Mondgeflüster von Lilithen ================================================================================ Kapitel 4: Erkenntnis --------------------- Kaum hatte er die Tür passiert, befand er sich in einem Flur. Und obwohl es nur ein Durchgang war, strahlte dieser Abschnitt des Gebäudes schon einen ganz anderen Charakter aus. Auch hier war es edel, keine Frage, aber der kunstvoll gearbeitete Stuck in Verbindung mit dem Burgunder der Tapete und den verschiedenen Landschaftsgemälden, verbreitete eine weitaus prunkvollere Atmosphäre. Langsam ließ er seinen Blick schweifen, bis er auf das breite Lächeln von Karin stieß. Kurz nickte diese und begann dann voraus zu laufen. Es waren nur wenige Schritte, bis ein angenehmer Teppich aus Stimmen seine Ohren erreichte und kurz darauf ein Türbogen zu erkennen war. Augenblicklich verlangsamten sich die Schritte der jungen Frau. Sie ließ sich soweit zurückfallen, bis sie neben ihm herlief. „Vor Kopf befindet sich das Wohnzimmer, der einzige offene Bereich in dieser Etage. Jeder Kunde kann sich dort, zu jeder Zeit und ohne Termin, niederlassen.“ Noch bevor er ein Zeichen der Bestätigung geben konnte, spürte er die zierliche Hand Karins an seinem Oberarm. Sanft wurde der Grauhaarige in die kleine, mit Stuck umrahmte Nische zu seiner Rechten gezogen und kam kurz darauf zum Stehen. Deutlich erkannte der Polizist die einzelnen Pinselstriche des Wandgemäldes, stand er doch nicht einmal ganz einen halben Meter davon entfernt. Und gerade das machte ihn wütend. Er hatte nicht monatelang darauf hin gearbeitet vor eine bemalte Fläche gestellt zu werden. „Das ist eine Wand“, stellte er verärgert fest, während Karin diese mit einer einladenden Geste anpries, „Ich habe kein Interesse an einer Wand.“ „Ein exklusives Angebot erfordert einen Eingang, den nicht jeder erkennt.“ Seine Laune sank deutlich. Auch wenn die Rezeptionistin versuchte ihm diese skurrile Situation schmackhaft zu machen, fühlte er sich eher so, als würde man ihn auf den Arm nehmen. Eine Unannehmlichkeit, für die er momentan nicht viel übrig hatte. Es waren nur wenige Meter, die ihn vom Salon, seinem ersten richtigen Erfolgsschritt, trennten. „Ich sehe keinen Eingang, aber ich sehe meine Uhr.“ Unheilvoll ließ er den Satz in der Luft schweben. Ihm war durchaus bewusst, dass er Karin mit dieser Aussage unter Druck setzte und wenn er ehrlich war, so war genau das seine Intention. Eine Absicht, die nicht zu funktionieren schien, wie sich herausstellte, als das verschlagene Lächeln auf ihren Lippen blieb. „Seien Sie nett, sonst möchte er Sie nicht wieder sehen.“ Elegant ließ Karin ihre auffordernde Geste fallen, um an seinem Gesicht vorbei in eine kleine Vertiefung am äußeren Rand des Stuckrahmens zu greifen. Interessiert fokussierte er die schlanke Hand zu seiner Linken. Es war nur eine minimale Bewegung ihres Fingergelenkes zu erkennen und wenn der Hatake nicht so nah bei ihr gestanden hätte, wäre ihm nicht aufgefallen, dass sie augenscheinlich einen Schalter umlegte. Und während sein Inneres auf Hochtouren arbeitete, um abzuwägen, ob er enttarnt wurde und die Rothaarige einen versteckten Alarm ausgelöst hatte, spannte diese ihre Finger an und zog das breite Wandgemälde zur Seite. „Katsumi, wartet bereits auf Sie.“ Das Erste, was er wahrnahm, war, das in die Wand eingelassene Aquarium. Fast das gesamte Mauerwerk wurde damit ausgefüllt und überzog den dunklen Schieferboden und den bräunlich gehaltenen Naturstein der Wände mit einem sanften Blau. Es gab keine Fenster in diesem Raum, aber die Luft war klar, wirkte weder verbraucht noch abgestanden und festigte so seine Vermutung einer Lüftungsanlage. Sein Blick schweifte nach rechts, zu der breiten Eckcouch mit dem niedrigen Tisch und dem aufgeklappten, flachen Laptop auf der klaren Glasfläche, wanderte weiter entlang an den über den Boden schwebenden Boxen und folgte schlussendlich den bunten Fischen zur linken Seite des Raumes. Der Fläche mit dem Bett. Aber so imposant dieses Zimmer auch wirkte, es fehlte etwas, jemand. „Ticktack“ Unter normalen Umständen hätte ihn das Zusammenzucken von Karin belustigt, aber es war nicht normal. Vor allem jetzt, da er langsam keine Geduld mehr hatte um freundlich zu sein. Ihm war bewusst, dass er es ihr zu verdanken hatte hier unten zu sein. Das änderte aber nichts daran, dass Pein ihn unter Druck setzte und die Rothaarige ihm jetzt gerade mehr ein Hindernis, als eine Hilfe war. Kakashi war sich darüber im Klaren, dass die momentane Verzögerung auf Katsumi zurückzuführen war, aber war die Planung eines reibungslosen Ablaufes nicht auch die Aufgabe der Rothaarigen? Energischer als nötig, ließ die junge Frau das Bild wieder in den Mechanismus einhacken. „Ich werde ihn sofort suchen, bitte folgen Sie mir.“ Damit trat sie aus der kleinen Nische, erlaubte Kakashi eine kurze Sicht auf ihre verärgerte Mimik und ging in Richtung des Türbogens, um diesen kurz darauf hinter sich zu lassen, während der Grauhaarige ihr folgte. Der Hatake musste schlucken, als seine Sinne begannen die neue Umgebung wahrzunehmen. Alles hier wirkte prunkvoll, die kostbare Seidentapete war echt, wie er feststellte, als er seine Finger darüber gleiten ließ und so die etwas rauere Struktur der Ornamente wahrnahm. Ein Indiz dafür, dass diese handbemalt und nicht einfach nur aufgedruckt waren. Aber es war nicht nur die Wandverkleidung, welche dieses gewisse Selbstwertgefühl in ihm schürte. Das satte Grün der Wände traf auf das dunkle Mahagoni des Bodens und vermischte sich mit diesem zu einem angenehmen Rahmen, für die antiken Polstermöbel. Alles hier wirkte königlich, nicht zuletzt auch anhand des Kronleuchters, der mittig in dem großen Saal angebracht war und diesen, mit seinen feinen Gemälden, in ein helles, warmes Licht tauchte. Es war ein schmaler Grat zwischen edel und überladen, doch hier wurde diese feine Linie nicht überschritten. Sie wurde eingehalten, in spielerischer Balance und Perfektion. Und während er sich noch fragte, ob es sich bei dem Boden wirklich um echten Mahagoni handelte, ging Karin weiter. Ihr feuerrotes Haar bildete einen strengen Kontrast, zu der dunklen Wandfarbe, wirkte fast beabsichtigt, damit man sie ja nicht aus den Augen verlor. „Das hier ist der grüne Bereich, das sogenannte Wohnzimmer. Wie schon erwähnt findet hier für gewöhnlich das erste Kennenlernen statt.“ Nur am Rande nahm er wahr, wie sie weitersprach und beide tiefer in den Raum gingen. Seine Aufmerksamkeit galt viel mehr den anderen im Saal. Verschwunden war der letzte Rest seiner anfänglichen Euphorie über die Einladung und seine Missgunst stieg, als er die bekannten Gesichter sah. Politiker und Firmenchefs, bis hin zu Moderatoren und Schauspielern. Jeden einzelnen von ihnen kannte er aus den Medien und bei jedem von ihnen wusste Kakashi, dass es ein vernichtender Skandal wäre, wenn diese Seite ihres Privatlebens ans Licht käme. Denn es war eindeutig, dass hier nicht Geld oder Macht den Status ausmachte, sondern wie intim man mit den einzelnen Prostituierten war, ihren Prostituierten. Kakashi konnte nicht umhin kurz angewidert seinen Mund zu verziehen, als er erkannte, dass die Hand, welche langsam den entblößten Oberschenkel einer jungen Frau streichelte, zum Justizminister gehörte. Es war paradox, dass gerade derjenige, der seiner Abteilung die finanziellen Mittel zukommen ließ, sich an so einem jungen Ding vergriff. Zwar war es keine eindeutige sexuelle Handlung und somit nichts, was man diesem anlasten konnte, doch es war unverkennbar, dass es sich bei der Frau an seiner Seite um jemanden handelte, der noch nicht volljährig war. Ebenso wie bei den anderen Mitarbeitern in diesem Raum. Es war nicht schwer zu erkennen, wer hier welcher Person zugeordnet war. Zu eindeutig waren die Posen der Beteiligten, zu offensichtlich der damit verbundene Besitzanspruch. Mit zügigen Schritten näherte er sich der Bar, gegenüber der Sitzlounge, um sich kurz darauf auf das weiche Polster eines Barhockers zu setzten. Karin war gerade gegangen um den Fehler, wie sie es nannte, so schnell wie möglich zu beheben. Eher beiläufig und ohne den Blick von dem Geschehen der anderen zu nehmen, bestellte er sich einen Whiskey. Zwar hatte er noch keine handfesten Beweise für die Prostitution dieser Minderjährigen, aber er würde Pein etwas berichten können. Und das war ihm Erfolg genug, um im Dienst zu trinken. Er hatte sich gerade mit dem Oberkörper dem regen Treiben zu seiner Linken zugewandt, als ihm mit einem dumpfen Ton die bernsteinfarbene Flüssigkeit serviert wurde. Die Eiswürfel klirrten leise, als er das Gefäß hob und sie gegen das dicke Glas schlugen. Weich entfaltete sich das süßlich, rauchige Bouquet in seinem Mund, als er den ersten Schluck nahm und ihn kurz kreisen ließ, um seinen Gaumen an das mild fruchtige Aroma zu gewöhnen. Augenblicklich entspannte er sich. Noch immer besah er sich die Kundschaft, aber als der Alkohol begann seine typische Wärme zu entfalten, konnte er ein wenig besser mit dem Publikum und der Szenerie umgehen. Es war kein Wunder, dass dieser Grad der Exklusivität die hier vorhandene Gesellschaftsschicht anlockte. Er selbst wollte gar nicht erst wissen, wie viel von ihren finanziellen Mitteln jeden Monat für dieses Etablissement aufgebracht werden musste. Zwar wurde der Betrag von Orochimaru bezahlt, jedoch war er nur der Mittelsmann. Kakashi wusste, dass Pain dem Firmengründer jeden Yen im Voraus bezahlte. Pünktlich und von ihren Fördergeldern. Es wunderte ihn, dass noch niemand die fadenscheinigen Rechtfertigungen für die hohen Auslagen ihrer Abteilung angezweifelt hatte. Aber Pein wusste anscheinend was er tat. Denn er hatte Kakashi jeden Monat aufs Neue Zeit verschaffen können. Das verhaltene Tuscheln zweier Kellner erregte seine Aufmerksamkeit. Sie befanden sich am anderen Ende des Raumes, aber immer wieder glitten ihre Blicke zu ihm herüber. Fluchtartig verschwand das Gefühl der Ruhe aus seinem Körper. Ein weiterer Mann hatte sich zu ihnen gesellt, lauschte ihren Erzählungen und sah dann ebenfalls zu ihm. Es war sofort klar, dass es sich bei dem Mann mit dem bläulichen Haar um jemanden des Sicherheitspersonals handeln musste. Er war um einiges breiter und überragte die zwei Kellner ein ganzes Stück. Beiläufig sah er auf seine Armbanduhr und entdeckte den Grund für den Aufruhr. Karin war mittlerweile schon mehr als dreißig Minuten verschwunden. Ein Zeitraum, in dem er mit niemanden gesprochen hatte. Der Grauhaarige hatte lediglich das rege Treiben vor sich beobachtet, er wäre sich selbst auch verdächtig vorgekommen in diesem Zusammenhang. Bewusst bewegte er seine Finger in Richtung seiner Hosentasche, als sich der Größte des Trios aus der Gruppe löste und sich auf ihn zu bewegte. Er hatte noch immer seine Karte, allerdings wusste er nicht in wie weit ihm das in diesem Abschnitt des Bordells weiterhelfen würde. Kakashi verfluchte sich selbst dafür, dass er Karin nicht nach diesem Umstand gefragt hatte. Es zeugte davon, dass er sich zu sehr in Sicherheit gewogen hatte, es bewies, dass er unvorsichtig geworden war. Nur noch wenige Schritte trennten die beiden Männer voneinander und je näher der Schwarzgekleidete ihm kam, desto deutlicher erkannte der Hatake dessen scharfe und kantige Gesichtszüge. „Entschuldigen Sie, kann ich bitte Ihren Ausweis sehen?“ Die Stimme des anderen war rau und stand in starkem Kontrast zu seiner höflichen Formulierung. Folgsam kam er der Aufforderung nach und reichte dem Blauhaarigen die kleine Plastikkarte, die ihm augenblicklich abgenommen und in Augenschein genommen wurde. „Ihre Karte gilt nicht für diesen Bereich“, forsch wurde ihm der Ausweis zurückgegeben, „bitte folgen Sie mir zum Ausgang.“ Ruhig platzierte der Grauhaarige das Stück Plastik wieder in seiner Tasche. „Ich denke nicht, dass ich gehen muss. Ich wurde eingeladen“, erwiderte er, während er sein Glas erhob, um einen weiteren Schluck des Whiskeys zu nehmen. „Wären Sie so freundlich mir zu verraten, wer Sie eingeladen hat?“ „Karin.“ Geräuschlos führte er das Glas zu seinen Lippen und trank, nur um augenblicklich inne zu halten, als er bei seinem Gegenüber das geringschätzende Lächeln sah. „Die Rezeptionistin“, deutlich konnte er den abwertenden Tonfall heraushören, „ist nicht befugt jemanden einzuladen. Und jetzt stehen Sie bitte auf. Ich werde Sie nach draußen begleiten.“ Nichts ließ den Polizisten daran zweifeln, dass der Mann vor ihm das wirklich tun würde, im Notfall auch mit vollem Körpereinsatz. Zum wiederholten Male an diesem Abend sank seine Laune erheblich. Auf den anderen fokussiert, nahm er nur aus dem Augenwinkel wahr, wie sich die anderen Gäste interessiert aufsetzten und nun ebenfalls in seine Richtung sahen. Der Polizist war schon geneigt anzunehmen, dass sie das Spektakel eines Rauswurfes bewundern wollten, aber etwas verwirrte ihn. Sie setzten sich nicht nur auf, sondern schoben auch ihren jeweiligen Begleiter von sich. Es ging nicht um ihn, es ging um etwas, das sich hinter ihm befand. Etwas mit mehr Wert, mehr Macht als die hier anwesenden Hetären. Gerade als er im Begriff war sein Glas auf die glatte Oberfläche der Bar zu stellen und sich selbst umzuschauen, fanden zwei Hände ihren Weg an seinem Hals vorbei, berührten sanft sein verborgenes Schlüsselbein und strichen federleicht hinunter zu seiner Brust. Sanft wurde sein Oberkörper nach hinten gedrückt, bis sein Hinterkopf auf etwas Weiches stieß. „Kisame, es ist in Ordnung, ich habe ihn eingeladen. Karin sollte ihn nur hierher bringen.“ Der sanfte Druck auf seinem Brustkorb verschwand, als die fremden Hände ihren Weg fortsetzten. Quälend langsam fuhren sie über seine Vorderseite, machten einen kurzen Schlenker über seinen Bauch und glitten wieder zurück. Behutsam wurde die Linie seines Schlüsselbeines nachgezeichnet, ehe die schlanken Gliedmaßen seinen Hals emporstiegen und sich unterhalb seines Kinns ineinander verschränkten. Für Kakashi war es eine groteske Situation. Nicht, weil er gerade von jemanden berührt wurde, den er nicht kannte, geschweige denn sah, sondern weil sein Körper keine Anstalten machte sich dagegen zu wehren. Im Gegenteil. Jedwede Anspannung fiel von ihm ab und hinterließ nichts, als eine angenehme Wärme. „Es war nur ein unglücklicher Formulierungsfehler, nicht wahr?“ Besitzergreifend wurde sein Kinn gehoben und noch ehe Kakashi erfassen konnte, wie das Gesicht seines Hintermannes aussah, verschwand jedes Geräusch im Raum. Warm und federleicht fühlten sich die Lippen des Fremden auf seinen eigenen an. Der Druck war sanft, kaum spürbar und doch, in Verbindung mit dem angenehm weichen Odeur von Sandelholz, groß genug, um ihn fast in den Wahnsinn zu treiben. Für den Moment genoss er es. Vergessen war sein eigentlicher Auftrag und die damit verbundene Last. Aber so schnell und unerwartet dieser Kuss angefangen hatte, so schnell endete er auch, hinterließ nichts, als eine unangenehme Kälte auf seinen Lippen. Mit Genugtuung erkannte der Grauhaarige, wie der abwertende Ausdruck aus der Mimik Kisames verschwand und seine Körperspannung nicht mehr vor Selbstbewusstsein, sondern von Anspannung zeugte. „Ich werde das mit Madara klären. Das wird ihm nicht gefallen.“ Aufmerksam horchte er auf, bereit jede noch so versteckte Information aufzunehmen. „Ich werde mit ihm reden und ich denke, dass du in dieser Unterhaltung auch vorkommen wirst.“ Es dauerte nur einen Wimpernschlag, bis sich der Blauhaarige tief verbeugte. „Entschuldigen Sie die Störung, meine Herren.“ Damit löste sich Kisame aus seiner Verbeugung, warf noch einen letzten, warnenden Blick in seine Richtung und verließ das Wohnzimmer. Es schien, als wäre das ein unsichtbares Zeichen gewesen, denn kaum war die Person aus dem Raum verschwunden, ließen auch die Hände von ihm ab. Nur kurz bekam Kakashi einen vollen Blick auf die anderen Gäste, die langsam wieder zu ihrer ursprünglichen Konstellation zurückfanden, aber es reichte aus, um seinen ursprünglichen Gemütszustand wieder herzustellen. „Ich hoffe, ich bin Ihnen nicht zu nahe getreten“, zäh verarbeitete der Polizist die Aussage, als sich die zierlich wirkende Person, die sich eben noch für ihn eingesetzt hatte, nun vor ihm befand. Gleißend brannte sich der junge Mann in sein Gedächtnis. Seidig schimmerte der helle Alabasterton seiner Haut, bildete einen harten Kontrast zu dem schwarzen Haar. Die Gesichtszüge waren ebenmäßig, weich, beinahe schon feminin. Aber das fesselndste waren seine Augen. Noch nie hatte der Hatake so ein klares Grau gesehen. Es war dunkel und unverfälscht, wirkte in dem milden Licht des Ambientes beinahe schon schwarz, aber strahlte nichtsdestotrotz eine Wärme aus, von der er sich nur schwerfällig wieder lösen konnte. Kakashi musste es sich eingestehen, er war fasziniert. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, kam die melodische Frage des immer noch Fremden. Ein letztes Mal atmete er tief durch, um wieder in die Rolle des vermeintlichen Freiers zu schlüpfen, aber es wollte ihm nicht so recht gelingen. „Auf deine Verantwortung. Wenn der Typ gleich mit dem Chef reinkommt, wirst du hier ganz alleine sitzen.“ Klar erkannte er das schwache Lächeln des Jungen, als dieser einen der Barhocker heranzog und sich neben ihn setzte. Mit einer nebensächlichen Geste hob dieser einen Finger in Richtung des orangehaarigen Barkeepers, während er sich zeitgleich zu ihm umwand und das Profil des Hatake betrachtete. „Ich bin gewillt dieses Risiko einzugehen.“ Langsam platzierte der Schwarzhaarige seinen Ellenbogen auf dem glatten Marmor der Bar und bettete seinen Kopf in die erhobene Hand. „Ich frage mich, ob Sie-“ Fließend drehte der Polizist sich nach links, verfehlte mit seinem Knie nur knapp das seines Gegenüber. „Sag du. Ich bin erst Sechsundzwanzig, und momentan kein Freund dieser gestellten Etikette.“ Ein belustigtes Funkeln mischte sich unter den Glanz der grauen Iriden. „Ob du einen schlechten Tag hattest.“ Es war deutlich herauszuhören, dass dies nicht die ursprüngliche Frage war. Freudlos lachte er auf. Unzählige Bilder schossen durch seinen Kopf. Die jüngsten Ereignisse dieses Abends, die Unterhaltungen mit Anko, die unzähligen Teambesprechungen, bei denen nur kleine Erfolge zu verbuchen waren und zu guter Letzt die zahlreichen Abende, an denen er von der Arbeit nach Hause kam und versuchte den Tag zu vergessen. Die Gesichter der Prostituierten zu vergessen, damit sie nicht zu einem Teil seines Lebens wurden. Einem Teil, der ihn in ein tiefes Loch warf. „Ich warte auf eine überforderte Rezeptionistin und das ist noch der schöne Teil.“ Resigniert hob er das massive Glas an seine Lippen. Leerte mit einem schnellen Zug den goldbraunen Inhalt, um dem Barkeeper das leere Glas entgegen zu halten, bevor dieser sich wieder zurückzog. Regungslos betrachtete der Orangehaarige das Gefäß, nachdem er dem Jüngeren eine klare Flüssigkeit serviert hatte. Nichts in dem fremden Blick zeugte davon, dass man ihm nachschenken würde. „Es ist in Ordnung, Juugo. Bring uns die Flasche. Er hat eine Entschädigung für meinen plötzlichen Überfall verdient“, beantworte sein Gegenüber die wohl still gestellte Frage und umfasste die in der Luft schwebende Hand des Hatake, um sie sanft zurück auf die Marmorfläche zu drücken. „Kinder wie du sollten noch keinen Alkohol trinken“, sagte Kakashi, als die noch halb gefüllte Flasche vor ihnen abgestellt wurde. „Ich bin siebzehn und ich trinke Wasser.“ Leicht prostete der Jüngere ihm zu, als der Polizist die Flasche absetzte und im Begriff war erneut sein Glas zu heben. Aber er konnte nicht, der Grauhaarige musste leise auflachen. „Was ist?“ „Es ist bizarr, dass gerade hier“, mit einer umherschweifenden Handbewegung deutete er auf die obszöne Szenerie um sie herum, „ein Jugendlicher ist, der sich um so etwas schert.“ Knapp schlossen sich die feinen Lippen des Angesprochenen um den schmalen Glasrand, als er einen Schluck trank und sein Wasser wieder auf den harten Untergrund stellte. „Wir sind nicht viele, aber es gibt uns noch“, offenbarte der Schwarzhaarige ihm. „Ich finde es ja eher verwunderlich, dass du in diesem Zimmer bist, nur um dir einen Drink zu genehmigen.“ Schlagartig verstummte das Lachen. „Ich muss keine Macht demonstrieren, das entspricht nicht meinem Charakter. Deshalb bin ich nicht hier.“ Interessiert setzte sich der Junge auf, verlagerte sein Gewicht und vergrub seine Hände in der Mulde seiner überschlagenen Beine. „Und warum bist du hier?“ Wie vom Blitz getroffen sah er in das feine Gesicht, las daraus ehrliches Interesse und die Gewissheit, dass sich diese Frage nicht auf das heute bezog. Es ging dem Jungen nicht um die fadenscheinigen Gründe, die ihn hierher getrieben hatten. Es ging um die Tiefe, um seinen persönlichen Beweggrund. Es dauerte einen Moment, bis er wusste, was er darauf antworten sollte. Denn wenn er ehrlich war, so hatte er sich diese Frage auch schon gestellt. Immer und immer wieder, unzählige Male. Warum war er zur Polizei gegangen, warum gerade in diese Abteilung? Bis jetzt hatte er noch keine Antwort darauf gefunden. Besser gesagt, er hatte nie ernsthaft versucht eine zu finden. Aber etwas in der Mimik des anderen spornte ihn an darüber nachzudenken. Die Minuten verstrichen, während der Grauhaarige nach einer Erwiderung suchte. Minuten, die der Schwarzhaarige ihm zugestand, ohne auch nur ein einziges Mal das Wort zu erheben. „Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Wahrscheinlich wollte ich es mir selbst beweisen“, mit einem dumpfen Ton stellte er das leere Whiskyglas vor sich und streckte seine Hand nach der Flasche aus, nur um sie weiter wegzuschieben, „Beweisen, dass man auch alleine weiter kommt, bis an die Spitze. Ganz ohne Eltern, die einen lieben und auffangen. Ohne einen scheinheiligen Staat, der dir leere Versprechungen macht und dir sagt, dass er sich bestmöglich um dich kümmert“, ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. „Ja, das wollte ich. Und auch wenn ich wohl nie herausfinden werde, wem dieses riesige Aquarium gehört, denke ich, dass ich schon weit gekommen bin.“ Kakashi konnte den Blick der grauen Augen nicht einordnen, wollte es auch gar nicht. Er genoss es einfach, dass sie ihn ansahen und in ihm diese angenehme Wärme auslösten. Aus einem Grund, den der Polizist selber noch nicht genau kannte, mochte er diesen jungen Mann. Er war so anders als die anderen Jugendlichen, die er bislang kennengelernt hatte. Reifer. Und das bedauerte der Hatake. Es bewies, dass er schon vor langer Zeit aufgehört hatte ein Kind zu sein. Mit einem leichten Seufzten streckte der Polizist sich, um seine Muskeln zu lockern und einen Blick auf seine Uhr zu erhaschen. Verwundert verzog er das Gesicht. Er hatte anscheinend länger überlegt als gedacht, denn er war schon seit drei Stunden an dieser Bar. „Ich sollte jetzt lieber gehen, sonst darf ich mir morgen wieder was anhören.“ Damit stand er auf. „Frau und Kinder?“ „Schlimmer“, ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, „Einen besten Freund.“ Das leise Lachen des Jüngeren drang an sein Ohr. „Das war nicht nett“, wurde er belehrt. „Ich habe wohl ein Händchen für unglückliche Formulierungen.“ Mit gespielter Resignation verzog er das Gesicht und entlockte dem anderen zum wiederholten Male ein ehrliches, kurzes Lachen. „Ich bring dich noch nach draußen.“ Für einen kurzen Moment stockte er, während er dem Grauhaarigen einen fragenden Blick zuwarf. „Kakashi“, ergänzte der Ältere. Er war sich durchaus bewusst wie töricht seine Aussage, vor dem Hintergrund der verdeckten Ermittlung wirkte, aber er wollte es so. Es waren nur wenige Worte gewesen, die sie beide miteinander gewechselt hatten, jedoch wirkten sie gehaltvoller und ja, auch ehrlicher, als so manche stundenlangen Gespräche, die er schon im Laufe seines Lebens geführt hatte. Der Hatake wollte dieses Gebilde nicht zerstören, indem er mit Lügen anfing. Wie hoch war schon die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich wiedersahen? „Dann lass uns gehen, Kakashi“, meinte der Schwarzhaarige, als er sich bei ihm einhakte und ihn in Richtung Ausgang zog. Deutlich spürte der Grauhaarige, wie die Blicke der letzten Verbliebenen ihnen folgten und leichtes Unbehagen stieg in ihm auf, wurde jedoch direkt im Keim erstickt, als er auf das warme Lächeln des Prostituierten traf. Es dauerte nicht lange, bis sie die Tür erreichten, welche ihm bis vor kurzem noch verboten war zu passieren. Bevor er selbst die massive Klinke fassen konnte, hatten sich schon die alabasterfarbenen Finger darum geschlossen. Mit einem kurzen Ruck wurde das schwere Holz beiseite gezogen und die Wärmequelle an seinem Arm verschwand. „Nach dir“, kam die Aufforderung des Kleineren. Mit einem großen Schritt war der Grauhaarige wieder im offiziellen Teil des Bordells. Alles hier wirkte trist. Verschwunden war das Gefühl der Exklusivität, jetzt wo er den anderen Teil des Gebäudes kannte, von ihm gekostet hatte. „Kakashi?“ Fragend drehte er sich zu der im Türrahmen lehnenden Gestalt. „Hattest du heute einen schönen Abend?“ Alles in ihm schrie „Ja“. Der heutige Abend war trotz der vielen Komplikationen schön gewesen und das hatte er nur diesem Jungen zu verdanken. Einer Person, die er kaum kannte und von der er doch wusste, dass sie ein besseres Leben verdient hatte. „Den hatte ich. Auch wenn ich noch immer wütend auf Karin bin“, gestand er. „Möchtest du eingeladen werden?“ Warm traf ihn das Lächeln des Jungen. Kakashi bemerkte, wie ein Teil von ihm versucht war eine ehrliche Antwort zu geben. Ein Ja zu geben. Heute Abend hatte er für einen kurzen Moment vergessen können, wie die Welt draußen war. Er hatte sich wohl gefühlt. „Ich wurde schon eingeladen“, wich er aus. „Karin arbeitet nicht in diesem Bereich.“ Angenehm traf ihn die jugendliche Stimme, milderte damit die eigentliche Aussage ab. Der Polizist hatte es nicht vergessen. Den abfälligen Blick von Kisame, als er gesagt hatte, dass die Rothaarige ihn eingeladen hatte. Noch deutlich konnte er die spöttische Nuance seiner Stimme hören. „Ich weiß.“ Er besah sich den anderen noch einmal ganz genau. Kakashi wusste nicht, ob es an den zwei Gläsern Whisky lag, die er getrunken hatte, oder ob der Mann vor ihm wirklich diese Perfektion ausstrahle. Der Grauhaarige mochte alles an ihm und gerade das war gefährlich. Aber er musste auch voraus denken. Er war heute in dem Abschnitt gewesen, zu dem nur die wenigsten Zutritt hatten. Den Teil des Gemäuers, den es zu infiltrieren galt. Warum sollte er also nicht wieder kommen? In diesen Bereich, zu diesem Mann. Geräuschvoll atmete er aus. Er kannte die Antwort. Es würde bedeuten, dass er den Schwarzhaarigen benutzen würde und alles in ihm sträubte sich dagegen, diesen so zu behandeln, wie er es mit der Rezeptionistin getan hatte. „Ich formuliere meine Frage um.“ Damit stieß sich der Kleinere von beiden von dem harten Holz ab. „Möchtest du mich wieder sehen?“ „Ja“, antwortete er schnell. Zu schnell. Wie von selbst hatten seine Lippen die Worte geformt und noch ehe er darüber nachdenken konnte, was genau sie ausdrückten, was sie nach sich zogen, hatte er sie ausgesprochen. „Ich möchte dich auch wieder sehen.“ Bei dieser Aussage breitete sich eine angenehme Gänsehaut auf seinem ganzen Körper aus. Langsam wurde die schwere Tür in Richtung Schloss gezogen. „Du solltest mit Karin einen Termin ausmachen, einen der nicht ganz so kurzfristig ist.“ Irritiert stutze der Grauhaarige, erntete damit ein amüsiertes Funkeln des anderen. „Das Aquarium gehört Madara, alles hier gehört Madara.“ Immer näher kam die Tür ihrem Gegenstück, verkleinerte die Aussicht auf den schmalen Körper zentimeterweise. „Grüß die überforderte Rezeptionistin von mir und sag ihr, dass Katsumi dich wiedersehen möchte. Bis bald, Kakashi.“ Und damit rastete die Tür ein und ließ ihn alleine auf dem breiten Flur stehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)