Are you my Daddy? von Pfeffersosse (Sommerwichteln für Alaiya) ================================================================================ Prolog: -------- Rapture, Little Sister Orphanage, 1958 Man sah ein Mädchen weinen. Es saß einfach nur still da und schien wie in einem Kokon gefangen. Die Arme um sich geschlungen saß es da. Die tränennassen Wangen waren zwischen ihren Knien verschwunden und man hörte nur das leise Schluchzen aus ihrem kleinen Mund. Die Mädchen in dem Saal waren außer sich vor Freude, da ihre Spielklötze ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Die Schreie, welche aus den anderen Zimmern zu ihnen drangen, schienen sie überhaupt nicht zu stören, und doch merkte man ihnen an, dass sie unruhig waren. Sie schienen auf etwas zu warten. Und vielleicht wusste das kleine Mädchen dies auch und war deswegen so betrübt. Ihr leises Schluchzen schwoll kurze Zeit an, als der Schrei aus dem Nebenzimmer lauter wurde und dann plötzlich abebbte. Der Kopf des Mädchens hob sich und ihre gelblich schimmernden Augen blickten kurz fragend umher. Sie hatte das Gefühl gerufen zu werden. Sie stand langsam auf und lief einige Schritte. Ihre blanken Füße trugen sie an die nächste Wand, wo sie ihre Hand auf den kalten Stein legte. Ein sanftes Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab und sie wusste mit Sicherheit, dass es besser war zu Lächeln als zu Weinen. Sie strich sich mit den leicht schmutzigen Händen über die tränennassen Wangen und lief dann summend zu den anderen Mädchen: "In the house of upside down, cellar's top floor, attic's ground. In the house of upside down, laughing cries and smile's frown. In the house of upside down, found is lost and lost is found." Nachdem sie die einzelnen Strophen gesungen hatte, summte sie die Melodie fröhlich weiter und eine nach der anderen stimmte im Singsang mit ein. Das Klackern der Spielklötze wurde immer lauter und das Summen und Singen der Mädchen ebenfalls, bis irgendwann der Zeitpunkt erreicht war, wo alles zu viel wurde und es dann plötzlich von einer Sekunde auf die andere still wurde. Nur das Kichern vereinzelter Mädchen durchbrach die Stille, welches sich angestaut hatte und die ein oder andere ‚Little Sister’ griff nach einem Klötzchen und baute wieder weiter. So als wäre nichts gewesen. Kapitel 1: Tenenbaum -------------------- Im Nebenzimmer blickte eine recht müde wirkende Frau auf das Treiben der kleinen Mädchen. Sie wusste, dass es nicht gut war, zu lange bei ihnen zu sein, da sie nicht das waren, was sie schienen. Nach Außen wirkten sie wie normale, kleine Kinder, aber im Inneren wuchs etwas, das diese normal wirkenden Kinder zu dem machte, was sie waren: Brutkästen. Ein leichter Schauer lief über ihren Rücken, als sie sich dem wieder einmal bewusst wurde. Sie hatte es geschafft. Die Gier und die gleichzeitige Angst zeichneten sich im Gesicht der Frau nieder. Ihre glimmende Zigarette lag unbeachtet zwischen ihren Fingern, als sie das Schauspiel auf der anderen Seite des Fensters beobachtete. Es war ungewöhnlich, was die Mädchen da taten. Eine stimmte ein Lied an und die anderen stimmten mit ein. Und was für ein Lied. Sie war sich nicht sicher, ob sie es gutheißen sollte, wie die Mädchen sich verhielten und ob sie dies einfach so durchgehen lassen konnte. Auch wenn sie sehr viel mit den Mädchen zu tun hatte, so war es ihr doch nicht wirklich möglich Verbote auszusprechen. Immerhin befanden sich die anwesenden Mädchen in einer Erziehungsanstalt. Sie sollten lernen, nur das zu tun, was man ihnen sagte. Obwohl es vielleicht doch erwünschenswert wäre, wenn das ein oder andere Verbot ausgesprochen würde. Seufzend strich sich die Frau über die Lider und sie blickte zu dem Mann neben ihr: „Und Sie denken wirklich, dass Subject Delta soweit ist?“ Ihr Akzent schwang mit jedem Wort durch und ihr Gegenüber nickte nur eifrig: „Ja, Suchong denken, man haben genug Konditionierung hinter sich.“ Yi Suchong, der Wissenschaftler, der mit ihr arbeitete, war erpicht darauf, dass sein ‚Meisterwerk’ endlich in Gebrauch genommen werden konnte. Immerhin habe er auf diesen Tag hingearbeitet und wolle dann auch die Früchte seiner Arbeit begutachten können, so seine Aussage. Ihre, Brigid Tenenbaum hieß die Frau, Früchte waren die kleinen Mädchen, welche vergnügt mit den Klötzchen spielten. Nur per Zufall war sie über etwas gestolpert, das ihr ganzes Weltbild verändern sollte. Sie war schon immer erpicht darauf gewesen, etwas zu kreieren, was die Menschheit bis jetzt noch nicht kannte und endlich war ihr durch die Entdeckung der Seeschnecken dieser Durchbruch gelungen. Der Schleim, welcher von diesen kleinen Wesen produziert wurde, bewirkte wahre Wunder, ließ Wunden heilen, Verletzungen schienen nie dagewesen zu sein, die Regenerationskraft des Wundermittels schien unerschöpflich. Doch einen Haken hatte die ganze Sache: Das einfache Absondern der Flüssigkeit würde die Seeschnecke schneller leeren, als man sie nachrüsten konnte. Also musste eine Lösung her und die bestand darin, kleinen Kindern – am Anfang hatte sie sogar die Tests mit Jungen vorgenommen - die Schnecke nahe des Magens zu implantieren. Die Waisenkinder, überwiegend Mädchen, erwiesen sich dabei als sehr hilfreich. Mit der Zeit vermehrte sich der Schleim, das sogenannte ADAM, in den Bäuchen der Mädchen und konnte abgezapft werden. Das einzige Problem bestand nur darin, dass das ADAM für bestimmte ‚Sachen’ gebraucht wurde, wie zum Beispiel die Drogen, welche sich in Rapture populär gemacht hatten. Viele Drogenabhängige, genannt Splicer, schlichen durch die Städte und würden alles für ein wenig ADAM tun. Über Leichen gingen die Splicer schon länger, aber seitdem das Projekt ‚Little Sister’ populär wurde, waren auch die kleinen Mädchen vor den gierigen Mäulern der Splicer nicht sicher. Und wie die Ironie es so wollte, waren Splicer auch die Hauptdarsteller, welche benötigt wurden, damit die Little Sister ADAM ernten konnten. Schon öfters wurden die Leichen der Mädchen gefunden, was auch gleichzeitig bedeutete, dass die Produktion einige Zeit zurückgestellt werden musste. Der ganze Kreislauf innerhalb Rapture wurde seit der Entdeckung des ADAMs nur noch darauf gebaut. Wenn man etwas auf sich hielt, nahm man Plasmide um die Erscheinung zu verändern. Doch bei zu häufiger und übertriebener Benutzung wirkte das ADAM alles andere als verschönernd. Man konnte klar erkennen, wer viele Plasmide nahm und wer nur gelegentlich oder überhaupt keines nahm. Die Geschwülste und Narbengewebe, welche sich mit der Zeit auf den Körpern der Drogenabhängigen abzeichneten, wiesen auf eine übertriebene Benutzung des Schleimes nach. Doch es wurde dennoch benötigt. Das ADAM war die Haupteinnahmequelle seit einiger Zeit. Tenenbaum und Suchong erwiesen sich daher als sehr nützlich, zumal sie beide an Menschenversuchen keine Tabus kannten. Sie blühten sogar eher auf, seit sie ihre eigentlichen Ziele verfolgen konnten. Doch nachdem die Little Sister bedroht wurden, fehlte es an etwas, das sie beschützte und so wurden die beiden Wissenschaftler damit beauftragt, etwas oder jemanden dazu zu bringen, auf die kleinen ‚Monster’ acht zu geben. Leichter gesagt als getan. Doch nach erfolgreicher Konditionierung und einem fachgerechten Umbau eines ‚Menschen’, wurden die sogenannten Big Daddys erfunden. Hünenhafte Gestalten, welche sich mit donnernden Schritten fortbewegten und die Gestalt eines einfachen Außenarbeiters hatten. Mit dem einzigen Unterschied, dass sie sich nicht nur um anfallende Außenarbeiten und Reparaturen kümmern sollten, sondern auch auf das Wohlergehen der kleinen Brutstellen achten sollten. Gehirnwäsche und eine richtige ‚Programmierung’ machten es daher für einen Beschützer unmöglich, auf eigene Faust zu handeln. Sie wurden allein für den Zweck hergestellt, ihre Little Sister zu beschützen. Wenn auch nicht klar war, ob dieser letzte Punkt auch wirklich machbar war. Bis zum gegebenen Zeitpunkt war es ihnen nämlich gelungen, einen einzigen Mann zu einem Beschützer umzubauen: Subject Delta. Ein Abtrünniger, der seine Zeit im eigenen Gefängnis Persephone verbracht hatte. Ein Mann mit einem Namen, ein kurzzeitiger Held seiner Zeit: Johnny ‚Topside’. Sein wahrer Name war nicht bekannt, aber da er von oberhalb kam, nannten die Bewohner Raptures den ‚Eindringling’ Topside. Sein hünenhafter Körper lehnte momentan am Ende des Korridors an der Wand und wartete darauf, eingeschaltet zu werden. Die Inbetriebnahme würde sicherlich einige Arbeit mit sich bringen, aber es war beiden bewusst, dass sie bald etwas Wunderbares erleben würden. „Sie kleines Mädchen in Zimmer bringen und Suchong schauen zu, wie Subject Delta sich benehmen?“ Suchongs Augen fingen leicht an zu glitzern, er wollte seine gehirnmanipulierte Maschine in Betrieb nehmen, sehen wie sie sich benahm. Ob sie wirklich so sein würde, wie er sich das vorgestellt hatte. „Ja, ich werde eine Sister suchen gehen. Sie können schon einmal vorgehen, Suchong.“ Sie wollte sich gerade umdrehen, als sie Suchong mit der Zunge schnalzen hörte. „Nein, nicht eine Sister. Sie bringen Eleanor Lamb zu Suchong. Aufgabe sonst umsonst.“ Sein Blick war streng und Tenenbaum wollte auch kein Wort entgegnen. Sie nickte nur und ging dann durch die Tür. Ein Schauer lief über ihren Rücken, als ein Schrei die Stille des Korridors durchschnitt und kurz darauf verstarb. Sie hatten wohl wieder einen Probanden verloren. Aber sollte dies ein Erfolg werden... Sie wusste, sie waren nah daran etwas Großes zu vollbringen. Kapitel 2: Eleanor ------------------ Der Blick der Mädchen ging zur Tür, als sie das Klicken des Schlosses vernahmen. Besuch bekamen sie eigentlich nur von Wenigen, waren die meisten von ihnen doch Waisen, welche ohne die Hilfe der engagierten Menschen hier unten verloren wären. Noch verstanden sie nicht, dass die engagierten Menschen ihnen nicht wirklich sehr viel Gutes wollten. Die leicht benebelten Sinne und die veränderte Wahrnehmung der ganzen Umgebung erleichterten es den Mädchen zu sehen, was sie sehen wollten. Ein Dutzend Augenpaare war auf die Tür gerichtet und auch Eleanor – dieses eine spezielle Mädchen - blickte zur Tür. Sie wusste sofort, wer kommen würde. Denn es kamen nur entweder diese komisch angezogenen Männer in Weiß oder ‚sie’. „Mutter!“ Wie aus einem Mund riefen die Mädchen dieses Wort auf und liefen freudestrahlend auf die Frau zu, welche sie leicht schüchtern kurz über die leicht dreckigen Haare strich. Eleanor blieb in gebührendem Abstand stehen und wartete darauf, bis der größte Trubel vorbei war und ging dann auch zu der Frau hin und verneigte sich: „Guten Morgen, Mutter.“ Ihr Lächeln war herzzerreißend und die strahlend gelben Augen zierte die Freude wegen dem Wiedersehen mit der schönen Frau vor ihr. In ihren Augen hatte sie noch nie eine solch schöne Frau gesehen, ihr wallend braunes Haar roch nach Frische, die strahlenden grünen Augen blickten fürsorglich auf sie herunter. Ihr makellos sauberes, blaues Kleid lag frisch gewaschen um die Kurven der Frau, welche stetig weiter in den Raum trat. Die aufgeweckten Mädchen, welche um sie herumsprangen, wirkten befremdlich, da es das Bild störte, das Eleanor von ihr hatte. Sie hätte sich eine Mutter nicht makelloser vorstellen können. Die weißen Zähne und die klare Aussprache schienen nur nebensächlich. Hauptsache schien zu sein, dass die Frau vor ihr eine Respektperson war und auch als solche behandelt werden sollte. Die vergnügten Mädchen störten deshalb in der Ruhe, welche um die Mutter herrschte und Eleanor seufzte leicht genervt auf. Sie griff nach der Hand der Frau und ging einige Schritte weit weg: „Mutter, wann dürfen wir spielen gehen? Es ist sooooo langweilig hier drinnen und ich höre die Engel rufen.“ Sie legte ihren Kopf leicht fragend zu Seite und blickte mit unverhohlener Freundlichkeit auf die größere Frau. Diese lachte sie nur freundlich an und sprach mit ihrer sanften Stimme: „Mein Schatz, wir werden jetzt gemeinsam zu jemandem gehen, der dich gerne kennen lernen möchte. Ich will deshalb, dass du mir schön brav folgst, verstanden Schatz?“ Eleanor nickte hastig und lächelte die Frau strahlend an: „Wenn mich gerne jemand kennen lernen möchte, dann werde ich gerne brav folgen, Mutter. Darf ich dann nachher spielen gehen?“ Tenenbaum nickte und Eleanor freute sich auf das baldige Spielen. Gemeinsam mit ihrer Mutter verließen sie das Zimmer und ließen die anderen, traurigen Mädchen zurück. Eleanor selbst war gut gelaunt. Sie war auserwählt worden, alleine mit Mutter Zeit zu verbringen und dann durfte sie sogar alleine mit Mutter zu jemanden gehen, der sie kennen lernen wollte. Und das Schönste an der ganzen Sache, sie durfte nachher Engel suchen gehen und mit ihnen spielen. Sie stimmte ein kleines Lied an und wartete darauf, dass sie bei dem Besuch ankamen. Die Umgebung, durch die Eleanor mit ihrer Mutter ging, war in knalligen Rottönen gehalten. Die samtigen Vorhänge und der federnde Teppichboden schienen wie gemacht zu sein für diesen Ort. Die Lüster, die von den Decken hingen, spendeten ausreichend Licht, um jede Ecke des Ganges zu beleuchten. Hier und da hörte Eleanor Stimmen, aber die waren durch die Vorhänge so gedämpft, dass sie zu weit weg schienen, als dass es sie interessiert hätte. Plötzlich blieben sie vor einem der Vorhänge stehen und ihre Mutter öffnete diesen langsam. „Nun geh hinein, mein Kind. Hab keine Angst, Mama ist nicht weit weg.“ Mit diesen Worten fuhr sie Eleanor durch die Haare und schloss den Vorhang hinter ihr. Etwas verängstigt, weil der Raum eine andere Farbe hatte, als der Rest des Anwesens, blickte sie sich um. Das ganze Zimmer wirkte kahl, kein einziger Vorhang war hier drin und die Wände waren dieses Mal in einem einfachen Weiß gehalten. Nur einige Zeichnungen waren an der ein oder anderen Wand abgebildet, doch diese zogen nicht das Interesse der kleinen Eleanor auf sich. Es war das Geräusch, das aus der hintersten Ecke kam. Das Keuchen schwoll langsam an und ließ unweigerlich einen Schauer über die Arme des Mädchens laufen. Der Mann, der sich langsam erhob und mit dem Rücken zu Eleanor stand, atmete schwer ein und aus. Voller Sorge, was denn sei, ging das Mädchen einige Schritte vor und blieb knapp hinter dem Mann stehen. Ihr Blick war fragend und wie um es jedem zu zeigen, neigte sich ihr Kopf auch leicht zur Seite. Irgendwoher kannte sie den Mann doch... Es schien ihr nur nicht sofort in den Sinn zu kommen, wer das sein könnte. Die Angst, irgendetwas falsch zu machen und Mutter zu verärgern, war grß. Deshalb blieb sie wie angewurzelt stehen und beobachtete, wie sich der hünenhafte Mensch langsam umdrehte. Sein Körper war in einem Ganzkörperanzug und er wirkte wie ein durchtrainierter Mann auf sie. Die Kopfbedeckung wirkte zwar etwas lächerlich, doch Eleanor sah, dass es nur der Verkleidung galt, damit man ihn nicht erkennen sollte. Aber sie erkannte ihn nun sofort: „Daddy!“ Ihr Ausruf war freudig und sie fühlte sich auf einmal sehr sicher bei ihm. Warum war ihr nicht bewusst gewesen, dass auch er hier war? Und warum sah er nicht so aus wie immer? Aber wenn sie es so sah... Er dürfte nicht hier sein, also war es doch logisch, dass er sich verkleidete, um unerkannt hier herumzugehen oder? „Hallo Daddy, du hast mich lange warten lassen.“ Lachend wurde sie behutsam von ihrem Vater aufgehoben und befand sich kurze Zeit später auf seiner Schulter wieder. Schnell hatte sie Vertrauen gefasst und hielt sich gut an ihm fest. Sie wusste, er würde auf sie Acht geben und sie vor jedem beschützen, komme was wolle. Und sie wusste auch, dass sie sich auf ihn verlassen konnte, denn ihr Vater war der beste Vater. Denn er war ein Superheld. Und mit seiner Superkraft hatte er auch eine Öffnung in der Wand geöffnet und ging schnellen Schrittes nach draußen. „Lass uns spielen gehen, Daddy.“ Ein bejahendes Grummeln zeigte ihr, dass sie Recht hatte. Freudig drückte sie sich etwas fester an ihn und stimmte wieder ein Lied an: „Mein Daddy ist der Stärkste. Komm, lass uns nach Engeln suchen.“ Kapitel 3: Jack --------------- Tenenbaum hatte neben ihrer Arbeit mit den Little Sisters auch eine andere Aufgabe. Suchong half ihr auch dabei, doch war es ihr dabei unmöglich, die Gefühle einer ‚Mutter’ zu ignorieren. Immerhin sollte der Junge die fürsorgliche Hand einer Mutter kennen, wo er doch nur so kurze Zeit Kind sein durfte. Der Schock mit Eleanor und Subject Delta saß noch tief und sie wusste, dass es wohl noch einige Umbaumaßnahmen bedarf, da sonst nachher die ganze Einrichtung noch in Schutt und Asche lag, nur weil ein Daddy den Weg durch die Tür nicht fand. Sie strich sich durch die fettigen Haare und strich ihren vor Schmutz stehenden Kittel etwas glatt. Die Berührung der Mädchen war ihr immer noch unangenehm, zumal sie deutlich die Bewunderung in ihren Augen sehen konnte. Sie musste zugeben, dass dieser unvorhergesehene Vorfall ihr doch gezeigt hatte, dass Suchongs Forschung sehr wohl Früchte getragen hatte. Auch wenn sie es doch nicht ganz geheuer fand, dass es wirklich auf Anhieb geklappt hatte. Doch die Konditionierung und das gute ‚Training’ zeigten ihr, dass es sehr wohl möglich war, Menschen so zu kontrollieren, dass sie alles taten. Das Kind, das vor ihr saß, war das beste Beispiel. Dessen Konditionierung war um einiges schwieriger zu gestalten, da der Leitsatz ‚Wärst du so freundlich’ ihr doch etwas befremdlich vorkam. Aber die Arbeit von ihr und ihrem Kollegen sollte nicht unbemerkt bleiben. Das Herumwerkeln an einem Gehirn war Suchongs Fachgebiet und so erschien es ihr nur als logisch, ihn machen zu lassen, auch wenn es ihr doch etwas unwohl wurde bei dem Gedanken, dass sie ein wehrloses Kind in eine Killermaschine verwandelten. Doch sie sollte sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, immerhin war sie es, die unschuldige junge Mädchen in kleine Brutkästen verwandelt hatte. Auch wenn sie die Mithilfe von Suchong gebraucht hatte, war es immer noch ihr Lebenswerk. Wenn sie sich auch eingestehen musste, dass so langsam ihrer Freude eher Trauer und Wut gewichen war. Dieses ganze unterirdische Gefängnis machte jeden irgendwann verrückt. Wenn es sich auch bei den meisten nicht wirklich bemerkbar machte. Ihre Verrücktheit bestand einfach darin zu wissen, dass es falsch war, doch es schien ihr unmöglich, einfach damit aufzuhören. Wenn sie jetzt zu diesem Zeitpunkt aufhören würde, könnte das die ganze Arbeit zunichte machen. Denn auch wenn sie es langsam zuwider fand, was sie selber mit den Kindern angestellt hatte, so wollte sie doch Suchong nicht die ganzen Lorbeeren einheimsen lassen. Ihr eigentlicher Auftraggeber Fontaine hatte die Konditionierung des Jungen angeordnet. Da es sich um den Jungen vor ihr um keinen geringeren als den Sprössling von Andrew Ryan handelte, war es ihr umso monströser, dieses Kind in das zu verwandeln, das Fontaine wollte. Aber sie konnte nichts dagegen tun. Das Kind war schnell gewachsen, wirkte jetzt schon nach einigen Tagen wie ein ausgewachsener Junge und doch war es die kindliche Neugier, die den Jungen als einen solchen kennzeichnete. Sie musste ihm alles beibringen. „Jack, komm zu mir.“ Sie stand einige Meter von ihm entfernt und wartete darauf, dass er auf sie zukam. Es wirkte so unmöglich und unlogisch, dass sie am liebsten laut auflachen wollte. Ein Junge, der aussah wie 19, mit tapsigen Schritten zuzusehen, wie er versuchte, gehen zu lernen, war einfach... abartig. Aber es musste sein. Auch wenn sich Tenenbaum nicht als Mutter sehen wollte, so fühlte sie sich doch verantwortlich für das Wohlergehen des Jungen. Er war ihr in der kurzen Zeit ans Herz gewachsen und es zerfrass sie, zu wissen, zu was er gemacht werden sollte. Etwas zu wissen und es nicht ändern zu können, war schlimmer, als nur etwas zu wissen. Sie wollte den Jungen nicht zu den Sachen zwingen, die ihr Fontaine auferlegt hatte. Die Freude über etwas, die von der Trauer oder Wut etwas anderem übertüncht wurde, tat ihr in der Seele weh. Aber es ‚musste’ sein. Der Junge schien nicht recht reagieren zu wollen, war er zu beschäftigt das Blatt vollzukritzeln. Tenenbaum erhob ihre Stimme etwas, um enttäuscht feststellen zu müssen, dass er wohl ohne die antrainierten Worte nicht gehorchen wolle. „Wärst du so freundlich zu mir zu kommen, Jack?“ Wie auf Knopfdruck ließ Jack den Bleistift fallen und stand auf. Die unsicheren Schritte, die er machte, hielten ihn nicht auf, das zu tun, zu dem er aufgefordert worden war. Sie wollte ihn soweit bekommen, das zu tun, was er sollte, ohne immer den Satz benutzen zu müssen, immerhin hatte ihr Fontaine dies auch erklärt. Er wollte den Jungen nur für bestimmte Dinge ‚missbrauchen’, aber die vollständige Gedankenkontrolle mit dem Leitsatz würde er sich für einen speziellen Moment aufbewahren. Die Weißrussin war skeptisch, ob dies überhaupt etwas bringen würde. Der Junge war so gut ‚programmiert’, dass er sich sicherlich selber umbringen würde, wenn man einmal unachtsam wäre. Die fatalen Folgen, die der Leitsatz mit sich brachte, waren groß. Da Brigid um das Wohlergehen des Jungen besorgt war, machte es ihr demnach mehr aus, ihn mit den vermaledeiten vier Wörtern zu etwas zu ‚zwingen’. Jeder sollte lernen auf eigene Faust etwas zu machen und wenn man wie ein gehorsamer Hund auf einen Befehl warten sollte... Nachdem der Junge bei ihr war, legte sie die Arme um ihn und drückte ihn sachte an sich: „Du bist ein guter Junge, Jack, aber du musst lernen, Verantwortung zu übernehmen. Verstehst du das?“ Sie flüsterte die Worte in das Ohr des Jungen und wartete auf eine Antwort, welche aber ausblieb. Enttäuscht blickte sie zur Seite und hörte plötzlich die gepressten Worte von Jack: „Darf ich das denn überhaupt?“ Seine Stimme war klein und wirkte so zerbrechlich wie ein dünnes Glas. Die Augen von der Wissenschaftlerin wurden groß und sie strich Jack behutsam über die Haare: „Natürlich darfst du das, mein Junge.“ Sanft drückte sie ihre spröden Lippen an die Stirn des Jungen und blieb einen Moment so da stehen. „Darf ich wieder zeichnen gehen?“ Langsam kam die Frage über Jacks Lippen und Tenenbaum ließ ihn los. Ohne auf eine Antwort zu warten oder vielleicht weil das Loslassen alleine eine Antwort war, ging er wieder zu dem Tisch und nahm sich ein neues Blatt Papier. Die Striche, die er nun zog, wirkten deutlich überlegter und nicht mehr wie die eines Kleinkindes. Höchstwahrscheinlich hatte der Junge dieses Stadium überwunden und wurde nun langsam aber sicher größer. Sie setzte sich hin und beobachtete den Jungen, wie er anfing zu zeichnen. Es war noch nicht ersichtlich, was er genau zeichnen wollte, aber die Ansätze einer Person waren klar zu erkennen. Sie rieb sich über die müden Augen und musste an die vorherigen Geschehnisse denken. Das Zuschauen hatte ihr schon Schauer über den kompletten Körper gejagt und dabei stand sie noch außerhalb des Raumes. Sie nahm einen Zettel und schrieb ihre Eindrücke nieder: Es war ungewöhnlich zu sehen, dass so ein riesiges, metallenes Wesen da stand und auf einen Knopfdruck wartete. Das Mädchen wartete geduldig darauf, die nächsten Schritte zu hören, die es befolgen sollte... Ihr Blick ging umher und streifte nichts Bestimmtes und doch... war etwas Wissendes in den kleinen, gelben Augen. Im Nebenzimmer stand ich und beobachtete zögernd das Schauspiel. Das Mädchen, wie es sich umblickte und zu warten schien. Das metallene Wesen, das auch zu warten schien. Aber mit einem Knopfdruck löste sich die Haltung und der Hüne aus Metall stand langsam auf. Die Geräusche, die er dabei machte, wirkten wie das Ächzen von Metallrohren. Das alles kam von dem Stimmverzerrer, den sie dem Mann eingepflanzt hatten. Doch die 'Stimme' das erste Mal zu hören, weckte doch so etwas wie Furcht in mir. Ich wusste dennoch, dass das Ungetüm der Kleinen nichts antun würde. Immerhin hatte ich die Kontrolle über dessen Befehle und konnte ihn ausschalten, sollte er etwas Dummes anstellen wollen. Die Erschütterung, die von dem Big Daddy ausging, ließ mich zwar zusammenschrecken, aber auch das kleine Mädchen wirkte erschrocken und ich muss zugeben, ich konnte dies auch gut nachvollziehen. Immerhin war ein tonnenschwerer Mann gerade dabei, auf ein paar Kilogramm schweres Mädchen zuzugehen. Die schwerfälligen Schritte und die Geräusche, die von ihm ausgingen, ließen darauf schließen, dass der Mann im Innern doch noch etwas mitbekam, obwohl dies eigentlich nicht sein sollte. Aber die Geräusche, die der Mann von sich gab, klangen gequält und er schien nach Hilfe zu rufen. Vielleicht bildete ich mir dies auch nur ein, aber ein Schauer lief mir dennoch über den Rücken. Das Mädchen stand gebannt nach oben schauend da und wartete darauf, was das Ungetüm machen sollte. Ihr Kopf war fragend geneigt und man konnte ihr die Neugierde ansehen. Langsam hob sie ihre kleine Hand und schien auf etwas zu warten. Das metallene Ungetüm ging immer noch weiter und mein Herz fing deutlich an schneller zu schlagen. Fragen bildeten sich lautlos in mir: Ob ich schnell genug reagieren könnte? Könnte ich den Knopf schnell genug drücken? Mein... das Mädchen zu retten? Ich musste den Kloß herunterschlucken und blickte weiterhin gebannt auf das Schauspiel. Die Neugierde war doch grösßer als die Angst, die ich hatte, musste ich mir dann doch eingestehen. Der Big Daddy ging weiterhin auf das Mädchen zu und blieb dann abrupt stehen. Sein Blick - das, was man davon erahnen konnte - neigte sich nach unten, blickte auf das wartende Kind und er hob langsam seine große Hand, schloss die Finger um die Taille des Mädchens und hob sie hoch. Das Mädchen wirkte etwas erschrocken und auch ich musste mich zusammenreißen, nicht schreiend dazwischen zu gehen und den Daddy aufzuhalten. So blieben die beiden ungleichen Wesen stehen und blickten sich nur an. Die Angst im Gesicht des Mädchens wich langsam etwas anderem. Langsam aber sicher zeichnete sich ein Lächeln auf ihre Züge und sie blickte unerschrocken in die Augen des Monster: "Hallo Daddy, du hast mich lange warten lassen." Ihre Stimme war klar und hell und die streichelnde Hand, die einen Finger des Daddys berührte, ließ etwas in mir zerbrechen. Lautlose Tränen liefen über meine Wangen und ich muss eingestehen, ich hätte vor Entsetzen und Freude den Daddy am liebsten wieder abgeschaltet, aber ich brachte es einfach nicht übers Herz. Leichtfüßig kletterte das Mädchen auf den Rücken des Daddys und sie lachte gut gelaunt auf. "Lass uns spielen gehen, Daddy." Stampfend setze sich die Maschine in Bewegung, nur um nach einigen Schritten plötzlich stehen zu bleiben. Sein Blick ging suchend umher und er fand, was er suchte. Eine kahle Wand. Sein Bohrer bahnte sich einen Weg hindurch und ehe sie durch das Loch verschwanden, konnte man Eleanor noch hören: "Mein Daddy ist der Stärkste. Komm, lass uns nach Engeln suchen." Mehr kann ich im Moment nicht dazu sagen, nur eines: Die Konditionierung der beiden Parteien, Little Sister und Big Daddy war – wie es scheint - ein voller Erfolg. Wie das weitere Vorgehen geplant ist, werde ich mit Suchong besprechen. Als sie das letzte Wort geschrieben hatte, legte sie den Stift nieder und widmete sich wieder dem Jungen. Dieser griff nach vereinzelten Farben und färbte grob die Umrisse seines Bildes. Das Scharren des Stuhles erschreckte die Wissenschaftlerin etwas, da sie nicht gedacht hätte, dass der Junge von alleine aufstehen würde. Hatten die paar Worte von vorhin etwa gereicht, um ihn etwas unabhängiger zu machen? Unsicher blieb er vor ihr stehen und er hielt das Bild fest umklammert. Sein Blick ging hektisch umher und seine Atmung wurde schneller. Sie sah ihm an, dass es ihm unangenehm war und er nicht recht wusste, was er mit sich anfangen sollte. Die Versuche die Hand nach ihm auszustrecken, erwiesen sich als Fehler, denn er wich nur vor der Hand zurück und schüttelte den Kopf. Er schien sich zwingen zu wollen, etwas zu tun. Neugierig blieb deshalb die Frau sitzen und wartete, was nun geschehen würde. Der Junge öffnete den Mund und schloss ihn wieder, aber es kam kein Wort über seine Lippen. Er fing langsam an zu zittern und lautlose Tränen liefen über seine Wangen. Brigid zuckte zusammen und stand nun auf. „Nicht weinen, Jack. Alles ist gut. Zwing dich zu nichts.“ Sie ging auf ihn zu und nahm ihn in den Arm. Zuerst sträubte er sich dagegen doch dann ließ er das Bild los und schloss die Arme um die Frau. Sein Schluchzen war laut in ihren Ohren und sie fühlte sich elendig. Sie wollte ihn trösten, wusste aber nicht so recht, wie sie es bewerkstelligen sollte, ohne Jack mit dem Leitsatz dazu zu bringen, aufzuhören. Sie konnte noch nie jemanden trösten, da sie noch nie wirklich Gefühle gehabt hatte. Aber dieser Ort hatte so viel an ihr verändert. Die Kinder hatten so viel in ihr verändert. Ja... die Kinder hatten viel mit ihr gemacht. Und sie war es leid so zu sein wie sie vorher war. Nachdem sie Jack getröstet und ihn ins Bett gebracht hatte, widmete sie sich dem Bild und musste seufzen. Denn es zeigte sie, Jack und einen Hund, zufrieden lächelnd. Dass dieses fröhliche Bild wohl später von Fontaine zerstört werden würde, konnte der Junge ja nicht ahnen. Aber Freude soll eines der Sachen sein, die der Junge nicht erleben sollte. Und der Hund, der extra für diese Zwecke eingeschmuggelt wurde, würde dies bezeugen müssen. Der Wissenschaftlerin wurde kurz übel bei dem Gedanken, den unschuldigen Jungen diese ganze Wärme zu verwehren, die sie ihm doch geben wollte. Sie nahm das Blatt, faltete es sorgsam zusammen und steckte es in ihre Tasche. Sie musste sich nun um etwas anderes kümmern. Hoffentlich kam sie nicht zu spät. Kapitel 4: Daddy ---------------- Sie wusste genau, wie sie sich unbemerkt durch die Stadt bewegen musste, kannte jede kleine Ritze, in der man sich verstecken konnte und durch die man nicht von anderen gesehen werden würde. Es war ihr also möglich, ungesehen und ohne Umschweife an die Stellen zu kommen, an die sie gelangen wollte. Und ihr Ziel war klar. Sie wollte wissen, wie die beiden Komponenten zusammen agierten. Wie ihre Little Sister mit dem monströsen Wesen von Suchong zusammenarbeitete. Sie wusste zwar, wie es funktionieren sollte, aber jeder konnte Fehler machen. Warum sollte also nicht auch dem ach so geniale Suchong ein Fauxpas passiert sein. Sollte sie nun nur noch den aktivierten Big Daddy vorfinden und eine tote Little Sister beklagen müssen – die auch noch die Wertvollste des Ganzen war - würde dieser Suchong aber etwas von ihr zu hören bekommen. Sie musste auch nicht sonderlich weit gehen, denn sie fand das, was sie gesucht hatte. Die donnernden Schritte des Metallmannes hallten durch die Umgebung. Es schien, als würden die Geräusche von überall herkommen, doch sie wusste - sobald man ihn sah - dass es sich um etwas Großes und Schweres handelte. Der Zweck der Apparatur war für die ‚Außenwelt’ noch nicht klar definiert, aber als die Leute und Splicer sahen, dass ein kleines Mädchen lachend und singend auf dessen Schulter stand, konnten sie sich nur eins ausmalen: dieses Ungetüm war ein ‚Beschützer’. Schon öfters kam es nämlich vor, dass diese kleinen Mädchen sich von Splicern konfrontiert sahen und sich nicht verteidigen konnten. Das wusste Tenenbaum nur zu gut. Immerhin hatte sie schon den Verlust der ein oder anderen Little Sister verbuchen müssen. Sie beobachtete die Umgebung und sah die Splicer, sonst angriffslustig und jeden attackierend. Aber nun wirkten die Splicer doch etwas eingeschüchtert, obwohl sicherlich der ein oder andere alles tun würde, um an etwas ADAM zu kommen. Und so wie es schien, waren die Bäuche der Mädchen voll von diesem Schleime, das die Drogenabhängigen so vergötterten. Aber einfach das Mädchen zu greifen und ihm die Seeschnecke aus dem Leib zu reißen, konnten sich die Splicer nun nicht mehr erlauben. Schon oft hatte Tenenbaum die Leiche eines Mädchens gefunden, dessen Bauchdecke aufgerissen war und mehr als nur Blut in ihr fehlte. Die Splicer schraken vor nichts zurück, noch nicht einmal vor den kleinen Mädchen. Doch nun war es anders. Die Splicer scheuchten eine Konfrontation, denn die Bedrohlichkeit war dem großen Mann in Metall anzusehen. Plötzlich flog ein Feuerball auf das Ungetüm zu und ließ das kleine Mädchen aufschreien: "Au, au, au, au, au, au." Behutsam setze dann der Blechmann das kleine Mädchen ab und widmete sich dann dem Splicer, welcher es gewagt hatte, seine kleine Tochter zu verletzen. Wütend und mit rotierendem Bohrer machte er sich daran, die umherstehenden und sabbernden Splicer aus dem Weg zu räumen. Ihre Schreie hallten durch die Räumlichkeiten und man hörte dazwischen auch aufgebrachte Schreie der Leute, die sich schleunigst aus dem Staub machen wollten. Tenenbaum musste sich besser verstecken, denn wie es schien, würde Subject Delta niemanden verschonen, der ihm in den Weg kam. Auch wenn sie dieses kleine Instrument in ihrer Tasche hatte, wollte sie es doch ungern benutzen. Immerhin wusste sie nicht, wie sie den außer Betrieb genommenen Beschützer in die sichere Obhut ihres Verstecks bringen sollte. Sie war nur eine Frau mit wenig Kraft. Nun würde sie aber erst einmal das Spektakel weiter beobachten und dann eine Entscheidung treffen, was als nächstes zu tun war. Sie zuckte zusammen, denn das Knirschen zerbrechender Knochen drang an die Ohren all derer, die noch da waren. Aber die Verbliebenen ließen es sich nicht nehmen, jegliche Art von Plasmiden an dem metallenen Mann loszulassen. Blitze zuckten um die einen, Feuerschwaden um die anderen. Das Laden einiger Feuerwaffen war auch zu vernehmen, aber die Mutigsten schienen dann doch die zu sein, die mit Plasmiden wild um sich schossen. Keuchend steckte der Beschützer die Plasmide ein und man hörte die verzweifelten Schreie der Little Sister, die sich gegen einige der bewaffneten Splicer stemmen musste. Schnell war der Beschützer an ihrer Seite und durchbohrte die Störenfriede mit seinem rotierenden Bohrer. Brigid musste sich eingestehen, dass diese Beschützer doch blutrünstiger waren, als sie gedacht hatte. Sie konnte auch nicht umher, sich leicht angewidert zur Seite zu drehen. Denn das Plätschern vom Blut und der herausfallenden Eingeweide schien noch länger anzuhalten, als die Sterbegeräusche an sich. Doch plötzlich schien es zu ruhig zu sein. Die meisten Splicer hatten das Weite gesucht, doch es war, als würde man den rasselnden Atem des Beschützers hören. Tenenbaum war etwas unbehaglich bei dem Gedanken, dass doch noch etwas passieren könnte. Wenn jetzt der Beschützer sterben sollte... Suchong wäre außer sich vor Wut, immerhin hatte er sein ganzes Herzblut in die Sache gesteckt. Die Big Daddys waren seine Lebensaufgabe. Auf einmal flog ein glühend heißer Feuerball in Richtung Subject Delta. Wie es schien, hielt sich noch ein feiger Feuer-Splicer versteckt und warf den ein oder anderen brühend heißen Feuerball auf den nun noch wütenderen Daddy. Es schien etwas zu dauern, ehe der große Mann den Übeltäter fand und mit unnatürlicher Geschwindigkeit auf ihn zulief. Das Knacken seines Genicks hallte eklig durch die Luft und war das Einzige, das auf seinen Tod hinwies. Die Blutlache, die unter ihm hervorquoll, konnte von einem der Geschwülste kommen oder der Blechmann hatte doch mehr Kraft aufgebracht, als gedacht. Tenenbaum hatte genug gesehen, wollte schleunigst weg, doch dann sah sie etwas, das sie bis jetzt noch nicht beobachten konnte. Die ‚Arbeit’ der Little Sister. Ihre Augen fingen an zu glühen und sie sah freudig auf die nächstliegende Leiche und sagte: „ADAM, Daddy, hier!“ Mit kleinen Hopsern stand Eleanor auch schnell neben der Leiche und kicherte kurz. Ehe sie die Nadel in den Körper des toten Splicers rammte, blickte sie sich kurz um. So als wolle sie sicher gehen, dass auch niemand sie jetzt stören würde. Dann fing sie an herumzustochern und den Glibber wie Wasser zu trinken. Die Geräusche hallten durch die hohen Decken zu dem Versteck von Tenenbaum und sie musste sich wirklich zusammenreißen, nicht näher an sie heranzugehen. Die Neugierde war groß, aber sie wusste, wenn sie jetzt an die Little Sister herangehen würde, würde man ihre Leiche nachher mit denen der Splicer abführen müssen. Also blieb sie lieber in sicherem Abstand und beobachtete, wie Eleanor den Splicer aussaugte und sich plötzlich über den Bauch streichelte: „Fast fertig, kleiner Engel, weine nicht...“ Sie kicherte wieder kurz und stocherte noch das ein oder andere Mal in der Leiche herum und stand dann auf und tapste zu Subject Delta: „Fertig, Daddy.“ Der Beschützer drehte sich langsam stampfend um und beugte sich zu der Kleinen herunter. Seine Hand öffnete sich und er griff um ihre Taille. Gähnend hielt sich Eleanor an dessen Hand fest und rieb sich über die Augen: „Zeit für die Heia, Daddy.“ Behutsam, setze er dann die Kleine auf seine Schulter und ging von dannen. Tenenbaum wusste genau, wo sie hingehen würden. Erschrocken und mit neuen Erkenntnissen geprägt, blieb sie noch einige Momente dort stehen, ehe sie dann wieder den Weg zu Jack einschlug. Sie brauchte dringend eine kleine Auszeit, aber sie konnte es sich nicht erlauben, nun schlapp zu machen. Ein starker Kaffee und eine Packung Zigaretten würde sie sicherlich über die Nacht bringen. Davon war sie sich sicher. Bis jetzt hatte es immer geklappt. Warum sollte es nun plötzlich anders sein? Kapitel 5: ADAM --------------- Die Müdigkeit nagte langsam an ihren Gliedern und sie rieb sich ungelenk über die schmerzenden Augen. Sie musste sicherlich schrecklich aussehen, so eklig wie sie sich fühlte. Doch sie konnte jetzt nicht einfach schlafen gehen. Es war noch so viel zu erledigen und der Tag war nicht mehr sehr jung. Der Blick auf die Uhr war nicht wirklich die beste Idee gewesen, aber sie musste nun dies, was sie hier tat, fertigstellen, sonst würde es morgen vielleicht zu spät sein. „Setz du dich bitte dorthin, Eleanor?“, fragte Tenenbaum sanft und klopfte neben sich auf die Pritsche. Die kleine Eleanor hatte sehr viel ADAM heute produziert und sie musste dies nun aus ihrem Körper extrahieren. Auch wenn diese Arbeit nicht zu ihrer Liebsten zählte, musste dies trotz allem vollzogen werden. Der Schmerz, welchen die Mädchen kurze Zeit erlitten, würde sicherlich schneller vergehen, als bei ‚normalen’ Mädchen. Immerhin blieb die Schnecke weiterhin in ihnen drin und konnte so die verletzten Zellen wieder regenerieren. Die Konditionierung war auch so weitgreifend, dass der Schmerz und das Wissen, was mit ihnen geschah, verdrängt wurden. Eleanor kam summend und hüpfend auf sie zu und nickte: „Ja, ich freue mich schon, Mutter.“ Sie strahlte bis über beide Ohren und wirkte nicht mehr so unsicher, wie am ersten Tag. Brigid wusste, dass die Kleine nun weniger Angst hatte als am Anfang. Anfänglich war nämlich jedes Mädchen unsicher neben sie getreten, als sie sahen, was ihre Mutter dort in den Händen hielt. Die Wissenschaftlerin richtete ihren Blick auf die desinfizierte und richtig eingestellte Nadel und musste kurz seufzen. Sie konnte sich die Schmerzen der Nadel nur allzu gut vorstellen und dies jedes Mal aufs Neue bei den Mädchen anzuwenden, wirkte schon recht bestialisch. Doch es musste gemacht werden. Wenn das ADAM zu lange in ihren Körpern blieb, respektiv in ihren Bäuchen, würde es ihnen irgendwann aus dem Mund quellen und sie irgendwann an Erstickung elendig zugrunde gehen. Sie musste einmal beobachten, wie eines ihrer ersten Mädchen einen solchen Tod erleidet hatte und wünschte dies wirklich keinem. Eleanor saß erwartungsvoll guckend auf der Pritsche und legte sich dann alsbald hin. „Nimmt Mutter jetzt das ADAM wieder aus mir raus, damit es mir wieder gut geht?“, fragte sie und wusste die Antwort sicherlich schon. Aber Angewohnheiten schien man nicht abstellen zu können, da half auch die beste Gehirnwäsche und Konditionierung nicht aus. „Ja, mein Kind. Nachher darfst du dann auch schlafen gehen und darfst morgen wieder mit deinem Daddy spielen.“ Langsam kam sie mit der Spritze näher und wartete, dass Eleanor ihren Bauch freigemacht hatte und setzte die Spitze dann langsam in der Höhe des Bauches an. Sie hatte diese Spritze selbst entworfen und wusste am besten, wie man richtig damit umging. Denn auch wenn sie sehr bedrohlich aussah, konnte man auch die monströse Nadel behutsam in einen Körper eindringen lassen. So wie die Mädchen damit umgingen, war es vorteilhaft für die Leichen, da diese ja eh nichts mehr empfanden. Für einen lebendigen Menschen wäre diese Art der ‚Behandlung’ recht schmerzhaft und würde sicherlich mit dem Tod einher gehen. Der Druck, welcher Brigid aufbrachte, reichte aus, um die einzelnen Schichten, die die Haut und den Bauch trennten, zu durchbohren. Eleanor war etwas unruhig unter ihr und verzog leicht vor Schmerz das Gesicht. Aber die Wissenschaftlerin konnte jetzt nicht schon kehrtmachen. Sie betätigte den Hebel, um somit die eigentliche Arbeit des ‚Harvesting Tools’ in Gang zu bringen. Das Extrahieren des angesammelten ADAMs dauerte auch nicht lange und somit konnte Brigid nach getaner Arbeit die Nadel auch wieder aus dem Körper des Mädchens entfernen. Das gewonnene ADAM war leuchtend rot und sie tastete kurz suchend Eleanors Bauch ab. Er fühlte sich wieder normal an und so freute sich Brigid umso mehr, die gewonnene Menge wiederverwerten zu können. Eleanor blieb abwartend auf der Pritsche liegen und schob ihr Kleidchen nach einiger Zeit wieder nach unten. Der Blick der gelben Augen lag auf ihrer Mutter. Sie schienen jede Bewegung von ihr zu beobachten und dadurch wurde der Wissenschaftlerin doch etwas unbehaglich. Sie ging wieder zu ihr und reichte ihr eine Süssigkeit: „Du darfst nun schlafen gehen, meine Kleine.“ Brigid streichelte Eleanor sanft durch die Haare und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. „Juhu!“ Strahlend rutsche Eleanor von der Pritsche und tänzelte zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um und winkte Tenenbaum lächelnd zu: „Schlaf gut, Mutter.“ – „Schlaf gut, Eleanor.“ Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, setzte sie sich hin und seufzte einmal tief. Dieser Tag hatte soviel mit sich gebracht und den Schlaf hatte sie sich jetzt wahrlich verdient. Doch erst musste sie das ADAM anreichern. Erst dann war an ein wirkliches Abschalten zu denken. Etwas später ging sie zu einem bestimmten Zimmer und öffnete die Tür langsam. Sie lugte herein und sah, wie der Besitzer des Zimmers auf einem Stuhl saß und auf jemanden zu warten schien. Sein Blick ging sofort zur Tür, als er diese hörte und ein Lächeln legte sich auf dessen Lippen. Er stand auf und ging zur Tür. „Da bist du ja, Mama.“, sagte er und wartete darauf, dass sie ins Zimmer kam. Er hatte seine Schlafsachen schon an und schien schon länger auf sie gewartet zu haben. Die müden Augen, die sich in seinem Gesicht abbildeten, waren Beweis genug. Sie schmunzelte und ging auf ihn zu und sagte: „Du weißt, dass du nicht auf mich warten musst, wenn du müde bist, Jack. Also warum hast du gewartet?“ Sie wusste, dass sie sowieso keine Antwort bekam, aber einen Versuch war es wert. Sie zog sich die schmutzige Kleidung aus und schlüpfte in ein Nachthemd, das sie extra hier ins Zimmer positioniert hatte. Sie ging Richtung Bett und legte sich hinein, gähnte herzhaft und wartete darauf, dass auch Jack nun zu ihr stoßen würde. Aber er blieb in gebührendem Abstand von ihr stehen und schien auf etwas zu warten. „Wärst du so freundlich ins Bett zu kommen, Jack?“ Sie klopfte neben sich auf die freie Stelle und wartete darauf, dass er sich neben sie legte, dann legte sie die Arme um ihn und drückte ihn sanft an sich. „Und nun schlaf.“ Sie spürte noch das Nicken seinerseits und schloss dann selber die Augen. Der Schlaf überkam sie schnell und die fernen Laute der Stadt wirkten noch weiter entfernt. Ja, den Schlaf hatte sie sich redlich verdient... Epilog: -------- irgendwo in Rapture, Silvester 1958 Ihr Schrei riss sie aus der Starre. Tenenbaum konnte nicht umhin sich umzuschauen. Gerade war doch noch alles gut gewesen und nun schien alles den Bach herunterzugehen. Die schnellen, donnernden Schritte, die von Subject Delta kamen, schienen hastig auf die Stelle zuzugehen, aus der der Schrei von Eleanor kam. Das drehende, dröhnende Geräusch des Bohrers zerschnitt die kurze Stille und die sterbenden Laute der Splicer hallten von den Wänden ab. Doch das, was als nächstes kam, ließ Brigid erstarren. Die Stimme, die sich meldete, war ihr sehr wohl bekannt: „Sehr schön.“ Das Klackern der hochhackigen Schuhe auf den Fliesen war langsam und schien auf jemanden zuzugehen. Hastig kletterte die Wissenschaftlerin aus ihrem Versteck und beobachtete das Schauspiel, das sich unten abspielte. Wie sie die Frau kannte und wie sie diese Frau hasste. „Er ist jetzt keine Gefahr mehr.“, hörte sie Sophia Lamb sagen. Der Griff, der sich um Eleanors zierlichen Arm legte, folgte den Worten: „Dies ist nicht deine Tochter. Verstehst du, was ich sage? Ihr Name ist Eleanor und sie gehört mir. Und jetzt: knie nieder. Bitte.“ Tenenbaum wusste, Delta würde dies nicht tun, doch er tat es dennoch. Hatte dieses Plasmid wirklich den Weg in ihre Hände gefunden? Ihr Herz klopfte schnell in ihrer Brust und schien aus dieser herausbrechen zu wollen. Die nächsten Worte ließen sie blass werden. „Nimm bitte den Helm ab.“ Wieder gehorchte Delta und diese unnahbare Frau schien Gefallen daran zu finden, die Fäden ziehen zu können. Der deformierte Kopf von Johnny Topside kam zum Vorschein und Brigid musste kurz würgen. Sie konnte nicht genau sagen, was sie da sah, aber es war recht ekelerregend. „Sehr gut.“, sagte Lamb und Tenenbaum sah, wie sie ihm eine Waffe reichte. „Nimm die Pistole.“ Und Delta nahm zögernd die Waffe in seine Hände. Brigid musste wieder schlucken und wollte schon eingreifen, doch sie wollte ihr Leben nicht so aufs Spiel setzen. Und ihr Versteck war gut gewählt. Gebannt wartete sie darauf, was als Nächstes geschah und sie wusste, es würde ihr sicherlich nicht gefallen. Die Worte, die durch den Raum hallten, erinnerten sie an so vieles: „Halte sie dir an den Kopf.“ Wieder gehorchte Johnny Topside, auch wenn man sein Zögern bemerken konnte. Das Nächste, was Tenenbaum hörte, war ein Schuss und der gequälte Schrei des Mädchens, Eleanor. Tenenbaum blieb wie erstarrt sitzen und blickte der Frau nach, die ihr eigenes Kind nun hinter sich her zerrte, weg von der Leiche Subject Deltas, weg von ihr. Doch das Letzte, was sie sah, waren die glühenden, vor Qual weit aufgerissenen gelben Augen, welche sie anstarrten. Brigid brach in Tränen aus. Dies bedeutete Krieg, und wenn sie ihn selber und alleine führen musste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)