Romeo von Shunya (Balkonien und Schulhofromanzen) ================================================================================ Kapitel 1: Zwischen den Welten ------------------------------ Mein Name ist Romeo. Ja, genau der! Julias' Lover, den ein schneller Tod dahin gerafft hat. Ich hoffe, mir selbst bleibt so ein herbes Ende erspart. Meine Eltern haben einen eigenwilligen Geschmack was Namen angeht, sonst hätten sie mir diese Schmach sicher erspart mich nach diesem Sunnyboy zu benennen. Mal ehrlich, wenn die wüssten, was in der Schule so abgeht, hätten sie mich niemals Romeo genannt. Rommé werde ich übrigens auch ganz gerne mal genannt. Ich habe mich bis jetzt erfolgreich geweigert Buch und Film zu lesen oder zu gucken und das wird wohl auch hoffentlich bis zu meinem Lebensende der Fall bleiben. Und im Gegensatz zu Romeo habe ich für die Damenwelt herzlich wenig übrig. Ich bin die schwule Version von Romeo. Meine Julia muss also ein heißer Kerl sein und ehrlich gesagt, habe ich mir da auch schon einen aus meiner Schule herausgepickt. Mein Traummann heißt Marius und geht sogar in meine Klasse. Ich Glückspilz! Warum ich auf ihn stehe, wird wohl kaum jemand nachvollziehen können, denn Marius ist nicht gerade ein Vorzeigeschüler. Er hat ein loses Mundwerk, kifft, prügelt und es gehen Gerüchte um, dass er sein erstes Mal mit einer älteren Frau gehabt haben soll. Was ich also so faszinierend an ihm finde? Nun, das weiß ich ehrlich gesagt selber noch nicht so genau, aber jedes Mal, wenn ich ihm über den Weg laufe, werden meine Beine weich wie Wackelpudding, mein Herz klopft mit meinem Puls um die Wette und mein Schwanz wird sofort munter, wenn Marius auch nur in meine Nähe guckt. Da muss also irgendetwas dran sein! Außerdem wirkt er irgendwie erwachsener als die anderen Jungs aus meiner Klasse, nur nicht, wenn er den Mund aufmacht, dann hat man das Gefühl einem vorlauten Rotzbengel gegenüber zu stehen. Ein Problem habe ich dann aber doch, denn ich bin leider nicht der einzige, der auf Marius steht. In meiner Klasse gibt es ein Mädchen namens Lisa, die scheinbar genau denselben originellen Männergeschmack hat wie ich, denn auch sie schwärmt für Marius. Nicht heimlich wie ich, sondern in der Öffentlichkeit und es ist ihr nicht mal peinlich! Allerdings versuche ich es auch zu verbergen, dass ich schwul bin. Muss ja nicht jeder wissen und ich fürchte, wenn sie es wissen, werde ich nicht nur wegen meines Namens gemobbt. Dafür weiß ich im Gegensatz zu der blöden Kuh, dass Marius einen Schmetterling auf der linken Schulter hat. Normalerweise hat Marius es nicht so mit Sport, weil er nicht gerade fair spielt, aber manchmal taucht er doch auf und ab und an habe ich das Vergnügen und darf ihn in der Umkleide beobachten und während sich kein Schwein für sein Aussehen interessiert, habe ich es gesehen. Bringt mir nur leider recht wenig, weil ich damit nicht vor den anderen prahlen kann. Mal ehrlich, ein Kerl mit einem Schmetterling? Die würden sich doch sofort über ihn lustig machen und ich will nicht, dass jemand schlecht über Marius spricht. Also behalte ich dieses entzückende Geheimnis lieber für mich. Trotzdem skizziere ich den kleinen Schmetterling überall in meine Hefte, so auch jetzt in der Pause, wo ich mal wieder alleine herumhängen muss, weil ich viel zu uncool für all die anderen Cliquen bin. Seufzend sehe ich auf und suche den Schulhof nach Marius ab. Wo steckt der Kerl nur wieder? Immer wenn man jemanden zum Schmachten braucht, ist keiner da. „Marius!“ Da ist sie wieder. Muss Lisa so herum kreischen? Das Weib hat vielleicht ein Organ! Nur leider hat sie wohl bessere Augen, denn sie rennt zielstrebig zu ihm und hat den Jungen noch vor mir entdeckt. Was soll ich auch tun? Zu Marius gehen und mit ihm reden? Als ob er sich jemals dazu herablassen würde! Ich wette, er weiß noch nicht mal, dass ich existiere. Mit den Jungs aus unserer Klasse, gibt er sich jedenfalls nicht gerne ab. Meistens hängt er doch eher mit den älteren Jungs aus den oberen Jahrgangsstufen herum. Ich wünschte, er würde nur einmal mit mir reden, wobei ich wahrscheinlich nicht mal ein Wort herauskriegen würde, sobald er vor mir steht. Seufzend sehe ich zu ihm und mit brodelnder Eifersucht bemerke ich, wie Lisa sich an seinen Arm hängt und ihm irgendetwas belangloses erzählt. Blöde Göre, als ob es ihn interessieren würde, was du da laberst! Grummelnd sehe ich auf meinen Skizzenblock und spiele Hangman mit Lisa. Nach drei gehängten Strichmännchen, die alle Lisa heißen, belasse ich es dabei. Ich stehe auf und schlurfe quer über den Schulhof zum Eingang, den Block unter meinen Arm geklemmt und versuche die blöden Sprüche der Umstehenden Schüler zu ignorieren. „Hey, Romeo! Wo ist Julia?“ „Wann stirbst du endlich?“ „Dich braucht hier eh keiner! Kehr zurück auf deinen Planeten!“ Man könnte meinen ich bin von hirnlosen Idioten umgeben. Mal ehrlich, wie alt sind die? Kommen die gerade aus dem Kindergarten oder der Grundschule? Die sollen in ein paar Jahren ihre Ausbildung machen und arbeiten gehen? Ich sehe schwarz für die Zukunft. Wer will solche Trottel freiwillig als Kollegen haben? Noch trauriger ist es, dass sie scheinbar nichts besseres zu tun haben als mich aufzuziehen. Sie schaffen es ja noch nicht mal! Jedes Mal laufe ich an ihnen vorbei, stelle meinen Ohren taub und ignoriere sie. Die merken das nicht mal, so dumm sind die. Schadenfroh gehe ich ins Gebäude und als die Tür hinter mir zufällt genieße ich die Stille. Der Schock des Tages lässt allerdings nicht lange auf sich warten. Gerade als ich im Flur um die Ecke gehe und zu meiner Klasse schleiche, weil wir vor dem Klingeln eigentlich noch nicht ins Gebäude dürfen, pralle ich in jemanden hinein. Irritiert sehe ich auf und im nächsten Moment spüre ich die aufsteigende Hitze in meinem Gesicht. Als würde ich ein Alien sehen, starre ich meinem Schwarm in die Augen und vergesse alles um mich herum. Bestimmt wüsste ich in diesem Moment nicht mal wie ich heiße, würde er mich danach fragen. Seine blauen Augen wirken so unergründlich wie sein Blick und Marius lila gefärbte und leicht gelockten Haare, die eigentlich schwarz sind, schimmern wunderbar im Licht. Marius sieht mich einfach nur an, sagt kein Wort, sondern geht an mir vorbei. Ich starre ins Leere und könnte vor Freude heulen, dass er mir nur ein einziges Mal direkt in die Augen gesehen hat. Diesen Moment werde ich für den Rest meines Lebens nicht mehr vergessen. Er hat sich regelrecht in meine Netzhaut eingebrannt. Zu meiner Schande und Freude zugleich, streift mich sein Arm und so fällt mir der Block aus der Hand. Achtlos fällt er zu Boden und sofort bückt sich Marius danach und sieht meine Kunstwerke. Nicht etwa die von den Schmetterlingen, sondern meine Lisa-Galgenmännchen. Marius zieht die Augenbrauen hoch und schaut vom Block zu mir. Am liebsten würde ich sofort im Erdboden versinken, aber dieser Augenblick bleibt mir leider nicht erspart. „Das ist doch krank!“ Er drückt mir den Block in die Hand und lässt mich einfach stehen. Ich beiße mir auf die Unterlippe und sehe auf Marius breiten Rücken. Ich habe es vermasselt. Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass er mich wahrnimmt und jetzt denkt er bestimmt ich bin nicht ganz richtig im Kopf und laufe demnächst sicher noch Amok. Ganz toll, ausgerechnet die Person, die ich nicht leiden kann, hat mich in so ein Dilemma gebracht und das ohne es zu wissen. Wie komme ich da nur wieder raus und wie zum Teufel kann ich mein Image wieder herstellen? Ich lehne mich mit dem Kopf gegen die Wand und wäre es nicht so schmerzhaft, würde ich ihn bestimmt mehrmals dagegen knallen. Ich bin so blöd. Wieso habe ich das nicht kommen sehen? Es klingelt und als die ersten Schüler ins Gebäude strömen und durch die Flure laufen, gehe ich zu meiner Klasse, lehne mich neben die Tür und warte bis meine Klassenkameraden eintrudeln und unsere Lehrerin uns in den Raum lässt. Die ersten Schüler verschwinden in der Klasse und als mein Blick auf Marius fällt schnürt es mir die Kehle zu, als er mich komplett ignoriert. Ausgerechnet die Person, die ich als einzige an dieser Schule mag, hat meine hässliche Seite entdeckt. Normalerweise wünsche ich den Leuten um mich herum nicht sofort den Tod, auch wenn ich sie manchmal wirklich verfluche, aber bei Lisa ist das etwas anderes. Sie lebt genau das Leben, das ich mir wünsche. Ich will auch frei heraus sagen können, wen ich gerne habe und in der Nähe dieser Person sein. Sie kann all das, aber ich nicht, weil ich mich nicht mal traue, mich an der Schule zu outen. Ich kann meine Gefühle nicht ausleben. Ich kann Marius nur im Geheimen lieben, weil er wahrscheinlich ohnehin niemals meine Gefühle erwidern würde. Manchmal wünschte ich, ich könnte nur einen Tag mit Lisa tauschen, in ihren Körper schlüpfen und Marius nahe sein. Ein einziger Tag würde mir schon reichen. Ich lasse mich auf meinen Platz sinken und starre zu ihr, wie sie ihre langen braunen Haare zusammenbindet und immer wieder schmachtende Blicke zu Marius wirft, nur um im nächsten Moment mit ihren Freundinnen über irgendwelchen Kram zu flüstern. „Diese Woche beginnen wir ein neues Projekt. Ich möchte, dass ihr euch zu einer Gruppe von fünf Leuten zusammen tut und eine Fotostory kreiert!“, meint unsere Lehrerin. „So eine wie in den Magazinen?“ „Dürfen wir die Computer benutzen?“ „Ich habe keine Kamera!“ „Findet euch erst mal in Gruppen zusammen! Den Rest klären wir danach!“ Sofort rufen alle wild durch die Klasse und gruppieren sich. Ich bleibe auf meinem Platz sitzen. Es ist wie beim Sportunterricht, wo ich immer zuletzt gewählt werde. Keiner will mich dabei haben. Es ist doch immer wieder dasselbe. Mein Blick fällt auf Marius, der mit verschränkten Armen auf seinem Platz sitzt und schlecht gelaunt vor sich hinstarrt. Scheinbar hat er keine Lust auf das Projekt. Ich würde ihn zu gerne fragen, aber ich wage es einfach nicht ihn anzusprechen. „Hey, Romeo! Dein Vater hat doch ein Fotostudio oder nicht?“ Ich sehe auf und starre genau in Vincents Gesicht. Seine schwarzen Haare hat er stylisch hochgekämmt, während es an den Seiten kurz rasiert ist. Er stützt sich mit der Hand an meinem Tisch ab und schaut mich abwartend an. Zögernd nicke ich und blicke in seine dunklen Augen. „Seht ihr? Ich habe es doch gesagt! Der Nerd ist in unserer Gruppe!“, ruft er einigen anderen Schülern zu. Ich sehe an Vincent vorbei und bemerke, dass Lisa in der Gruppe ist. „Auf keinen Fall! Den will ich nicht dabei haben!“, meckert sie und sieht mich angepisst an. „Aber mit seiner Hilfe können wir gute Fotos machen!“, meint Vincent und duldet keinen Widerspruch. „Wer ist denn noch dabei?“, frage ich ihn. Er zeigt an mir vorbei und deutet auf Marius. Als ich zu ihm sehe, klopft mein Herz wie wild. Ist das sein ernst? Ich soll mit Marius an einem Projekt arbeiten? „U-und wer noch?“, stammele ich und räuspere mich hastig. „Der Emo, der mit keinem spricht!“, meint Vincent lachend und gesellt sich zu einer anderen Gruppe. Ich schaue zum letzten Fensterplatz an dem Leander sitzt. Er ist eigentlich kein richtiger Emo. Er hat sich nur die typische Frisur abgeguckt, die zurzeit so angesagt ist und trägt einen weißen Kapuzenpullover und enge schwarze Jeans. Ich habe noch nie ein Wort mit ihm gewechselt, aber er scheint nett zu sein. Dank der Idioten um mich herum, habe ich mich nie getraut mich mit ihm anzufreunden, weil ich Angst habe, dass sie ihn dann auch schikanieren würden. „Das ist also unsere Gruppe...“, murmele ich. Ganz toll. Mit Vincent, Lisa und Marius werden wir wahrscheinlich nicht sehr weit mit dem Projekt kommen. Bestimmt belegen wir damit den letzten Preis, sofern es noch zum Wettbewerb ausartet. „Sofern alle in einer Gruppe sind, lest euch diesen Zettel durch. Ihr bekommt von der Schule ein paar Kameras gestellt, geht bitte sorgsam damit um! Wenn etwas zu schaden kommt, meldet es.“, meint meine Lehrerin und verteilt die Zettel in den ersten Reihen, die nach hinten durchgereicht werden. Ich starre deprimiert auf meinen Zettel. Das wird so was von in die Hose gehen! „In der nächsten Stunden beginnen wir mit der Planung, also setzt euch zusammen und überlegt euch, wie ihr vorgehen wollt und natürlich braucht ihr eine Story für die Fotogeschichte!“ Seufzend lasse ich den Kopf hängen. Ob man auch austreten kann? Oder ob ich vielleicht alles alleine machen darf? „Romeo, schwing deinen Arsch hier rüber!“, brüllt Vincent durch die ganze Klasse. Die anderen Schüler tuscheln und kichern verhalten. Miesepetrig sehe ich zu ihm und knabbere auf meiner Unterlippe. Während sich alle zusammensetzen und die Tische herumschieben, kralle ich mir meinen Stuhl und schleppe ihn zu Vincents Tisch. Der grinst breit und wartet bis alle Platz genommen haben. Hält er sich etwa schon für unseren Anführer oder was? „Also ich bin ja für eine Liebesgeschichte!“, meint Lisa entschlossen und erhält allgemeines Stöhnen. „Was denn?!“, fragt sie empört. „Lass mich raten! In den Hauptrollen du und Marius!“, meint Vincent lachend. Er schlägt mit der Hand auf den Tisch. „Besser! Romeo und Julia! Lisa ist die Julia!“ Gequält sehe ich Vincent an. Auf keinen Fall will ich dieses dämliche Stück nachspielen. „Wir könnten es aufpeppen!“, schlägt Vincent vor. „Niemals! Ich will Romeo nicht küssen!“, meint Lisa hysterisch, als hätte ich eine ansteckende Krankheit. „Der kann bestimmt nicht mal küssen!“ Schlagartig werde ich rot, zumindest fühlt es sich so an. So zwischen Marius und Leander sitzen zu müssen und das anzuhören, ist doch ein wenig zu viel für mich. Wie kann ich dieser Tortour nur entkommen? „Habt ihr bessere Vorschläge?“, fragt Vincent. Lisa wirft böse Blicke in die Runde, während wir anderen nur schweigen und unsere Blicke durch die Klasse schweifen lassen. „Und wie wäre es mit einer Actionstory? Ich meine, da kann man zur Not immer noch eine Liebesgeschichte einbauen...“, schlage ich vage vor. Alle starren mich an. Sie scheinen weder begeistert noch abgeneigt zu sein. „Finde ich okay.“ Ich sehe zu meiner Linken und blicke Marius erstaunt an. Am liebsten würde ich ihm um den Hals fallen. Nach meinem Fauxpas hätte ich nicht gedacht, dass er mir jemals zustimmen würde. So langsam scheint der Tag wieder bergauf zu gehen. „Hat irgendwie immer noch was von Romeo und Julia. Ich meine, die haben doch auch gekämpft oder nicht? So ein Degenduell oder so ist bestimmt machbar!“ Oder auch nicht... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)