Die Zeitung von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Die Zeitung raschelte leise, als sie sie langsam sinken ließ. Ihre dunkelroten Lippen zitterten leicht, bis sie sich wieder fassen konnte, die Zeitung weg legte und den Kopf abwandte. Die grünen Augen huschten umher, ohne etwas von der Umgebung wirklich zu sehen. Plötzlich rollte eine Träne über die weiße Haut. Schnell hob sie die Hand und wischte sie fort, blinzelte, um eine weitere Träne davon abzuhalten, ihr Make-Up zu ruinieren. „Dummes Mädchen. Das nimmst du dir doch selbst nicht ab“, flüsterte sie hastig, nahm ihre Kaffeetasse und verschluckte sich fast, so eilig hatte sie es auszutrinken. Dann stand sie auf, legte zu viel Geld auf den kleinen Holztisch, schnappte sich ihre Tasche und nach kurzem Zögern auch die Zeitung und floh regelrecht aus dem kleinen Bistro. Ihre Absätze klackten laut, als sie erst eilig, dann immer langsamer werdend die Straße hinunter lief. Schließlich blieb sie stehen, den Kopf gesenkt. Langsam atmete sie tief ein, die Augen geschlossen. Passanten liefen um sie herum, Autos fuhren vorbei, doch sie nahm es kaum war. Erst das leise Knistern der Zeitung schreckte sie auf. Unbewusst hatte sie ihre Hand zu einer Faust geballt. Schnell ließ sie den angehaltenen Atem entweichen und hob den Kopf. Noch zweimal blinzelte sie, dann waren ihre Augen klar. Geübt fuhren ihre manikürten Nägel durch die schwarzen, hochgesteckten Haare. Dann straffte sie die Schultern und setzte ihren Weg mit hocherhobenem Kopf fort. Ihre Miene war wie versteinert. „Mademoiselle Adler. Ich hatte sie noch nicht zurück erwar-„ Der Portier bekam keine Chance seinen Satz zu Ende zu sprechen. Irene Adler war längst an ihm vorbei gerauscht und in den gerade angekommenen Aufzug geschlüpft. Ungeduldig starrte sie auf die Stockwerksanzeige und verschränkte die Arme vor der Brust, beim Geräusch der Zeitung erneut leicht zusammenzuckend. Endlich hielt der Fahrstuhl sanft und die Türen glitten mit einem leisen Ping auseinander. Irene stürzte fast heraus, so eilig hatte sie es. Ihre Hand zitterte leicht, als sie den Schlüssel zu ihrem Zimmer aus ihrer schwarzen Handtasche nahm und die Tür aufschloss. Schnell trat sie ein, warf die Tür zu und Zeitung und Handtasche auf einen Tisch, welcher sonst eine große Vase mit einem Blumenstrauß trug. Sie legte eine Hand an die Stirn und versuchte wieder regelmäßig zu atmen. Trotz ihrem Versuch die Fassung zu bewahren, hatte sie die letzten Meter bis zu ihrem Hotel so schnell zurückgelegt, als wäre sie wieder auf der Flucht. Sie schüttelte den Kopf und die ersten schwarzen Locken lösten sich aus dem eleganten Knoten. Ihr Blick traf den großen Spiegel, welcher neben der Garderobe aufgehängt und in einen kitschigen, goldenen Rahmen eingefasst war. Die Frau, welche sie daraus anstarrte wirkte verrückt mit ihren weit aufgerissen Augen. Sie realisierte, dass sie diese Frau war. Irene Adler wandte sich schnell ab, nahm halb unbewusst die Zeitung von dem runden Tisch und ging auf eine dunkelbraune Sofaecke zu. Langsam ließ sie sich darauf nieder und schlug die Beine übereinander. Die hellen Strümpfe machten ein leises Geräusch als sie übereinander glitten. Die Zeitung neben sich gelegt zog sie ihren kurzen, schwarzen Rock glatt und lehnte sich an, um erst da zu bemerken, wie angespannt ihre Schultern waren. In einem kleinen Anflug ihres unbeschwerteren Selbst sagte sie zu sich selbst, dass sie Kathleen schleunigst zu sich befehlen sollte, um sich eine entspannende Massage geben zu lassen. Dann zog sie erneut die Zeitung zurück in die Wirklichkeit. Sie wandte sich ihr zu und ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Es tat ihr leid, dass sie die Nachricht nicht von einem lebenden Menschen bekommen hatte. Dann hätte sie ein Ventil finden können, um all ihren Zorn, die Verwirrung, die Trauer los zu werden. Vermutlich wären dabei zwei bis drei Peitschen drauf gegangen, doch er wäre es wert gewesen. Wieder stiegen die Tränen auf, als sich ihre Gedanken zu ihm vortasteten. Sie schluckte und blinzelte sie weg. Keine Zeit für Tränen. Die Zeitung lag so schnell aufgeschlagen auf ihrem Schoß, dass Irene sich kaum erinnern konnte sie genommen zu haben. Diesmal las sie den zwei Seiten langen Artikel zum einen genau und zum andern auch bis zum Ende. Immer wieder schüttelte sie ungläubig den Kopf, verdrehte die Augen. Tränen kamen ihr nun keine mehr. Nachdem sie das letzte Wort gelesen hatte, warf sie die Zeitung weg. Diesmal ganz. Unruhig ging sie im Raum auf und ab. Er war nicht tot. Konnte es nicht sein. Nach dem sie den ersten Schock und die schleichenden Schuldgefühle hinter sich gelassen hatte, konnte sie wieder zwischen den Zeilen lesen. Sie erkannte Moriartys Handschrift, in jedem einzelnen Wort. Er hatte das alles verursacht, geplant. Doch wie auch sie, hatte er seinen Gegner unterschätzt. Ihn gewaltig unterschätzt. Holmes lebte. Musste es einfach. Die nagende Stimme in ihr versuchte die Oberhand zu gewinnen. Doch mit derselben Härte, die sie auch ihre Kunden spüren ließ, kämpfte sie sie nieder. Er lebte. Keine Zweifel. War zu intelligent um zu sterben. Menschen wie er traten nicht einfach so ab. Sie blieb abrupt stehen. Ihre Gedanken hatten sich im Kreis gedreht genau wie sie. Wie schaffte er es nur sie immer wieder so durcheinander zu bringen? Ein Lächeln stahl sich über ihre Lippen. Dieser neuerliche Triumph hätte ihm gut gefallen. Sie schnappte sich ihr Handy. „Chloe? Besorg mir ein Ticket nach London. Erster Klasse. Ja so schnell es geht. Natürlich meine ich das ernst!“ Sie legte auf. In letzter Zeit war sie eindeutig zu nachlässig mit ihr umgegangen. Ihre Unruhe wurde nun endlich in richtige Bahnen gelenkt, als sie ihre Sachen zusammen suchte und in einem kleinen Koffer verstaute. Da vibrierte ihr Handy leise. „Ja? Sehr gut. Nein am Flughafen. Natürlich sofort!“ Wieder legte sie einfach auf. Zumindest hatte sie das Ticket schnell organisieren können. Wenn sie nicht so eine süße Stimme hätte, wäre sie schon längst gefeuert worden. Irene Adler nahm den kleinen Koffer und ihre Handtasche, ordnete noch einmal ihr Haar in dem Bodenlangen Spiegel und verließ das Hotelzimmer. Schon als sie aus dem Aufzug kam hatte sie ein gewinnendes Lächeln aufgelegt. „Mademoiselle Adler. Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie wirkten so aufgelöst.“ Der Portier schien ehrlich besorgt um sie. Adler begegnete ihm mit einer abwehrenden Handbewegung und einem leichten Kopfschütteln. „Aber nein Clément. Ich wurde nur zu einer dringenden Verpflichtung gerufen. Wären Sie so freundlich die restliche Buchung meines Zimmers zu stornieren? Sobald ich wieder Herr meiner Zeit bin, werde ich sicherlich wieder in Ihrem Haus nächtigen.“ Ihr Lächeln hätte einen Stein verzaubert. Sie sah deutlich wie der Portier schlucken musste und seine Augen zwischen ihren Lippen und Augen hin und her huschten. „Aber selbstverständlich Mademoiselle Adler. Wie bedauerlich, dass Sie uns schon verlassen müssen.“ Sie nickte noch einmal und schenkte ihm ein Zwinkern. Möglicherweise würde sie hier tatsächlich noch einmal unterkommen müssen, da war es nützlich sich mit dem Personal gut zu stellen. Der Portier ließ es sich nicht nehmen hinter seinem Empfangstresen hervor zu kommen, ihr die Tür aufzuhalten und ein Taxi heran zu winken. Koffer und Tasche warf sie gleich auf den Rücksitz und stieg selbst galant ein. Clément winkte ihr hinterher, doch sie sah es schon nicht mehr, hatte sofort das Handy wieder in der Hand, nachdem sie dem Fahrer zugeraunt hatte er solle sie zum Flughafen bringen. Eine kurze Suche im Internet brachte ihr sofort unzählige Treffer über das Schicksal Holmes. Die Meisten waren nicht von Nachrichtendiensten, sondern von Anhängern oder Ablehnern seiner Person. Sogar einen detaillierten Bericht seines Todes fand sie. Bilder vom Ort an dem er herab gestürzt war, sogar ein Bild von dem Blutfleck den er hinterlassen hatte und welcher sich zu einer Art Pilgerstätte entwickelt hatte. Es gab Bilder von Graffitis, welche überall in London und inzwischen sogar im Ausland, Paris, Berlin, Wien, New York auf Wände gesprüht worden waren. Sie zeigten immer dieselben Worte: „I believe in Sherlock Holmes“. Trotz der drückenden Hitze überkam sie Gänsehaut. Wie hatte sie all das so Ausblenden können? Für ihre eigene Sicherheit war der Ort ihres Aufenthaltes eine gute Idee gewesen, leider blieben ihr auch so viele Ereignisse verborgen. Sie befahl dem Taxifahrer schneller zu fahren. Dieser traute sich nicht ihr zu wiedersprechen und trat ohne Rücksicht auf andere Fahrer aufs Gas. Endlich hatten sie den Flughafen erreicht. Sie warf dem Fahrer ein paar Geldscheine über die Lehne und stieg aus. Kurz hielt sie nach Chloe ausschaue, da sah sie sie bereits auf sich zu eilen. Wie immer trug sie einen kurzen Rock und eine Bluse, welche man nur noch mit gutem Willen blickdicht nennen konnte. Mit ihren langen gewellten Haaren und den endlos langen Beinen zog sie jede Menge Blicke auf sich. Irene wünschte sich, sie würde alle ihre Bedürfnisse so gut befriedigen. „Miss Adler. Hier ist das Ticket. Der Flug geht in einer Stunde. Ich begleite sie gerne noch zum Check In.“ Irene nickte und überließ es ihr den Koffer zu tragen. Chloe hastete auf ihren hohen Schuhen so gut es ging hinter ihrer Chefin her. „Dürfte ich fragen, warum sie so kurzfristig nach London zurück wollen?“ Adler verdrehte die Augen über so viel Inkompetenz. Wie sehr sie sich wünschte Kate behalten zu haben. „Nun, wenn du deine Arbeit richtig gemacht hättest, müsstest du das nicht fragen“, sagte sie kalt und ohne sich nach ihr umzusehen. „Während meiner Abwesenheit wirst du dich um meine Investitionen kümmern. Tisch meinen Kunden eine glaubhafte Geschichte für meine Abreise auf, aber sag ihnen nicht wohin ich verreist bin. Verstanden?“ „Ja Miss Adler. Natürlich. Wissen sie schon, wann sie zurückkommen?“ „Nein.“ Chloe verstummte. Endlich erreichten sie den Schalter, die Schlange für die erste Klasse war wie so oft leer. Die Formalitäten hatte sie schnell hinter sich gebracht und verabschiedete nun Chloe. „Vergiss nichts. Ich werde nicht immer erreichbar sein, aber zurück rufen, wenn du eine Frage hast. Und überleg dir gut, ob du wirklich eine hast.“ Chloe nickte eifrig und Adler entließ sie nach einem langen und vor allem für Chloe schmerzhaften Zungenkuss. Der Mann am Gate, welcher ihr Ticket entgegennahm, schaute sie mit einem ihr gut vertrauten Blick entgegen. Kaum verhohlene Wollust, aber auch Scham blitzten hervor. Sie beschloss es zu ignorieren. Endlich im Flugzeug auf ihrem Sitz, genoss sie ein kühles Glas Champagner und die zusätzliche Beinfreiheit. In London würde sie auf solchen Luxus verzichten müssen. Umso weniger Leute wussten, dass sie noch lebte, umso besser. Doch sie hatte freundschaftliche Beziehungen in der Stadt aufrechterhalten und würde sie nun zu nutzen wissen. Sherlock war nicht tot. Und sie würde ihn finden. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie dafür gar keinen rationalen Grund hatte. Über sich selbst erschüttert richtete sie sich auf. Warum wollte sie überhaupt nach London? Um Sherlock zu finden, ja, aber warum? Er würde seinen Grund haben verschwunden zu bleiben. Nach langem und ehrlichem in sich gehen musste sie sich eingestehen, dass sie ihn nur für sich suchte. Sie wollte die nagende Stimme Lügen strafen. „Verdammter Mist“, flüsterte sie, nur um dann versonnen lächelnd aus dem Fenster auf die sich entfernende Erde zu schauen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)