Blutige Rose von Moonprincess ================================================================================ Kapitel 15: Saat ---------------- Die nächsten Tage vergingen ruhig. Yugi hatte sich Atems Geschenk mit einer stabilen Schnur um den Hals gehängt. So konnte er es  immer bei sich tragen, ohne Aufsehen zu erregen. Langsam wich das Gefühl der Bedrohung von Rosenhain. Die Schüler lachten wieder  mehr und sprachen wieder verstärkt über ihre Pläne in der nächsten Zeit. Obwohl es erst November war, waren einige schon ganz  versessen auf Weihnachten und natürlich Neujahr. Auch Yugi fühlte sich besser, wenn er an die Ferien dachte, denn dann durfte er  heimfahren, das hatten seine Eltern ihm versprochen. Sollten sie es nicht zurückschaffen, würde Yugi eben alleine daheim sein und die  Feiertage bei Miho und Honda verbringen. Der Gedanke an das neue Jahr, den Neuanfang, ließ es einfacher erscheinen, daß die Gefahr  noch nicht durchgestanden war. Nach mehreren Tagen Schnee und Eisregen hatte es aufgeklart und heute strahlte die Sonne über dem Internat. Eiszapfen fingen an zu  tropfen und die Schneedecke bekam immer mehr Löcher, aus denen Gras und Erdboden wieder ans Tageslicht strebten. Der Schnee funkelte,  als hätte jemand winzig kleine Diamanten hineingemischt, im Licht. Yugi hockte mit Jonouchi hinter einer einer kleinen Wand aus Schnee und formte im Akkord Schneebälle. Sein Freund warf sie dafür und  Yugi konnte immer wieder Aufschreie von ihren Gegnern, zwei Jungen aus der Parallelklasse, hören. Yugi lachte atemlos und drückte  Jonouchi den nächsten Munitionsnachschub in die Hände.  "Wir ergeben uns!" ertönte es wenig später und Jonouchi sprang auf. "Yeah! Geschafft! Wir sind... Umpf!" Er torkelte zurück, Schnee rieselte  von seinem Gesicht. Yugi lachte. "Das ist ein alter Trick." "Ach ja?" Jonouchi grinste bedrohlich, dann schnappte er sich die nächsten Schneebälle. "Kommt raus, kämpft wie echte Männer! Haha!  Katsuya Jonouchi wird der Schneekönig, kniet vor mir nieder." Yugi sackte gegen die Schneefestung und hatte Mühe, nicht laut loszuprusten. Nach einer Weile ergaben sich ihre Gegner schließlich  wirklich und Yugi hatte Bauchweh. Noch immer kichernd stand er auf und klopfte den Schnee von seinem Skianzug. "Du freust dich jedenfalls  wie ein Schneekönig", meinte er bei Jonouchis breitem Grinsen. "Darauf kannste wetten, Yugi! Aber ohne meinen getreuen Waffenmeister hätte ich das nie geschafft." Er legte Yugi eine Hand auf die  Schulter. "Laß uns reingehen und in der Küche eine Heiße Schokolade schnorren." Yugi nickte lächelnd. Während sie zurück zum Wohnheim stapften, schoben sich graue Wolken langsam über den Himmel. "Das gute  Wetter ist wohl bald wieder vorbei", stellte Yugi seufzend fest. "Kann man nichts machen. Dann müssen wir eben wieder ein paar Spiele auspacken." Jonouchi hatte Gefallen daran gefunden, nachdem  das Training der Sportclubs nur eingeschränkt aufgrund des Wetters möglich gewesen war. "Atem hat uns bald sicher satt, wenn wir ständig sein Zimmer mit Beschlag belegen", meinte Yugi scherzhaft. Sein Zimmer war noch immer  nicht repariert, wußte der Geier, wieso es so lange dauerte, eine neue Tür zu setzen. Also saßen Yugi, Jonouchi, Emi und manchmal auch  Ryou und Bakura in Atems Zimmer, schließlich war es das größte, und spielten, was ihnen einfiel. Atem war kein Spielverderber, er machte  immer mit, doch Yugi fragte sich, ob sie ihm nicht langsam lästig wurden. Ryou und Bakura stritten sich ständig und Jonouchi grinste jedes  Mal zweideutig, wenn Yugi und Atem auch nur ein Wort miteinander sprachen. Nicht, daß es nicht schön war, daß Jonouchi so aufgeschlossen  war, aber er mußte nicht in jedem "Du bist dran." mehr sehen. In der Eingangshalle stand Schwester Kujaku vor einem Kerl in brauner Uniform und kritzelte stirnrunzelnd auf dessen Unterschriftengerät  herum. "Immer dieser neumodische Kram", murmelte sie, bevor sie dem Paketboten das Gerät zurückgab und dann das große Paket aufheben  wollte.  Jonouchi war sofort bei ihr und stemmte es grinsend hoch. "Wohin damit, Schwester?" Kujakus Lippen zuckten. "In meine Wohnung, du großer, starker Held."  Jonouchi nickte, dann fragte er: "Und das ist wo?" Sie lachte und machte eine winkende Geste. "Ich zeig es dir. Sei vorsichtig, das Ding ist schwer!" Darauf hätte auch Yugi getippt. Das Paket war quadratisch, breit und hoch. Äußerst unhandlich und so lief er vor Jonouchi und das Paket  und schob seine Arme zwischen die seines Freundes unter den Karton. "Ich helfe dir." "Ach, das hätte ich auch so geschafft", gab Jonouchi sich bescheiden... oder angeberisch. Das kam ganz auf den Blickwinkel an. Yugi  hingegen wollte den ahnungslosen Jounochi dann doch nicht alleine mit einem Vampir lassen, selbst wenn der Atems Schwester war.  Über diesen Punkt war Yugi sowieso noch nicht hinweg. Eine gewisse Ähnlichkeit war da, aber Mai Kujaku hatte so helle Haut... Yugi  fiel erneut auf, daß Atem der einzige dunkelhäutige Vampir war, den er bisher gesehen hatte. Hm, und Atem hatte auch als einziger goldene  Augen gehabt. Oder hatten Yugis eigene ihm einen Streich gespielt? Wie dem auch sei, Mai Kujaku sah er kaum mit den Jungen, schließlich  mußten sie so tun, als kannten sie sich nicht. Yugi hätte zu gerne gewußt, wie Atem und Mai Vampire geworden waren. Aber er traute sich  nicht so recht, die Frage zu stellen. Wenn keiner sich sein Schicksal ausgesucht hatte, konnte es nur schlimm gewesen sein. Yugi wurde aus seinen Gedanken gerissen als Mai verkündete, sie seien angekommen. Sie sperrte eine Tür auf und ließ die Jungen eintreten. "Wohin?" erkundigte Jonouchi sich, der dabei versuchte, seine Anstrengung zu überspielen.  "Ah, einfach hier auf den Boden. Ich packe es gleich aus. Danke für eure Hilfe, Jungs." Sie lächelte und zwinkerte ihnen zu. Jonouchi ließ fast das Paket los, während er Mai angrinste. Yugi stemmte sich ächzend dagegen und irgendwie schafften sie es, das Ding  abzustellen, ohne sich oder dem Paket etwas anzutun. "Puh!" Yugi richtete sich wieder auf. Jetzt war ihm wieder ordentlich warm. Kurz ließ er den Blick schweifen. Sie standen in Mais Wohnzimmer,  das mit den üblichen Möbeln, inklusive Fernseher, bestückt war. Eine kleine Figur auf einem Regal voller Krimskrams zog Yugis Blick auf sich.  Neugierig trat er einen Schritt näher und begutachtete die dunkle Keramikfigur, deren Farben langsam verblaßten. Eine Frau und ein Mann  saßen auf einer Bank, deren Fußteil mit Hieroglyphen beschrieben waren. Zu den Füßen des Ehepaars standen ein Junge und ein Mädchen.  Yugi hob die Augenbrauen, als er sah, daß beide Kinder, genauso wie der Mann, violette Augen hatten! Waren das etwa...? "He, Yugi! Hör auf, den Nippes anzustarren. Die Heiße Schokolade wartet nicht ewig." Der Angesprochene zuckte ertappt zusammen und drehte sich mit einem schiefen Lächeln um, um zu sehen, daß neben Jonouchi auch Mai  ihn ansah. Ihr Blick war bewölkt. "Entschuldigung. Mein Großvater war Ägyptologe und ich dachte... Entschuldigung." Yugi kratzte sich an der Wange und Mais Blick wurde sanfter. "Schon gut, du hast es ja nur mit den Augen betrachtet." Jonouchi und Yugi waren bereit zum Gehen, als es laut von nebenan rumpelte. Jonouchi blickte zur Schlafzimmertür und Yugi fühlte, wie ihm  das Blut aus dem Gesicht wich. Daran hatte er nicht mehr gedacht. Verdammt! "Na komm! Sonst gibt es nichts mehr für uns", versuchte er mit gespielter Fröhlichkeit seinen Freund abzulenken. "Da war doch was..." "Ach, mir ist wohl wieder dieses dumme Regal von der Wand gefallen. Es will einfach nie halten", erklärte Mai und öffnete die Tür zurück  zum Gang. "Ich mach das schon!" "Aber ich könnte es Ihnen sicher anbringen. Ich bin ein guter Handwerker! Die Knutschbude habe ich doch auch repariert."  Jonouchi grinste breit. Yugi verbarg hinter ihm sein Gesicht in einer Hand. Oh nein! Warum mußte Jonouchi ausgerechnet heute anfangen, Mai anzubalzen wie ein  verliebter Gockel? Sonst benahm er sich doch auch nicht so! "So, hast du das?" Mai lachte. "Ich werde es mir merken, aber ich muß jetzt sowieso zurück ins Krankenzimmer. Wenn ich mal Zeit habe,  rufe ich dich." Jonouchi fraß ihr die Ablenkung fast aus der Hand und Yugi warf Mai einen dankbaren Blick zu. Sobald sie draußen waren, ließ das  unangenehme Gefühl nach. Wenn Jonouchi über Anzu gestolpert wäre oder sie aus dem Schlafzimmer gekommen wäre... Yugi wollte sich  gar nicht vorstellen, auf wieviele Arten das hätte schiefgehen können. Lieber dachte er an das Familienbild in Mais Wohnzimmer. Es war  wie ein Gruß aus einer anderen Zeit. Auch wenn kleinere Teile offenbar abgebrochen waren (der Kopf und die eine Hand des Vaters sahen  heller aus als der Rest, als hätte man sie nachträglich mit anderem Ton geflickt.), war die Figur in sehr gutem Zustand. Mai und Atem mußten  ihre Eltern sehr lieben. Yugi fragte sich, ob sie auch manchmal aufwachten und daran dachten, was gestern Lustiges passiert war und daß  sie es unbedingt ihren Eltern erzählen mußten. Bis ihnen klar wurde, daß sie nicht mehr da waren. "Du siehst so niedergeschlagen aus, Yugi." Jonouchi war vor diesem stehengeblieben und sah ihn prüfend an. "Manchmal frage ich mich, was Großvater zu einigen Dingen gesagt hätte..." Jonouchi lächelte warm. "Er hätte dir sicher gesagt, daß er unheimlich stolz ist auf dich, weil du dich ausgerechnet mit Leuten wie mir anfreundest." Yugi mußte lächeln. "Großvater sagte immer, ich solle die Vergangenheit nicht höher werten als die Gegenwart." Jonouchi dachte kurz darüber nach, dann nickte er. "Verstehe." "Und jetzt will ich endlich meine Heiße Schokolade." Yugi grinste genauso wie Jonouchi.  ***  Die nächsten Tage wechselten sich Schnee und Sonne ab. Von der weißen Schneepracht blieb bald nicht mehr als dreckiger Matsch übrig.  Gleichzeitig wurde es noch kälter und Yugi weigerte sich, irgendwohin ohne Schal zu gehen. Atem hielt weiterhin Anzu unter Kontrolle, was  ihn sichtlich Kraft kostete. Die Linien um seinen Mund vertieften sich und seine Brauen schienen dicht über den Augen festgefroren zu sein.  Yugi hätte Anzu gerne besucht, aber er spürte, daß er damit weder ihr noch Atem einen Gefallen tun würde. Mai kam sie einmal besuchen,  um Atem runterzuputzen, woraufhin der noch übellauniger aussah. Daß Jonouchi immer öfter laut von Mai schwärmte, machte es nicht besser. Yugi also versuchte, Atem weiteren unnötigen Streß zu ersparen. Hauptsächlich indem er bei Bakura seine Nachhilfestunden nahm und die  Spielenachmittage in ihrem Zimmer kürzer und weniger oft abhielt. Eines abends kam Yugi später als sonst zum Duschen, nachdem er einen ewiglangen Aufsatz zuende geschrieben hatte. Es standen ihnen  noch einige Arbeiten im November bevor und Yugi war nicht der einzige, dem von der Büffelei und der Erwartungen der Lehrer der Kopf  rauchte. Offenbar dachte jeder, sein Fach sei am wichtigsten. Yugi freute sich schon auf den Dezember, wenn die Last der Schulaufgaben  sich langsam in die Befreiung der kommenden Feiertage verwandelte. Yugi atmete tief durch, schaltete das Wasser ab und nahm sein  Handtuch, um sich trocken zu rubbeln. Er war gerade in seinen Bademantel geschlüpft, als er leichte Schritte auf den feuchten Fliesen hörte.  Wer fing denn jetzt, so kurz vor dem Zapfenstreich, noch das Duschen an? Yugi öffnete die Tür seiner Kabine leicht und sah gegenüber eine schlanke Figur im Bademantel, die Haare unter einer Duschhaube versteckt,  die ihm den Rücken zukehrte. Der andere Junge öffnete die Kabinentür und hängte das Duschtuch ordentlich über eine Stange, dann  öffnete er seinen Bademantel. Als dieser über bleiche Schultern glitt, wurden Yugis Augen weit.  Tiefe Narben zogen sich über den Rücken, die Schatten füllten sie aus, im starken Kontrast zu der Haut darum, die unter dem weißen  Halogenlicht beinahe zu strahlen schien. Es wirkte wie unzählige Löcher in einem Stoff. Yugi merkte erst, daß er unwillkürlich nach Luft geschnappt hatte, als der andere Junge herumfuhr, den Bademantel hastig wieder hochziehend. "R-ryou", stammelte Yugi verlegen und kam aus seiner Kabine. "Warum duschst du nicht unten?" Was für eine blöde Frage! Ryou wirkte wütend, aber viel mehr noch verletzt und traurig. "Warum bist du nicht schon im Bett?" gab er zurück und band seinen Frottee-Gürtel zu. Er biß sich auf die Lippen und wich Yugis fragendem Blick aus. "Das geht dich nichts an!" Yugi schreckte zurück, dann senkte er den Kopf. "Ja, aber... Woher hast du solche... Narben?" Ryou sagte nichts, er starrte Yugi einfach nur an, bis diesem vor Verlegenheit das heiße Blut bis zum Haaransatz stieg.  "Ich sollte wohl besser gehen", murmelte er und nahm seine Duschsachen. "Du schleichst immer noch um Atem herum." Es war eine Feststellung, keine Frage. "Nach allem, was war. Glaubst du, deine Anwesenheit  wird das Tier in ihm zähmen können?" Als Yugi aufsah, um sich oder vielleicht auch Atem zu verteidigen, stellte er erschrocken fest, daß Ryou dicke Tränen über die Wangen  kullerten. "Ryou..." Der wischte sich wütend über das Gesicht. "Was weißt du schon? Weißt du, was es bedeutet, wenn du einen Vampir als Geliebten haben  willst?" Die letzten Worte klangen schrill und als seien sie eine Travestie sondergleichen. "Irgendwann wirst du genauso sein wie Anzu  jetzt gerade. Du wirst schreien und um dich schlagen, bis du dich am Blut einer unschuldigen Seele gelabt hast. Du wirst Tod und  Verderben über die bringen, die du liebst. Jahrelang wirst du nichts sein als ein wildes Tier." "Ryou, bitte beruhige dich." Yugi ließ Shampoo und Duschgel fallen, um Ryous Hand ergreifen zu können. Ryou riß sich los und packte  Yugi mit beiden Händen an den Schultern und schüttelte ihn. "Es gibt keine Zukunft, wenn du Atem folgst! Keine! Nur den Tod. Bist du so dumm, daß du das nicht begreifst? Atem wird immer so  aussehen wie jetzt, gleich wieviel Zeit vergeht. Du wirst altern, wirst alt werden und sterben. Glaubst du, Vampire sehen gerne zu, wie  Menschen dahinwelken wie abgeschnittene Rosen? Entweder wird er dich verlassen und das, bei allen Göttern, wäre das Beste, was dir  passieren könnte, oder du wirst eine untote, blutsaugende Kreatur. Hör endlich auf, so verdammt naiv und weltfremd zu sein. Du machst  mich so krank!" "Ryou, bitte hör auf!" rief Yugi verzweifelt und versuchte, sich aus Ryous Griff zu winden. Doch sein Gegenüber war weitaus stärker als  seine schlanke Statur ahnen ließ. "Du tust mir weh!" "Ich haße schwache Feiglinge wie dich! Ich haße dich", wimmerte Ryou, der plötzlich losließ und gegen die nächste Kabine taumelte. Er  weinte noch mehr. Yugi wartete nicht mehr ab, was noch geschehen würde, er packte sein Duschzeug und rannte wie vom Teufel gejagt zurück in sein und  Atems Zimmer. Dort ließ er sich verstört auf sein Bett sinken. Er spürte Atems fragenden Blick im Rücken, aber er drehte sich nicht um.  Ryous Worte gingen ihm noch spät in die Nacht hinein im Kopf herum. Übermüdet und verängstigt schlief Yugi schließlich ein. Als er am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich entspannt und sein Herz schlug wieder ruhig. Er lächelte leicht, als er die Augen öffnete  und sich brauner Haut gegenüber sah. Sacht streichelte er über Atems Brust, die sich ganz warm anfühlte. Hier, in diesem Moment, da  Atems Lippen seine Stirn berührten, war es so, wie Yugi es sich wünschte. Einfach sie beide und keine blutigen Probleme. Er kuschelte sich noch näher an Atem. "Wir können wohl nicht voneinander lassen", murmelte er verschlafen. Atem lachte leise. "Nein. Ich wünschte nur, ich könnte dir geben, was du willst." "Doch, das kannst du. Ich wünsche mir nur dich an meiner Seite, solange wie es geht." Auch wenn es schmerzte, aber ein "Bis daß der Tod  uns scheidet" lag nicht in ihrer Zukunft. "Ich werde mein Bestes geben", versprach Atem und küßte Yugi auf den Mund. Doch auch wenn seine Lippen kribbelten und seine Augen sich schlossen, Yugi gefiel irgendetwas nicht an Atems Aussage. Aber vielleicht  war er nach der letzten Zeit einfach nur zu kritisch. "Was war gestern los?" Yugi seufzte. "Ryou... Er war sehr eindringlich in seiner Aussage, unsere Beziehung würde mir nicht guttun. Daß ich dumm sei und ahnungslos..."  Er strich über Atems angenehm muskulösen Rücken. "Vielleicht hat er recht." "Eindringlich? Hat er dir wehgetan?" Atems Gesicht verfinsterte sich wie auf Knopfdruck. "Er hat mich etwas geschüttelt. Aber ehrlich gesagt hat sein Gesicht mir mehr Angst gemacht." Und die Narben... Krater in der sonst so  makellosen Haut. Yugi suchte instinktiv Zuflucht in Atems Armen. "Ich glaube so langsam, daß nicht das Zusammenkommen das Schwerste  an einer Beziehung ist. Es ist das Zusammenbleiben." Atem küßte Yugis Stirn. "Du sprichst wahre Worte gelassen aus. Dennoch sollte ich mir Ryou nochmal vorknöpfen! Er hat kein Recht..." Yugi hob die Hand und schüttelte den Kopf. "Nein, aber er schien gestern sehr neben der Spur zu sein." Ganz offensichtlich wollte Ryou  sein Geheimnis bewahren. Wohl deshalb hatte er eine Dusche gesucht, wo er annahm, daß niemand ihn sehen würde. "Laß ihn am besten.  Er mag dich so auch schon nicht." "Dann kann ich ja nichts mehr ruinieren." Atem grollte und Yugi wurde klar, daß der wenig darauf gab, ob jemand ihn oder seine Ansichten  leiden konnte. "Vielleicht doch. Wie gesagt, Ryou war nicht ganz bei sich." Yugi setzte sich auf und Atem stöhnte, als er ihn loslassen mußte. "Und ich  muß mir heute noch um andere Dinge Gedanken machen. Eine Arbeit in Sozialkunde und ich muß meinen Aufsatz abgeben." Mit mißmutiger Miene stand Atem auf, damit Yugi aus dem Bett rutschen konnte. Der mußte lachen. "So wie du aussiehst könnte man meinen,  du siehst mich viel zu wenig." Atem lächelte ebenfalls, aber es erreichte nicht seine Augen. "Ich habe noch nie jemanden wie dich getroffen, Yugi. Und das will etwas  heißen. Ich will jeden Moment mit dir verbringen, der möglich ist." Yugi lächelte schelmisch. "Das werden wir! Nur leider gibt es noch die Schule." Atem stöhnte und vergrub sich nochmal in Yugis Bettzeug, bis Yugi ihm die Decke wegzog. Atem packte Yugi um die Hüften und zerrte  diesen zurück aufs Bett, wo sie sich kitzelten, bis Yugi kaum mehr Luft bekam. Dann erst ließ Atem von ihm ab, grinsend. Sein Blick fiel auf den kleinen Kalender mit Duel Monsters, den Yugi über seinem Bett aufgehängt  hatte. "Nur noch neun Tage bis zum dritten", murmelte er. Yugi folgte seinem Blick. "Der dritte Dezember? Was ist da?" Atem rieb sich den Nacken. "Ach, nur die letzte Arbeit vor Weihnachten." Yugi nickte verstehend, dann zog er Atem nochmal zu sich hinunter, um ihm einen Kuß zu geben, als Aufmunterung. Der Tag verstrich ereignislos, ebenso der nächste. Yugi qualmte der Schädel vom Lernen und den Arbeiten. Seine ganze Klasse stöhnte  unter der Last der Tests und Jonouchi und Yugi schlossen Wetten ab, wer von ihnen am schlechtesten abgeschnitten hatte. Die Laune von Atem, Bakura und Seto sank derweil ins Bodenlose. Yugi hörte mehrmals, wie sie sich anblafften und sogar knurrten! Mai  war nicht viel besser, denn auch sie beschwerte sich wegen Anzu, die sie nur schwer bändigen konnte. Daß Atem schon alles tat, was ihm  möglich war, machte es nur noch schwerer. Der dritte Tag war äußerst ermüdend gewesen. Yugi hatte nicht nur eine Arbeit, es war auch noch Sport nach dem Mittagessen und alle  eierten dabei durch die Turnhalle, vollgestopft und müde. Yugi hatte dann noch das Los getroffen, beim Aufräumen zu helfen und als er  sich anzog, schaffte er es, fast umzufallen bei dem Versuch, seine Hose anzuziehen. Müde und genervt trat er schließlich als letzter aus  der Turnhalle, schlang seinen roten Schal fester um seinen Hals und ging, die Hände tief in den Jackentaschen, zurück zum Wohnheim,  wobei er seine Füße durch den Matsch zog wie kleine Schneeräummaschinen. Es hatte heute schon wieder geschneit und die Bäume  und Büsche sahen aus, als hätte ein verrückter Bäcker sie gründlich mit Puderzucker bestäubt. Mit den Gedanken war er schon bei einer großen Tasse Heißer Schokolade, bevorzugt mit Sahne und Zimt, dazu leckeres Gebäck.  Allein bei dem Gedanken an Dominosteine und Marzipanbrot lief Yugi das Wasser im Munde zusammen.  Doch auf einmal, Yugi konnte nicht sagen, wieso, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Er wirbelte herum und sondierte aufmerksam  seine Umgebung, doch außer zertrampeltem Schnee und einem verunglückten Schneemann sah er nichts. Yugi klang sein eigenes  Keuchen in den Ohren, während er Schritt für Schritt zurückwich. Er blickte in die Bäume und zuckte zusammen, als etwas Schnee von  einem Ast rieselte. Aber nichts geschah weiter, niemand sprang aus dem Baum... Yugi dachte an Anzu und erschauerte. Was, wenn sie  ausgerissen war? Was, wenn... "Du hast ein gutes Gespür. Ich bin beeindruckt." Eine tiefe Stimme schnitt Yugis Gedanken ab.  Yugi sah nach hinten und schalt sich selber, daß er nicht darauf geachtet hatte. Hektisch sah er sich um und sein Blick blieb an einem  der Kellerfenster des Wohnheims hängen. Etwas Dunkles, dünn wie Papier, schob sich durch den Spalt zwischen Fenster und Rahmen.  Yugi blinzelte und vor ihm erhob sich die große, massige Gestalt eines dunkelhäutigen Mannes. Yugi stockte der Atem und er trat zurück, um überhaupt noch etwas vom Gesicht seines Gegenübers erkennen zu können. Eine strenge  Miene, gelbe Augen und über eine Gesichtshälfte zog sich eine Tätowierung. Hieroglyphen! Yugi wurde eiskalt und er wich noch weiter zurück.  "Du bist ein Vampir." "In der Tat." Der Mann verschränkte seine Arme. Er trug eine Art grau-blauer Kutte mit Kapuze, letztere aber hing in seinem Nacken. "Du bist also das Opfer dieser Zeit..." "O-opfer?" Yugi mochte nicht, wie das klang. Oh, hoffentlich konnte Atem diesen Vampir schnell aufspüren... Er zitterte. Der Vampir hingegen stand wie eine Statue im Schnee. "Ich werde dir nichts tun. Im Gegenteil, ich bin gekommen, um dich zu warnen." "Ach ja?" Das konnte Yugi nicht glauben.  "Ja. Verstecke dich am dritten Dezember. Ansonsten wird dich ein furchtbares Schicksal treffen." Der Mann fixierte Yugi eindringlich. Der dritte Dezember? Yugi fiel ein, wie Atem dieses Datum angesprochen hatte... Aber wenn das nur Zufall war? Yugis Magen krampfte sich  zusammen. "Atem würde mir nie etwas tun!" "So? Du weißt so gut wie gar nichts über ihn. Also wie kommst du zu dieser Schlußfolgerung? Nur weil er die letzten Wochen nett zu dir war?  Daß er dafür gesorgt hat, daß du bei ihm im Zimmer schlafen darfst? Oder eher mußt? Er hat den Schulleiter beeinflußt, damit du ihm nicht  mehr entkommen kannst." Yugi schüttelte die ganze Zeit den Kopf. Solche furchtbaren Dinge wollte er nicht hören! "Er war schon immer grausam und Menschenleben haben ihm schon wenig bedeutet, als er selber noch eines lebte", fuhr der Fremde fort. Yugi horchte auf. "Als er lebte?" "Ja. Vor vielen tausend Jahren war er ein tyrannischer König in Ägypten, ein Pharao. Er interessierte sich nicht für sein Volk, während er  dem Müßiggang und der Grausamkeit frönte. Seine Bosheit ist es, die den Fluch der Untoten über die Menschheit gebracht hat." Der Mann  kräuselte abfällig die Lippen. "Er ist deiner Zuneigung nicht wert, genauso wie seine Gefolgsleute. Ein Seth-Priester und ein elender Grabräuber, hältst du das für eine angenehme Gesellschaft?" Mit schwirrendem Kopf hatte Yugi zugehört und würgte vor Unglauben hervor: "Ein Pharao?" "Bist du schwer von Begriff?" Der Fremde verengte die Augen zu Schlitzen. "Er ist der Anfang des Bösen. Und wenn du dich ihm nicht  verweigerst, wird er auch dich unweigerlich mit dem Fluch seiner Dunkelheit beschmutzen. Du kannst noch entfliehen... Oder ihn töten.  Doch du darfst dich am dritten Dezember nicht in seiner Nähe aufhalten. Es wäre dein sicherer Tod." Yugi starrte den Fremden verängstigt an. Dieser senkte seine Arme, ging leicht in die Knie und machte dann einen riesigen Satz.  Zurücktaumelnd sah Yugi gerade noch, wie ein verschwommener Blitz in den Bäumen verschwand. Fliehen oder töten... Grausamer König... Anfang des Bösen... Sicherer Tod... Schwankend fuhr Yugi sich durchs Gesicht, dann rannte er mit aller Macht zurück ins Wohnheim. Er wollte es nicht glauben und doch fühlte er,  wie tausend eisige Nadeln in sein Herz drangen. Was, wenn es doch stimmte? *** An diesem Abend fand Yugi keine Ruhe. Er konnte sich weder auf seine Schulbücher noch seinen Manga konzentrieren. Die Worte des  tätowierten Vampirs von vorhin gingen ihm nicht aus dem Kopf. Zum Glück hielt Atem Yugis Ruhelosigkeit für ein Resultat der stressigen  Prüfungszeit und hielt sich galant zurück, um Yugi nicht abzulenken.  Als Atem das Zimmer für eine Dusche verließ, klappte Yugi schnell sein Netbook auf und suchte nach altägyptischen Hieroglyphen. Er  erinnerte sich vage, daß die Pharaonen ihre Namen auf bestimmte Weisen schreiben ließen. Tatsächlich konnte er auf Wikipedia herausfinden,  daß Geburts- und Thronname des Pharaos in Kartuschen geschrieben wurden. Yugi nestelte den Ring hervor und betrachtete diesen.  Eine dünne Linie umschloß, wie er sich erinnerte, einige der Schriftzeichen. Davor stand eine Ente oder Gans, über deren Rücken eine  Scheibe, wahrscheinlich die Sonne, schwebte. Die Gans... Yugi betrachtete die Bilder und er fand das Zeichen auch. Es stand vor dem  Geburtsnamen eines Pharaos und bedeutete Sa Re, übersetzt Sohn des Ra. Yugi konnte den kleinen Computer gerade noch schließen, bevor Atem zurückkam. Das Herz hämmerte noch immer gegen seine Rippen  und nun warf sein Freund ihm auch besorgte Blicke zu. "Ich geh mal kurz unten vor die Tür, ich brauche frische Luft", erklärte Yugi mit einem wackeligen Lächeln, er mußte nicht mal lügen. Atem  schien dennoch nicht überzeugt, aber er sagte nichts, sondern nickte nur.  Yugi mußte sich zwingen, nicht aus dem Zimmer zu rennen, sobald er seine Turnschuhe angezogen hatte. Seine Beine fühlten sich steif an  und er dachte, daß er sicher wie ein Storch im Salat aussah, wie er aus dem Zimmer stakste. Erst danach rannte er hinunter und vor die Tür, in die Kälte der Nachtluft. Er schnaufte durch und lehnte sich gegen die rauh verputzte  Wand, während er den weißen Punkten bei ihrem wilden Tanz zusah. Atem war also wirklich ein Pharao gewesen... Konnte es sein, daß er wirklich so schlimm gewesen war, wie der Fremde es heute behauptet  hatte? Und was war mit dem dritten Dezember? Warum sollte Yugi ein Opfer sein?  Yugi atmete tief ein, solange bis seine Lungen brannten, sein Herz und sein Kopf aber abgekühlt waren. Man sollte die Vergangenheit nicht  höher bewerten als die Gegenwart... Nur was, wenn die Vergangenheit sich bis in die Gegenwart erstreckte? Yugi rieb sich durch das  Gesicht. Er mochte Atem, er fühlte das Gute in diesem. Es konnte nicht einfach nur eine Täuschung sein.  Doch ungebeten kam die Erinnerung an den Streit zurück, den Yugi unabsichtlich belauscht hatte. Atem hatte Verpflichtungen, die er erfüllen  mußte und würde, auch wenn... wenn das hieße, Yugi etwas anzutun? Was konnte nur diese Pflicht sein, diese Mission, von der er nichts  wissen durfte?  Und doch hatte Atem Ryou gesagt, daß er nicht hier sei, um Menschen zu schaden. Aber wenn er Yugi verwandeln wollte? Yugi kroch eine  Kälte in die Glieder, die nicht aus der Luft, sondern aus seinem Inneren kam. Was, wenn Ryou recht hatte? Wenn Atem es nicht ertragen  konnte, Yugi älter werden und sterben zu sehen, aber er ihn auch nicht verlassen wollte...  Yugi umarmte sich selbst. Nein, er wollte nicht sterben, aber er wollte auch nicht wie Anzu sein. Würde Atem ihn überhaupt noch mögen, von  lieben ganz zu schweigen, wenn Yugi ein gefühlloses Ding war, daß nur daran dachte, sich am Blut unschuldiger und ahnungsloser Menschen  zu laben? Er konnte es nicht glauben. Nichts schien Sinn zu machen. Vielleicht hatte der Fremde doch nur gelogen? Aber Teile stimmten ja. Nur was  war Wahrheit und Lüge? Yugi wußte es nicht, sein Schädel schmerzte und die Kälte ließ ihm Finger und Zehen taub werden. Er ging wieder hinein und biß die Zähne  zusammen, als die Wärme zurück in seine Glieder fuhr. Es tat weh... Es tat alles so weh! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)