Die Trauerweide von Gurgi ================================================================================ Epilog: Das Lied der Trauerweide -------------------------------- Das Lied der Trauerweide Kleine Sonnenstrahlen brachen durch die dichte schwarze Front aus Wolken. Glitten auf die Erde hinab und wärmten die jungen Blätter mit ihrem sanften Licht. Die Luft roch noch schwer und dennoch frisch. Es hatte seit Tagen geregnet und das Wasser sammelte sich in winzigen Seen. Sanft tanzten die kleinen Lichtreflexe auf den trüben Oberflächen und verliehen dem brackigen Wasser einen Moment der Schönheit. Vielleicht hatte die Welt während der letzten Jahre zu viel Schreckliches erdulden müssen, hatte zuviel Blut der Menschen in sich aufgenommen, um etwas wahrhaft schönes hervor bringen zu können. Manch einem erschienen deshalb die Blumen weniger farbenprächtig, der Gesang der Vögel weniger melodisch und für viele hatte sich die Sonne auf ewig verdunkelt, da ihr eigenes Licht in der Schwärze aus Krieg und Verlust verglüht war... Mit eiligen Schritten lief der kleine Junge der schwarzen Wölfin hinterher. Vergrub seine winzigen Fingerchen tief im schwarzen Fell. Gutmütig lies das alte Tier es geschehen, stupste ihr Anhängsel leicht mit der ergrauten Schnauze an und trottete dann schwerfällig weiter. Lächelnd beobachtete Ayesha das Schauspiel. Loba war alt geworden, doch das hatte an ihrem sanften Wesen nichts verändert. "Wir sind alle älter geworden", dachte sie und spielte mit einigen Haarsträhnen, durch die sich bereits jetzt schon einige graue Schleier zogen. Es waren die vielen dunklen Stunden gewesen, die ihre Jugend schneller vergehen hatte lassen, als ein Herzschlag. Es war soviel geschehen. Ihr Vater hatte den Tod in der Schlacht gefunden, das erste Opfer von vielen in diesem Krieg über den so viele weinten. Sie erinnerte sich noch genau, wie Krieger den geschundenen Leichnam ihres Vaters in das Dorf gebracht hatten. Deutlich vernahm sie die klagenden Gesänge der Alten, sie selbst war in diesem Moment nicht fähig gewesen auch nur eine Träne zu vergießen. Alles war seit jenem Tag nun Gewissheit, sie war die Nachfolgerin und schützte die Menschen nach all ihren Kräften. Doch nicht nur Arlon war von ihnen gegangen. Auch Markos hatte in die trüben Augen Ferons geblickt, ebenso wie der schwarze Schatten... Eine leichte Gänsehaut ließ Ayeshas Nackenhaare erzittern. In ihrem Geist hörte sie die fassungslose Stimme Ryans, gezittert hatte sie und geweint, damals, als sie nach der Überbringung der Nachricht an Nima, die ihr drittes Kind unter dem Herzen getragen hatte, zu ihr gekommen war. "Jetzt verstehe ich ihn", hatte sie gesagt und ihre Augen waren wie aus Glas. "Jetzt, da er nicht mehr ist..." Immer zu, wenn Ayesha sich an Ryan erinnerte, sah sie das abgekämpfte, geschundene Gesicht, das nun eine breite Narbe über die rechte Wange zierte. Der Kampf mit dem schwarzen Schatten hatte nicht nur äußerliche Spuren hinterlassen. Manchmal erschreckte es Ayesha, dass Ryan seit jenen Tagen noch ernster geworden war. Sie war oft nachdenklich, in sich gekehrt und nicht wirklich im Hier und Jetzt sonder weit fort. Wie sie selbst trug Ryan nun Verantwortung, eine gigantische Last auf ihren Schultern. "Zu wenig Zeit", flüsterte Ayesha und setzte sich zu den Füßen der großen Trauerweide und blickte nachdenklich über den See hinweg. An diesem Ort fühlte sie sich Ryan nahe, der weiße Stein glühte dann stets auf und ließ sie wissen, dass sie nicht alleine war. Und doch war sie es, ihrer Begegnungen waren so wechselhaft wie das Wetter und doch war Ayesha auf eine merkwürdige Art und Weise zufrieden. "Mutter", winselte eine trotzige Stimme hinter ihrem Rücken und die zuvor nachdenklichen Gesichtszüge Ayeshas wurden weich. "Was hast du denn, mein Schatz?" Missmutig stampfte der kleine Junge mit seinem Fuß auf, wischte sich über die Nase und sein schwarzes Haar hing ihm in die Stirn. "Loba läuft immer vor mir weg. Dabei will ich ihr doch gar nichts tun, ich möchte doch nur mit ihr spielen." Sanft lächelte Ayesha, zog den Jungen in ihre Arme und strich ihm mit der flachen Hand die Tränen aus den Augen. "Du musst geduldig sein. Loba ist alt geworden, geh noch einmal zu ihr aber dieses Mal nicht ganz so laut und stürmisch, in Ordnung?" Stumm nickte ihr Sohn und lief so schnelle er gekommen war auch wieder von dannen. Erst, als er einige Meter vor der Wölfin stand wurde er langsamer, nährte sich Loba mit Vorsicht und diese wedelte auffordernd zum Spiel mit ihrer Rute. Seufzend blickte Ayesha ihrem Sohn nach, und wie so oft dankte sie den Göttern, dass er kaum etwas von seinem Vater besaß, sondern rein äußerlich eher in ihre Richtung schlug. Es verging kein Tag, an welchem sie in das Gesicht ihres Kindes blickte, dass sie sich nicht fragte, warum sie dem Drängen Torats nachgegeben hatte. Er war wenige Monate nach Kriegsausbruch in ihr Dorf gekommen und hatte sich darauf berufen, dass es der Wille ihrer Väter gewesen war einander zu ehelichen. Es hatte Ayesha einige Tage Überredung gekostet um diesem Mann klar zu machen, dass sowohl er als auch sie keine tiefere Verbindung wollten und es einzig und alleine darauf ankam die Nachfolge ihrer beider Stämme zu sichern. Selbst jetzt empfand es Ayesha immer noch als das unrühmlichste Motiv ein Kind zu zeugen, aber man sagt ja zu recht, dass auch unrühmliche Motive einen guten Zweck herbeiführen mögen und so war es auch. Nur ein einziges Mal zuvor hatte Ayesha solch eine tiefe und reine Liebe empfunden, wie jetzt zu ihrem Sohn. Jedoch im gleichen Atemzug schlug ihr schlechtes Gewissen heftig und greifbar, denn nur sie selbst wusste, dass sie damals womöglich, als sie Torat nachgab, auch Ryan verletzten wollte. Und Ryan war in der Tat verletzt gewesen, sie hatte es nie in Worte gefasst, wohl auch nicht fassen können, aber es hatte sich etwas in ihren Augen verändert. Die Selbstverständlichkeit war gewichen und hatte bitterer Erkenntnis platz gemacht. Erkenntnis, dass auch alles anders hätte sein können. Vielleicht besser oder schlechter, aber anders. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln erhellte Ayeshas Antlitz, wie sehr sie Ryan vermisste wusste nur sie. Es verging kein Tag der Hoffnung, der Erwartung oder der Enttäuschung wenn sie keine Nachricht erreichte. Sie beide waren älter, rationaler geworden, und doch fühlte sich Ayesha in jenen Momenten, wenn sie einander nahe waren wie in dieser Nacht, als sie Ryan in ihren Armen gehalten und in den Schlaf gesungen hatte. Sie fühlte die Liebe und Geborgenheit, welche nie verschwunden war. Selbst das Rad der Zeit hatte sie weder mildern noch vernichten können. Jeden Augenblick war sie für Ayesha präsent. Sacht stützte sie sich mit der linken an dem mächtigen Stamm der Trauerweide ab. Ein lauer Wind fuhr durch das Geäst, und die Weide sang leise ihr Lied von Klage und Demut. Sanft glühte der weißte Stein auf, kündete von dem Besuch eines geliebten Menschen. Kleine durchsichtige Perlen rannen Ayeshas Wangen hinab, doch dieses Mal waren es keine Tränen der Verzweifelung, sondern Tränen der Vorfreude. Sie hatte nun gelernt, die Zeichen zu lesen, welche ihr die kleine Kostbarkeit zusendete. Ryan war nicht mehr weit von ihr entfernt. Durch einen leichten Tränenschleier hindurch sah Ayesha wie die langen Äste der Trauerweide über den Boden kleine Kreise zogen und letztendlich bei ihren eigenen Wurzeln zur Ruhe kamen. Sie lächelte und flüsterte leise: "Wie diese Weide kraft in ihren Wurzeln findet, so findest auch die sie. Selbst wenn du es immer noch nicht begreifen kannst, Ryan. Hier sind deine Wurzeln und ich werde immer auf dich warten. Immer..." Ende Nachwort: So, jetzt ist diese Geschichte doch wirklich zu ende *schnief* Ja, ich behandle sie mit großer Liebe, sie ist meine erste wirklich abgeschlossene, lange Geschichte. Und ich hab auch gar nicht lang für gebraucht, nein, wie komme ich nur auf diese Idee?! Für diejenigen, die evtl. die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen haben, sei gesagt, das hat alles schon so seine Richtigkeit. Nicht nur im Anbetracht auf eine baldige "Fortsetzung" sondern auch, weil ich irgendwie Ayesha noch mehr eine Art Eigenständigkeit geben wollte. Es sollte nicht nur so aussehen, als würde sie ein Abbild von Teleri werden, was ich nie beabsichtigt hatte. Das Markos den Tod gefunden hat war vorhersehbar, jedenfalls sehe ich das so. Dies war auch seine Motivation dafür Ryan mit allen Mitteln mit sich zunehmen. Dass es keinen öffentlichen Showdown gab möchte ich ebenfalls erklären. Ich persönlich habe mir lange überlegt ob es mit einfließen soll, doch dann dachte ich, dieser Epilog soll Ayesha gehören, wie auch der Anfang der Geschichte fast nur ihr gehört hat. Ein leises Versterben Katlars sollte ihm den Frieden geben, der dieser Charakter irgendwie verdient hat. An dieser Stelle möchte ich mich wie so oft bedanken. Igel, du warst wirklich unglaublich, mit wie viel Verständnis du diese Geschichte gelesen und verbessert hast, geht über - für mich - über vieles bekannte hinaus. Danke. Auch Biggi möchte ich an dieser Stelle danken, weil sie einfach wahnsinnig gut motivieren kann. Danke, dass auch du bis zum Schluss durchgehalten hast. Danke auch an die vielen anderen, die diese Geschichte gelesen haben und hoffentlich gut unterhalten wurden. Aber das war bei weitem noch nicht alles, ich melde mich bald zurück und hoffe, es gelingt mir dieser Geschichte treu zu bleiben. Bis bald, seen. © 2006 by seen Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)