☾ Mikadzuki von Mimiteh ================================================================================ Kapitel 23: Treffen ------------------- Es war wieder dunkel geworden, auf den Ebenen, auf denen InuYasha und seine Gruppe lagerten, nur das Lagerfeuer warf dämmriges Licht in seine allernächste Umgebung und zauberte zuckende Schatten auf das schwarze Haar des menschgewordenen Halbdämons. Da plötzlich sprang Kirara, obwohl in kleiner Form, mit gesträubtem Fell auf, witterte deutlich und legte das Fell wieder an, ohne ihre angespannte Haltung aufzugeben. Es versetzte InuYasha einen Stich, als nun auch Shippô aufsprang, offenbar ebenfalls mitbekommen hatte, was sich näherte. Selbst Kyoko verengte die Augen, erhob sich langsamer und blickte in dieselbe Richtung. Fast automatisch wanderte InuYashas Hand an Tessaigas Griff, doch er hielt kurz vorher inne und ließ die Hand sinken. Brachte ja doch nichts. Er war ein Mensch und Tessaiga würde ein rostiges Schwert bleiben, ohne jegliche Möglichkeit, effektiv zu kämpfen. „Shippô, was ist denn los?“, fragte Kagome gerade und blickte den jungen Fuchs an. Dessen Stimme schwankte etwas, als wisse er nicht, was er davon halten sollte, was er witterte. War das gut oder schlecht? Diese Frage schien auch er sich zu stellen. „Wir kriegen Besuch… von…“ weiter kam er nicht, denn eine Gestalt lenkte die Aufmerksamkeit aller auf sich, die nun zu ihnen getreten war. Es dauerte einen Moment, bis InuYasha sie trotz menschlicher Augen erkannte, nun ebenfalls auf die Beine kam. „Sesshômaru! Was zur Hölle, willst du hier?“, knirschte er und spannte sich an. Der Hundedämon blieb stehen und ließ den Blick seiner leuchtend goldenen Augen schweifen. „Deine Miko“, gab er dann eisig von sich, als er Kagome ausgemacht hatte. „Spinnst du?“, fauchte der menschgewordene Halbdämon und trat einen Schritt vor. „Du hast gefragt, was ich will. Deine Miko“, konterte Sesshômaru kühl und funkelte nun seinen Halbbruder an. Der kniff die Augen zusammen. „Kagome gehört zu mir!“ „Wenn du sie mir nicht aushändigst, werde ich sie mir eben nehmen“, gab der Hundedämon bloß zurück und wollte sich schon in Bewegung setzen, da brannten bei InuYasha sämtliche Sicherungen durch. Was bildete sich dieser Blödkopf von Dämon eigentlich ein? Kurzerhand sprang er vor, zog im Laufen Tessaiga, ungeachtet dessen Verbleibens auf rostigem Niveau. Sesshômaru rührte keinen Muskel, als InuYasha plötzlich auf ihn zustürmte. Er hatte schon bei seiner Ankunft hier gemerkt, dass er sich doch nicht getäuscht hatte. Obwohl die Neumondnacht längst vorüber war, war der Kerl in Menschengestalt. Und so konnte der weder Tessaigas Macht nutzen, noch hatte er seine körperliche Schnelligkeit und Kraft zur Verfügung, mit der man sonst rechnen musste. Stoisch gelassen hob Sesshômaru den rechten Arm, fing den lächerlich schwachen Schlag mit der bloßen Hand ab und wand seinem Halbbruder Tessaiga aus der Hand, um es sofort fallen zu lassen, als dessen Schutzbann sich aktivierte. Die rostige Klinge blieb im Gras liegen. InuYasha war daneben zu Boden gegangen, aus dem Gleichgewicht gerissen vom Block des Schlages und offenbar etwas benommen. Jetzt rappelte er sich wieder auf, sichtbar fest entschlossen, sich erneut auf Sesshômaru zu stürzen, da trat der einen kleinen Schritt zurück. „Du solltest wissen, dass du als Mensch noch weniger Chancen gegen mich hast, als ohnehin schon!“, kommentierte er kühl und wandte sich ab. Er wusste, er musste Kagome nicht einmal holen kommen, sie war bereits herangestürzt, als InuYasha zu Boden gegangen war. „Komm mit!“, befahl er erneut. Die junge Miko sah ihn fast erschrocken an. Sesshômaru war beinahe amüsiert. Hatte sie etwa bisher geglaubt, er meinte sein Anliegen nicht ernst? „Was willst du von ihr?“, meldete sich da plötzlich InuYasha wieder zu Wort, der inzwischen wieder kniete. „Ich brauche sie“, konstatierte Sesshômaru nur und streckte die Hand aus, um nach dem Arm der Miko zu greifen und sie mit sich zu ziehen. „Wozu solltest du sie brauchen? Verdammt, Sesshômaru, sie gehört zu mir! Was willst du von ihr?“, setzte InuYasha nach und in seiner Stimme klang selten gehörte Verzweiflung. Das alles war selbst für den starrköpfigen Hanyô zu viel. Erst das Menschbleiben und jetzt noch das Gehabe seines Halbbruders. Sesshômaru war von InuYashas Verhalten gelinde gesagt überrascht, so überrascht, dass er tatsächlich inne hielt und den Arm sinken ließ. Damit, dass InuYasha auf ihn losgehen würde, hatte er ja bereits gerechnet, aber alles Weitere war wirklich etwas seltsam. Da hörte er, dass Natsu inzwischen zu ihm aufgeschlossen hatte. „Direkter ging es auch nicht mehr, Sesshômaru-sama. – Huch, ein Mensch?“ Allein schon dem Ton ihrer Stimme war ihre Überraschung anzumerken, aber er hatte nun wirklich keinen Nerv, ihr lang und breit zu erklären, wie es zu der gegenwärtigen Situation kam. „Still“, befahl er daher nur und ignorierte sie ansonsten. Dafür hatte nun aber Kagome mitbekommen, dass die neu Hinzugekommene zu ihm gehörte. „Oh… Ihr habt Begleitung?“, fragte sie sofort und ließ sich im Gegensatz zu wohl jeglichem anderen Wesen auf diesem Kontinent nicht von seinem eiskalt funkelnden Blick einschüchtern. Stattdessen versuchte sie in der Dunkelheit zu erkennen, wer da stand, aber vermutlich sahen ihre Menschenaugen Natsu kaum, war die doch schwarz gekleidet und hatte schwarze Haare. Innerlich verzog Sesshômaru das Gesicht. Bis sich diese Szenerie wieder auflösen würde, konnte es dauern, dabei hatte er eigentlich alles so schnell wie möglich abwickeln wollen. Seine Nerven! Aber es ging wohl nicht anders. „Natsu. Komm heran.“ Tadako und Nori wechselten einen betretenen Blick. Amayas Unsicherheit tat ihnen leid, aber es stand nicht in ihrer Macht, etwas daran zu verändern. Sie standen nun rechts und links neben der knienden Amaya im Zeremoniensaal und sahen so genau, dass deren Schultern etwas zitterten, als sie nach dem Zeremoniendolch griff und sich die linke Handfläche aufschlitzt um das Blut auf die Blüte tropfen zu lassen. Stück für Stück sog sich die weiße Blume mit dem roten Saft voll, bis sie schließlich selbst leuchtend rot war. Dem Protokoll entsprechend knieten die beiden sich nun auch hin, umfassten Amayas Hände und drückten sie auf die weiche Matte am Boden. Dann begannen sie mit Amaya im Wechsel die uralten Formeln des Schwurs zu sprechen. Die Zeremonie wurde von sämtlichen Neko-Schamanen beobachtete, die im großen Halbkreis drum herum standen und offenbar recht gemischte Gefühle bei der Sache hatten. Amaya war noch sehr jung, ein halbes Kind noch, ihr fehlte gut die halbe Ausbildung und auch die Abgeklärtheit und Erfahrung einer Yôkai, die schon einige Jahrzehnte als Schamanin gearbeitet hatte. Bis auf die beiden jüngsten Schüler in ihren Reihen, war ein jeder der Umstehenden deutlich älter als Amaya und machte sich so seine Gedanken. Aber es war Tamokos Wille und der Wille der Prophezeihung und außerdem waren da Tadako und Nori, die seit mehr als zwei Jahrhunderten Erfahrungen als Beraterinnen Tamokos hatten sammeln können. Die Tori-Yôkai mit der weißen Tigerzeichnung auf der Stirn und die dunkelhäutige Óyamaneko-Yôkai waren für ihre guten Ratschläge bekannt. Vorerst würde man wohl eher ihnen vertrauen müssen, als Amaya. Im Zentrum des Halbkreises waren die Stimmen der drei Dämoninnen nun angeschwollen, lauter und durchdringender geworden und woben die Magie in den Schwur ein, die die Fesseln, aber auch die Kräfte einer Schamanin bedeuteten. Von nun an würde sie weit mehr Macht haben, als bisher, denn die tatsächlichen Schamanenkräfte, für die sie zwar talentiert gewesen war, die sie aber vor der Zeremonie nie hätte abrufen können, erwachten erst jetzt. Und als die junge Löwendämonin unter den Händen der beiden Beraterinnen zusammensank, wussten alle, dass es gelungen war. Amaya würde bis zum Morgen schlafen und dann mit den Befugnissen einer Schamanin und obendrein noch der obersten Schamanin ausgestattet sein. Es war vollbracht. Auf seinen Befehl hin, war Natsu sofort näher getreten, hielt sich nun einen knappen Schritt hinter ihm. Aber überraschenderweise hielt sie den Mund, vermutlich war sie noch zu überrumpelt, von der Situation. „InuYasha. Deine Miko“, wiederholte er noch einmal unbeugsam und musterte den noch immer knienden, menschgewordenen Hanyô. „Sag mal, Sesshômaru, warum redest du eigentlich über mich, als wäre ich nicht da? Vielleicht kannst du mir auch direkt sagen, was du von mir willst!“, hörte er da Kagomes etwas fauchende Stimme, die die Arme in die Hüften gestemmt hatte und ihn von der Seite her ansah. Er senkte den Blick, sah die junge Frau an, die er bisher auch reichlich selten tatsächlich im Gewand einer Miko gesehen hatte. „Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig“, konstatierte er bloß und wollte schon wieder wegsehen, da konterte sie ebenso hartnäckig, wie er: „Du willst etwas von mir, nicht umgekehrt. Also habe ich auch ein Recht darauf, zu erfahren, was du willst!“ „Du solltest dir genau überlegen, ob du mich provozierst.“ „Ja ja, der große Sesshômaru“, ließ sich InuYasha vernehmen, der inzwischen wieder stand und Tessaiga weggesteckt hatte. „InuYasha, überlass das mir. – Ich weiß, ich weiß. Du bist ein starker Yôkai und ich bloß ein Mensch, du fängst meinen Seelenpfeil aus der Luft, der andere Dämonen einfach pulverisieren würde und außer InuYasha hat es noch niemand überlebt, sich dir ernsthaft entgegen gestellt zu haben. Aber dennoch würde ich gerne erfahren, was du von mir willst!“, übernahm Kagome wieder und Sesshômaru verdrehte innerlich die Augen, als er Natsu hinter sich doch tatsächlich leise lachen hörte. Er knurrte unterschwellig und sie verstummte sofort. „Gomen nasai, Sesshômaru-sama. Aber… darf ich ehrlich sein?“ „Nun?“ „Warum erklärt Ihr ihr nicht, was Ihr wollt? Früher oder später werdet Ihr das sowieso müssen. Oder glaubt Ihr, Kuraiko-donno würde es Ihr ohne Prüfung überlassen?“ Sie hatte Recht, das wusste er genau, aber es gefiel ihm nicht, dass sie ihn lächerlich machte, denn das tat sie, er merkte durchaus, wie Kagome sich nun knapp ein Lachen verkniff und dieser kleine Fuchs, der inzwischen hinterher gekommen war, einen Hustenanfall bekam. Dahinter erkannte er Kyoko. Offenbar hatten sie seine Hilfestellung dann doch noch ernst genommen. Aber das sollte jetzt nicht Sache sein. „Offenbar ist das notwendig“, erwiderte er bloß und trat einen Schritt beiseite. „Allerdings würde mich im Gegenzug interessieren, wie du Bastard es geschafft hast, Mensch zu bleiben. Meines Wissens war gestern Neumond und nicht heute“ Dabei stieß er InuYasha vorwärts, damit der nicht in seiner seltsamen Lethargie in seinem Weg herumstand. Weder der menschgewordene Hanyô, noch Kagome kamen allerdings zu einer Antwort, weil sich jemand einmischte, der der Diskussion bisher nur am Rande beigewohnt hatte. „Ich muss zugeben, dass das meine Schuld ist. – Ich Grüße Euch, Sesshômaru-sama.“ Der Inuyôkai wandte den Kopf etwas und aller Selbstbeherrschung zum Trotz weiteten sich selbst seine Augen kurz, als er erkannte, wen er da vor sich hatte. „Kirin“, konstatierte er jedoch nur. „Ihr wollt schuld daran sein?“ Das Einhorn nickte etwas. „Es war ein Unfall, dass meine Verteidigungsenergie ihn traf. Um ihn zu heilen, musste ich erneut reine Energie anwenden. Sein jetziger Zustand ist wohl der Preis dafür.“ Sesshômaru zog eine Augenbraue leicht hoch, zeigte aber nach außen hin keinesfalls, dass er doch leichtes Bedauern spürte. Er hatte seinen Halbbruder nie sonderlich leiden können und noch immer war da der Beigeschmack, dass InuYasha indirekt Schuld an Vaters Tod war und sich außerdem lieber von einer Miko an einen Baum hatte heften lassen, anstatt Vaters Ehre gegen die Katzen zu verteidigen, aber der Bastard hatte gezeigt, dass er Tessaigas würdig und damit Vaters Erbe würdig war. Das war nun wohl Vergangenheit. Sesshômaru wartete vergeblich darauf, dass die alte Verachtung wieder aufkochen würde, stattdessen tat InuYasha ihm beinahe leid. Nur das er das natürlich bei allen Göttern niemals zugegeben hätte! Ein gutes Stück entfernt, inmitten eines urwüchigen Waldes, war ein lautes Knarzen zu hören, als sich die Äste einer alten Magnolie fester um etwas wanden, dass in ihrem Geäst zu schweben schien. Jene weiße Kugel hüpfte hektisch weiße Flammen spuckend kreuz und quer durch den kleinen Raum, die der Astkäfig ihr ließ und schien sich nicht beruhigen zu wollen. Aus dem Nichts erklang ein angespanntes Seufzen. Bokuseno zeigte sein Gesicht nicht, aber schon an dem Ton ließ sich ablesen, dass das Onibi, dass er zu hüten hatte, schon wieder eigene Vorstellungen hatte. Innerlich fluchte der Baumgeist, als wieder ein Flämmchen durch seine Äste erwischte und fast automatisch einer dieser schwarzen Shinidamachu zur Stelle war. Diese Viecher hatten leider ein sehr gutes Gespür dafür, wo es etwas zu schnappen gab, das hatten auch ihre weißen Cousins, die immer genau wussten, wo Menschen starben und so es demnach Seelen zu holen gab. Nur das diese schwarzen Viecher leider keinerlei Berechtigung für ihr Handeln hatten. Und langsam wird das Onibi zu stark. Je verstreuter seine Teile sind, desto kraftvoller wird das Energienetz, dass es webt, desto widerspenstiger wird das Onibi und desto wilder die besessenen Oni… Myouga, hoffentlich weiß deine Kirara, was sie zu tun hat… es könnte sonst Schwierigkeiten geben, die vor ein paar Monaten noch keiner absehen konnte… Shiori war etwas erschrocken aufgesprungen, als sie sah, dass Kagome und die anderen Vorangegangenen den Besuch mitbrachten, auf den InuYasha eben noch losgegangen war. Aber seit dessen Name gefallen war, wusste sie, um wen es sich handelte. Sesshômaru war in Gesprächen öfter mal vorgekommen und daher wusste sie, dass er InuYashas Halbbruder war. Aber vielmehr auch nicht. Sie würde sich wohl ebenso überraschen lassen müssen, wie bei der Sache mit diesem Kôga. Während dem Tag, den sie da bei den Wölfen verbracht hatte, hatte sie ja gelernt, dass der erste Eindruck manchmal gut täuschen konnte, aber bei dem jetzigen Neuankömmling hatte sie das dumpfe Gefühl, dass der innen ebenso kühl war, wie er nach außen wirkte. Und dessen Begleiterin, die sich höflich hinter ihm hielt, war auch schwer einzuschätzen; offenbar ebenfalls dämonisch, hielt sie vermutlich aus Höflichkeitsgründen ihr Temperament zurück. Denn wer es wagte, über eine Situation, an der dieser eisig wirkende Dämon beteiligt war, zu lachen, der musste Mut und Temperament besitzen, dessen war Shiori sich sicher. Aus einem unbestimmten Impuls heraus, sah sie sich suchend nach Tián um. War der schon wieder verschwunden? Nein, er saß auf einem Stein, keine zwei Meter entfernt und blickte über die Ebene. Nun, sein gutes Recht. Er verstand ja vermutlich sowieso nicht so viel. Zwar versuchte sie ihm ab und an ein bisschen beizubringen, aber seit er in den letzten Tagen mehr oder weniger seine eigenen Wege ging, war das schwer geworden. Am Anfang hatte sie es ja noch darauf geschoben, dass er um seinen Mentor trauerte, aber so langsam stellte sie fest, dass ihre Gedanken in andere Richtungen gingen und sie die Ahnung bekam, etwas würde nicht mit ihm stimmen. Aber das war nun schon wieder ein gänzlich anderes Thema und vermutlich vollkommen an den Haaren herbeigezogen. Was sollte auch nicht mit ihm stimmen? Er war ein junger Dämon vom Festland, der aus irgendeinem Grund mit seinem Lehrer hierher nach Japan gekommen war und dabei irgendeiner Gefahr begegnet war, die ihn schließlich ins Meer stürzen ließ. Da hatte sie ihn dann herausgefischt. In ihrem Unterbewusstsein bohrte allerdings die Frage nach dem Grund und nach der Art der Gefahr. Ohne jegliche Informationen war es schwer, sich ein Bild über Tián zu machen, zumal sie ihn doch eigentlich mochte. Aber sie konnte ihn nicht einschätzen. Über diese Gedankengänge hatte sie nun das einigermaßen in Gang gekommene Gespräch halb verpasst und es dauerte einen Augenblick, bis sie sich einfand. Sesshômaru hatte sich nun tatsächlich herabgelassen, den Grund seines Kommens zu erläutern und sowohl Kagome, als auch InuYasha wirkten deutlich gesprächsbereiter, als zuvor. Der Hundedämon wusste durchaus, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich dem Frage-Antwort-Spiel zu stellen, das die restliche Gruppe inszenierte, er hatte es von Anfang an gewusst, aber wider besseren Wissens doch erst versucht, die direkte Methode zu wählen. Da war er gründlich auf die Nase gefallen – im übertragenen Sinne, versteht sich. „Kuraiko ist die Mutter der herrschenden Panthergeschwister – ihr kennt sie – und momentane Hüterin der Sekai no Tia“, erklärte er eben auf die Frage nach Kuraikos Identität und ignorierte geflissentlich, wie InuYasha bei Erwähnung der Panthergeschwister aufstöhnte. Ausnahmsweise konnte er dessen Intuition allerdings nachvollziehen, auch wenn er da eher an Tôran alleine dachte und InuYasha vermutlich an die vier im Verbund. Als keine weiteren Fragen kamen, erhob er sich allerdings, um sich einen Ruheplatz ein paar Meter entfernt zu suchen. Zwischen mehreren Menschen und Hanyô musste er dann doch nicht länger bleiben, als irgend nötig und auch die junge Fuchsprinzessin änderte daran nichts, auch wenn sie die einzige war, die ihn automatisch höfisch korrekt behandelte. Aber es war wohl nötig, dem menschlichen Teil der Gruppe seine Nachtruhe zu gönnen, wenn er auch nur irgendetwas erreichen wollte. Es wunderte ihn wenig, dass Natsu bei der Gruppe blieb, weil er sich denken konnte, dass sie im Moment einen Gutteil ihres Yôki zur Heilung in ihre Beine umleitete und daher dankbar für die Wärme des Lagerfeuers war. Sie hatte sowieso eine außerordentliche Tapferkeit bewiesen. Geborene Daiyôkai hin oder her, sie war eine Hime und schon von daher hätte er nicht erwartet, dass sie so klaglos hinnehmen würde, dass ihre Beine beinahe zerfetzt oder abgetrennt worden wären. Diese Haltung imponierte ihm, aber alle weiteren Gedanken, die ihm daraufhin durch den Kopf spukten, würgte er konsequent ab. Es führte zu nichts und quälte ihn bloß, wenn er jene zulassen würde. Ohne an Aufmerksamkeit einzubüßen, schloss er die Augen und ließ das nicht weit entfernt weitergeführte Gespräch an sich vorbeirauschen, ohne richtig hinzuhören. „Also will er jetzt deine Macht als Miko, wohlgemerkt als menschliche Miko, damit du das Artefakt hütest, das die Dämonen von den Menschen abschirmen soll. Verstehe ich das richtig?“, fragte Shiori gerade nach und blickte Kagome fragend an. Die nickte leicht. „So habe ich es zu mindestens verstanden. Auch wenn es etwas unlogisch klingt.“ „Keh! Und was bringt ihn auf die Meinung, du würdest dich dafür hergeben?“, mischte sich InuYasha, stur wie eh und je, ein. „Naja, vielleicht, dass ich die einzige Miko seit jeher bin, die einigermaßen mit dämonischem Leben sympathisiert ohne eine schwarze Miko zu sein und die das bisher überlebt hat“, wandte Kagome ein und lenkte damit Natsus Aufmerksamkeit auf sich. Die junge Löwendämonin hatte ein wenig die Stirn gerunzelt. „Du scheinst noch recht jung zu sein und sofern ich weiß, bedeutet das bei euch Menschen nur wenige Jahre und trotzdem sprichst du, als hättest du große Erfahrung“, bemerkte sie. Kagome lachte trocken auf. „Du wirst nicht glauben, wie viel ich schon erlebt habe, was andere in ihrem ganzen Leben nicht kennen lernen. Es war weiß Gott nicht immer schön. Nicht für mich und nicht für InuYasha, dem schon viele nach dem Leben getrachtet haben.“ Sie klang jetzt ungewohnt ernst. „Wenn ich das recht interpretiere, ist er doch ein Hanyô, oder?“, fragte Natsu nach und blickte dabei InuYasha an. Der knurrte leicht auf, auch wenn es weitaus weniger echt klang, als normal. Menschliches Knurren sozusagen. „War“, berichtigte er und in seiner Stimme schwang wieder Resignation mit. „Ist oder war, mir egal. Jedenfalls… ist es nicht normal, dass Mischwesen jeglicher Art gehasst sind?“ „Weil sie von einer Seite gefürchtet und von der anderen als minderwertig betrachtet werden oder ähnliches. Ja, leider ist es so. Aber ich fürchte, InuYasha hat das in noch viel stärkerer Ausprägung mitbekommen“, klinkte sich Shiori wieder in das Gespräch ein. Natsu wandte den Kopf. „Du bist auch eine Halbdämonin, das sehe ich. Dann sprichst du vermutlich ebenso aus Erfahrung.“ Das Mädchen nickte. „Ja, leider. Und mein Vater musste dafür sein Leben lassen. – Aber… InuYasha wurde, soweit hörte ich von den anderen, durch unglückliche Zufälle in Dinge verwickelt, die selbst jenseits dessen sind, was ein normaler Halbdämon erlebt.“ „Liegt vermutlich daran, dass ich schon weitaus länger auf dieser Erde wandle, als die meisten Halbdämonen“, brummte InuYasha, der jetzt zum ersten Mal seit langem wirklich aufsah. „Mein Vater… das heißt, meiner und Sesshômarus, starb am Tage meiner Geburt, meine Mutter elf Jahre später. Ich verlor meine erste Liebe durch denjenigen, der mir noch über fünfzig Jahre später nach dem Leben trachten sollte. Und dieser jemand hat mir leider Erlebnisse beschert, die wünsche ich teilweise nicht einmal meinem schlimmsten Feind. Außer vielleicht diesem Jemand selbst, aber der ist inzwischen glücklicherweise tot. Er war es nicht nur, der für den Tod meiner ersten Liebe verantwortlich ist, nein, er hat auch Kohaku umgebracht, nur um ihn dann als willenlose Marionette zu gebrauchen, er hat einen Pakt mit einer schwarzen Priesterin geschlossen um Kagome beinahe dazu zu bringen, mich auszulöschen, er hat noch so viele andere Leben zerstört und ich war eines seiner Lieblingsopfer. Ja, ich war gar der Grund, dass er entstand!“ InuYasha hatte voller Bitterkeit gesprochen, ungewohnt kühl und überlegt. Es schien, als wolle er alles, was ihn zusätzlich zu seiner momentanen Gestalt noch belastete, einfach hinausspeien und Natsus Frage kam ihm da gerade Recht. Die Löwendämonin hörte aufmerksam zu, immerhin erklärten sich aus den Worten dieses Beinahe-Hanyôs so einige Dinge, die sie sonst hätte fragen müssen. Und ihr eigentlicher Reisebegleiter hätte ihr sicherlich keine Antworten geboten. „Wie das?“, musste sie nun aber doch nachfragen. „Im Grunde war er ein Mensch. Ein Bandit mit verdorbenem Herzen, der schwer verletzt worden war. Er konnte sich nicht mehr bewegen, lebte aber noch. Damals, vor fast 55 Jahren pflegte Kikyô ihn. Trotz seines Zustandes verliebte er sich wohl irgendwann in sie, oder begehrte sie zumindest, keine Ahnung. Jedenfalls erfuhr er aber dann, dass sie bereits zu jemandem gehörte. Zu mir. Und, allein um Kikyô für sich zu kriegen, bot er seine Seele den Oni an. Aus dem Banditen Onigumo war der Halbdämon Naraku geworden. Er spielte Kikyô und mich so gegeneinander aus, dass ich schließlich gebannt an einen Baum geheftet war und fünfzig Jahre lang nicht an dem Leben auf dieser Welt teilnahm. Kikyô aber bezahlte sein Manöver mit dem Leben...“ InuYasha berichtete überraschend bereitwillig und so sachlich, dass Kagome sich langsam schon wieder Sorgen um ihn machte. Er hatte Recht behalten, wenn er so blieb, wäre er bald nicht mehr derselbe. Aber noch wollte sie die Hoffnung nicht aufgeben, dass er vielleicht doch noch wieder in seine wahre Gestalt zurückkehren konnte. Vielleicht brauchte sein Körper einfach Zeit, ehe das wieder gelang. Sie glaubte fest daran, aber sie hatte es nicht ausgesprochen, um in ihm keine falschen Hoffnungen zu wecken. Sie musterte InuYasha kurz, ließ den Blick dann aber weiter schweifen und verharrte bei Shippô, der sich nicht weit von ihr neben Kirara zusammengerollt hatte und ruhig schlief. Moment, ruhig? Nein, das stimmte nicht. Er hatte die Augen nicht ruhig geschlossen, sondern eher zugekniffen und auch seine kleinen Hände waren verkrampft. Obwohl er sich nicht bewegte, war zu erkennen, dass er sicherlich nichts Schönes träumte. „Das hat er öfter. Manchmal redet er dann von ‚den Brüdern‘. Auf der Reise haben wir kaum geschlafen, aber in der Schule hab ich das öfter beobachtet“, erklang da Kyokos leise Stimme und die junge Fuchsprinzessin sah aus ihren türkisgrünen Augen zu Kagome auf. Die Miko dachte einen Moment nach. „Brüder… oh, die Donnerbrüder. Die Mörder seines Vaters“, schob sie die Erklärung rasch hinterher. Shippô tat ihr Leid, aber sie wollte ihn auch nicht wecken. Dennoch, offenbar war er doch noch mehr Kind, als er zugeben wollte und seit wieder Füchse rund um ihn herum waren, war die Erinnerung an seinen Vater wohl wieder hoch gekommen. Eigentlich kein Wunder, dass er Albträume hatte. Da erhob sich plötzlich, aus heiterem Himmel, eine sanfte Melodie, die aus einzelnen, hohlen Lauten zusammenschmolz, weich und vollkommen. Kagome sah auf und erkannte, dass Natsu auf einmal etwas in den Händen hielt, dass sie ähnlich wie eine Flöte spielte, nur dass es keine Löcher besaß, stattdessen aus mehreren Röhrchen bestand. Kagome erkannte wohl eine Panflöte, wenn sie eine sah, aber hier, im mittelalterlichen Japan hätte sie nun wirklich kein Instrument dieser Art erwartet... Die Raubtieraugen der Dämonin lagen dabei auf dem jungen Fuchs, der sich tatsächlich langsam etwas entspannte, die Lider nicht mehr ganz so verkrampft zupresste. Kurz lächelte Natsu, ehe sie weiterspielte. Das hatte seinerzeit schon geholfen, wenn Amaya Albträume hatte, warum sollte es dann nicht auch den kleinen Kitsune etwas entspannen. Sie bemerkte kaum, dass inzwischen alle Blicke auf sie gerichtet waren und die ganze Gruppe andächtig zuhörte, wie sie spielte. Nicht einmal der etwas abseits sitzende, aber ebenso aufmerksame, Zuhörer geriet an ihr Bewusstsein, wie immer, wenn sie spielte, versank Natsu vollkommen in der Melodie, denn auch für sie bedeutete das deutliche Entspannung. Als sie ihr Instrument von den Lippen nahm, war die ganze Gruppe zur Ruhe gekommen, Shiori hatte sich zurückgelehnt, Shippô schlief ruhiger, Kyoko hatte sich neben ihm zusammengerollt, auch Kagome war eingeschlummert und selbst von InuYasha waren gleichmäßige Atemzüge zu hören. Ein kleines Lächeln zuckte über das Gesicht der Dämonin, als sie sah, was ihre Musik bewirkt hatte, ehe sie sich erhob und sich zu dem begab, der ganz sicher nicht schlief. Immerhin gehörte sie eigentlich zu seinem Gefolge. Sesshômaru öffnete daraufhin ganz kurz die Augen und musterte sie. Er hatte das Spiel wiedererkannt, es war ein anderes Lied, als sie bei ihrer ersten Rast gespielt hatte aber es passte perfekt und hatte obendrein offenbar seine Aufgabe erfüllt. Sie war schon ein ungewöhnliches Wesen. Er kannte den dämonischen Adel nun wirklich gut genug, aber eine solche Hime wie Natsu war ihm noch nicht untergekommen. Sie konnte kämpfen, trug ein beseeltes Schwert – sonst hätte es keinen Namen – und bewies dennoch ein sorgendes, weiches Herz, wie es an sich schon wenige Dämonen hatten. Er schon mal gar nicht. Sie war eindeutig etwas Besonderes. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)