Romeo von Shunya (Balkonien und Schulhofromanzen) ================================================================================ Kapitel 3: Geständnisse ----------------------- Stocksteif sitze ich auf meinem Bett und erwidere Leanders Blick. Woher weiß er davon? Ich meine, ist es wirklich so dermaßen offensichtlich, dass ich auf Marius abfahre? „Bist du schwul?“, fragt Leander. Mir wird ganz komisch zumute. Am liebsten würde ich ihn jetzt einfach aus meinem Zimmer werfen. Leander beugt sich näher zu mir vor. „Du sagst ja gar nichts. Stimmt es also?“ Ich presse meine Lippen aufeinander. „Das habe ich niemals behauptet! Natürlich nicht und ich stehe auch nicht auf Marius! Er ist immerhin ein Kerl!“ „Ist es dir peinlich?“, fragt Leander mich und lächelt. „Ich mag es, wenn du so verlegen bist.“ Irritiert sehe ich zu ihm und wenn mein Herz nicht bald aufhört so wild zu klopfen kollabiere ich noch! Was soll das denn jetzt wieder heißen? Er mag es, wenn ich verlegen bin? Wie kann man so etwas mögen? Es sei denn... „Stehst du auf Männer?“, frage ich Leander und sehe ihn mit großen Augen an. Er erwidert meinen Blick, beugt sich auf einmal unerwartet vor und küsst mich. Ich blinzele ein paar Mal mit den Augen, spüre seine vom Eis kalten Lippen auf meinem Mund und bin unfähig auch nur irgendetwas zu tun. Leander zieht sich wieder zurück und sieht mich mit schief gelegtem Kopf an. „Ist das Antwort genug?“ Mir wird auf einmal ganz heiß, als hätte ich Fieber. Mein Mund ist ganz trocken und ich bringe kein Wort heraus. Wieso wusste ich das nicht? Wie schafft Leander es so gut seine sexuelle Orientierung zu verbergen? Moment, dass heißt ja, dass er sich ebenfalls noch nicht geoutet hat! Ich habe einen Verbündeten! „Stehst du auf mich?“, frage ich ihn unsicher. Leander steckt sich einen Lolli in den Mund und grinst. „Irgendwie schon.“ „Ich mag Marius...“, gestehe ich ihm zögernd. „Aber ich glaube, er hält nicht viel von mir, außerdem wird er immer von Lisa belagert. Da habe ich keine große Chance.“ „Willst du mit mir gehen?“, fragt Leander frei heraus und leckt an seinem Lolli. Er beugt sich zu mir und stützt sich mit der Hand auf der Matratze ab. Ich weiche seinem Blick aus und fühle mich ein wenig überfordert. Ich habe gerade erst herausgefunden, dass Leander auch auf Männer steht und schon will er mich als festen Freund haben? Die beste Partie bin ich ja nicht gerade, denke ich zumindest. Ich spüre Leanders Atem und als ich den Kopf anhebe berühren sich unsere Lippen. Ich kneife die Augen zusammen und traue mich kaum den Kuss zu erwidern. Leanders Lippen drücken sich gegen meine und ich habe keinen Schimmer, was ich jetzt tun soll. Das ist immerhin mein erster Kuss. Ich presse meine Lippen ein wenig fester gegen Leanders und habe das Gefühl als wäre mein Kopf rot wie eine Tomate. Leanders feuchte Zunge stupst gegen meine Lippen, schiebt sich dazwischen und sucht sich ihren Weg in meine Mundhöhle. Es ist ungewohnt und erstarrt spüre ich diesen Fremdkörper in meinem Mund, der so herrlich nach Erdbeere schmeckt. Leander greift nach meinen Schultern und drückt meinen angespannten Körper ins Bett. Er legt sich an meine Seite und greift mit seinen Fingern in meine Haare. Als sich Leanders rechte Hand allerdings unter mein Shirt schiebt, packe ich ihn am Handgelenk und hindere den Jungen daran. Leanders Körper legt sich auf meinen, während er mich küsst und als ich seinen Oberschenkel an meinem Schritt spüre, wird es mir doch ein wenig zu brenzlig. Ich ziehe meinen Kopf zur Seite, unterbreche den Kuss und schnappe nach Luft. Im Fernsehen sieht das immer so einfach aus, aber wie zum Teufel schaffen die Leute es, dabei nicht zu ersticken? Ich sehe zu Leander auf, der sich über den Mund leckt und sich wieder den Lolli in den Mund schiebt. Meine Lippen fühlen sich noch ganz feucht vom Kuss an und mein Kopf ist leer. Leanders Leib ist schwer und sein Bein zwischen meinen lässt meinen Körper definitiv nicht kalt. „Kannst du von mir runter gehen?“, bitte ich ihn und setze mich auf. Ach du scheiße! Mein erster Kuss und der war nicht mal mit Marius, so wie ich es mir eigentlich immer gewünscht habe. Wie kann das so schnell und so einfach passieren? In meinem Zimmer, wo eben noch alle anderen gesessen haben, über meinem Müllberg, der unter meinem Bett steckt und ausgerechnet mit Leander, mit dem ich gerade mal ein paar Sätze gesprochen habe! Irgendwie läuft das total falsch und so gar nicht wie ich es mir immer erhofft habe. Ich wische mir mit dem Handrücken über den Mund und sehe über die Schulter hinweg zu Leander. „Das war nicht dein erster Kuss oder?“, frage ich ihn mit belegter Stimme, aus der meine Enttäuschung deutlich herauszuhören ist. „Nein, ist doch auch egal.“ Super! Er hat sich noch nicht mal geoutet, aber bereits mehr Erfahrungen gesammelt als ich! Wie soll ich das denn noch toppen? „Bist du noch Jungfrau?“, frage ich ihn. „Nein.“ Deprimiert lasse ich meinen Kopf hängen. Der Kerl ist in meinem Alter und hat alles schon durch, von A-Z. Das gibt’s doch nicht. Bin ich denn der einzige, der auf der Strecke bleibt?! Ich setze mich im Schneidersitz hin und beuge mich vor. „Erzähl!“, fordere ich Leander auf. „Was soll ich erzählen?“, fragt er und lutscht an seinem Lolli. Die ganze Zeit muss ich auf seine Zunge starren, die noch eben in meinem Mund gewesen ist. „Mit wem du deinen ersten Kuss und Sex gehabt hast!“ Leander zieht eine Schnute und schiebt mir seinen Lolli zwischen die Lippen. Überrascht öffne ich den Mund, während Leander damit in meinem Mund herumspielt, als wäre er ein Zahnarzt. „Meinen ersten Kuss hatte ich letztes Jahr. Der Freund von meinem Bruder ist schwul und wesentlich älter als ich. Er war früher da und dann haben wir zusammen auf meinen Bruder gewartet und dann hat er mich einfach geküsst. Später kam eines zum anderen. Anfangs waren es nur harmlose Küsse, bis ich mal sturmfreie Bude hatte. Tja, keiner war da und er hatte seinen Spaß mit mir. Danach hat er sich nicht mehr blicken lassen, zumindest nicht bei mir.“ „Was für ein Arsch!“, entfährt es mir aufgebracht. „Ich mag dich, seit ich Anfang des Schuljahres in deine Klasse gewechselt bin.“ „Aber du hast nie mit mir geredet.“ Schmollend sehe ich Leander an und kann es eigentlich immer noch nicht richtig realisieren, dass er was von mir will. Im Grunde genommen will ich ja auch nichts von ihm. „Ich dachte, du bist lieber für dich allein. Seit wann stehst du auf Marius?“, erwidert Leander und zieht mir den Lolli aus dem Mund. „Schon ewig...“ „Und da hast du es nie in Erwägung gezogen, dich mal anderweitig umzusehen. Wenigstens um mal ein bisschen Spaß zu haben?“, fragt Leander mich verblüfft. „Als ob das so einfach wäre!“, murre ich pampig. Homosexuelle gibt es hier nun mal nicht wie Sand am Meer. Wo soll ich da jemanden kennenlernen? Es ist ja schon ein Wunder, dass ich herausgefunden habe, dass Leander nicht nur auf Männer steht, sondern auch noch auf mich. „Was hältst du denn davon, wenn wir einfach Sexfreunde werden?“, schlägt Leander vor und setzt sich im Bett auf. Irritiert sehe ich ihn an. Meint er das im Ernst? Ich knabbere nachdenklich auf meiner Unterlippe und mustere Leander. Ich bin schon neugierig darauf meinen Körper mit jemand anderem zu erkunden und wer weiß, ob ich überhaupt jemals die Chance habe Marius näher zu kommen? Wenn das Projekt vorbei ist, wird er wohl kaum noch mal in meine Nähe kommen, geschweige denn mit mir sprechen. Ich bringe es wahrscheinlich in hundert Jahren nicht fertig ohne zu stottern mit ihm zu sprechen oder ihm meine Liebe zu gestehen. „Ich gehe heim. Kannst es dir ja mal überlegen.“ Leander steht vom Bett auf, klopft mir kurz auf die Schulter und verlässt mein Zimmer. Sekunden später höre ich unten im Laden die Türglocke. Eilig stehe ich vom Bett auf und renne quer durch mein Zimmer zum Fenster. Ich schaue hinaus und sehe gerade noch wie Leander um die Ecke verschwindet. „Scheiße...“, murmele ich und sinke kopfschüttelnd in die Knie. Andächtig fahre ich mit meinen Fingern über meine Lippen. Mein erster Kuss mit Zunge. „Wie es wohl mit Marius wäre...?“ „Stehen bleiben oder ich schieße!“ Genervt sehe ich zu Vincent auf, der munter mit seinen alten Spielzeugwaffen durch mein Zimmer ballert und mächtig Spaß dabei hat. Ich sitze neben Leander auf dem Bett, während er grob die Handlung in meinem Block aufschreibt, die wir uns ausgedacht haben. Sehnsüchtig warte ich auf Marius, der noch unbedingt draußen rauchen wollte. Wo Lisa ist, ist ja offensichtlich. Diese Eifersucht tut mir echt nicht gut. Alles in mich reinzufressen... Irgendwann kommt das bestimmt raus, wie ein ausbrechender Vulkan und dann sitze ich mächtig in der Scheiße. Seufzend blicke ich über Leanders Schulter und schaue auf den Block. „Schreib nicht so klein! Das kann doch kein Mensch lesen!“ „So schreibe ich immer!“, meint Leander und sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an. Ich schaue ihm in sein Gesicht, das meinem so nahe ist und schlucke heftig, als mir der Kuss von gestern wieder in den Sinn kommt. Zum Glück kommen genau in dem Moment Marius und Lisa ins Zimmer. „Wieso müssen wir eigentlich hier sein, wenn Leander und der da alles machen? Das ist doch pure Zeitverschwendung!“, meckert Lisa und schaut Vincent böse an, als dieser mit der Waffe auf sie zielt. Mein Blick bleibt auf Marius haften, als wäre er ein strahlender Ritter, der in mein Zimmer kommt und einfach nur perfekt aussieht. „Okay, ich bin fertig. Wie schaut es eigentlich mit der Kamera aus?“, fragt Leander und reicht mir den Block. „Wir dürfen eine benutzen, aber wir müssen damit vorsichtig sein!“, erzähle ich und stehe auf. Den Block lege ich auf das Bett und laufe zu meinem Schreibtisch auf dem eine Tasche steht. Ich öffne sie und hole die Kamera meines Vaters heraus. „Die hier braucht er nicht so oft, also können wir sie benutzen.“ Marius kommt auf mich zu und nimmt mir die Kamera einfach aus der Hand. Eingehend besieht er sie sich, während ich stumm seine Nähe genieße. „Marius, mach ein Foto von mir!“, meint Lisa und stellt sich in Pose. Marius ignoriert sie und hält die Kamera hoch, als er den Auslöser betätigt, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Hat er mich gerade fotografiert? „Ist da schon ein Film drin?“, murmelt er und zieht die Augenbrauen hoch „Äh, ja...“, murmele ich und nehme ihm die Kamera aus der Hand, während ich rot anlaufe. „Das ist eine ältere Kamera, wir können die Bilder also nicht einfach so löschen.“ „Aha...“ Marius wendet den Blick ab und sieht zu Lisa, die sich schmollend auf mein Bett gesetzt hat. Bin ich froh, dass mir ein Fotoshooting mit Lisa erspart bleibt. Ich verstaue die Kamera sorgfältig in der Tasche und spüre den Lauf von Vincents Pistole an meinem Hinterkopf. „Hasta la Vista, Baby!“ Ich drehe mich mit verzogenem Mund zu Vincent um, der frech grinst und reiße ihm die Waffe aus der Hand. „Genug gespielt!“ „Nein, tu' mir das nicht an! Ich entdecke verlorene Seiten an mir!“, jammert Vincent lachend, hängt sich wie ein Kleinkind an mich und versucht die Pistole an sich zu reißen, während ich versuche sie außer Reichweite zu bringen. Lächelnd halte ich sie hinter meinen Rücken und genieße diese kurze Kabbelei. So herumgealbert habe ich schon lange nicht mehr und da ich keine Geschwister habe, macht es umso mehr Spaß. Wer weiß, wie oft ich noch Gelegenheit dazu habe? „Wo gehen wir denn zuerst hin?“, fragt Lisa und steht vom Bett auf. „Können wir zuerst die Liebesgeschichte machen?“, bettelt sie aufgeregt. „Was? Es ist aber leichter, wenn wir uns an die Geschichte halten, außerdem müssen wir dann die ganzen Fotos sortieren...“, murrt Leander. „Hier in der Nähe gibt es einen Hügel, da können wir im Sonnenuntergang eine super Kussszene machen!“, erwidert Lisa aufgeregt. Mir wird ganz schlecht bei dem Gedanken, Marius und Lisa küssen sehen zu müssen, außerdem scheinen die anderen drei Jungs im Raum genauso wenig Gefallen daran zu finden. Vincent schmeißt sich auf das Bett und greift nach dem Block. Er liest sich alles durch und seufzt. „Ich würde ja am liebsten die Actionszenen machen!“ Er sieht sehnsüchtig zu seiner Spielzeugpistole, die ich konfisziert habe und seufzt erneut deprimiert. Und mal wieder stehen wir ratlos in der Gegend herum, weil wir keine Ahnung haben, was wir machen sollen. Ich setze mich auf meinen Drehstuhl und schiele zu Marius, der sich gelangweilt ein paar meiner Magazine ansieht. „Wenn ihr keine Ideen habt, machen wir die Liebesgeschichte!“, fordert Lisa und steht entschlossen auf. „Sonst kommen wir heute zu gar nichts mehr!“ Ich lasse den Kopf hängen. Heute meint es jemand scheinbar wirklich nicht gut mit mir und will mich auch noch mit einer Kussszene foltern. Wieder linse ich zu Marius, der sein Gesicht angewidert verzieht und bestimmt am liebsten das Weite suchen würde. Ich kann ihn gut verstehen. Lisa würde ich auch nicht küssen wollen. Die Jungs stehen auf und notgedrungen tue ich es ebenfalls, ziehe mir die Schlaufe der Kameratasche über die Schulter und folge den anderen aus meinem Zimmer, durch den Fotoladen und hinaus auf die Straße. In kurzer Zeit könnte es wirklich einen atemberaubenden Sonnenuntergang geben, aber den würde ich am liebsten alleine mit Marius erleben und nicht mit seinem Anhängsel und zwei weiteren Jungs. Wir setzen uns in Bewegung und marschieren zu besagtem Hügel. Eigentlich sollte dort mal ein Haus gebaut werden, aber daraus ist irgendwie nie was geworden. Der Sandhügel ist geblieben und setzt inzwischen fleißig Gras an. Wir klettern ihn hinauf und lustlos lasse ich den Blick über die Umgebung schweifen. Die Fotos werden grottig, dass weiß ich jetzt schon. Zum Glück kenne ich mich ein wenig mit Fotografie aus, weil ich so oft im Laden ausgeholfen habe. „Wir haben nicht mal die Texte geschrieben!“, fällt Vincent erstaunt auf. „Ich dachte, wir improvisieren einfach.“ Leander zuckt mit den Schultern und stellt sich neben mich. „Überlebst du das?“, fragt er mich leise. Lächelnd sehe ich zu ihm. „Wenn ich beim Kuss hintenüber kippe, fang mich bloß auf!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)