Die Trauerweide von Gurgi ================================================================================ Kapitel 25: Blutiger Schnee --------------------------- Blutiger Schnee Fahles Licht flackerte in unregelmäßigen Abständen auf. Kalter Wind suchte sich seinen Weg durch die kleinen Ritze des Mauerwerks. Ließ das Feuer der Fackeln sacht erschaudern. Zusammen gesunken saß Gerin in einem großen Lehnsessel, tippte sich in einem gleichmäßigen Rhythmus mit seinem Zeigefinger gegen sein Kinn. Nachdenklich furchte er seine Stirn und fixierte das Spielbrett sorgenvoll. Während der letzten Wochen hatte er viel gespielt. Jeden Abend hatte er seine Partie fortgesetzt, hatte neue Züge und Strategien festgelegt, bis letztendlich nur noch wenige Figuren übrig geblieben waren. Sein Spiel war fast zu ende. Lange würde es nicht mehr dauern, bis er seinen letzten Zug vollführen würde. Der Sieg war ihm sicher, so sicher, dass er ihn beinahe mit seinen Finger greifen konnte. Er lächelte schief, zog einen der Schwertkämpfer zwei Felder vorwärts und sank seufzend gegen die Lehne des Sessels. Mit diesem Zug hatte er dem Boten des Generals den Weg abgeschnitten. Es war ein guter Zug gewesen, sein Vater wäre stolz auf ihn. Er war, während der letzten Jahren, wahrlich ein Meister des Thorns geworden. Er war ein beinahe unschlagbarer Spieler. Doch nicht nur in diesem fiktiven Spiel hatte er sich zu einem Meister entwickelt. Gerin wusste, seine Fähigkeiten waren in den letzten Jahren gewachsen. Er war mächtiger und stärker geworden, als es der Hohe Rat jemals für möglich gehalten hatte. "Diese Narren glauben doch wirklich, ich wäre eines ihrer Spielzeuge", dachte er bitter und stand auf. "Wie einfältig von ihnen. Sie werden schon noch sehen, welch ein Spielzeug sie geschaffen haben. Welch einen mächtigen und dunklen Strategen." Ein bösartiges Lächeln legte sich um Gerins Mundwinkel, während er mit zittrigen Fingern den kleinen Dolch aus der Scheide zog. Getrocknetes Blut klebte noch immer an der Klinge. Dunkel glitzerte es im spärlichen Licht auf. Unwillkürlich erinnerte er sich an den Ausdruck in Neroms Augen, kurz bevor er ihm die Kehle durchtrennt hatte. Angst hatte er in ihnen lesen können. Angst, Vorahnungen und Entsetzen. Wie sehr hatte er dieses Gefühl der Macht genossen. Welch eine Last war von seinen Schultern geglitten, als er seinem ehemaligen Lehrmeister das Lebenslicht gestohlen hatte. Es war ein erhabenes Gefühl gewesen, schwer sich ins Gedächtnis zurufen. Zu überwältigend hatte es sich angefühlt. Aus diesem Grund hatte es Gerin bis jetzt auch vermieden, diese Klinge zu säubern. Sorgfältig war er darauf bedacht gewesen, sie nicht berühren. Zärtlich strichen seine Fingerspitzen über das dunkle Blut. Es fühlte sich merkwürdig an. Beinahe so hart wie Stein, doch gleichzeitig so porös, dass er fürchtete es zu zerstören. "Damit hattest du nicht gerechnet, nicht wahr, alter Freund", flüsterte Gerin leise und hob den Dolch ein wenig an. "Du hattest nie damit gerechnet, dass ich es sein würde, der dir den Tod bringt." Leise lachte er auf. Es war alles zu perfekt. Still und behutsam hatte er Nerom und zwei weitere Mitglieder des Hohen Rates entfernt. Angst ging in den Reihen der Hinterbliebenen um. Jeder fragte sich, wer der nächste sein mochte. Beständig schwebte diese Gefahr über ihnen, sie begannen Fehler zu machen. Grobe Fehler. Exekutionen waren veranlasst worden, neue Gesetze, wichtige Männer waren ihrer Ämter enthoben. Unmut hatte sich unter den Kriegern breit gemacht. Einen Unmut, den Gerin gut für sich nutzen konnte. Jeden Tag mehr und mehr wuchs leise seine Macht und niemand konnte diesen Zustand aufhalten. Niemand. Es war alles perfekt... Mit einer schnellen Handbewegung ließ Gerin den Dolch zurück in den Scheide gleiten. Er durfte ihn noch nicht nutzen, er hatte seine Bestimmung noch nicht erfüllt. Genau wie er selbst. "Siehst du das, Bruder?" fragte er und trat zum Fenster. Leise fiel junger Schnee vom Himmel. Dunkle Wolken verhüllten die Sterne, die Welt schlief. "Siehe genau hin. Ich habe es dir gesagt, du wirst meinen großen Sieg miterleben. Wie töricht von dir, dass du nicht auf meiner Seite stehst. Wie töricht, Katlar. Ich hätte nie geglaubt, dass du so dumm bist." Schweigend quittierte die Welt seine Worte. Unaufhörlich fiel der Schnee, legte sich behutsam über die kahlen Baumwipfel. Ließ sie fast wie Geister wirken. Wie sehr hatte sich Gerin die Unterstützung seines Bruders gewünscht. Katlar war ein großer Krieger. Viele verehrten ihn noch, doch das schien für ihn keine Bedeutung mehr zu haben. Alles, wonach Katlar strebte, war seinen Frieden zu finden. Jedoch erschien es beinahe grotesk, dass er nur in seinem eigenen Tod oder in dem Tod des Mädchens dazu in der Lage sein würde. Um diesen Umstand wusste Gerin, nur hatte er bis jetzt gezögert von seinem Wissen gebrauch zu machen. "Eines muss ich dir lassen", flüsterte er, lehnte seinen Körper leicht gegen die kalte Wand. "Du hast dir ein gutes Versteck gesucht, keiner meiner Späher hat dich bis jetzt gefunden. Ryan ist darin nicht minder geschickt. Ich habe ihre Spur in den Wäldern verloren. Im Verstecken seid ihr wahre Meister." Zärtlich strich Gerin über das kalte Glas des Fensters. Kaum merklich begannen seine Hände zu zittern. Nervosität vibrierte in seinen Nerven. Schon seit vielen Jahren hatte er sich nicht mehr so gefühlt. Unwirklich, nervös wie ein Schüler der zum ersten Mal seinem Lehrmeister gegenüber steht. "Ihr habt mich alle unterschätzt", dachte er missmutig. "Habt geglaubt, ich wäre ein naiver Junge. Jetzt werdet ihr dafür bezahlen. Es ist ein hoher Preis, den ihr zahlen werdet. Oh ja, ein sehr hoher Preis." Laut heulte Wind in den Baumkronen auf, Äste brachen unter dem Gewicht des Neuschnees und fielen ächzend in die Tiefe. Zufrieden wandte Gerin seinen Blick vom Fenster ab. Ließ sich schnaufend zurück in den Sessel sinken und besah prüfend das Spielbrett. Zögernd streckte er seine Hand aus, vollführte für die Gegenseite einen gut durchdachten Zug und nahm zwei seiner Figuren vom Brett. Das Spiel neigte sich dem Ende. Feine Schweißperlen sammelten sich auf Gerins Stirn, während er seinen nächsten Zug plante. Nur noch zwei Mal die Figuren bewegen, nur noch zwei Mal alles abwägen, dann war es entschieden. Jahre lang hatte er gespielt. Hatte alles sorgsam geplant, hatte sich Nächte lang Gedanken gemacht. Nun war es Zeit die Früchte seiner Arbeit zuernten. Er hatte eine wahrlich gute Saat gewählt. Genüsslich umfassten seine Finger den Kopf des Magiers. Er zitterte vor Wohlgefallen. Ganz langsam zog er die hölzerne Figur über das Brett, bis sie genau drei Felder vor den hohen Generälen stand. Zufrieden nickte er, entfernte die vier besiegten Spielfiguren und legte sie sorgsam neben das Brett. Entspannt sank Gerin zurück. Den letzten, entscheidenden Zug würde er sich aufheben. Zu groß war die Süße des Sieges, als das man sie leichtfertig vergeuden durfte. Und sein Sieg würde wahrlich ein großer werden. Dessen war sich Gerin gewiss. Er wollte sich diesen Genuss bis zum Schluss aufbewahren. Es war bald soweit. Bald war das Ende seines Spiels gekommen. Schon sehr bald... Leise ächzte der Schnee unter den Pfoten Lobas auf. Aufgeregt lief die schwarze Wölfin hin und her, versuchte ihr gegenüber zu einem Spiel zu bewegen. Fest stemmte sie ihre Vorderpfoten in den Schnee, blickte das große Mädchen an. Wedelte auffordernd mit ihrem Schwanz. Scharrte etwas Schnee zu ihren Füßen, jaulte leise und sprang gleich darauf wieder auf ihre Pfoten. Doch all ihre Mühe war vergebens. Das große Mädchen reagierte nicht. Starr saß es auf einem kleinen Felsen, ihre Augen waren geschlossen und ihr Atem entwich gleichmäßig ihrem Körper. Verwirrt setzte sich Loba, legte ihren Kopf schief, fixierte ihr gegenüber fest. Forschte in dem verschlossenen Gesicht, fand jedoch nichts. Kalt schien die Mimik dieses Menschen zu sein, fast wie Eis war das junge Gesicht. Vorsichtig neigte die schwarze Wölfin ihren struppigen Kopf, kroch zaghaft auf allen vieren näher an das große Mädchen heran. Der ihr jahrelang vertraute Geruch dieses Menschen stieg ihr in die Nase. Genüsslich schloss die Wölfin ihre Augen, brummte leise und legte ergeben ihren Kopf zu den Füßen des Mädchens nieder... Konzentriert hielt Ryan ihre Augen geschlossen, versuchte alle Einflüsse aus der Außenwelt von sich abzuschirmen. Ein leichtes Prickeln auf ihrer Haut ließ sie wissen, dass sie eine Verbindung zur Traumwelt geschaffen hatte. Die Welt verschwamm langsam vor ihren Augen, schneller rauschte ihr Blut durch ihre Adern. Fester versuchte sie vorzudringen, einen Kontakt her zustellen. Wie sehr sehnte sie sich nach der liebevollen Stimme ihres Onkels. Nie hätte sie glaubt, dass sie zu einem Menschen solch eine Bindung eingehen könnte. Die kalte, unnahbare und verschlossene Ryan war durch Markos und Ayesha verschwunden. Leicht lächelte sie, war dieser Umstand doch noch so neu. So neu, dass sie sich oft fragte, ob sie träumte. Es war auch fast wie ein Traum. Sie hatte Liebe gefunden. Eine aufrichtige, tiefe Liebe, wie man sie nur einmal in einem gesamten menschlichen Leben verspüren mochte. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sich Ryan zu gehörig. Zu einer Familie, zu einem Menschen. Alles war vollkommen, und doch war diese stille Angst tief in ihr geblieben. Diese Angst, dass die dunklen Schatten ihrer Vergangenheit sie einhohlen würden. Nie waren sie gewichen. Würden sie es jemals vollständig tun? Wie gern wollte sie daran glauben. War nicht der Glauben das Werkzeug, welches die Menschen jeden Tag von neuem aufrichtete? Ihnen Kraft gab, um den neuen Tag zu bestreiten? Wie sehr wollte Ryan dieses Mal daran glauben, dass diese dunklen Schatten sie nicht finden würden. Stumm rief sie den Namen ihres Onkels, versuchte sein Bildnis sich ins Gedächtnis zu rufen. "Markos", rau war ihre Stimme, während sie diesen Namen sprach. "Markos, hörst du mich? Onkel, sprich mit mir..." Schweigen. Nichts war zu vernehmen, sie hörte die ihr vertraute Stimme nicht tief in ihrem Inneren. Konzentriert verharrte Ryan, rief sich das Gesicht ihres Onkels zurück in ihr Gedächtnis. Hielt es mit unsichtbaren Fingern fest. "Markos", flüsterte sie leise in ihren Gedanken. "Ich weiß, dass du da bist. Ich spüre dich. Warum antwortest du mir nicht?" "Du bist geschickt geworden, Nichte." Schief lächelte Ryan. Warm prickelte der weiße Stein über ihrem Herzen, erfüllte ihren Körper mit Zuneigung. "Ich habe es gespürt. Du hast schon länger stumm meinen Worten gelauscht. Wolltest du mich prüfen?" fragte sie und in ihrer Stimme schwang Ärger mit. Ein leises Lachen hallte in ihrem Kopf wider, gut konnte sie sich das lachende Gesicht Markos' vorstellen. Die kleinen Fältchen, die sich um seine Mundwinkel legten, den schelmischen Ausdruck in seinen Augen. In solchen Momenten erschien er mehr wie ein kleiner Junge, nicht wie ein Mann. "Ja, in gewisser Weise wollte ich das, Ryan. Ich muss doch sicher gehen, dass du den Umgang mit dieser neuen Welt beherrschst." Das Lächeln auf Ryans Gesicht wurde wärmer. Schon seit Jahren war es nicht mehr so ehrlich gewesen wie in diesem Augenblick. Es war wahrlich lange her, zu lange. "Ich habe dich vermisst, Markos", bekannte sie zaghaft. Zuckte im nächsten Moment zusammen. Ihre Hand begann zu zittern, die feinen Haare stellten sich auf, während unsichtbare Finger sanft über ihre Haut strichen. "Ich weiß", erwiderte ihr Onkel mit bedauern. "Ich vermisse dich auch, Ryan. Das Leben spielt seltsam mit uns, nicht wahr? Wer hätte das einst für möglich gehalten..." "Von was sprichst du?" Ein leises Seufzen erfüllte diese unnatürliche Welt, ließ ihre leuchtenden Farben dunkler werden. "Jahre lang waren wir getrennt, kannten uns nicht und nun, da sich alles verändert sehnen wir uns nacheinander. Aber sag, bist du glücklich?" "Ja", zu ihrer eigenen Überraschung musste Ryan nicht lange über diese Antwort nachdenken. Sie kam ganz selbstverständlich über ihre Lippen. Es war zum ersten Mal in ihrem Leben einfach zu sagen, dass sie glücklich war. Sie konnte das zufriedene Gesicht ihres Onkels sehen, wie er anerkennend nickte, ihr zu lächelte. Sie spürte, dass der Druck auf ihrer Haut stärker wurde. Sie erwiderte ihn... Sanft hielt sie die Hand Markos' umfangen, fühlte seine Stärke, sein Vertrauen. "Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mich diese Antwort freut", erklärte er erleichtert. Doch irgendetwas Fremdes schwang noch in seiner Stimme mit, es klang fast wie Bedauern oder Angst. Argwöhnisch furchte Ryan ihre Stirn. Konzentrierte sich durch die dünne Mauer, welche Markos um seine Sorgen gelegt hatte, zu brechen. Heftig prallte ihr Geist zurück, Ryan keuchte leise, wischte sich einige Schweißperlen von der Stirn und senkte schuldbewusst ihr Haupt. "Du bist geschickter geworden", raunte Markos ihr zu. "Aber so geschickt bist du noch nicht. Dieser Ort geht dich nichts an, Kleine. Er geht dich noch nichts an." "Verzeih..." "Hör auf damit", hallte die ärgerliche Stimme in ihrem Kopf wider. "Es gibt Dinge, von denen du noch nichts wissen musst. Sie werden euch früh genug erreichen, viel zu früh. Sei für die Sorglosigkeit, die ich dir schenke dankbar." Schweigend nickte Ryan. Sie verstand diese Worte nicht. Sie klagen bedrohlich, so als würde sich das Rad der Zeit bald weiterdrehen. Als würden neue Schatten über sie alle herein brechen. Furcht sammelte sich in ihrem Geist, sie begann zu zittern. Ob vor Kälte oder vor Angst, wusste sie nicht. "Hab keine Angst", sanft war nun Markos Stimme geworden. So, als würde er versuchen einen Albtraum zu verscheuchen. Sanft strich seine Präsenz um Ryan, versuchte ihr Kraft zu geben. "Ryan, du musst mir einen Gefallen tun." "Jeden", versicherte sie mit schwankender Stimme. "Versprich mir, dass du die Zeit mit diesem Mädchen auskostest, jeden Augenblick. So, als wäre es der letzte. Versprich es mir, bitte..." "Es gibt nichts, was ich dir lieber versprechen würde, Markos. Nichts." "Sehr gut. Ich muss jetzt gehen." "Wann sehen wir uns wieder?" fragte Ryan mit brüchiger Stimme. Ihr gefielen die Worte ihres Onkels nicht. Sie fühlte mir jeder Faser ihres Körpers, dass etwas nicht stimmte. "Bald", erklärte er zärtlich. "Aber ich hoffe, dass ich für das erste nicht all zu bald mit dir in Kontakt treten muss. Auf bald, Ryan. Ich liebe dich." Mit diesen Worten entschwand der Geist Markos' langsam. Zog sich Stück für Stück aus Ryans Körper zurück, bis sie alleine war. Zaghaft schlug sie die Augen auf. Helles Licht schien ihr ins Gesicht. Augenblicklich schloss sie ihre schmerzenden Augen, fuhr sich mit allen zehn Finger durchs Haar. Doch dieses Chaos in ihrem Kopf wollte sich nicht ordnen lassen. Immer noch spürte sie tief in sich diese Unsicherheit. Grübelte über die Worte ihres Onkels nach. Besorgt schien er gewesen zu sein. Seine Gedanken schienen bei wichtigeren Dingen zu verharren. Angst hatte sie in seinen Worten gelesen. Große Angst... Ein leises Jaulen drang an Ryans Ohren und sie schlug verwirrt ihre Augen auf. "Loba, verzeih mir, ich habe dich ganz vergessen", sanft strich sie über den Kopf der schwarzen Wölfin. Kraulte sie gedankenverloren hinter ihrem Ohr. "Oh, mein altes Mädchen", flüsterte Ryan. "Ich fürchte, dunkle Zeiten kommen auf uns zu. Ich weiß noch nicht was es ist, doch es kommt immer näher. Ich kann es fühlen, mit jeder Faser in meinem Körper. Ich kann es fühlen..." Irritiert setzte sich das Tier auf, blickte den Menschen vor sich prüfend an. Kaum merklich kräuselten sich die feinen Haare auf Lobas Schnauze, sie knurrte leicht. "Du spürst es auch, nicht wahr?" fragte Ryan und zog ihre alte Freundin an sich. Hielt sich an ihr fest. "Lass uns versuchen dieses Gefühl zu ignorieren", wisperte sie so leise, dass es nur das Tier vernehmen konnte. "Wer weiß, wie lange uns vergönnt ist es zu tun. Es kann nicht mehr lange dauern." Zitternd vergrub Ryan ihr Gesicht in dem dicken Fell der Wölfin, überließ sich ihrer schweigenden Zustimmung und ihrer tröstlichen Wärme. Nachdenklich faltete Ayesha ihre feingliedrigen Hände, furchte ihre Stirn und besah die kleine Schriftrolle vor sich genauer. Sie kannte die Handschrift sehr gut, die gleichen Hände hatten es geschrieben, die sie auch schon als kleines Kind gehalten hatten. "Mein liebes Kind, zu meiner eigenen Zufriedenheit haben sich die Dinge entwickelt. In einigen Tagen werden wir aufbrechen. Ich freue mich, dich dann wieder sehen zu können. Mir sind einige positive Dinge über dich zu Ohren gekommen, jedoch wurden mir auch einige unerfreuliche Nachrichten überbracht. Aber darüber werden wir sprechen, sobald ich wieder im Dorf bin. Ich bin sehr stolz auf dich, mein Kind. Nun habe ich die Gewissheit, dass du auch ohne mich in der Lage bist deine Pflichten zu erfüllen. Wie sehr ich darüber erfreut bin, kann ich dir in Worten kaum begreiflich machen. Auf bald, Ayesha. In wenigen Tagen bin ich wieder bei dir. In Liebe Arlon" Seufzend lehnte sich Ayesha zurück, legte ihre gefalteten Hände in den Schoß und sah zur Decke hinauf. Wie sehr hatte sie die Heimkehr ihres Vaters herbei gesehnt. Doch jetzt verspürte sie tief in sich eine merkwürdige Angst aufkeimen. Sie verstand noch nicht einmal, warum sie sich plötzlich fürchtete. Vor was? Warum ließ sie dieses Gefühl nicht mehr ruhen, seitdem sie den Brief ihres Vaters erhalten hatte. Vorsichtig strich sie die Zahlen am Fuße des Briefes nach. Vor knapp vier Wochen hatte ihr Vater diesen Brief verfasst. Er würde somit bald ihr Dorf erreichen. "Vielleicht noch ein oder zwei Tage", dachte sie sorgenvoll. Ein heftiges Zittern durchfuhr Ayeshas Körper und sie erhob sich unruhig, lief nervös in dem kleinen Arbeitszimmer auf und ab. Unruhe bemächtigte sich ihren Gedanken, was war nur los mit ihr? Sie verstand es nicht, konnte keine Erklärung für ihre Ängste finden. Leise seufzte sie auf, lehnte sich leicht gegen die Wand und sah aus dem Fenster hinaus. Neuer Schnee war gefallen, der Winter stand bereits in seiner Blüte. "Wie schnell die Zeit doch vergeht", flüsterte Ayesha leise und strich gedankenverloren über das kalte Glas. In der Tat war die Zeit schnell vergangen, vielleicht aus dem Grund, dass Ayesha nun glücklich war. Sie erinnerte sich an Worte ihres Vaters. "Glückliche Stunden vergehen so schnell wie ein Herzschlag, dunkle Stunden währen jedoch wie eine kleine Ewigkeit." Wie viel Wahrheit in diesem Satz steckte, begriff Ayesha doch erst jetzt. Die Stunden, welche sie zusammen mit Ryan verbrachte, eilten so schnell vorbei, dass es sie oftmals erschreckte. Nicht oft erinnerte sich Ayesha noch an die Tage, in welchen sie um ein Zeichen Ryans gefleht hatte. Wie lang waren ihr damals die Stunden vorgekommen? Jeder Moment war wie Tage gewesen. Endlose, dunkle Tage. Ein scheues Lächeln zierte Ayeshas Mundwinkel, fast schon erschien es grotesk, doch sie hatte noch nie einen so wunderschönen Winter erlebt. Bis jetzt hatte der Winter ihr immer nur Schmerz gebracht... Plötzlich legten sich Arme um ihre Taille, zogen sie an einen anderen Körper. Sanfte Lippen küssten ihren Nacken und Ayesha schloss ergeben ihre Augen. "Warum so nachdenklich?" flüsterte Ryan ihre leise ins Ohr und küsste ihre Wange. Tief atmete Ayesha den Geruch Ryans in ihre Lungen ein, schmiegte ihren Kopf in Ryans Halsbeuge und umfing ihre Hände mit den ihren. Streichelte sanft die raue Haut. "Ich weiß es nicht", gestand sie ebenso leise. Schweigend standen beide da, hielten sich fest, genossen die Wärme des anderen, hüllten sich in stumme Zuneigung, die keine Worte bedurfte. Für einen kurzen Moment schüttelte Ryan alle Ängste und Zweifel von sich ab, versank in dem stummen Frieden, den Ayesha ihr schenkte. Doch tief in ihr blieb etwas von der dunklen Vorahnung zurück, ein dunkler Schatten, der irgendwann an Macht gewinnen würde. Sie fühlte die sanfte Hand Ayeshas, wie sich ihre Wange entlang strich, über den Hals wanderte und letztendlich mit dem kleinen weißen Stein spielte. Kurz zuckte Ryan zusammen und umschloss Ayesha fester. "Du hast mir immer noch nicht erzählt, wo du warst, Ryan", sagte Ayesha und wandte ihr das Gesicht zu. In ihren Augen sah Ryan das Ayesha nach Antworten dürstete. Sie hatte es lange hinaus gezögert, sehr lange. Warum hatte sie ihr nicht erzählt, dass sich der Schleier um ihre Vergangenheit gelüftet hatte, dass sie nun wusste, wer sie wirklich war, zu wem sie gehörte. "Ich weiß", erwiderte sie, hauchte einen flüchtigen Kuss auf Ayeshas Stirn. "Es ist nur seltsam darüber zu sprechen, es hat sich viel verändert. Sehr viel." "Und, willst du es mir jetzt sagen, oder muss ich immer noch warten?" Warm lächelte Ryan auf Ayesha hinab, schüttelte leicht ihren Kopf, atmete tief durch. "Ich, ich", begann sie, brach ihren Satz ab, suchte in ihrem Kopf nach den richtigen Worten. "Ich weiß jetzt wer ich bin. Meine Familie hat mich gefunden, Ayesha. Ich weiß jetzt, wohin ich gehöre..." Abrupt drehte sich Ayesha in ihren Armen um, blickte sie lange schweigend an. Zeichnete die Konturen ihres Gesichtes nach und lächelte. "Wer hat dich gefunden?" harkte Ayesha nach, streichelte behutsam über Ryans Haar und zog sie in ihre Arme. "Mein Onkel, ich weiß, das klingt alles etwas seltsam. Er hat mich gefunden, viele meiner Fragen haben endlich eine Antwort erhalten. Ich weiß wer ich bin, Ayesha. Ich weiß es endlich." Zärtlich drückte Ayesha Ryans Körper an den ihren, hielt sie einfach nur stumm fest, spürte die Freude, welche den anderen Körper durchflutete. Ayesha wusste, wie lange Ryan nach diesen Antworten gesucht hatte. Wie sehr es sie belastet hatte, nicht zu wissen zu wem sie gehörte, wer ihre Familie war. Ihre Hände wanderten zu dem kleinen Anhänger über Ryans Brust. Sanft strich sie über den Stein, spürte, dass er warm wurde. "Ich schätze, dieser Anhänger hat dabei eine nicht unwesentliche Rolle gespielt, nicht wahr?" Leise lachend nickte Ryan, umfing Ayeshas Hände, spürte die Wärme. "Ich werde dir die ganze Geschichte erzählen, heute Abend, ich verspreche es." "Nun, ich habe ja lange gewartet, dann sind ein paar Stunden nicht der Rede wert", erwiderte Ayesha, legte ihren Kopf gegen Ryans Brust und lauschte dem gleichmäßigen Herzschlag. "Ayesha", flüsterte Ryan und zerbrach damit die Stille zwischen ihnen, zaghaft spielten ihre Finger mit einigen dunklen Haarsträhnen. "Was ist los mit dir? Irgendetwas stimmt doch nicht, ich fühle das." "Mein Vater", bekannte Ayesha leise und vergrub ihr Gesicht noch tiefer in Ryans Gewand, fast so, als wolle sie sich verstecken. "Er wird bald zurückkommen, ich weiß nicht, aus irgendwelchen Gründen mache ich mir Sorgen." "Ist es wegen mir?" fragte Ryan mit belegter Stimme, ihr Körper verkrampfte sich. Sie hatte, seitdem sie in diesem Dorf weilte, die seltsamen Blicke der anderen Bewohner wahrgenommen. Man beäugte sie, in einigen Augen las sie Neugier, in anderen Angst und manchmal glaubte sie sogar Abscheu in ihnen zu erkennen. Sie wusste um die Gespräche, die Ayesha mit einigen aus dem Dorf geführt hatte. Sie kannte den Inhalt, wusste, dass sie für viele einen Eindringling repräsentierte. "Nein, es ist nicht wegen dir", versuchte Ayesha Ryan zu beschwichtigen. Sie hatte die Veränderung in Ryans Augen bemerkt, sie wurden langsam dunkler, sorgenvoll. "Ich weiß es wirklich nicht, aus irgendeinem Grund sorge ich mich, aber das hat nichts mit dir zutun. Gewiss nicht, ich schwöre es dir, Ryan." Schweigend nickte Ryan, zog Ayesha erneut in ihre Arme. Sie wollte jetzt nicht an all diese Sorgen, Zweifel und Vorahnungen denken. Sie hatte lange genug ihr Leben von diesen Dingen bestimmen lassen. "Lass und einfach abwarten", flüsterte Ryan leise, küsste Ayesha auf ihr Haar, hielt sie fest. "Wir werden schon noch sehen, ob du dir zu Recht Sorgen machst. Lass uns einfach abwarten, was die Zeit uns bringen wird..." Stumm nickte Ayesha, überließ sich der Wärme und der Kraft Ryans. Lautlos fielen Schneeflocken gen Boden. Dunkle Wolken sammelten sich, um in einen Kampf gegen die Sonne zu ziehen. Die Welt wurde still, schloss ihre Augen, wusste noch nicht, was auf sie zu kommen würde. Wind strich durch die kahlen Baumkronen, scharf knackte das zugefrorene Wasser. Kleine Risse zogen sich durch Eis und Schnee. Leise seufzte Ayesha auf, schloss ihre Augen. Laut heulte der Wind, wirbelte Schnee auf, brachte morsche Äste zum erliegen und kroch durch die Ritzen und Spalten in die Häuser. Zitternd und von Sorgen geplagt hielt sie sich an Ryan fest, lauschte schweigend dem Wiegenlied des Windes und ahnte, dass etwas vor sich ging. Etwas, auf das niemand mehr Einfluss hatte. "Nordwind", dachte Ayesha und presste ihr Gesicht in Ryans Kleidung. "Der Nordwind bringt Veränderung. Veränderung und Schmerz. Ja, es ist Nordwind aus dem Eismeer..." Lautes Stimmengewirr erfüllte die kleine Halle. Fackeln tauchten die Szenerie in ein gespenstisches Licht. Wachen standen unbewegt neben den großen Flügeltüren, aus leeren Augen beobachteten sie die sechs Männer, die um einen Tisch saßen und wild durcheinander schrieen. Angst schwebte über ihnen, deutlich war sie zu spüren. In den Augen der Männer hatte Furcht Einzug gehalten. Feine Schweißperlen glitzerten im fahlen Licht auf ihren Stirnen, hektisch blickten sich einige um, als erwarteten sie einen erneuten Angriff. Die stärksten und besten Feldherren der Ogronier waren zu verängstigten und unbesonnen Jungen geworden. Man konnte förmlich zusehen, wie der Hohe Rat von Augenblick zu Augenblick an Macht und Ansehen verlor. "Schweigt", befahl einer der Männer und erhob sich langsam. Sein Gesicht war von Wetter und Zeit gegerbt, tiefe Falten hatten sich in seine Haut eingegraben und seine Augen wirkten müde und alt. "Glaubt ihr, wir kommen weiter, wenn ihr euch gegenseitig beschuldigt?" "Aber es muss einer von uns sein, Alweryn", beharrte ein anderer. "Glaubst du etwa, es ist ein Zufall der Götter, dass wir systematisch dezimiert werden?" "Nein, mit Sicherheit ist es kein Zufall, Dylura. Aber, wir müssen einen kühlen Kopf bewahren, sonst sind wir leichtere Ziele als junge Vögel, die aus dem Nest gefallen sind." Bejahendes Gemurmel machte sich unter den letzten Mitgliedern des Hohen Rates breit. Seufzend ließ sich Alweryn zurück in seinen Stuhl gleiten. Noch nie war ihm sein Alter so bewusst gewesen, wie jetzt in diesem Augenblick. Welch ein großer Feldherr war er einst gewesen, die Zeit hatte ihn altern lassen. Seinen Verstand getrübt und seine Kraft vernichtet. Nachdenklich schweifte sein Blick über die Köpfe der anderen hinweg, blieb schließlich an einem jungen Mann hängen, der lächelnd auf seinem Stuhl saß und auf ein Spielbrett blickte. "Gerin", schrie er aufgebracht. "Empfindest du es in dieser Situation als passend, dich mit einem Kinderspiel zu beschäftigen?" "Verzeiht mir, Alweryn", erwiderte der Angesprochene und sah auf. "Ich war mir nicht im Klaren darüber, dass es der Situation nicht angemessen ist." "Törichter Junge", spie einer der Männer aus, doch eine gebieterische Handbewegung Alweryns brachte ihn zum verstummen. "Lass ihn, Farial. Er ist nicht ohne Grund hier. Wir alle waren einst jung. Gerin, du weißt, warum ich dich habe rufen lassen, nicht wahr?" "Ihr wollt etwas über meinen Bruder erfahren, Herr", erklärte Gerin kalt und spielte mit einer Figur zwischen seinen Fingern. "Wo ist er?" schrie Dylura laut auf, hieb mit der Faust auf den Tisch und funkelte Gerin aus wilden Augen an. "Wo ist dieser Bastard?" "Ich würde mich an eurer Stelle lieber mit Beleidigungen zurückhalten", scharf war die Stimme Gerins geworden, fast so scharf und kalt wie der Nachtwind, welcher um das Gebäude wehte. "Ich kann leider nicht sagen, wo sich Katlar aufhält. Meine Späher haben seine Spur irgendwo bei Tyrulok (*) verloren. Er macht seinem Namen alle Ehre." Ein düsteres Lächeln breitete sich auf Gerins Gesicht aus und er senkte sein Haupt, niemand musste seine Belustigung erkennen. "Dann ist er zurück ins Eismeer gekehrt. Welche Mittel haben wir dort?" "Ruhig, Narrimar. Wollt ihr einer Ahnung hinter her jagen oder wirklich Beweisen?" fragte Alweryn in die Runde. "Bitte, fasse meine Worte nicht als Beleidigung auf", meinte Woldoran, einer der ältesten Krieger nebst Alweryn. "Unser Problem ist doch, dass wir keine Beweise haben. Bis jetzt stellten sich all unsere Spuren als nicht zutreffend heraus." "Deshalb habe ich ja auch Gerin her gebeten", kurz lächelte Alweryn dem jungen Mann zu. Er wusste wie viel Talent dieser Mann besaß. Nerom hatte es ihm oft erzählt und die Fähigkeiten Gerins gelobt. Nerom, für einen kurzen Moment schloss Alweryn seine Augen. Der Schmerz über den Verlust seines langjährigen Freundes brannte immer noch tief in ihm, so tief, dass es lange dauern würde, bis er seinen Namen wieder ohne Schmerz aussprechen konnte. "Gerin, sag mir, glaubst du, dass dein Bruder zu solchen Taten in der Lage ist?" "Mein Bruder ist kalt wie Eis, niemand bedeutet ihm etwas. Niemand", erklärte Gerin, ballte seine Hände unter seinem blauen Mantel zu Fäusten. Er wusste, wie wenig Menschen Katlar bedeuteten, wie wenig er selbst ihm bedeutete. "Allerdings glaube ich nicht, dass Katlar so große Ambitionen hat uns zu schaden. Er verfolgt seinen eigenen Weg und der hohe Rat steht ihm dabei nicht im Wege." "Bist du dir sicher, Gerin", fragte Farial skeptisch. "Wir alle kennen Katlar schon sehr lange und wissen, zu welchen Taten er fähig ist." "Ich bin mir sicher", beharrte Gerin lächelnd. "Ihr jagt den falschen Mann." Hilfloses Schweigen breitete sich unter den Männern aus. Jeder schien in seine eigenen Gedanken versunken zu sein, jeder war mit seiner eigenen Angst beschäftigt. "Dann weiß ich auch nicht weiter", seufzte Narrimar. "Wir jagen einen unsichtbaren Feind." Aus den Augenwinkeln betrachtete Gerin eine der Wachen, kaum merklich neigte er seinen Kopf. Fast wie eine zustimmende Geste wirkte es... Im nächsten Moment durchzuckte ein gellender Schrei die Stille. Fassungslos krümmte sich die zitternde Hand Dyluras um den Speer, der aus seiner Brust ragte. Dunkelrotes Blut ergoss sich über sein Wams, fest umklammerten seine Hände den hölzernen Stiel. Seine Augen wurden dunkler, Schatten legten sich über sein Antlitz. Er öffnete seinen Mund, hustete, eine feine Blutspur lief seine Mundwinkel entlang. "Du...", gurgelte er und brach zusammen, sein Körper wurde durch den Speer an seinem Stuhl festgehalten. Schreiend stürzten sich die Wachen auf die vier anderen Männer. Das Klirren von Schwertern hallte von den Wänden wider. Blut floss über den steinernen Boden, glitzerte im fahlen Licht auf. Schreiend stieß Gerin Woldoran sein Schwert in den Leib, zog seinen Kopf nahe an sich heran. Sah zu, wie das Licht in seinen Augen immer schwächer wurde. "Hier habt ihr euren Beweis, hoher Herr", kreischte er und drehte die Klinge des Schwertes im Körper seines Gegner um. Woldoran schrie vor Schmerz auf, seine Finger krallten sich in den Mantel Gerins, zerrissen den schweren Stoff. Zitternd sank der alte Krieger zu Boden... Lächelnd wandte sich Gerin um. Tote Körper lagen auf dem Boden, tief atmete Gerin den Geruch von frischem Blut ein. Schwer lag er über den Leichen. Wie lange hatte er darauf gewartet? Jahre hatte er darauf hingearbeitet, nur für diesen einen Moment. Befreit hob er die Arme, Blut floss von der Klinge seines Schwerstes hinab. Fiel, wie rote Regentropfen, gen Boden. Dankbar klopfte Gerin den Wachen auf die Schultern, sah in ihren Augen ihre eigene Genugtuung und die Hoffnung, dass nun neue Zeiten anbrechen würden. Erhaben stieg Gerin über die Leichen, der hohe Rat war Geschichte. Ein leises Röcheln drang an seine Ohren, hektisch blickte sich Gerin um. Er spürte, wie ihn etwas an seinem Mantel festhielt. Schwach, aber doch spürbar. "Alweryn", flüsterte Gerin, lächelte den blutüberströmten Mann unter sich an. "Gerin", krampfhaft kämpfte Alweryn darum nicht seine Augen zu schließen. Schmerz vibrierte in jeder Faser seines Körpers. Aus verklärten Augen betrachtete er den Mann über sich, zitternd lag er da. Rasselnd entwich sein Atem seiner Kehle, er wollte seinen linken Arm heben, doch es gelang ihm nicht. "Versuch es nicht, alter Mann", hörte er die kalte Stimme über sich. "Du kannst ihn nicht mehr gebrauchen." Panisch blickte Alweryn zu seiner linken. Sein Arm, sauber abgetrennt. Blut floss unaufhörlich aus seinen Venen. Es war vorbei. Kälte kroch vom steinernen Boden auf, erfasste seinen Körper. Er zitterte unkontrolliert. "Warum", flüsterte er leise. "Warum?" Leise lachte Gerin, zog den alten Krieger zu sich hinauf, schleifte ihn zurück zum Tisch und setzte ihn in einen der Stühle. "Ich will es dir gerne zeigen", zischte er und schob das Spielbrett näher an Alweryn heran. "Glaubtet ihr nicht, ich wäre nur eine dieser Spielfiguren?" schrie er den geschwächten Mann an. Dieser versuchte zu sprechen, doch alles was er zustande brachte war ein hilfloses Schluchzen. "Sprich, du Bastard", hart schlug Gerin zu, der Kopf des älteren wurde zur Seite geschleudert. "Bist schon so schwach? Ich bin keines eurer Spielzeuge, ihr wart meine, schon so lange und ihr habt es nicht einmal bemerkt!" Hysterisch begann Gerin zu lachen, langsam umkreiste er Alweryn. Zögernd suchten seine Finger unter seinem Mantel nach dem Griff des Dolches. Wie einen alten Freund umschloss er ihn, zog ihn knirschend aus der Scheide. "Sieh her", befahl er und hielt Alweryn den blutverschmierten Dolch vor die schwachen Augen. "Das ist Neroms Blut. Du kannst dir gar nicht vorstellen, welche Freude ich empfunden habe, als ich ihm die Kehle durchschnitten habe." "Du, du elender Verräter", krächzte Alweryn und hustete. "Du bist eine Schande für unser Volk...eine Schande..." Lachend schüttelte Gerin den Kopf, streckte seinen Arm aus und umfasste eine der Spielfiguren. "Sieh genau hin", leise schnippte Gerin die erste der Figuren mit seinem Zeigefinger um. "Eins, zwei, drei, vier", flüsterte er fast singend Alweryn ins Ohr. "Jetzt bist nur noch du übrig. Armer, alter Mann. Alle sind fort, alle." Mit sanfter Gewalt riss Gerin den Kopf Alweryns in die Höhe, blickte ihm fest in die weit aufgerissenen Augen. Der zitternde Mann spürte kaltes Metall an seiner Kehle. "Grüß mir Nerom, alter Narr. Grüße ihn von mir und meinen Vater." Mit einer schnellen Handbewegung durchtrennte das Metall die Haut Alweryns, tief schnitt der Dolch ins Fleisch, zerfetzte Gewebe und Sehnen. Ein schwaches Gurgeln drang an Gerins Ohren, angewidert stieß er den Kopf des toten noch vorne. Blut floss lautlos über das Spielbrett, bildete um den das graue Haar Alweryns eine rote Lache. Klirrend fiel der Dolch zu Boden. Stille herrschte. Schwer atmete Gerin durch, sah zum letzten Mal auf das Spielbrett hinab. Es war vorbei. Er hatte gesiegt. Es war vorbei. Zärtlich strich Gerin, mit seiner blutverschmierten Hand, über die letzte gegnerische Spielfigur auf dem Brett. Er hoffte innerlich, dass er nun Frieden mit sich schließen würde. Das er sich endlich des Stolzes seines Vaters gewiss sein konnte, wenn er ihn eines Tages wieder sehen würde. "Und fünf...", flüsterte er erleichtert und ließ die letzte noch stehende Figur sanft zu Boden gleiten... (*)Tyrulok: Stadt bei der Grenze zum Eismeer. Bei Interesse, kann ich eine Karte des Landes Barolon hochladen oder sie einzelnen per Email schicken. Ist zwar nicht gut geworden, aber man kann sich das Land und die Wege etc. vorstellen. Bin ja keine Zeichnerin *hust* Nachwort: Ein Hallo an alle, die dieses Kapitel gelesen haben. Ich habe mir wieder sehr viel Zeit gelassen, ich weiß. Aber so ist das bei mir, neigt sich eine Geschichte dem Ende zu, zögere ich sie immer unbewusst hinaus. Vielleicht, weil ich nicht will, dass die Geschichte endet. Keine Ahnung. Ich hoffe, dieses Kapitel hat einigen etwas gefallen. Auch wenn es zum Ende hin ziemlich blutig und detailliert geworden ist. Ich weiß auch nicht, was mich da geritten hatte, aber darauf liefen ja Gerins Ambitionen hinaus. Ich habe schon oft gesagt, dass er genau so gefährlich ist wie Katlar, wenn nicht sogar gefährlicher. Hoffentlich kam das nicht komisch rüber... Nun ja, ich weiß ehrlich nicht, was ich sonst schreiben kann. Ich grüße wie immer Igel und Mondscheinelfe. Alle andere die diese Geschichte vielleicht sonst noch so lesen natürlich auch. Solltet ihr Rechtschreibfehler finden, weißt mich bitte darauf hin. Hab sehr schnell getippt und da kann das schon mal passieren! Bis bald, ich hoffe man bleibt mir gewogen. ©2004 by seen/Lena Petri Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)