Die Trauerweide von Gurgi ================================================================================ Kapitel 1: Das Rad des Schicksals --------------------------------- Das Rad des Schicksals Der Morgen war noch jung, das schwache Licht der aufgehenden Sonne war noch nicht stark genug, um die letzten Schatten der Nacht zu vertreiben. Ein trübes Licht hüllte das Land um den Katzenstein noch ein und es erschien, als wolle selbst das Leben noch nicht erwachen. Als wolle es noch nicht die Augen aufschlagen um das Leid zu erblicken was sich ihnen bot. Ein Leid das schon so viele Jahre herrschte. Ein Leid, an das man Anfangs geglaubt hatte sich zu gewöhnen. Doch wie sollte man sich an eine Gefangenschaft gewöhnen? Eine Gefangenschaft die weit subtiler war als erwartet. Man besaß eine gewissen Freiheit, und doch hatte man diese verloren. Verloren an die Wölfe, die Ogronier, welche von den steilen Küsten der Eismeere in ihr Land eingefallen waren. Stadt um Stadt, Dorf um Dorf hatten sie unter ihre Kontrolle gebracht. Gnadenlos und ohne Reue hatten sie nur Blut durchtränkte und geschändete Erde zurück gelassen. Man fürchtete sie, da jeder wußte auf welch grausame Art und Weise Widerstand bestraft wurde. Wie viele Menschen hatten ihr Leben eingebüßt? Wie viele Dörfer waren vom Erdboden verschwunden? Keiner wußte es genau, doch die Stummen Zeugen waren überall zu erkennen. Wohin man auch sein Auge schweifen ließ, überall waren sie zu finden und ihr stummes Klagen zu vernehmen. Verbrannte Erde, Ruinen die einst Dörfer gewesen waren, Menschen deren leblose Hüllen in den Bäumen der Wälder aufgehängt waren und deren Seelen keinen Frieden fanden da ihr Tod ungerecht bleiben würde. Es war eine rauhe und unsichere Zeit in welche die Menschen lebten. Die Wälder boten den einzigen Ort in dem man Zuflucht fand. Heimatlose und Diebe bevölkerten sie und nutzten die Dunkelheit, um sich zu verbergen, fanden zwischen den starken Bäumen und der Stille des Unterholzes eine neue Heimat Jedoch für diejenigen welche nicht zu den "Kindern des Waldes" gehörten, war es selbst jetzt noch, nach all diesen Jahren, unerträglich sich eingestehen zu müssen das es nie wieder so sein würde wie in alten Zeiten. Die Bündnisse waren zerschlagen, die Stätten ihrer Götter zerstört worden. Sie waren gefangene in ihren eigenen Hütten und die Kinder welche geboren wurden würden niemals erleben was es heißt unbeschwert und frei zu sein. Lautlos kroch der Nebel über die Steilen und scharfen Felsen des Katzsteins, glitt in eine der viele Vertiefungen und lag wie ein Schleier über dem kleinen Dorf, welches am Fuße des Berges lag. Kleine Hütten standen in unregelmäßigen Abständen am Fuße des Berges, welcher sich zur rechten Seite erstreckte. Zur linken war es von einem tiefen und dunklen Wald sowie von einem großen See umgeben. Friedlich schien es so da zu liegen. Geschützt durch den mächtigen Berg und die Dunkelheit des Waldes. Die kühle Morgenluft vertrieb vorsichtig die Schleier des Schlafes, welche noch über dem Dorf lagen, nur sehr langsam hielt das Leben Einzug in die Hütten. Die große Gestalt eines Mannes trat aus einer der Hütten und lies seinen Blick kurz über den See und den vom Licht schwach geröteten Himmel gleiten. Müde fuhr er sich mit seiner Hand über die Augen und sog den frischen Duft der Morgenluft tief in seine Lunge ein. Normalerweise liebte er diese Zeit des Tages. Die Stille die noch über der Welt lag und die Erwartung was der neue Tag wohl bringen würde. Doch diesen Morgen war es anderes. Er wußte genau was vor im lag und seine Augen bekamen einen traurigen Ausdruck. Er hatte viel erdulden müssen, Narben übersäten seinen Körper. Narben aus unzähligen Schlachten, die zu kämpfen vergebens gewesen waren. Er hatte sie damals nicht vor den Wölfen aus dem Eismeer beschützen können und er hatte es hin nehmen müssen das sein Dorf auch die Freiheit verloren hatte. Er wußte das sie ihm immer noch folgten und ihm vertrauten, wie sie auch schon seinen Vorvätern vertraut hatten. Und dennoch wußte Arlon, Sohn des Tellos und der Aruna, dass heute der Tag seiner schwersten Schlacht gekommen war. Eine Schlacht die nicht mit dem Schwert sondern mit anderen Waffen geschlagen wurde. Arlon seufzte geräuschvoll und blickte zu der kleinen Gruppe hinüber die vor den Ställen stand und die Pferde für eine lange Reise rüsteten. Er war zu alt um mit ihnen zu kommen, sein ehemals schwarzes Haar durch zogen nun viele graue Strähnen und in sein Gesicht hatten sich tiefe Furchen der Sorgen eingegraben. Die Jahre waren so schnell verflogen. Arlon atmete noch einmal tief durch und ging einige Schritte auf die Gruppe, bestehend aus fünf Männern zu. Diese hoben ihre Köpfe und neigten sie, als sie die Gestalt Arlon's erkannten sofort wieder ein Stück hinab. Arlon hob seine Hand als Zeichen das diese Art mit welcher die Männer ihren Respekt vor ihm bekunden wollten nicht nötig war. "Sind alle Vorbereitungen für die Abreise getroffen," erkundigte er sich knapp und blickte prüfend auf die gesattelten Pferde. "Ja, die Pferde sind erholt, der Proviant ist sicher verstaut. Wir sind bereit." Arlon nickte kurz und der Angesprochene schwieg wieder. Plötzlich veränderte sich der Ausdruck in Arlons Augen, fieberhaft schien er nach etwas zu suchen. "Ihr seid also bereit, ja? Und wo ist meine Tochter?" Hektisch blickten sich einige Männer um, doch sie schwiegen. "Ich frage euch noch mal. Wo ist sie?" Einer der jüngeren hob seinen Kopf, vermied es allerdings Arlon in die Augen zu sehen. "Sie wollte hinunter zum See," sagte er leise fast mit so etwas wie Schuld in der Stimme. Arlon seufzte laut und schüttelte seinen Kopf. Er hätte es wissen müssen, dass seine Tochter es versuchen würde. Er wandte der Gruppe seinen Rücken zu und eilte mit schnellen Schritten hinunter zum See. Ein kühler Wind blies über ihn hinweg, und bewegte sanft das ehemals ruhige Wasser. Das Schilf wiegte sich rauschend im Wind wie zu einer lautlosen Melodie. Vögel flogen über den See und die schwache Sonne spiegelte sich im Wasser wieder. Arlon wußte, wie sehr seine Tochter dieses Schauspiel was die Natur jeden Tag von neuem zelebrierte genau wie einst ihre Mutter liebte. Eine kleine Gestalt saß zusammen gekauert am Ufer des Sees, sie hatte Arlon den Rücken zu gewandt und rührte sich nicht, auch nicht als sie spürte wie sich zwei große starke Hände auf ihre Schultern legten. Zu sehr war sie damit beschäftigt, eben all diese Dinge nicht spüren und nicht sehen zu wollen. "Was ist mein Kind?" fragte Arlon mit ungewohnter Zart - und Sanftheit in der rauhen Stimme. "Warum sitzt du noch hier unten am See? Die anderen warten auf dich." Trotzig schüttelte das Mädchen ihren Kopf und schwieg weiterhin beharrlich. Sie wollte seine Stimme nicht hören, wollte seine Anwesenheit nicht wahrnehmen. Sie haßte ihn in diesem Augenblick. "Ayesha du wirst mich nicht dein ganzes Leben lang hassen können." "Vielleicht nicht mein ganzes Leben, aber wenigstens einen kleinen Teil davon," erwiderte sie und starrte immer noch auf den See hinaus. Arlon schüttelte abermals seinen Kopf. Wie starrsinnig konnte dieses Kind nur sein? Glaubte sie das ihm all dies hier leicht fiel? Wie konnte sie das nur glauben. Langsam setzte sich Arlon neben seine Tochter und blickte in ihr Gesicht. Ihre Gesichtszüge waren unbewegt wie die einer Statur, keine Gefühlsregung konnte er erkennen. "Es ist schön hier nicht wahr?" fragte er leise. "Ich weiß noch das deine Mutter diesen Platz sehr geliebt hat. Immer wenn sie traurig war kehrte sie zum See zurück um alles vergessen zu können. Ich wußte immer wo ich sie finden konnte, du bist ihr da sehr ähnlich mein Kind." Ayesha sah kurz zu ihrem Vater hinüber. Warum erzählte er ihr all das gerade jetzt? Sie sah, dass seine Augen ebenfalls traurig auf den See blickten. Es war nicht das erste mal das sie ihren Vater so sah. "Warum schickst du mich fort?" fragte sie und ihre Stimme begann zu zittern. "Ich will nicht fort von hier. Ich will dich nicht verlassen." Ihre Stimme verwandelte sich in ein Schluchzen. Vorsichtig streckte Arlon einen Arm aus und umfing seine Tochter, diese drückte ihr Gesicht gegen seine Brust, um ihr Schluchzen zu unterdrücken. "Ich will doch auch nicht, dass du mich verläßt," flüsterte Arlon ihr ins Haar. "Doch du bist hier einfach nicht sicher. Wir sind nicht mehr genug, um das Dorf zu beschützen. Glaubst du ich könnte mit ansehen wie einer dieser Wölfe dich mich sich nimmt? Ich will dich in Sicherheit wissen. Ich will dich nicht auf die gleiche Art und Weise verlieren wie ich schon deine Mutter verloren habe," nun war es die Stimme Arlons die abbrach. Seine Gedanken kehrten zu diesem schrecklichen Winter zurück. Zu diesem Winter kurz nach Ayeshas Geburt. Wie Tiere waren sie über das Dorf hergefallen, wie ausgehungerte, mordgierige Tiere. Er war nicht da gewesen. Warum war er nicht da gewesen, hätte er etwas ausrichten können? Die Hütten waren entzündet worden, die Tiere abgeschlachtet. Tote säumten den Weg zum See, man hatte ihm das Liebste genommen was er hatte. Seine Frau. Tod trieb sie auf der Oberfläche des Sees und ihre Augen hatten ausdruckslos in den Winterhimmel geblickt. Alles, was Arlon geblieben war, das war seine Tochter die er mit sich genommen hatte. Mühsam löste er sich aus diesen Erinnerungen und sah seine Tochter an. "Begreifst du jetzt, warum ich all das hier tue?" fragte er leise. "Glaub mir, Torat ist ein ehrbarer junger Mann. Ich weiß, dass er dich beschützen kann, er wird das tun für was ich zu alt geworden bin." Stumm lag Ayesha in den Armen ihres Vaters und spürte wie er ihr immer noch sanft über ihr Haar strich. Ja, sie verstand ihn, doch wie sollte sie glücklich werden wenn hier ihre Heimat war? Sie kannte niemanden wohin man sie schickte...es waren Fremde ohne Gesichter. Ihr bekannt durch ihre Namen und Taten und dennoch waren und würden es Fremde für sie sein. "Komm jetzt," sagte ihr Vater und stand auf. "Ihr müßt aufbrechen." Widerwillig erhob sich Ayesha und blickte noch einmal über den See, hinauf zu dem Berg. Blickte noch einmal über ihr zu Hause. Sie spürte, dass ihr Vater ihre Hand mit der seinen umfing und sie langsam mit sich zog...Ayesha wußte das man sich nicht gegen sein Schicksal wehren konnte. Über das ihre war bereits entschieden worden. Schemenhaft tauchten die Gestalten ihrer Reisegefährten vor ihr auf. Alle saßen bereit zum Aufbruch auf ihren Pferden und blickten Ayesha an. Teils mitfühlend, da sie wußte wie schwer ein Abschied war, teils ungehalten weil sich ihr Aufbruch durch sie verzögert hatte. Arlon ergriff die Zügel des letzten Pferdes und sah seiner Tochter zu wie sie aufsaß. Er hatte schon damals, als er sie zum erstenmal in seinen Armen gehalten hatte gewußt das dieser Tag kommen würde...doch er hatte nie gedacht wie schmerzhaft er werden würde. Es war wahrhaft seine schwerste Schlacht. Erneut ergriff er die Hand seiner Tochter, führte sie zu seinen Lippen und küßte sie leicht. "Lebewohl mein Kind," sagte er leise und spürte wie sich seine Kehle bei diesen Worten zusammen zog. "Wir sehen uns wieder. Paß auf dich auf." Tränen glitzerten in Ayeshas Augen. "Lebewohl Vater, ich liebe dich." Sie beugte sich noch einmal zu ihm hinunter, drückte ihn fest an sich, als wolle sie ihn nicht los lassen. Doch dann setzten sich die Pferde in Bewegung. Die Hand von Ayesha glitt aus der ihres Vaters. Immer weiter entfernte sie sich von ihm. Ayesha hob die Hand und winkte ihm noch ein letztes mal zu, Arlon tat es ihr gleich und sah ihr nach bis der Wald die Reiter verschluckte. Für einen kurzen Moment schloß er gequält seine Augen. Er fühlte sich in diesem Moment so alt. "Der Kreis des Lebens hört nicht auf sich zu drehen," dachte er. Dies hatte er gewußt, doch ihm war nie wirklich klar gewesen wie schmerzhaft es sein konnte zusehen wie ein Kind sein zu Hause verläßt. Immer höher stieg die Sonne, streichelte das Blattwerk und die von Tau bedeckten Wiesen. Die Sonnenstrahlen tanzten auf der Oberfläche des Sees, leuchteten wie kleine Sterne und wärmten den alten Mann welcher einsam am Ufer des Sees saß und gedankenverloren über das Wasser blickte... Nachwort: So, das wäre dann das erste Kapitel...Ich hoffe ich konnte dieses "Niveau" das der Prolog offenbar gehabt hat aufrecht erhalten (bin mir da nicht so sicher). Sollte dieses Kapitel etwas verwirrt haben... nun, es wird sich alles noch klären. Ich hoffe das Lesen hat doch etwas Spaß gemacht. Ich bedanke mich bei allen die meine Spinnerei gelesen haben und auch bei allen die mir zum Prolog so liebe und konstruktive Kommentare geschrieben haben. Sollte es was zu bemängeln geben. Kritik und Verbesserungsvorschläge sind immer willkommen. Adios seen Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)