Coming Closer -REMAKE- von Nea-chan (Wer sagt, dass Liebe einfach ist?) ================================================================================ Prolog: Band ~I~ Prolog: "On the Way" ------------------------------------- Coming Closer Band I - "Unverhofft kommt oft!" Prolog ~On the Way~ Hurry on, hurry on time, it's going so fast Hurry on, I can't save you Can't slow it down, you know this is your fate Are you feeling lonely? So lonely, lonely, lonely… „Nina?“ …No one hears, no one hears you… Sie zog die Nase kraus und grummelte verschlafen vor sich hin, die Musik in ihrem Ohr vermischte sich mit einem Rufen aus weiter Ferne. „Annina!“, rief es lauter, fordernder als zuvor und die Melodie verebbte gänzlich. Müde blinzelnd blickte Nina in das Gesicht ihrer besten Freundin. Hellblaue Augen die von hochgezogenen Mundwinkeln erreicht wurden, musterten sie erwartungsvoll. „Hey Chrissie… hast du mir grad den Ohrstöpsel aus dem Ohr geklaut?“ Ihre rotblonde Sitznachbarin schwang zur Antwort herausfordernd ein schwarzes, dünnes Kabel in ihrer rechten Hand herum, das zu einem MP3-Player führte und lächelte. „Schau mal lieber aus dem Fenster, wir sind so gut wie da!“ Irritiert blinzelte Nina sie an, richtete sich dann auf und beugte sich vor um durch das kleine Flugzeugfenster zu schauen. Ein ängstlicher Schauer lief ihr beim Anblick der Höhe, in der sie sich befanden, über den Rücken, doch dann wurden ihre Augen größer und ihr Mund klappte auf. Ihre Freundin grinste breit und selbstzufrieden. „Wahnsinn! Ist das Japan?!“ „Besser! Das ist Osaka! Wir fliegen den Flughafen bereits an!“ In Chrissies Stimme schwang überschäumende Vorfreude mit, ihr Ton war höher und schriller als normal. „Waaa~h! Warum hast du mich nicht eher geweckt? Oh, das ist so irre! Sie dir das an, Japan! Vor unserer Nase! In Echt!“ Ihre dunklen, braungrünen Augen wanderten über die eng besiedelte Küste, Haus an Haus stand dort in fahlem Grau aneinander. Keine Wolkenkratzer wie man es sich vorstellte, so mochte es wohl in den großen Metropolen aussehen, aber hier waren es einfache Plattenbauten, wie sie es aus Berlin kannten. Wie ihre Blicke so über die Landschaft schweiften, bekam sie nachdenkliche Falten auf der Stirn. „Du sag mal, wo ist denn der Flughafen? Ich sehe weit und breit nur Häuser.“ Chrissies Lächeln war verheißungsvoll, eine Gänsehaut überlief sie. „Da unten ist er.“ Nina folgte mit ihren Augen dem ausgestreckten, feingliedrigen Zeigefinger ihrer besten Freundin und blieb mit dem Blick schließlich auf einer rechteckigen, zuzementierten kleinen Insel direkt im Meer hängen. Erschrocken und ungläubig starrte sie den vermeintlichen Flughafen und anschließend ihre belustigt dreinschauende Freundin an. „Das ist ein Scherz, oder? Das da ist unser Flughafen?!“ Ihre Stimme klang ängstlich erregt, denn sie hatte furchtbare Flugangst. Es war ein Krampf gewesen sie überhaupt in Berlin-Schönefeld in das Flugzeug zu bekommen und erst der Start… es war ein peinliches Drama gewesen! Chrissie hatte viel Beruhigungsarbeit geleistet und letztendlich tapfer ihre Hand hingehalten, als der Flieger abhob, bereit jedes Opfer zu bringen, wenn es sie dafür beide nach Japan brachte. Doch Ninas Furcht war auch bei den beiden Zwischenstopps in Moskau und Seoul nicht weniger geworden. Eine anstehende Landung auf einer längentechnisch begrenzten Landebahn, die am Ende ins Meer mündete, klang für sie fast genauso furchtbar wie direkt abzustürzen. „Ach nee~… oh nein… oh nein, muss das sein?! Hilfe…“ Chrissie lachte leise und tätschelte aufziehend Ninas schwarz gefärbtes Haupt. „Alternativ könnte man die Stewardess ja mal fragen, ob auch eine Direktlandung im Wasser möglich ist, wenn du dich so vor der Insel graust.“ „Neeeiii~n!“, kreischte Nina empört und lies sich zurück in ihren Sitz sinken, während ihre rothaarige Freundin amüsiert lachte und verkrallte sich rechts und links in ihren Lehen. „Jetzt stell dich nicht so an, denk einfach daran, dass du danach für gute zwei Wochen im Land deines Lieblings verbringen darfst.“ Ehe Nina auf diese Anspielung antworten konnte, wurde eine Durchsage gemacht, welche die Landung ankündigte, zum Anschnallen aufforderte und in der man sich bedankte, dass man mit dieser Fluggesellschaft geflogen war. Die Vorfreude dämpfte die unbegründete Angst ein wenig, es war alles irgendwie noch sehr unwirklich… Nach Japan zu fliegen war für sie beide keine Selbstverständlichkeit! Noch vor wenigen Monaten war das für sie undenkbar gewesen. Es sei denn, man hatte mit knapp 18 Jahren genug Geld locker sitzen, um es sich aus eigener Kraft zu ermöglichen, was bei ihnen allerdings nicht der Fall war. Doch hier waren sie, hoch oben in der Luft und kreisten über ihrem Lieblingsland Japan, über Osaka und bald schon würden sie ihren ersten Schritt auf dessen Erde tun… Annina und Christin – wie sie voll ausgeschrieben hießen - waren schon seit vielen Jahren begeisterte Japan-Fans und seiner Kultur, seinen Speisen und der japanischen Populärkultur, die Manga, Anime und vor allem moderne Musik mit einschloss. Das sie die Gelegenheit bekommen hatten, ihr Traumland hautnah erleben zu dürfen, war für sie wie ein Wunder. Angefangen hatte alles einige Monate zuvor, im frühen Winter 2004… „Du Nina sag mal, kennst du die TV-Werbung wo eine Japanreise verlost wird? Hast du den Spot vielleicht schon mal gesehen?“ Nina sah mit ihren großen, mandelförmigen Augen von ihrem Teller auf. Sie saßen, ein Reisgericht essend, bei Chrissie in der Küche. Ihre Eltern waren aufgrund des Weihnachtsgeschäfts nicht da und wie sooft zuvor war Nina bei ihrer besten Freundin zu Besuch, um ihr die Langeweile zu vertreiben. „Nö, hab’sch nisch.“, sprudelte es aus ihrem vollen Mund. „Ey, lass deine Reiskörner bei dir, ich hab genug eigene.“, sagte Chrissie mit einem Anflug von einem Grinsen im Gesicht und streifte sich gespielt angewidert imaginäre Krümel von der Bluse. Genau wie sie erwartet hatte, begann Nina zu lachen. Sie hielt sich mit beiden Händen den Mund zu und lief rot an, was so lustig anzusehen war, dass ihre Freundin tonlos nach Atem ringend mit einstimmte. Als der Lachanfall langsam aber sicher an Intensität verlor und der Rothaarigen wieder möglich war, normal zu atmen, war es auch Nina endlich möglich gewesen, zu schlucken und sich wieder zu akklimatisieren. „So, jetzt aber!“, japste sie noch immer mit Lachtränen in den Augen. „Du hast die Werbung also noch nicht gesehen?“ Nina, die Größere von beiden, schüttelte den Kopf und leerte nebenbei noch schnell vorsorglich ihren Teller. Man konnte nie wissen, wie lange die nächste Lachattacke auf sich warten lies, wenn sie beide zusammen waren. „Ich hab in letzter Zeit nur noch strikt nach Fernsehzeitung die guten Filme geguckt… ich wollte meine Zeit nicht mit sinnloser Werbung oder Soaps vergeuden… Ich vergnüge mich lieber anderweitig!“ Ein breites, vielsagendes Grinsen hing am Ende des Satzes in ihrem Gesicht, verträumt blickte sie an Chrissies welliger Mähne vorbei. „Ah ja, womit denn, wenn man fragen darf?“ Ninas Feixen wechselte von vielsagend zu verlegen. „Och... Ich hab nur mal wieder an meiner Fanfiktion getüftelt.“, quietschte sie. „An Welcher?“, fragte ihr zierliches Gegenüber fordernd. „ Na, Mensch! An welcher wohl?! An der Shônen-Ai FF mit...“ Genau in diesem Moment klingelte das Telefon und sie mussten das Gespräch unterbrechen. Nina stand derweilen von ihrem Holzhocker auf, warf ihre glatten, achsellangen Haare mit einer lässigen Bewegung über die Schultern und verlies die kleine, gemütlich eingerichtete Küche und steuerte zielstrebig Chrissies Zimmer an. „War nur kurz meine Mutter. Ich schlage vor, über deine Fanfiktion reden wir später…“, sie warf Nina dabei einen Blick zu, der ihr ein Widersprechen unmöglich machte, „…kommen wir jetzt mal zu diesem Preisausschreiben.“ Die Dunkelhaarige setzte sich auf den Fußboden und lehnte sich an einen Sitzsack mit Leopardenmuster. Das Zimmer ihrer Freundin hatte die übliche Durchschnittsgröße eines Kinderzimmers. Links vom Eingang verlief bis über die gegenüberliegende Ecke eine hohe Kleiderschrankkombination, die Chrissie notgedrungen bei sich im Zimmer dulden musste, da ihre Eltern eindeutig zu viel Kram, aber gleichzeitig zu wenig Platz hatten. Rechts neben der Tür schloss ein Hochbett aus Zedernholz an, es bildete einen Durchgang zum hinteren Bereich des Zimmers. Unter ihm stand auf der rechten Seite ein kleiner Computerschreibtisch und gegenüber war eine kleine Vitrine, in der Chrissie ihre geliebten Fantasy Bücher und eine üppige Mangasammlung aufbewahrte. Hinten unter dem einzigen Fenster des Zimmers stand links ein Schriebtisch an dem sie Schularbeiten und andere Dinge verrichtete und rechts stand noch eine hohe Glasvitrine, in der Delfinfiguren und andere hübsche Sachen deponiert waren. Genau zwischen diesen beiden Möbelstücken saß Nina und lauschte gespannt. „Also, die suchen da für irgend so ein Dings ein Maskottchen, mitmachen darf jeder, der bis zur Bekanntgabe der Gewinner 18 Jahre alt geworden ist. Das wäre dann gegen Ende März nächsten Jahres." „Du mit deinem Dingsisch immer... Und worauf willst du nun hinaus?“ „Aber du mit deinem Gelegenheits-Mou, oder wie? Nun, was das Maskottchen angeht sind dem Künstler keine Grenzen gesetzt, aber es muss zu dem vorgegebenen Thema passen!“ Ein Paar blauer Augen strahlte so hell und erwartungsvoll, dass Nina sich fast sicher war, dass Chrissie nachts keine Nachttischlampe brauchen würde. „Ok… so wie du mich anschaust hast du bestimmt im Sinn, dass ich irgendwas zu diesem Wettbewerb beisteuere.“ „Du hast es erfasst! Mein Gott, das muss ich im Kalender rot anstreichen… Nina kommt mal alleine auf etwas… (i)Autsch!“ Die Gehörnte hatte einen Hausschuh nach ihr geworfen, als sie ihren stichelnden Spruch zum Besten gegeben hatte. „Du kannst gerne alleine zeichnen und teilnehmen, wenn du meine geistigen Fähigkeiten für unterbemittelt hältst!“ Herausfordernd funkelten sie sich an, natürlich lagen sie sich nicht wirklich in den Haaren. Dies war ein gespieltes Streitgespräch wie es bei ihnen durchaus öfter vorkam. Wenn man wie sie seit der 8. Klasse miteinander befreundet war, wusste man, wann der andere einen Spaß machte und wann nicht. „Erzähl mir lieber erstmal, was denn eigentlich das Thema ist, damit ich überhaupt einschätzen kann, was mich erwartet.“ Chrissie erzählte Nina von dem Thema “Süßigkeiten“ und ihrer Idee, dass sie beide doch gemeinsam ein Maskottchen entwerfen könnten, was Nina dann durch Ausreizen ihres zeichnerischen Talents zu Papier bringen müsste und sie dann unter Chrissies Namen einschicken würden. Sie wurde nämlich einen guten einen Monat vor ihrer Freundin volljährig. Nina musste nicht lange überlegen und war sogleich Feuer und Flamme, immerhin wurde dem Gewinner eine zweiwöchige Reise nach Japan finanziert, inklusiv einer Begleitperson! Zwar musste man die Organisation der Reise so gut wie selbst übernehmen, doch davor scheuten sie sich gerade am wenigsten. Noch am selben Abend hatten sie sich ein Konzept überlegt und ehrgeizig wie Nina war, stellte sie die ersten groben Skizzen des potenziellen Maskottchens fertig. Ihre Idee war es den Hauptgewinn Japan thematisch mit dem Süßigkeiten-Thema zu verbinden und herausgekommen war eine im wahrsten Sinne des Wortes zuckersüße Lolita. Pastell-Bonbonfarben wohin das Auge sah waren geplant und selbst die Accessoires waren allesamt zum vernaschen, ein bisschen mehr Kitsch und man lief wahrscheinlich Gefahr allein vom Ansehen des Bildes Karies zu bekommen. Im Verlauf der folgenden Woche stellten sie gemeinsam aus allen Skizzen die perfekte Bonbon-Lolita zusammen und Nina brachte eine passable Reinzeichnung zustande, die mit viel Geduld und Hingabe am Computer coloriert wurde, bevor sie dann fix und fertig endgültig in Richtung Bestimmungsort geschickt werden konnte. Nachdem sie den Briefumschlag in einen Briefkasten nahe Christins Zuhause eingeworfen hatten, machten sie sich auch schon wieder auf den Heimweg. Nina faltete ihre Hände wie zum Gebet vor ihrer Brust zusammen. „So, ab jetzt heißt es abwarten und Tee trinken!“ „Und nebenbei Gackt und Hyde gucken und hören.“, warf die Rothaarige ein und machte einen schmachtenden Gesichtsausdruck. „Mou! Hai! Gackto! Gackto!“, quietschte Nina vergnügt und fing an vor Begeisterung zu hüpfen. „Oh Mann, hoffentlich haben wir eine Chance! Wa~h! Ich sterbe, wenn ich nur daran denke!“, fügte sie noch hinzu. „Ist ja nicht das erste Mal, das du beim Klang seines Namens stirbst.“, gab ihr Chrissie sarkastisch zurück. „Danke! Du mich auch!“, maulte Nina vorwurfsvoll. „Nee, dann doch lieber Hyde.“ Sie grinsten sich an, die Leute auf dem Bürgersteig um sie herum schauten bereits irritiert, doch wen störte das? Die beiden Mädchen jedenfalls kein bisschen! Gackt und Hyde waren zwei in Japan sehr berühmte und begnadete Sänger, die schon seit vielen Jahren im Geschäft waren. Ihre Musik war mit keiner Westlichen zu vergleichen, selbst von der üblichen J-Musik hoben sie sich durch ihren Stil und die stimmlichen Charakteristiken stark ab. Vor ca. zwei bis drei Jahren hatten sie sich mit einem Mädchen aus einem ihrer Japanisch-Sprachkurse angefreundet, die sie damals an Gackt herangeführt hatte, durch den man dann unweigerlich auch zu Hyde kam. Seither waren sie von ihrem Talent und ihrer Ausstrahlung hin und weg. Chrissie hing jedoch mehr an Hydes Lippen, während bei Nina daheim Gackts Songs auf und ab liefen, doch jede mochte den Liebling der Anderen genauso gern. So hatten sie beide schon viele Stunden gemeinsam vor dem PC verbracht um sich unendlich viele Musikvideos, Interviews, Shows und Bilder anzuschauen und immer auf dem Laufenden zu bleiben, was die neusten Lieder betraf. Während die Freundinnen anfangs fast jeden Tag kein anderes Thema als den Wettbewerb und die eventuelle Reise hatten, stapelten sich über die gelungene Zeichnung bald andere Bilder und Unterlagen aus Ninas kreativ chaotischen Haushaltsführung und irgendwann verschwand sie schließlich – genauso wie das Gesprächsthema – in einer Schublade und damit in vorläufige Vergessenheit. Weihnachten, Neujahr, das Tauwetter, den Frühlingsbeginn, Chrissies Geburtstag und Ostern hatten sie lange hinter sich gelassen, als Annina mal wieder seit längerem zu der Uhrzeit vor dem Fernseher saß, wo eigentlich gar nichts Interessantes lief. Es war warm, die Sonne schien mild auf Berlin nieder und gelangweilt von der Einöde ihrer kleinen Einraumwohnung, löffelte sie genüsslich einen Vanillejoghurt, während das laufende Unterschichtenprogramm auf sie einrieselte. Wahllos und mit dem Löffel noch im Mund wechselte Nina die Kanäle auf der verzweifelten Suche nach einem Samstag-Mittag-Programm, das man ertragen konnte, als sie plötzlich auf einem Sender landete, auf dem sie eine hübsche Melodie dazu brachte den Daumen von der Skip-Taste zu nehmen. Es dauerte nur wenige Sekunden in denen ein paar bunte Bilder vor ihren Augen herumtanzten, doch in ihrem Kopf schien etwas ausgesetzt zu haben. Mit einem Mal rutschte ihr der Löffel aus dem Mund und fiel geräuschvoll auf den Laminatfußboden, ihre Augen waren groß wie Untertassen und sie kroch mit ihrer Nase geradezu in die Mattscheibe ihrer alten Röhre. Fröhlich zur Musik tanzte dort im TV eine kleine, hübsche Figur mit einer Fahne in der Hand die für ein Produkt der Süßwarenindustrie warb. Ninas Blick schweifte einen Moment lang in weite, zurückliegende Fernen ab und sie erinnerte sich schwach daran, dass im Fernsehen wohl angekündigt worden war, wann die Bekanntgabe der Gewinner für jenes bestimmte Preisausschreiben war, doch sie hatte es nur mit einem Schulterzucken wahrgenommen gehabt. Gewinner würden doch wohl nicht erst zur offiziellen Bekanntgabe Bescheid bekommen, oder?! Mit einem Satz sprang sie von ihrer Couch und stolperte durch ihr Zimmer bis in den Flur, wo ihr schnurloses Telefon stand. Mit zitternden Händen wählte sie Chrissies Nummer. „Geh schon ran!“ Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, hob sich am anderen Ende der Hörer. Noch ehe überhaupt jemand etwas sagen konnte, brüllte sie unkontrolliert ins Telefon. „MACH DEN FERNSEHER AN!!!“ Chrissie entfernte den Hörer sofort geschockt um eine Armlänge von sich. „Bitte was?“, fragte sie vorsichtig zurück, als sie sich halbwegs sicher war, dass ihr Trommelfell das Telefonat überleben würde. „Scheiß egal! Mach einfach! Der Sender mit der Dauerwerbung, mir fällt grad der Name nicht ein!“ Ein wenig genervt von Ninas Ton und gleichzeitig etwas nervös, schlenderte sie nachgiebig samt Telefon am Ohr ins Wohnzimmer ihrer Eltern und bat ihre jüngere Schwester darum, den Sender zu wechseln. „Fertig?“, hakte Nina am anderen Ende drängelnd nach. „Ja, ja, Moment.“, antwortete Chrissie noch halbwegs gelassen, bis auch sie endlich den richtigen Sender gefunden hatte. STILLE Das Einzige, was Nina noch hören konnte, war die ausklingende Musik des Sendung, die sie selbst auch nebenher laufen ließ. „Mou... Chrissie? Noch da?“ „Scheiße...“ „Hä? Wie, was?“ „Scheiße!“ „Nani?“ „SCHEIßE!!!“ „Ist ja gut! Ich hab's kapiert!“ „Das… das ist sie! Ich meine, das ist unser...! Shit, ich hab den Brief vergessen!“, stotterte Chrissie atemlos in den Hörer und klang dabei ziemlich aufgeregt. Nina grinste sich an ihrem Ende jetzt ziemlich dämlich dreinblickend einen ab, den Gesichtsausdruck ihrer Freundin konnte sie sich lebhaft vorstellen. Doch dann kam die letzte Bemerkung Chrissies bei ihr im Kopf an und ungläubig musterte sie ihr Telefon, grade so, als könnte sie durch ihn hindurch ihre Gesprächspartnerin sehen. „Äh, was denn für einen Brief?!“ „Nina, lass alles stehen und liegen, beweg deinen Hintern auf der Stelle hier her und versuch gar nicht erst mir zu widersprechen!“ Dut, Dut, Dut... „Als ob du mir eine Wahl lassen würdest...“, murmelte Nina noch in das Mikro und stürmte dann zurück in ihr Wohnzimmer um den Fernseher auszuschalten und sich ihre Tasche zu schnappen, in der sie immer bereit allen nötigen Krimskrams hatte. Zu ihrem Glück war sie vor Kurzen direkt nach ihrem Geburtstag bei ihren Eltern ausgezogen, da sie keinerlei Ambitionen hatte mit ihnen in ein weit entferntes Ödkaff außerhalb der Stadt zu ziehen. Daher wohnte sie nun unmittelbar bei Chrissie in der Nähe und es würde mit viel Glück, was den Nahverkehrsanschluss betraf, vielleicht knapp eine viertel Stunde dauern, dann wäre sie von ihrer Neugier über den ominösen Brief befreit. Aufgeregt bearbeitete Nina die Klingel vor Chrissies Haustür, bis endlich das Türzeichen erklang und sich vor ihr die sonst so verhassten Stufen bis in den fünften Stock auftaten, die es wie immer zu erklimmen galt. „Die Zeit hätte man stoppen sollen.“, wurde sie oben angekommen von ihrer kleineren Freundin aus dem Türrahmen heraus begrüßt und ungeduldig herein gewunken. „Warte, ich geh noch mal zurück und mach’s noch mal.“, keuchte Nina schwer atmend und setzte an Kehrt zu machen. „Untersteh dich!“, drohte ihr Chrissie zischend, packte sie an ihrem linken Arm und zerrte sie in die Wohnung. Sie ließ Nina gerade genug Zeit und Luft um sich die Schuhe von den Füßen zu streifen und orderte sie dann in diktatorischer Manier in ihr Zimmer, das ab da hermetisch abgeriegelt war. Sicher vor sämtlichen Zugriffen nerviger kleiner Schwestern oder gar neugieriger Eltern. „Oh man Chrissie, jetzt sag schon, was ist los? Was für ein Brief und was war das da im Fernsehen?! Ich dachte, ich seh’ nicht richtig“, krächzte Nina und sank erschöpft auf ihre Knie, direkt vor Chrissies PC-Schreibtisch. „Das du auf dem Fußboden sitzt ist schon mal gut, dann kannst du mir jetzt wenigstens nicht mehr vom Stuhl fallen.“, sagte die Rotblonde in einem bedeutsamen Tonfall und zog unter ihrer Tastatur einen Briefumschlag hervor, der bereits geöffnet war und schwenkte ihn kurz vor Ninas Nase herum. Ein verzweifelt unterdrücktes, irres Grinsen lag ihr auf den Lippen und das machte Nina Angst! „Ich war so frei in der Zwischenzeit, wo du unterwegs zu mir warst, diesen Brief zu öffnen und mir den Rest von der Sendung anzusehen.“ Ihre Stimme wurde jetzt hoch und sie piepste etwas beim Sprechen, in Ninas Kopf ratterte alles, eine Ahnung brannte auf ihrer Zunge, schließlich logen bewegte Bilder nicht und wenn doch, dann war sie sich bei Chrissies Miene jetzt auf jeden Fall todsicher. „Wir haben gewonnen?“, hauchte sie vorsichtig. Das, was aus Ninas Mund mehr wie eine Frage als eine Feststellung geklungen hatte, wurde von ihrer Freundin mit einem jauchzenden Aufschrei bejaht und eine heftige Knuddelattacke folgte. „Jaaaa~h!!! Haben wir!!! Dieser dämliche Brief, meine Mum hatte ihn mir hingelegt, doch ich hab ihn einfach nicht beachtet!!! Da steht es schwarz auf weiß, wir fliegen nach Japan!!!“, quietschte sie ihrer am Boden liegenden Freundin ins Ohr und zappelte dabei wie ein Aal auf dem Land. Nina schlag die Arme um Chrissies schmalen Oberkörper, drückte sie fest und wälzte sich mit ihr mit. „Kreisch, nein, das glaub ich nicht… das ist einfach zu geil!“ Den restlichen Tag über telefonierten sie in der Gegend herum. Zuerst mit der Werbeagentur um das längst überfällige Telefonat bezüglich des Gewinns nachzuholen. Ehe sie sich bei der zuständigen Reisegesellschaft meldeten um das Datum der Reise festzulegen, unterhielten sich über ihre Pläne und malten sich die tollsten Erlebnisse aus. Es brauchte nicht viel um sie darauf zu bringen, das im Sommer schon oft eine ganz gewisse Person eine Tour in Japan gab, es galt also ein paar kurze Recherchen anzustellen und tatsächlich: Gackts neuste Tour fiel auf ein Datum, das mit ihren Ferien, beziehungsweise ihrem Urlaub zusammenfiel. Hibbelig forsteten sie sich gemeinsam durch die Japanischen Schriftzeichen und arbeiteten sich erfolgreich zu einem Kartenkauf für ein Konzert in Kyoto vor. Sie mussten ihre per Kreditkarte bezahlten Konzertkarten jetzt nur noch vor Ort abholen. Mit zitternden Händen telefonierte Chrissie anschließen mit der Reiseagentur und legte Datum und Zielort für die Reise fest. Ein paar Augenblicke lang sagten sie gar nichts, sondern sahen sich nur aus großen Augen gegenseitig an, in ihren Mägen fuhr eine Achterbahn der Gefühle und ihnen war irgendwie sehr mulmig zumute, aber auf eine positive Art und Weise. Dann platzte es aus Nina zuerst heraus. „Das Datum ist ideal! Stell dir nur mal vor, wir werden die Gelegenheit bekommen, Gackts neue Tour zu sehen! Wir werden ihn sehen!“, jubelte Nina. „Oh ja und ich muss unbedingt mal schauen, ob ich auch was über Laruku rausfinde… wenn wir die auch noch zu Gesicht bekämen…!“, fügte Chrissie feierlich schwärmend hinzu. Laruku war die Insider-Abkürzung von L’Arc~en~Ciel, dem Bandnamen der Gruppe, von denen Hyde der Frontsänger war. Ninas Herz so klopfte laut und wild, dass es schmerzte. Ihr kamen schon fast die Tränen bei dem Gedanken Gackt hautnah mitzuerleben, wenn es denn mit der Reservierung geklappt haben sollte, das war nämlich seit Beginn ihres Fandaseins immer eine unmögliche Hoffnung gewesen. Chrissie ging es im Bezug auf eine eventuelle Hyde-Begegnung sehr ähnlich, doch ihr Kopf war gerade voll genug um sich damit jetzt auch noch beschäftigen zu können. Es gab noch so viel zu tun, sie mussten ihre Eltern aufklären, die Reise planen und noch vieles, vieles mehr… Kapitel 1: 01 Marmelade ----------------------- ****Plötzlich… die Ahnung einer wunderbaren Begegnung. Auch jetzt springt mein wild schlagendes Herz noch. Die Worte für dieses Gefühl, kann ich nicht finden, können nicht gefunden werden. Ich kann nichts sagen außer, jetzt will ich dich… so ansehen. Ob wir uns wiedertreffen können? Dich wieder sehen wollend, suche ich dich. Damit es nicht nur eine flüchtige Begegnung war, suche ich dich.**** Nach geschlagenen 17 Stunden verließen Chrissie und Nina endlich das Flugzeug und betraten erstmals in ihrem Leben japanischen Boden. Mit wackeligen Knien folgte die Größere von beiden ihrer älteren Freundin, die überraschend zielstrebig vorausging. Sie ließen das Gate, das Gepäckband und schließlich auch die üblichen Kontrollen hinter sich, bevor sie erst einmal tief durchatmeten und die Atmosphäre auf sich wirken ließen. Das Gebäude des Flughafens war ziemlich modern, die Wände waren nach außen gewölbt ähnlich einer Kuppel, die Innenausstattung war recht klassisch mit den Informationsständen und üblichen kleinen Geschäften, in denen man sich allerhand besorgen konnte. Auch die Bänke vor den Fensterfronten waren ihnen vertraut. Alles hier folgte anscheinend einem bestimmten Farbkonzept aus hellem Grau und dezent eingesetztem Hellblau, hier und da war auch ein Tupfer Gelb und Orange, vor allem bei den Bänken und den abstrakten Figuren an der Decke, die sie an Origami erinnerten. „Und jetzt? Du bist ja praktisch bis hierhin mit mir gehetzt.“, fragte Nina leicht nervös. Chrissie sah auf ihre Uhr, die sie bereits während des Fluges auf japanische Ortszeit eingestellt hatte. „Na klar hab ich mich beeilt, wir haben es jetzt kurz nach neun Uhr, wenn wir uns beeilen bekommen wir noch den Shuttle-Bus, der uns von hier direkt bis zum Bahnhof Kyoto bringt. Der fährt aber bald und ich hab keine Lust auf den nächsten zu warten… ich will mir die Verbindung nicht umsonst vorsorglich in Deutschland rausgesucht haben.“ „Aber wir haben doch noch genug Zeit…?“ Als Chrissie die Augen verdrehte war Nina klar, dass sie irgendeine wichtige Tatsache vergessen haben musste. „Nina, wir müssen uns doch noch Leihhandys besorgen. Hast du vergessen, dass wir unsere hier nicht benutzen können? In Japan ist doch das Handynetz ganz anders und es gibt schon seit 1999 keine SMS mehr, sondern nur E-Mails … ich hab aber nur herausfinden können, dass es hier irgendwo eine Verleihstation gibt. Die Namen hab ich mir auf einen Zettel geschrieben, aber lass uns schon mal anfangen zu suchen.“ „Na wenigstens haben wir schon vorher unser Geld umgetauscht.“, stellte Nina erleichtert fest. Sie verloren keine Zeit und machten sich zügigen Schrittes auf die Suche. Der Kansai-Airport war natürlich größer als erwartet, also machten sie sich einfach an einem Info-Point schlau und schon kamen sie ohne weitere Verzögerung an ihr Ziel. Zu ihrem Glück war es in der Verleihstation nicht voll und so dauerte es nicht lange einen Mietvertrag für zwei Handys abzuschließen. So hetzten sie in letzter Minute noch zum Busbahnhof, wo sie ihren Bus gerade noch erreichten. Ziemlich außer Atem mischten sie sich unter die überwiegend japanischen Reisegäste und stiegen ein, um sich im hinteren Drittel zwei Sitzplätze zu sichern. Sie spürten, seit ihrer für japanische Verhältnisse eher laute und wenig zurückhaltende Art der Ankunft am Shuttle-Bus, einige neugierige Blicke auf sich ruhen. Doch für sie zählte jetzt einfach nur, dass sie in Japan angekommen waren und sicher im richtigen Bus zur nächsten Reisestation saßen. Die anstehende Fahrt von gut 100 Minuten ließ ihnen genug Zeit sich zu freuen und die weiteren Vorgehensweisen zu besprechen. „Schau mal, Nina, wir fahren jetzt gleich direkt übers Meer auf die Küste zu, das sieht bestimmt toll aus! Zum Glück hab ich mir die Digitalkamera von meinem Vater ausliehen dürfen, dann kann ich gleich mal Fotos machen.“ Glücklich quiekend wühlte Chrissie in ihrer kleinen, schwarzen Umhängetasche nach der Kamera, als sie ein deutliches Rumoren aufhorchen ließ. Nina neben ihr legte peinlich berührt die Hände auf ihren Magen und lächelte verschmitzt. „Sorry, ich hab ziemlichen Hunger. Der Flug war so lang und das Bordessen war wenig befriedigend. Und laut innerer Uhr ist es grad mitten in der Nacht… mein Körper braucht Energie um den Jetlag wegzustecken.“ „Kein Wunder bei den Portionen, die du sonst so verdrückst.“ „Hey! Ich kann meinen Magen ja schlecht abstellen so wie du…“ „Deswegen bist du auch schwerer als ich.“ „Na hör mal, ich bin schließlich auch fünf Zentimeter größer und ganz anders gebaut als du!“ Während Nina sich schmollend mit verschränkten Armen in ihre Sitzlehne warf, kicherte Chrissie leise und amüsiert vor sich her. Der Moment wurde jäh unterbrochen, als Nina am Kopf von einem fliegenden, noch undefinierbaren Objekt getroffen wurde. Das, was auf den ersten Blick aussah wie ein Brötchen, fiel unter Chrissies schallendem Gelächter in deren Schoß. Entrüstet tastete Nina ihren Kopf ab, der Treffer hatte zwar nicht weh getan, sie aber ziemlich erschrocken. Ihre Sitznachbarin lachte weiter ausgelassen, vor allem über den beleidigten Gesichtsausdruck. „Kommt Luft-post ge-flo-gen, knallt von hin-ten geg’n dein’ Kopf! La la la la la…“, fing sie vergnügt an zu singen um Nina noch ein wenig mehr auf die Schippe zu nehmen, so dass diese sich jetzt auch nicht mehr beherrschen konnte und in das inzwischen lautlose Lachen mit einsetzte. Als sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatten, setzte Chrissie wieder zu einem halbwegs vernünftigen Satz an. „Von wem kam denn die unverhoffte Luftsendung?“ Sie drehte und wendete das in Folie verpackte, runde Etwas in ihren Händen und entschlüsselte die Kanji, Hiragana und Katakana, die darauf gedruckt waren. Nina spähte derweil in die hinteren Sitzreihen, in der Letzten saßen zwei junge Japaner und winkten ihr grinsend zu. Die Passagiere in den Reihen zwischen ihnen taten entweder so, als hätten sie nichts von der ulkigen Situation bemerkt oder unterdrückten ein leises Lachen, andere hingegen grummelten vor sich hin als fühlten sie sich gestört. „Anscheinend haben wir so was wie Fans.“, flüsterte sie schließlich. Chrissie lugte über die Schulter und schenkte den beiden Männern ein gekünsteltes Lächeln zurück, als sich ihre Blicke trafen. „Scheiße, sehen die scheiße aus.“, gab sie der Jüngeren leise zu verstehen, als sie sich ihr wieder zuwendete und ihr das Päckchen in die Hand drückte. „Egal, Hauptsache das hier ist essbar.“, faxte Nina und begann ihr Geschenk auszupacken. „Ist es sogar ganz bestimmt, das ist nämlich ein Manjû. Besser gesagt ein Anman gefüllt mit Anjû, diesem süßen Bohnenmus.“ „Ah! So ein Teil wie man die aus sämtlichen Anime kennt? Cool, so was wollte ich schon immer mal probieren!“, freute sich ihre ausgehungerte Begleiterin und machte keine Anstallten ihren schimpfenden Magen noch länger hinzuhalten. Chrissie spähte abermals nach hinten, offensichtlich skeptischer als ihre Freundin. Die beiden Japaner waren wohl kaum älter als sie selbst, allerdings gefiel ihr deren schiefes, leicht flirtendes Grinsen überhaupt nicht. Soweit sie es beurteilen konnte, waren sie von dürrer, hoher Statur mit breiten Schultern, kantigen Gesichtszügen und kleinen, schmalen Augen, die von dunklen Schatten unterlaufen waren. Der leicht unheimliche Eindruck wurde von den Bartstoppeln nur noch unterstrichen, die ziemlich ungepflegt auf ihren Unterkiefern sprossen. „Ich sag dir was Nina, sobald wir hier raus sind schnappen wir uns unsere Plünnen und machen uns aus dem Staub. Die beiden Kerle sind mir nicht ganz geheuer.“ Nina nickte unauffällig und schluckte genüsslich den ersten Bissen hinunter. Seufzend schaute die Kleinere noch mal nach hinten, die zwei Typen winkten ihr mit einem weiteren Anman zu, doch sie schüttelte höflich lächelnd den Kopf und lies sich dann in ihren Sitz sinken in der Hoffnung, dass ihr rotblonder Schopf vielleicht hinter der Lehne nicht mehr zu sehen wäre. „Was knurrt dein Magen auch so laut, dass man es bis da hinten hören kann…“, nuschelte sie ganz leise für sich, sodass Nina sie nicht über das leise Brummen des Busses hinweg hören konnte. „Isch bin ja mal auf unscher Hotel geschpannt.“, gab diese glücklich mampfend von sich. „Hm…“, war alles, was Chrissie dazu auf Anhieb einfiel. Plötzlich sog sie lautstark scharf die Luft ein und biss sich auf die Unterlippe, ihre Augen waren schreckgeweitet. „Wasch isch losch?“, fragte Nina besorgt. Chrissie überlegte angestrengt, was sie ihr antworten sollte, dann hob sie die Digitalkamera hoch, die noch unbenutzt in ihrem Schoß lag. „Ach… ich hab jetzt nur verpasst Fotos von unserer Überfahrt zu machen.“, antwortete sie eilig und versuchte einen möglichst glaubhaften Gesichtsausdruck aufzusetzen. Nina schluckte, um ihren Mund frei zu haben. „Ach so, na ja, wir fahren ja noch mal hier rüber, wenn wir wieder heim fliegen.“, sie schüttelte sich bei dem Gedanken, „Dann hast du ja noch mal Gelegenheit ein paar Bilder zu machen.“ Chrissie nickte still und sah aus dem Fenster, ohne jedoch wirklich die Aussicht zu genießen. »Oh verdammt! Ich hab’s total verplant! Was mach ich denn jetzt? Wie soll ich ihr das sagen?!« Es war fast elf Uhr vormittags, als die beiden Mädchen aus dem Shuttle-Bus am Hauptbahnhof von Kyoto ausstiegen und dann etwas verloren mitten auf völlig unbekannter Flur standen. Wenigstens war ihr Gepäck von normaler Größe und nicht sonderlich schwer, da sie beide sich vorgenommen hatten ihre Schmutzwäsche in einem Waschshop reinigen zu lassen, anstatt den halben Kleiderschrank mit auf die Reise zu nehmen. Chrissie hatte es sogar noch etwas praktischer, sie hatte einen kleinen Koffer mit Rollen. So musste sie das Gewicht nicht, wie ihre Freundin, die ganze Zeit auf den Schultern tragen. Nina fächelte sich mit der rechten Hand etwas Luft zu, es war schwül und sehr warm. Am Himmel huschten einige dicke Quellwolken vorbei, die den Sonnenstrahlen nur wenig Gelegenheit gaben die Erde zu berühren. Chrissie versuchte sich in der Zwischenzeit an ihrem Reiseführer und dem Stadtplan, den sie sich ebenfalls bereits in Deutschland gekauft hatte. „Wie geht es dann ab hier weiter? Mit Taxi? Wo liegt denn unser Hotel ungefähr?“, fragte Nina neugierig und lugte ihrer rotblonden Reiseleiterin über die Schulter. Chrissie hüstelte künstlich, immerhin musste sie ihr da ja noch eine kleine unangenehme Tatsache offenbaren und es sah wohl so aus, als wäre der Zeitpunkt dafür nun gekommen. „Nina~?“, begann sie leise und voll beschämter Zurückhaltung. „Ja?“ „Hello girls!“, unterbrach sie unvermittelt eine schief klingende Männerstimme. Überrascht drehten sich die Mädchen um. Sie hielten perplex inne. Da waren die beiden Manjû-Typen aus dem Bus wieder. Sie hatten gar nicht bemerkt, dass diese ebenfalls an ihrer Station ausgestiegen waren. Das konnte aber auch daran gelegen haben, dass sie nicht wirklich um Blickkontakt mit ihnen bemüht waren und noch andere Leute ausgestiegen waren. Die Typen waren nur unbedeutend größer als sie selbst und entsprachen auch bei genauerer Betrachtung genau dem Gegenteil eines jeden Schönheitsideals. „Hello…“, krächzte Nina unsicher hervor. „Are you from america?“, fragte der größere Kerl von beiden, der etwas längere, von zu viel Gel strähnige, Haare hatte. Er schob sich mit seiner dunklen Sonnenbrille einige störende Strähnen aus der Stirn nach hinten. „No… from Germany.“, antwortete Chrissie zögernd. Die Kumpels warfen sich überraschte Blicke zu, doch dann grinsten sie sich mit einem eindeutigen Funkeln in den Augen an. Chrissie und Nina wären durchaus in der Lage gewesen sich auf Japanisch mit ihnen zu unterhalten, doch das behielten sie vorerst für sich. Vielleicht würden sie ja die Lust an der Kontaktaufnahme zu ihnen verlieren, wenn sie sich mit englischen Vokabeln und deren Aussprache rumschlagen mussten. „You seem a little lost, it’s ya first time here, right? Our car is parked nearby, my buddy and me could give ya a ride to your hotel.“ Die Aussprache war zwar lausig, aber das Angebot hatten sie trotzdem verstanden. Langsam fingen die jungen Ausländerinnen an zu schwitzen, was sollten sie in so einer Situation machen? Vorbeigehende Leute kümmerten sich gar nicht um sie, hilfesuchende Blicke würden also auch nichts nützten. „Nina, lass uns besser abhauen.“, flüsterte Chrissie nervös. „What’r ya saying?“, fragte der Kleinere skeptisch, der das Deutsch natürlich nicht verstanden hatte. „Nothing, she is a little bit shy and nervous, maybe-AUTSCH!“ Chrissie hatte Nina unauffällig in die Seite gekniffen und zog sie ein Stück weiter mit sich, außer Hörweite der beiden vermeintlich hilfsbereiten Japaner. „Was soll das?! Bist du noch ganz dicht?“, schimpfte sie leise. „Menno! Sei nicht immer so grob! Vielleicht sollten wir uns einfach mal ein Stück weit mitnehmen lassen.“, maulte die Gepeinigte. „Spinnst du?! Hast du nicht selber gesagt, dass dir die Beiden nicht geheuer sind?“ „Psst! Nicht so laut!“, ermahnte sie Nina. Sie sah sich kurz nach den beiden Männern um, die ihnen scheinheilig und in hoher Erwartung zulächelten. „Wir wimmeln sie in der Stadt einfach ab, wir könnten uns doch vorsätzlich an einer falschen Ecke absetzen lassen. Unsere Taschen nehmen wir mit nach vorne ins Auto und unter einem Vorwand stehlen wir uns dann davon. Vielleicht in einen öffentlichen Laden oder so, da kann doch eigentlich nichts passieren.“ Chrissie verschränkte die Arme und setzte ihren sturen Gesichtsausdruck auf. „Ich habe ein verdammt ungutes Gefühl dabei, so viel Leichtsinnigkeit hätte ich dir nie zugetraut!“ „Denkst du, mir geht es dabei ganz super? Aber wer weiß, vielleicht irren wir uns ja in denen und wenn wir damit das Geld für ein Taxi sparen können… Süße, wenn die uns an die Wäsche wollen, können die was erleben! Hast du dir diese Hämpflinge mal angesehen? Kaum größer als wir, dürr und nur minimale Ansätze von Muskulatur, die haben noch nie Bekanntschaft mit meinen tretkräftigen Waden geschlossen!“ Chrissies Mundwinkel zuckten verdächtig, ganz so als würde sie versuchen zu lächeln. „Na was soll’s… aber du übernimmst für alles die Verantwortung!“, gab sie sich zähneknirschend geschlagen. „Fein!“, freute sich Nina. Selbstbewusst schritten sie wieder zu ihren Fahrern in spe hinüber, die schon etwas ungeduldiger auf sie warteten. Der eine mit der Sonnenbrille fing Ninas Blick fest ein. „Well? Have ya decided?“ „Yes, we would like a ride.“, sagte Nina leichthin. Chrissie schüttelte im Geheimen schmunzelnd den Kopf. „Du und Englisch.“, ließ sie mit spielerischem Unterton verlauten. „Also bisher hat es doch ganz gut funktioniert, oder siehst du das anders?“ „Wart’s ab, spätestens wenn sich die Konversation zuspitzt hinkst du wieder hinterher.“ „Genau dafür hab ich ja dich, mein kleines Englisch-Ass und außerdem müssen die ja nicht unbedingt wissen, dass wir theoretisch auch Japanisch mit ihnen reden könnten. Wer nicht fragt stirbt dumm.“ „Darauf kommen wir später noch mal zurück.“, entgegnete Chrissie zwinkernd. Derweil hatte man sie zum Auto geleitet, es war ein einfaches, kleines Vehikel in Rot das wahrscheinlich gerade so erschwinglich war. Neu und schick war es jedenfalls nicht. Höflich baten die Freundinnen darum ihr Gepäck auf ihrem Schoß behalten zu können, auch wenn in dem angebotenen Kofferraum noch so viel Platz war. Anscheinend konnten die beiden Vertreter des männlichen Geschlechts ihrem Augengeklimper nichts entgegen setzen, was nur zu ihrem Vorteil sein konnte. Allerdings wurde es ihnen verwehrt, dass sie sich nebeneinander auf den Rücksitzen platzierten. So landete Nina vorne neben dem Sonnenbrillenträger und Chrissie hinter ihr neben dem kleineren Typen, der anscheinend einen gescheiterten Versuch hinter sich hatte, seine Haare zu blondieren. Um Platz zu sparen verstauten beide ihre Handtaschen in ihrem Reisegepäck. „Chrissie, sagst du ihm, wo das Hotel ist?“ Die Rotblonde zuckte bei dieser Frage zusammen. „Well…“ Da heulte der Motor des Wagens bereits auf, machte einen Satz nach vorne und schon fuhren sie aus ihrer Nebenstraße auf die Hauptstraße. „No problem, we know which one.“, sagte der Fahrer ganz gelassen, der nur das Wort >Hotel< verstanden haben konnte und zwinkerte Nina übertrieben lasziv zu. Nachdem der Würgreiz bei ihr wieder nachgelassen hatte, warf sie einen verzweifelten Blick in den Seitenspiegel zu Chrissie nach hinten. Dieser schlug das Herz bis zum Hals. Die Tatsache, dass man anscheinend gerade über ihre Köpfe hinweg entscheiden hatte, welches Hotel das Beste für sie war, verstärkte ihre böse Ahnung, dass sie gerade dabei waren unfreiwillig abgeschleppt zu werden. »Na das fängt ja gut an!«, dachte Chrissie bei sich und ärgerte sich darüber, dass sie Nina nicht einfach schon im Bus reinen Wein über ihr Versagen bezüglich einer Hotelbuchung eingeschenkt hatte, vielleicht wären sie dann jetzt nicht in dieser Situation. Wie lange sie schon gefahren waren wussten sie nicht, ihnen kam es wie eine Ewigkeit vor, doch das konnte nicht der Wahrheit entsprechen, da Kyoto nicht so riesig war, dass man stundenlang nach einem Hotel suchen musste. Schweigend saßen sie da und brüteten darüber, wie sie sich am besten aus dieser prekären Situation befreien konnten. Nicht mal das Autoradio lief. Die beiden Mädchen hatten eine solche Angst, dass sie überhaupt keinen Blick für die Dinge hatten, die draußen vor ihren Augen vorüber zogen. Doch dann zündete sich der Fahrer eine Zigarette an und Nina musterte argwöhnisch den qualmenden Glimmstängel. „Ähm, excuse me, can I open the window, please? I can’t bear the smoke.” Der Kerl nickte nur, das Lächeln war längst aus den Gesichtern der beiden Kumpels gewichen. Nina zwinkerte Chrissie im Seitenspiegel beruhigend zu und öffnete das Fenster bis zum Anschlag. Erst jetzt sah sie wirklich ein wenig von dem, was draußen so geschah. Chrissie versuchte sich abzulenken indem sie sich ihr japanisches Miethandy ansah und ein paar Einstellungen vornahm. Es war ein schlichtes, silbernes Klapphandy. Nina ließ sich den Wind durch die Haare fahren und überlegte krampfhaft, wie es jetzt weitergehen könnte. Ihre Freundin verlor indes das Interesse an ihrem Handy und steckte es wieder weg. Missmutig sah sie ebenfalls aus dem Fenster. Beide sahen Werbeplakate mit vielen japanischen Gesichtern an den unterschiedlichsten Gebäuden prangend vorbeirauschen. Ein Größeres, welches sich gerade in ihr Sichtfeld schob, erregte ihre Aufmerksamkeit jedoch insbesondere. »Kommt mir bekannt vor…«, dachte Nina stirnrunzelnd bei sich. Schließlich wurden ihre Augen größer, als sie die Details im Vorbeifahren musterte. »Das… das ist doch…!« Chrissie trat ihr da bereits aufgeregt von hinten gegen ihren Sitz, sie hatte es also auch erkannt. „GACKTO!!!“, kreischte Nina aus heiterem Himmel. Ihr plötzliches Hochfahren und Geschrei brachte ihren Sitznachbarn und Fahrer vollkommen aus dem Konzept. Schlingernd raste er auf den Straßenrand zu, überfuhr die Bordsteinkante und bremste schließlich unsanft. Nina überlegte nicht lange und riss unter einem empörten Chor aus Autohupen die Beifahrertür auf, ihre Tasche fest an sich gedrückt, um anschließend dem Griff des Japaners auszuweichen und in ihre persönliche Freiheit zu springen. Es hatte manchmal auch Vorteile, wenn man nicht angeschnallt war. Chrissie hatte es ihr gleich getan und Nina reichte ihr nur schnell eine helfende Hand, somit war auch sie vorerst entkommen. Da hingen die beiden Männer nun, mit Zornesröte im Gesicht, hektisch fuchtelnd in ihren Gurten und fluchten vor sich hin. Die beiden Freundinnen ließen sich einen Augenblick lang dazu hinreißen die Zwei süffisant zu belächeln. „Bye, bye!“, sagten sie im Duett. Den Kerlen schien ihr Verhalten allerdings gar nicht zu gefallen, ihre Mienen verfinsterten sich und sie machten Anstalten, sich von ihren Gurten zu befreien. „Schnell!“, trieb Chrissie Nina an und zerrte sie hinter sich her. So schnell sie konnten flüchteten sie samt ihrem Gepäck durch die sich füllenden Bürgersteige und Straßen. Immer wenn sich dachten, sie wären endlich in Sicherheit, tauchten ihre Verfolger hinter irgendeiner Ecke wieder auf. „Verdammt! Wenn wir doch nur unsere Taschen nicht hätten!“, fluchte Nina ganz außer Atem. „Spar dir die Luft! Da! Schnell zur U-Bahnstation!!!“ Der Anblick der vielen Stufen und Hindernisse, die sich vor ihnen auftaten, war grausig. Da sollten sie ohne weitere Probleme und ohne Fahrschein hineinkommen? Beide übersprangen in ihrer Not mehrere Stufen, hetzten an anderen Passanten vorbei, von denen sie nicht wenige unbeabsichtigt anrempelten, entschuldigten sich permanent und steuerten zielstrebig das Gleis an. Die letzte Hürde stellten die Ticketschranken für sie da, die zur Vermeindung von Schwarzfahrern gebaut worden waren. Mit einem ungalanten Satz sprangen die verängstigten Mädchen jedoch über sie hinweg. Ihre unerlaubte Tat blieb zu ihrem Glück ungeahndet, wenngleich sie begleitet von viel Geschimpfe und bösen Blicken weiter rannten. Eine U-Bahn fuhr wie zu ihrer Rettung ein, sofort drängten sie beide in den Menschenstrom und setzten alles daran, noch hinein zu kommen. „Sie sind hinter uns!“, rief Nina Chrissie schrill zu, die die beiden Japaner hinter sich ausmachen konnte. Mit einem lauten Quietschen schlossen sich endlich die Türen der überfüllten Bahn und ihre Verfolger kamen schnaubend mit einer Vollbremsung zum Stehen. An dieser Stelle trauten sie sich nicht noch mehr Aufsehen zu erregen, als sie sowieso schon mit ihrer Hetzjagd getan hatten. „Wir… wir haben’s geschafft!!!“, jubelte die Jüngere mit Tränen in den Augen. „Kuso! Mann haben wir ein Glück!“, fügte sie noch hinzu und umarmte ihre kleinere Freundin, die nicht weniger erleichtert war. „Tut mir leid, ich wollte uns nicht in solche Schwierigkeiten bringen.“ Erleichtert fiel sie Chrissie um den Hals und drückte sie fest. „Ok, ok! Wir leben noch, sehen wir lieber zu, dass wir an der nächsten Haltestelle wieder rauskommen, immerhin fahren wir gerade schwarz und ich denke, wir haben uns für’s Erste genug von unserer schlechtesten Seite in Japan gezeigt.“ Nina nickte und versuchte sich wieder zu beruhigen, so etwas war ihnen noch nie passiert und es war zu hoffen, dass es das erste und einzige Mal blieb. „Mir ist schlecht…“, beklagte sich Chrissie, als sie wieder ausgestiegen waren und sich erstmal umsahen, wo sie gelandet waren. „Glaub ich dir, das war vielleicht ein Schock! Wie spät haben wir es denn jetzt?“ Chrissie lächelte sie matt an. Es war Zeit sich abzulenken. „Wir sind jetzt hier in Japan, wie sagt man das hier?“ Nina lächelte zurück. „Ano~… Ima nanji desu ka?“ Chrissie begann zurückhaltend zu lachen, Nina hatte das mit einem herrlichen Gesichtsausdruck à la schüchterndes Schulmädchen gefragt. Sie selbst setzte jetzt ebenfalls ins Gelächter mit ein. Dann wühlte sie aus ihrem Koffer wieder ihre Handtasche hervor und aus dieser dann den Reiseführer und den Stadtplan. Sie glich den Namen der U-Bahn Station mit denen im Heft ab. „Das gibt’s ja nicht! Glück muss man haben!“, freute sie sich plötzlich und kontrollierte gleich noch ein zweites Mal, ob sie sich nicht verlesen hatte. „Weihst du mich auch ein? Was ist denn los?“ „Na wir stehen hier an der Station Kuramaguchi der Karasuma-Linie. Das ist nur zwei Stationen von Kitayama entfernt.“ Nina seufzte, ihre Freundin sollte doch wohl wissen, dass diese Info für sie nicht unbedingt sehr aufschlussreich war. „Ja, wart’s ab, ich erklär es ja schon. Die Kitayama-Station ist in unmittelbarer Nähe von der Kyoto Konzerthalle! Dort, wo das Gackt-Konzert stattfindet!“ Da klappte Nina glatt die Kinnlade herunter. „Ich hab ja auch eben das Plakat mit ihm gesehen…“ „Genau, das war in der Nähe vom alten Kaiserpalast… schade, an dem sind wir jetzt einfach vorbei gerannt. Na ja, ich wollte eigentlich darauf hinaus, dass wenn wir jetzt eh schon hier sind, doch eigentlich dort vor Ort gleich unsere hinterlegten Karten abholen können und dann schauen wir einfach mal weiter. Was meinst du?“ „Wir könnten dann ja auch gleich noch was essen gehen, ich verhungere…“ Bestätigend knurrte ihr Magen schon zum 2. Mal an diesem Tag die nähere Umgebung zusammen, Chrissie grinste breit. „Nein, ich sag jetzt nichts dazu… Lass uns jetzt Fahrscheine kaufen gehen.“ Die Kitayama-Station lag direkt an einer Kreuzung mit der gleichnamigen Hauptstraße. Auf der westlichen Seite konnten sie einen riesigen Park entdecken, der sich durch den Reiseführer als berühmter Botanischer Garten entpuppte. Ihr Plan forderte von ihnen jedoch vorerst dem südlichen Straßenverlauf zu folgen. Schon hinter dem ersten Gebäude lag auf der rechten Seite die unübersehbare Konzerthalle. „Wow, das nenne ich mal moderne Architektur.“, flüsterte Nina ehrfürchtig, während Chrissie schon wieder den Reiseführer zur Hand nahm. „Die Kyoto Concert Hall wurde vom berühmten Architekten Isozaki Arata entworfen und steht hier seit 1995. Sie besteht aus zwei Elementen, die miteinander verschmelzen. Dem runden, zylinderförmigen Teil hier links und dem großen Rechteck, das dahinter anschließt und sich nach rechts erstreckt.“ „Ja, ja du Schlaumeierin, jetzt pack das Ding weg und lass sie uns doch einfach mal bestaunen! Da rechts neben der runden Hauswand ist doch bestimmt der Eingang, oder???“ Ungeduldig warf Nina ihr glattes Haar nach hinten und rauschte davon, Chrissie hielt unaufgefordert Schritt. Die Fassade der Halle war aus grauen bis anthrazitfarbenen Platten, die bei Sonneneinstrahlung sogar matt glänzten. Die Terrasse um den Zylinder herum war entweder aus schwarzem, glitzerndem Granit oder etwas anderem, das sie nicht kannten. Auf jeden Fall war dieser Anblick ein WOW wert! Sie standen vor dem Eingang, der etwas zurückgesetzt hinter Säulen lag, und sahen hinauf zu den großen, quadratischen Fenstern, die vom Boden bis zur Decke der jeweiligen Etage reichen mussten. Doch überall waren Rollläden runter gelassen, egal wer oder was dahinter war, man konnte ihn garantiert nicht sehen. „Unfassbar… und da drin wird Gackt in ein paar Stunden ein Konzert geben…“, raunte Nina, die schon wieder auf ein paar kleinere Plakate glotzte, die als Aufsteller in der Nähe der Säulen standen. Chrissie nickte und suchte nach der Theaterkasse. „Komm, lass uns mal schauen, ob die Kasse schon offen hat und wir unsere Eintrittskarten abholen können. Falls es denn wirklich geklappt hat und wir tatsächlich zwei der glücklichen Zuschauer sein werden.“ Quiekend wie ein Welpe klammerte sich Nina an Chrissies linken Arm und schob sie vor in Richtung Kasse, sie selbst war in solchen Situationen nämlich unheimlich schüchtern, auch wenn man ihr das von außen nicht ansah. Keine viertel Stunde später standen sie wieder in der durchbrechenden Sonne, die die Wolken jetzt tatsächlich zu verdrängen schien. „Ich kann es noch gar nicht glauben…“, murmelte Nina als sie ihre eigene Karte in den Händen hielt. Wie gebannt starrte sie auf das kleine Stück Papier, welches sie nebenbei kurzer Hand etwa 8000 Yen gekostet hatte. „Ich brauche dringend Knuddeleinheiten und zwar auf der Stelle.“ „Ooh, du bist doch nicht etwa aufgeregt?“, zog sie Chrissie auf, während sie ihre Arme um die größere Freundin schlang und ihr beruhigend über den Rücken streichelte. „Überhaupt nicht, wie kommst du nur darauf?“, stammelte Nina ironisch klingend in ein Meer aus rotblonden Haaren hinein. „Ninchen, das wird so was von geil! Ich krieg die Krise!“, presste Chrissie quietschend zwischen ihren Zähnen hervor, während sie angestrengt versuchte keinen hysterischen Anfall vor lauter positiver Anspannung zu bekommen. „Hör bloß auf, ich könnte sterben bei dem Gedanken daran! Guck mal, meine Hände zittern voll! Ich brauch jetzt echt was zu essen, sonst klapp ich ab bevor ich bei seinem Anblick in Ohnmacht fallen kann.“ „Fresssack. Aber gut, es wäre gelogen wenn ich behaupten würde, ich hätte keinen Appetit und müde bin ich auch… setzen wir uns in ein kleines Restaurant oder so und dann verschnaufen wir endlich mal anständig.“, schlug Chrissie vor und gab dabei ihrem kleinen Koffer einen Stups mit der rechten Fußspitze. „Au ja, außer dem Flug haben wir ja heute auch schon absoluten Hochleistungsport hinter uns! Das wird ein langer Urlaubsbericht, allein der erste Tag… Ankunft, beinahe unfreiwillig abgeschleppt werden, Gackt Konzert… Himmel, mein Kopf.“ Chrissie schlug ihr mit der flachen Hand ins Kreuz. „Du hast ja deinen Laptop bei, oder? Dann musst du für deinen Roman wenigstens kein Papier verschwenden.“ Sich ächzend vom Schlag erholend setzte Nina zu einer Antwort an. „Ja, aber am besten schreibt es sich natürlich in Ruhe an einem Tisch im Hotel. Wollen wir nicht, ehe wir wieder zu 19 Uhr hier sein müssen, erstmal unser Gepäck loswerden? Dann könnten wir uns auch frisch machen und uns mal auf ein Bett hauen… es ist ja erst Mittag, wir haben ja noch über sechs Stunden Zeit.“ Chrissie versteinerte augenblicklich, was ihre Freundin zunächst nicht bemerkte, da sie schon wieder mit ihren Augen auf den Konzertplakaten mit Gackt hängen blieb und in stummes Schmachten geriet. Bevor die Pause zu lang wurde überwand sich die jetzt noch blassere Chrissie und begann ihre Zeigefinger gegeneinander zu tippen. Sie setzte eine möglichst Mitleid erregende Miene auf und klimperte unschuldig mit den Wimpern. „Du Nina~…“, säuselte sie unentschlossen. „Hm? Ja?“ Nina war noch etwas in ihrer Trance versunken. „Wegen dem Hotel…“, führte Chrissie ihren Satz fort. Verträumt schenkte ihr ihre größere Freundin schließlich ihre Aufmerksamkeit. „Tja, also…“ Chrissie schürzte ihre Lippen, Ninas Blick verfinsterte sich augenblicklich. „Was…?“, hinterfragte sie mit einer dunklen Vorahnung. „Es gibt keins.“ Mit erhobenen Händen und reumütig dreinblickend machte sie sich auf das wahrscheinlich folgende Donnerwetter gefasst. Momentan verfolgte sie jedoch noch das interessante und aufschlussreiche Spiel von Ninas Gesichtzügen. Wie sich ihre Augenbrauen langsam hoben, ihre Augen sich weiteten und hervortraten, ihr Unterkiefer sich langsam aber bestimmt verselbstständigte und wie ihr schließlich das Blut ins Gesicht schoss. „Das ist ein Scherz.“, sagte sie trocken und monoton. Die Blauäugige schluckte und traute sich kaum, ihren Kopf zu schütteln. „Ich wünschte, es wäre einer, aber…“ „WAS?! WAS SOLL DAS HEIßEN?!“, brüllte Nina schließlich los. Chrissie packte ihre aufgebrachte Freundin hektisch und zog sie so weit es ging vom Eingang und den wenigen anderen Leuten weg. „Reg dich ab.“, versuchte sie Nina mit ihrem liebsten Tonfall zu besänftigen. „ABREGEN?! ICH BIN GRAD BESTER LAUNE!“ „Ich merk’s schon…“, entgegnete Chrissie. Nina starrte sie verständnislos an, es verschlug ihr die Sprache, so aufgebracht war sie. Wild gestikulierend stampfte sie auf dem Bürgersteig unter ihren Füßen herum. „Oh, ich könnte dich…!“, fauchte sie bedrohlich und würgte mit ihren Händen eine unsichtbare Luftgestalt. „Sorry, ich habe es in der ganzen Aufregung einfach vergessen! Es tut mir leid, ganz ehrlich!“ Wild nach Luft schnappend versuchte sich die Jüngere zu beruhigen, sie grummelte einmal laut wie Marge Simpson und baute sich dann mit verschränkten Armen vor Chrissie auf. „Gut, dann sag mir, was wir jetzt machen werden. Du wolltest dich doch um die ganze Organisation kümmern weil der Gewinn auf deinen Namen lief, ich versteh gar nicht, wie man das vergessen kann…“ Chrissie holte schnell Luft um zu antworten, bevor Nina sich wieder in Rage reden konnte. „Du hast ja Recht, gerade mir, wo ich so eine Planungsfetischist bin, passiert so was, aber mir ist auch noch nie passiert, dass ich eine Japanreise gewinne, dorthin mit dir fliegen kann, dann fast in ein Love-¬Hotel verfrachtet werde und anschließend auf ein Gackt-Konzert gehe! Glaub mir, mir passiert momentan ziemlich viel, was sonst nie vorkommt!“ Ihre Argumentation hatte was und irgendwie musste Nina darüber schmunzeln. „Argh! Du machst es mir unmöglich böse auf dich zu sein!“ Sie drückte Chrissie fest an sich und schüttelte sie ein wenig dabei durch. „So, jetzt hol uns aber aus diesem Schlamassel raus!“ „Ich versuch’s. Hier stehen zwei, drei Hotels drinnen, die sicherlich im Preisrahmen liegen, sodass wir das über unseren Gewinn absetzen können. Die müssen wir nur per Telefon abarbeiten und dann haben wir am Ende hoffentlich ein Zimmer.“ „Hm, ok. Lass uns das so machen, aber bi~tte, ich muss erst was essen… du kannst ja auch von einem Restaurant aus überall mit dem Handy rumtelefonieren. Sie hielten sich nicht weiter unnötig auf und liefen erstmal eine Weile im näheren Umkreis der großen Kreuzung umher. Die Suche nach einer geeigneten Raststätte blieb allerdings auch nach einiger Zeit vorerst erfolglos, sodass es Chrissie irgendwann satt hatte. In dieser schwülen Hitze ziellos umherzuwandern und dabei einen Reisekoffer hinter sich herzuziehen, der ihren Arm vom Gefühl her derweil auch immer länger machte, war nicht das, was sie sich unter Urlaub vorgestellt hatte. „Weißt du was, wenn wir schon mal hier sind, dann können wir auch genauso gut in den Botanischen Garten gehen! Der ist bestimmt fantastisch und die werden da doch wohl eine Möglichkeit haben etwas zu essen und auch mal auf die Toilette zu gehen! Die hätte ich nämlich langsam mal nötig und Durst hab ich auch schon die ganze Zeit.“, meckerte sie erschöpft. „Ich auch, ich verkneif mit mein Gejammer nur schon die ganze Zeit, weil ich dich nicht nerven wollte…“ Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Obwohl Nina nur ein rotes Top mit zwei schwarzen, doppelten Spagettiträgern trug, einen kurzen, rot/schwarz/weiß karierten Faltenrock und eine schwarze Leggins, die nur knapp über das Knie reichte, schwitzte sie und bekam schwerer Luft als gewöhnlich. Es herrschte eben doch ein ganz anderes Klima als in daheim Deutschland. Chrissie lies sich weniger anmerken, wie sehr ihr die schwüle Wärme zu schaffen machte. Dabei trug sie eine langärmlige, wenn auch dünne Baumwollbluse mit raffinierten Rüschen an den Ärmeln und einem Gummizug in der Taille, der den Stoff dort ein bisschen raffte und deutlich machte, wie schlank sie war. Der unterste Knopf auf der Leiste war etwa in Bauchnabelhöhe, doch der leichte Stoff hing noch bis knapp über ihren Po hinunter. Dazu trug sie eine hellblaue, anliegende Dreiviertel-Jeans mit noch hellerer Waschung an den Oberschenkeln und weiße, schmale Turnschuhe. Nina trug zu ihren luftigen Klamotten schwarz/weiß karierte Halbschuhe mit Riemchen. „Na dann, wir stehen ja praktisch schon davor. Wenn wir jetzt noch schnell den Eingang von dem Garten finden, mach ich drei Kreuze.“ Sie fanden ihn und die Kasse schnell und ohne umständliche Sucherei. Zu ihrer Freude kostete sie der Eintritt jeweils nur schlappe 200 Yen, allerdings hatte der Park auch nur bis 16 Uhr geöffnet. „Und was machen wir dann in den restlichen drei Stunden, bis das Konzert anfängt?“, fragte Nina etwas enttäuscht darüber, dass sie die wunderschöne, exotische Flora um sie herum nur so kurz bewunden konnten. Chrissie zuckte unwissend mit den Schultern und zückte ihre Digitalkamera. Die fantastischen Szenerien um sie herum musste sie einfach festhalten! „Na ja, entweder wir bringen unsere Taschen in unser potentielles Hotel, oder wir harren vor der Halle aus. Ich hätte nichts dagegen relativ weit vorne zu stehen, wenn ich schon so viel Geld für eine Konzertkarte ausgebe.“, ergänzte sie und knipste munter drauf los. „Also ich bin ja schon überglücklich, dass ich ihn überhaupt zu sehen bekomme!“ „Du bist ja auch größer als ich! Erde an Nina, ich bin bei 1,60 m Körpergröße stecken geblieben!“ „Dein Zynismus ist herrlich.“, amüsierte sich die Größere. „Danke, aber es ist doch so… hast du dich mal umgesehen? Die Japanerinnen, die mir bislang über den Weg gelaufen sind, waren zwar alle nicht unheimlich groß, aber ich überrage sie auch nicht wirklich.“ „Ach, das wird schon werden. Du hast doch deine langen, spitzen Fingernägel und deine Ellenbogen. Wenn du die einsetzt kommen wir bestimmt nach vorne.“ Sie zwinkerte Chrissie aufmunternd zu, doch diese verzog nur ihren Mund. „Nee, lieber nicht… ich wollte eigentlich heute noch damit anfangen mich von einer möglichst anständigen und höflichen Seite zu zeigen. Ich glaube, wir haben so ziemlich jedes Anstandstabu gebrochen, das es hier in Japan so gibt. Es gehört sicherlich nicht zu Benimmregeln laut auf offener Straße rumzufreaken, rumzuschreien, sich von schrägen Typen anlabern zu lassen, durch eine Menschenmenge zu rennen, sämtliche Leute anzurempeln und dann auch noch schwarz zu fahren…“ „Jap, wir haben uns wirklich den ein oder anderen japanischen Fauxpas heute geleistet… ich fühl mich wie ein türkischer Prolet.“ „Wie ein was?“, wurde sie perplex hinterfragt. „Na wie ein Proll! So wie wenn wir in Berlin irgendwelchen Türken begegnen in Gangsterklamotten und mit ihrem typischen Gossen-Slang, die einen unbegründet schief anmachen und der Meinung sind, auf unsere Sitten und Regeln einen Dreck zu geben. Ich will jetzt nichts verallgemeinern, aber du weißt doch, was ich meine, oder?“ Chrissie blinzelte einige Male, bevor sie Ninas Metapher ganz begriffen hatte und darauf reagieren konnte. „Du willst also sagen, die Japaner halten uns jetzt für ignorante und überhebliche Touristen, die ihre schlechten deutschen Manieren direkt zum Ausführen mitgebracht haben?“ „Das wäre die verharmloste Variante, ja.“ Chrissies Backentaschen bliesen sich auf, dann prustete sie los und krümmte sich vor Lachen. Nina konnte nicht anders und machte mit. In jeder Atempause führte sie ermutigt ein Beispiel für ihr wahrhaft schlechtes Benehmen an. Sprüche mit aufgesetzt türkischem Dialekt wie >Ey Alta, isch weiß wo dein Haus wohnt!< oder >Ey, kommst du mir blöd, oda was? Isch mach disch Döna ey!< gepaart mit der passenden Mimik und Gestik, hinderten die Rotblonde daran sich zu beruhigen, aber ihre Freundin selbst erstickte ebenfalls an ihren Scherzen. „Hach ja… herrlich… jetzt ist aber gut. Komm, ich glaub, wir ziehen schon wieder alle Aufmerksamkeit auf uns.“, mahnte Chrissie und schob die noch immer nach Luft schnappende Nina weiter vor sich her. „Du hattest doch Hunger, schau mal, da vorne gibt es kleine Stände und – wenn ich mich nicht ganz verguckt habe – auch eine Besuchertoilette!“ Nina raffte noch mal ihre weiße Reisetasche unter ihrem Arm zusammen und marschierte los. Essen und ein Toilettengang waren augenblicklich die vorrangigsten Bedürfnisse, die es zu befriedigen gab. Witze reißen konnten sie auch später noch. Nach all der Aufregung und dem Stress zogen sie es vor, zuerst die Toiletten zu besuchen, wo sie sich gleich noch frisch machten. Mit wesentlich angenehmeren Körpergefühl und vor allem einer leeren Blase, wurde das Grummeln in ihren Mägen wieder vorherrschend. Es war gar nicht einfach für die beiden Freundinnen, sich zwischen den verschiedenen Ständen und den dort angebotenen Speisen zu entscheiden. Am liebsten wollten sie alles auf einmal, doch letzten Endes nahmen ihnen die herrlichen Gerüche und das Optische die Entscheidung ab. „Also ich möchte unbedingt welche von diesen Teigtaschen da haben, die in diesem Wasserbad schwimmen… wie heißen die doch gleich?“ „Das sind Chūkaman. Die mit der Schweinefleischfüllung nennt man speziell Nikuman.“, antwortete Chrissie gelassen. „Ja, genau die! Wa~h die sahen schon immer in Filmen so lecker aus… und ein paar Onigiri und ein kleines Sushi-Bento!“, schwärmte Nina hibbelig. „Wenn du ein großes Bento nimmst könnten wir es uns teilen, ich will nämlich dasselbe essen wie du, nur nicht so viel.“ „Hey, ich weiß, dass ich verfressen wirke… aber ich hab ein schwarzes Loch im Bauch und wenn ich das hier alles sehe, dann würde ich am liebsten den ganzen Stand auffuttern!“ „Gut, dass du das alles auf deutsch sagst, Bescheidenheit und Zurückhaltung gilt nämlich als A und O in dieser Gesellschaft.“ Das saß, sofort nach diesem Rüffel wurde Nina ganz still und vor Scharm rosa um die Nasenspitze. Ihre Freundin kicherte vergnügt. Nachdem sie bestellt und bezahlt hatten, war es an Chrissie, das Essen vorsichtig zu einem schattigen Plätzchen auf einer der vielen Rasenflächen zu transportieren. Nina hatte ihr dafür sämtliches Gepäck abgenommen. Unter einer wundvoll gewachsenen, hohen Weide fanden sie schließlich ihr Traumplätzchen und ließen sich erschöpft, aber voll freudiger Erwartung nieder. Sie wickelten die Reisbällchen aus, stellten die Sushi-Box in ihre Mitte und widmeten sich zuerst den noch warmen Nikuman, die ihnen bereits das Wasser im Munde zusammenlaufen ließen. „Oh mein Gott… ich bin im Himmel…“, raunte Nina mit tiefer, seufzender Stimme, als sie ihren ersten Bissen runtergeschluckt hatte. Chrissie genoss schweigend und mit geschlossenen Augen, ihr war gar nicht aufgefallen, wie sehr ihr Körper ausgehungert war und nach neuer Energie gierte. „Ich glaub, mein Körperrhythmus kommt jetzt völlig durcheinander. Ich hab zwar im Flugzeug immer wieder schlafen können, aber ich fühle mich jetzt trotzdem irgendwie erschlagen.“, sagte sie schließlich. „Ich weiß, was du meinst, mir geht es auch so. Was glaubst du wohl, warum ich solchen Hunger habe? Zuhause würden wir jetzt noch schlafen, wieso sonst sollten unsere Körper jetzt mit Appetit reagieren? Wir müssen unsere Speicher auffüllen, wenn wir eine Nacht durchmachen.“ „Und dann sollen wir nachher noch das Konzert durchstehen? Gott, ich bin jetzt schon platt…“, beklagte sich die Ältere und griff nach einer Flasche mit grünem Tee, die sie sich ebenfalls an einem der Stände gekauft hatten. „Glaub mir, wenn es erstmal soweit ist wird uns schon das Adrenalin auf Trab halten. Und wenn wir uns jetzt hier wirklich etwas Ruhe gönnen, dann wird das schon. Wir haben ja schließlich noch gut 13 Tage Zeit um uns von dieser turbulenten Ankunft zu erholen.“ Chrissie nickte und widmete sich genauso wie Nina wieder dem Essen. Der Botanische Garten war wirklich wunderschön, alles war so gepflegt und wie die Büsche und diverse Bäume zugeschnitten waren, war einfach nur himmlisch anzusehen. Ganz zu schweigen von der unzählbaren Blütenpracht, die sich einem bestimmten Konzept folgend um sie herum erstreckte. In der feuchtwarmen Luft schwang der liebliche Duft von Blumen mit, zusammen mit der harmonischen Atmosphäre hatte das eine wohltuende, beruhigende Wirkung auf sie beide. Vögel zwitscherten heiter in den Baumkronen und luden dazu ein einfach für eine Weile die Augen zu schließen und sich ganz in den erholsamen Schoß dieser faszinierenden Natur fallen zu lassen, um ein wenig zu träumen und sich auszuruhen. Als sie aufgegessen hatten legten sie sich tatsächlich Kopf an Kopf in das kühle Gras und blickten gen Himmel, wo das Licht der Sonne durch das Dickicht der Baumkrone blitzte. „Es ist herrlich hier, nicht wahr?“, durchbrach Chrissie verträumt die idyllische Ruhe, während sie mit einer Strähne ihrer rötlich goldenen Wellen spielte. „Ja, aber nicht nur der Park, auch alles drum herum. Gut, die Plattenbauten und die hektischen Straßen begeistern mich nun nicht wirklich, aber ich finde das alles unheimlich interessant. Vor allem wenn man bedenkt, wie viele kulturelle Plätze und Viertel es hier versteckt in Kyoto gibt.“ Nina richtete sich auf und blickte in die Ferne. „Und ich finde diese kleine, grüne Berglandschaft um die Stadt herum wunderschön. Ich hoffe, dass wir in unserem Urlaub wirklich noch viel von diesem Ort sehen werden!“ Das rief in Chrissies Geist wieder eine unschöne Tatsache ins Gedächtnis, aufgescheucht fuhr sie hoch und griff nach ihrer Handtasche, in der sie ihr Handy und den Reiseführer gesteckt hatte. „Wo du grad von Sightseeing sprichst… es wäre nicht schlecht, wenn wir auch gelegentlich dazwischen zum Essen und Schlafen ein Dach über dem Kopf hätten! Ich wollte doch ein paar Hotels anrufen!“, meckerte sie säuerlich über sich selbst und tippte die erste Nummer ein. Nina sah ihr zu, wie sie telefonisch die Hotels abarbeitete und nach einer Übernachtungsmöglichkeit fragte, doch die Ausbeute war karg. Entweder gab es kein passendes Zimmer für zwei Personen oder keine zwei Einzelzimmer. Wenn es was gab, dann war es zu überteuert oder erst wieder in ein paar Tagen frei. Die Begründung war jedes Mal ähnlich, Feste und Veranstaltungen in Tempeln und Schreinen und nicht zuletzt das eine gewisse Konzert, auf dem sie selbst auch bald sein würden. Das letzte Hotel auf der Liste lag in der Nähe vom alten Kaiserpalast, Nina zog schon ein langes Gesicht, doch ihre Miene hellte sich auf, als sie bemerkte, dass das Gespräch diesmal länger dauerte und Chrissie deutlich erfreuter sprach. „Und? Was hast du jetzt erreicht?“, wollte sie umgehend nach Gesprächsende von ihr wissen. „Na ja, theoretisch hätte dieses Hotel noch ein Doppelzimmer frei, allerdings wurde es zu heute reserviert. Wenn die Leute also im Laufe des Tages die Reservierung noch bestätigen, stehen wir auf der Straße und müssen uns etwas Neues überlegen. Wenn man im Hotel aber bis 20 Uhr nichts von denen hört, halten sie uns das Zimmer frei. Ich hab angegeben, dass wir nicht vor 23 Uhr da sein werden.“ „Hm… das ist weder Fisch noch Fleisch.“ „Ich weiß, aber damit müssen wir jetzt leben. Es ist besser als gar nichts.“ „Fuh~ na ich bin guter Hoffnung, das wird schon werden!“ „Dein Wort in Gottes Gehörgang, Nina.“ 16 Uhr kam schneller als den Beiden lieb war, dennoch machten sie sich zügig auf zur Konzerthalle. Inständig hofften sie, dass man an der Garderobe ihre Reisetaschen problemlos annehmen würde und die Taschenkontrolle beim Einlass nicht allzu lange den Verkehr aufhielt. Unter den Säulen vor der Theaterkasse hatten sich bereits einige Fans eingefunden und sich freundschaftlich in Grüppchen zusammengestellt oder auf dem Boden niedergelassen. Chrissie und Nina taten es ihnen gleich und wurden sofort mit prüfenden Blicken gemustert. „Ich glaub, du fällst mit deiner Haarfarbe ganz schön auf.“ „Was du nicht sagst…“, gab Chrissie zurück und fing ein paar schüchternde Blicke von diversen Japanern ein, die es tatsächlich für sehr exotisch zu halten schienen, wenn jemand mit roten Haaren unter ihnen war. Aber das Interesse beruhte auf Gegenseitigkeit und so wurde in friedlicher Eintracht geschaut, bestaunt und beobachtet. Die folgenden Stunden taten sich schwer zu vergehen, immer wenn den Freundinnen der Gesprächsstoff ausging, zeichnete Nina oder tüftelte in ihrem roten Schmierheft, dass sie sich ebenfalls aus Deutschland mitgebracht hatte, an einer Fanfiktion weiter. Chrissie vertrieb sich die Zeit entweder ebenfalls mit Schreiben oder spielte Golden Sun auf ihrem Game Boy Advance. Die Sonne strahlte selbst dafür, dass es schon später Nachmittag, bzw. früher Abend war, noch relativ intensiv auf die Erde nieder. Vor allem wenn man eine Weile ungerührt auf einer Stelle saß bemerkte jemand wie Nina, die keinen Schutz über ihren Schultern hatte, dass die Haut zu prickeln begann. „Ich hätte es wissen müssen, warum habe ich meine Sonnenbrille nicht aus der Tasche genommen? Kannst du mir das mal bitte erklären?“, jammerte Chrissie, deren blaue Augen sich an den Reflektionen des Sonnenlichts auf weißem Papier oder den Game Boy Display störten. „Keine Ahnung, aber du hast deinen Koffer doch hier bei dir stehen, such sie doch raus und sei lieber froh, dass du eine lange Bluse an hast, ein Sonnenbrand wäre, glaube ich, wesentlich unangenehmer für dich.“ Chrissie warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu, doch Nina war so in ihr Gekritzel vertieft, dass ihr das gar nicht auffiel. „Die Brille liegt aber irgendwo ganz tief unten vergraben und ich hab keine Lust den Koffer nicht wieder zuzubekommen, wenn ich erstmal drin rumgewühlt habe… Da drin hab ich auch noch Sonnencreme verstaut, pass lieber auf, dass du keinen Sonnenbrand bekommst, zumindest deine Schultern und Arme sind in akuter Gefahr.“ „Ach was, ich verbrenne nicht so schnell. Ich werde meistens erst ein wenig rot und dann schließlich braun. Ist zwar auch nicht unbedingt das, was ich so toll finde, aber was soll’s.“ Chrissie zuckte resignierend mit den Schultern und widmete sich wieder ihrem Spiel. Erst als nach einigen Stunden ihre Batterien den Geist aufgaben, schaute sie wieder auf und prüfte die Uhrzeit. „Nina! Es ist schon 18 Uhr 45! Und guck dich mal um, aus uns paar vereinzelten Fans hat sich eine ganze Armada gebildet!“ Die Dunkelhaarige hatte ihre Habseligkeiten schnell zusammengepackt. Beim Umsehen in der erstaunlich gesitteten und geordneten Schlange stellte sie hocherfreut fest, dass sie und Chrissie unter den ersten schätzungsweise 20 Leuten waren. Wie auf bestellung kam auch direkt Bewegung in die Wartenden und der Einlass begann. Jetzt packte sie beide der Nervenkitzel und sie sprangen von einem Bein auf das andere und unterdrückten Quietschlaute. Dem Duo blieb nicht verborgen, dass sie ohnehin bereits wieder schnell im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen. „So wie die gucken, komme ich mir fast wie ein Staatsfeind vor. Pass auf, die haben uns bestimmt sei heute Morgen auf dem Schirm, das sind alles Spitzel der Regierung, die schlecht erzogene Immigranten wie uns im Auge behalten.“, begann Nina sich zum Spaß eine Verschwörungstheorie zusammenzureimen. „Dich haben sie vielleicht auf dem Kieker, mich nicht, ich bin das arme Opfer, das von dir erst in diese ganzen Schlamassel reingezogen wurde!“, spielte Chrissie mit. „Ach komm, du wolltest es doch auch!“, konterte Nina und ließ dabei ihre Augenbrauen tanzen, was wohl zweideutig wirken sollte. „Das mit den beiden Heinis wollte ich ganz bestimmt nicht! Nein danke, ich bin gerne Jungfrau und will es auch noch eine Weile bleiben.“ Nina grinste und Chrissie grinste zurück, dann war es endlich so weit und sie kamen an die Taschenkontrolle, die wie erwartet etwas in Arbeit und Stress ausartete, doch schlussendlich wurden sie in die Halle hineingelassen. Ohne Rücksicht auf Verluste drängten die beiden Mädchen Händchen haltend nach vorn um möglichst schnell bei der Garderobe anzukommen. Alles was sie jetzt Zeit kostete, konnte sie um einen guten Stehplatz bringen! Nach kurzer Verwirrung an der Garderobe aufgrund ihres ungewöhnlichen Handgepäcks, waren sie ihre Lasten endlich los und konnten sich wieder unter die anderen Konzertbesucher mischen. Die Halle in die sie kamen war kleiner als erwartet, aber sehr edel. Es sah auf den ersten Blick mehr aus wie ein Theater, als eine Konzerthalle, mit seinen abschüssigen Sitzreihen, den Rängen an den Seiten und der Verkleidung aus Holz. Erleichternd war die Tatsache, dass es kein Gedrängel während der Konzertes geben konnte, denn es waren allesamt Sitzplätze. Das bedeutete, selbst wenn natürlich alle stehen würden, niemand konnte seinem Vordermann zu nahe treten. Und wo sie in Gedanken bei nah waren, nah dran waren sie auch, sehr nah sogar! Ungläubig sahen sie sich um, denn ihre Vordermänner waren zum Stehen gekommen und ließen sich auf ihre Plätze nieder, sodass auch sie beide jetzt am Ziel waren - und das mitten in der Mitte der ersten Reihe! Das war entweder ein Irrtum, ein fantastischer Traum oder ein Wunder! Aufgewühlt und mit zitternden Knien ließen sie sich vorerst auf den grauen Polstern nieder. Ein schwerer Vorhang hing in einigen Metern Entfernung über der mutmaßlichen Bühne, doch er musste erst nachträglich und extra für dieses Konzert angebracht worden sein, denn er passte nicht wirklich in das Raumbild. Der Verdacht erhärtete sich, als sie den Boden musterten. Dort mussten mal Sitzbänke gestanden haben die jetzt ausgebaut waren. Direkt vor ihnen war ein Absperrungszaun und es verliefen parallel dazu einige dicke Kabel an der Bühne entlang. Die Ränge nahe der Bühne waren für Zuschauer anscheinend geschlossen, dort standen Techniker neben großen, schwarzen Boxen, aus denen später dann Gackts Musik in mehrfacher Verstärkung erklingen würde. Es war erstaunlich, mit was für unwichtigen Details sie sich beschäftigten, wenn man bedachte, dass die Erfüllung eines weiteren, lang gehegten Wunschtraumes bevorstand. „Kneif mich mal Chrissie, ich krieg hier gleich einen mittelschweren Herzkasper!“, quietschte Nina mit zusammengepressten Zähnen und kämpfte mit hektischen Flecken, die sich auf ihren Händen und im Dekolleté breit machten. „Aua!“, beschwerte sie sich entrüstet. „Du hast mich aufgefordert.“, entgegnete Chrissie unschuldig feixend. Gepeinigt rieb sich Nina ihren linken Oberarm und sah sich in der raunenden und vorfreudigen Menge um sich herum um. Sie traf auf einige neidische Gesichter von diversen aufgetakelten Japanerinnen, die weiter hinter ihnen standen. Sie machten zwar die absolute Minderheit aus, dennoch konnte sie förmlich spüren, wie sich deren missgönnerische Blicke durch ihre Brust bohrten. Bei einem Seitenblick auf ihre kleine, auffällig rotblonde Begleiterin wusste sie, dass es ihr nicht anders erging. Solch extremen Fans gab es offensichtlich in jeder Nation. Die Halle füllte sich allmählich bis zum Letztmöglichen und das Volumen der vielen, aufgeregten Stimmen schwoll immer mehr an. Die Stunde von Beginn des Einlasses, bis zum angekündigten Konzertstart, war schneller vergangen, als sie erwartet hatten. Als das Licht plötzlich ausging und nur ein paar kleine Spots den Bühnenrand beleuchteten, haute es sie geradezu von ihren Plätzen! Das Licht hatte einem Chor aus gellenden Jauchzern, weiblichem Gekreische und Gejubel Platz gemacht. Namensrufe donnerten an ihren Ohren vorbei in Richtung Bühne. Mitgerissen von so viel Euphorie sprangen auch Chrissie und Nina von ihren Sitzen hoch und jubelten laut mit. Die Luft war heiß von der riesigen Spannung, die anfangs unkoordinierten Rufe der Fans formierten sich nach und nach und riefen alle zusammen im Einklang. „GACKT-SAN!!!“, erschall es wieder und wieder. Chrissie und Nina konnten nicht anders als mitzumachen. Hinter dem Vorhang setzten sich die Spots in Bewegung und Rauchschwaden wabberten unter ihm hervor. Applaus wurde kurz laut, dann wurde es wieder leiser um sie herum als erwartete man, das etwas geschah. Ein Schrei durchbrach die andächtige Stille mit einem Schlag, und alles schrie auf Anhieb zurück! Erneut forderte jene tief grollende Stimme nach mehr und die Fans antworteten ihr gebührend und noch lauter als zuvor. Dasselbe Spiel wiederholte sich noch einige Male, ungeduldig fieberten die Freundinnen seinem Erscheinen entgegen. Die Art wie er sein Publikum anheizte machte sie gewollt wahnsinnig! Abrupt setzte endlich erlösend die Musik ein, der Vorhang schwang mit Schwung auseinander und gab die Bühne samt seinen Künstlern mit ihren Instrumenten frei. Ein Schwall von unbändiger Begeisterung flutete die Halle und das Konzert begann. Es war unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen und sich von der Stimmung im Raum nicht mitreißen zu lassen. Da standen sie also; You, Chachamaru, Ju-Ken, Ryu… und an ihrer Spitze Gackt, wie er leibt und lebt! Gröhlend vor Begeisterung sprangen Chrissie und Nina auf der Stelle so hoch und wild sie konnten, setzten sofort in den Gesang ein und begleiteten so jedes Lied, dessen Text sie auch nur ansatzweise mächtig waren - was quasi alle gespielten Songs betraf. Nachdem etwa die Hälfte des Konzertes geschafft war – und Himmel! das Springen, Rufen und Singen kostete unheimlich viel Kraft – wurde Mirror gespielt. Mirror war seit der ersten Gackt-Tour immer der Song gewesen, in dem seither traditionell an ein und derselben Stelle mitten im Lied eine Pause kam, die nicht selten für Interaktionen mit den Fans genutzt wurde. Gackt zog wie üblich und wie von seinen Fans erhofft, an jener sagenumwobenen Stelle ein letztes Mal sein Plektrum über die Saiten seiner umgehängten E-Gitarre. Gleichzeitig verstummten auch die Instrumente der anderen vier Musiker. Vor allem die Frauen im Saal kreischten jetzt wie verrückt und die beiden Freundinnen spürten, wie es ihre Hintermänner nach vorne drängte obwohl eigentlich die Sitze sie davon abhalten sollten. Unbewusst lehnten sie sich vor gegen die Brüstung der Absperrung, die bereits vorsichtshalber von einigen, muskelbepackten Stuff Members gestützt wurde. Gebannt starrten alle die Hauptperson des Abends an, die schwer atmend, aber zufrieden lächelnd auf der Bühne stand und dem Publikum ein dankendes Zwinkern. In der Art wie er seine Augen über seine Fans wandern ließ, lag wie immer dieser Hauch Arroganz, der zu seinem unnahbaren Gehabe gehörte. Der coole, selbstbeherrschte Gackt Camui mit dem lasziven Blick, den kühlen, durch Kontaktlinsen eisblauen Augen und der immerzu kontrollierten Körperhaltung. Ein Perfektionist durch und durch! Nicht nur seine Show, nein auch er selbst war ein Teil von einem genau durchgeplanten Projekt und Chrissie und Nina wussten, das selbst seine Bewegungen immer durchdacht waren. Improvisationen waren eine Seltenheit, denn dann konnte es passieren, dass er auch mal ganz menschlich anfing ins Stottern zu geraten oder gar zu lachen. Aber egal ob cooler Typ, Softie oder wie auch immer er sich gerade gab bzw. gesehen werden wollte, er war einfach nur göttlich! Davon waren zumindest alle überzeugt, die diesen Abend live miterlebten. Da stand er also, trank ein paar Schlucke Wasser, spritzte den Rest davon in die kreischende Meute und warf die fast leeren Volvic-Fläschchen mit einer lässigen, aber kraftvollen Bewegung den Fans zum Fraß vor. Die beiden ausländischen Besucherinnen hatten von diesen Aktionen jedoch nur mäßig viel, denn alles was im Publikum landete, landete leider definitiv nicht aus Versehen in der ersten Reihe, aber das machte ihnen nichts. Auf ein Mal dann sprang Gackt plötzlich links von der Bühne und schritt an der Absperrung vorbei, die ihn nur knapp von den ausverkauften Reihen wilder Fans trennte. Er genoss es seine Anhänger damit zu quälen genau den Zentimeter zu weit weg von der Brüstung zu stehen, der es unmöglich machte ihn zu berühren. Mit rasendem Puls erwarteten auch Nina und Chrissie den Moment, in dem er an ihnen vorbeilaufen würde, doch anstatt sich wie von Sinnen nach ihm auszustrecken standen sie einfach nur gebannt da und klammerten sich an der Absperrung fest. Gefühlte 100 Arme ragten plötzlich an und über ihnen vorbei und ganze Arien von gekreischten >Gackt-sans< klingelten ihnen in den ohnehin malträtierten Ohren. Gackt lächelte geschafft als er näher rückte, so wirklich schien er sich nicht auf seine Fans zu konzentrieren, auch wenn seine Blicke etwas anderes vorgaben. Er musste schon sehr erschöpft sein, was ihm bei dieser atemberaubenden Performance allerdings auch nicht zu verübeln war. Solange er jedoch lächelte, wussten alle seine Fans, dass auch er froh war in dieser Stunde hier zu sein und für sie zu singen. Er nannte seine Fans nicht umsonst liebevoll Dears. Mit einer Handbewegung fuhr er sich durch seine dunkelbraunen, wuscheligen Haare, sein Atem hallte rau in seinem Mikro wider, so dass Chrissie und Nina eine Gänsehaut über den Rücken lief. „Nina! Nina er kommt!“, rief Chrissie wachgerüttelt aus ihrer Trance ihrer Freundin so laut ins Ohr, wie sie nur konnte. Nina verstand sie akustisch zwar dennoch nicht, aber sie wusste trotzdem, was sie ihr mitteilen wollte. Sie nahmen sich über der Stange der Brüstung fest an die Hand und ließen einander nicht los. Die nächsten Sekunden spielten sich vor ihnen wie in Zeitlupe ab, sämtliche Geräusche blendeten sie einfach aus. In aufrechter Haltung und mit seinem perfekten Lächeln auf den sündhaft vollen Lippen, trat er schließlich vor sie. »Oh Gott, was macht er da? Er bleibt doch nicht etwa vor uns stehen?!« Doch, Ninas Gedanken trafen den Nagel auf den Kopf. Ohne große Vorwarnung wurden sie beide, sowie der Rest der ersten Reihe, nach vorne gegen die Absperrung gepresst. Über die Sitzlehnen hinaus hingen sich unzählige hysterische Fans nur um wenigstens das Gefühl zu haben, Gackt könnte sie beachten, ansehen oder gar berühren. Ungeachtet der Tortur, der sie sich jetzt unterwerfen mussten, genossen sie diesen Moment auf ihre ganz persönliche Weise. Sie sogen alles von seinem Anblick auf, was sich ihre überlasteten Gehirne jetzt nur irgendwie merken konnten. Er war wirklich relativ groß für einen Japaner, sehr schlank, aber außerordentlich athletisch, wie seine figurbetonte Kleidung verriet. Er hatte ein weich geschnittenes Gesicht mit markanten Zügen, einer typisch asiatischen Nase und zwei ausdrucksstarken Augen, die er in der Öffentlichkeit nie ohne andersfarbige Kontaktlinsen zeigte. Feine Strähnen seiner akribisch gestylten Haare hingen ihm verwegen ins Gesicht. Schweiß glänzte auf seiner Stirn und im Ausschnitt seines Oberteils. Seine ganze Ausstrahlung hatte etwas Mysteriöses, das ihn wiederum unheimlich sexy machte. Er wusste sich zu verkaufen und den Klang seiner tiefen, melodischen Stimme mit seiner Mimik und Gestik perfekt zu kombinieren. Während sie sich dem stummen Schwärmen hingaben und wieder in ihrem tranceähnlichen Zustand verweilten ohne auch nur zu versuchen, sich der aufgepeitschten Meute anzuschließen, blieb Gackts durchdringender, aber freundlicher und interessierter Blick plötzlich für eine Sekunde lang auf ihnen beiden ruhen. Ihre Herzen setzten einen Schlag lang aus, dann zwinkerte er kurz, doch der Augenblick war zu schnell vorüber. Sie konnten sich nicht wirklich sicher sein, dass das eben ihnen gegolten hatte oder ob es ihrer Fantasie entsprungen war. Er richtete ein paar Dankesworte an die Leute, die extra für ihn und Gackt-Job gekommen waren und dann forderte er seine Fans auf zu brüllen, dass sie mehr von ihnen hören wollten. Chrissie und Nina handelten wie von selbst und beantworteten gemeinsam mit dem Rest der Halle einstimmig seine Frage. Neu aufgeheizt wollte keiner mehr länger warten, so erhob sich seine Stimme und augenblicklich fuhr Mirror an der Stelle fort, wo es unterbrochen wurde. Ein letztes Mal musterte er mit einem schnellen Blick seine Fans, bevor er beschwingt von seiner eigenen Musik weiter nach rechts lief und sich schließlich wieder auf die Bühne helfen ließ. Der Rest des Konzertes entschädigte sie für ihre erlittene Atemnot, die Quetschungen, den unbändigen Durst und das Brennen im Hals vom vielen Zurufen, mehr als genug. Mit gemischten Gefühlen sahen sie Gackt und den anderen Members nach, als er nach seinem letzten Song in Begleitung einer instrumentalen, theatralisch angehauchten Melodie von der Bühne verschwand. Seine Performance hatte sich in ihre Köpfe eingebrannt, seine Stimme klang noch in ihren Ohren nach und noch immer durchströmte sie diese wahnsinnige Energie, die er ihnen vermittelt hatte. Sie bemerkten kaum wie sich die Reihen nach und nach leerten, so lange wie nur irgendwie möglich wollten sie an diesem denkwürdigen Ort verweilen und die frischen Eindrücke so lebendig wie möglich erhalten. Das Ende war so schnell gekommen, die Zeit war wie im Flug vergangen und Wehmut machte sich breit. Er war wieder weg und alles war wie ein Traum, den man sich wünschte noch ein zweites Mal träumen zu dürfen. Nina insbesondere stand da mit einem lachenden und einem weinenden Auge, Chrissie schmiegte sich an ihre Schulter. „Es… es war einfach genial… So fantastisch…“, murmelte die Dunkelhaarige ihr zu. „Unbeschreiblich…“, war Chrissies einziger Kommentar, den sie zu entgegnen hatte. Da fiel ihr Nina um den Hals und schniefte leise, Chrissie fragte nicht weiter nach und streichelte ihren Rücken. Zwar weinte ihre Freundin nicht wirklich, aber sie wusste, was sie mit ihrem Schniefen auszudrücken versuchte. Wem wäre denn in dieser Situation nicht zum Heulen? Gackt hatte sie mit seiner Musik durch ihre komplizierten Teenagerjahre geleitet und sich dadurch einen hohen, mentalen Stellenwert bei ihr erarbeitet. Er war Vorbild, Inspiration und Trost in schweren Zeiten gewesen oder hatte für gute Laune auch an Regentagen gesorgt. Jetzt war er einfach wieder verschwunden und zurück bleib nur die Erinnerung. Glück und Trauer konnten sehr dicht beieinander liegen... „Hey, you!“, schreckte sie plötzlich eine sehr tiefe, dumpfe Stimme aus dem Hintergrund auf. Überrascht ließen sie voneinander ab und drehten sich um. Da stand ein gewaltiger Afroamerikaner mit Glatze vor ihnen - schwarz gekleidet, mit Sonnenbrille und mindestens so groß wie ein Schrank. Ein zu groß geratener Will Smith der gerade aus Men in Black entsprungen war. Ihnen war gar nicht aufgefallen, dass sie inzwischen die Letzten in der Halle waren. Wie lange hatten sie denn hier schon gestanden? Fünf Minuten? Zehn Minuten, oder vielleicht sogar viel länger? Anscheinend lange genug, dass sich dieser Security bereits daran störte. „Why aren’t you out yet? You have to leave the hall, now!“, forderte er sie barsch auf, trat auf sie zu, legte seinen massigen Arm hinter sie beide und schob sie voran „O-Oh, sorry, we didn't notice...“, versuchte sich Nina stotternd zu rechtfertigen. „That doesn't concern me.“, gab er kühl zurück und schubste sie ziemlich unsanft die ersten Stufen hinauf. "Hey! Watch it!", beschwerte sie sich entrüstet. Chrissie stieß das grobe Verhalten des Sicherheitsmannes mächtig auf, es erschien ihr mehr als unnötig so mit Fans umzugehen, die für dieses Konzert immerhin eine ganze Menge Geld bezahlt hatten! Und ihre schöne Stimmung war damit nun auch ruiniert. Bockig wand sie sich aus der Armlänge des Amerikaners um nicht genau wie Nina unbeholfen über die Stufen zu stolpern. Diese zog sie kurzum beschützend zu sich heran. „You don’t treat a lady this way!“, motzte sie den Security angesäuert an und warf mit einem gewollt abschätzigen Schwung ihre schönen, achsellangen Wellen über ihre Schulter und drehte ihm den Rücken zu. Mehr als erschöpft saß er zusammengesunken auf einem Klappstuhl und ließ sich kühles Volvic-Wasser in den Rachen laufen. Ein Handtuch lag in seinem Nacken und hing über seine Schultern um den herabfließenden Schweiß aufzufangen. Hin und wieder tupfte er sich mit einem Ende das Gesicht ab oder rieb sich notbedürftig den bereits unbekleideten Oberkörper ab. Die kleinen Tröpfchen bildeten sich jedoch innerhalb kurzer Zeit wieder neu, er war einfach noch zu überhitzt. Der Stuff um ihn herum war eifrig mit Aufräumarbeiten beschäftigt und seine vier Freunde aus Gackt-Job tummelten sich in der Umkleide oder machten sich frisch. Er selbst gab sich jetzt dieses bisschen Zeit um seine Kräfte wieder zu sammeln und auf die Füße zu kommen. Zufrieden ging er den Ablauf des Konzertes in seinem Kopf durch. Da hörte er die Stimmen, die aus der Richtung der Bühne hinter dem Vorhang aus der Halle ertönten. Eine von ihnen gehörte definitiv Mike, seinem persönlichen Bodyguard und Security, die anderen konnte er weder zuordnen, noch einschätzen von wie vielen Personen sie überhaupt stammten. Zuerst desinteressiert, erregte dann doch Mikes unüberhörbar unfreundlicher Tonfall seine Aufmerksamkeit. Gab es etwa ernsthaften Ärger vor der Bühne? Seufzend rappelte er sich auf und rubbelte nochmals seinen Nacken ab. Vorsichtig kehrte er auf die Bühne zurück und schob er mit einer Hand den Vorhang ein kleines, unauffälliges Stück beiseite um zu sehen, was den Tumult verursachte. Was er sah war in der Tat sein Personenschutz in Gesellschaft von zwei jungen Frauen, die dieser mit einer strikten Bestimmtheit die Treppe nach oben hin zum Ausgang trieb. Eine der Beiden glaubte er aufgrund ihrer ungewöhnlichen Haarfarbe zu erkennen. Stirnrunzelnd beschloss er deshalb, die Szenerie eine Weile zu beobachten. „Don’t forget who you’re talking with! I’m doing my job and you breach security!“, fuhr er die Rotblonde an und packte sie dabei unsanft am Handgelenk, damit sie ihn auch ansah, wenn er mit ihr sprach. Chrissie, die ja von Natur aus von zierlicher Statur war, verzog leicht schmerzverzerrt das Gesicht und in Nina kochte die Wut hoch. „Hands off! You’re hurting her“, fauchte sie ihn laut an und schlug seine Hand weg. Ein Fehler, wie sie sogleich zu spüren bekam. Erst als ihr Hintern unsanft auf einer der Stufen landete, realisierte sie, dass sie geschubst worden war. „Don’t touch me and go home finally!“, blaffte der Bodyguard mit drohend erhobenen Zeigefinger. Geschockt starrten die Freundinnen ihn an, damit hatten sie nun wirklich nicht gerechnet! Bei dem furchteinflößenden Typ wurde ihnen langsam angst und bange, doch ein wenig verzog der Übeltäter seinen Mund schuldbewusst, ihm war anscheinend klar, dass er soeben seine Kompetenzen überschritten hatte. „Mike, what’s the problem?“ STILLE Mit einer ruckartigen Bewegung fuhren alle Augenpaare in Richtung Bühne herum, diese Stimme war einfach unverkennbar! „Oh… mein… Gott…“, kroch es zäh aus Chrissies ausgetrockneter Kehle. Da kam er, der Mann, der noch vor einer halben Stunde hunderte von Menschen um den Versand gesungen hatte - unter anderem sie beide – wieder hinter dem Vorhang hervor auf die Bühne zurück. Nina konnte es gar nicht fassen, ihre Augen wuchsen auf Untertassengröße heran und ihre Kinnlade hatte sich zu ihr auf die Stufe gesellt. Gackt kam verschwitzt und mit unbekleidetem Oberkörper an den Rand der Bühne getreten, ein strenger Blick im Gesicht und die Arme in die Hüften gestemmt. „G-Gackt-sama…“, antwortete der monströse Ami überrascht und ließ sogleich von den Mädchen ab um in einer tiefen, typisch japanischen Verbeugung zu versinken. Der Sänger winkte den Schrank mit einer lässigen Handbewegung zu sich heran, dieser spurte ohne sich auch nur flüchtig nach den beiden Fans umzudrehen. Chrissie und Nina blieben zurück wie überfahren, stillschweigend und scheinbar eindeutig ihre Atmung vernachlässigend. Gackt hatte sich zu Mike hinuntergebeugt, der jetzt direkt vor ihm am Bühnenrand stand und zu allem brav nickte, was sein Vorgesetzter sagte. Ab und an deutete der Bodyguard mit einer Handbewegung auf die Freundinnen, dann war es an Gackt verstehend zu nicken oder auch mal den Kopf zu schütteln. Alles in einem war das Gespräch für die zwei gebannten Fans aber wenig aufschlussreich, denn nicht ein einziges Wort kam bei ihnen an und selbst wenn, in ihren Köpfen war alles irgendwie verschleiert. Der Nebel verzog sich allerdings schlagartig, als Gackt plötzlich seinen Standort verließ, nur um von der Bühne zu springen, die Absperrung zu umgehen und direkt auf sie zuzukommen. „Himmel Herrgott! Was macht er da?!“, hauchte Nina entsetzt ihrer stehenden Freundin zu. Unsicher warf Chrissie flüchtige Blicke nach rechts und links, doch außer ihnen war ganz sicher niemand mehr in der Halle, also kam er tatsächlich geradewegs zu ihnen herauf. Als er seinen gesenkten Blick hob, stellten sich ihre Nackenhaare auf. Wer mit solchen Augen voller Ausdruck gesegnet worden war, dem gehörten eisblaue Kontaktlinsen verboten! Zwei Stufen vor ihnen blieb er stehen, sodass er mit Chrissie auf Augenhöhe stand. Sein Gesichtsausdruck war etwas undefinierbar, einerseits schien er ihnen freundlich gesonnen, aber die unübersehbare Tatsache, dass er noch sehr mitgenommen war, ließ seine coole Fassade bröckeln. „Hello. I am very sorry for attitude off my bodyguard. I suppose it’s not his day.“, begann er schließlich zu sprechen. Falls er eine Antwort oder auch nur eine Regung in ihren Gesichtern erwartete, wartete er vergeblich. Sie waren so verdattert, dass sie nicht nur keinen einzigen Ton mehr heraus bekamen - geschweige denn auch nur eine Silbe irgendeiner fremden Sprache - sondern auch körperlich total erstarrt waren! Gackt fuhr sich mit der rechten Hand in den Nacken, ein Mundwinkel hob sich amüsiert, aber verständnisvoll. Sein Blick wanderte von Chrissie zu Nina, die immer noch auf der Treppe saß und ihn mit leicht geöffnetem Mund anstarrte. Freundlich lächelte er sie an und reichte ihr seine Hand um ihr aufzuhelfen. »Uaa~h! Ich sterbe! Das muss ein Traum sein, ich träume!!!«, jagte es ihr durch den Kopf. Ihr Herz sprang ihr fast aus der Brust und das Blut schoss ihr in die Wangen, äußerst verlegen und mit zitternder Hand ergriff sie das hilfsbereite Angebot ohne weiter darüber nachzudenken. Mit einem kraftvollen, aber behutsamen Ruck stand die hochrote Dunkelhaarige schließlich wieder auf ihren zugegeben sehr wackligen Beinen - direkt vor ihm! Vollends verlegen traute sie sich gar nicht ihm ins Gesicht zu sehen und huschte stattdessen die beiden Stufen bis zu Chrissie rasch rückwärts hinauf. „Arigatou…“, nuschelte sie und machte eine kurze, steife Verbeugung. „You don’t have to thank me.“, er wand sich wieder beiden zu, „It’s not right how he treated you. I hope you don’t hold it against me.“ Es dauerte einen Moment, bis die zwei Angesprochenen seine englische Aussprache enträtselt hatten und die Bedeutung seiner Worte in ihren Gehirnwindungen ankam. »DIR übel nehmen?!«, dachten beide synchron und setzten entrüstete Mienen auf. Chrissie war die Erste, die sich endlich wieder fing. Bevor sie alle sich weiter mit Englisch herumschlugen, beschloss sie endlich ihre Japanischkenntnisse auch anzuwenden. „Wir nehmen es Ihnen nicht übel, Sie können ja nichts dafür, wenn jemand anders aus Ihren Reihen versagt.“ Gackt war sichtlich erstaunt, überrascht hoben sich seine Augenbrauen und neugierige Blicke musterten die jungen Europäerinnen. „Du sprichst Japanisch?“, fragte er interessiert. „Wir beide.“, korrigierte Chrissie und deutete dabei auf ihre nebenstehende Freundin, die vor lauter Aufregung fast in Schnappatmung verfiel, als die Aufmerksamkeit wieder auf ihr lag. „Hey, lebst du noch?“, fragte die Blauäugige ihre nervöse Freundin schnell auf Deutsch und wedelte mit ihrer Hand vor deren Augen. Nina nickte knapp und versuchte innerlich zur Ruhe kommen, man musste ihr ja nun wirklich nicht länger als nötig ansehen, wie es grad in ihr drinnen aussah. Gackt lächelte kurz, dann räusperte er sich und setzte wieder die unnahbare, coole Fassade auf. „Darf ich fragen, woher ihr seid?“ Chrissie gab Nina einen leichten Anstoß mit ihrer rechten Schulter gegen deren Linke. Fürs Erste hatte sie wahrscheinlich genug gesagt. „Aus Deutschland, wir machen Urlaub hier.“, antwortete Nina so ruhig es ihr gerade möglich war und klang tatsächlich schon ein ganzes Stück selbstsicherer. „Aus Deutschland!“, wiederholte er überrascht und nahm ihre Erscheinung gleich noch einmal genauer ab, sodass sie sich fast ein wenig genierten. „Da habt ihr eine lange Reise hinter euch, wann seit ihr denn angekommen?“ Seine unerwartete Neugier schmeichelte ihnen, freimütig erzählte Nina weiter. „Heute Morgen gegen neun Uhr am Kansai-Airport.“ Diese Antwort brachte ihn erneut überrascht aus der Fassung. Er selbst wusste genau wie lange man mit dem Flugzeug unterwegs war, wenn man von Deutschland nach Japan flog. Danach war man ziemlich fertig und der Jetlag machte es nicht unbedingt leichter. Für ihn gehörte das zum Geschäft, für diese beiden jungen Frauen wahrscheinlich eher nicht. „Und dann kommt ihr noch hier her auf mein Konzert?“, fragte er erstaunt und mit anerkennender Betonung. Sie nickten glücklich, die Erinnerungen an die Stunden zuvor erweckten aufwirbelnde Gefühle in ihnen. „Es war eine fantastische Show!“, platzte es aus Nina heraus. Als er sie daraufhin prüfend ansah wurde sie sofort wieder verlegen, sie wollte keineswegs übertrieben nach Fangirl klingen oder eine Schleimspur um ihn legen. Es war einfach so aus ihr rausgerutscht. „Sie hat Recht, du und Gackt-Job, ihr habt einfach alle Register gezogen!“, bestärkte Chrissie ihre Freundin glaubwürdig. Die Lobeshymne rührte ihn, dankbar lächelte und nickte er ihnen zu und sah darüber hinweg, das er geduzt worden war. Ein warmer Ausdruck lag flüchtig in seinen Augen, dann schlug er sie nachdenklich nieder als würde er überlegen. „Wollt ihr als kleine Entschädigung und Souvenir vielleicht ein Autogramm? Ich müsste nur etwas Passendes besorgen und…“ „NEIN!“, unterbrachen sie ihn unisono. Gackt sah sie erschrocken an, denn sie hatten geklungen als würde er ihnen etwas Schlimmes anbieten. Das sie übertrieben hysterisch, bzw. besorgt geklungen hatten, war ihnen natürlich auch aufgefallen. Milde stimmend hoben sie die Hände und lächelten verschmitzt. „Entschuldigung, wir wollten nicht unhöflich sein. Es ist nur so, dass Sie Sich wegen uns keine Umstände machen müssen, wir brauchen keine Entschädigung!“, setzte Chrissie an. „Das stimmt, das Konzert an sich und jetzt auch noch die Tatsache, dass wir persönlich mit Ihnen reden konnten, ist uns jede Strapaze wert gewesen, die uns bis jetzt begegnet ist.“, vervollständigte Nina. Sie hätten auch noch hinzusetzen können, dass dieses Erlebnis auch noch für die kommenden Strapazen der nächsten zehn Jahre vorhalten würde, doch das wäre mit Sicherheit zu dick aufgetragen gewesen. So sehr sich der Sänger auch um seine gewohnte Fassung bemühte, es wollte ihm einfach nicht wirklich gelingen gleichmütig und gelassen in Mimik und Körpersprache zu bleiben. Wieder schmunzelte er und diesmal sogar eindeutig etwas verlegen, während er sich durch seine dunkelbraunen Haare fuhr. „Das freut und ehrt mich sehr. Nun gut, es ist schon spät. Es wäre besser ihr geht jetzt, ich wünsche euch noch einen schönen Urlaub hier bei uns in Japan.“ Er machte eine verabschiedende Geste mit seiner linken Hand, die fast aussah wie ein Winken. Dann wand er sich ab und lief zurück zur Bühne, wo er Mike die Anweisung gab seine beiden Fans angemessen nach draußen zu begleiten. „Chrissie, haben wir das jetzt alles geträumt?“, flüsterte die Größere leise, ihre Augen folgten ihrem Lieblingssänger noch bis hinter den Vorhang. Ebenfalls noch immer mit ihrem Blick auf der Stelle ruhend, wo Gackt soeben verschwunden war, schüttelte diese ihren Kopf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)