Romeo von Shunya (Balkonien und Schulhofromanzen) ================================================================================ Kapitel 4: Begehren ------------------- Marius steht vor mir, sieht mich mit seinen intensiven blauen Augen direkt an, so dass mein Kopf wie leer gefegt ist und ich spüre wie es in meinem Körper kribbelt und mir ganz heiß wird. Er beugt sich langsam zu mir herunter, greift nach meiner Schulter, hebt mein Kinn an und schließt seine Augen, während unsere Lippen nur noch Zentimeter voneinander entfernt sind, sich endlich treffen und berühren. Anfangs etwas zurückhaltend, bis wir beide mehr wollen und unsere Zungen ihr neckisches Spiel miteinander treiben, während sein Körper sich eng an meinen Leib presst, seine Hände über meinen Rücken und durch meine Haare streichen und ich ihn am liebsten nie wieder loslassen möchte. Ja, genauso stelle ich mir vor, wie es sein könnte Marius zu küssen, während ich durch die Linse der Kamera schaue und verbittert zusehen muss, wie Marius gleich Lisa küssen wird. Sie hat extra noch mehr Lippenstift aufgetragen, als ob es das besser machen würde! Grummelnd stehe ich auf dem Hügel, sehe durch die Linse einen wunderschönen Sonnenuntergang und bin versucht, lediglich Marius abzulichten. Allerdings käme das dann doch sehr komisch, vor allem, wenn die anderen das Bild ebenfalls sehen wollen. Die dummen Fragen will ich mir dann doch lieber ersparen. Marius wirkt auch nicht sehr erfreut und sieht aus als würde er am liebsten abhauen. Na ja, wir zwingen ihn ja praktisch dazu, obwohl ich hätte auch nichts dagegen, wenn er Lisa nicht küssen würde. „Wird das heute noch was?“, fragt Vincent genervt und tritt von einem Bein aufs andere. Gelangweilt steht er am Rand und ich kann es ihm nicht verübeln. Ich bin auch froh, wenn wir es so schnell wie möglich hinter uns gebracht haben. „Romeo, hast du es dir eigentlich schon überlegt?“, flüstert Leander mir ins Ohr. Ich zucke zusammen und sehe zu ihm. Verlegen schüttele ich den Kopf. Wieso muss er das ausgerechnet jetzt und hier aussprechen? Merkt er denn nicht, dass es mir unangenehm ist? Ich schaue wieder durch die Kamera und mache ein paar Fotos, bevor die Kussszene dran ist und um mich von Leanders Vorschlag abzulenken. Marius und Lisa stehen dicht voreinander und es sieht leider sehr romantisch aus. Ich verziehe meinen Mund und mache die Fotos, während die beiden sich küssen. Lisa voller Hingabe, Marius eher verhalten. Bilde ich mir das nur ein oder wirkt er verkrampft? „Okay, genug! Das reicht!“, meckert er und schubst Lisa von sich. Er wischt sich mit dem Handrücken über den Mund und sieht ärgerlich in unsere Richtung, ehe er den Hügel herunter läuft. „Hey! Mach mir Abzüge davon, klar?“, ruft Lisa mir auffordernd zu und rennt Marius hinterher. Ich sehe den beiden nach und fühle mich irgendwie komisch. Es ist kein gutes Gefühl, dass Objekt seiner Begierde mit jemand anderem so intim sehen zu müssen. Ich sehe auf die Kamera in meinen Händen herunter. So viele Bilder mit Marius. Ob es auffällt, wenn ich eines verschwinden lasse? Meine Bildersammlung von Marius ist ziemlich groß. Jedes Mal, wenn ich das Gefühl habe, nicht beobachtet zu werden, fotografiere ich ihn heimlich mit dem Handy. Er würde mich deswegen bestimmt einen Kopf kürzer machen, aber nur so ist es mir möglich ihn jeden Tag zu sehen, wenn auch auf Fotos. Dem Original werde ich mich wohl niemals annähern können. Deprimiert sehe ich zu Leander, der Vincent den Hügel herunter begleitet und kurz zu mir zurück sieht. „Kommst du, Romeo?“ Ich nicke und verstaue die Kamera in der Tasche, laufe los und rutsche auf einmal ein Stück zur Seite, als ich mit dem Fuß eine lockere Stelle berühre und der Boden unter mir weg sackt. Mein Körper sinkt abrupt herunter, unfähig mich irgendwo festzuhalten stürze ich in die Tiefe, finde keinen Halt mit den Füßen und pralle mit der Schulter schmerzhaft auf dem Boden auf. Ich spüre, wie meine Hand unter meinem Körper eingeklemmt wird, während ich kurz darauf den Hügel herunterrolle und unsanft unten am Boden liegen bleibe. Erschrocken und benommen sehe ich hinauf in den Abendhimmel. Mein Herz klopft mir heftig bis zum Hals und einen Moment lang bekomme ich keine Luft. Ich ringe nach Atem und will mich aufsetzen, als Vincent mich zurück auf den Boden drückt. „Bleib liegen! Scheiße, ging das schnell!“, meint er und sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an. Ich kann die Sorge in seinem Blick erkennen und auch Leander hockt sich beklommen neben mich. „Mir geht’s gut, glaube ich...“ Im nächsten Moment spüre ich einen stechenden Schmerz in meinem Handgelenk. Ich kneife stöhnend die Augen zusammen und versuche den Schmerz zu ignorieren. „Was hast du?“, fragt Leander mich besorgt. „Meine Hand tut weh...“, jammere ich und beiße die Zähne zusammen. „Aber sonst ist alles gut oder? Ich meine, dein Kopf hat nichts abbekommen?“, fragt Vincent und tastet mein Handgelenk vorsichtig ab. Jammernd versuche ich mich ihm zu entziehen. „Du musst zum Arzt!“ „Bleib lieber noch eine Weile liegen.“ Leander mustert mich prüfend. „Sollen wir einen Krankenwagen rufen?“, fragt er Vincent, der jedoch nur mit den Schultern zuckt. „Ich habe keine Ahnung...“ Langsam setze ich mich auf. Mein Rücken tut weh, aber es ist nicht so schlimm, wie mein Handgelenk und meine Schulter schmerzt ein wenig. „Nach Hause schaffe ich es schon und dann lege ich mich ins Bett. Ich gehe morgen zum Arzt.“ Vincent schüttelt heftig den Kopf. „Auf keinen Fall! Was ist, wenn deine Hand anschwillt? Geh lieber jetzt zum Arzt! Wir bringen dich auch hin!“, meint er entschieden und duldet keinen Widerspruch. Ergeben nicke ich langsam mit dem Kopf und versuche aufzustehen, wobei mir die beiden Jungs zum Glück helfen. „Komm her, ich trage dich!“, meint Leander und geht vor mir in die Hocke. Stirnrunzelnd sehe ich auf ihn nieder, ehe ich einen verstohlenen Blick zu Vincent werfe. „Okay...“ Zögernd lasse ich mich auf Leanders breiten Rücken sinken. Er erhebt sich und sofort schlinge ich meine Arme um seinen Hals, auch wenn ich mich nicht allzu gut festhalten kann, da die Schmerzen doch stärker sind als ich es im ersten Moment angenommen habe. Leander bringt mich zu meinem Hausarzt, während Vincent sich auf die Suche nach Marius und Lisa macht, was mir irgendwie doch unangenehm ist, wenn die beiden wissen wie unachtsam ich gewesen bin. Von Lisa darf ich mir dann bestimmt wieder irgendwelche dummen Sprüche anhören. Vor der Arztpraxis setzt Leander mich ab. „Ich kann dich auch rein tragen!“, meint er großzügig.Ich schüttele heftig mit dem Kopf. „Nein, dass ist doch echt daneben und die paar Meter schaffe ich schon selber.“ Leander zuckt mit den Schultern, drückt auf den Summer und öffnet mir die Tür. Wir gehen zur Anmeldung und nachdem ich einen schier meterlangen Zettel ausgefüllt habe, von dem ich nur die Hälfte verstanden habe, dürfen wir eine halbe Ewigkeit warten. Endlich erscheint der Arzt und bittet mich ins Behandlungszimmer. Er verweist mich an einen Orthopäden und kurz darauf bin ich auch schon wieder entlassen. Etwas ratlos stehe ich mit Leander vor der Praxis. „Geht das mit dem Verband? Zum Glück scheint deine Schulter ja nur geprellt zu sein.“ Leander schaut mich besorgt an, woraufhin ich hastig nicke. „Geht schon.“ Langsam gehen wir zu mir nach Hause. Wie zum Teufel komme ich denn jetzt zu diesem Orthopäden? Vor meinem Haus warten unsere Teammitglieder und am liebsten würde ich mich jetzt irgendwo verkrümeln. „Wie schaut's aus?“, fragt Vincent und kommt uns entgegen. „Die Schulter ist geprellt und wegen der Hand soll ich zum Orthopäden, der soll sich dann auch meinen Rücken ansehen.“ „Kriegst du das denn hin? Ich meine, bist du nicht Linkshänder? Dann kannst du ja gar nicht mehr schreiben.“ Schief grinsend sehe ich auf meine Hand. In der Tat ist das echt beschissen, wenn man seine aktive Hand nicht benutzen kann. Wie soll ich da nur meinen Alltag regeln? Wobei, ich kann froh sein, dass nur eine Hand das Übel abbekommen hat und nicht beide. „Das klappt schon irgendwie...“, murmele ich und linse zu Marius, der etwas abseits steht und Löcher in die Luft starrt. Klar, wieso dachte ich auch, dass es ihn interessieren würde? Wir sind nur Teampartner was das Schulprojekt angeht. Wir sind nicht mal befreundet, leider. „Und wegen so einer Lappalie stehen wir uns die ganze Zeit die Beine in den Bauch?“, fragt Lisa mürrisch und sieht zu Marius. „Lass uns gehen! Das ist doch die reinste Zeitverschwendung!“ Marius wirft mir noch einen kurzen Blick zu, ehe er einfach mit Lisa das Feld räumt. Etwas enttäuscht sehe ich ihm hinterher. „Ich bleibe noch eine Weile bei ihm!“, meint Leander entschieden. Vincent nickt. „Wir sehen uns dann morgen! Bis dann!“ Er geht in die entgegen gesetzte Richtung und als nur noch ich und Leander zurück bleiben, krame ich in meiner Hosentasche nach den Schlüsseln und öffne die Haustür. Wir laufen nach oben in mein Zimmer, wo ich die Kameratasche abstelle und als Leander die Tür schließt, sehe ich ihn irritiert an. „Du kannst sie ruhig auflassen.“ Leander schüttelt den Kopf und kommt zu mir. Er sieht auf mich herunter und schaut mich abwartend an. Mir wird ein wenig mulmig zumute, aber als er sich zu mir herunterbeugt und mich küssen will, lasse ich es zu. Unsere Lippen berühren sich, suchen aneinander Halt und trennen sich sofort wieder voneinander. Leander zieht mich vorsichtig in seine Arme und küsst mich am Hals. Ich lehne mich mit der Stirn an seine Schulter und genieße seine Liebkosungen. Ich atme hörbar aus und kralle mich mit meiner intakten Hand in seinen Pullover. „Leander...“ „Soll ich aufhören?“, fragt er gegen meinen Hals. Ich schüttele mit dem Kopf. „Nein, mach weiter.“ Seine Hände verschwinden unter meinem Shirt, berühren meine Haut und als Leander vor mir auf die Knie sinkt und mein Shirt hochhebt, um meine Haut mit den Lippen zu berühren, werden meine Knie wieder erwarten weich. Ist schon ein irres Gefühl von jemand anderem als sich selbst angefasst zu werden. Leander lässt sich Zeit und erkundet ausgiebig meinen Oberkörper. „Kann ich mich setzen?“, unterbreche ich ihn zwar nur ungern, aber nach meinem Fall von vorhin, will ich es lieber langsam angehen lassen. Leander lässt von mir ab. Wir setzen uns auf mein Bett und ab da passiert irgendwie gar nichts mehr. Wieso ging es eben noch und auf einmal sind wir total verklemmt? Ich schaue Leander von der Seite an und lächele scheu. Leander presst die Lippen aufeinander und sieht mich direkt an. „Ich hatte vorhin echt schiss!“, gesteht er mir und zieht Grimassen, während er versucht seine Gedanken in Worte zu fassen. „Ich glaube, ich will wirklich was von dir, also mit dir zusammen sein und mehr...“ Ich schaue zu meinen Füßen auf den Boden. Wieso muss er das Thema schon wieder ansprechen? Reicht es nicht, wenn wir einfach nur so ein bisschen rumfummeln oder so? „Wir kennen uns doch im Grunde gar nicht. In der Schule haben wir uns nie unterhalten und jetzt... Das geht alles echt schnell.“ „Ich weiß, aber worauf willst du warten? Glaubst du wirklich, dass Marius irgendwann mit dir in die Kiste springt?“ Zu meinem Entsetzen laufe ich sofort rot an. „Ist das dein Ernst? Wach auf, Romeo! Die Realität sieht anders aus!“, meint Leander forsch. „Marius wird nicht von heute auf morgen auf Kerle stehen und schon gar nicht auf dich!“ Geknickt lasse ich den Kopf hängen. Als ob ich das nicht selbst wüsste. Ich bin doch nicht dumm, aber so ein wenig hoffen kann ich doch trotzdem oder etwa nicht? „Denkst du, du bist meine einzige Möglichkeit mit einem Mann zusammen zu sein?“, murre ich gekränkt. Du bekommst niemanden, schon gar nicht Marius, also nimm Leander! Das ist doch zum Kotzen! „Wir könnten es zumindest mal miteinander probieren und wenn es dir nicht gefällt, dann lassen wir es sein!“, schlägt Leander vor. „Aber du magst mich und ich will dich nicht verletzen.“ „Wir haben nur eine Sexfreundschaft inklusive Freundschaft, Romeo. Ich bin froh, wenn du überhaupt ein klein wenig Interesse an mir zeigst. Wenn mehr draus wird, würde es mich natürlich freuen, aber ich zwinge dich zu nichts.“ Prüfend sehe ich Leander an und zucke mit den Schultern. Er hat ja Recht. Ich und Marius? Den Traum kann nicht mal ich mir erfüllen. Wer hat schon Lust, wegen einer Person auf ewig Jungfrau zu bleiben? „Dann machen wir es so.“ Leander lächelt zufrieden und beugt sich zu mir, um mich zu küssen. Es ist nur ein flüchtiger Kuss. „Sag mir dann, wie es mit deinem Arm aussieht, okay?“ Ich nicke und sehe zu, wie er mein Zimmer verlässt. Super. Habe ich jetzt eine Beziehung mit einem Kerl, die lediglich auf Sex basiert und den ich kaum richtig kenne? Na ja, für den Anfang wird es wohl reichen, es sei denn ich verliebe mich doch noch in ihn. Romeo und Leander... Wenn das in der Schule heraus kommt, dass wir beide schwul und zusammen sind, kann ich gleich die Mafia auf Knien anflehen mich in den nächsten Fluss zu werfen. Wie Marius wohl darauf reagieren würde? Nein, das male ich mir lieber nicht aus und ich will es mir ganz sicher nicht vorstellen! Deprimiert sitze ich auf meinem Bett und versuche einen freien Kopf zu bekommen. Ich suche mein Handy aus der Hosentasche heraus und wähle die Nummer meines Vaters. „Paps? Ich hatte einen Unfall, kannst du herkommen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)