ich werde mir einen heißen Hengst angeln! Willkommen zu „Kein Traum, kein Scherz“ Prinzessin Yukikos Jagd nach ihrem Prinz Charming! Und ich bin vorbereitet. Ich trage meine Spitzenunterwäsche und überall mit genug Holz vor der Hütte. Ich ziehe los und besorge mir einen ganzen Harem. Das beste daran ist, dass alles mir gehört. Also dann, los ge~hets.“ Otome wurde ganz flau im Magen, als sie das sah. Nicht nur, dass die Produktion billig erschien, auch Yukiko, die Person, die sie eben im Fernsehen gesehen hatte, wirkte billiger, als das was sie bisher von Yukiko hatte kennenlernen dürfen. Noch dazu stand nun fest, dass Yukiko wirklich das nächste Opfer gewesen war. 'Dieses Kleid... es war so... pink... und so... flauschig... und so... Prinzessin...' Otome konnte es wirklich nicht fassen. Sie suchte nach einem Wort dafür und alles was ihr dazu einfiel war „peinlich.“ Nur schon das Hinsehen, hatte Otome die Schamesröte ins Gesicht getrieben, wie sollte es da erst Yukiko gehen, die das ganze scheinbar aufgenommen hatte. Allerdings... war das wirklich Yukiko? Noch immer fassungslos, sah Otome auf den Fernseher, als plötzlich ihr Handy klingelte. Erschrocken fuhr sie zusammen und sah auf das Gerät, dass auf dem Tisch lag. Sie sah das leuchten und dass es auch vibrierte, weswegen sofort zu dem Handy stürzte und es aufklappte. Einen kurzen Moment hoffte sie, dass es Miwako war, doch diese Hoffnung wurde zerschlagen, als sie Yosukes Namen auf dem Display las. Seufzend nahm sie das Gespräch an und lauschte. „H-Hast du das auch gesehen? Das war definitiv Yukiko. Zumindest sah es wie sie aus... ich meine sie hat ihren Namen gesagt. Aber klang das was sie gesagt hat nicht seltsam.“ Vergessend, dass Yosuke sie nicht sehen konnte, nickte Otome. Seltsam war das ganze in der Tat, aber was sollten sie tun? An dieser Ausstrahlung konnten sie nichts mehr ändern. Sie konnten nur noch auf die andere Seite gehen und Yukiko retten, bevor der Nebel sich dort löste. „Yosuke, jetzt sei doch mal ruhig und versuch Chie anzurufen.“ Wieder und wieder hatte Otome zu ihrem Satz angesetzt, doch Yosuke war zu aufgeregt, weswegen sie ihm ins Wort gefallen war. Kaum das Yosuke bemerkt hatte, dass seine Klassenkameradin lauter geworden war, verstummte er und ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen. „D-Du hast Recht! Sie soll versuchen Yukiko zu erreichen. Morgen ist doch Sonntag, wir sollten uns also zu erst im Junes treffen.“ Mit einem brummenden Laut bestätigte Otome Yosukes Plan aus ihrer Sicht. Sie hatten viel zu bereden, immerhin mussten sie nun einen Schlachtplan dafür machen Yukiko rechtzeitig zu retten. Zusammen mit Yosukes Persona, zweifelte Otome auch nicht daran, dass das gelingen würde. Kapitel 8: Weapons & Punishment ------------------------------- April 17 Es war die erste Nacht seit langem, die Otome ohne irgendwelche wilden Träume durchgeschlafen hatte. Sie war ausgeruht und bereit für den Tag, oder viel mehr bereit für die erneute Reise in die Welt auf der anderen Seite des Fernsehers. Sie brauchte jetzt nur ein paar Pancakes mit etwas Sirup und sie war bereit für den Tag. Sicher, Pancakes waren nicht sonderlich japanisch, aber seit ihre Mutter ihr kochen beigebracht hatte, gab es für sie keine kulinarischen Grenzen. Ob japanisch, europäisch oder amerikanisch, Otome liebte es einfach sich auszuprobieren und immer neuere Rezepte zu testen. Fröhlich ging Otome die Treppe zum Wohnzimmer runter und entdeckte Nanako, deren Aufmerksamkeit fast vollständig auf dem Fernseher lag. Irgendetwas musste sie doch dagegen tun, dass ihre Cousine von dem Fernseher erzogen wurde. Es tat ihr leid, denn im Gegensatz zu Nanako hatte Otome in ihrer Kindheit soviel ausprobiert. Bogen schießen, Kampfsport, Kendo... Und noch viel mehr. Jede Minute ihrer Freizeit war vollgepackt gewesen, so dass sie kaum Zeit hatte großartig vor dem Fernseher zu sitzen und sich Animes oder dergleichen anzusehen. Und doch hat auch das aufgehört. Da war sie wieder, die gehässige Stimme in ihrem Kopf. Und sie hatte Recht. Sie hatte viele ihrer Hobbys einfach so aufgegeben. Vor zwei Jahren. Warum eigentlich? Otome erinnerte sich noch daran, dass sie gerne im Kendo-Club gewesen war. Immerhin war sie bei den Mädchen Titelverteidigerin gewesen. Doch mit einem Mal hatte sie sich entschieden rhythmische Sportgymnastik zu machen. Es machte ihr zwar auch Spaß, aber so richtig erfüllend war es auch nicht. Und doch zog es sie immer wieder dahin. Als wollte ihr Körper vor jeglichem Kampfsport kapitulieren und sie zu einem 0815-Mädchen mit 0815-Hobbys machen. Dabei war sie nie ein 0815-Mädchen gewesen. Im Gegenteil. Sie hatte sich mit Jungs geprügelt, Kampfsport trainiert, hatte als Kind Käfer gesammelt und all die anderen Dinge, die nur Jungs zu machen schienen. Damals, in der Mittelschule, als die Jungs sie nur als guten Kumpel angesehen hatten. Und dann, am Ende des dritten Jahres der Mittelschule hatte sie ihr altes Ich hinter sich gelassen. Als ob es sich von ihr abgespalten hatte. „Guten Morgen.“ Erschrocken sah Otome zu Nanako auf. Sie war wieder einmal in ihre Gedanken abgetaucht und hatte die Welt um sich herum vollkommen ausgeblendet. In letzter Zeit passierte das oft, viel zu oft. Sie konnte sich so deswegen gar nicht mehr über die traumlose Nacht freuen. „Morgen, Nanako-chan. Wo ist dein Vater?“ Es war ein Sonntag und Otome hatte bemerkt, das Dojima nirgends zu finden war. Hatte man nicht einmal als Polizist einen freien Tag in der Woche verdient? Kein Wunder dann, dass Nanako den Fernseher als einzige Bezugsperson sah. „Er ist schon weg und sagte, dass er spät kommen würde.“ Überraschend war das irgendwie nicht mehr. Das erste Bild von Vater und Tochter die sich nahe standen, war auf einmal zerschlagen. Kaum das man Männer für die Mordermittlung brauchte, schien Dojima der erste zu sein, der in die Bresche sprang. Er schien förmlich vor seiner Tochter zu fliehen. Unter diesen Umständen bekam Otome ein schlechtes Gewissen. Konnte sie Nanako so wirklich alleine lassen? Einsam, in diesem großen Haus, nur mit dem Fernseher als Bezugspunkt? „Gehst du irgendwo hin? Ist schon okay, ich komme gut alleine zurecht.“ Nanako klang traurig, und dennoch sie wirkte so tapfer, so stark. Viel zu erwachsen für ihr Alter. Dabei sollte es doch gerade dieses Alter sein, indem man Kind sein sollte. Und doch war Nanakos trauriges Verhalten so routiniert, dass es Otome gruselte. „Nanako-chan, ich-“ „Das Wetter an diesem Wochenende wird perfekt um an die frische Luft zu gehen.“ Otome zuckte zusammen, als der Fernseher anging und der Wetterbericht ihre Worte unterbrach. Da war sie wieder, diese Distanz von der sie geglaubt hatte, dass sie nicht mehr bestand. Distanz, die sie einsam machte und ihr ein ungutes Gefühl bereitete. „Die Sonne wird also scheinen. Dann kann ich die Wäsche machen... Uhm... Wolltest du nicht raus?“ Ernst sah Nanako Otome an. Ihre Worte, ihre Haltung, dass alles sprach eine eindeutige Sprache für Otome. Du bist hier nicht willkommen. Vielleicht hatte diese Stimme doch Recht. Es war immerhin ihre. Vielleicht war sie im Hause Dojima nicht willkommen. Zumindest nicht bei Nanako. Vielleicht war sie dem Mädchen nur lästig, warum sonst sollte sie nun von ihr fordern zu gehen. **~~** Pünktlich, wie sie es mit Yosuke besprochen hatte, saß Otome im Gastronomiebereich von Junes. Sie hatte sich zuvor noch eine Limonade geholt hatte. Doch seit sie diese auf den Tisch gestellt hatte, hatte sie den Becher nicht mehr angefasst. Ihr war nicht gut, denn in Gedanken war sie immer noch bei Nanako, die sie liebevoll aus dem Haus manövriert hatte. Man ist nur willkommen, solange man den anderen etwas bringt. Das ist auch bei den Anderen so. Erneut war da dieser Schmerz, diese Stimme, die alle ihre Ängste aussprach. Ängste die sie selbst auch bewusst wahrnahm. Sie hatte Angst alleine zu sein, benutzt zu werden. In ihrer Schule war das schließlich nicht anders gewesen. Sie war solange beliebt gewesen, wie sie Kendomeistern ihres Bezirks war. Sie war solange beliebt gewesen wie sie die beste der Klasse gewesen war. Sie konnte sich so lange ihrer Beliebtheit und Freundschaften erfreuen wie sie in der Stadt gewesen war. Alles Nutzfreundschaften, um nicht einsam zu sein. Im Grunde war sie nicht anders als Yosuke. Sie versammelte Menschen um sich, aus der Angst heraus alleine zu sein, ein Niemand. „Tut mir leid, dass du warten musstest.“ Mit leerem Blick, sah Otome zu Yosuke auf, zwang sich zu einem Lächeln, damit er nicht merkte, wie leer sie sich fühlte. In diesem Augenblick durfte sie nicht schwächeln, immerhin mussten sie Yukiko retten. Wenigstens für diese Zeit, hätte sie Freunde die ihr das Gefühl gaben nicht alleine zu sein. „Schau dir das an! Ich habe sie zu Hause in der Abstellkammer gefunden. Wir können sie als Waffen benutzen. Wir haben zwar unsere Personas, aber ein einzelner Golfschläger kann nicht uns beide verteidigen. Also, welche Waffe wählst du?“ Euphorisch zog Yosuke hinter seinem Rücken ein Kunai und ein Katana hervor. Kaum, dass Otome das lange Schwert erblickte, wusste sie auch schon, was ihre Waffe werden sollte. Mit dem Golfschläger hatte sie es immerhin auch nicht anders gehalten, als mit einem Katana. „Ich nehme das Katana.“ Auch wenn sie schon von weitem sah, dass die Klinge nicht echt war, diese Waffe konnte ihr sicher weitaus mehr helfen als ein Golfschläger. Es kam schließlich darauf an, wie man diese Waffe führte, demnach konnte sie in ihren Händen gefährlich für die Shadows werden. „Du hast ein scharfes Auge. Das ist ein exklusives Stück von Junes. Selbst wenn die Klinge nicht echt ist. Wobei ich persönlich ja beide Waffen auf einmal bevorzuge. Man kann viel damit machen. Sieh her.“ Fest umklammerte Yosuke beide Waffen und schwang sie, aus seiner Sicht wahrscheinlich elegant, vor sich her. Nur zu ihrer Sicherheit rückte Otome etwas von ihrem Mitschüler ab, denn wirklich begabt schien er mit dem Katana nicht zu sein, was ihr in der Seele schmerzte. Sie sah es schon kommen, dass er mit dem Schwert auf den Tisch aufkam und die Klinge sich vom Griff löste. Die Tatsache, dass die abgebrochene Klinge dann Yosuke treffen würde, ignorierte Otome vollkommen, ihr ging es nur um das Schwert. „... sofortige Verstärkung wird erfordert.“ Otome wandte ihren Blick von Yosuke, als sie die panische Stimme eines Mannes vernahm. Sie erkannte einen Polizisten, der in sein Funkgerät gesprochen hatte und konnte sich sofort denken wieso. Man konnte schließlich nicht davon reden, dass Yosuke gerade ungefährlich wirkte wenn er mit zwei unechten Waffen, die für einen Amateure aber echt erschienen, herum wedelte. „Oh verdammt!“ Yosuke hatte bemerkt, dass Otome ihn nicht mehr angesehen hatte und folgte ihrem Blick zu dem Polizisten, der auf sie zugelaufen kam. Immerhin erkannte auch er, was für einen Eindruck das ganze auf den Mann gemacht haben musste, und versteckte die Waffen hinter seinem Rücken. „Nein nein nein nein, das ist nicht so wie sie denken. Wir haben sie nicht gestohlen!“ Otome konnte den Reflex, sich die Hand gegen die Stirn zu schlagen, nicht zurückhalten. Auch wenn Yosuke von sich selbst wohl glaubte, dass er klug war, demonstrierte er gerade seine naive Ader. Mit Sicherheit ging es dem Polizisten nicht darum, was auch Yosuke verstand, als er Otomes Geste bemerkte. „Ich glaube... das war es doch nicht... J-Jedenfalls, wir tun nichts böses! Wir sind nur zwei Schüler, die Waffen mögen.“ Ein inbrünstiger Seufzer kam über Otomes Lippen. Auf diese Weise konnte Yosuke ihre Lage sicher nicht verbessern. Im Gegenteil, er verschlimmerte sie. Es war doch nur logisch, dass die Polizei bei zwei Schülern mit Waffen, zu einer Zeit mit in der eine unaufgeklärte Mordserie ihre Runde machte, misstrauischer wurden. „Leg sofort die Waffen nieder! Wir hören uns eure Geschichte auf dem Revier an. Leg die Hände dahin, wo ich sie sehen kann. Jetzt, sofort habe ich gesagt!“ Sofort hob Otome ihre Hände und zeigte damit, dass sie kooperieren würde. Sie hatten sowieso keine andere Wahl. Gleichzeitig verfluchte sie aber Yosuke, der wirklich selten dämlich mit Waffen in aller Öffentlichkeit herum gehampelt hatte. Es war doch klar, dass dies nicht gut gehen würde. „A-Aber das ist nicht...“ „Ihr wehrt euch? Ihr seid festgenommen.“ Schritte ertönten hinter Otome und Yosuke, weswegen das Mädchen wusste, dass Verstärkung angerückt kam. Eine Flucht war nicht mehr möglich, weswegen sie nur noch hoffte, dass ihr Onkel gerade nicht vor Ort auf dem Revier war. Sie wusste nämlich nicht, wie sie ihm das hier erklären wollte. **~~** Die bösen Blicke Otomes waren auf Yosuke gerichtet, der auch ohne Worte verstand, dass er Mist gebaut hatte. Die Waffen hatten die Polizisten konfisziert und sie verdankten es nur Otomes Onkel, dass niemand seine Eltern benachrichtigt hatte. Dennoch war Otome wütend auf ihn. Verdenken konnte er es ihr nicht, schließlich hatte er die enttäuschten Blicke Dojimas gesehen, als sie und er aufs Revier gebracht worden waren. „Otome... ich...“ Vorsichtig setzte Yosuke zu seiner Entschuldigung an. Ihm blieben die Worte jedoch im Halse stecken, als Otome mit der Hand auf den Tisch schlug und sich erhob. „Egal was du sagen willst, lass es. Wegen deiner Unbedarftheit, verschiebt sich unser Plan um ein paar Stunden. Was wenn der Nebel sich auflöst? Hast du auch nur eine Sekunde mal an Yukiko gedacht? Also wirklich? Welcher naive Idiot geht schon öffentlich mit Fake-Waffen im Junes umher? Vor allem jetzt? Ach ja, ich hab es vergessen, Yosuke Hanamura!“ Yosuke zuckte zusammen, als der Schwall an Worten auf ihn niederstürzte wie das tosende nass eines Wasserfalls. Was sollte er da schon noch dazu sagen? Sie hatte ja Recht. Dennoch, ihre Worte schmerzten, immerhin hatte sie ihn als einen Idioten bezeichnet. „Ich... Tut mir leid, Yosuke. Ich hätte das nicht sagen sollen. Ich-“ „Schon in Ordnung. Du machst dir Sorgen um Yukiko. Es schmerzt zwar zu hören, was du gesagt hast, aber vielleicht bin ich wirklich ein Idiot. Zumindest in dieser Hinsicht. Erst Vorgestern habe ich dich in Gefahr gebracht und nun habe ich dafür gesorgt, dass du mit mir im Polizeigewahrsam landest. Vielleicht bin ich wirklich etwas zu unbedacht.“ Schweigend sah Otome zu Yosuke, der es sich nicht einmal mehr traute sie anzusehen. Er hatte sich augenscheinlich zwar schnell von ihrem verbalen Rundumschlag erholt, aber dennoch knabberte er daran. Er versucht nur vor dir den großen Helden zu spielen. Du hast es doch selbst gesehen und gehört. Diese Stimme in ihrem Kopf hatte Recht. Yosuke wollte der Held sein, diesem Teil von ihm, hatte sie erst vor zwei Tagen gegenüber gestanden und Yosuke hatte ihn auch akzeptiert. Dennoch, er war nicht nur dieser Schatten seiner Selbst, der heldenhaft Eindruck vor einem neuen Mädchen schinden wollte, um Menschen, die ihn bewunderten, um sich zu scharen. Er war noch viel mehr. Vielfältiger. Yosuke hatte sicher genug Seiten die sie noch nicht gesehen hatte. Und die du auch nicht sehen willst. Jede dieser Seiten ist eine Lüge, dazu da, um sein wahres Gesicht zu verbergen. Obwohl die Stimme immer lauter zu werden schien, gelang es Otome erstaunlich gut, diese zu ignorieren. Sie wollte mehr über Yosuke wissen, ihn näher kennenlernen. Mehr von dem Jungen wissen, der selbst zugab etwas unbedacht zu sein. „Das nächste mal, gibst du das Katana einfach mir.“ Otome wusste nicht wieso, aber aus irgendeinem Grund fiel es ihr so unsagbar leicht Yosuke zu akzeptieren, mit seinen schlechten und guten Eigenschaften. Dann war er eben unbedacht. Das war doch egal. Sie konnte nicht von heute auf Morgen erwarten, dass er die Heldenrolle, die er gerne inne haben wollte, einfach so ablegte. Schritt für Schritt musste er sich entwickeln. Und sie würde ihm dabei helfen. „Verstanden, Partner.“ **~~** Es war ein unangenehmes Gefühl vor Dojima zu stehen, der Otome und Yosuke gleichermaßen mit einem ernsten Blick bedachte. Obwohl ihm eine Standpauke der lauteren Art auf der Zunge lag, ersparte er sich diese, wahrscheinlich weil gerade Yosuke in Otomes Nähe war und er wohl auf sie Rücksicht nehmen wollte. Freunde waren auch aus seiner Sicht wichtig und scheinbar glaubte er nicht, dass Yosuke ein schlechter Einfluss war. „Ihr scheint mir nicht die Typen Mensch zu sein, der unsinnige Sachen machst. Ihr wisst doch was zur Zeit los ist in der Stadt. Wir haben überall Männer stationiert. Mein Gott... Ihr hattet Glück, dass ich in der Nähe war, sonst wäre das hier in eurer Strafakte gelandet.“ In der Tat hatten sie mit Dojimas Anwesenheit Glück im Unglück. Kaum dass er von Otomes Anwesenheit hier erfahren hatte, hatte er ein paar interne Gespräche geführt, sodass Yosuke und Otome die Arrestzelle erspart geblieben war. Man hatte lediglich die Fake-Waffen konfisziert und ihnen, nach einem mehr oder weniger ernsten Gespräch mit Dojima, die Freiheit geschenkt. „Es tut uns wirklich leid. Es kommt auch nicht wieder vor.“ Dojima nickte. Er glaubte Yosuke, dass es nie wieder vorkommen würde, zumindest würde Otome Yosuke aufhalten, sollte er erneut in aller Öffentlichkeit mit Waffen herum wedeln wollen. „Moment, diejenige die verschwunden ist, ist also die Tochter von Amagi?“ „Scheint so... Aber sie ist nur eine High School Schülerin. Sie kann genauso gut von Zuhause fortgelaufen sein.“ Yosukes und Otomes Aufmerksamkeit fokussierte sich mit einem mal auf zwei vorbeilaufende Polizisten die miteinander den Revier Klatsch klärten. Darunter war auch Yukikos Verschwinden, was Yosuke und Otome nur eines deutlicher machte. Sie war wirklich verschwunden und in dieser anderen Welt. „Ich bin mir sicher, dass ihr auch die Nachrichten verfolgt und wisst, dass gerade Untersuchungen in Arbeit sind. Bei einigen Dingen sind wir sehr sensibel. Ihr geht jetzt also besser und sorgt dafür, dass es nicht erneut passiert.“ Nur einen kurzen Augenblick war Dojima misstrauisch geworden, Misstrauisch, weil die Aufmerksamkeit der Schüler sich verlagert hatte. Otome hatte das bemerkt, doch sie war sich sicher, dass ihr Onkel schnell wieder von seinem Misstrauen abwich. Dennoch, er beäugte beide Schüler noch einmal gründlich, bevor er sich wieder seiner Arbeit zu wandte und Yosuke und Otome damit in die Freiheit entließ. „Sie ist also wirklich dort...“ Otome nickte, als Yosuke ihre Gedanken bestätigte. Sie mussten unbedingt etwas unternehmen, doch dafür brauchten sie Waffen. Alleine mit ihren Personas konnten sie nicht viel ausrichten. „Vorsicht, Otome!“ Verwundert sah sie auf und erkannte den jungen Polizisten, der mit einem Becher Kaffee auf sie zu gerannt kam. Yosukes Warnung kam genauso spät wie die Erkenntnis des Polizisten, dass er nicht mehr stoppen konnte, so dass er mit Otome kollidierte und der heiße Kaffee über ihr weißes Hemd lief. Sie spürte die unangenehme Hitze, doch sie gewöhnte sich auch schnell daran. Zum Glück war der Kaffee nicht mehr brühend heiß gewesen. „Es... Es tut mir leid. Entschuldige bitte.“ Otome war schon etwas sauer, weil diese Bluse eine ihrer liebsten war. Sie konnte nur hoffen, dass dieser Kaffeefleck rausgehen würde, sonst sah sie schwarz für das Leben des Übeltäters, der scheinbar glaubte, es sei mit einem „Entschuldige bitte“ getan. Wütend sah sie zu dem Mann auf und erkannte ihn sofort wieder. Es war der Polizist mit dem schwachen Magen, der am Tag von Yamanos entdeckter Leiche, sich ins Gebüsch übergeben hatte. Sie hätten diesen vertrottelten, treudoofen Gesichtsausdruck überall wiedererkannt. Wahrscheinlich war es einfach ihr Schicksal ständig in Schwierigkeiten zu geraten, genauso wie es sein Schicksal war, immer in irgendein Fettnäpfchen zu treten. „Moment, du bist doch die, die bei Dojima-san eingezogen ist.“ Otome nickte und streckte ihre Hand nach dem Partner Dojimas aus, der sofort verstand, was das Mädchen von ihm forderte. Hilfsbereit nahm er ihr Hand, sie passte perfekt in seine, und zog sie auf die Beine. Es war ein seltsames Gefühl, denn dieser Handdruck, diese Wärme, sie kamen Otome mit einem Mal so vertraut vor. Etwas an dem Polizisten, sie glaubte sich zu erinnern, dass Dojima ihn Adachi genannt hatte, erinnerte sie, an sie selbst. Ob er dasselbe spürte? Otome wusste es nicht, aber Adachi schien nicht vor zu haben Otomes Hand loszulassen und das, obwohl sie bereits fest auf beiden Füßen stand. „Ähm, entschuldigen Sie, können wir Sie etwas fragen? Es geht um Yukiko-san... ich meine Yukiko Amagi vom Amagi Gasthaus. Ist ihr etwas passiert?“ Yosuke wusste wirklich, wie man sich wieder auf das eigentliche Problem fokussierte. Ihm gelang es sogar in doppelter Hinsicht, denn sowohl Otome als auch Adachi fanden wieder in die wahre Realität zurück und lösten ihre Hände voneinander. „Wie? Oh... darf ich das überhaupt erzählen? Naja, ihr seid Amagi-sans Freunde. Aber das bleibt unter uns. Wir bekamen gestern Abend einen Anruf von Amagi-sans Eltern. Sie sei wohl nirgendwo mehr aufzufinden. Da es Wochenende war, waren die Mitarbeiter des Gasthauses sehr beschäftigt, so dass niemand Amagi-san gesehen hat. … ...“ Erwartungsvoll sahen Yosuke und Otome Adachi an, der scheinbar in richtiger Plauderlaune war. Sie mussten das einfach nutzen um alle möglichen Informationen herauszubekommen, auch wenn Polizisten wie Adachi, in Verbindung mit der Tatsache, dass er der Partner eines Hard-boiled Polizisten war, zu dem Klischee diverser Kriminalromane passte. „Oh, keine Sorge, das bedeutet nicht, dass dies bereits ein Fall für die Polizei ist! Allerdings... diese ganze Sache, dass Menschen an nebligen Tagen tot wieder auftauchen, hat das ganze Revier sensibilisiert. Ach ja, hat sie irgendetwas zu euch gesagt? Z.B., dass sie gerade schwere Zeiten durchmacht?“ Fragende Blicke tauschten Yosuke und Otome miteinander aus. Otome hatte Yukiko zwar nicht so gut kennengelernt, wie Yosuke und Chie sie wohl kannten, aber sie hatte nicht den Eindruck auf sie gemacht, das sie eine ungewöhnlich schwerere Zeit als gewohnt durchmachte. Wobei, wenn Otome recht darüber nachdachte, sie hatte Yukiko alleine am Samegawa River gesehen. Das Bild ihres deprimierten, erschöpften Anblicks blitzte vor ihrem inneren Auge auf. Vielleicht war da doch etwas gewesen, von dem sie nicht wussten. Etwas, dass sie an ihre Grenzen getrieben hatte. „Nun, diese Nachrichtensprecherin Yamano, war vor dem ersten Mord in dem Amagi Gasthaus untergekommen. Es scheint wohl so, dass Yamano-san sehr harte Worte über das Verhalten der Angestellten, gegenüber Gästen, bei der Managerin übrig hatte. Die Managerin ist aufgrund des ganzen Stresses kollabiert. Und da Amagi-san die Tochter der Managerin ist... naja sie hat damit eine gewisse Verbindung zu dem Fall.“ Otomes Blick verfinsterte sich. Sie wusste genau, was Adachi damit andeuten wollte, doch diese Möglichkeit, dass Yukiko der Nachrichtensprecherin etwas angetan haben sollte, war ausgeschlossen. Sie stand für Otome nicht einmal zur Debatte, auch wenn die Polizei allen Spuren nachgehen musste. Aber Yukiko konnte es nicht gewesen sein. Immerhin war sie gerade selbst ein Opfer das davor stand mit Hilfe der anderen Welt eliminiert zu werden. „ADACHI! Verdammt, hör auf mit Zivilisten zu schwatzen! Wo bleibt eigentlich mein Kaffee?“ Otome zuckte zeitgleich mit Adachi zusammen, als sie die Stimme ihres Onkels hörte. Er konnte wirklich wie ein Löwe brüllen und wahrscheinlich auch wie einer beißen. „T-Tut mir leid! Ich hab ihn hi-“ Triumphierend hob Adachi den leeren Becher hoch, bemerkte aber schnell, dass der Kaffee nicht mehr in diesem war, sondern sich restlos auf Otomes Oberteil befand. Mit Sicherheit hörte sein Partner das nicht gerne. „Ich hole schnell neuen. Und ihr beide... Vergesst was ich euch erzählt habe.“ So schnell Adachi konnte, lief er wieder in die Richtung aus der er gekommen war. Um Dojima zu besänftigen, musste er einen neuen Kaffee holen, denn einen leeren Becher würde sein Partner ihm niemals verzeihen. **~~** Schweigend waren Yosuke und Otome nebeneinander zum Ausgang der Polizeistation gelaufen. Beide wussten, was Adachi ihnen versucht hatte zu sagen, ohne direkte Worte dafür zu benutzen. Man hielt allen Ernstes Yukiko für die Mörderin der Nachrichtensprecherin und Saki Konishis. Das war doch absurd. „Hier seid ihr ja! Mann, ihr beide macht nur Ärger. Ich habe schon überall nach euch gesucht und dann erzählte man mir, dass man euch festgenommen hat, weil ihr Zivilisten mit Waffen bedroht hättet. Was habt ihr euch dabei gedacht?“ Schuldbewusst auf Chies doch sehr unkonventioneller Begrüßung, sah Yosuke zu Boden. Das war sie also, die zweite oder viel mehr dritte Standpauke des Tages. Eine Vierte würde mit Sicherheit noch von seinen Eltern kommen, die ebenfalls über diesen Vorfall in Kenntnis gesetzt wurden. „Nun... das war ein kleines Missverständnis. Aber das tut hier auch nichts zur Sache. Irgendetwas stimmt bei Yukiko nicht.“ „Was? Ihr wisst das bereits?“ ernst nickte Yosuke und Chie verstand, dass einige der Informationen die sie bekommen hatten, wohl durch die Polizei zu ihnen gesichert waren. Es war nun an der Zeit, Chie auf den aktuellen Stand der Dinge zu bringen. Mit jedem Wort, mit jeder kleinsten Information, die Otome und Yosuke aufgeschnappt hatten, verfinsterte sich Chies Ausdruck. „Was? Sie glauben, dass Yukiko es getan hat? Das ist doch Schwachsinnig! Yukiko würde niemals so etwas tun!“ „Erzähl das nicht mir! Ich weiß auch, dass sie das Opfer ist und nicht der Täter.“ Sowohl Chie, als auch Yosuke schienen panisch zu werden. Zwar war das was sie sagten richtig, aber das wichtigste für den Moment verloren sie aus den Augen. „Jetzt seid doch mal ruhig. Es ist doch egal ob Yukiko Täter oder Opfer ist. Wichtig ist, dass wir sie retten. Sonst wird die Polizei schnell merken, wie falsch sie mit ihrer Vermutung lagen.“ Es waren Otomes Worte, die Chie und Yosuke wieder in die Realität zurückholten. Es brachte nichts, wenn sie sich nun darüber aufregten, dass man Yukiko im Verdacht hatte. Die Zeit war gegen sie, deswegen durften sie jetzt nicht einfach das Ziel aus den Augen verlieren. „Verdammt, sie haben unsere Waffen konfisziert! Wir sollten nicht mit leeren Händen dahin gehen.“ In der Tat, Yosuke hatte Recht. Sie konnte es zwar versuchen noch etwas mit dem Golfschläger auszukommen, aber die verlässlichste Waffe war dieser mit Sicherheit nicht. „Oh, ihr braucht Waffen? Kein Problem, ich kenne da einen Ort, an dem ihr alles bekommt was ihr braucht.“ Fragend sahen Otome und Yosuke zu Chie, die siegessicher grinste. Einen Ort an dem Jugendliche wie sie Waffen bekommen, ohne dass es zu Problemen kommen sollte? Das klang doch mehr als absurd. **~~** Sie waren ohne Probleme reingekommen, sie sahen sich ohne Probleme um und der Ladenbesitzer schien nichts gegen die High School Schüler zu haben. Das war doch mehr als merkwürdig, oder viel eher suspekt. Egal wo man hinsah, überall hingen Waffen. Äxte, Schwerter, Schusswaffen und Dinge, von denen Otome niemals geglaubt hätte, dass man sie als Waffen nutzen konnte, wie zum Beispiel Fächer und Stühle. Selbst die Rüstungen schienen keine richtigen Rüstungen zu sein. „Was ist das für ein Laden? Und woher kennst du den, Chie?“ Yosukes Stimme klang fassungslos. Dabei verwunderte es viel eher Otome, dass er diesen Laden, der sich inmitten auf der Shopping Meile befand, nicht kannte. Immerhin, das war etwas, das Junes noch nicht bot. Waffen. „Okay, Otome, such du mir passende Waffen aus. Das bin ich dir schuldig, nachdem ich dich in Polizeigewahrsam gebracht habe. Den Rest kannst du behalten.“ Verwirrt sah Otome zu Yosuke, der ihre Hand nahm und ihr einen 5.000 Yenschein reichte. „Die Frage ist jetzt nur noch, wie wir dann mit der Ausrüstung ins Junes gehen. Noch einmal will ich heute nicht im Polizeigewahrsam landen. Hat irgendwer eine Idee von euch?“ Nachdenklich sah sich Otome im Laden um. Solange sie keine protzige Rüstung nahmen, sondern etwas, dass Leicht genug war um sie unter anderen Sachen zu verbergen... Das konnte vielleicht klappen. Allerdings, wenn Otome ihre Waffenwahl betrachtete, sie neigte immerhin eher zu einem Katana, dann wurde ihr mulmig. Ein Katana konnte man nicht einfach so unter der Kleidung verstecken, anders, als vielleicht Yosuke, wenn sie ihm lediglich Kunais besorgte. „Unsere Schuluniform. Damit könnte man selbst ein Katana getarnt mitbringen. Sie würden alle denken, dass man beim Training für den Club war.“ Natürlich! Warum war Otome nicht gleich darauf gekommen? In ihrer Schuluniform konnte sie selbst ein Schwert mit sich herumtragen, ohne das jemand unangenehme Fragen stellen würde. „Okay. Machen wir uns bereit. Wir treffen uns dann alle im Junes im Gastronomiebereich.“ Der Vorschlag Yosukes gefiel Otome doch ganz gut. Sie brauchte immerhin ein neues Oberteil, dass sich immer noch Dojimas Kaffee auf ihrem aktuellen befand. „Otome, ich warte vor dem Laden auf dich.“ Es war ein seltsames Gefühl alleine in diesem großen Laden zu stehen, ohne zu wissen, was Yosuke vielleicht passen würde oder nicht. Aber wenn er ihr schon so sehr vertraute, wollte sie ihn auch nicht enttäuschen. Wie versprochen hatte Yosuke auf Otome gewartet und begutachtete ihren Kauf für ihn. Sie hatte sich für ein leichtes, aber doch recht schützendes Kettenhemd und Kunais für ihn entschieden. Mehr war in Sachen Finanzen nicht drin. „Wenn wir bessere Rüstungen wollen, müssen wir gehört sparen. Daidara verkauft auch Accessoires. Hier der Ring zum Beispiel. Und weißt du was seltsam ist, ich spüre etwas mystisches an ihm. So als würde es meine Kraft verstärken, wenn ich ihn nur trage.“ Triumphierend hielt Otome einen Ring hoch, von dem Daidara ihr versprochen hatte, dass es eines seiner besten Kunstwerke war. Wie auch immer der alte Mann das geschafft hatte, etwas Magisches haftete an dem Metall. „Passend für ein Mädchen“, scherzte Yosuke zwinkernd und grinste Otome breit an. Sie hatte sich so ein Kommentar fast schon gedacht, weswegen sie aus ihrer Tasche ein Armband zog und es ihrem Klassenkameraden entgegenhielt. „Nicht ganz so mädchenhaft, aber sicher auch sehr wirksam. Ich rate dir das Armband zu tragen, oder die Shadows werden dein kleinstes Problem sein, Yosuke Hanamura.“ Erschrocken zuckte Yosuke zurück und sah auf das Armband mit den verschnörkelten, Verzierungen. Es war aus unechtem Gold, lag leicht in der Hand, und man konnte es sich einfach über die Hand stülpen und auf das Gelenk gleiten lassen. Es wirkte nicht mädchenhaft, wie Otome eben gesagt hatte, aber wirklich männlich sah es auch nicht aus. Allerdings ergab sich Yosuke in die Forderung seiner Partnerin, denn ihren Zorn wollte er nicht heraufbeschwören. Nicht nachdem er die Wahl seiner Ausrüstung ihr überlassen hatte. „In Ordnung. Machen wir uns fertig, wir sehen uns später im Junes.“ Mit seinen Sachen, die Otome ihm besorgt hatte, wandte sich Yosuke dem Gehen zu. Otome sah ihn noch wenige Minuten nach, bis er um die Ecke verschwand. Seufzend wandte sich auch Otome gen Heimat zu. Sie musste sich umziehen, ihre Waffen bereit machen und hoffen, dass Nanako nichts bemerkte und unangenehme Fragen stellte. Gedankenverloren lief sie an Deidaras vorbei. Doch wie vom Blitz getroffen, hielt sie inne und lauschte der Stimme in ihrem Kopf. Ihr seiet die, der die Tür zu öffnen gestatten sei... Ihr Blick glitt nach links. Sie sah plötzlich diese blaue, leuchtende Tür von der sie genau wusste, dass sie zuvor nicht da gewesen war. Die Aura, die diese Tür umgab, war ihr vertraut, denn es war dieselbe wie die des Velvet Rooms, den sie einst in ihren Träumen gesehen hatte. Neugierig näherte sich Otome der Tür. Sie schien die einzige zu sein, die sie wahrnehmen konnte. Deine Tasche... Verwundert über Izanagis Stimme in ihrem Kopf, schob Otome die Hand in ihre Rocktasche und ertastet einen Schlüssel. Sie konnte sich nicht erinnern, einen in diese Tasche getan zu haben und doch war er hier. Verwundert zog sie ihn hervor und sah ihn an. Eine Maske mit einer weißen und schwarzen Gesichtshälfte, war an dem dickeren Ende zu sehen und erinnerte sie an das Bild auf Igor Tarotkarten. Diese Maske, hatte sie im Traum auch auf dem Kartenrücken gesehen, genauso wie es auf der Karte Izanagis prangte. „Und so beginnt es... Würdest du mir ein paar Minuten deiner Zeit zur Verfügung stellen?“ Klar und deutlich erschallte Igors Stimme. Doch wie schon mit der Tür, schien Otome die einzige zu sein, die sie wahrnahm. Er schien sie persönlich, als einzige einzuladen, was nur noch mehr durch das aufleuchten des Schlüssels unterstrichen wurde. Geblendet schloss Otome die Augen und als sie diese wieder öffnete, befand sie sich im Inneren des Velvet Rooms. „Wir haben dich bereits erwartet. Die Katastrophe, der du dich näherst... hat auf ihren Weg zu dir bereits Menschenleben mit sich genommen. Aber du musst dich nicht fürchten, denn du hast bereits die Macht um dich ihr entgegenzustellen. Es scheint, dass die Zeit, um erneut deine Persona zu nutzen, gekommen ist.“ Persona... ein Vertrag. Allmählich verstand Otome was Igor in ihrem Traum gemeint hatte. Doch so wirklich auf das, was Margaret und Igor ihr erklärten, konnte sie sich nicht konzentrieren, denn ihr Blick lag wie gebannt auf dem Mädchen, dass sie bei ihrer Ankunft bereits gesehen hatte. Das Mädchen in dem Goth-Punk Style. Sie trug nun eine blaue Ballonmütze mit einem goldenen V dran und eine blaue Tasche. Sie wirkte wie ein Liefermädchen, doch die Frage war, was sie hier suchte. Mehr war für Otome, aus unerklärlichen Gründen nicht relevant. Es interessierte sie nicht, dass sie eine sogenannte Wild Card besaß oder das Igor ihr assistierte, indem er Personas miteinander verschmolz und neue erschuf. „Ich würde dir gerne jemanden vorstellen, die dir ebenfalls auf deiner Reise assistieren wird.“ Wie gebannt sahen sich Otome und das fremde Mädchen an. Eine unausgesprochene Erwartung von Seiten Margaret lag in der Luft. Eine Erwartung die das Mädchen nicht erfüllte, da sie nur schwieg. „Marie?“ „Ja doch. Ich kann dich hören. Sehr erfreut...“ Unfreundlich, ohne Otome eines weiteren Blickes zu würdigen, begrüßte das Mädchen, das Margaret Marie genannt hatte. Die Atmosphäre wurde schwerer, fast schon unbehaglich. „Darf ich fragen, was du hier machst?“ Auch wenn Otome sich nicht sicher war, ob das Mädchen sich noch an sie erinnern konnte, musste sie einfach fragen. Sie erinnerte sich daran, was Marie ihr bei ihrer Ankunft in der Einkaufsmeile gesagt hatte. Sie hatte kein Zuhause. Vielleicht hatte sie ja deswegen zum Velvet Room gefunden, um ein Zuhause zu haben. Auf Otomes Frage, was Marie hier machte, bekam sie jedoch keine Antwort. Schon seltsam, denn Marie schien ihr so nahe und vertraut und dennoch gab es diese scheinbar unüberwindbare Distanz. „Marie wird mit Fähigkeitskarten handeln. Das sind Karten die du nutzen kannst um deinen Personas diverse Fähigkeiten beizubringen, die sie auf natürlichen Wege nicht erlernen können. Dazu musst du Marie nur eine Fähigkeitskarte dieser Art bringen, damit sie perfekte Replika davon erstellen kann.“ Fähigkeitskarten, Fusionen... Das alles war für den Moment vollkommen unnötig. Sie hatte weder Karten, die Marie im Moment kopieren konnte, noch mehrere Personas die sie fusionieren konnte. Für den Moment waren die Dienste des Velvet Rooms also vollkommen nutzlos. „Allerdings...“ Als hätte Margaret Otomes Gedanken gelesen, setzte sie zu einem erneuten Schwall an Informationen an. „Du kannst Marie auch jederzeit einfach so besuchen.“ Ein vielsagendes Grinsen lag auf Margarets Gesicht. Ein Grinsen, das Otome nicht deuten konnte, wofür sie auch keine Zeit hatte, weil Igor bereits seine letzten Worte an Otome wandte. „Erinnerst du dich daran, was ich dir schon einmal sagte? 'Das kommende Jahr wird ein Wendepunkt in deinem Leben. Wenn das Mysterium ungelöst bleibt, könnte deine Zukunft für immer verloren sein.' Ich meinte das genauso wie ich es sagte. Eine Niederlage im Kampf ist nicht der einzige Weg, wie deine Reise beendet werden kann. Bitte vergiss das nicht. Das nächste Mal treffen wir uns, wenn du aus eigenen freien Willen zu uns kommst. Bis dahin, verabschiede ich mich von dir.“ Igor wusste mehr. Er schien bereits ihre ganze Zukunft zu kennen und doch hüllte er sie in einen Schleier aus vagen Aussagen. Otome wollte jedoch mehr wissen, aber als sie den Mund öffnete, fand sie nicht die passenden Worte um zu verhindern, dass ihr Gespräch beendet war. Die Sicht verschwamm vor ihrem Augen, und als sie geistig wieder zu sich kam, stand sie vor der Tür zu Dojimas Haus. **~~** Otome fühlte sich in ihrer Schuluniform nicht ganz so unwohl, wie sie es zu Beginn geglaubt hatte. Da Yosuke und Chie ebenfalls dank ihrer Uniform aus der Masse herausstachen, war es jetzt nur noch halb so schlimm. „Wir fallen wirklich auf. Ich meine wen verwundert es, wenn man an einem freien Tag auch noch in der Schuluniform herumläuft. Jedenfalls, der Verkauf sollte bald vorbei sein, dann können wir ungestört auf die andere Seite.“ Das alles klang doch nach einem Plan. Ein Plan dem Otome und Chie nur mit Freuden zustimmen konnten. In der Zwischenzeit konnten sie sich noch stärken. Die Rettungsaktion würde sie einiges an Kraft kosten. Kraft und Geduld. „Chie... noch kannst du-“ Yosuke wollte gerade anmerken, dass Chie jetzt noch die Chance hatte einen Rückzug zu machen. Doch das Mädchen unterbrach ihn und wehrte diesen Gedanken vehement ab. „Ich gehe! Egal was du sagst! Yukiko ist meine beste Freundin und ich werde sie sicher nicht im Stich lassen.“ Entschlossenheit klang aus Chies Stimme und faszinierte Otome. Diese Entschlossenheit, sie wusste nicht, ob sie die auch für Miwako aufgebracht hätte, was seltsam war, denn sie war nicht minder entschlossen dazu Yukiko zu retten. Eine Person, die sie nur flüchtig kannte, mit der sie nur ein paar Worte gewechselt hatte. „Na schön, aber überanstreng dich nicht.“ Chie nickte. Sie verstand persönlich die Sorgen Yosukes. Er und Otome hatten immerhin gesehen, wozu diese andere Welt fähig war und für diesen Augenblick war sie sich auch sicher, dass sie Otome und Yosuke das Kämpfen überlassen würde. **~~** Das Schloss vor dem Yukiko in ihrer eigenen Sendung im Midnight Channel gestanden hatte, wirkte in Natura noch pompöser. Protzig und vor allem surreal. „Und du bist dir wirklich sicher, dass niemand hinter der Kamera für dieses bizarre Programm steckt?“ Fragend sah Yosuke zu Kuma, der dessen Blick ebenso fragend erwiderte. Zumindest glaubte Otome, dass so ein fragender Bär aussah, immerhin waren Kumas Mimiken schwer zu deuten. „Programm? Ich weiß nichts davon. Vielleicht können Menschen aus eurer Welt sehen, was in dieser passiert. Ich habe dir doch gesagt, dass nur Shadows und Ich hier sind. So etwas wie eine Kamera und die ganzen Sachen, gibt es hier nicht. Diese Welt war von Anfang an so.“ Nachdenklich sah sich Otome um. In der Tat hier gab es keinen Kameramann. Noch nicht einmal eine Kamera stand hier. 'Eine Übertragung mit der Kamera ist nicht zwingend notwendig. Logisch gesehen ist der Fernseher nicht einmal eingeschaltet, wenn der Midnight Channel auf Sendung geht. Da bleibt allerdings die Frage bestehen... wie wird es ausgestrahlt? Wie kommen die Bilder auf den Fernseher?' Otome verschränkte die Arme. Es war fraglich, ob sie herausfinden würden, wie diese Welt funktionierte. Dafür wussten sie zu wenig. Dennoch, Otome wollte mehr erfahren. Sie wollte wissen, was hier passierte, wie das alles funktionierte. 'Das erste Bild Yukikos... was so undeutlich, hinter einem Vorhang aus Sendeschnee. Da war sie noch nicht in dieser Welt. Aber da wurde auch schon ein Bild ausgestrahlt. Warum unterscheiden sich Yukikos Sendung von diesen ersten Bildern als sie noch nicht hier war? Irgendwer muss das doch aufgezeichnet haben...' Otome hatte sich vollkommen von dem Gespräch ihrer anderen Mitstreiter abgekapselt. Das alles passte einfach nicht ins Bild. Und Kuma log mit Sicherheit. Wer außer ihm sollte diese Welt denn sonst kennen. Er hatte auch schon Yamano und Saki gespürt. Genauso hatte er Yukikos Schloss ohne Probleme gefunden. Eine fremde Person konnte dem Bären also nicht entgehen. „Yukiko ist definitiv hier... Ich gehe schon vor!“ Ein Luftzug streifte Otome und riss sie aus ihren Gedanken. Als sie ihren Kopf hob, sah sie nur noch die grüne Rückseite von Chies Oberteil. Ohne zu zögern, tauchte sie in das Innere des Schlosses ein. NEIN! GEH NICHT!“ Auch wenn es schon zu spät war und Yosuke sich dessen bewusst war, schrie er ihr nach. Er wusste, dass sie ihn im Inneren nicht hören konnte. Nichts würde sie aufhalten wenn es um Yukiko ging. Das wurde ihm nur zu deutlich bewusst. „Verdammt! Komm mit, Otome. Wir folgen ihr besser!“ Ernst nickte Otome und sah zu Kuma, der mit seinem Körper ebenfalls wippte und damit ein Nicken imitierte. Kapitel 9: Tomoe Gozen ---------------------- April 17 Mit aller Macht zogen Yosuke und Otome die Türen zu einem abgelegenen Raum zu, gerade rechtzeitig, denn die Welle an Shadows, durch die sie sich gekämpft hatten und die sie nun verfolgten, prallte an den Toren ab. Erleichtert, weil die Türen groß und schwer genug waren um den Shadows stand zu halten, ließen sich Otome und Yosuke erschöpft an dem verzierten, roten Holz hinab gleiten. „Uff... ich frage mich wie Chie hier durch gekommen ist. Ich meine, kaum dass wir hier rein gegangen sind haben uns diese... diese... Dinger angegriffen.“ Tief holte Otome Luft und versuchte sich wieder zu fangen. Sie war mit dem Kräften fast vollständig am Ende. Das beschwören der Persona und zusätzlich noch die eigene Verteidigung nagten an ihrer körperlichen Verfassung. Doch nicht nur an ihrer. Auch Yosuke schien langsam aber sicher an seine Grenzen zu kommen. Sie mussten wieder Kraft danken, durften aber nicht zu lange ruhen, denn hier standen mit einem Mal zwei Leben, dass von Chie und das von Yukiko, auf dem Spiel. „Geht es euch gut, kuma?“ Otome horchte auf, als sie Kumas Stimme vernahm. Der Bär war draußen vor dem Schloss geblieben und gab ihnen von der Entfernung, wie auch immer er das schaffte, seine Unterstützung. Nur dank ihm, hatten sie diesen leeren Raum gefunden, in dem nur eine einzelne, einsame Schatzkiste stand. „Alles in Ordnung, Kuma. Wir haben den Raum sicher erreicht. Kannst du Chie in dieser Etage irgendwo spüren?“ Obwohl eine Pause für beide notwendig war, wollte Yosuke gleich sicher gehen, dass sie nicht zu weit hinter Chie herhingen. Allerdings würden sie wohl noch weiter zurückfallen, egal wie groß die Distanz zu ihrer Mitschülerin war. „Sie ist nicht mehr in eurer Nähe, kuma. Aber vor den Raum in dem ihr seid, sammelt sich eine gewaltige Horde Shadows, kuma. Ihr müsst da so schnell wie möglich weg.“ Das war mit Sicherheit keine Information, die Otome und Yosuke hören wollten. „Kannst du herkommen und uns helfen? Wir haben hier das ein oder andere Problem mit der Menge.“ Otome konnte nicht anders als auf Yosukes Worte zu schmunzeln. Die Art wie er Kuma um Hilfe bat war nicht nur niedlich, sondern auch lächerlich. Sie wussten immerhin beide, dass der Bär absolut nutzlos war, wenn es um den direkten Kampf ging. Als Support hingegen war er super. „Vergiss was ich sagte. Sag uns lieber, ob die Gegner irgendwelche Schwachpunkte haben. Wir regenerieren uns in der Zeit.“ Das klang doch schon eher nach einem möglichen Plan. Einer, der auch Otome gefiel. Denn bei der Maße an Gegner mussten sie mit wenig Schlägen viel Großes bewirken. „Roger, kuma. Wo ihr euch gerade befindet, steht eine Schatzkiste. In der könnte etwas nützliches sein, was euch im Kampf oder zur Regeneration hilft, kuma. Schaut einfach rein. Und vergesst nicht die Pfirsiche die ich euch gegeben habe.“ Die Pfirsiche. Otome erinnerte sich dunkel an den kleinen Beutel, den Kuma ihr vor dem Eintritt in das Schloss überreicht hatte. Sie hatte es für eine nette, aber überflüssige Geste gehalten, doch wenn es ihnen helfen sollte, warum sollten sie es dann nicht versuchen? Beherzt griff Otome in den kleinen Beutel, den sie sich am Eingang um ihre Hüfte geschnürt hatte. Sofort fanden zwei kleine Pfirsiche ihren Weg in Otomes Hand. Mit einem Lächeln reichte sie Yosuke diesen der perplex auf die Frucht sah. Scheinbar war für ihn nun nicht der richtige Zeitpunkt um ans Essen zu denken. „Gutes Essen stärkt Körper und Seele“, erklärte Otome kurz angebunden. Es war ein Spruch den ihr vor einigen Jahren jemand gesagt hatte. Sie wusste zwar nicht mehr in welchem Zusammenhang, aber wenn sie sich vollkommen ausgelaugt fühlte, neigte sie gerne dazu etwas gutes zu essen. Vielleicht lag es an diesen Worten, dass Yosuke nun doch anders darüber dachte, oder es war Otomes Lächeln, denn er griff nun nach dem Pfirsich und biss sogleich in diesen. Zufrieden, dass ihr Partner ihr selbst in diesen Dingen vertraute, biss Otome ebenfalls in das Stück Obst und ließ sich den süßlichen Geschmack der Frucht auf der Zunge zergehen. Es war seltsam, aber mit einem Mal, fühlte sie sich besser. Ihr Körper schmerzte nicht mehr so arg von den Strapazen. „Es hilft wirklich?“ Etwas fassungsloses lag in Yosukes Stimme. Etwas, dass sie verstehen konnte, denn es war wie Magie, dass mit einem Mal, der Schmerz gemildert wurde. Ihr Körper fand wieder seine Kraft zurück. „Natürlich hilft es, kuma. Hier gibt es viele Dinge, die euch nützlich sein können. Öffnet deswegen jede Schatztruhe die ihr seht, kuma. Der Beutel den Sensei hat, kann unendlich viele Sachen tragen. Und er ist aus echtem Kumafell gemacht, kuma.“ Verwundert sah Otome zu dem Beutel. Sie wusste nicht was gruseliger war, die Vorstellung dass er aus Kumafell gemacht wurde, oder dass er unendlich viele Sachen in sich tragen konnte. „Dann schauen wir doch einmal, was in dieser Schatzkiste ist.“ Mit dem verspielen Lächeln eines kleinen Jungen auf dem Gesicht, erhob sich Yosuke und ging auf die Schatzkiste zu. Otome erhob sich ebenfalls und näherte sich der Kiste. Erst jetzt bemerkte sie das leichte zittern, dass kaum wahrnehmbar war, wenn man nicht genauer hinsah. Otomes Misstrauen war geweckt, anders als Yosukes. Er bemerkte nichts, stattdessen öffnete er den Verschluss der Truhe, deren Deckel sofort aufsprang. „VORSICHT!“ So schnell Otome konnte, griff sie nach Yosukes Schuljacke und zog ihn zurück. Gerade rechtzeitig, denn eine dunkle Aura entstieg der Kiste und formte sich zu zwei Shadows, deren Blicke mordlüsternd auf Yosuke und Otome lagen. „Was soll das? Kuma! Warum hast du uns nicht gewarnt!“ Sie hatten keine Zeit um sich darum zu kümmern. Kampfbereit zog Otome ihr Schwert und fixierte sich auf die Gestalten, die wie zwei fliegende Fische aussahen. Sie hatten schon einige dieser Schatten gesehen, und obwohl sie nicht sehr stark aussahen, durften sie nicht nachsichtig werden. „Ich wusste es nicht, kuma. In der Kiste war ihre Präsenz vollkommen verborgen.“ Das Kuma wirklich auf Yosukes Gezeter antwortete, war gerade unpassend. Wirklich unpassend. „Findet ihren Schwachpunkt heraus, kuma! Dann könnt ihr sie schnell besiegen.“ Hilfreich war dieser Hinweis nun nicht gerade. Es gab zwar hier eine Art Shadows von denen Otome bereits die Schwäche in Form des Elektroangriffes Izanagis kannte, aber diese Wesen gehörten nicht dazu. Sie waren Neuland. Nicht einmal bei ihrer Flucht hatte sie auch nur einen mit ihrer Persona angekratzt. „Überlass die mir!“ Otome war gerade in Kampfposition gegangen, als Yosuke an ihr vorbei stürmte. Seine Karte Jiraiyas leuchtete blau vor ihm auf, und mit einer flinken Handbewegung, zerschnitt er sie mit seinen Kunai. Es war das erste Mal, dass Yosuke sein „anderes Ich“, vor Otome, beschwor, doch wie Otome den Tag zuvor, schien er schon genau zu wissen, was zu tun war. Ob er auch diese Stimmen in seinem Kopf hörte? Die Stimme Jiraiya, die ihm genau sagte, was es zu tun gab? „Jiraiya, blas diese Dinger weg!“ Elegant, wie es sich für einen heldenhaften Ninja aus alten Zeiten gehöre, stürmte die Persona auf die Shadows zu. Es war nur eine Handbewegung, die sie benötigte um einen grünlich aussehenden Wirbelsturm zu beschwören und diesen auf die Monster zu schicken. „Ihr habt ihren Schwachpunkt gefunden, kuma!“ Obwohl der Windstoß die beiden Shadows nicht vollständig vernichtete, konnte Otome sehen wie geschwächt diese Shadows waren. Sie sahen nicht einmal mehr den Angriff Yosukes, der seine Kunai warf durch denen ihnen endgültig der Gar aus gemacht wurde. Misstrauisch beäugten Otome und Yosuke die geöffnete Kiste. Beide wussten nicht, ob es noch gefährlich war, allerdings erkannte Otome auch keine Bewegungen mehr. Als sich nach einigen Minuten immer noch nichts tat, entspannten sich beide Schüler wieder und atmeten tief durch. Sie hatten es geschafft. „Der Schatz ist noch da, kuma! Holt ihn euch.“ Aufgeregt klang Kumas Stimme, die beiden Schülern verdeutlichte, dass die ganze Schatzsuche noch nicht beendet war. Obwohl beide noch immer misstrauisch waren, näherten sie sich der Kiste, die von ihrem aktuellen Blickpunkt leer zu sein schien. Erst als sie über den Rand lugten, erkannten sie eine leuchtende Kugel und zwei Karten auf dem Boden. Verwundert, griff Otome hinein und zog die leuchtende Kugel und die Karten raus. „Was ist das?“ Es schien Yosuke alles andere als zu gefallen, dass sie ihr Leben dafür riskiert hatten und wenn Otome ehrlich war, ging es ihr nicht anders. „Unglaublich! Ihr habt eine Snuff Soul gefunden, kuma. Sie kann eure seelischen Qualen einmalig absorbieren und euch so erneut für weitere Beschwörungen eurer Persona stärken, kuma. Dasselbe gilt auch für die Seelentropfen die ich euch mitgegeben haben. Allerdings können sie nicht soviel seelischen Schaden revidieren wie eine Snuff Soul, kuma.“ Staunend sahen Otome und Yosuke auf die leuchtende Kugel. Es schien fast schon absurd zu sein, dass dieses Ding magische Kräfte besitzen und ihnen ihr seelisches Leid nehmen sollte. Allerdings war die Sache mit den Personas auch nicht gerade normal, weswegen sie nicht anders konnten, als das ganze einfach nur hinzunehmen. „Die könnte noch nützlich sein, vor allem nachdem wir uns aus diesem Raum heraus gekämpft haben. Allerdings, was ist mit diesen Karten?“ Um sich die beiden Karten genauer anzusehen, ließ Otome die Snuff Soul in ihren kleinen Beutel gleiten und drehte die Karten um. Sie hatten, wie die Karten ihrer Personas dasselbe Zeichen auf dem Rücken, das konnte doch kein Zufall sein. „Das ist...“ Otome erkannte die Yen-Münze auf der Vorderseite, doch sie kam nicht dazu, ihre Gedanken auszusprechen, denn die Karten leuchteten, kaum dass ihre Vorderseite aufgedeckt worden war, auf und verwandelten sich in vier 500 Yen Münzen. 'Langsam wird das albern. Wir sind in der Realität nicht in einem Videogame.' Es war ein seltsames Gefühl auf einmal Dinge zu erleben, die sie aus Spielen kannte. Sie fühlte sich mit einem Mal so beobachtet, fast so, als wäre sie just in diesem Moment, selbst Teil eines Spiels. Irgendwie war das unheimlich. „Hier, Yosuke. Dieser Anteil gehört dir.“ Lächelnd hielt Otome ihrem Partner 1000 Yen entgegen. Er hatte immerhin diesen Schatz erreichbar gemacht und die Shadows besiegt. Warum sollten sie dann ihren Gewinn nicht gerecht aufteilen, soweit es möglich war? Es war zwar nicht viel, aber es war immerhin etwas. „Danke. Die Frage ist, was machen wir jetzt? Da draußen wartet eine Horde Shadows auf uns. Die Snuff Soul und die Soul Drops sollten wir aber aufheben, bis wir bei Chie sind.“ Nachdenklich sah Otome zu Boden. Yosuke hatte Recht. Sie mussten etwas unternehmen, allerdings in Anbetracht der Tatsache, dass die Shadows in der Überzahl waren, schien ihre Lage aussichtslos. „Einige der Shadows kann Izanagi sicher beseitigen. Ich habe die aus Sakis Welt gesehen. Die waren schwach gegen Elektrizität. Das wäre ungefähr die Hälfte die schon einmal nicht mehr im Weg ständen.“ Nachdenklich verschränkte Otome die Arme und sah zu der Tür, hinter der die Armee dunkler Wesen auf sie wartete. Die Frage war nur, was sie mit den anderen fischähnlichen Dingern machen sollten. „Okay, dann kümmere ich mich um die anderen. Ich glaube, die haben Jiraiyas Windangriff nicht all zu gut vertragen. Verlass dich auf mich, Partner.“ Otome sah verwundert zu Yosuke. Sie hatte nie bemerkt, dass die anderen Wesen so empfindlich auf die Windangriffe Jiraiyas reagiert hatten. Das Yosuke doch noch so aufmerksam gewesen war, ließ in ihr einen Funken Respekt aufkeimen. Wie konnte sie sich da nicht auf ihn verlassen, wenn er für die Augenblicke, in denen sie nicht aufmerksam gewesen war, alle Aufmerksamkeit auf den Gegner gerichtet hatte? Nein, dass hier war nicht wie ein Videospiel. Wäre es das gewesen, hätte sie als Anführerin wohl versagt. Yosuke allerdings, war viel geeigneter für die Rolle des Protagonisten. Er hatte sein eigenes Ich akzeptiert, sie schon einmal heute beschützt und er war noch während ihrer Flucht aufmerksam genug gewesen um zu wissen, was die Schwäche des Gegners war. Mit ihrem Schwert in der Hand, bereit anzugreifen, stand Otome vor der großen Tür die ihre einzige Sicherheit gegen die Shadows war. Yosuke stand hinter ihr, beschwor seine Persona und war bereit ihren Plan zu verwirklichen. Noch während sie sich nämlich erholt hatten, hatten sie über einen geeigneten Schlachtplan gesprochen. Nun waren sie gekräftigt genug um sich diesem anzunehmen und das Gemetzel erneut zu erleben. „Bereit?“ Sorgen klangen aus Yosukes Stimme heraus. Ihm war bewusst, wie gefährlich das für Otome sein würde, wenn sie nun die Vorhut mimte und alle Shadows, die auf Elektrizität empfindlich reagierten, aus sondierte. In der Zwischenzeit, während sich Izanagi um diese Shadows kümmerte, musste sie sich um die anderen selbst kümmern. Doch das hatte sie bereits dutzende Mal in ihrem Kopf durchgespielt. Sie war kein schwaches Mädchen, hier, in der Welt hinter dem Fernseher, war sie wieder die alte Otome. Das Mädchen, dass ohne mit der Wimper zu zucken einen Gegner zu Boden streckte. „Legen wir los!“ Sie war wirklich zu allem entschlossen. Denn es war die einzige Möglichkeit hier aus diesem Raum zu kommen, der mehr wie ein Gefängnis als eine Sicherheit anmutete. Noch dazu konnten sie Chie nicht sich selbst überlassen, oder Yukiko. Sie mussten beide retten. „Okay, packen wir es an, Jiraiya!“ Obwohl sich Yosuke immer noch nicht sicher war wegen Otome, nutzte sie ihre Chance befreite seine Persona aus seiner Karte, indem er diese mit seinen linken Kunai zerschnitt. Kaum das Jiraiya beschworen war entließ die Persona einen kräftigen Wind, der die Tür aufstieß. Allein wegen diesem spontanen Stoß, wurden die Shadows zur Seite gedrängt wodurch einige von ihnen bereits das Zeitliche segneten. „IZANAGI!“ Laut und deutlich beschwor Otome ihre Persona, zerdrückt die Karte Izanagis in ihrer Hand und entfesselt damit die Kräfte ihrer Persona. Sofort wusste Izanagi, was zu tun war und stürzte sich todesmutig auf die Shadows und griff jene, die ihm selbst bereits bekannt waren, mit seinen elektrischen Stößen an. Otome stand ihrer Persona aber in nichts nach. Todesmutig stürzte sie sich auf die Shadows, beseitigte jene, die sich ihrer Persona in den Weg stellten und nicht schwach gegen seine Angriffe waren. Sie bemerkte nicht einmal, dass Yosuke ihr folgte, ihr den Rücken freihielt und sie vor dem ein oder anderen Shadow bewahrte. Jiraiya hingegen kümmerte sich um die fliegenden Fische. **~~** Misstrauisch sahen Otome und Yosuke auf eine weitere Schatzkiste, die sie in einem weiteren leeren Raum, auf der Suche nach den Treppen, gefunden hatten. Der Schock ihrer ersten Truhe saß beiden noch tief in den Knochen, allerdings wollten sie auch unbedingt wissen, was genau darin war. Kuma hatte immerhin erwähnt, das einige nützliche Dinge in diesen Kisten verborgen waren. „Ob wir es riskieren können?“ Fragen sah Yosuke zu Otome, deren Blick ebenfalls wie gebannt auf der unbeweglichen Truhe lag. Immerhin das war anders als bei der ersten. Diese bewegte sich nicht. Entweder waren die Shadows darin ruhig oder es saß keiner darin. Herausfinden würden sie das sowieso nur, wenn sie nun dieses Ding öffneten. Daran bestand kein Zweifel. Mutig, oder viel eher wissend, weil sie ahnte, dass kein Shadow in dieser Truhe hockte, griff Otome nach dem Truhendeckel und stieß diesen nach oben. Der Anblick war wirklich seltsam. Sie hatten hier eine etwas höhere Kiste, die 30 Zentimeter tief war und doch lag nur ein einzelner Pfirsich am Truhenboden. „Das ist doch ein Witz, oder?“ wie ein Witz sah das für Otome nicht aus. Auch wenn es lächerlich wirkte, das der Schatz in einem Schloss ein einzelner Pfirsich war. Aber sie wollte sich nicht beschweren, denn Kleinvieh machte ja bekanntlich auch Mist. „Gehen wir weiter, Yosuke. Wir haben nicht die Zeit um uns über dürftig gefüllte Kisten aufzuregen.“ Noch während Otome den Pfirsich aus der Schatzkiste angelte und diesen in ihren Beutel steckte, hielt Yosuke ihr den Rücken frei, denn es waren bereits wieder die Laute ankommender Shadows zu hören. Ein Geräusch, dass Otome in naher Zukunft wohl bis in ihre Träume verfolgen würde, wenn sie nicht aufpasste. Es war die letzte Tür, die in der gesamten ersten Etage noch blieb. Die letzte, hinter der sich wirklich die Treppe befinden konnte. Sie hatten sich bereits durch ganze Horden von Shadows gekämpft und spürten, wie es an ihrer Kondition nagte. „Das ist die Letzte. Bist du bereit, Otome?“ Von bereit konnte keine Rede sein. Otomes Körper schmerzte und sie erwischte sich immer wieder dabei, dass sie psychisch schwächelte, wenn sie Izanagi beschwor. Langsam aber sicher kam sie an ihre Grenzen, weswegen sie betete, dass hinter dieser Tür wirklich nur die Treppe verborgen war und nicht eine weitere Legion von Shadows. „So bereit wie man im Angesicht des Todes und der Hölle sein kann...“, murrte Otome leise als Antwort. Dass ihre Worte nicht gerade vor positiven Gefühlen strotzten, war ihr klar. Sie brachten aber sehr gut zum Ausdruck, was sie in diesem Moment empfand. „Keine Sorge, ich bin bei dir.“ Verwundert sah Otome zu Yosuke, der sie wirklich anlächelte während er versuchte die starke Schulter zu sein, die sie gerade so dringend brauchte. Dieses Lächeln, von dem sie wusste, dass er sich dazu zwang, weil es ihm genauso dreckig ging wie ihr. Dieses Lächeln, dass ihr Hoffnungsschimmer in einer scheinbar aussichtslosen Situation sein sollte. Dieses Lächeln, dass ihr plötzlich so vertraut war. So, als hätte sie es schon einmal gesehen. Es war einfach absurd, aber diese Situation kam ihr wie ein Dèjá-vu vor. Wie etwas, dass sie schon einmal erlebt hatte. Einfach absurd, immerhin hatte sie ein ganz normales Leben gelebt. „VORSICHT!“ Otome war zu sehr in ihren Gedanken versunken gewesen um zu bemerken, wie Yosuke die Tür geöffnet hatte. Natürlich war ihnen das Glück nicht hold gewesen und dahinter lag ein Shadow lauernd auf sie wartend. Kaum dass die Tür aufgeflogen war, stürzte sich das fischähnliche Wesen auf das Mädchen, dass ihr Schwert nicht kampfbereit hob. Otome sah schon ihr Leben an sich vorbeiziehen, zumindest den Teil ihres Lebens, der wichtig war. Miwako, ihre Eltern, die Mitglieder des Schauspielclubs. So viele Menschen aus ihrem Leben waren mit einem Mal vor ihrem geistigen Auge zu sehen, in der letzten Minute ihres Lebens. Doch... Sterben fühlte sich seltsam an. Sie fühlte sich so lebendig. Langsam öffnete sie wieder die Augen und erkannte Yosuke, der sie schützend im Arm hielt, während Jiraiya dem Shadow den Gar ausmachte. Sie erkannte seinen schmerzverzerrten Gesichtsausdruck, der ihr verriet, dass er wohl einen Treffer eingesteckt hatte und das nur um sie zu schützen. „Alles okay?“, fragte er, und bemühte sich erneut zu einem Lächeln, damit Otome nicht bemerkte, wie es ihm wirklich ging. Doch das war schon längst zu spät. Er war verletzt, wegen ihr. Er hatte sich erneut heldenhaft zwischen sie und den Feind geworfen und sie damit gerettet. Wie konnte sie das nur jemals wieder gut machen? Ich bin du und du bist Ich Dein geschlossener Bund gab dir die Macht, zu sehen was noch in dir steckt. Wenn du sie nutzen willst, nenne meinen Namen. Verwundert sah sich Otome um. Sie hörte klar und deutlich diese Stimme und es war nicht die Izanagis. Oder die andere, die sie seit Tagen hörte. Sie klang zierlich, schwach und doch niedlich. Anders als alle anderen Stimmen, die sie je gehört hatte. „Der Weg ist frei... Wir sollten weiter.“ Otome nickte schwach, als sich Yosuke von ihr löste und in die Richtung der Treppe wandte. Mit einem Mal erschien es ihr so unwirklich, dass sie es geschafft hatten. Wobei, dass verdankten sie wohl nur Yosuke. 'Ich bin schon einmal wieder weiter weg davon die Protagonistin dieser Geschichte zu sein. Wenn passt das doch wohl eher zu Yosuke. Er hat sich seinem eigenen Ich gestellt und ist nun in der Lage mich zu beschützen.' Otome wusste nicht, warum sie dieser Gedanke auf einmal so störte. Immerhin war sie Tage zuvor davon genervt gewesen, die Heldin einer so unglaublichen Geschichte zu sein. Doch nun wäre sie gerne die Heldin gewesen, jemand besonderes, der Yosuke mit seiner Gabe beschützen konnte. **~~** „Hier.“ Mit einem ernsten Ausdruck im Gesicht, hielt Otome Yosuke die Snuff Soul entgegen. Sie hatten zwar noch Seelentropfen, aber diese würden weder ihr noch sein Leid vollständig lindern und sie bereit für weitere Kämpfe machen. Zumindest vermutete Otome, dass hinter der nächsten Tür nicht nur Chie war, sondern auch ein mächtiger Gegner, für den sie alle ihre Kräfte sammeln mussten. Yosuke hingegen schien nichts dergleichen zu ahnen. Er sah Otome nur verständnislos an und schüttelte den Kopf. „Wir sollten das gut aufheben. Nur für den Fall der Fälle. Mir geht es soweit noch ganz gut, es wäre also Verschwendung, wenn wir sie jetzt benutzen.“ Otome wusste nicht wieso, aber sie fühlte sich abgewiesen wie schon einmal, vor langer Zeit. 'Vor langer Zeit? Wurde ich schon einmal in ähnlicher Art abgewiesen?' Nachdenklich sah Otome auf die Snuff Soul. Das alles, Yosukes Lächeln, seine fürsorgliche Art und auch dieser Moment, kamen ihr so bekannt vor. Sie hatte nur keine Idee woher. Öffne deine Augen, Und sieh was der Nebel umhüllt. Da war sie wieder, diese Stimme, die sie zuvor gehört hatte. Die Stimme, die gesagt hatte, sie solle ihren Namen rufen, wenn sie Hilfe benötigte. Dabei kannte sie ihren Namen nicht. Woher sollte sie ihn auch kennen? In ihrem Kopf arbeitete und angestrengt versuchte Otome den Namen dieser Stimme zu finden. Sie musste ihn doch wissen. Genauso wie sie wissen musste, wann sie abgewiesen worden war. Warum fiel es ihr einfach nicht ein? Warum? Wieso konnte sie sich an nichts aus ihrem Dèjá-vu erinnern? Wieso? Ihr wurde schwarz vor Augen. Ihr Körper versagte ihr jegliche Funktionen. Fast so, als brauchte ihr Hirn, oder ihre Seele nun alle verbliebenen Reserven, um sich an diese Erinnerungen, die sie unbedingt wieder erlangen wollte, zu heften. „Oi! Otome!“ Yosukes Stimme schien nur noch ein weit entfernter Hall zu sein, bevor Otome das Bewusstsein verlor und ihren Geist auf die Reise durch den Nebel der Erinnerungen schickte. Es roch nach verbrannten Fleisch, als Otome wieder zu sich kam und um sich herum alles in Flammen sah. Das Haus... Was war das für ein Haus? Sie wusste es nicht mehr. Die Flammen hatten es bereits bis zur Unkenntlichkeit gezeichnet, genauso wie die Menschen, die um sie herum lagen und den Flammen nicht so wie sie entkommen waren. Seltsam, immerhin befand sie sich noch inmitten dieses Hauses. Es brannte alles um sie herum, doch dort wo sie lag, war sie geschützt. „Hey, alles in Ordnung?“ Fragend sah Otome auf zu dem Gesicht, dass von einem undurchdringbaren Nebel verhüllt war. Sie kannte diese Stimme oder viel mehr, hatte sie sie erst vor wenigen Tagen kennengelernt. Er war männlich, ein Wunderkind. Soviel wusste sie noch. Sie sah dieses Wunder sogar mit eigenen Augen. Ein Wesen, mit großer mächtiger Statur, langem Mantel und einem gewaltigen Schwert kämpfte gegen seltsame Wesen, die für dieses Feuer verantwortlich gewesen waren. Um ihn herum, schwebte eine kleine Fee, die dafür sorgte, dass sich die Flammen nicht zu ihnen durch fraßen. Zwei Personas. Er war wirklich ein Wunderkind. Otome zweifelte auch nicht, dass er mehr als nur zwei Personas beschwören konnte, anders als sie, die nur eine in ihrem Inneren trug. „Ich könnte etwas Hilfe gebrauchen... Hast du noch Kraft?“ Zaghaft nickte Otome und erhob sich vorsichtig. Sie zuckte aber zusammen, als etwas von ihrem Schoß zu Boden fiel und auf das Wunderkind zurollte. Sie wusste sofort was das war. Sie hatte es hier geschenkt bekommen. Von irgendwem den sie nicht kannte, der ihr sagte, dass sie es nutzen sollte, wenn es kritisch wurde. Kritisch... Das war doch so ein Moment. Dem Wunderkind stand immerhin die Anstrengung ins Gesicht geschrieben. Zwei Personas zu beschwören grenzte fast schon an Wahnsinn. Langsam wankte Otome auf ihn zu, bückte sich und hob die Kugel auf, die, so hatte man es ihr erklärt, Snuff Soul hieß. Sie hielt sie dem Wunderkind entgegen, dass ebenso gut wusste, was sie bewirkte, wie sie selbst. Er wusste, dass sie damit das Blatt wenden konnten und doch... „Sie gehört dir. Nutze sie, wenn DU es am dringendsten brauchst. Sie sind immerhin richtig selten.“ Ein Lächeln lag auf seinen Lippen. Ein gequältes Lächeln und doch gab es Otome Mut und Kraft. Sie wusste, dass sie an seiner Seite kämpfen wollte. Denn diesen Gefallen den er ihr gerade bot, musste sie zurückzahlen, und wenn es mit ihrem Leben war. „Sensei!“ Es war Kumas quickige Stimme, die Otome zurück in die Realität holte. Es dauerte etwas, bis sie realisierte, wo genau sie sich befand. Sie war nicht mehr in diesem brennenden Haus bei dem Jungen, an den sie sich nur schwach erinnern konnte. Nein, sie war hier, in der Gegenwart bei Yosuke und Kuma. Nicht in der Vergangenheit. „Otome, geht es dir gut? Ist alles in Ordnung?“ Ihr Kopf wandte sich etwas nach links, dahin, wo Yosuke hockte und sie besorgt fixierte. Erst realisierte sie, dass ihr Körper ihr seinen Dienst versagt hatte um sie zu einer vergessenen Zeit zu führen. Eine Zeit, die immer noch so unwirklich und im Nebel gehüllt war wie zuvor. „Kuma... Yosuke... Wir... müssen...“ Otome erinnerte sich wieder. Sie waren hier in Yukikos Schloss und mussten Chie retten, bevor etwas unsagbar schreckliches passierte. Langsam und vorsichtig, erhob sich Otome, richtete ihren geschwächten Körper auf und spürte den Widerstand, den Kumas Arme erzeugten und sie zurück zu Boden drängen wollten. „Sensei, bleib noch liegen, kuma! Du bist noch nicht ganz bei Kräften.“ Bei Kräften? Kuma scherzte wohl. Natürlich war sie noch nicht ganz bei Kräften, aber warum sollte sie jetzt inne halten, zum Stillstand gelangen, wenn Yosuke selbst am Ende aller Kräfte war und sich doch zwang weiterzumachen. Nein, sie durfte ihm in Nichts nachstehen. Sie musste kämpfen, mit allem was sie noch hatte. „Kuma hat Recht, du solltest dich wirklich noch etwas ausruhen. Du siehst blass aus.“ Wieso? Wieso mussten es nun ausgerechnet die Jungs dieser kleinen Truppe sein, die ihre Stimme der Vernunft mimen wollten? Es mochte ja sein, dass sie wirklich blass aussah, und die Ohnmacht zeugte auch nicht von sonderlich viel körperlicher Stärke, aber sie musste einfach durchhalten. „Egal. Wir müssen weiter. Chie und Yukiko sind in Gefahr. Ich kann später ausruhen.“ Otome war klar, wie heldenhaft dieser Satz klang. Sie hatte ihn häufiger aus dem Mund von Hauptfiguren aus Anime und Spielen gehört. Aber diese Geschichte gehörte Yosuke, da durfte sie sich diesen Spruch leisten, noch dazu war er wahr. „Nach schön, aber sobald es zu anstrengend wird, ziehst du dich zurück und überlässt mir alles weitere.“ Yosuke verstand, dass er nichts mehr gegen Otomes eisernen Willen tun konnte und gab nach. Allerdings wollte er sich dieses Versprechen dennoch geben lassen. Er brauchte für sein Gewissen eine Rückversicherung, dass sie sich nicht in unnötige Gefahr bringen würde. Otome verstand das und nickte schwach, bevor sie sich von ihrem Mitschüler auf die Beine helfen ließ. „Wo kommt eigentlich Kuma so schnell her?“ Es war erst just in diesem Moment, in dem Otome verstand, das ihr Support in Form des Bären vor Ort war. Dabei hatte dieser ihnen noch klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass er außerhalb des Schlosses Stellung beziehen und sie von dort aus unterstützen würde. „Ich habe gemerkt das es Sensei nicht gut geht, kuma. Da bin ich sofort hergekommen um zu helfen, kuma!“ Mit stolz geschwellter Brust, zumindest vermutete Otome, dass es so war, denn anhand von Kumas rundlicher Figur war das schwer zu erkennen, erzählte Kuma von seiner furchtlosen Tat. Wie er vorgedrungen war in dieses Schloss, vorbei an all den gefährlichen Shadows und das nur um seine Sensei zu beschützen und wieder in die Welt der Lebenden zurückzuholen. Natürlich war die Erzählung des Bären etwas halsbrecherischer, als es wohl wirklich stattgefunden hatte. Mal abgesehen davon, dass Yosuke und sie die unterste Etage fast vollständig von allen Shadows befreit hatten, wusste der Bär sicher auch, wie man an den unliebsamen Gegnern vorbeikam. Er hatte sich also wenn nötig an eben jene vorbei geschlichen und war so bis zu ihrer Etage vorgedrungen. „Danke, Kuma“, wisperte Otome leise und sammelte ihre letzten Kraftreserven, um auch ohne Yosukes stützende Schulter stehen und laufen zu können. Sie musste nur noch etwas durchhalten. Wenn ein Bär seinen kaum vorhandenen Mut zusammenkratzen konnte, um letzten Endes die Höhle des Löwen zu betreten, war sie doch wohl auch in der Lage noch etwas Standhaftigkeit zu besitzen, um diesen Kampf, der hoffentlich nicht stattfinden würde, zusammenzubekommen. Mit einem lauten, lang hallenden Quietschen schoben Otome und Yosuke die Tür auf, die ihnen den Blick in das Innere des großen Raumes versperrte. Erst als sie diese weit genug geöffnet hatten, erkannten sie den grünen Pullover Chies. Sie hatten das Mädchen endlich gefunden und so wie es schien, war ihr Shadow nicht aufgetaucht. 'Ein Glück.' „Chie! Geht es dir gut?“ Eilig lief die kleine Gruppe auf das Mädchen zu, dass geistesabwesend zu der Tür vor ihr starrte. Chie schien nicht einmal bemerkt zu haben, dass jemand herein gekommen war, und das obwohl die Tür ein lautes Quietschen von sich gegeben hatte. „Sie sagte, dass Rot mir steht...“ Aus dem Nichts erklang Yukikos Stimme. Wie schon damals bei Yosuke, hallte sie und schien vollkommen aus dm Zusammenhang, wenn es überhaupt einen gab, gerissen worden zu sein. „Ich hasste meinen Namen... Yukiko... Schnee... Schnee ist kalt und schmilzt schnell. Er ist flüchtig... Aber es passt zu mir... Abgesehen davon, dass ich das Gasthaus übernehmen soll, bin ich wertlos. Und dennoch... Chie sagte mir, dass rot mir steht.“ Es war wirklich in Sakis Bereich. Was sie hier hörten, waren Yukikos innerste Gedanken. Traurige Gedanken, die in Otome nun aber umso mehr den Eindruck sicherten, dass ihre Klassenkameradin nicht glücklich war. Zumindest hatte sie am Samegawa River so gewirkt, als sie sich dort unterhalten hatten. „Chie war die Einzige, die meinem Leben einen Sinn gab. Sie strahlt so hell, ist stark und sie kann alles tun. Sie hat alles, was ich nicht habe... Verglichen mit ihr... bin ich... bin ich... Chie beschützt mich. Sie gibt auf mein wertloses Leben acht und Ich... Ich verdiene nichts davon. Chie ist so nett.“ War sie genauso? Das war eine Frage, die Otome plötzlich durch den Kopf ging. Sie hatte auch schon öfter daran gedacht, dass es Miwako war, die ihrem Leben einen Sinn gab, auf die sie sich verlassen konnte, die ihr sagte, dass es nicht schlimm war sich an diverse Dinge nicht erinnern zu können. „'Chie ist nett.', was? Das ist doch ein Witz...“ Alarmiert sahen Yosuke und Otome zur Tür, die wohl eine Etage höher führen sollten. Es war eine zweite Chie, die aus dem Nichts aufgetaucht war und sich nun ihrem Ebenbild entgegen stellte. Eine Situation von der Yosuke und Otome wussten, dass sie gefährlich werden würde, denn mit Sicherheit würde Chie nicht eingestehen, dass egal was dieses Ebenbild sagen würde, es ihren innersten Gedanken waren. So wie Yosuke. Es würde ihr ebenso unangenehm sein. „Reden wir wirklich über diese Yukiko? Sie sagt, dass ich sie beschütze! Sie sagt, dass sie wertlos ist. So sollte es sein, nicht wahr?“ Ein breites Grinsen lag auf dem Gesicht der Shadow Chie. Sie schien zu genießen, was Yukiko sagte und fühlte, anders als Chie selbst, die in verlegenes Stottern kam. „W-Was sagst du denn da?“ „Yukiko sieht sooooo gut aus... soooo alabasterhäutig... sooo weiblich. Sie ist diejenige, bei der die Jungs ins sabbern geraten. Wenn Yukiko so eifersüchtig auf mich ist, dann sollte ich doch das beste da herausholen. Yukiko weiß wie es läuft. Sie kann nichts tun, wenn ich nicht in der Nähe bin. Ich bin besser als sie... Viel, viel besser!“ Chies Gefühle waren nun ein offenes Buch. Ein Buch, dass Chie unangenehm war. Nicht nur wegen Yosuke und Otome, sondern auch wegen sich Selbst. Es waren Gefühle, die sie sich über Monate, Wochen, vielleicht sogar Jahre, nicht hatte eingestehen wollen. „Nein, so etwas habe ich nie gedacht...“ Verzweifelt versuchte Chie sich gegen das aufzulehnen, was ihr Ebenbild sagte. Verzweiflung weil alles das was Shadow Chie sagte wahr war und sie die ganze Zeit gegen diese Gedanken angekämpft hatte. „W-Was sollen wir jetzt machen?“ Es war merkwürdig, dass Yosuke diese Frage stellen musste. Immerhin war es offensichtlich, was es für sie nun zu tun gab. „Wir müssen Chie beschützen. Sonst läuft ihr Shadow Amok und das können wir beide uns nicht leisten!“ Es war für Otome das Worst Case Szenario schlechthin, wenn Chies Shadow nun durchdrehte und Amok lief. Sowohl Yosuke als auch sie waren körperlich und seelisch an ihre Grenzen geraten und ein weitere Kampf konnte nicht nur strapazierend werden, sondern würde auch noch die letzten Reserven aufbrauchen. Noch dazu war es fraglich, ob sie eben jenen Kampf gewinnen konnten. „N-NEIN! Kommt mir nicht näher! Seht mich nicht so an!“ Es war also wahr. Daran gab es nun keinen Zweifel mehr. „Nein... Nein, das bin nicht Ich.“ Ein Lachen erklang von Shadow Chie. Sie hatte sichtlich Spaß daran ihre eigenes Ich zu provozieren, sie in Verlegenheit zu bringen und dazu zu nötigen, dass sie es ablehnte. „Richtig. Ich bin diejenige, die nichts alleine auf die Reihe bekommt... Ich kann nicht als Mädchen gewinnen, geschweige den als Mensch. Ich bin so erbärmlich. Aber Yukiko... Ach Yukiko... sie ist von mir abhängig. Deswegen ist sie doch meine Freundin. Ich habe niemals die Gewalt über sie verloren, dafür ist sie immerhin zu wichtig für mich.“ Die Worte von Shadow Chie klangen alles andere als erfreulich, aber nachvollziehbar. Niemand wollte die Person verlieren, die einen das Gefühl gab wichtig zu sein. Auch wenn es einem selbst unangenehm war. Mit Sicherheit ging es aber auch Yukiko nicht anders. Immerhin vertraute sie auf Chie, hing sich schützend an sie und wich nicht von ihrer Seite, weil dort die gewohnte Sicherheit vorfand. Otome kannte dieses Gefühl. Ihr ging es immerhin bei Miwako nicht anders. „Nein, so denke ich überhaupt nicht über sie.“ Es waren Chies letzte Versuche ihren Blick von der Wahrheit abzuwenden. Etwas, dass aber vollkommen unmöglich war. Es wurde damit immer deutlicher, dass Chies Shadow sie provozierte um frei zu sein. Denn sie genoss diese Ablehnung und lachte herzlich darüber. „Du wendest mir also den Rücken zu und lehnst mich erneut ab? Aber alles ist nun anders. Wenn die Zeit reif ist, werde ich aufrecht stehen bleiben. Da hast du doch nichts dagegen, oder? Immerhin bin ich du.“ Es wurde gefährlich und doch konnten sie das was kam nicht mehr aufhalten. Chie war für ihre Worte nicht mehr erreichbar. Sie wollte nur noch ablehnen, was ihr so unangenehm war und was andere, die vor Ort waren, nicht sehen sollten. „Du bist nicht ich!“ Es war ein Schrei, von dem Chie hoffte, dass er sie von diesem Ebenbild erlösen würde. Doch nichts. Es gab keine Erlösung für sie, nicht jetzt, nachdem sie abgelehnt hatte, was ein Teil von ihr war. Es war ein vertrautes Bild, dass sich Otome bot. Eine dunkle Aura umgab Shadow Chie. Eine Aura, die ihr Kraft gab, und Chie jeglicher Macht raubte. Wie schon Yosuke, verlor Chie unter diesem Prozess das Bewusstsein und brach zusammen. „E-Es kommt! Setzt eure Kräfte ein um Chie zu retten!“ Otome reagierte so schnell sie konnte und lief zu Chie um ihren reglosen Körper so gut es ging in Sicherheit zu ziehen. Doch sie kam mit dem Gewicht nicht klar und wurde von der Druckwelle, die Shadow Chies Verwandlung erzeugte, weg geschleudert. „Ich bin ein Schatten... das wahre Ich... Was glaubt ihr Jungs da zu tun? Wollt ihr das 'wahre' Ich beschützen? Dann sollt ihr auch den Preis dafür bezahlen.“ In Otomes Kopf drehte sich alles. Der Aufprall auf dem Boden hatte ihr wieder einmal klar gemacht, dass sie körperlich am Ende war. Doch noch durfte sie nicht aufgeben. Sie musste jetzt noch einmal durchhalten. Ächzend erhob sie sich wieder und schüttelte den Kopf. Sie hatte nur ein Ziel und darauf musste sie sich fokussieren. Sie konnte Yosuke nicht alleine die ganze Arbeit überlassen. Dieser hatte sich nämlich bereits mutig in den Kampf gestürzt und griff Chies Shadow mit allem an was er hatte. „Jiraiya! GARU!“ Geschickt war Yosuke einem Peitschenhieb des wankenden Shadows ausgewichen. Otome erkannte jetzt erst, dass die drei Figuren, die den eigentlichen Teil des Shadows trugen, Chies waren. Es war schon sehr bezeichnend, dass dieser Shadow eine Peitsche trug, sich Hoheitsvoll von ihrem unterdrückten Ich tragen ließ, während sich der Shadow um Yosuke kümmerte. „Wir werden dich retten, versprochen, Chie.“ Zu allem entschlossen hob Otome das Schwert vom Boden auf und ging auf ihren Gegner zu. Die Klinge des Schwertes schleifte schwach, aber dennoch bedrohlich über den unechten Marmor, der hässliche Kratzer bekam und davon zeugte, wie schwach Yukiko sich im Augenblick fühlte. Auch wenn sie Yukiko nicht vergessen hatte, war Chie für den Moment wichtiger. Genauso wie Yosuke. „AH!“ Von einem erneuten Windangriff getroffen, gaben die drei Chies, die die Beine des Shadows waren, nach. Das war ihre Chance. Ohne zu zögern lief Otome, mit erhobenen Schwert auf ihren Gegner zu und machte sich bereit für einen Angriff. Sie sah, wie der Kopf des Shadows sich hob, doch das konnte nicht verhindern, dass Otome ihre Klinge auf sie niedersausen ließ. „Nein!“ Ganz knapp wich der Shadows aus, indem ihre Sklavenbeine sich mit ihr weg rollten. Dennoch schnitt Otomes Klinge in den Arm des Shadows, der dies mit Missgunst und Wut wahrnahm. Doch ihr Zorn fixierte sich nicht auf die Trägerin des Schwertes, sondern auf Yosuke, der sie zu Fall gebracht hatte. „Wie langweilig! Ihr macht damit schon ernst? Dabei haben wir doch gerade erst angefangen.“ Mit Schwung ließ Shadow Chie ihre Peitsche auf dem Boden knallen, worauf eine Art Schild sich vor ihr aufbaute und wieder verblasste. „Wir sind noch nicht fertig hier! Jiraiya, noch einmal Garu!“ Yosuke hatte ganz klar erkannt, dass Shadow Chie empfindlich gegen die Angriffe seiner Persona war und immer wieder ins schwanken geriet. Wenn sie das für sich nutzen konnten, war der Kampf ein Kinderspiel. Das war selbst Otome klar, weswegen sie es bereute, dass Yosuke nicht die Snuff Soul angenommen hatte. Schließlich kostete das beschwören der Persona und ihre magischen Angriffe, genug psychische Kraft. Mit den Seelentropfen hatte er davon höchstens ein viertel regenerieren können. Doch es lief anders. Der Tornado prallte einfach so an Shadow Chie ab, die lachend auf den jungen Kämpfer sah. „Sie hat einen Schutzwall um ihren Schwachpunkt aufgebaut, kuma! Passt auf!“ Einen Schutzwall. Dahin war die Chance auf einen schnellen, effektiven Sieg. Jetzt war alles was sie einsetzen konnten, ihre körperliche Stärke und vielleicht Izanagis Angriffe. Allerdings fühlte sich Otome nicht mehr in der Lage ihre Persona zu beschwören. Sie war ausgelaugt und es grenzte mehr an einem Wunder, dass sie überhaupt noch stehen und kämpfen konnte. „Dann eben anders!“ Staunend sah Otome zu Yosuke, der noch nicht aufgeben wollte. Für ihn schien es keine große Sache zu sein, dass ihre effektivste Waffe keinen Nutzen mehr hatte. Im Gegenteil. Todesmutig stürzte er sich mit seinen Kunais auf Shadow Chie, die seinen Angriffen wankend, aber doch in gewisser Weise grazil auswich. Otome bewunderte Yosuke dafür, dass er gerade jetzt nicht aufgeben wollte. Es war inspirierend und zeigte ihr, dass sie nicht alleine war. Zusammen hatten sie eine Chance, egal was Shadow Chie ihnen noch entgegen schleudern sollte. „Was seid ihr nur für Dummköpfe? Warum beschützt ihr sie so sehr? Sie ist doch nichts als ein Häufchen Elend!“ Shadow Chie konnte nicht es nicht glauben, als sie auf die Kämpfer sah, die schwer sich schwer atmend erneut für einen weiteren Angriff sammelten. Yosuke und Otome hatten sie unentwegt angegriffen und obwohl Shadow Chie nicht einmal zu wanken schien, nagte diese Welle an Angriffen auch bereits an ihren Kräften. „Warum wir sie beschützen? Weil Chie unsere Freundin ist!“ Auch wenn die Worte Yosukes ein wahres Klischee waren, stimmten sie doch. Selbst Otome empfand so, auch wenn sie Chie noch nicht so kannte. Aber sie hatte mit ihrer Mitschülerin schon einiges mehr erlebt, als man es nur mit treuen Kampfgefährten tat. Noch dazu war es Chie gewesen, die sie als erste angesprochen und Kontakt zu ihr aufgenommen hatte. Es war, aus Otomes Sicht an der Zeit, diesen Gefallen doppelt und dreifach zurückzuzahlen. „Du! Die Neue... Ich habe dich durchschaut. Deswegen werde ich dir zeigen, dass du genauso machtlos wie Yukiko bist!“ Lachend hob Shadow Chie ihre Peitsche und machte sich bereit diese auf Otome loszulassen. Otome wusste, dass sie dem nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte. Selbst mit dem Schwert wäre es ihr unmöglich diesen Angriff auszuweichen. „OTOME!“ Sie spürte einen Druck in ihrer Seite, der sie zu Boden schickte und gleichzeitig aus dem Schussfeld Shadow Chies brachte. Als sie aufsah, erkannte sie Yosuke, um dessen Armen sich das Leder der Peitsche geschlungen hatte und Shadow Chie vor Begeisterung erzittern ließ. „In die Falle gegangen!“, lachte sie hysterisch und beschwor einen Angriff, durch ihre Peitsche, die wie ein Leiter wirkte. Zu spät erkannten Otome und Yosuke, dass Shadow Chie all das geplant hatte und sie ihr gnadenlos in die Falle gegangen waren. Otome konnte selbst nur m ansehen, wie die volle Macht des Angriffes auf Yosuke wirkte. Schreiend, brach der Junge zusammen, ließ seine Kunai fallen und war den Angriffen Shadow Chies ausgeliefert. „Weißt du, Yosuke. Ich habe dich schon immer gehasst. Du bist wirklich eine Qual. Immer so Happy go lucky. Du schleimst dich überall ein, ohne es wirklich ernst zu meinen. Ich habe mich nur mit dir abgegeben, um dich von Yukiko fernzuhalten und jetzt werde ich dich beseitigen, damit du nicht mehr den großen Helden für die Neue spielen kannst.“ Das hysterische Lachen des Shadows hallte durch den Raum, als sie ihre Peitsche hob und den Schwanz immer wieder auf Yosuke sausen ließ, der gelähmt von dem elektrischen Schlag, keine Chance hatte dem auszuweichen. Otome sah fassungslos auf Yosuke, der ächzend am Boden lag und immer wieder versuchte auf die Beine zu kommen. Ihm war der Schmerz den er empfand auf dem Gesicht geschrieben. Schmerzen die er empfand, weil er sie gerettet hatte und sie war gerade so unfähig ihn zu retten. Einfach weil ihr die Kraft fehlte. Sie war schwach. Wäre Miwako hier gewesen, sie hätte wie paralysiert mit ansehen müssen, wie ihre einzige, wahre Freundin von einem unwirklichen Monster umgebracht wurde. Nimm die Snuff Soul. Kaum dass sie die Stimme Izanagis in ihrem Kopf hörte, glitt ihre Hand in den Beutel. Aber konnte Izanagi wirklich etwas tun? Konnte er, wenn sie ihre seelischen Schmerzen linderte wirklich Yosuke retten? Unsicher hielt Otome inne, während die Schreie Yosukes den Saal erfüllten und ihr durch Mark und Bein ging. Wenn sie versagte, würden sie beiden sterben. Doch wenn sie nichts taten, würden sie auch sterben. Es war demnach egal was sie tat. Sie würden hier nicht mehr lebend herauskommen. Das ist aber nicht die Otome die ich kenne. Hast du es schon vergessen? Es ist erst vorbei, wenn es wirklich vorbei ist. Und momentan ist hier nichts entschieden. Ein kalter Schauer fuhr Otome über den Rücken, als sie so klar und deutlich eine andere männliche Stimme hörte, die nicht zu Izanagi gehörte. Sie war ihr vertraut und doch flüsterte ihr ein Teil ihres Unterbewusstseins zu, dass diese Stimme nicht real sein konnte. Dennoch, konnte Otome den Reflex nicht verhindern, der dafür sorgte, dass sie sich umsah um den Urheber dieser Stimme auszumachen. Jetzt benutze schon die Snuff Soul. Du bist die einzige, die ihn jetzt noch retten kann. Warum vertraute sie dieser Stimme? Warum war sie so glücklich sie zu hören? Das waren Fragen die Otome nicht beantworten konnte. Aber diese Stimme war der letzte Push den sie brauchte, um sich ihre Sache sicher, die Snuff Soul aus dem Beutel um ihrer Hüfte zu ziehen und ihre seelischen Schmerzen von diesen zu absorbieren zu lassen. Als die kleine blaue Kugel genug von ihrer Aufnahmekapazität verbraucht hatte, zerplatzte sie in Otomes Hände. Sie würde nicht versagen, denn sie durfte es nicht. Wenn sie aber zweifelte, würde kein Weg an einer Niederlage vorbeiführen. „Izanagi! Zerstör die Peitsche!“ Aktuell würde ihre Kraft reichen, um mit Izanagi gemeinsam den Kampf gegen Shadow Chie führen zu können. Allerdings war Shadow Chie nicht ganz so angeschlagen wie sie und Yosuke. Doch wenn sie Yosuke irgendwie heilen könnte und er noch genug seelische Kraft beschwören um Jiraiya zu rufen um mit ihr zusammen Shadow Chie zu vernichten. Allerdings... Sie hatte weder Pfirsiche noch einen Seelentropfen bei sich, um irgendetwas zu drehen, dabei brauchte sie so dringend etwas um Yosuke noch zu unterstützen, während Izanagi für die Ablenkung sorgte. Ruf meinen Namen. Da war sie wieder diese Stimme. Die Stimme die ihr versprochen hatte zu helfen, wenn sie nur ihren Namen rief. Aber sie kannte den Namen nicht. Woher sollte sie ihn auch kennen? Woher sollte sie wissen, was für eine physische Form dieses Wesen hatte? Du kennst mich und meinen Namen. Erinnere dich und sage ihn. Angestrengt dachte Otome nach. Hatte sie Recht? Hatte die Stimme wirklich Recht und sie wusste wer sie war? Nur woher? Wann hatte sie die Stimme schon einmal gehört? Klar und deutlich hörten Otome und das Wunderkind die Hunde hinter sich. Vollkommen außer Atem liefen sie durch die Dunkelheit der Nacht, wissend, dass in wenigen Minuten eine Stunde beginnen würde, in der sie genügend Abstand zwischen sich und ihren Verfolgern bekommen würden. „Ich kann nicht mehr...“, keuchte Otome und umklammerte die Hand des Wunderkindes fester um ihn nicht zu verlieren und wieder in die Gewalt dieser Irren zu gelangen. Sie wollte nur weg von dieser Anstalt, dieser Schule, die vor wenigen Minuten in die Luft geflogen war. In der Ferne hörte sie die Rufe der Wächter, die gerade einen ihrer Mitgefangenen erwischt hatten und Otome wollte sich gar nicht ausmalen, was sie nun mit ihnen machten. „Halte durch. Ich helfe dir. PIXIE!“ Es schien ihrem Freund nicht schwer zu fallen, auch mitten im Lauf und am Ende seiner Kräfte dennoch eine Persona zu beschwören. Seine kleine Fee, die sie schon im Feuer vor dem schlimmsten bewahrt hatte. Und gerade jetzt heilte sie ihren Körper und gab ihr die Kraft noch länger durchzuhalten. Es durchzog Otome wie einen Geistesblitz. Genau, sie wusste den Namen und sie kannte auch die Stimme des Wesens, ebenso ihre Gestalt. Es musste jetzt nur noch schnell gehen, denn im Gegensatz zu dem Wunderkind in ihren Erinnerungen konnte sie keine zwei Personas auf einmal beschwören. Mit einem Blick auf ihre Persona, zog sie Izanagi zurück und machte sich bereit für die neue Beschwörung. Im Geiste rief sie den Namen der Persona die jetzt noch das Blatt wenden konnte. „Pixie, heile Yosuke mit Dia!“ Es war ihre einzige Möglichkeit und sie durfte nicht verpuffen, weil Shadow Chie ihre Aufmerksamkeit nun wieder auf sie gerichtet hatte. Der Kampf gegen Izanagi hatte sie schon etwas an Kraft gekostet, doch es würde Teamarbeit benötigen um ihr endgültig den Gar auszumachen. „Mach dich nicht über mich lustig... Ihr seid ein Nichts im Gegensatz zu mir!“ Wieder holte Shadow Chie mit der einzigen Waffe aus, die sie hatte. Ihre Peitsche. Sie wollte Pixie daran hindern Yosuke genug Kraft zum stehen zu geben, doch da hatte sie die Rechnung ohne Otome gemacht. Ohne zu zögern stellte sie sich vor ihren Freund und ihre Persona und blockte mit dem Schwert den Hieb der Peitsche ab, deren Schwanz sich um ihre kühle Schwertschneide schlang. „Ihr seid so dumm, ihr macht denselben Fehler immer wieder“, lachte Shadow Chie hysterisch und ließ einen elektrischen Stoß durch ihre Waffe gleiten. Otome machte sich für den Schmerzt des Schlages bereit, doch sie spürte nichts. Es schien fast so, als kamen die elektrischen Stöße nicht einmal bei ihr an. „W-Was?“ Genauso überrascht wie Otome, sah Shadow Chie das an. Unfähig so schnell auf den Sturm zu reagieren, der sie erfasste und zu Boden schleuderte. „Jetzt, mit allem was wir haben!“ Kurz sah Otome hinter sich zu Yosuke, der wieder auf den Beinen stand und schwer atmend zu Otome sah. Neben ihn schwebte seine Persona Jiraiya, die bereit war noch einige weitere Angriffe auszuführen. „Warum? Warum beschützt ihr sie?“ Keuchend kam Shadow Chie wieder auf die Beine, doch sie schwankte bedrohlich, was deutlich machte, dass nicht mehr viel fehlte um sie zu besiegen. „Warum? Weil sie mehr ist! Weil sie es wert ist, deswegen. Es ist doch egal ob Yukiko femininer ist, oder ob die Jungs sich nur für sie interessieren. Das ändert doch nichts daran, dass Chie selbst auch wichtig ist. Ebenso ihr Leben. Und wenn sie in Gefahr ist, werden wir nicht einfach nur wegsehen und sie sterben lassen. Sie ist schließlich unsere Freundin!“ Otome wusste nicht, woher es kam, aber es fühlte sich richtig an, eine große Rede zu schwingen und klar zu machen, dass sie nicht eher gehen würden, bis Chie gerettet war. „Es tut mir ja leid, dass Chie sich deiner schämt, auch wenn es keinen Grund dafür gibt. Denn ich weiß, dass ihre Freundschaft zu Yukiko mehr als nur Mittel zum Zweck ist. Zwar mögen diese Gedanken auch ein Teil ihrer Freundschaft ausmachen, aber nicht nur. Chie kennt so viele Geheimnisse von Yukiko, sie verbringen ihre Freizeit miteinander und wenn etwas nicht stimmt, dann sorgen sie sich umeinander. Was soll also so schlimm daran sein, aus niederen Zwecken eine Freundschaft zu haben, wenn es dennoch eine wahre Freundschaft ist, die aus Geben und Nehmen besteht? Nichts! Denn wir alle schließen Freundschaften mit einem Sinn dahinter. Um jemanden näher zu sein, um nicht einsam zu sein, um etwas über jemanden zu erfahren, aus Dankbarkeit. Es gibt so viele Gründe, aber diese werden niemals definieren, was in Zukunft aus dieser Freundschaft werden kann!“ Otome hatte genug nachgedacht. Ihre Freundschaft zu Miwako war nicht einfach nur eine Zweckbeziehung. Sie beide kannten Dinge über den anderen, die Außenstehende nicht kannten. Auch wenn immer dieser eine Zweck hinter ihrer Freundschaft stand, würden sie doch wahre Freunde bleiben. „Richtig! Und deswegen, lassen wir nicht zu, dass du Chie schadest. JIRAIYA!“ Mit entsetzen sah Shadow Chie, dass Yosuke seine Persona beschwor. Sie ahnte was kommen würde und dass sie sich dagegen nicht mehr verteidigen konnte. Es war nur noch das Auge des Wirbelsturmes, das sie erblickte, als sie von ihm erfasst und zu Boden geschickt wurde. „Jetzt! Mit allem was wir haben!“ Mit seinen gezückten Kunais und mit ihrem erhobenen Schwert, stürmten Otome und Yosuke auf Shadow Chie zu und beschworen ihre Personas erneut, um ihr endgültig, mit vereinten Kräften den Rest zu geben. Der Shadow sah nur noch die Klinge von Otomes Schwert, als er seinen letzten Atemzug tat und sich in Chies Ebenbild zurück verwandelte. Erleichtert sahen Yosuke und Otome, dass es endlich vorbei war. Rücken an, einander stützend, sanken sie zu Boden und atmeten tief auf. Sie brauchten erst einmal eine Pause, denn dieser Kampf hatte wirklich schwer an ihren Reserven genagt. „Endlich...“, wisperte Yosuke erleichtert und atmete tief durch. Es war dieser Moment, in dem Otome verstand, wie erschöpft Yosuke wirklich gewesen war. Auch wenn sie das vorher schon geahnt hatte, war es Yosuke scheinbar nicht schwer gefallen, seine Müdigkeit zu verbergen. „Hey... Otome... ist alles okay? Ich meine... Das vorhin war unglaublich. Du hast mein Leben gerettet. Alleine wäre ich wohl gnadenlos unterlegen gewesen.“ Verwundert sah Otome zu einer Wand, die ihr gegenüber lag. Sie selbst hatte nicht das Gefühl wirklich viel für ihn getan zu haben. Er hatte ihr immerhin schon dreimal das Leben gerettet, wenn sie richtig gezählt hatte. „Danke dir auch. Ohne dich... Nun, ohne dich wäre ich nicht einmal bis hier her gekommen. Du bist echt ein Held, Yosuke Hanamura.“ Obwohl Otome Yosuke nicht sehen konnte, sah sie vor ihrem inneren Augen förmlich sein verlegenes Lächeln. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass sie ihn loben würde. Nicht, nachdem sie ihn heute so eine Standpauke gehalten hatte. „Ach, das... das ist schon okay. Das hätte jeder in meiner Situation getan.“ Ein leises Glucksen entkam Otomes Kehle. Yosuke war in diesem Punkt wirklich unglaublich. Unglaublich wie ein wahrer Held, der seine Taten runter spielte und damit bescheiden blieb. Eine Eigenschaft, die für Otome ihren Klassenkameraden in ein besseres Licht rückte. „Schauen wir nach Chie...“, erklärte er schließlich noch schnell und erhob sich vom Boden. Er wollte dieser Situation, die positiv unangenehm war, entfliehen und Chie war dafür die beste Ausrede. Erschöpft öffnete Chie die Augen und sah sogleich in Yosukes und Otomes erleichtertes Gesicht. Nur beschwerlich kam die Erinnerung, was geschehen war, wieder zusammen mit dem Gefühl der Scham und Angst. „Chie! Geht es dir gut?“ Sie hörte deutlich die Erleichterung in Yosukes unsicherer Stimme. Er schien sie nicht zu verurteilen. Im Gegenteil, er schien aufrichtig besorgt um sie zu sein. Doch wieso? Waren ihre Erinnerungen falsch? „Was ist passiert?“, fragte sie unsicher und erhob sich. Schnell erkannte sie, dass ihre Erinnerungen nicht falsch war. Denn dort stand sie. Ihr anderes Ich, dass sie erwartungsvoll, fast schon traurig fixierte und scheinbar auf etwas zu warten schien. „Was ist los? Hast du jetzt nichts mehr zu sagen?“ Es war seltsam ihr anderes Ich, dass sie einfach nicht akzeptieren konnte, so ruhig zu sehen. Immerhin hatte sie sie zuvor so herausgefordert. So provoziert und nun schien ihr Ebenbild seine Zunge verschluckt zu haben. „Chie!“ Sie zuckte zusammen, als sie Yosukes mahnende Worte hörte. Hatten die beiden sie etwas durchschaut? Kannten sie nun ihre intimste Seite? „Lass es gut sein.“ Sie hatte alles erwartet, aber nicht diese Worte. Sie sollte es gut sein lassen? Sie sollte einfach so ignorieren, was die andern beiden gesehen hatten? Sie sollte dieses Ich akzeptieren, dass Yukiko nur als Mittel zum Zweck benutzte? Das konnte sie nicht. Enttäuscht, senkte Chie ihren Kopf. Sie wagte es nicht einmal mehr ihr Ebenbild anzusehen. Es war unangenehm und wegzusehen war da die einfachere Option. „Chie, du bist mehr als das. Doch, wenn du deinen Blick von dieser unangenehmen Seite deiner selbst abwendest, wie willst du dann erkennen, dass dich mehr ausmacht als diese eine? Um das Gute zu sehen, darf man seinen Blick auch nicht von den Schlechten abwenden.“ Chie war wirklich verwundert, als sie Otomes Hand auf ihrer Schulter spürte. Obwohl sie ihre Trainingsjacke trug, konnte sie die Wärme spüren, die von ihr ausging. Die Kraft, die sie brauchte um den Kopf zu heben und in die goldgelben Augen ihres anderen Ichs zu sehen. „Ja... ich verstehe es. Du bist ich... Eine Seite von mir, der ich nicht verzeihen konnte. Die ich versuchte zu ignorieren. Und dennoch existierst du. Du bist ein Teil von mir.“ Erleichtert ließ Otome ihre Hand von Chies Schulter gleiten, als sie erkannte, dass ihre Klassenkameradin endlich bereit war ihr anderes Ich zu akzeptieren. Sich zu akzeptieren wie sie war. Wie schon bei Yosuke, konnte Otome beobachten, wie aus dem Shadow eine Persona wurde, ein treuer Helfer und in späteren Kämpfen vielleicht eine nützliche Verstärkung. „Tomoe Gozen...“, wisperte Chie und legte ihre Hand auf ihre Brust, als würde sie dort den Herzschlag ihrer neuen Kraft, ihrer Persona spüren. Und doch hatte Chie noch nicht alles gesagt. Immerhin, hatten Otome und Yosuke alles gehört. Alles das, was sie war, aber was sie nicht richtig erklären konnte. Ich... nun... Es ist wahr, dass ein Teil von mir so empfindet. Aber ich habe nicht gelogen, als ich sagte, dass Yukiko meine Freundin ist!“ Verwundert sah Otome zu Yosuke, der scheinbar verstand, was in Chie gefahren war. Denn auf seinem Gesicht zeichnete sich ein grinsender Ausdruck ab, der es Otome schwer machte ihren Mitschüler zu deuten. „Als ob wir das nicht wüssten“, feixte Yosuke, doch sein grinsender Ausdruck wich schnell, als Chie wankte und schließlich auf die Knie sank. Sofort reagierte Yosuke und griff nach Chies Arm, was sie realisierte, als sie ihn ansah. „Schon okay. Ich bin nur etwas müde.“ Das war verständlich. Sie hatte bis vor wenigen Minuten ihre Kräfte mit einem Shadow geteilt, der richtig randaliert hatte. Selbst Otome war müde, wenn auch nicht auf die Art und Weise wie Chie, bei der es nur physisch war und sich auf den Körper auswirkte. Otome und Yosuke hingegen waren sowohl physisch als auch körperlich angeschlagen. „Gehen wir einfach zurück. Chie braucht etwas Ruhe. Wir kommen später wieder, und dann gehen wir alle gemeinsam rein.“ Lächelnd hielt Otome Chie ihre Hand entgegen. Chie verstand sofort was sie meinte und errötete. Sie war so besorgt um Yukiko gewesen, dass sie ihre Abmachung gebrochen hatte und einfach rein gerannt war. Doch jetzt, da sie wusste was für verlässliche Partner sie mit Otome und Yosuke hatte, würde das nicht noch einmal passieren. Dennoch, passte es ihr nicht, dass sie Yukiko alleine lassen sollte, jetzt, da sie ihre wahren Gefühle gehört hatte. „Aber Yukiko ist noch hier. W-Wenn das ihre wahren Gefühle waren, dann muss ich ihr etwas sagen. Ich bin nicht so stark wie sie denkt! Nur weil sie bei mir war... Weil wir immer zusammen waren, konnte ich stark wirken. Wenn sie nicht wäre, dann wäre ich... wäre ich...“ Chie war eindeutig den Tränen nahe. All das, das akzeptieren ihres anderen Ichs, die Erfahrung zu wissen, was Yukiko von ihr hielt, es war einfach zuviel für sie. „Mach dir keine Sorgen, kuma. Du musst dich erst einmal ausruhen. Das alles kannst du Yuki-chan auch später erzählen, kuma. Sie ist immerhin ein normaler Mensch und Shadows greifen normale nicht an. Zumindest nicht solange, wie der Nebel sich nicht gelichtet hat, kuma.“ Vielleicht lag es ja an Kumas Worte, dass sich Chie beruhige, aber mit einem mal, war sie einverstanden, dass sie doch erst einmal eine kurze Zeit ruhten, bevor sie erneut den Kampf gegen die Shadows wagten. „Okay, gehen wir. Yosuke, kümmere dich um Chie, ich hab noch etwas Kraft von der Snuff Soul. Ich werde uns also den Weg freimachen.“ Entschlossen erhob sich Otome von ihrem Platz und hielt ihr Schwert kampfbereit. Yosuke hatte an diesem Tag schon genug getan, deswegen lag es nun an ihr, noch den Rest zu erledigen, bis sie wieder sicher hier draußen waren. **~~** Es war seltsamerweise sehr einfach gewesen zurück zu ihrem Ausgangspunkt mit den Fernsehern zu kommen. Otome war erleichtert, denn so mussten sie nicht mehr um ihre Leben fürchten. Schließlich vermittelte ihr dieser Ort so etwas wie Sicherheit. „Ich... Ich fühlte mich noch schlechter als letztes Mal...“, nuschelte Chie müde, als sie endlich eine Pause machten und sich ausruhten. Sie sah in der tat blass aus und hielt ihre Augen zusammengekniffen, als versuchte sie entgegen ein grelles Licht zu blicken und darin etwas zu erkennen. „Dieser ganze Nebel... mein Kopf fühlt sich an, als würde er gleich platzen.“ Chies Ausdruck im Gesicht erklärte sich nun. Doch gleichzeitig verwunderten ihre Worte Otome. Sie selbst fühlte sich wirklich gut, abgesehen von den körperlichen Blessuren. Yosuke schien es ähnlich zu gehen. Es musste bei ihnen also etwas geben, dass Chie nicht hatte. „Die Brillen. Vielleicht geht es uns deswegen besser als dir!“, platzte es aus Otome heraus. Erschrocken sahen Yosuke und Chie sie an. So einen Ausbruch, dank eines Geistesblitzes, hatte keiner von ihnen von Otome erwartet. Wahrscheinlich hatte Otome es nicht einmal selbst erwartet. Verlegen räusperte sie sich daher und sah an beiden vorbei. „Ich meine... Wir sehen damit ja auch den Nebel nicht. Deswegen müssen wir unsere Augen nicht so sehr anstrengen und... naja es erschien mir als logisch“, verteidigte sich Otome und sah zu Yosuke der nur bestätigend nicken konnte. Es war immer noch unglaublich, wie gut sie mit den Gläsern in dieser Welt sehen konnten. „Oh richtig, kuma! Ich habe auch für dich welche, Chie-chan.“ Stolz und triumphierend zog Kuma irgendwoher das paar Gläser, welches er Chie reichte. Verwundert sah Otome zu dem Bären, denn noch immer fragte sie sich, woher er die Brillen bekam. Sie sah keine Taschen in seinem Kostüm, einfach nichts. „Okay... Als nächstes müssen wir Yukiko retten, bevor der Nebel in unserer Welt sich breit macht. Wir haben zwar noch etwas Zeit, aber wir sollten das dennoch nicht zu weit aufschieben. Allerdings...“ Yosukes Blick ging zu Chie, die trotz der Brille immer noch hundeelend aussah. Sie brauchte eindeutig eine Pause. „In Ordnung, von morgen an versuchen wir so oft wie möglich nach der Schule hier herzukommen, das schließt natürlich auch unsere freien Tage ein. Hey, Otome. Würdest du unsere Anführerin spielen? Du bist die erste, die diese Kraft erhalten hat, außerdem kannst du deine Personas wechseln. Ich denke es wäre das beste für unser Ermittlungstempo, wenn wir einfach deinen Weisungen folgen. Was meinst du Chie?“ Schweigend nickte Chie. Sie brauchte nicht lange um für sich zu entscheiden, dass Otome wirklich die richtig war. Eine Wahl, die Otome bezweifelte. Und dennoch, sie konnte nicht anders, als sie in diese erwartungsvollen Blicke ihrer Mitstreiter sah. „Auch wenn ich meine, dass Yosuke vielleicht der bessere Anführer wäre... Ich scheine wohl überstimmt zu sein.“ Damit war ihre Liste für die Kennzeichen einer Protagonistin erfüllt. Sie war die mit der besonderen Gabe, sie war nun die Anführerin, ihr vertrauten Menschen, denen sie selbst viel mehr zutraute als sich selbst. „Ich stimme Yosuke zu. Du bist am besten geeignet. Deinen Fähigkeiten verdanken wir immerhin, dass wir von dieser Welt erfahren haben. Außerdem, wenn du die Befehle gibst, kann ich abends besser schlafen“, setzte Chie nach und versuchte damit alle weiteren Zweifel in Otome zu beseitigen. Jedoch war das unmöglich. Sie war keine Anführerin, zumindest nicht aus ihrer Sicht. Sie war jemand, den man führen musste. So wie diese Person aus ihren schwachen Erinnerungen. Niemals konnte sie eine Gruppe aus drei Leuten so anführen, wie es das Wunderkind getan hatte, auch wenn sie ihm nun ein Stück näher war. „Ich stimme auch Yosuke zu, das Sensei unsere Anführerin wird. Wenn Sensei die Befehle gibt, kann ich abends besser schlafen, kuma.“ Die drei hatten sich doch wirklich gegen sie verschworen. Wie sollte sie da wirklich noch Nein sagen? Sie hatte somit keine andere Wahl. Das Vertrauen ihrer Freunde wollte sie nicht enttäuschen, indem sie ihre Bitte ablehnte. Im Gegenteil, es ehrte sie sogar in gewisser Weise. Ihr seiet Ih... und Ih seiet Ihr... Ihr habet einen neuen Bund geschlossen Er bringet euch näher zur Wahrheit. Ihr seiet gesegnet, wenn ihr Personas des Narren beschwört. Dieses wohlige Gefühl, gefolgt von Izanagis Stimme. Es war einfach wohltuend, vor allem da sie wusste, dass sie nun zwei Menschen gefunden hatte, mit denen sie zusammen ihr Versprechen gegenüber Kuma halten konnte. Keiner von ihnen, war in dieser Gruppe alleine und würde es auch niemals sein. **~~** Otome konnte nicht ganz beschreiben, was das war, aber die Stimmung beim Abendessen war wirklich bedrückt. Schweigen herrschte am Tisch und außer der Töne des Fernsehers gab es wirklich keinen Ton. Gekauftes Essen und der Fernseher, dass war eine Kombination, die Otome abgrundtief hasste. „Hey, was dagegen wenn ich dich etwas frage?“ Erwartungsvoll sah Otome zu Dojima. Sie hatte nichts gegen eine Frage, solange es die Stimmung auflockern und die Atmosphäre verbessern würde. „Du... wirst doch nicht in seltsame Dinge hineingezogen, oder? Was im Revier passiert ist.. nun es beschäftigt mich noch. Gibt es da vielleicht etwas, dass du mir erzählen willst?“ Natürlich gab es viel, was Otome am liebsten ihrem Onkel erzählt hätte. Soviel, dass sie nicht konnte, weil er es ihr sowieso nicht glauben konnte. „Nein. Ich habe nur überlegt, ob ich nicht wieder Kendo trainiere. Zusammen mit Yosuke.“ Überrascht von sich selbst, wandte Otome ihren Blick wieder von ihrem Onkel ab. Es war seltsam, wie leicht es ihr fiel ihren Onkel zu belügen. Eigentlich war das vollkommen Klischee. In diversen Animes belogen die Jugendlichen auch immer ihre Eltern um hinter deren Rücken die Welt zu retten. Zumindest ging das meist solange gut, bis die Eltern das bemerkten. Klar war eines, Dojima durfte es nicht merken und es würde schwer fallen, die Wahrheit vor ihm zu verbergen, immerhin war er eine Spürnase. Er hatte jetzt schon bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Wie sollte sie also so tun, als sei alles okay, als würde sie ihr normales Schülerleben leben? „Was ist los? Streitet ihr beide?“ Synchron sahen Otome und Dojima zu Nanako, die ihr Gespräch und seine Ernsthaftigkeit bemerkt hatte. Erstaunlich dafür, dass sie förmlich vom Fernseher vollkommen in Beschlag genommen waren. „Nein, wir streiten nicht“, gab Dojima schnell zur Antwort und sah seine Tochter entschuldigend an, die gleich zu verstehen gab, dass sie hier die Frau im Haus war. „Das hier ist nicht das Polizeirevier...“, mahnte sie ihren Vater, dem sofort ein verlegener Schimmer auf den Wangen erschien. Dennoch konnte Dojima das Thema noch nicht ganz ruhen lassen. Wobei er auch nicht eine weitere Standpauke von Nanako kassieren wollte, und sich deswegen zu diesem Thema kurz fasste. „Ich habe zugestimmt, auf dich aufzupassen. Also misch dich bitte nicht in Dinge ein, die dich in Schwierigkeiten bringen können, okay?“ Otome nickte, auch wenn sie seinen Hinweis nicht ganz verstand. Meinte er damit, dass Yosuke ein schlechter Umgang für sie war? Dachte er das wirklich vom Sohn des Managers vom Junes? Das Fertigmahl war verputzt und Otome war wieder gestärkt. Sie war froh darüber, denn nun konnte sie etwas tun, was sie die letzten Tage einfach verpasst hatte. Raus in die Freiheit gehen und sich ihre neue Heimat ansehen. Leise ein Lied summend, dass dem aus dem Velvet Room glich, band sich Otome die Schnürsenkel ihrer Schuhe zu und machte sich bereit den Abend noch ruhig bei einem erkundenden Spaziergang ausklingen zu lassen, bevor am nächsten Tag wieder der Ernst des Lebens begann. „Und wo glaubst du, wirst du hingehen?“ Otome zuckte zusammen, als sie Dojimas mahnende Worte hörte. Sie ahnte bereits, dass er damit nicht einverstanden war. Der Ton seiner Stimme machte ihr das deutlich. Gleichzeitig verwunderte sie das aber. Sie war immerhin kein kleines Kind mehr und selbst in der Großstadt war es nichts besonderes, wenn sie abends noch mal joggen ging, oder mit Miwako in einen Club. „Hör zu, ich sage dir das nur einmal. Es mag ja für Kinder wie dich, in der Großstadt normal sein, abends noch herumzustrolchen, aber dies hier ist die Kleinstadt. Deine Mutter hat mich dir anvertraut. Ich weiß auch, dass du kein Kind mehr bist und ich dir einfach vertrauen muss, wenn du nicht in meiner Nähe bist, aber ich kann dich so spät am Abend nicht mehr rauslassen. Verstehst du was ich sagen will? Geh abends nicht raus, wenn es nicht zwingend notwendig ist.“ Damit war auch diese Gelegenheit verstorben heute am Abend noch einmal einen kleinen Rundgang, mindestens bis zum Samegawa River zu machen. Enttäuscht und wütend auf Dojima, zog sich Otome ihre Schuhe wieder aus. Dieses Jahr, wurde gerade von Tag zu Tag schlimmer. Andere Welten, Monster, Kämpfe gegen das Ich andrer Personen... Und nun noch ein überfürsorglicher Onkel der ein Polizist war. Schlimmer konnte das wirklich nicht mehr werden. „Telefon für dich...“, erklärte Nanako, die an das klingelnde Telefon gegangen war, weil ihr Vater viel zu beschäftigt mit einer weiteren Standpauke für Otome war. Verwundert sah Otome zu ihrer Cousine auf, die ihr das Telefon reichte und kurz darauf wieder ins Wohnzimmer zu dem Fernseher ging. „Narukami Otome...“ „Ich bin es, Morooka. Ich habe hier etwas für dich und wollte es vorbeibringen, aber mir ist etwas dazwischen gekommen. Hol es dir gefälligst selbst ab. Und falls du dich fragst, wo ich gerade bin... Wo war das gleich... ahja... vor der Tankstelle in der Einkaufsmeile. Pronto Pronto!“ Angewidert verzog Otome das Gesicht, als sie die Stimme ihres „liebsten“ Lehrers hörte. Das hatte ihr an diesem Abend wirklich noch gefehlt. Noch dazu klang ihr Lehrer leicht bis schwer angetrunken und sie hatte nicht vorgehabt ihn im angetrunkenen Zustand kennenzulernen. Dennoch, sie hatte keine Wahl. King Morons Befehle waren Gesetz. Wobei dieses Gesetz vielleicht sogar ihren Onkel davon überzeugen konnte, dass sie doch noch dieses Haus verlassen durfte. „Wer war das?“ Dojima war wie Otome zuvor verwundert, wer um diese Uhrzeit noch anrief, vor allem auf dem Festnetztelefon. Er ging schließlich davon aus, dass ihre Freunde allesamt ihre Nummer hatten und sie deswegen über ihr Handy kontaktieren würden. „Mein Klassenlehrer hat mich angerufen. Er will mich sofort sehen. Darf ich doch noch raus, Onkel?“ Erwartungsvoll sah sie Dojima an, dem sei genau anmerkte, dass es in seinem Kopf arbeitete. Er wog ab, ob ihr Klassenlehrer wichtig genug war, um ihr diesen Ausgang zu erlauben. Denn, auch wenn er behauptete ihr zu vertrauen, tat er es doch nicht. Sie war jung, in einem Alter, in dem er ihre Mutter gesehen hatte, die immer dann wenn man ihr die Gelegenheit gegeben hatte, durch die Weltgeschichte gestreunt war und sich nicht an Abmachungen gehalten hatte. „Dein Klassenlehrer? Du bist erst neu hier und hast schon... Nein... ich meine... wir reden hier von dir.“ Was auch immer Dojima dachte, es gefiel Otome nicht, denn es zeigte nur, dass er ihr wirklich gar nicht vertraute. „Also schön, aber du kommst so schnell wie möglich wieder nach Hause.“ Innerlich stieß Otome einen Freudenschrei aus, als sie die Genehmigung ihres Onkels bekam. Sofort, und das schneller als zuvor, zog sie sich wieder ihre Schuhe an und floh förmlich aus dem Haus in die Freiheit. „Dein Rock ist zu kurz. Was hast du damit denn vor? Willst du kleines Flittchen den Männern den Kopf verdrehen?“ Schon von weitem hörte Otome ihren Lehrer, der scheinbar angetrunken auf jemanden einredete. Sie erkannte auch schnell Morooka, der vor einem Mädchen in Schuluniform stand und ihr scheinbar eine Standpauke hielt. Etwas, dass Otome wunderte, denn der Rock des Mädchens war nicht kürzer als ihr eigener und denn hatte sie so gekauft wie er war. „Ich werde dich sofort nach Hause bringen, denn hier wird nicht getrödelt, morgen beginnt die Schule wieder. Nenn mir sofort den Namen deines lausigen Klassenlehrers. Dem werde ich was erzählen, dass er euch Bälgern nicht genug Disziplin einhämmert.“ Je näher Otome kam, desto deutlicher erkannte sie auch das Mädchen, dass bei Morooka war. Sie war eindeutig eine ihrer Klassenkameradinnen, was eindeutig dafür sprach, das ihr Klassenlehrer wirklich schon einen zuviel über den Durst getrunken hatte. „Ich sagte Ihnen doch bereits, dass ich gerade auf meinem Weg nach Hause war!“ Verärgert darüber, dass sie von ihrem Klassenlehrer aufgehalten wurde, versuchte ihre Mitschülerin sich von Morooka loszulösen, damit sie endlich ihre Einkäufe nach Hause bringen konnte. Otome entschied, dass sie ihr die Chance geben sollte, indem sie die Aufmerksamkeit auf sich zog und holte, was Morooka ihr geben wollte. „Morooka-sensei? Ich bin hier. Sie wollten mir etwas geben.“ Vorsichtig hatte sich Otome dem seltsamen Paar genähert und ihren Klassenlehrer angesprochen, der erschrocken und ertappt herumfuhr. Was auch immer er dachte, er lag definitiv falsch. „Ah, richtig, du bist schneller hier als ich dachte...“, nuschelte er leise und hob vom Boden eine weiße Tüte auf, die er Otome entgegen hielt. Verwundert nahm sie ihm diese ab und sah hinein, wo sie ihre Uniform für den Sportunterricht erkannte. Es verwirrte sie, denn wenn sie ehrlich war, hätte er ihr das auch noch am nächsten Tag geben können. „Hier nimm es und geh nach Hause. Ich werde dieses Flittchen nach Hause bringen.“ Entschuldigend sah Otome zu ihrer Mitschülerin, die den Gedanken, dass ihr Klassenlehrer sie nach Hause brachte, schon jetzt verabscheute. Mehr außer den beiden nachzusehen konnte Otome aber nicht, immerhin musste sie selbst noch ihre Freiheit genießen. Die Freiheit... war hier in Inaba langweilig. Otome verstand nicht einmal mehr, warum sie unbedingt nach draußen wollte. In Inaba, oder vielmehr in der Einkaufsmeile war absolut nichts los. Bis auf eine kleine Bar, die wohl tagsüber das Shiroku war, hatte jeder Laden dicht gemacht und den Jugendlichen dieser ländlichen Gegend jegliche Chance auf eine Freizeitbeschäftigung genommen. Doch nach Hause zu Dojima wollte Otome noch nicht. Deswegen entschied sie, sich etwas in der Bar umzusehen, in der sie gleich die Besitzerin in einem knallengen, auffällig und durch ihren rundlichen Körper ausgebeulten, roten Lederkleid sah. Ihr Magen rebellierte kurz gegen diesen Anblick, doch was sollte sie tun. Die Gäste, die hier saßen, ebenso der Kellner, schienen an dieses Bild gewöhnt zu sein, weswegen Otome einfach versuchte die unerotische Absurdität dieses Outfits zu ignorieren. Abgelegen von den anderen, platzierte sich Otome in eine Ecke und nahm sich die Karte. Es gab Unmengen an Drinks, von denen sie noch nie gehört hatte. Alkoholische und Alkoholfreie. Es gab kein Thema, sondern einfach nur eine Auswahl, bei der für jeden etwas dabei war. „Du bist etwas zu jung, um hier zu sein, oder?“ Otome sah von ihrer Karte auf, zu dem Kellner, denn sie beim eintreten noch hinter der Theke gesehen hatte. Seine schwarzen strähnigen Haare, hingen ihm ins Gesicht, doch seine eisblauen Augen stachen bedrohlich hervor. Auf seinen schmalen Lippen lag ein gefährliches Lächeln, welches Otome nicht zu deuten wusste, doch ihr war klar, dass sie sich vor diesem Mann in acht nehmen musste. „Ich habe nirgends ein Schild gesehen, dass es High School Schülern verboten ist hier zu sein. Außerdem dürfte es nicht illegal sein wenn ich einen Lollipop bestelle, oder?“ Otome weigerte sich, die Worte des Kellners als Rausschmiss zu sehen. Sie tat nichts falsches, davon war sie überzeugt, noch dazu war es nicht so spät, dass sie als Jugendliche Ausgangssperre hatte. Und ein Lollipop bestand ohne Alkohol. Nur wegen dieser Sicherheit, konnte sie dem Blick des Kellners standhalten, der sie erst verwundert ansah, doch schließlich verspielt lächelte. „Einen Lollipop... Kommt sofort.“ Misstrauisch sah Otome dem Kellner nach, der wieder hinter in Richtung des Tresens ging und hinter diesem verschwand. Eine bedrohliche Aura ging von ihm aus und mahnte Otome zur Vorsicht. Sein Lächeln, es war das eines Teufels gewesen, was ihr sagte, dass sie den Lollipop besser mit Vorsicht genoss. Auf ihrem Weg nach Hause war Otome mehr als erleichtert, dass der diabolische Kellner nichts alkoholisches in ihren Drink gemacht hatte. Dennoch war ihr nicht wohl bei der Sache, wie er sie angesehen hatte, als sie gegangen war. Schon bei der Erinnerung daran, lief es ihr kalt den Rücken runter. Ein Gutes hatte es aber, der Drink hatte ihren Magen gefüllt, ein paar Lebensgeister geweckt und war vielleicht der Grund, warum sie heute gut schlafen würde. Noch dazu war der Lollipop einfach der Hammer gewesen. So leise wie möglich, denn Otome war sich sicher, dass Nanako bereits im Bett lag und schlief, öffnete sie die Tür zu Dojimas Haus und sah sogleich in das ernste Gesicht ihres Onkels, der am Eingang saß und sie fixierte. Das war nicht gut. Er hatte auf sie gewartet, denn allen Anschein nach war sie zu lange weggeblieben. „Was wollte dein Lehrer von dir?“ Otome war noch nicht einmal richtig Zuhause und schon fühlte sie sich wie in einem Verhör. Dojima wusste, denn er hatte sie durchschaut, dass sie nicht sofort nach dem Treffen nach Hause gegangen war, doch das war ein Fakt, den er nicht aussprach. „Hier... Die Uniform für den Sportunterricht...“ Es war nun an Otome ihren Onkel misstrauisch anzusehen, denn sie machte sich auf ein Donnerwetter gefasst. Die Logik widersprach immerhin ihrem unpünktlichen Erscheinen und just in diesem Moment bereute Otome, dass sie diesen Lollipop getrunken hatte. „Das hätte er dir auch in der Schule geben können“, brummte Dojima und erhob sich von seinem Platz. Die Standpauke blieb aus, obwohl ihm klar war, dass sie nicht auf dem direkten Weg nach Hause gekommen war, ließ er es dabei. Vielleicht, weil seine große Schwester nicht anders gewesen war und Otome eben voll und ganz, ihre Tochter war. Kapitel 10: Friendship ---------------------- April 18   Wie erstarrt sah Otome auf ihr Handy. Sie war gerade erst aufgestanden und hatte erneut bemerkt, dass sie schon wieder etliche Anrufe von Miwako verschlafen hatte. Die SMS die sie daraufhin als Antwort bekam, war nur allzu verständlich. 'Ich kann verstehen, dass du zu beschäftigt bist, Oto, aber wenn du sagst, du rufst an, dann tu es gefälligst. Ich wollte dir nur sagen, dass ich mich in der nächsten Zeit nicht mehr bei dir melden kann. Ich wurde für ein besonderes Projekt ausgewählt, deswegen werde ich kaum Zeit haben mich zu melden. Was auch immer bei dir gerade passiert, pass auf dich auf und mach keinen Unsinn.' Es war seltsam. Obwohl sie diese Nachricht las, schmerzte es sie nicht. Im Gegenteil. Es war Otome irgendwie egal. Dabei war sie es gewesen, die in den letzten Tagen so gerne mit ihrer besten Freundin gesprochen hätte. 'Viel Erfolg, ich versuche dir zu schreiben, wenn ich Zeit habe.' Otome wusste, dass das eine Lüge war. Sie würde sich nicht melden, aber sie wollte noch den Schein ihrer Freundschaft wahren. So tun, als würde sich nie was ändern, dabei hatte sich bereits alles verändert. Ohne weiter darüber nachzudenken, verzog sich Otome ins Bad, mitsamt ihrer Kampfausrüstung. Heute würden sie sich um Yukiko kümmern, als Anführerin ihrer Gruppe, hatte sie das einfach so beschlossen. Zumindest hoffte sie, dass es Chie gut ging. Allerdings war sie nicht so lange den Wirkungen der anderen Welt ausgesetzt, sodass sie sich darum keine Sorgen machte. Lediglich um geeignete Kampfausrüstung für Chie, würde sie sich noch kümmern müssen.   **~~**   Es war irgendwie ein gewohntes Bild, dass Yosuke sich, kaum dass er zur Schule gekommen war, neben Otomes Platz stellte und sie in ein Gespräch zog. Doch anders als die Tage zuvor, waren die Themen nicht normal, sondern wesentlich ernster. „Ob es Chie gut geht?“ Es war wahrscheinlich die Erinnerung, wie es ihm ergangen war, nachdem sein Shadow versucht hatte ihn zu töten. Diese Erschöpfung, diese Machtlosigkeit und vor allem die Angst jenen ins Gesicht zu sehen, die die dunkelsten Geheimnisse über einen gesehen hatten. Es würde Mut und Kraft kosten, sich aufzuraffen und in der Schule zu erscheinen. Yosuke hatte diese Kraft besessen und Chie würde nicht anders sein, da war sich Otome sicher. Es war, als hätte Chie den Gedankengang Otomes wahr genommen, denn die Tür wurde aufgeschoben und Chie betrat verlegen, aber dennoch gesund und Munter den Raum. „Oh... Uhm... Guten Morgen...“ Otome konnte deutlich die Spannung in der Luft spüren, als Chie sie mit dem verlegenen roten Schimmer auf ihren Wangen begrüßte. Ihr war das, was am Tag zuvor geschehen war immer noch unangenehm. Mehr als nur angenehm. „Hast du gut geschlafen?“ Als Anführerin, sah es Otome als ihre Pflicht an, diese intensive, unangenehme Atmosphäre zu durchbrechen. Mit etwas Smalltalk, so erschien es ihr, würde das auch leicht klappen. „Ja. Bis heute morgen war ich außer Gefecht gesetzt.“ Ein verlegenes Lachen kam von Chie. Sie war es scheinbar wirklich nicht gewohnt, dass ihre Kräfte nicht von Dauer war, sondern auch ein begrenztes Maß besaß, dass die Welt hinter dem Fernseher vollends ausgeschöpft hatte. „Übrigens, danke wegen gestern. Ich meine, es ist etwas peinlich, denn ihr beide habt meine innersten Gefühle gesehen.“ „Mach dir keine Gedanken deswegen.“ Otome lächelte und stimmte damit den Worten Yosukes zu. Vielleicht war sie doch nicht so geeignet als Anführerin, ihr war dieser Satz nicht in den Sinn gekommen. Stattdessen hatte sie sich schon eine Rede zurechtgelegt, die wahrscheinlich nicht ganz so effektiv gewesen wäre wie die Worte, die Yosuke benutzt hatte. „Yosuke ist doch dasselbe passiert, was war es bei ihm?“ Ein breites Grinsen legte sich bei Otome auf die Lippen, als sie Chies Frage hörte. Eigentlich war das was sie von Yosuke gesehen hatte nicht ganz so peinlich, doch kaum dass sie Luft geholt hatte und ansetzen wollte, was es denn gewesen war, hielt Yosuke ihr den Mund zu. „Wie? Ähm... wie drückte ich das nur aus... hm... Ach ja, ich hätte es fast vergessen zu erwähnen, nichts davon ist bei ihrem Erwachen passiert. Liegt das daran, dass du nichts zu verbergen hast?“ Dieser miese... Otome konnte es nicht glauben, wie schnell er das Thema von sich auf sie gelenkt hatte. Das würde er ihr noch büßen. Wenn Blicke Bonbons werfen könnten, sie hätte ihn mit Süßkram erschlagen. „Oh? Bei dir ist also nichts passiert? Ich muss zugeben, du scheinst mir schon sehr offen zu sein. Du hast irgendetwas an dir... dass die Menschen zu dir zieht, oder so in der Art.“ Ein roter Schimmer zeichnete sich auf Otomes Wangen ab. Sie sollte eine Persönlichkeit haben, die Menschen anzog? Lächerlich. Wobei... hier in Inaba mochte das vielleicht stimmen. Aber da wo sie herkam? Es stimmte schon, sie war nie alleine gewesen und auch wenn nicht alle ihre Freunde wahre Freunde gewesen waren, sie war immer von Menschen umgeben gewesen. Allerdings, so wie Chie das sagte, klang es, als wäre es etwas schlechtes. „Du hast eine eigenwillige Art Komplimente zu machen, Chie...“, merkte Otome daher an, lächelte das Problem von Chies Unterton aber weg und wurde dafür mit einem Lächeln ihrerseits belohnt. „Das war ein Kompliment?“ Entsetzt sah Yosuke, der wohl dasselbe wahrgenommen hatte wie Otome, zu Chie, die euphorisch nickte, aber just in dem Moment einen bösen Blick zu Yosuke warf. Ihr gefiel nun sein Unterton nicht. „Natürlich war das ein Kompliment! Was sollte es sonst sein?“ „Na schön, wenn du das sagst.“ Ein leises Kichern kam über Otomes Lippen. Mit diesen beiden wurde es wahrscheinlich niemals langweilig. Sie verhielten sich wie ein altes Ehepaar und wahrscheinlich waren sie sich dessen nicht einmal bewusst. „Wie dem auch sei, das Wichtigste im Moment ist Yukikos Rettung. Ihr beide habt es versprochen.“ Otome nickte, als Chie sie an die eigentliche Mission erinnerte. Sie hatte es nicht vergessen und sie würde das auch nicht. Yukiko hatte für den Moment oberste Priorität. Noch dazu konnte sie vielleicht helfen und ihnen Hinweise zu Mörder geben. Otome sah auf, als die Klingel plötzlich ertönte und Yosuke einen leisen Fluch ausstieß. „Oh verdammt, ich war noch nicht auf der Toilette.“ Ein breites Grinsen spiegelte sich auf Otomes Gesicht wieder, als Yosuke wie von der Tarantel gestochen loslief. Wo würde er nur seinen Kopf lassen, wenn er nicht angewachsen wäre, diese Frage kam Otome wirklich auf, auch wenn sie wohl etwas sinnlos war. „Hey...“ Verwundert darüber, dass Chie sich noch nicht neben sich gesetzt hatte, sah Otome zu dem Mädchen auf, dass nervös an ihrem Oberteil des Trainingsanzuges herum fingerte. „Danke, dass du mich gerettet hast. Versteh mich nicht falsch, Yosuke hat auch seinen Beitrag dazu gehabt, aber... uhm... ich meinte es ernst, dass du eine anziehende Aura hast. Bei dir habe ich wirklich das Gefühl, dass du mich nicht im Stich lassen würdest.“ Natürlich hätte Otome sie nie in Stich gelassen und sie würde das auch nicht in Zukunft tun. Im Gegenteil, Chie war nun eine wirklich hilfreiche Unterstützung im Kampf. Dennoch, sie spürte nur zu deutlich die Dankbarkeit, die Chie für ihre Aktion empfand und das machte Otome irgendwie glücklich und gab ihr das Gefühl, Chie auf diese Weise näher gekommen zu sein. Sicher war sie sich erst, als sie wieder Izanagis Stimme vernahm. Ih seiet Ihr... und ihr seihet Ih... Ihr habet einen neuen Bund geknüpft... Er bringet euch näher zur Wahrheit... Ihr seiet gesegnet wenn ihr Personas des Triumpwagens beschwört Ja, wenn dem so war, dann hatte Otome doch keine andere Wahl. Lächeln zog sie ihr Handy aus der Tasche und sah zu Chie. „Ich brauche deine Handynummer.“ Auch wenn das sehr direkt von ihr war, sie wollte Chie zeigen, dass sie diese akzeptiert hatte, mit all ihren kleinen Makeln und Macken. Und wenn Izanagi ihr schon vermittelte, dass die Nähe Chies sie näher zur Wahrheit brachte, warum sollte sie dann nicht einfach diesen Bund verfestigen, indem sie ihre Rufnummern austauschten. „Oh richtig, die wirst du in Zukunft brauchen. Hier.“ Ohne Umschweife zückte Chie ihr Handy und übertrug drahtlos und ohne größere Probleme ihre Telefonnummer auf Otomes Handy. Es war seltsam, schon in so kurzer Zeit hatte sie von mehr Menschen die Telefonnummer gefordert, als zu ihrer Zeit in der Stadt. „Wir müssen vorsichtig sein, der Nebel kommt doch nach dem Regen, oder? Retten wir sie, bevor das passiert.“ Otome folgte Chies Blick der zum Fenster führte. Sie hatte den Wetterbericht gehört und wenn der einigermaßen akkurat war, würde heute kein Nebel folgen. Dennoch, je schneller sie Yukiko retteten, umso sicherer waren sie auch. Doch vorher... Otomes Blick glitt wieder zu Chie, die sie sanft anlächelte. „Was hältst du davon, wenn wir nach der Schule etwas Ausrüstung besorgen. Ich meine, als Anführerin muss ich dafür sorgen, dass jeder von euch für den Kampf gerüstet ist und du hast ja noch keine passenden Waffen oder dergleichen... ich meine Schuhe ich...“ Es war schon schwer der Anführer zu sein. Man musste seine Bedürfnisse ausdrücken ohne jemanden in seinem Wesen einzuschränken. Und gerade wenn es darum ging Waffen zu wählen, hatte Otome das Gefühl, dass sie das tat, weswegen sie lieber gerne ihre Gefährten dabei hatte, um deren Vorlieben kennenzulernen. „Schon verstanden, nach der Schule am Tor. Oh, ich kann dir auch etwas die Stadt nebenbei zeigen. Vielleicht finden wir ja irgendwo noch etwas nützliches. Was hältst du davon, Leader?“ Otome errötete, als Chie so unverfänglich das Wort Leader aussprach. Aber ja, wieso nicht? Wieso sollte sie sich nicht etwas die Stadt zeigen lassen und so vielleicht etwas finden, was ihre Geheimwaffe im Kampf werden könnte?   Der Regen hatte sich, wie vom Wetterbericht angekündigt, verflüchtigt. Vollkommen nebellos und ließ und Otome aufatmen. Auch wenn sie nicht damit gerechnet hatte, war der Regen doch ihr größter Feind bei der Rettungsaktion von Yukiko. Doch bevor sie sich wirklich in die Schlacht stürzen konnten, musste Otome einen Schlachtplan erstellen. Das Schloss hatte sich immerhin als gefährlicher herausgestellt, als gedacht. Wobei die erste Etage wohl nun ein Kinderspiel sein würde. Nicht nur, dass sie eine weitere Kämpferin an ihrer Seite hatten, nein Yosuke und sie kannten die Schwächen der dortigen Shadow. „Mal sehen... Otome. Du wirkst so abgelenkt, wie wäre es, wenn du uns eine Frage beantwortest.“ Otome zuckte zusammen, als sie die Stimme ihres Sport und Englischlehrers Kondo hörte. Sofort sprang sie auf, ohne eigentlich zu wissen, was das Thema für die besagte Frage sein würde. Sie hoffte nur, dass sie sich nicht zu stark in die Nesseln setzte. „Da du so aufmerksam bist, beantworte mir doch folgendes. Das Wort 'Alphabet' stammt von den Worten 'alpha' und einem zweiten Wort ab. Was ist das für ein zweites Wort?“ Wirklich? Meinte das Kondo wirklich ernst? Glaubte er wirklich, sie konnte diese einfache Frage nicht beantworten? Jeder Idiot hätte diese Frage beantworten können, selbst wenn er nicht das Wissen dazu besessen hätte, denn es war ja wohl logisch und offensichtlich. „Beta.“ „Gut! Das ist richtig! Er kommt von den ersten zwei Buchstaben des griechischen Aphabets, alpha und beta. Übrigens, alle Arten von Buchstabenanordnungen in Europa werden „Alphabet“ genannt. Wenn wir in Japan von Alphabet reden, meinen wir natürlich das Englische.“ Zufrieden mit sich selbst, setzte sich Otome wieder an ihren Platz. Sie hatte also nicht für ihre Gedankenlosigkeit im Unterricht gebüßt. Dennoch, sie sollte sich bewusst werden, dass sie nun nicht nur die Rettungsaktion leiten musste, sondern auch als normale Schülerin den Alltag bestehen sollte.   **~~**   „Ich muss dir jemanden vorstellen.“ Fragend sah Otome zu Chie, die sie mit einem breiten Grinsen bedachte und ihr die Hand entgegen hielt, als sei sie ein Prinz, der seine Prinzessin entführen wollte. Seltsam wenn man bedachte, dass Yukiko nach einen Prinzen zu suchen schien und Chie hin und wieder solche Anwandlungen hatte. „Ich dachte wir gehen einkaufen.“ Der Unterricht war längst vorbei und eigentlich hatte Otome schon gerne an ihrem Plan des Shoppings festhalten wollen, doch Chie machte ihr damit einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Na schön, warum nicht. Wenn sie ihr unbedingt jemanden vorstellen wollte, dann wollte sich Otome nicht dagegen verwehren. Otome erwiderte das Lächeln und erhob sich von ihrem Platz, um Chie aus dem Klassenzimmer hinaus in die dritte Etage zu folgen. Freiwillig wäre Otome sicher nie in die Gefilde der Oberstufe gegangen, aber wenn Chie ihr wirklich jemanden vorstellen wollte, kam sie wohl nicht drum herum. Vielleicht würde es ja hilfreich für ihr weiteres Abenteuer sein. Wünschenswert war es zumindest. „Hey~ Chie~. Hast du wieder den Mut dich an einem neuen Rätsel von mir zu probieren?“ Ein Junge mit fluffigen schwarzen Afro, kam mit einem breiten Grinsen auf Chie zu, die nur ihre Hand zur Begrüßung hob. Es war eindeutig, dass sie diesen Jungen kannte, auch wenn Otome nicht klar war, wieso oder woher. Immerhin schien er zum dritten Jahrgang zu gehören. Wie sollte da also jemand wie Chie einen solchen Jungen kennenlernen? „Nein nein, nicht ich. Ich habe heute eine Freundin mitgebracht. Sie ist neu hier und richtig clever. Ich wette sie kann deine Rätsel ohne Probleme lösen.“ Schlagartig wurde Otome die Bedeutung von Chies Worten bewusst und ließ sie dezent erröten. Wie konnte Chie nur so etwas sagen? So klug war sie nicht. Standard eben. „So so, eine neue Herausforderin für den Rätsel-Meister hat also die Bildfläche betreten.“ Der Blick des selbst ernannten Rätsel-Meisters legte sich auf Otome. Er musterte sie, als würde er so erkennen, ob sie wirklich seiner Herausforderung würdig war oder nicht. Aber schön, wenn er eine Herausforderung suchte, wollte Otome kein Spielverderber sein. „Immer her mit dem Rätsel“, antwortete sie und verschränkte die Arme. Ein Lächeln zeichnete sich auf den Lippen des Rätsel-Meisters ab, der sehr darüber erfreut schien, dass so ein unerfahrenes Küken wie Otome so todesmutig seine Herausforderung annahm. Warum sollte sie auch nicht? Außer natürlich, er war wirklich so gut wie seine Bemerkung gegenüber Chie vermuten ließ. „Also schön. Ich ordne zwei Sachen einer Kategorie zu. Die von mir zuletzt genannte Sache, musst du selbst zu ordnen. Rot ist Gruppe A. Grau ist Gruppe B. Weiß schwört auf Gruppe A. Orange hingegen hat das Zeichen von Gruppe B. Grün ist sowas von Gruppe A. Pink wird immer zu Gruppe B gehören. Und wozu gehört dann Schwarz? Gruppe A oder B?“ Otome ließ sich Stück für Stück die Worte durch den Kopf gehen. Sie versuchte das Muster zu erkennen. „Oh ich weiß, sicher Gruppe B!“, erklärte Chie euphorisch, die es nun doch nicht lassen konnte mitzurätseln. Doch der Rätsel-Meister hob seine Hand und gebot ihr zu Schweigen. „Sorry, Chie, aber dieses Rätsel gehört deiner Freundin.“ Er sah zu Otome, die immer noch versuchte die Farben in ein Bild zu ordnen. Gruppe A waren Farben die man nicht mischen konnte. Gruppe B hingegen konnte man mischen. Noch dazu, hatten sie noch eine weitere Gemeinsamkeit. „Gruppe A.“ Kurz verstarb das Lächeln des Rätsel-Meisters, was Otome sagte, dass sie mit ihrer Antwort auf dem richtigen Weg war. „Na schön. Korrekt. Aber was haben diese Gruppenmitglieder alle gemeinsam?“ „Es sind die meist gewähltesten Flaggenfarben.“ Erneut entglitt dem Rätsel-Meister sein Lächeln. Otome sah, wie es in seinem Kopf ratterte. Er schien darüber nachzudenken, was es jetzt zu tun galt. Wahrscheinlich hatte er nicht mit einer Niederlage gerechnet. „Wieder Richtig. In Gruppe A waren vier der sechs Hauptflaggenfarben. Die anderen zwei sind Blau und Gelb. Ich bin wirklich erstaunt, dass eine Schülerin aus dem zweiten Jahr und noch dazu eine Freundin von Chie das weiß.“ „Hey! Was soll das denn bitte heißen?“ Otome konnte deutlich die Empörung Chies hören, sie selbst war sich nicht sicher, ob der Rätsel-Meister ihr nun ein Kompliment gemacht oder sie beleidigt hatte. „Das war nur ein Scherz, Chie. Aber hier, Rätsel-Lehrling, das ist deine Belohnung für deinen grandiosen Sieg.“ Der Rätsel-Meister gab Otome das Zeichen dass sie ihre Hand aufhalten sollte. Sie tat wie ihr geheißen und es verging nur ein kleiner Augenblick in dem plötzlich drei Schlüssel in ihrer Hand lagen. Verwundert sah sie zu dem Jungen auf, der sie breit angrinste, fast schon stolz, als seien diese drei Schlüssel es wirklich wert gewesen von ihrem ursprünglichen Plan abzukommen. „Wofür sind die?“ Otome konnte nicht umhin zu fragen. Der Sinn dieser Schlüssel blieb ihr wirklich verborgen, ebenso Chie, die dem Rätsel-Meister einen noch wütenderen Blick zuwarf. „Du willst uns doch nicht etwa deinen alten Ramsch als Preis verkaufen, oder?“ Er spürte die Gefahr die von Chies Temperament ausging und wich etwas zurück, wobei er lächelte und mit dem Kopf schüttelte. Gleichzeitig war kalter Schweiß auf seiner Stirn ausgebrochen. Er tat also nur so, als wäre er ruhig. „Nein nein. Nicht doch. Das sind besondere Schlüssel. Sie sollen irgendwelche Schatztruhen öffnen. Zumindest hat Er das gesagt. Da ich aber nichts damit anfangen kann, dachte ich, ihr wüsstet vielleicht was ihr damit tun könnt.“ Seine Worte überschlugen sich unter Chies ernsten und erbosten Blick. Doch Otome glaubte ihn auf eine seltsame Weise. Auch wenn sie nicht wusste, wer dieser Er war. „Gehen wir Chie. Vielleicht können wir sie ja wirklich noch gebrauchen. Wenn nicht, verkaufen wir sie einfach, sie werden sicher irgendetwas wert sein.“ Sanft griff Otome nach Chies Arm, die sich nur widerwillig vom Rätsel-Meister abwandte. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie ihm einen gehörigen Tritt in den Allerwertesten gegeben. Aber da Otome der Leader war und dies scheinbar nicht für nötig hielt, wollte sie es dabei belassen, heute.   **~~**   Auch wenn die Getränkeautomaten alt wirkten, so nahm Otome doch sehr erfreut das klicken und grollen aus dem Inneren wahr, welches ihr signalisierte dass eine weitere Dose Dr. Salt Neo kam. „Und dieser Beutel kann wirklich unendlich viele Dinge tragen?“, fragte Chie erstaunt, als Otome die nächste Dose im Inneren verschwinden ließ. Otome nickte schweigend und warf erneut 120 Yen in den Automaten um The Natural zu ziehen. Erneut erklang ein grollen, gefolgt von einem piepen. Sie hatte schnell bemerkt, dass an diesem Automaten scheinbar eine Art Lotterie mit beteiligt war. Für jede Dose sie zogen nahmen sie dran teil, gewannen sie, konnten sie eine weitere Dose ziehen. Bei ihrer ersten Dose Second Maid war Fortuna ihr hold gewesen, so das sie neben der bezahlten Dose auch noch zwei weitere hatte ziehen können. „Wirklich erstaunlich was dieser Bär so alles herstellen kann. Aber warum genau geben wir unser Geld für Getränkedosen aus?“ Zweifelnd sah Chie zu Otome die nur schwach lächelte. Sie hätte sich selbst für verrückt erklärt, wenn sie nicht gespürt hätte, wozu Pfirsiche in der Lage waren. Wer wusste schon was Energydrinks und andere Lebensmittel dann bewirkten? „Die Fernsehwelt funktioniert anders. Jede günstige Kleinigkeit könnte uns da hilfreich sein. Du weißt schon, unsere Wunden heilen, Energie für die Beschwörung der Personas wiederherstellen, andere Probleme kurieren. Wir dürfen nichts außer Acht lassen und müssen gut vorbereitet sein.“ Es waren Gedanken gewesen, die sich Otome vom Weg ihrer Schule bis hier her gemacht hatte. Diese andere Welt war wirklich noch zu fremd. Sie konnten sich nicht auf die wenigen Kampferfahrungen verlassen die sie und Yosuke gesammelt hatten. Noch dazu hatten sie da nicht sonderlich geglänzt. „Wow, du bist wirklich die geborene Anführerin. Weder Yosuke noch ich hätten so weit gedacht. Oh da fällt mir ein. Bei Shiroku steht auch noch ein Getränkeautomat. Vielleicht sollten wir auch dort ein paar Dosen ziehen.“ Otome war froh, dass sie Chie bei sich hatte. Sie selbst hatte nämlich nicht mehr an den Automaten vor dem Shiroku gedacht. Damit hatten sie immerhin einen kleinen Vorrat, oder eher eine Notreserve. Allerdings durfte sie auch Chies Ausrüstung nicht aus den Augen verlieren. „Das passt super. Dann können wir danach deine Ausrüstung besorgen.“ Die Mädchen lächelten einander an. Für Außenstehende hätte das sicher nicht befremdlich gewirkt, aber für Otome war es immer noch gewöhnungsbedürftig. Immerhin kannte sie Chie nun gerade einmal seit ein paar Tagen und doch gefiel es ihr mit der Klassenkameradin shoppen zu gehen, auch wenn ihre Shoppingtour weit von dem normalen Schaufensterbummel entfernt war. Auch wenn Otome zu Anfang geglaubt hatte, dass eine Kleinstadt alles andere als Ideal war, so war doch mindestens die Shoppingmeile praktisch. Immerhin lag alles so dich beieinander das alles eher einem Katzensprung glich. „Weißt du, es ist wirklich seltsam. Ich habe das Gefühl, dass wir einander schon länger kennen, obwohl ich weiß, dass es nur ein paar Tage sind. Aber du hast sofort verstanden, wie ich wirklich für Yukiko empfinde.“ Es war die letzte Dose die Otome aus dem Automaten bekam,was merkwürdig war, denn sie hatte erst fünf Mal welche gezogen. Und doch verwehrte der Automat ihr seinen Dienst. „Oh mach dir nichts draus. Die Automaten hier geben nur fünf Dosen in der Woche raus.“ Entsetzt sah Otome zu Chie, die diese Erklärung so ganz nebenbei fallen ließ, als sei es das Normalste der Welt. In der großen Stadt gab es solche Sparmaßnahmen nicht. Dennoch, besser waren fünf Dosen als keine. Sie musste nur immer den richtigen Augenblick abpassen um die erste zu sein, die diese Getränke bekam. „Na dann plündern wir den anderen Automaten auch, solange es noch kein anderer getan hat.“ Es war nicht Otomes Art über solche Kleinigkeiten betrübt zu sein, weswegen sie ihr strahlendstes Lächeln aufsetzte und den Weg in den nördlichen Bereich des Shoppings Destrictes antrat. „Hey, Onee-chan... Ich hab gesehen, dass du ganz viele Dosen gekauft hast... Ich möchte ein Dr. Neo Salt.“ Otome wusste gar nicht, wie sie auf diese Dreistigkeit reagieren sollte. In der großen Stadt hätte sie sicher kein kleiner Junge mit erröteten Wangen angesprochen und um eine Getränkedose gebeten. In der Stadt hätten die Automaten auch keine Begrenzung gehabt, aber das war wiederum ein anderes Thema. „Hör Mal!“ Chie hatte gerade zu einer Schimpftirade angesetzt, doch Otome machte ihr klar, dass diese eine Dose nicht die Aufregung wert war. Mit Sicherheit hätte der Junge sich selbst eine Dose gezogen, wenn sie den Automaten nicht für den Rest der Woche geplündert hätte. Wie konnte man auch so dumm seine eine Ziehbeschränkung bei einem Automaten einzufügen? Unwissenheit schützte eben vor Strafe nicht, oder eher in dem Fall vor bettelnden Kindern. Mit einem leisen Seufzen griff Otome in ihren Beutel und zog eine der Dosen hervor. Es war vielleicht nur Glück, aber sie hatte genau die, die der Junge wollte. „Hier.“ „Danke, Onee-chan!“ Glücklich griff der Junge nach der Dose und lief in Richtung des Tempels, der wohl ein Sammelplatz für spielende Kinder war. Zumindest hatte Otome das so aufgefasst, als sie zum ersten Mal an dem Tempeltor vorbeigelaufen und Kinder schreiend und lachend durch dieses gelaufen waren. „Du bist wirklich ein Gutmensch, Otome-chan.“ Ein Lächeln lag auf Chies Lippen. Auch wenn sie vor wenigen Minuten noch bereit gewesen wäre dem Jungen eine Standpauke zu halten so war sie doch froh, dass Otome alles andere als eine Stadtdiva war und eher zur Nächstenliebe neigte.   Es fiel Otome wirklich nicht leicht in Daidaras Laden etwas passendes zu finden. Sie wusste zwar, dass sie Schuhe für Chie brauchte, aber die wohl schlagkräftigsten lagen weit außerhalb ihres aktuellen Taschengeld-Budgets. Sollte die Suche nach dem Mörder wirklich länger dauern als nur bis zur Rettung Yukikos, musste sie sich definitiv auf kurz oder lang einen Teilzeitjob suchen. Nach der Schule, oder Abends wenn es sein musste. Dojima konnte sie sicher irgendwie davon überzeugen, dass ein Job ein wichtiger Schritt in der Entwicklung eines angehenden Erwachsenen war. „Du, Otome-chan, wie war dein Leben vor Inaba eigentlich? Hattest du viele Freunde?“ Es kam ganz unerwartet, als sie Chies Stimme neben sich vernahm und zu dem Mädchen blickte, dass sie neugierig ansah. „Ich hatte einige Freunde, allerdings, würde ich sie nicht als wahre bezeichnen. Es waren mehr einseitige Nutzfreundschaften, die mir nichts bedeutet haben. Außer...“ Otome hielt inne und starrte auf ein paar günstiger Schuhe, deren Spitzen mit Metallplatten versehen waren. Sicher würden die für den Anfang reichen. Zumindest wenn die Shadows bei dem Kaliber blieben, welches sie mit Yosuke gemeinsam erlebt hatte. „Außer?“, hakte Chie nach, wandte ihren Blick aber ebenfalls auf die Schuhe, die Otome so versessen anblickte. „Außer Miwako. Sie war... ist meine beste Freundin. So weit ich mich erinnern kann, sind wir wie Pech und Schwefel. Wie Geschwister könnte man sagen. Allerdings wird es schwer diese Freundschaft zu halten, wenn schon die ersten Tage unserer Trennung so bescheiden angelaufen sind, das wir kaum Kontakt halten. Außerdem wurde Miwako wohl für ein besonderes Projekt ausgewählt, weswegen sie noch weniger Zeit haben wird.“ Otome realisierte erst zu spät, dass ihre Stimme einen traurigen Unterton angenommen hatte, während sie zu den Schuhen griff und diese Chie in die Hand drückte. Eigentlich wollte sie gar nicht darüber nachdenken. Es gab wichtigeres worüber sie sich einen Kopf machen musste. Die Rettung Yukikos. „Vielleicht lädst du sie einfach nach Inaba ein. Für die Ferien meine ich. Sie könnte zum Beispiel in Yukikos Inn unterkommen. Oder warum übernachten wir nicht einfach alle vier im Inn. Ich würde deine Freundin gerne kennenlernen und Yukiko sicher auch.“ An sich war an Chies Idee nichts auszusetzen. Gleichzeitig fühlte Otome aber plötzlich einen starken Druck auf ihren Schultern. Chies Worte implizierten immerhin, dass sie Yukiko retten konnten. Was war aber, wenn sie versagte? Wenn sie alle in Yukikos Schloss starben? „Ich hoffe du erwartest nicht zu viel von mir. Letztes Mal habe ich auch nur wegen Yosuke überstehen können. Aber dieses Mal... Was wenn ich wieder versage? Dann kann ich weder dir und Yukiko helfen noch Miwako wiedersehen.“ Otome musste sich eingestehen, dass sie Angst hatte. Große Angst sogar. Zwar kannte sie die Gegner der untersten Etage, aber was wenn das Schloss noch wesentlich größer war? Was war, wenn die Gefahren größer wurden, die Gegner bald nicht mehr die vertrauten Schwächen hatten? Was wenn ihnen alle die Kraft ausging um Personas zu beschwören? Ohne diese Wesen waren sie aufgeschmissen. Noch dazu schlauchte schon das Rufen der Wesen ungemein. „Mach dir nicht so viele Gedanken. Auch wenn du unsere Anführerin bist, musst du das alles nicht alleine durchstehen. Du kannst dich gerne auf mich verlassen, wenn du nicht mehr weiter weißt. Das gleich gilt auch für Yosuke, denke ich. Dafür sind Freunde immerhin da.“ Chies Worte waren ja schön und gut, aber wie sollten sie ihr beistehen, wenn ihnen am Ende die Kraft ausging? Dann lastet wieder alles auf deinen Schultern. So wie immer. Freundschaft ist nicht mehr als eine Ausrede um nicht einsam zu sein. Otome schluckte schwer. Vielleicht hatte diese Stimme Recht? Vielleicht war Freundschaft nicht mehr als das? Vielleicht machte man sich so von einander abhängig wie Parasiten von ihren Wirten. Durfte sie das zulassen? Durfte sie sich wirklich auf Chie und Yosuke verlassen? Niemals. Vertrau nicht solchen zwielichtigen Gestalten. Du hast doch ihre wahren Gesichter gesehen. Der Eine möchte einfach nur ein Held sein und die Andere nutzt dich aus um nicht alleine zu sein. Ja sie hatte ihre anderen Seiten gesehen. Seiten, die sie nur zu gut kannte, irgendwie. Auch wenn sie eher auf Yosukes Heldenpart bei sich verzichtete. So wild war sie nun doch nicht darauf eine Heldin zu sein. „Wir brauchen noch eine Rüstung für dich“, nuschelte Otome leise und versuchte die finsteren Gedanken herunterzuschlucken. Sie durfte sich jetzt nicht von so etwas beeinflussen lassen. Sie musste Yosuke und Chie vertrauen, so gut es eben ging. Zweifel hatten da keinen Platz. „Die habe ich schon. Keine Sorge, Otome-chan. Du musst für mich nicht alles aus eigener Tasche zahlen.“ Stolz klopfte sich Chie auf die Brust und leise konnte Otome das Rascheln eines Kettenhemdes hören, welches sie und Yosuke ebenfalls unter der Uniform trugen. Immerhin darum musste sie sich nicht mehr kümmern. Dennoch, sie würde in Zukunft viel arbeiten müssen. Als Anführerin war die richtige Ausrüstung ihre Pflicht. „Dann sind wir hier fertig. Ich bezahle noch die Schuhe und gehe ins Shiroku. Ruf du Yosuke an, in einer Stunde treffen wir uns im Junes.“ Otome ignorierte den besorgten Blick Chies. Es gab eben auch Dinge, die sie nicht wollte, dass sie jemand sah. Zum Beispiel wie unsicher sie gleich im Shiroku sein würde, wenn sie keine passenden Heil- oder Hilfsmittel für ihre Mission fand. Sie hoffte zumindest, dass das Geld noch reichte. Viel war es nicht mehr und mit Sicherheit gab Dojima ihr kein wöchentliches Taschengeld, so wie ihre Eltern. Wobei die letzten 5000 Yen hatte sie auch nur als Vorschuss bekommen.   **~~**   Shiroku hatte für zwei Medikits fast ihr ganzes Taschengeld restlos aufgebraucht. Es waren nur noch 800 Yen übrig und Otome fragte sich, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, diese noch für Antigifte oder dergleichen zu nutzen. Allerdings waren diese ihr verborgen geblieben und wirklich länger hatte sie auch nicht hier bleiben wollen, nachdem der Barkeeper vom Vorabend plötzlich zum Kekse kaufen reingekommen war. Ein Mädchen das zwei Medikits kaufte war schon schräg genug und sie wollte sich peinliche Fragen, warum sie Gegengift sucht, ersparen. Seufzend stand Otome vor dem Laden, ihr Blick war auf dem Getränkeautomat gerichtet, der einiges von ihrem Geld intus hatte. Vielleicht war das Ziehen der Dosen doch ein Fehler gewesen. So genau konnte sie das noch nicht sagen. 'Immer positiv denken...', mahnte sich Otome, doch so wirklich wollte sie sich das nicht abkaufen. Immer positiv denken. Kein Mensch konnte das. Schon gar nicht in so einer bescheidenen Situation wie ihrer. „Onee-chan!“ Verwundert sah Otome auf und erkannte den Jungen, dem sie das Dr. Neo Salt gegeben hatte, auf sich zulaufen. Hinter ihm, lief ein Mädchen her, welches, vermutlicher weise, eben jene Dose in der Hand hielt. „Ein Glück habe ich dich noch gefunden. Hier!“ Otome wusste nicht richtig wie sie diese Situation deuten sollte, aber der Junge hielt ihr seine beiden Hände entgegen und zwischen Daumen und Zeigefinger bewegte sich etwas. Als sie genauer hinsah, bemerkte sie zwei Marienkäfer, die scheinbar ganz verzweifelt um ihre Freiheit kämpften. „Die haben Aiko und ich für dich gefangen. Als Bezahlung für die Dose.“ Auch wenn Otome Geld doch schon lieber gewesen war, konnte sie sich des Gedankens nicht verwehren, dass diese Geste wirklich niedlich war. Mal davon abgesehen, dass sie nicht wusste, was sie nun mit den Käfern anfangen sollte. „Uhm... Danke. Das wäre nicht nötig gewesen“, antwortete sie und griff vorsichtig zu den Käfern. Wie sollte sie die nur transportieren? „Hier, Onee-chan. Damit lassen sich die beiden leichter transportieren.“ Breit lächelnd hielt das Mädchen ihr ein geöffnetes Glas entgegen. Das zukünftige Gefängnis für die beiden Marienkäfer. Doch wenn sie es richtig anstellte, konnte sie diese vielleicht befreien. „Warte, Onee-chan, ich mache das. Du hast sicher noch nie Käfer gefangen. Große Mädchen machen das nicht mehr, sagt meine Mama immer.“ In der Tat, da hatte die Mama der Kleinen wirklich recht. Große Mädchen fingen keine Käfer mehr. Das taten vielleicht nur die Jungs, aber auch die hatten dann sicher bessere Gründe als bloßen Spaß an der Freude. Das Schlimmste war aber, dass die Marienkäfer nun doch nicht frei kamen und sie ihre Zeit in diesem Glas verbringen mussten, denn das Mädchen schraubte dieses zu, mit einem Deckel, in dem Löcher gestochen war. Wenn sie Yukikos Schloss überlebte, würde sie diese beiden definitiv befreien. „Danke, dafür.“ Wie sie reagieren sollte, wusste Otome immer noch nicht, doch als sie das strahlende Lächeln auf den Gesichtern der beiden sah, wusste sie, dass sie alles richtig gemacht hatte. Immerhin das unterschied sich nicht von den Kindern, die sie aus der Stadt kannte. War man nett zu ihnen, freuten sie sich und der Tag war gerettet, denn ein Kinderlächeln war das schönste, was sie sich vorstellen konnte.   **~~**   Sie wusste nicht genau, warum sie es getan hatte, aber Otome hatte auch die letzten 800 Yen ausgegeben und in drei Tomaten investiert. Wenn Pfirsiche Leben retten konnten, würden diese Tomaten definitiv nicht schaden. Das war aber der einzige Kauf, neben Chies Schuhen, von dem Otome an diesem Tag überzeugt war, als sie zusammen mit ihren beiden Mitstreitern an einem Tisch saß. Die Atmosphäre war angespannt und nicht einmal der Milchshake, den Yosuke ihr spendiert hatte, konnte diese Anspannung lösen. Schließlich war es Yosuke, der als erster das Schweigen brach. „Man, erst Saki-senpai und nun Yukiko-san. Ich hätte niemals geglaubt, dass wir in so etwas mit hineingezogen werden.“ „Hey, rede nicht so, als sei Yukiko bereits tot!“, wehrte sich Chie. Tod war Yukiko sicher noch nicht, aber es sah nicht gut aus, wenn sie sich nicht beeilten. Allerdings war es in Junes, dank der Angebote des Nachmittags viel zu gut besucht um sich unbemerkt in die Elektronik-Abteilung zu schleichen und den riesigen Fernseher zu benutzen. „Ich weiß, ich weiß. Beruhige dich. Unglücklicherweise haben wir dennoch ein Zeitlimit. Wir müssen Yukiko-san retten bevor der Nebel aufkommt.“ Yosukes Worte sorgten nicht gerade dafür, dass sich die Lage entspannte, auch wenn Chie eine Zeitung hervorzog und auf den Wetterbericht verwies. „Vergesst nicht. Der Nebel kommt, wenn es mehrere Tage hintereinander geregnet hat.“ Otome nickte auf Chies Hinweis. Im Moment sah es also noch gut aus. Allerdings wollte sie das alles auch nicht auf die leichte Schulter nehmen. Den Wetterbericht gab es schließlich immer nur eine Woche im voraus. In acht Tagen konnte es schon wieder nebelig sein. Die Zeit saß ihnen also trotz einer kleinen Vorschau immer noch im Nacken. „Meine Damen und Herren, der heutige Sonderverkauf ist hiermit beendet. Besuchen Sie uns bald wieder und denken Sie immer daran: 'Jeder Tag ist ein Kunden-Würdigungstag.'“ Aus den Lautsprechern ertönte die Stimme einer Frau, gefolgt von dem Lied, welches Otome wohl bis in ihre Träume verfolgen würde, wenn sie es noch häufiger ertragen musste. Irgendwann konnte sie es vielleicht wirklich singen, sogar rückwärts. „Gehen wir. Ich muss Zuhause sein, bevor es dunkel wird.“ Otome erhob sich von ihrem Platz und sah zu ihren Gefährten, die sie ernst anblickten und nickten. Sie waren alle drei bereit für die andere Welt, auch wenn sie nicht wussten, was sie erwartete.   Es war seltsam. Sie war nicht in der Welt hinter dem Fernseher, als sie ihre Augen öffnete. Stattdessen lächelte sie Margaret verheißungsvoll an. So als wüsste sie, warum Otome nun auf einmal hier war und nicht bei ihren Freunden. „Oh, du schon wieder. Du wirst wohl noch häufiger herkommen. Also, was willst du dieses Mal? Ich kann dir eine Fähigkeitskarte machen.“ Schon jetzt war es wieder unglaublich, wie charmant Marie ihr gegenüber war. Dennoch konnte Otome dem Mädchen nicht böse sein. Im Gegenteil, irgendwie hatte sie das Gefühl, dass Marie einfach etwas unbeholfen im Umgang mit anderen war. „Entschuldige uns einen Moment. Marie, du musst lernen dich zurückzuhalten.“ Auf jeden Fall, da war Otome einer Meinung mit Margaret, auch wenn sie vermutete, dass die Assistentin Igors etwas ganz anderes meinte. „Was? Was soll das bitte heißen? DummeverklemmtestarrköpfigePute.“ Es war schon irgendwie niedlich, wie schnell Marie an die Decke ging. Allein diese kleine unbedeutende Standpauke hatte in ihr so etwas wie Entrüstung geschaffen. Wahrscheinlich war Marie sich wirklich keinerlei Schuld bewusst. Fragwürdig also, ob sie es lernen würde. „Ich entschuldige mich aufrichtig“, seufzte Margaret und schüttelte den Kopf. „Sie ist einfach nicht zu zähmen.“ „Du hast mein Mitgefühl“, antwortete Otome auf Margarets Kommentar und blickte zu Marie, die ihre Arme verschränkte und schmollend wegsah. Erneut niedlich, wenn auch verstörend auf gleiche Weise. „Wie dem auch sei. Das alles dient dir als Unterstützung deiner Reise.“ Verwirrt sah Otome zu der Frau, die leise kicherte und scheinbar über Otomes Gesichtsausdruck mehr als amüsiert schien. „Was meinst du damit?“ Der schnelle Themenwechsel hatte Otome wirklich aus der Bahn geworfen. Meinte Margaret nun die angebotenen Fähigkeitskarten oder war da noch etwas anderes, was sie zu sagen hatte? Irgendetwas verheimlichte Margaret ihr und Otome gefiel das gar nicht. „Dieser Raum ist untrennbar von deinem Schicksal. Nichts was hier passiert, geschieht einfach so. Es scheint mir, dass du und Marie euch schon getroffen habt, bevor ihr euch hier das erste Mal begegnet seid. Sie, die nicht menschlich geschaffen wurde, zu treffen und mit ihr reden zu können... Dein Schicksal hat zu dieser Begegnung geführt.“ Otome war nicht dumm, dass wusste sie selbst, aber in Angesicht dieses Gespräches mit Margaret, fühlte sie sich so. Ihre Worte waren genauso mysteriös wie die von Igor und zeigten nur noch deutlicher, dass beide mehr wussten als sie sagten. Doch warum taten sie es nicht einfach, wenn dieser Raum existierte um ihr zu helfen? Warum betrieben sie so einen Aufwand? „Nicht menschlich geschaffen? Was meinst du damit?“ „In der Tat. Dieser Raum ist eine Kreuzung eurer beider Schicksale. Du, als Gast und Sie, die nicht menschlich geschaffen ist und zu diesem Ort gekommen ist. Wohin wird diese Begegnung führen? Entschuldige, dass ich das sage, aber wir sind wirklich sehr daran interessiert, was passieren wird. Obwohl sie aus deiner Welt kam, ist Marie doch nicht menschlich... Mit anderen Worten, ihr Verständnis für deine Welt ist nicht vollständig. Deswegen bitte ich dich, sie mit in deine Welt zu führen, wenn es dir möglich ist. Natürlich nicht sofort, immerhin besuchst du im Moment die Welt auf der anderen Seite des Fernsehers. Aber frage sie bitte, ob sie mitkommen mag, wenn du etwas Zeit erübrigen kannst.“ Immer noch ergab das was Margaret sagte keinen Sinn. Im Gegenteil, sie schien dem eigentlichen Teil ihrer Frage sogar auszuweichen. Nur wieso? Was hatte sie davon Marie irgendetwas zu verheimlichen, oder ihr? „Geht das für dich in Ordnung, Marie?“ Lächelnd sah Margaret zu Marie, die immer noch ihren und Otomes Blicken auswich. „W-Was auch immer... Mir egal...“ Auch wenn Maries Worte nicht so klangen, als würde es für sie wirklich in Ordnung sein, spürte Otome, dass sie schon gerne noch einmal diese andere Welt sehen wollte, in der sie einander begegnet waren. Warum also nicht? Es konnte unter keinen Umständen schaden, wenn sie Marie einfach mehr von ihrer Welt zeigte. „Wie dem auch sei, du solltest allmählich zurück zu deinen Freunden.“ Ein Lächeln zeichnete sich weiterhin auf Margarets Lippen ab und kaum, dass sie diese freundliche Ausladung ausgesprochen hatte, verschwamm die Sicht vor Otomes Augen. Ihr Geist driftete weg, bis sie schließlich in der Ferne das Echo einer vertrauten Stimme wahrnahm.   „Otome-chan!“ Als sie die Augen öffnete, fühlte sich das Treffen im Velvet Room wie ein Traum an, dessen Erinnerung langsam zu verblassen drohte. Ihr Kopf schmerzte, ebenso ihr Po, auf den sie mit Sicherheit nach der Reise gefallen war. „Geht es Sensei gut?“ Kumas Stimme und sein Gesicht waren ihr nahe, viel zu nahe. „Hey, du blöder Bär, lass ihr gefälligst etwas Freiraum.“ Yosuke, der Held. Sie spürte wie keine Sekunde später Kuma etwas von ihr wich. Sicher hatte sie das Yosuke zu verdanken. „Ich glaube sie kommt zu sich.“ Chie. In ihrer Stimme war Erleichterung zu hören. Seltsam, wie lange war sie denn weg gedriftet gewesen? Sich den Kopf reibend, erhob sich Otome langsam und sah sich um. Sie waren wieder am gewohnten Startpunkt. An der Landung müsste sie wohl noch arbeiten, wenn sie nicht immer wieder spontan im Velvet Room zu Gast sein wollte. „Mann, Otome, an der Landung musst du noch arbeiten“, scherzte Yosuke sofort und Otome mühte sich ein gequältes Lächeln ab. „Sagt der, der sich beim ersten Mal angeblich den Po gebrochen hat.“ Vorsichtig stellte sich Otome auf. Es schien immerhin noch alles an ihr dran zu sein, ganz ohne Brüche. Perfekt. „Leute, ich will ja nicht stören, aber wir müssen uns beeilen. Für so etwas haben wir keine Zeit.“ Auch wenn Otome nicht viel von solcher Panikmache hielt, nickte sie. Chie hatte eindeutig Recht. Die Scherze konnten sie sich für später aufheben. „Kuma, führe uns zum Schloss. Wir werden Yukiko retten.“ Entschlossen sahen die drei Schüler zu dem Bär der nickte und sofort die Richtung vorgab. Er würde auch dieses Mal ihr Navigator sein und auch wenn Otome ein flaues Gefühl im Magen hatte, sie musste diesen Personen vertrauen. Diese Personen die sie für den Moment als ihre Freunde sah. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)