☾ Mikadzuki von Mimiteh ================================================================================ Kapitel 37: Onibi ----------------- In diesen Sekunden nahm Kyoko alles wie in Zeitlupe wahr. Instinktiv war sie versucht um Hilfe zu rufen, wen auch immer, ihren Vater, ihre Brüder, einen Leibwächter, wen auch immer. Aber ihr Verstand wusste dennoch, dass keiner von denen sie hören konnte. Sie war vollkommen auf sich allein gestellt. Und das Onibi raste genau auf sie zu. Da das Onibi so nah mit dem Kitsune-bi der Fuchsdämonen verwandt war, lernten sie im Unterricht weit mehr über die als Artefakt des magischen Gleichgewichtes bekannte Kugel, aber das machte es jetzt im Moment nur noch schlimmer. Sie hatte panische Angst, alles in ihr schrie nach Flucht und doch gehorchten ihre Beine ihr nicht, vielleicht, weil sie wussten, dass ein Ausweichen nichts gebracht hätte. Das Onibi hatte sorgfältig gearbeitet, es griff nicht wahllos an, es wollte sie, sie ganz allein. Warum auch immer. Mühsam schluckte sie und starrte dem Dämonenfeuer entgegen. „Kyoko!“, hörte sie Shippôs panischen Schrei. „Kyoko…“, hörte sie Kagomes erschüttertes Hauchen, dann folgte der Aufprall. Die Fuchsprinzessin spürte keinen Schlag, im Gegenteil, das Dämonenfeuer war ganz weich und plötzlich vernebelten sich ihre Sinne und ihre Gliedmaßen waren wie Gummi. Ein Schleier hellweißen Lichtes lag über ihren Augen, ihr Atem ging schnell und dann tauchten Bilder vor ihr auf, sie sah ihren ältesten Bruder, blutüberströmt in einem Schlachtgetümmel stehen, schützend vor der schwerverletzten Gestalt ihrer Mutter, die wiederum Shin eng umklammert hielt, ihn mit ihrem Körper deckte. Ein gequälter Schrei wollte Kyoko entkommen, doch ihre Stimme war lautlos, sie war nur hilfloser Zuschauer des Gemetzels. Da legte sich auf einmal ein Schatten über die Szenerie, doch er hatte nichts Bedrohliches an sich. Im Gegenteil, er war tröstlich, ließ das blutige Bild vor ihr verschwimmen und farblos werden. Und plötzlich zweifelte Kyoko. War das echt, dieses Szenario? Irgendetwas stimmte doch da nicht, oder? Ihr Blick fiel auf die Waffe in Kanayes Hand und die Zweifel wichen Entsetzen. Ihre Augen weiteten sich und ihr Herz stockte. Vaters Schwert!, kreischten ihre Gedanken schreckerfüllt. Das konnte nur bedeuten, dass ihr Vater tot war. Das Schwert war das Zeichen der Fürstenwürde, niemand außer dem Fuchsherrn durfte es führen. Kyokos Welt wollte zusammenbrechen. Doch wieder drängte der tröstliche Schatten sich auf, ließ die Bilder weiter verschwimmen, nahm ihnen Farbe und Grausamkeit. Und plötzlich wurde ihr klar, was sie eigentlich störte: Wo auch immer diese Bilder spielten, das waren nicht die südlichen Ländereien. Und auf einem Kriegsschauplatz wäre ihre Mutter niemals zugegen. Das alles war nicht echt! - Und wenn doch? Nein! Krampfhaft klammerte Kyoko sich an ihre Überzeugung und je mehr sie das tat, desto mehr gewann der Schatten Oberhand über die grausamen Bilder, bis die schließlich gänzlich verschwanden und nur die schützende Dunkelheit zurückblieb. Da hörte Kyoko eine warme, unendlich sanfte Stimme und aus irgendeinem Grund wusste sie, dass dies kein Trug war, wie das Gemetzel zuvor: „Kyoko, meine Kleine, du bist etwas ganz Besonderes…“ Die Stimme ihrer Mutter! „Okaa-san…“, hauchte Kyoko, froh über die Beruhigung, die es in ihr hervorrief, diese Worte auszusprechen. Im gleichen Moment verschwand die Schwärze vor ihren Augen, sie konnte wieder sehen. Und was sie sah, ließ sie erneut zusammenschrecken. Ohne es zu merken, hatte sie die Hände erhoben, hielt sie mit den Handflächen einander zugewandt vor sich – und zwischen ihnen schwebte etwas, das Kyoko noch nie gesehen hatte. Es wirkte wie ein Feuerstein, aber die Kanten sahen alles andere als scharf aus, eher, als habe jemand die Flaumfedern eines Vogels darauf geklebt. Die Fuchsprinzessin kniff die Augen zusammen. Die Spitze des seltsamen Dings berührte das Onibi, das so knapp vor ihr schwebte, dass Kyoko nun alles klar wurde: Das Dämonenfeuer hatte ihr die schrecklichen Bilder vorgegaukelt, es allein war schuld gewesen. Und der komische Stein hier schien sie abgeschirmt zu haben. Nur… zu wem gehörte er? Sie versuchte die Hände zu senken, doch es gelang ihr nicht. Stattdessen machte sie, ohne dass sie es kontrollieren konnte, einen Schritt vor, streckte den seltsamen Stein gänzlich in die weiße Flamme des Onibi – und auf einmal schmiegte das Dämonenfeuer sich warm und friedlich in ihre Handflächen, ganz, als wäre es von ihr kontrolliertes Fuchsfeuer. Instinktiv krümmte Kyoko die Finger, umschloss die weiße Flammenkugel – und das Onibi duckte sich tatsächlich zusammen, ließ sich beherrschen. Erstaunen und Erleichterung mischten sich in Kyokos Blick, dann straffte sie die Schultern. Ihr Verstand kehrte zurück und ihr wurde klar, dass sie das Onibi vielleicht im Moment – warum auch immer – bezwingen konnte, aber auf Dauer sollte es wohl besser wieder dahin zurück, wo es die letzten Jahrhunderte sicher verpackt gewesen war. Auch wenn der Käfig gesplittert war und Bokusenô dieses Mal offenbar nicht stark genug gewesen war, das Onibi zu halten, etwas sagte ihr, dass dieses Versagen eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen war. Die Umstehenden beobachteten das Geschehen fast noch fassungsloser als die Fuchsprinzessin selbst. Keiner wusste so recht, was hier vor sich ging und keiner wagte einzugreifen. Sie sahen nur zu. Mit festen Schritten hielt Kyoko auf die Magnolie zu, streckte die Arme durch, als wollte sie das Onibi regelrecht anbieten. Und tatsächlich beugte sich ein kräftiger Ast zu ihr hinab, schlang die schlanke Spitze zweimal um das Onibi und nahm es an sich, um es blitzschnell in einen neuerlich gebildeten Astkäfig zu stecken. Gleichzeitig aber hielt ein kleinerer Zweig Kyokos Handgelenk zu umklammert, dass die ihre Hand nicht rühren konnte und der komische, schwarzglänzende Stein zwischen ihren Handflächen die raue Borke des Baumgeistes berührte. Erst als sich wieder ein fester Käfig um die Flammenkugel geschlossen hatte, löste sich der kleine Zweig und jetzt gelang es der Fuchsprinzessin auch, die Arme zu senken. Mit einer Hand hielt sie intuitiv den schwarzen Stein fest, ehe er zu Boden fallen konnte. Die Kanten fühlten sich tatsächlich so weich wie Federflaum an. „Wie heißt du, Kitsunemädchen?“, erklang da plötzlich Bokusenôs Stimme und Neugier blitzte unter dem deutlich erschöpften Tonfall hervor. Gleichzeitig trat das Gesicht des Baumgeistes wieder hervor. „Kyoko“, antwortete das silberhaarige Dämonenkind und beobachtete erstaunt, wie sich Bokusenôs Augen weiteten. „Kyoko…“, murmelte er vor sich hin. Die Fuchsprinzessin sah ihn mit leicht schief gelegtem Kopf an. Kannte er ihren Namen, weil sie Fürstentochter war? Aber Bokusenô hatte eine ganz andere Entdeckung gemacht. „Des Spiegels Illusion…“, fügte er hinzu und plötzlich mischte sich Myôgas Stimme ein: „… wird Hort der gefiederten Kralle sein! Bokusenô, du bist ein Genie!“ „Gar nichts bin ich, Myôga. Das ist absoluter Zufall – aber des Rätsels Lösung“, konterte der Baumgeist fassungslos und sah in die Runde. Auch Kirara starrte mit halb offenem Maul auf den unscheinbaren Steinkeil in Kyokos schmaler Hand, nicht weniger entgeistert als Kagome – und nach einem Moment auch InuYasha. Die junge Miko war es schließlich, die aussprach, was ihnen auf einmal klar geworden war: „Die Haru Tsume! Wir haben sie gefunden!“ ~*~ Wie soll ich bloß… wie nur…? Rastlos ließ Jaken seinen Blick über die Landschaft gleiten, die unter ihm dahinglitt. Seit Tagen war er nun unterwegs, dank AhUhn kam er schnell voran, aber die Hoffnung, wegen der er den Reitdrachen eigentlich mitgenommen hatte, hatte sich bisher nichts erfüllt. „Von wegen du findest den Herrn überall…“, murrte der Krötendämon und erntete ein unwilliges Schnaufen des zweiköpfigen Drachen. AhUhn schüttelte seine Hälse so heftig, dass Jaken beinahe von seinem Rücken gepurzelt wäre. „Uaah, AhUhn! Hey! Schon gut! – Lieber Drache, gaaanz lieber Drache…“ Endlich gab das Reittier wieder Ruhe und flog gesitteter weiter. Jaken atmete auf und fuhr damit fort, sich umzusehen. Er wusste nur zu gut, dass Masa ihn losgeschickt hatte, um ihm eine auszuwischen, sie wusste ganz genau, dass es dauern konnte, den Herrn zu finden, aber so langsam war der Kappa wirklich frustriert. Gab es denn wirklich keinerlei Anhaltspunkt? „Du zeigst mir aber, wenn du Sesshômaru-sama witterst, oder?“, wandte er sich wieder an den Drachen, was der mit einem heftigen Kopfnicken beantwortete. Da er das aber nur mit einem Kopf tat, wäre Jaken beinahe wieder unfreiwillig abgestiegen, aber er konnte sich gerade noch in die zottige Mähne des Reitdrachen krallen. Hoffentlich…, dachte er nur. ~*~ „Sesshoumaru-sama? Habt Ihr noch einen Moment?“, hielt Bokusenô den Inuyôkai zurück, als der schon gehen wollte. Die Haru Tsume war erst vor ein paar Minuten aufgetaucht, aber gerade eben hatte Sesshômaru das Treffen für beendet erklärt, weil nur noch Schweigen geherrscht hatte. Jetzt blieb er etwas unwillig stehen. „Geht…“, knurrte er den ebenfalls stehen gebliebenen Rest an und bis auf InuYasha – und Kagome – folgten alle seiner Aufforderung. Sesshômaru machte sich nicht die Mühe, sie nachdrücklicher wegzuscheuchen, stattdessen wandte er sich dem Baumgeist zu, dessen Züge noch immer erschöpft wirkten. Die Äste neben dem neuen Käfig des Onibi wirkten mit ihren abgesplitterten Enden fast wie ein Mahnmal. „Was willst du, Bokusenô?“, fragte er teilnahmslos. „Ich hüte noch etwas anderes, als das Onibi, etwas, das eurem Vater gehörte“, antwortete der Baumgeist feierlich und hob einen Zweig um in seine Krone zu greifen. Sesshômaru beobachtete ihn reglos. „Was?“ „Oyakata-samas Insignie“, erwiderte Bokusenô. Nun zog der Inuyôkai doch eine Augenbraue hoch. „Die Insignie eines Daiyôkai zersetzt sich mit dessen Tod“, konstatierte er sachlich. In Bokusenôs Gesicht trat ein nachsichtiger Ausdruck. „Ganz Recht, normalerweise ist das so. Aber die Insignie Eures Vaters war keine Waffe und keine Rüstung. Und zum Zeitpunkt seines Todes hatte sie noch einen letzten Auftrag. Erst wenn sie den erfüllt hat, wird sie sich auflösen“, erklärte er und zog seinen Zweig zurück. Das Ende hatte sich um etwas Unscheinbares gewunden, das auf den ersten Blick wie eine aus grober Baumrinde gefertigte Kiste aussah. Sesshômaru wusste es besser. „Eine dämonische Schatulle?“, fragte er kühl. Bokusenô blinzelte zustimmend. „Ganz recht. Aber sie besitzt mehr Kräfte, als eine normale. Ebenso wie jede Insignienwaffe im Zweifelsfall stärker ist als die stärkste geschmiedete“, bestätigte er erneut. Langsam streckte er das Rindenkästchen Sesshômaru entgegen. Der nahm es wortlos entgegen. Er spürte InuYashas ahnungslosen Blick im Rücken, dachte aber nicht daran, dem genauer zu erklären, um was es sich handelte. Stattdessen legte er eine Hand auf den flachen Deckel und konzentrierte sich kurz. Die scheinbare Rinde flimmerte, wurde durchsichtig und verschwand schließlich. Zurück blieb ein offenes Kästchen aus poliertem Holz, kunstvoll waren stilisierte Inuyôkai und auch die Kanji vom Namen seines Vaters in das Material eingebrannt. Der Boden war mit dämonischem Gold ausgekleidet. Im selben Maß, wie einfaches Katzengold billiger war, als echtes Gold, war dämonisches Gold wertvoller als normales Gold. Darauf lag eine schmale Schriftrolle, zusammengehalten, statt von einem Seidenband, wie es üblich wäre, von einem Band aus reinem Yôki. Vaters Yôki…, Sesshômaru erkannte es sofort. Ungewohnt vorsichtig griff er nach dem Papier, strich mit einem Finger über das Yôki und es verflog. Dann öffnete er die Rolle, deren Papier so geschmeidig war, als wäre es eben erst hergestellt worden. Dabei war es nachvollziehbarerweise mindestens zweihundert Jahre alt. Diese Schatulle verbirgt nicht nur, sie schützt ihren Inhalt mit einer zeitlosen Dimension…, dachte Sesshômaru, als er die Besonderheit erkannte. Dann jedoch zogen die ersten Worte auf dem Papier ihn in ihren Bann: „Mein lieber Sohn“ Das war ein Brief an ihn, ein letzter Brief seines Vaters an ihn. Eine Form von Wärme, die Sesshômaru seit frühester Kindheit nicht mehr gespürt hatte, stieg in ihm auf, als er weiterlas... ~*~ Ziellos streifte Riku durch das Dorf. Er hatte weder seinen Meister in den letzten Tagen gesehen, noch jenen Mönch, der die Oni besiegt hatte. Das mochte daran liegen, dass er jede Minute, die die alte Miko es erlaubte, bei dem verletzten Renjiro verbrachte, aber so langsam bekam er das Gefühl, es suche auch keiner von sich aus nach ihm. Während er durch die Gassen lief, dachte er wieder einmal an seinen Kollegen. Fast niemand wusste, dass sowohl Renjiro, als auch der tote Dritte im Bunde seine Brüder waren, niemand kannte die Geschichte, die sie zu ihrem Meister – und in die Mönchsausbildung – gebracht hatte. Noch immer trauerte er um seinen jüngsten Bruder, aber wichtiger war im Moment, das Renjiro das Ganze überlebt hatte und – wer weiß – vielleicht auch seinen Arm wieder würde gebrauchen können. Im Moment schlief er noch viel, was aber auch an den Kräutertränken lag, die die alte Miko ihm zubereitete, soviel hatte Riku verstanden. Jetzt aber sah er auf, als er merkte, dass er an einem Ende des Dorfes angekommen war, dass er noch nicht kannte. Eine Hütte stand ein wenig abseits, davor, auf einem winzigen Wiesenstück spielten zwei kleine Kinder, die sich zum Verwechseln ähnlich sahen, hätten sie nicht verschiedenfarbige Kimono getragen. Unwillkürlich lächelte Riku. Die beiden erinnerten ihn an seine Schwestern. Aber das war Vergangenheit. Über den Mädchen war eine Wäscheleine gespannt, an der Riku auf einmal mehrere Kesa erkannte. Das Scherpentuch der Mönchstracht hätte er inzwischen überall wiedererkannt. Ob hier diese Sango wohnt? Sie hatte sich ja schließlich um die Gewänder von Renjiro und ihm kümmern wollen. Der junge Mann verharrte, als jemand die Reisstrohmatte vor der Tür beiseiteschob und hinaustrat. Es war eine junge, dunkelhaarige Frau im Kimono, in einem Tuch auf dem Rücken trug sie ein vielleicht achtmonatiges Kind. „Entschuldigen Sie!“, rief Riku und die Frau blieb stehen, ohne ihn anzusehen. „Ich suche eine Sango-san“, fügte er hinzu. Jetzt sah die junge Frau ihn an. „Ja?“ Riku wusste nicht, was er von dieser Reaktion halten sollte. Die Frau kam nun näher. „Was wollen… ach, du bist einer von den jungen Mönchen, oder?“, wollte sie wissen. Riku nickte automatisch, woraufhin sein Gegenüber lächelte und ihm zunickte. „Schön dich wiederzusehen. Ich bin übrigens Sango“ Jetzt war er endgültig perplex. Diese junge Mutter sollte die Kriegerin sein, die die Oni abgeschlachtet hatte, als wären es Mücken? Sie schien sein Zögern richtig zu interpretieren, denn sie lächelte wieder und zeigte mit einem Blick über ihre Schulter zurück zur Hauswand. Riku folgte der Geste mit den Augen und erkannte jetzt erst den mannshohen Bumerang, der dort lehnte, seltsam, aber nicht verratend, was man mit ihm anstellen konnte. Er merkte nicht, dass Sango schmunzelte. „Kommst du um eure Gewänder wieder abzuholen? Da wirst du dich noch ein wenig gedulden müssen, noch sind sie nicht trocken. Es hat eine Weile gedauert, das Oniblut herauszukriegen. Ich habe hier nicht die gleichen Möglichkeiten, wie in meiner Heimat“, nahm sie das Gespräch wieder auf und er sah sie erneut an. Sie sprach über die Überreste von Dämonen, als wären es harmlose Schlammflecken. Bevor er aber etwas sagen konnte, mischte sich eine andere Stimme ein. „Ich glaube es nicht, dieser Trottel hat sich doch tatsächlich aus dem Staub – oh, entschuldige bitte. Ich habe nicht gesehen, dass du nicht allein bist“ Riku wandte den Blick und erkannte den fremden, jungen Mönch, der eben näher kam. „Schon gut, Miroku, ihn geht’s ja genauso an, wenn sein Meister jetzt plötzlich eigene Wege geht. – Wage es nicht!“ So freundlich die Stimme der jungen Frau zuerst geklungen hatte, so harsch war sie jetzt. Erst als der Mönch jetzt ruckartig die Hand zurückzog und einen Schritt auf Abstand ging, ganz so, als fürchte er, die junge Frau könnte gleich Blitze spucken, bemerkte Riku, dass der Mönch die Frau hatte begrapschen wollen. „Aber Sango…“, meinte der Hoshi jetzt in beinahe jammerndem Tonfall. Sango grinste und schüttelte den Kopf. „Nicht wenn Besuch da ist“, bestimmte sie und der Mönch gab nach. Riku hatte die Situation mit gerunzelter Stirn beobachtet. „Siehst du, Miroku, das passiert dann. Jetzt weiß der arme Kerl gar nicht mehr, was er von uns halten soll. Du bist wirklich hoffnungslos – dabei läuft dir die Zeit doch schon seit Jahren nicht mehr davon“, sagte Sango da, als habe sie erneut genau durchschaut, was in dem ‚Besuch‘ vor ging und offenbar wusste der Angesprochene genau, was sie mit dem letzten Satz meinte, denn er nickte ergeben und wandte sich dann Riku zu. Dessen Blick war noch etwas skeptisch, aber er versuchte die Begebenheit beiseite zu schieben. „Also, wie du jetzt schon gehört hast, heiße ich Miroku. Schön, dass es dir wieder besser geht. Kaede sagte, auch dein Kumpan sei wieder auf dem Weg der Besserung?“ Riku nickte nur. „Das ist eine gute Nachricht. Allerdings habe ich auch eine schlechte. Scheint so, als wäre euer Meister abgehauen“ Als Riku nur das Gesicht verzog, wirkte er überrascht. „Das wundert dich nicht, oder?“, wollte er wissen. „ Nicht wirklich. Hiroko-san hat uns sowieso nur unfreiwillig mitgenommen. Mein Onkel hat viel bezahlt um uns loszuwerden. Seiner Meinung nach, war es für uns noch am Besten, die Lehre der Mönche anzutreten, anstatt in seinem Hause nutzlose Esser darzustellen. Jetzt, wo er meinte, uns sicher untergebracht zu haben – und weit genug von Zuhause weg, damit wir nicht petzen – hat er uns wohl nur zu gerne wieder abgesetzt“ Miroku runzelte die Stirn, gab sich aber damit zufrieden. „Nun, dann wird er wohl auch nicht zurückkommen. Damit ergibt sich ein neues Problem – hier im Dorf könnt ihr nicht bleiben“ Riku fuhr auf. „Warum? Wir können sicher irgendwo behilflich s…“ „Mit Sicherheit könntet ihr das. Aber ihr habt die Mönchsausbildung begonnen und Buddha würde es nicht gefallen, wenn ihr das achtlos wegschmeißt. Also braucht ihr jemanden, der euch zu Ende ausbildet. Am Anfang ist ein Wandermönch da sowieso nicht die beste Idee“, unterbrach Miroku ihn und straffte die Schultern. „Wie dem auch sei, uns fällt schon etwas ein.“ Er nahm den Korb wieder auf, den er mitgebracht hatte, Kräuter und einige Wurzeln lagen darin. „Bringst du das zu Kaede? Sie hatte darum gebeten und ich denke, du wirst sowieso wieder zu ihr gehen, nicht wahr?“ Da hatte der Mönch Recht und so packte Riku nur nach dem Henkel und drehte sich um. Das hatte er nun davon. Seine und Renjiros Retter hatte er kennengelernt, aber nur um nun noch verwirrter zu sein. Er wurde aus den beiden eindeutig nicht schlau. Miroku hatte sich unterdessen unter einen Baum gesetzt und machte eine nachdenkliche Miene. „Was ist denn mit deinem Ziehvater, Miroku?“, fragte Sango dazwischen und kam hinterher. Sie hatte Yamato aus dem Tuch genommen und setzte ihn sich auf den Schoß, als sie sich hinkniete. „Mushin? Naja… rein theoretisch, ja. Er trinkt zwar etwas viel, aber er ist ein fähiger Lehrer. Von ihm habe ich alles gelernt, was ich kann…“, überlegte Miroku. „Alles?“, fragte Sango spitz nach und senkte den Kopf, um seinem Blick zu begegnen, der – prompt, das der ‚Besuch‘ weg war – auf ihrem Dekolleté geruht hatte. Miroku nutzte ihre vorgebeugte Haltung aus, um ihr einen raschen Kuss zu geben, ehe er ihr diesmal in die Augen sah. „Das habe ich von dem Kazaana gelernt“, betonte er mit einem Augenzwinkern. Sango wandte den Blick zum Himmel und schüttelte den Kopf, aber sie lächelte. „Jetzt mal ernsthaft. Was hältst du davon, die beiden Mushin anzuvertrauen?“, griff sie das Thema wieder auf. „Recht viel. Wie gesagt, er ist fähig. Aber der Weg ist lang und die beiden sind wehrlos.“ „Und wenn du den Luftweg nimmst?“ „Wie… du meinst Hachi? Ja, das ginge. So würde der Weg nur ein, zwei Tage dauern.“ „Na also. Problem gelöst. – Sag mal, wie geht es eigentlich Jinenji? Die Kräuter waren doch von ihm, oder?“ „Waren sie. Ihm geht’s gut, wie üblich. Nur ein bisschen muffig ist er heute, morgen ist seine Zeit der Schwäche. Er hat nicht einmal nach Kagome gefragt“ „Oh, das hat was zu heißen“, kommentierte Sango trocken, sah sich nach ihren Töchtern um. So sah sie gerade noch, dass eine von ihnen um die Hüttenecke verschwand. Sie seufzte lächelnd. „Aiko!“ Natürlich kam das Mädchen nicht zurück. „Ich hol‘ sie schon“, schmunzelte Miroku und erhob sich. ~*~ Mein lieber Sohn, ich weiß, wenn die Schatulle dir diese Worte übergibt, bin ich schon nicht mehr am Leben. Wir waren uns immer etwas fremd, seit deine Mutter dich mit auf das Wolkenschloss genommen hat, um dich dort erziehen zu lassen. Du bist jetzt fast erwachsen, mein Erbe, die Zukunft des Clans. Aber das ist unwichtig, denn das weißt du selbst genau. Diese Sätze sollen dir etwas anderes sein, eine Erinnerung, keine Belehrung. Ich weiß, wenn ich sie dir selbst geben würde, würdest du sie abweisen oder sogar sogleich zerstören. Jeder Yôkai in deinem Alter würde das tun, auch wenn er weniger selbstbewusst wäre wie du. Ich kann auch nicht einschätzen, ob du dies jemals schätzen wirst, dazu sind wir zu verschieden. Ich habe dir wenig lehren können, weil die andauernden Fehden meine Aufmerksamkeit gefordert haben, mehr gefordert haben, als mein Sohn. Ich bin nicht nur Vater, ich bin vor allem Fürst, aber das musste ich mir auch oft sagen, wenn ich mich dir gegenüber lieber wie ein Vater verhalten hätte. Nun, vielleicht bin ich auch in den letzten zwei Jahren noch weicher geworden und wenn ich es bin – oder du es so siehst – so kennst du den Grund genau. Ich habe all deine Selbstbeherrschung gefordert, als ich sie dir vorstellte, nicht wahr? Eine Menschenfrau, eine Hime zwar, aber doch niederen Blutes, wie du sagen würdest, wie jeder andere Dämon sagen würde. Inzwischen solltest du auch mitgekriegt haben, dass mein Band zu ihr noch fester geworden ist – sie trägt mein Kind, dein Halbgeschwister. Menschen haben keine lange Lebensspanne, aber bei allem was vor sich geht, mit dem Rebellenführer der Drachen, den Fehden mit den Nekós, bin ich mir nicht sicher, ob ich in der Lage sein werde, sie und mein zweites Kind auch nur für diese Zeit zu schützen, wie es sich gehört. Mein Sohn, ich weiß, ich würde zu viel verlangen, wenn ich dich bäte, in diesem Fall den Schutz der beiden zu übernehmen, aber ich will dich bitten, zumindest keine weitere Gefahr für die beiden zu sein. Schütze sie, indem du nie ihr Gegner wirst, ich bitte dich. Izayoi wird es schwer genug haben. Dieser Brief ist allein für dich bestimmt, niemand anderem wird die Schatulle ihn offenbaren. Die anderen werden anderes in ihr finden, Dinge, die für sie bestimmt sind. Das ist die Macht dieser Insignie und die wird sie behalten, bis du diese Worte erhältst. Doch da sind noch Dinge, die du wissen solltest. Ich weiß, dass deine Mutter anderes sagt und ich will dich nicht zwingen, mir zu glauben, doch es war keinesfalls so, dass ich sie nach deiner Geburt nicht mehr bei mir gewollt hätte. Sie hat es sich nur jahrzehntelang so eingeredet, wenn ich unterwegs war und die Leitung des Fürstentums in ihre Hände gelegt hatte, weil die Haushofmeisterin noch zu jung war, um das allein zu stemmen. Ironischerweise konnten wir allerdings bis heute normal miteinander reden, egal wie distanziert sie sich sonst gab. Bilde dir deine eigene Meinung darüber, doch das ist meine Sicht. Des Weiteren wird mit meinem Tod eines meiner Schwerter in deinen Besitz übergehen, das weißt du. Und ich weiß auch, dass du zu gerne Tessaiga oder S’sounga gehabt hättest. Aber Tessaiga hat eine wichtigere Aufgabe anvertraut bekommen und S’sounga ist schon jetzt so stark, dass selbst ich es kaum noch zu bändigen weiß, wenn es einmal Blut geschmeckt hat. Du bist noch zu jung, als das ich dir zumuten wollte, mit ihm umgehen zu müssen. Wenn ich könnte, würde ich es ein für alle Mal zerstören lassen oder wenigstens von dieser Welt nehmen, aber dazu braucht es, das sagen sowohl Tôtôsai, als auch einige andere Dämonenschmiede, der Vereinigung der Kräfte von Himmel und Erde, nur so könnte S’sougas bluthungriger Geist gebrochen werden und man könnte es in einer anderen Dimension versiegeln. Nun, darum soll es hier aber nicht gehen. Stattdessen werde ich dir Tenseiga hinterlassen, das Schwert mit den außergewöhnlichsten Kräften, die ich je sah. Ich hoffe du wirst eines Tages verstehen, was genau ich dir damit sagen will. Beide Zwillingsschwerter haben eine Aufgabe, so wie ich sie vererbe und ich hoffe, sowohl du, als auch dein Geschwister werden irgendwann dahinter kommen, was diese Aufgabe ist. Einen Wunsch habe ich allerdings noch. Ich weiß, dass du mir Respekt entgegen bringst, das hast du immer getan. Ganz so, wie es sich für einen Prinzen, einen Erbprinzen gehört. Aber ich wünsche mir, dass du mich auch in anderer Weise respektierst, dass du meine Entscheidung für Izayoi respektierst. Sie ist etwas ganz besonderes und ihr Kind, mein Kind wird etwas ganz Besonderes sein. Nicht nur, weil es nie einen Hanyô mit dem Blutanteil eines Daiyôkai gab, aber genau das bitte ich dich, zu bedenken. Dieses Kind wird stärker sein, als es jemals ein Hanyô war, aber es ist ein Kind und ein Hanyô und dennoch dein Halbgeschwister. Ich wünsche mir zutiefst, dass du es genau so behandeln könntest. Vor allem als Teil deiner Familie, so schwer es dir fallen mag. Und ich hoffe, dass es nicht bei diesem, meinem Wunsch bleibt. In diesem Sinne hoffe ich, du verstehst mich nun ein wenig besser, als du es zu meinen Lebzeiten getan haben kannst. Du bist mein Sohn, Sesshômaru, und das habe ich nie vergessen, ich habe dich immer von Herzen geliebt und ich werde es immer tun, so lange meine Seele existieren mag. Lebe wohl, mein Sohn. Dein Vater Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)