Die Trauerweide von Gurgi ================================================================================ Prolog: Die Wölfe ----------------- Die Wölfe Sie rannte, immer schneller und schneller. Der kalte Nachtwind riß an ihren Haaren, ihre Lunge brannte wie Feuer und jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte vor Anstrengung und Furcht. Ihr Körper war am Ende, doch sie konnte nicht stehen bleiben. Sie wußte, dass sie hinter ihr waren, nicht mehr weit entfernt und was für ein Schicksal ihr bevorstand, wenn sie ihnen in die Hände fallen würde, das wußte sie. Vor wenigen Augenblicken hatte sie es mit ansehen müssen, hatte gesehen zu was sie Imstande waren. Die Dunkelheit trübte alles, Bewegung, Orientierung und ihr Denken, wohin sollte sie nur gehen? Der Wald war dicht und Verstecke gab es genug, doch wie lange würde sie dort verharren können? Wie lange würden ihre Verfolger brauchen um sie zu finden? Es wäre nur ein kurzer Aufschub, ein kurzer Frieden den sie genießen würde. Für einen Moment blieb sie stehen und stützte sich mit einer freien Hand an einem mächtigen Baumstamm ab. Ihr Lunge füllten sich mit Luft, doch ihr Atme entrann ihrer Kehle immer noch stoßweise. Ihr Herz schlug laut und aufdringlich, und ihre Nerven waren bis zum zerreißen gespannt. Ihr keuchen vermischte sich mit den Geräuschen des Waldes, sie hörte wie der Wind durch das Geäst der Bäume rauschte, das Kreischen der Tiere und ein langsam näher kommendes Knacken im Unterholz. Sie waren ganz in ihrer Nähe. Sie atmete noch einmal tief durch, drückte den kleine Weidenkorb in ihren Armen fest an sich und lief weiter. Die Äste der Sträucher schlugen ihr ins Gesicht und sie spürte wie ihr heißes Blut die Wangen hinab floß. Über ihr glitzerte der runde Mond und beschien ihren Weg mit seinem silbernen Licht, immer verschlungener wurden die Pfade und immer undurchdringlicher wurde das Dickicht des Waldes. Die junge Frau spürte noch immer die Gefahr die ihr im Nacken saß und mit jedem Augenblick näher zu kommen schien. "Es hat doch keinen Sinn," dachte sie, doch ihr Schritt verlangsamte sich nicht, er wurde noch schneller als zuvor. Panisch blickte sie sich um, Angst ließ ihren Körper erschauern und sie hatte Mühe sich zu zwingen weiter zu laufen. Sie mußte weiterleben, nicht für sich selbst. Nein, sie hatte es versprechen müssen, sie hatte ihr Ehrenwort gegeben. Sie hörte wie hinter ihr Sträucher umknickten und das Fluchen ihrer Verfolger. Mit hastigen Bewegungen kämpfte sie sich durch einen Dornenstrauch und stand auf einer kleinen Waldlichtung welche durch einen breiten Fluß getrennt wurde. Der Mond war von hier aus gut zu sehen, man konnte erkennen das sein Licht immer schwächer wurde. Bald würde der Morgen anbrechen und die Dunkelheit welche ihr Schutz geboten hatte würde verschwinden, dann war es ein leichtes sie zu finden und zu töten. Das laute Geschrei ihrer Verfolger durchschnitt die Stille des Waldes wie die scharfe Klinge eines Schwertes und ließ ihr Herz schneller schlagen. Hastig blickte sie sich um, sie mußte ein Versteck finden, wenigstens für eine kurze Weile. Erneut drückte sie den Weidenkorb fest an sich und zog sich immer tiefer in das dunkle Dickicht zurück bis ihre Gestalt mit der Umgebung verschmolz. Sie hatte während ihrer Ausbildung gelernt sich vor Augen zu verbergen, auch wenn es nur für eine kurze Zeit war. Wenige Meter neben ihr zerteilte ein mächtiger Hieb die Büsche. Drei große und kräftige Gestalten stapften aus dem Dickicht auf die Waldlichtung. Ihre Waffen glitzerten im fahlen Licht des Mondes auf. Die junge Frau wagte nicht zu atmen und beobachtete aus ihrem Versteck die Männer. "Ich habe doch gesagt das sie nicht hier ist," schrie der eine und schubste seinen Kameraden ein Stück von sich weg. "Wo soll sie sonst hin gelaufen sein? Wir haben alles abgesucht," schrie dieser zurück und beide Männer funkelten sich an. "Haltet endlich eure Mäuler," mischte sich nun der dritte in die Streiterei ein und die anderen beide Männer gehorchten auf sein Wort. "Sucht die Lichtung ab, sie muß hier irgendwo sein." Unbewegt verharrte die junge Frau in ihrem Versteck und spähte durch das Geäst der Sträucher auf die Waldlichtung, sie sah wie sich die Männer aufteilten und jeder einen Abschnitt der Lichtung absuchte. "Oh bitte, laßt sie mich nicht finden," flehte sie in ihren Gedanken und preßte sich noch ein Stück tiefer auf den Waldboden. Sie roch den würzigen Geruch welcher von dem zu Boden gefallenem Blattwerk zu ihr aufstieg und versuchte so leise wie möglich zu amten. Plötzlich schlug über ihr ein Schwert in den Stamm des Baumes, Blätter rieselten auf sich hinab und sie mußte ein Schrei welcher ihrer Kehle entfahren wollte unterdrücken. Sie hob vorsichtig den Kopf und sah das einer der Männer genau vor ihrem Versteck stand. Ihre Nerven vibrierten und sie wagte kaum zu atmen, eine falsche Bewegung und alles war umsonst gewesen. Die junge Frau zog den kleinen Weidenkorb noch näher an sich heran und senkte erneut den Kopf, wartete, hoffte das er sie nicht entdecken würde. "Hier ist nichts," hörte sie einen der Männer rufen. "Hier ist sie auch nicht, hast du etwas gefunden Arson?" Die junge Frau hörte, wie der Mann vor ihrem Versteck einige Schritte auf und ab ging, immer wieder mit seinem Schwert die Äste zur Seite bog und versuchte in dieser Dunkelheit etwas zu erkennen. "Nein," sagte er schließlich und drehte sich um, sie konnte das Knacken der dürren Zweige unter seinen Stiefeln hören. "Hier ist sie auch nicht." "Die Kleine will uns zum Narren halten," brummte er laut und sein Unmut war deutlich zu erkennen. "Wir werden sie getrennt suchen. Ihr sucht auf der anderen Seite des Flusses und ich suche noch einmal hier die ganze Umgebung ab. Weit kann sie noch nicht gekommen sein." Langsam entfernten sich die Schritte der Männer und es wurde Still auf der Lichtung. Die junge Frau hob vorsichtig ihren Kopf, spähte hinaus und seufzte dann laut und befreit auf. Sie verharrte noch für eine kurze Weile in ihrem Versteck bis sie ganz sicher sein konnte das ihre Verfolger fort waren. Dann erhob sie sich und löste sich aus der Dunkelheit. Die Nacht verwandelte sich langsam in den frühen Morgen. Die ersten Vögel begannen leise zu singen und am Horizont zeigte sich die erste Spur der Morgenröte. Ein bitteres Lächeln huschte über ihre verkrampften Gesichtszüge, diese Kerle besaßen eine große Kraft und genauso groß war auch ihre Dummheit. Mit langsamen und unsicheren Schritten ging sie auf den Fluß zu, ihre Glieder befiel plötzlich eine nie gekannte Müdigkeit und sie fühlte sich als wäre all ihre Kraft aus ihrem Körper fort gespült worden. Müde ließ sie sich an dem Ufer des Flusses nieder, tauchte ihre Hände in das kühle Naß und benetzte ihr immer noch vor Angst glühendes Gesicht. Das Wasser erfrischte sie und half ihr wieder einen halbwegs klaren Kopf zu bekommen. Sie blickte flüchtig in den Weidenkorb und lächelte versonnen, als sie den Inhalt erblickte. Dort schlief noch immer ihr vor wenigen Tagen zur Welt gekommenes Kind. Sie war froh, dass es noch nichts von den Schrecken dieser Nacht mitbekommen hatte, es war noch zu klein, um wahrnehmen zu können, in welcher Gefahr sie beide immer noch schwebten. Sanft strich sie über die kleine Hand, sofort umklammerte diese mit den kleinen noch so schwachen Finger die Hand der Mutter. Tränen stiegen in der jungen Frau auf als sie die Wärme ihres Kindes spürte, sie wußte das es noch nicht zu ende war. Die Männer würden nicht aufhören sie zu suchen, sie hatten Befehle und diese würden sie auch ausführen, dessen war sie sich sicher. Sie wußte nicht, wie lange sie sich noch verstecken konnte und sie wußte auch nicht, wie lange sie beide diese Flucht verkraften würde. Dieses kleine Wesen, war noch so schwach und hatte noch nicht genug Widerstandskraft für ein Leben, das ihnen bevor stand. Sie wußte, dass es nicht lange leben würde wenn sie es mit sich nahm. Vorsichtig löste sie den Griff der kleinen Finger und sah ihr Kind aus traurigen Augen an. Was sollte sie nur tun? Sie blickte sich um, wo war sie? Sie wußte nicht mehr wieviel Stunden sie gelaufen war, sie wußte nur das sie weit von ihrer Heimat entfernt sein mußte. Sie kannte den Wald und erahnte wo sie sich befand. Der Fluß, so weit sie es in Erinnerung hatte führte er in ein Dorf, es war nicht weit von hier und um diese Zeit würden bestimmt Frauen am Ufer sein um Wasser zu holen. Sollte sie wirklich. Nein, das konnte sie nicht. Sie konnte ihr Kind nicht in so ein ungewisses Schicksal entlassen. "Aber wenn ich dich mit mir nehme wirst du nicht mal einen Sommer alt," flüsterte sie leise und hob ihr Kind vorsichtig darauf bedacht es nicht zu wecken aus dem Korb. Leicht verzog es das Gesicht, doch als es die Wärme des anderen Körpers spürte rollte es sich in den Armen seiner Mutter zusammen und schlief friedlich weiter. Die junge Frauen spürte wie ihr Körper zitterte, Tränen stiegen erneut in ihr auf und sie versuchte abermals sie zurück zu halten. Sie konnte sich jetzt nicht leisten schwach zu sein. Das leise, aber doch aufdringliche Rauschen des Flusses, drang in ihr Bewußtsein, sie blickte auf die von kleinen Wellen bewegte Oberfläche und dann wieder in das Gesicht ihres Kindes. "Ich habe keine andere Wahl," sage sie leise zu sich selbst. "Egal wie ich mich entscheide, wir werden uns auf die eine oder andere Weise trennen." Sie drückte ihr schlafendes Kind noch einmal fest an sich und küßte es liebevoll auf die Stirn, dann legte sie es wieder in den Korb zurück. Ihre Hände tasteten sich zu dem Verschluß ihrer Kette und lösten den Knoten mit zittrigen Fingern. Als sie spürte, wie sich der Knoten löste und das dünne Lederband in ihren Händen ruhte seufzte sie laut. Ihr Blick blieb an dem weißen Stein, welcher an der Kette hing, haften. Er war an sich nichts besonderes, ein Stein wie man ihn überall im Wald fand, doch in ihm leuchtete etwas. Es sah aus als wäre das Licht eines Sterns dort eingefangen. Sanft hob sie ihrem Kind den Kopf an und befestigte die Kette an dem kleinen Hals, dann küßte sie das kleine Gesicht, hob den Korb vom Boden auf und ging zu einer Stelle, an welcher das Ufer seicht war. Tränen brannte auf ihrem Gesicht, als sie vorsichtig den Korb auf der Oberfläche des Wassers absetzte. Sie spürte den Sog des Flusses, ein eigenartiges Gefühl beschlich sie, so als wolle der Fluß ihr damit etwas sagen. Sie wußte plötzlich, dass ihr Kind sicher ankommen würde, doch wo genau, das wußte sie nicht. Ihre Lippen berührten noch ein letztes mal das Gesicht ihres Kindes, dann ließ sie den Korb los. Schnell trieb er den Fluß hinab, immer schneller und immer weiter von ihr fort. Sie weinte und bebte am ganzen Körper, nun war sie wirklich alleine, entschlossen kehrte sie dem Fluß den Rücken und ging einige Schritte. "Vergiß niemals das ich dich über alles liebe," sagte sie doch ihre Stimme war kaum mehr als ein hauchen, mit langsamen Schritten ging auch sie einer unbekannten Zukunft entgegen. Der Morgennebel stieg von taubedeckter Vegetation, als die Sonne am Horizont heraufkam. Das üppige Blattwerk am Waldrand strömte einen frischen Geruch aus; in diesem Augenblick der Morgendämmerung schwieg die Welt, als hielte sie den Atem an. Stille herrschte und alles wirkte friedlich als wäre nichts geschehen, denn, was konnte der Morgen auch schon von den Ereignissen der Nacht wissen... Nachwort: Also erst mal, diese Geschichte habe ich vor ca. 5 Jahren geschrieben, hatte sie heute beim aufräumen gefunden und dann den Prolog abgetippt. Tja, und dann hatte ich die Idee das alles einfach mal hier rein zu stellen. Es sind mehrere Teile, aber ich werde sie immer erst nacheinander veröffentlichen (das abtippen war anstrengend). Noch was, die Figuren und der Inhalt sind alle auf meinem eigenem Mist gewachsen und ich hoffe mal es war nicht ganz so schlimm das hier zu lesen. Noch ein DANKE an diejenigen die es gelesen haben. Für Verbesserungsvorschläge (man kann ja noch was ändern) und Kritik bin ich immer offen. Adios seen Kapitel 1: Das Rad des Schicksals --------------------------------- Das Rad des Schicksals Der Morgen war noch jung, das schwache Licht der aufgehenden Sonne war noch nicht stark genug, um die letzten Schatten der Nacht zu vertreiben. Ein trübes Licht hüllte das Land um den Katzenstein noch ein und es erschien, als wolle selbst das Leben noch nicht erwachen. Als wolle es noch nicht die Augen aufschlagen um das Leid zu erblicken was sich ihnen bot. Ein Leid das schon so viele Jahre herrschte. Ein Leid, an das man Anfangs geglaubt hatte sich zu gewöhnen. Doch wie sollte man sich an eine Gefangenschaft gewöhnen? Eine Gefangenschaft die weit subtiler war als erwartet. Man besaß eine gewissen Freiheit, und doch hatte man diese verloren. Verloren an die Wölfe, die Ogronier, welche von den steilen Küsten der Eismeere in ihr Land eingefallen waren. Stadt um Stadt, Dorf um Dorf hatten sie unter ihre Kontrolle gebracht. Gnadenlos und ohne Reue hatten sie nur Blut durchtränkte und geschändete Erde zurück gelassen. Man fürchtete sie, da jeder wußte auf welch grausame Art und Weise Widerstand bestraft wurde. Wie viele Menschen hatten ihr Leben eingebüßt? Wie viele Dörfer waren vom Erdboden verschwunden? Keiner wußte es genau, doch die Stummen Zeugen waren überall zu erkennen. Wohin man auch sein Auge schweifen ließ, überall waren sie zu finden und ihr stummes Klagen zu vernehmen. Verbrannte Erde, Ruinen die einst Dörfer gewesen waren, Menschen deren leblose Hüllen in den Bäumen der Wälder aufgehängt waren und deren Seelen keinen Frieden fanden da ihr Tod ungerecht bleiben würde. Es war eine rauhe und unsichere Zeit in welche die Menschen lebten. Die Wälder boten den einzigen Ort in dem man Zuflucht fand. Heimatlose und Diebe bevölkerten sie und nutzten die Dunkelheit, um sich zu verbergen, fanden zwischen den starken Bäumen und der Stille des Unterholzes eine neue Heimat Jedoch für diejenigen welche nicht zu den "Kindern des Waldes" gehörten, war es selbst jetzt noch, nach all diesen Jahren, unerträglich sich eingestehen zu müssen das es nie wieder so sein würde wie in alten Zeiten. Die Bündnisse waren zerschlagen, die Stätten ihrer Götter zerstört worden. Sie waren gefangene in ihren eigenen Hütten und die Kinder welche geboren wurden würden niemals erleben was es heißt unbeschwert und frei zu sein. Lautlos kroch der Nebel über die Steilen und scharfen Felsen des Katzsteins, glitt in eine der viele Vertiefungen und lag wie ein Schleier über dem kleinen Dorf, welches am Fuße des Berges lag. Kleine Hütten standen in unregelmäßigen Abständen am Fuße des Berges, welcher sich zur rechten Seite erstreckte. Zur linken war es von einem tiefen und dunklen Wald sowie von einem großen See umgeben. Friedlich schien es so da zu liegen. Geschützt durch den mächtigen Berg und die Dunkelheit des Waldes. Die kühle Morgenluft vertrieb vorsichtig die Schleier des Schlafes, welche noch über dem Dorf lagen, nur sehr langsam hielt das Leben Einzug in die Hütten. Die große Gestalt eines Mannes trat aus einer der Hütten und lies seinen Blick kurz über den See und den vom Licht schwach geröteten Himmel gleiten. Müde fuhr er sich mit seiner Hand über die Augen und sog den frischen Duft der Morgenluft tief in seine Lunge ein. Normalerweise liebte er diese Zeit des Tages. Die Stille die noch über der Welt lag und die Erwartung was der neue Tag wohl bringen würde. Doch diesen Morgen war es anderes. Er wußte genau was vor im lag und seine Augen bekamen einen traurigen Ausdruck. Er hatte viel erdulden müssen, Narben übersäten seinen Körper. Narben aus unzähligen Schlachten, die zu kämpfen vergebens gewesen waren. Er hatte sie damals nicht vor den Wölfen aus dem Eismeer beschützen können und er hatte es hin nehmen müssen das sein Dorf auch die Freiheit verloren hatte. Er wußte das sie ihm immer noch folgten und ihm vertrauten, wie sie auch schon seinen Vorvätern vertraut hatten. Und dennoch wußte Arlon, Sohn des Tellos und der Aruna, dass heute der Tag seiner schwersten Schlacht gekommen war. Eine Schlacht die nicht mit dem Schwert sondern mit anderen Waffen geschlagen wurde. Arlon seufzte geräuschvoll und blickte zu der kleinen Gruppe hinüber die vor den Ställen stand und die Pferde für eine lange Reise rüsteten. Er war zu alt um mit ihnen zu kommen, sein ehemals schwarzes Haar durch zogen nun viele graue Strähnen und in sein Gesicht hatten sich tiefe Furchen der Sorgen eingegraben. Die Jahre waren so schnell verflogen. Arlon atmete noch einmal tief durch und ging einige Schritte auf die Gruppe, bestehend aus fünf Männern zu. Diese hoben ihre Köpfe und neigten sie, als sie die Gestalt Arlon's erkannten sofort wieder ein Stück hinab. Arlon hob seine Hand als Zeichen das diese Art mit welcher die Männer ihren Respekt vor ihm bekunden wollten nicht nötig war. "Sind alle Vorbereitungen für die Abreise getroffen," erkundigte er sich knapp und blickte prüfend auf die gesattelten Pferde. "Ja, die Pferde sind erholt, der Proviant ist sicher verstaut. Wir sind bereit." Arlon nickte kurz und der Angesprochene schwieg wieder. Plötzlich veränderte sich der Ausdruck in Arlons Augen, fieberhaft schien er nach etwas zu suchen. "Ihr seid also bereit, ja? Und wo ist meine Tochter?" Hektisch blickten sich einige Männer um, doch sie schwiegen. "Ich frage euch noch mal. Wo ist sie?" Einer der jüngeren hob seinen Kopf, vermied es allerdings Arlon in die Augen zu sehen. "Sie wollte hinunter zum See," sagte er leise fast mit so etwas wie Schuld in der Stimme. Arlon seufzte laut und schüttelte seinen Kopf. Er hätte es wissen müssen, dass seine Tochter es versuchen würde. Er wandte der Gruppe seinen Rücken zu und eilte mit schnellen Schritten hinunter zum See. Ein kühler Wind blies über ihn hinweg, und bewegte sanft das ehemals ruhige Wasser. Das Schilf wiegte sich rauschend im Wind wie zu einer lautlosen Melodie. Vögel flogen über den See und die schwache Sonne spiegelte sich im Wasser wieder. Arlon wußte, wie sehr seine Tochter dieses Schauspiel was die Natur jeden Tag von neuem zelebrierte genau wie einst ihre Mutter liebte. Eine kleine Gestalt saß zusammen gekauert am Ufer des Sees, sie hatte Arlon den Rücken zu gewandt und rührte sich nicht, auch nicht als sie spürte wie sich zwei große starke Hände auf ihre Schultern legten. Zu sehr war sie damit beschäftigt, eben all diese Dinge nicht spüren und nicht sehen zu wollen. "Was ist mein Kind?" fragte Arlon mit ungewohnter Zart - und Sanftheit in der rauhen Stimme. "Warum sitzt du noch hier unten am See? Die anderen warten auf dich." Trotzig schüttelte das Mädchen ihren Kopf und schwieg weiterhin beharrlich. Sie wollte seine Stimme nicht hören, wollte seine Anwesenheit nicht wahrnehmen. Sie haßte ihn in diesem Augenblick. "Ayesha du wirst mich nicht dein ganzes Leben lang hassen können." "Vielleicht nicht mein ganzes Leben, aber wenigstens einen kleinen Teil davon," erwiderte sie und starrte immer noch auf den See hinaus. Arlon schüttelte abermals seinen Kopf. Wie starrsinnig konnte dieses Kind nur sein? Glaubte sie das ihm all dies hier leicht fiel? Wie konnte sie das nur glauben. Langsam setzte sich Arlon neben seine Tochter und blickte in ihr Gesicht. Ihre Gesichtszüge waren unbewegt wie die einer Statur, keine Gefühlsregung konnte er erkennen. "Es ist schön hier nicht wahr?" fragte er leise. "Ich weiß noch das deine Mutter diesen Platz sehr geliebt hat. Immer wenn sie traurig war kehrte sie zum See zurück um alles vergessen zu können. Ich wußte immer wo ich sie finden konnte, du bist ihr da sehr ähnlich mein Kind." Ayesha sah kurz zu ihrem Vater hinüber. Warum erzählte er ihr all das gerade jetzt? Sie sah, dass seine Augen ebenfalls traurig auf den See blickten. Es war nicht das erste mal das sie ihren Vater so sah. "Warum schickst du mich fort?" fragte sie und ihre Stimme begann zu zittern. "Ich will nicht fort von hier. Ich will dich nicht verlassen." Ihre Stimme verwandelte sich in ein Schluchzen. Vorsichtig streckte Arlon einen Arm aus und umfing seine Tochter, diese drückte ihr Gesicht gegen seine Brust, um ihr Schluchzen zu unterdrücken. "Ich will doch auch nicht, dass du mich verläßt," flüsterte Arlon ihr ins Haar. "Doch du bist hier einfach nicht sicher. Wir sind nicht mehr genug, um das Dorf zu beschützen. Glaubst du ich könnte mit ansehen wie einer dieser Wölfe dich mich sich nimmt? Ich will dich in Sicherheit wissen. Ich will dich nicht auf die gleiche Art und Weise verlieren wie ich schon deine Mutter verloren habe," nun war es die Stimme Arlons die abbrach. Seine Gedanken kehrten zu diesem schrecklichen Winter zurück. Zu diesem Winter kurz nach Ayeshas Geburt. Wie Tiere waren sie über das Dorf hergefallen, wie ausgehungerte, mordgierige Tiere. Er war nicht da gewesen. Warum war er nicht da gewesen, hätte er etwas ausrichten können? Die Hütten waren entzündet worden, die Tiere abgeschlachtet. Tote säumten den Weg zum See, man hatte ihm das Liebste genommen was er hatte. Seine Frau. Tod trieb sie auf der Oberfläche des Sees und ihre Augen hatten ausdruckslos in den Winterhimmel geblickt. Alles, was Arlon geblieben war, das war seine Tochter die er mit sich genommen hatte. Mühsam löste er sich aus diesen Erinnerungen und sah seine Tochter an. "Begreifst du jetzt, warum ich all das hier tue?" fragte er leise. "Glaub mir, Torat ist ein ehrbarer junger Mann. Ich weiß, dass er dich beschützen kann, er wird das tun für was ich zu alt geworden bin." Stumm lag Ayesha in den Armen ihres Vaters und spürte wie er ihr immer noch sanft über ihr Haar strich. Ja, sie verstand ihn, doch wie sollte sie glücklich werden wenn hier ihre Heimat war? Sie kannte niemanden wohin man sie schickte...es waren Fremde ohne Gesichter. Ihr bekannt durch ihre Namen und Taten und dennoch waren und würden es Fremde für sie sein. "Komm jetzt," sagte ihr Vater und stand auf. "Ihr müßt aufbrechen." Widerwillig erhob sich Ayesha und blickte noch einmal über den See, hinauf zu dem Berg. Blickte noch einmal über ihr zu Hause. Sie spürte, dass ihr Vater ihre Hand mit der seinen umfing und sie langsam mit sich zog...Ayesha wußte das man sich nicht gegen sein Schicksal wehren konnte. Über das ihre war bereits entschieden worden. Schemenhaft tauchten die Gestalten ihrer Reisegefährten vor ihr auf. Alle saßen bereit zum Aufbruch auf ihren Pferden und blickten Ayesha an. Teils mitfühlend, da sie wußte wie schwer ein Abschied war, teils ungehalten weil sich ihr Aufbruch durch sie verzögert hatte. Arlon ergriff die Zügel des letzten Pferdes und sah seiner Tochter zu wie sie aufsaß. Er hatte schon damals, als er sie zum erstenmal in seinen Armen gehalten hatte gewußt das dieser Tag kommen würde...doch er hatte nie gedacht wie schmerzhaft er werden würde. Es war wahrhaft seine schwerste Schlacht. Erneut ergriff er die Hand seiner Tochter, führte sie zu seinen Lippen und küßte sie leicht. "Lebewohl mein Kind," sagte er leise und spürte wie sich seine Kehle bei diesen Worten zusammen zog. "Wir sehen uns wieder. Paß auf dich auf." Tränen glitzerten in Ayeshas Augen. "Lebewohl Vater, ich liebe dich." Sie beugte sich noch einmal zu ihm hinunter, drückte ihn fest an sich, als wolle sie ihn nicht los lassen. Doch dann setzten sich die Pferde in Bewegung. Die Hand von Ayesha glitt aus der ihres Vaters. Immer weiter entfernte sie sich von ihm. Ayesha hob die Hand und winkte ihm noch ein letztes mal zu, Arlon tat es ihr gleich und sah ihr nach bis der Wald die Reiter verschluckte. Für einen kurzen Moment schloß er gequält seine Augen. Er fühlte sich in diesem Moment so alt. "Der Kreis des Lebens hört nicht auf sich zu drehen," dachte er. Dies hatte er gewußt, doch ihm war nie wirklich klar gewesen wie schmerzhaft es sein konnte zusehen wie ein Kind sein zu Hause verläßt. Immer höher stieg die Sonne, streichelte das Blattwerk und die von Tau bedeckten Wiesen. Die Sonnenstrahlen tanzten auf der Oberfläche des Sees, leuchteten wie kleine Sterne und wärmten den alten Mann welcher einsam am Ufer des Sees saß und gedankenverloren über das Wasser blickte... Nachwort: So, das wäre dann das erste Kapitel...Ich hoffe ich konnte dieses "Niveau" das der Prolog offenbar gehabt hat aufrecht erhalten (bin mir da nicht so sicher). Sollte dieses Kapitel etwas verwirrt haben... nun, es wird sich alles noch klären. Ich hoffe das Lesen hat doch etwas Spaß gemacht. Ich bedanke mich bei allen die meine Spinnerei gelesen haben und auch bei allen die mir zum Prolog so liebe und konstruktive Kommentare geschrieben haben. Sollte es was zu bemängeln geben. Kritik und Verbesserungsvorschläge sind immer willkommen. Adios seen Kapitel 2: Reise ohne Wiederkehr -------------------------------- Reise ohne Wiederkehr Dunkle Wolken jagten über den schwarzen Himmel, sie schlossen sich zu geballten Fronten zusammen. So sehr das Licht der Sonne auch zu kämpfen versuchte, sie hatte keine Chance gegen diese Übermacht welche ihr wärmendes Licht verschluckte. Ein heftiger Regen prasselte auf die Erde hernieder, begierig saugten die Wurzeln der Sträucher und Bäume das Lebens spendende Naß in sich auf. Ein frischer Geruch lag über dem Wald, so als wäre alles alte und tote fort geschwemmt worden. Der Waldboden wurden mit jedem Augenblick der verstrich noch schlammiger und unebener. Die Pferde hatten Mühe vorwärts zu kommen, und doch trieben ihre Reiter sie unerbittlich weiter voran. Ayesha hatte ihre Kapuze tief in ihr Gesicht gezogen und starrte gedankenverloren vor sich hin. Sie spürte die Regentropfen die ihr ins Gesicht schlugen, ihre Kleidung durchweichten und die Kälte, welche ihren Körper befiel, ihre Glieder steif werden und ihren zierlichen Körper erschauern ließ. Doch all das störte sie nicht, zu tief war sie in ihren Gedanken versunken als das sie diese Kälte wirklich hätte wahrnehmen können. Seit zwei Tagen waren sie unterwegs, Meile um Meile entfernten sie sich weiter vom Katzenstein. Von den vertrauten Wiesen, Flüssen und Wäldern. Doch die Gedanken Ayeshas waren noch immer bei ihrem Vater und ihrer Heimat. Sie konnte einfach nicht anderes als jede Sekunde an all das was sie zurück gelassen hatte zu denken. "Es war ein Fehler," verfluchte sie sich selbst in ihren Gedanken. "Es war ein Fehler zu gehen." Verbissen drückte sie ihre Lippen aufeinander und starrte über den Kopf ihres Pferdes hinweg in den dunklen Wald. Warum hatte sie sich nicht mehr gewehrt? Warum war sie so einfach gegangen? Warum all dies, wenn sie doch tief in sich genau wußte das es ein Fehler gewesen war? Ihre kalten Hände umkrampften die Zügel und ihr Atem entwich seufzend ihrer Kehle. Ayesha wußte das sich ihr Vater um sie sorgte, dass er für seine Tochter nur das beste wollte. Und dennoch kam sie sich vor als würde man sie wegschieben wie einen unliebsam gewordenen Klotz. Was sollte ihr Vater nur ohne sie tun? Er hatte doch sonst niemanden. Plötzlich brachen Gefühle über sie herein, Gefühle die schon so alt waren, das man glauben konnte sie würden nicht mehr schmerzen und doch taten sie es immer noch. All zu oft war er über Ayesha herein gebrochen wie ein Gewittersturm. Ihre Mutter, nie hatte sie ihre Mutter bewußt wahr genommen. Sie kannte sie nicht. Diese Erkenntnis schmerzte bei nahe noch mehr als der Abschied von ihrem Vater. Schon immer war sie da gewesen, diese Erkenntnis das sie ihre eigene Mutter nicht kannte und es ihr auch nie vergönnt sein würde es zu tun. Man hatte sie ihr genommen ehe sie alt genug war, um ihre Augen aufzuschlagen und ihre Umwelt wahr zunehmen. Ihr Vater hatte ihr immer viel über sie erzählt und doch war es Ayesha nie gelungen all dies in ihrem Kopf zu einem Bild zusammen zu setzen, ihre Mutter war ein Name ohne Gesicht. Ein Name, mit dem sie nichts verbinden konnte. Eben so gut hätte ihr Vater von einem wunderschönen Sonnenaufgang berichten können, welchen er vor Jahren gesehen hatte. Was nütze das, wenn man ihn nicht selbst erblickt, nicht selbst seine Wärme gespürt und nicht selbst davon berichten konnte? Niedergeschlagen senkte Ayesha ihren Blick, sie fragte sich warum sie gerade jetzt über diese Dinge nachdachte. War es durch den Abschied? War es aus der Tatsache heraus, das sie sich nicht von ihrer Mutter hatte verabschieden können, oder weil sie sich fürchtete? Fürchtete vor einer Zukunft sie so unbekannt war wie dieser Wald durch den sie ritten. Was würde aus ihr werden? Sie wußte es nicht. Alles was sie wußte war, das sie bald die Frau eines Mannes werden würde welchen sie nur durch seinen Namen her kannte. Gesehen hatte sie ihn nie, was war das für ein Mensch? Was war das für ein Leben, das vor ihr lag? Fragen über Fragen, aber niemand war gewillt ihr Antworten darauf zu geben. Sie würden unbeantwortet bleiben bis sich ihr Schicksal erfüllen würde. "Verdammt Ayesha, es war ein Fehler." "Was war ein Fehler?" fragte plötzlich eine Stimme neben ihr. Irritiert hob Ayesha ihren Kopf, es war ihr nicht bewußt gewesen das sie ihren Gedanken laut ausgesprochen hatte. "Nichts Leros," gab sie dem jungen Mann der nun neben ihr ritt zur Antwort. "Ich habe nur laut gedacht." Leros lenkte sein Pferd noch näher das ihre heran und sah sie aus besorgten Augen an. "Du hast nur laut gedacht? Aber was du gedacht oder auch gesagt hast, das reicht mir." Schwer atmete Ayesha die kalte Luft ein und aus, sie wußte das sie vor ihm nichts verheimlichen konnte, dazu kannte er sie zu gut. "Ayesha," sagte er leise damit es die anderen nicht vernehmen konnten. "Ich weiß doch das du das alles nicht willst. Warum tust du es?" Traurig blickte Ayesha ihren Freund aus Kindertagen an, wie sollte sie ihm eine Antwort auf seine Frage geben, wenn sie doch selbst danach suchte? "Ich weiß es nicht Leros, ich weiß es nicht." Argwöhnisch hob Leros eine Augenbraue und schüttelte dann seinen Kopf. "Ayesha, wir beide wissen doch das du dort nicht glücklich wirst. Es ist nicht deine Heimat, du gehörst dort nicht hin," sagte er und in seiner Stimme schwang Traurigkeit mit. Zum ersten Mal seit ihrem Aufbrauch huschte ein Lächeln über Ayeshas Gesicht und sie berührte ihn flüchtig an seiner Hand. "Ich danke dir," sagte sie aufrichtig. "Aber wir beide wissen auch, das es für mich kein zurück mehr gibt." Leros nickte und sie ritten schweigend neben einander her. Der Wald würde immer dichter, die Regentropfen erreichten kaum mehr den Waldboden und man konnte nur erahnen wie spät es sein mochte. Das fahle Licht welches vereinzelt durch das Geäst der Bäume brach, ließ auf frühen Abend schließen. Müde ritt Ayesha immer noch schweigend neben Leros, hin und wieder blickte sie ihn an. Ihr Freund wirkte genau wie sie abgekämpft und müde, doch irgend etwas stimmte nicht. Ayesha konnte es mit jeder Faser ihres Körpers spüren. Nachdenklich nahm sie ihren Blick wieder von ihm, die hinunter gefallenen Zweige knackten unter den Hufe der Pferde und Ayesha zuckte kaum merklich zusammen. Was war nur los mit ihr? Ayesha schüttelte dieses Gefühl von sich, und konzentrierte sich darauf mit den anderen das Tempo zu halten. Das Licht wurde mit jedem Augenblick schwächer und die Kälte, die schon den gesamten Tag ihre Glieder lähmte verstärkte sich zunehmend. Plötzlich hob Vers, der Führer der kleinen Gruppe eine Hand, und wies sie zum Anhalten an. "Absitzen," befahl er. "Für heute ist es genug, die Pferde brauchen ihre Ruhe und ich glaube wir auch." Dankbar glitt Ayesha von ihrem Pferd. Ihre Glieder fühlten sich steif an und jede Bewegung schmerzte. Routiniert wie eh und je luden die Männer das Gepäck von den Pferden, untersuchten die Umgebung welche ihr Lager umgab, ein Feuer wurde entzündet und die Flammen vertrieben die dunklen Schatten welche langsam aus dem Unterholz zu kriechen schienen. Eine angespannte Stimmung lag in der Luft, es wurden nur wenige Worte gesprochen. Die Geräusche des Waldes drangen an ihre Ohren, in der Ferne hörte man das leise Heulen eines Wolfes, dunkle Vögel saßen in den Baumwipfeln und starrten die kleine Gruppe aus glühenden Augen an. Der Mond war aufgestiegen, doch die kleine Sichel spendete kaum Licht. Ruhig und unbewegt stand er am schwarzen Firmament, graue Wolken schoben sich vor ihn, die Flammen des Feuers züngelten empor und in der Glut begann es laut zu knacken. Müde schloß Ayesha ihre Augen, sie hatte keine Ahnung gehabt, wie anstrengend solch eine Reise sein konnte. Sie hörte, wie der Wind leise auf heulte, das Blattwerk zu rauschen begann und die Stimme Leros, der begonnen hatte zu singen. Sie kannte das Lied, schon oft hatte sie ihn es singen hören, doch erst jetzt konnte sie erahnen was ihr Freund besang. Sie wußte wem er auf diese Weise sein Leid klagen wollte. Ein Lied über eine verlorene oder auch unerwiderte Liebe. Ayesha öffnete ihre Augen und sah ihn über den Rand des Feuers hinweg an. Sie erinnerte sich, das Leros vor einem Mond bei ihrem Vater gewesen war. Ayesha hatte nicht lauschen wollen, doch die Stimmen der beiden waren so laut gewesen, das sie es selbst vor dem Haus gehört hatte. Sie hatten sich gestritten, zum ersten Mal, wie es Ayesha erschienen war, hatten sich ihr Vater und Leros gestritten. Wegen ihr. Immer noch konnte es Ayesha nicht glauben. Leros hatte um ihre Hand gebeten, doch ihr Vater hatte schon damals beschlossen für wen sie bestimmt sein würde. Immer noch sang Leros sein Lied und ließ Ayesha keinen Augenblick aus den Augen. Sie erkannte, wie das Feuer in seinen dunklen Augen aufleuchtete, und glaubte eine Art von Traurigkeit in seiner Stimme zu erkennen, wie sie es noch nie bei ihm vernommen hatte. Sie hätte ihm so gerne gesagt das es ihr leid tat. Plötzlich verstummte Leros, seine Augen weiteten sich und kein Laut entrann mehr seiner Kehle. "Was ist los Leros?" fragte Vers und lachte leise. "Hat es dir die Sprache verschlagen? So schlimm singt du nun auch wieder nicht." Die Männer lachten und Walun, der neben Leros saß schüttelte ihn leicht am Arm. Leros Augenlieder begannen zu zittern, ein leiser Laut entfuhr seiner Kehle, er schien keine Kontrolle mehr über seinen Körper zu haben und sein Oberkörper kippte nach vorne. Augenblicklich wurde es still, Ayesha schrie so laut und gellend auf, das es die Stille der Nacht durchzuckte wie ein Blitz. Vers der neben ihr saß starrte ungläubig auf den Pfeil der sich tief zwischen Leros Schulterblätter gebohrt und seine Lunge durchschlagen hatte. Augenblicklich sprangen die Männer auf und zogen ihre Waffen. Nichts war zu hören, nur das leise Rauschen in den Baumwipfeln. Ayesha preßte sich eine Hand auf ihren Mund, um nicht erneut schreien zu müssen, ihr Blick streifte über den toten Körper von Leros. Seine vor wenigen Minuten noch so traurigen Augen wirkten nun ausdruckslos, die Gesichtszüge wirkten auf eine grausige Art und Weise entstellt, wie es nur der Tod vermochte ein Gesicht in Bruchteilen von Sekunden zu verzerren, es alt und grau werden zu lassen. Angst befielen ihren Körper, sie spürte wie sich ihre Kehle zusammen zog und ihr Blut leicht gegen ihre Schläfen pochte. Vorsichtig sah sie zu Vers hinauf, der sich dicht neben sie gestellt hatte. Anspannung lag in dem vom Wetter gegerbten Gesicht. Seine Augen versuchten in der Dunkelheit etwas zu erkennen, auszumachen aus welcher Richtung die Gefahr auf sie zu kam. Seine Hände umklammerten fest den Griff seines Schwertes, jeder Muskel in seinem Körper schien sich anzuspannen wie die Sehen eines Bogens. "Macht euch bereit," flüsterte er. "Sie kommen." Vor ihnen bewegte sie das Dickicht, Äste wurden zur Seite geschleudert und mit lautem Gebrüll sprangen ein duzend Männer aus der Dunkelheit hervor. Die Stille wurde durch das klirren der Schwerter zerrissen. Ayesha sprang auf ihre Füße, mit schnellen hastigen Schritten erreichte sie das Dickicht und preßte sich hinter einen mächtigen Baumstamm. Sie hörte die Schreie, Schreie wie sie einer menschlichen Kehle nur im Anblick des Todes entrinnen konnten. Sie wagte nicht zu amten, selbst das Schlagen ihres Herzens erschien Ayesha zu laut. Vorsichtig lugte sie aus ihrem Versteck hervor. Vers sank unter einem mächtigen Schwerthieb auf die Knie, ein letztes Mal sah er in die Augen seines Gegners, ehe dieser ihm mit aller Kraft sein Schwert durch das Herz trieb. Walun lag enthauptet in einem Gebüsch. Malti, der jüngste von ihnen, war von drei Männer umringt und es war nur eine Frage von kurzer Dauer bis auch er unterlag. Blut glitzerte dunkel im nächtlichen Licht. Gequält schloß Ayesha ihre Augen, sie konnte diesen Anblick nicht mehr ertragen. Panische Angst befiel ihre Gedanken. "Ich muß hier fort," war der einzige klare Gedanke den sie fassen konnte. Ein letztes mal wagte sie es aus ihrem Versteck hervor zu spähen. Stille war wieder eingekehrt. Die leblosen Körper ihrer Reisegefährten, der Männer die so schon seit ihrer Kindheit gekannt hatte, lagen auf dem Waldboden, ihr Blut sickerte lautlos aus ihren Wunden. Alle waren Tod. Ayesha atmete noch einmal tief die kalten Luft ein und ließ sie zischend ihrer Kehle entweichen, dann rannte sie los, rannte so schnell sie ihre Füße tragen konnten. "Da ist noch jemand," hörte sie hinter sich rufen. Sie verstärkte ihr Lauftempo. Angst verlieh ihrem Körper plötzlich ungeahnte Schnelligkeit, doch es waren einfach zu viele. Ein immer lauter werdendes Keuchen kam unaufhaltsam näher und näher. Ayesha versuchte noch schneller zu rennen, doch ihre Kraft reichte nicht. Zwei starke Hände umfaßten ihr Handgelenk, rissen sie zu Boden. Hart fiel sie auf den vom Regen aufgeweichten Waldboden, eine große Hand legte sich ihr über den Mund und verhinderte ihren lauten Aufschrei. Sie schlug, trat und biß um sich, wie ein wildes Tier, doch ihr Verfolger war zu stark. Ein leises Lachen drang an ihre Ohren. "Mach es nicht noch schlimmer," zischte er und sein heißer Atem brannte auf ihrem Gesicht. "Ich hab sie," rief er laut und seine kleinen flinken Augen ruhten wieder auf Ayesha. Ein letztes Mal versuchte sie sich aufzubäumen, ihn abzuschütteln, eine schwere Hand legte sich um ihre Kehle, drückte zu und nahm ihr die Luft zum atmen. "Da haben wir wohl eine kleine Wildkatze gefangen wie ich sehe," erneut lachte er leise und verstärkte den Druck um ihre Kehle. Verzweifelt kämpfte Ayesha darum nicht das Bewußtsein zu verlieren, Angst regierte in jeder Faser ihres Körpers und biß fest in einen der Finger welche immer noch auf ihrem Mund lagen. Der metallene Geschmack von warmen Blut breitete sich in ihrem Mund aus und sie hörte wie der Mann laut aufschrie. Er nahm seine Hand fort und funkelte sie an. "Du elende kleine Hure," schrie er und schlug ihr mit all seiner Kraft ins Gesicht. In ihrem Kopf explodierte der Schmerz, ihr Körper gab seinen Widerstand auf. Schwärze umschloß Ayesha wie die Schwingen eines mächtigen Vogels. Ihr Bewußtsein glitt immer tiefer hinab, hinab in eine nie gekannte wunderschöne Stille in welcher es weder Angst, noch Schmerz noch Licht gab. Nachwort: Junge ich muß wirklich zuviel Zeit haben *gg*. Tja, was soll man auch als *faule* Abiturientin machen wenn das Wintersemester erst im Oktober anfängt?! Erst einmal möchte ich mich wieder dafür bedanken das dies hier überhaupt gelesen wird. Also DANKE an diejenigen welche es gelesen haben, ich weiß es wirklich zu würdigen. Ferner noch einmal DANKE für das wirklich positive Feedback mit dem ich um ehrlich zu sein nicht gerechnet hatte. Ich hoffe man fühlt sich angesprochen!!! Außerdem hoffe ich das es etwas Spaß gemach hat diesen Teil zu lesen. Und noch was: Ich habe mich echt nicht im Genre vergriffen, der Shoujo-Ai Teil wird noch kommen. Nur, wenn ich DAS jetzt schon verraten würde...tja wo bliebe dann die *Spannung*?! In dem Sinne bis bald Adios seen Kapitel 3: Der Stumme --------------------- Der Stumme Stille umgab sie, ihr Bewußtsein trieb schwerelos in dieser Dunkelheit...sie spürte wie ihr Körper kämpfte, ihren Atem, ihr laut aufdringlich klopfendes Herz das nicht aufhören wollte zu schlagen. Nur sehr langsam kehrten die ersten klaren Gedanken in ihr Bewußtsein zurück. Schmerz, das war das erste was sie verspüren konnte, er brannte in jeder Sehne und in jedem Muskel ihres Körpers und schien sie von Innen heraus zu versengen. Sie wollte nicht die Augen öffnen, wollte nicht sehen, was sich außerhalb dieser Dunkelheit ,in welcher sie sich befand, ereignete. Doch der Lebenswille in ihrem jungen Körper war zu groß, er wollte nicht aufgeben, wollte hinaus treten aus dieser Dunkelheit,er war noch nicht bereit zu gehen. Beißendes Sonnenlicht stach in ihren Augen, ihre Augenlieder begannen zu flattern, versuchten sich gegen dieses Licht das immer heller wurde zu wehren, es zu vertreiben. Geräuschen drangen in ihr Bewußtsein, sie hörte das leise Getrampel von Hufen, das Keuchen der Pferde, ein leises Klirren von Waffen Ein starker Geruch drang an ihre Nase, sie blähte die Nasenflügel, schnupperte. Sie roch diesen eigentümlichen Geruch wie ihn die Welt annahm wenn es geregnet hatte, es roch würzig und nach Frühlingsblumen wie es ihr erschien. Frühlingsblumen welche um diese Jahreszeit unten am See wuchsen. Blau war die Farbe ihrer Blüten. Sie erinnerte sich genau daran. Sie erinnerte sich an ihr Aussehen, an ihren Geruch. Bilder tanzten in ihrem Kopf, warme angenehme Bilder, sie sah ihren Vater wie er sie anlächelte, wie er ihr eine Hand entgegen streckte und sie auf seine großen Schultern lud. Sie glaubte seine Wärme und Kraft zu spüren, glaubte, dass ihr dort nichts schlimmes widerfahren konnte, alles war so weit von ihr weg, diese Schatten welche ihren Geist gefangen nahmen lösten sich und sie öffnete zaghaft ihre Augen einen Spalt breit. Nur Schemenhaft konnte sie ihren Umgebung wahrnehmen...alles vermischte sich zu einer Wand aus grün und braun. Sie schüttelte leicht ihren Kopf um auch die letzte Dunkelheit aus ihrem Kopf zu verbannen. Ihr Kopf dröhnte und sie keuchte leise, wo war sie? Was war passiert? Langsam kehrte die Erinnerung zurück. An diese Nacht, sie waren Überfallen worden. Alle waren Tot, alle nur sie hatte man verschont. Angst kroch in ihr hoch und sie wagte kaum den Kopf zu heben, ihre Kehle brannte wie Feuer und sie leckte sich leicht über die spröden Lippen. Der Geschmack von getrocknetem Blut, ihrem Blut, berührte ihre Zunge. Ihr Körper zuckte und sie versuchte die Tränen, welche sich in ihren Augen zu sammeln begonnen hatten zurück zu drängen. Vorsichtig hob sie ihren Kopf, ihre Augen hatten sich langsam an das helle Sonnenlicht gewöhnt. Die Sonne stand hoch am Himmel, es mußte Mittag sein. Probeweise versuchte sie ihre Hände zu bewegen, doch sie spürte das sie nur die Finger bewegen konnte. Man hatte ihr die Hände hinter dem Rücken zusammen gebunden und das Seil hatte ihr eine tiefe Wunde in die Handgelenke geschnitten. Sie vernahm den Geruch eines Pferdes und bemerkte das man sie auf ein Pferd gesetzt, und ihr die Füße man Leib des Tieres fest gebunden hatte, damit sie nicht hinunter fiel. Vor ihr stapften die Männer welche sie überfallen hatten durch das unwegsame Gelände des Waldes. Ob sie sich immer noch in dem gleichen Wald aufhielt durch den sie geritten waren, konnte sie nicht mehr sagen. Sie wußte nicht wie lange sie das Bewußtsein verloren hatte. "Na, unsere kleine Wildkatze scheint wieder munter zu sein," hörte sie neben sich eine dunkle Stimme sagen. Schwerfällig drehte Ayesha ihren Kopf und blickte in zwei dunkle, flinke Augen. Es war der Mann den sie in den Finger gebissen hatte. Er grinste sie an und enthüllte seinen fast zahnlosen Mund. "Wir hatten uns schon Sorgen gemacht, das mein Schlag zu fest gewesen war. Aber es scheint als wärst du robuster als ich gedacht hatte." Er lachte schallend, doch es klang in Ayeshas Ohren eher wie das bellen eines Hundes. Angewidert starrte sie ihn an, sie war unfähig auch nur ein Wort der Abscheu zu äußern. Sie nahm ihren Blick wieder von ihm und besah sich kurz die Gruppen von Männern. Im Licht der Sonne wirkten sie nicht mehr so gräßlich und furchterregend wie sie diese Männer in Erinnerung hatte. Alle schienen so um die dreißig oder auch vierzig Sommer und Winter gesehen zu haben. Ihr Haar war verfilzt und ihre Kleidung zerlumpt. "Kinder des Waldes," schoß es Ayesha durch den Kopf und sie senkte kurz ihren Blick. Ihr Vater hatte ihr ein paar mal von ihnen erzählt. Menschen die vor Jahren ihre Heimat verloren hatten, verstoßene, geächtete, von den Ogroniern verfolgt. Erneut hob sie schwerfällig ihren Kopf, und ließ ihren Blick durch die Gegend schweifen. Der Wald schien lichter zu sein, das Sonnenlicht durchbrach das Blattwerk und tanzte auf dem Boden. Das Pferd, auf welchem sie saß, wirrte laut auf, eine Hand legte sich auf die Blässe und streichelte kurz aber beruhigend über das Fell. Ayesha spähte über den Kopf des Pferdes und erblickte einen Mann, er schien der jüngste von der Gruppe zu sein und führte ihr Pferd am Zügel. Ein schwarzer Umhang umschloß seinen Körper, er hatte seine Kapuze tief in die Stirn gezogen und man konnte sein Gesicht nicht erkennen. Ayesha versuchte krampfhaft zuerkennen wer sich hinter der dunklen Kapuze verbarg, doch er hob nicht einmal für einen kurzen Moment den Kopf. "Wohin bringt ihr mich?" fragte sie ihn. Ihre Stimme krächzte und das Sprechen viel ihr schwer. Er hob kurz den Kopf, sah sie an, doch antwortete ihr nicht. "Bitte," flehte sie und ihre Stimme begann zu schwanken. "Wo bringt ihr mich hin?" "Spar dir den Atem kleine Wildkatze," sagte der Mann der neben ihrem Pferd lief. "Er wird dir nicht antworten." "Warum...warum nicht?" fragte sie den Mann, sah ihn aber nicht an. "Er kann nicht sprechen, die Ogronier haben ihm seine Zunge heraus geschnitten." Aus weit aufgerissenen Augen starrte Ayesha den jungen Mann vor sich an. Dieser deutete kurz auf seine Kehle, und machte dann eine Geste die ihr begreiflich machen sollte, das mit seiner Stimme nichts mehr anzufangen war. Ayesha senkte ihren Blick und vergrub ihr Gesicht in der Mähne des Pferdes. Lautlos flossen ihre Tränen und sie spürte wie sie die Mähne des Tieres durchweichten. Wie ein Gefährte wanderte die Sonne mit ihnen, ihr Licht wurde schwächer und der Himmel wurde in ein rotes Licht getaucht. Die Landschaft hatte sich verändert, schon seit Stunden hatten sie den Wald hinter sich gelassen, die dichten Sträucher und Bäume waren einer hügeligen Graslandschaft gewichen. Ein scharfer Wind wehte ihnen ins Gesicht und die Männer hüllten sich in ihre Umhänge ein. Ayesha saß zusammen gesunken auf dem Pferd, sie zitterte am ganzen Körper. Auf der einen Seite durch die Kälte, die sich ihres Körpers bemächtigte, auf der anderen Seite vor Angst. Was hatten diese Männer nur mit ihr vor? Was wollten sie von ihr? Ihr Blick schweifte über das hügelige Land...sie wußte nicht wo sie war. Das einzige was ihr klar war, das war die Tatsache, das sie sich weit von ihrem zu Hause befand. Ihr Vater, was würde er tun wenn er Nachricht erhielt. "Er wird mich suchen," schoß es Ayesha durch den Kopf. "Er wird mich suchen, er wird mich befreien." Mit aller Kraft klammerte sie sich an diesem letzten Hoffnungsschimmer fest. Sie wollte daran glauben, dass er sie befreien würde, das sie bald wieder zu Hause sein würde. Sie spürte wie ihre Handgelenke durch die Fesseln taub zu werden begannen, ihr Körper war müde und nur schwer konnte sie sich noch auf dem Pferd halten. Ein plötzlicher Ruck lies sie inne halten. Schwerfällig blickte sie zu dem Stummen, der neben ihr stand. Ayesha versuchte abermals sein Gesicht zu erkennen, doch es lag im Schatten. Sie spürte wie sich die Fesseln um ihre Füße lockerten, mit einem leisen Rascheln fiel das Seil auf das Gras. Zwei starke Arme hoben sie vom Pferd und hielten sie fest. Es war kein Griff der schmerzte, aber so, das Ayesha merkte das sie an Flucht besser nicht denken sollte. Sie wußte selbst, dass eine Flucht nicht möglich war, es würde ihr genauso ergehen wie den anderen, man würde sie töten. Der Stumme führte sie zu dem Rest der Gruppe und gab ihr mit einer Geste zu verstehen das sie sich setzten sollte. Ayesha gehorchte und ließ sich in das kühle Gras sinken. Sie wagte kaum ihren Blick zu heben um sich die Gruppe noch einmal genauer beim Schein des Feuer anzusehen. Zu groß war ihre Furcht vor diesen Männer, es waren Menschen bei denen ein menschliches Leben nichts wert war, und das ihre spielte für sie eine noch geringere Rolle. Sie hörte ihr lachen und spürte ihre Blicke auf ihrem Körper. Vorsichtig zog Ayesha ihre Beine an ihren Körper und betete ihren Kopf auf die verschränkten Arme, ihr Blick war starr auf das Feuer gerichtet. Der Stumme hielt ihr einen Wasserschlauch entgegen, doch sie schüttelte nur leicht den Kopf. "Trink Mädchen," hörte sie eine Stimme sagen. "Wenn du nichts trinkst verdurstest du uns noch am Ende." Ayesha blickte zu dem Mann, der zu ihr gesprochen hatte. Seine Augen ruhten auf ihr, sein Gesicht wurde von dem Schein des Feuers in ein sanftes Licht getaucht und ein lächeln umspielte seine Lippen. "Wohin bringt ihr mich?" fragte sie und ihre Stimme begann zu zittern. "Was wollt ihr von mir?" Die Männer lachten schallend, doch der Mann, welcher zu ihr gesprochen hatte, gebot ihnen mit einer Handbewegung inne zu halten. "Du hast ganz schön Mut, das muss ich dir lassen," sagte er und lachte leise. "Keine hat bis jetzt diese Frage zu stellen gewagt. Du bist die erste." Er beugte sich leicht nach vorne und sah ihr direkt in ihr Gesicht. "Schön bist du ja, ich glaube, wir werden in Kalmas einen guten Preis für dich bekommen." Seine Augen blitzten kurz im Schein des Feuer auf und Ayesha zuckte zusammen als habe man sie geschlagen. Das war es also. Diese Männer hatten vor sie zu verkaufen, wie ein Stück Vieh. "Seid ihr euch da so sicher?" fragte sie und funkelte ihn an. "Lieber sterbe ich." Der Mann lachte laut und fuhr ihr durchs Haar. "Aber nein, das wäre doch schade. Die Ogronier haben bekanntlich eine Schwäche für unsere Frauen, und es wäre doch nun wirklich eine Schande wenn wir dich nicht lebend nach Kalmas bringen würden. Tod bist du nur den halben Preis wert." Angewidert starrte Ayesha den Mann an, Haß und Abscheu vibrierten in ihren Nerven und sie hätte ihm am liebsten in sein Gesicht gespuckt. "Gewöhne dich besser an den Gedanken Mädchen," sprach er weiter und nahm einen tiefen Zug aus dem Wasserschlauch. " Kalmas ist nicht weit von hier, ich schätze drei Tage und je eher du dich an diesen Gedanken gewöhnst, um so leichter wird es für dich werden." Gequält schloß Ayesha bei seinen Worten die Augen. Sie hörte, wie die Männer erneut laut auflachten, in ihrem Kopf halten seine letzten Worte immer wieder und wieder. "Gewöhne dich besser an den Gedanken, noch drei Tage, noch drei Tage." Der Schein des Feuer verlieh dem Lager eine trügerische Schönheit. Die Flammen loderten hell und wärmten Ayeshas zitternden Körper. Seit zwei Tagen waren sie nun schon unterwegs, und mit jeder Meile die sie hinter sich ließen stieg die Angst in Ayesha. Die Hoffnung auf eine mögliche Rettung hatte sie bereits verloren, wie sollte man sie auch retten, wenn keiner wußte wo sie sich befand. Sie wußte es ja nicht einmal selbst genau. Alles was sie wußte war, das sie Morgen Kalmas erreichen würden. Noch nie hatte ein Name für sie so viel Schrecken besessen wie dieser. Er drückte all das aus wovor sich Ayesha schon immer gefürchtet hatte. Kalmas, die Stadt in welcher die Ogronier ihren Hauptstützpunkt hatten, früher war Kalmas eine einfach Handelsstadt gewesen, Reisende und Händler waren dort immer anzutreffen gewesen. Sie war die letzte größere Stadt vor diesem langen Nichts hinauf zum Eismeer, hinauf in den kalten Norden. Jedoch hatte sich ihre Bedeutung geändert. Nur hinter vorgehaltener Hand wurde ihr Name genannt, aus der ehemals so friedlichen Handelsstadt war eine Festung geworden. Ogronier waren nun die neuen Herrscher und die Bevölkerung lebte in ständiger Angst. Nachdenklich starrte Ayesha hinauf in den gestirnten Himmel. "Wie schnell kann sich doch alles verändern," dachte sie wehmütig. Wieviel war nur geschehen seit dem sie von zu Hause aufgebrochen war. Wieviel schreckliches hatte sie in dieser kurzen Zeit gesehen? Vorsichtig setzte sich Ayesha auf, die Handfesseln schnürten sich tief in das immer noch gerötete Fleisch hinein und sie sog scharf die Luft ein. Ein Gefühl von Taubheit ließ ihre Hände verkrampfen und sie lehnte sich erschöpft gegen einen Baumstamm. Bis tief in die Nacht waren die Männer weitergezogen, der Mond war bereits aufgegangen und die Sicht hatte nur wenige Meter gereicht. Erneut waren sie in einen Wald eingetaucht, es erschien Ayesha als suchten diese Menschen förmlich nach der Nähe eines Waldes, nach seiner beschützenden Dunkelheit und nach der Stille die hier herrschte. Sie glaubte, das viele von ihnen die Behaglichkeit einer Hütte nie kennen gelernt hatten. Sie waren hier aufgewachsen, hatten ihr Heim und ihre Sippe verloren. Fast so etwas wie Mitgefühl empfand sie bei diesen Gedanken, doch sie schob dieses Gefühl schnell wieder bei Seite. Nicht weit von ihrem Lager flackerten Lichter auf. Nur vereinzelt, doch Ayesha kannte diese Lichter. Es waren die Lichter eines Dorfes, einige der Männer schienen sich zum Aufbruch bereit zu machen. "Kay," schrie der Mann, welchen Ayesha mit dem Anführer dieser kleinen Gruppe gleichsetzte, und der ihr gesagt hatte, was ihr Ziel sein würde. Ein anderer Mann reckte seinen Kopf. "Was ist?" "Du bleibst mit unserem stummen Freund hier und bewachst das Mädchen. Wir anderen gehen ins Dorf um Proviant zu besorgen." Auf dem Gesicht von Kay zeichnete sich deutlich sein Unmut über diesen Befehl ab. "Und warum muß gerade ich hier bleiben? Der stumme Trottel kann das auch alleine." Drohend baute sich der Anführer vor Kay auf und seine Hand wanderte zu einem Dolch, der an seinem Gürtel hing. "Du bleibst bei ihm, zwei sind besser als einer. Unterschätze sie nicht," sagte er und lächelte Ayesha kalt an. "Sie ist klüger als du glaubst. Wir sind bald zurück." Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand in der Dunkelheit des Waldes. Mißmutig starrte Kay den Männern nach. "Zwei sind besser als einer," äffte er seinen Anführer nach und ließ sich vor das Feuer sinken. "Proviant besorgen, das ich nicht lache. Geht ihr nur die Weiber decken ihr elenden Hurenböcke." Er spuckte in die Glut, ein leises Zischen drang an Ayesha's Ohren. Sie beobachtete ihn wie er nach einem Schlauch, der mit Wein gefüllt war langte und sich den Inhalt genüßlich in seinen Mund laufen ließ. Etwas abseits saß der Stumme und blickte starr in die Dunkelheit. Ayesha seufzte leise, und lies ihren Körper auf eine der Decken sinken. Ihre Augenlieder schlossen sich und ihr Bewußtsein glitt tief hinab in einen traumlosen Schlaf. Ein heftiger Geruch durch drang plötzlich ihre Sinne. Sie schnupperte und roch einen erdigen und bitteren Gestank. Langsam tauchten ihre Sinne aus dem Nebel des Schlafes auf und sie spürte das etwas über ihr war und sie anstarrte. Erschrocken riß Ayesha ihre Augen auf. Eine schwere Hand legte sich ihr über den Mund und sie spürte den kalten Stahl einer Messerklinge an ihrer Kehle. "Bois hat gesagt, du wärst eine Wildkatze," flüsterte Kay und grinste sie an. "Ich wollte nur nachsehen, ob er damit recht hat." Seine Augen streiften über ihren Körper und er lachte schallend. Sein Atem schlug Ayesha ins Gesicht, sie roch den Wein und eine süßliche Fäulnis. Sie versuchte sich aufzubäumen, als Kay über ihr Gesicht strich, doch die Fesseln an Händen und Füßen machten eine Gegenwehr fast unmöglich. Feuchte Lippen berührten ihre Wange, ihren Hals. Eine rauhe Hand fuhr über ihren Körper und zerriß den oberen Teil ihres Gewandes. Ayesha versuchte zu schreien, doch nur ein leiser Laut drang durch die schwere Hand Kays. Hektisch suchten ihre Augen nach Hilfe. "Er ist nicht da," raunte Kay in ihr Ohr. "Wir sind alleine." Gequält schloß Ayesha ihre Augen, sie wollte ihn nicht ansehen, wollte seine Stimme nicht mehr hören. sSie wollte sterben, fest drückte Kay ihre gefesselten Hände auf den Waldboden, seine Hand löste sich von ihrem Mund, doch seine Lippen verschlossen ihn gleich wieder. Ayesha versuchte verzweifelt sich ihm zu entwenden, ihr Körper verspannte sich und sie versuchte ihren Kopf weg zu drehen. Sie spürte das Gewicht des fremden Körpers auf dem ihren, seine Küsse die den Geschmack von Wein hatten. Ihr Magen rebellierte, Übelkeit stieg in ihr auf, sie hörte wie Kay plötzlich aufstöhnte und von ihr abließ. Ein lautes Knacken war zu hören und dann ein Schrei. Ayesha öffnete irritiert ihre Augen. Kay lag auf dem Rücken, Blut sickerte aus seiner Nase, der Stumme stand über ihm und hielt ihm sein Schwert an die Kehle. "Du verdammter Bastard," schrie Kay und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. "Du hast mir die Nase gebrochen." Der Stumme legte seinen Kopf schief und zuckte mit den Achseln. "Willst du sie? Dann nimm sie dir doch, ist mir egal." Schwankend erhob Kay sich und verschwand im Dickicht um sich das Blut abzuwaschen. Ayesha atmete heftig, sie sah den Stummen abschätzend an wie dieser sein Schwert wieder in die Scheide steckte. Wie ein großer Schatten stand er vor ihr, sein Umhang raschelte leise als er sich in ihre Richtung drehte und auf sie zu kam. "Bitte, bitte nicht," stieß sie hervor und versuchte ein Stück von ihm weg zu rutschen. Dicht vor ihr blieb er stehen und sah auf sie hinunter, jedenfalls erschien es Ayesha als würde er sie anstarren. Leicht schüttelte er seinen Kopf, nahm von einer der Decken einen Umhang und legte ihn ihr über die Schultern. Teilnahmslos drehte er ihr den Rücken zu und setzte sich vor das Feuer. Dankbar blickte sie ihn an wie er mit einem Stock in der Glut herum stocherte, um das Feuer wieder in Gang zu bringen. Schwerfällig setzte sich Ayesha auf und sah ihn an. "Danke," sagte sie leise. Der junge Mann dreht leicht den Kopf, zuckte wie zu vor nur mit den Schultern, doch plötzlich hob er den Kopf; als habe er ein Geräusch vernommen. Sein Kopf drehte sich kaum merklich und er schien sich anzuspannen. Ayesha beobachtete ihn, versuchte ebenfalls etwas zu hören, doch alles was sie vernehmen konnte war die Stille der Nacht. Abrupt sprang der Stumme auf seine Füße und zog sein Schwert. Schreie drangen aus dem Wald. Laut und gellend durchzuckten sie die Nacht. Ayesha zitterte als sie die Stimme von Kay erkannte. "Ogronier," hallte es laut und warnend zu ihnen herüber. Der Stumme überlegte nicht lange, klemmte sich zwei Wasserschläuche und den restlichen Proviant unter einen Arm.. Schritte kamen immer näher und die Schreie der sterbenden Männer drangen aus dem Dickicht an Ayeshas Ohren. Der Stumme eilte auf sie zu, zog sie mit einem festen Griff in die Höhe und durchschnitt hastig ihre Fußfesseln, dann zog er sie mit sich in das Unterholz. Ayesha wehrte sich nicht, in diesem Augenblick vertraute sie ihm und ließ sich durch seine Hand auf den Waldboden drücken. Für einen kurzen Moment war nichts zu hören, dann brachen aus dem Dickicht zehn Männer hervor. An ihren Waffen klebte Blut. Ayesha sah kurz zu dem Stummen hinauf, dieser starrte angespannt auf die Lichtung. Ayesha hörte seinen Atem der stoßweise seiner Kehle entrann...sie bemerkte das er sich fürchtete. "Nichts zu sehen," rief einer der Ogronier als sie das Lager abgesucht hatten. "Dann war die ganze Arbeit ja umsonst," lachte ein anderer. "Schon wieder war sie nicht dabei. Ich glaube wir jagen einem Phantom hinter her." "Ja, einem Phantom auf dessen Kopf eine hohe Belohnung ausgesetzt ist. Laßt uns zurück zum Dorf gehen, wir werden erwartet." Ayesha hörte wie die Männer in ein gemeinsames Lachen einstimmten und genauso schnell wie sie über sie gekommen waren verschwanden sie auch wieder. Der Stumme hob vorsichtig seinen Kopf, hektisch sah er sich nach allen Seiten um. Immer noch war sein Körper angespannt und er schien noch etwas abzuwarten, fast so als wäre er es gewohnt sich zu verstecken. Dann erhob er sich und zog sie mit sich hinauf. Das Feuer knisterte leise, Stahl blitzte im schwachen Schein auf und Ayesha fühlte wie sich ihre Fesseln um die Hände lösten. Sie rieb sich ihre schmerzenden Handgelenke und blickte dem Stummen nach. Kurz untersuchte er den Lagerplatz, packte seine Sachen in einen Beutel und lud sich sein Gepäck auf die Schultern. Sein Blick begegnete dem von Ayesha und er gestikulierte wild mit seinen Händen. Auf Ayesha machte es den Eindruck als wolle er einen Hund verscheuchen, der ihm nach gelaufen war. "Bin ich frei?" fragte sie und er beantwortete ihre Frage mit einem leichten nicken. Ein Lächeln der Erleichterung lag auf ihren Lippen, erstarb jedoch nur wenige Augenblicke später. Sie wußte nicht welchen Weg sie gehen sollte...welcher Weg sie zurück nach Hause führte, nach Hause zu ihrem Vater. Mit festen Schritten wollte der Stumme an Ayesha vorbei gehen, doch sie hielt ihn an seinem Arm fest. Ihre Finger klammerten sich an ihm fest, er versuchte kurz sich von ihr los zu reißen, gab es jedoch nach einigen Versuchen auf. "Warte, ich weiß nicht wo ich bin, wie komme ich nach Hause?" Auf ihre Frage erhielt sie, wie sooft, nur ein Achsel zucken von ihm, es schien im egal zu sein was aus ihr wurde. Ayesha bemühte sich die Fassung zu bewahren, sie dürfte ihn nicht so einfach ziehen lassen. Sie wußte, das er sie zurück führen konnte. Sie mußte ihn nur überzeugen. Sie atmete tief durch und sagte mit fester Stimme: "Dir geht es um Geld oder nicht?" Sie sah wie er leicht nickte. "Gut, wenn du mich zurück zum Katzenstein bringst, wird dich mein Vater für all das hier entschädigen." Sie hielt kurz inne um ihren Worten Nachdruck zu verleihen und fuhr nach einer kurzen Pause fort. "Ich werde nicht sagen, dass du zu ihnen gehört hast." Seine ausdruckslosen im Schatten seiner Kapuze verborgenen Augen schienen sie anzustarren. Ayesha wurde unter diesem Blick unsicher. Nachdenklich wiegte er seinen Kopf hin und her, schien abzuwägen ob die Belohnung die sie ihm angeboten hatte diesen Aufwand wert war. Sie hörte wie er leise atmete. "Bitte hilf mir," sagte sie, ihre Stimme zitterte, doch ihr Blick fixierte den Stummen fest. Er atmete geräuschvoll aus und nickte schließlich. Mit seiner Hand signalisierte er ihr das sie ihm folgen sollte. In Ayeshas Augen sammelten sich Tränen, er würde sie führen, er würde sie nach Hause bringen, endlich nach Hause. Nachwort: So, erst einmal entschuldige ich mich dafür, das es etwas länger gedauert hat. Mir ist da leider meine Zeugnisverleihung vom Abi dazwischen gekommen *g*. Ich hoffe mal, das dieses Kapitel euch gefallen hat. An dieser Stelle bedanke ich mich wieder bei allen die es gelesen haben und ich widme dieses Kapitel allen die mir bis jetzt mit konstruktiven Kommentaren weitergeholfen haben. Aber auch einer Person, die diese Geschichte von mir bereits kennt. Und noch etwas, mit den zwei Handlungsebenen war schon mal keine schlechte Idee...die Fäden werden noch zusammen laufen...wie gesagt, alles wird sich klären!!! Noch einmal danke für das Lesen, bis bald. Adios seen Kapitel 4: Im schwarzen Eber ---------------------------- Im schwarzen Eber Der Wind fegte leicht über die Graslandschaft, wiegte die Halme sanft hin und her wie zu einem stummen Wiegenlied. Das Licht der Sonne wärmte die von Tau bedeckten Wiesen und lies die Welt zum Leben erwachen. Wiesel reckten ihre Köpfe aus Erdlöchern entpor, schnupperten und verschwanden wieder in der Dunkelheit, als sie den Menschen gewahr wurden, die sich ihnen langsam nährten. Keuchend lief Ayesha dem Stummen hinter her, sie versuchte krampfhaft mit ihm Schritt zu halten. Auch wenn ihre Füße schmerzten und ihre Lungen durch die kalte Morgenluft sich zusammen zogen. Die schwarze Gestalt vor ihr drehte kurz seinen Kopf, schüttelte diesen mißbilligend und lief wieder weiter. "Ungehobelter Kerl," zischte Ayesha leise und starrte verbissen nach vorne. Die Luft kühlte ihre erhitzten Wangen und ließ die kleinen, feinen Schweißperlen auf ihrer Stirn trocknen. Sie fragte sich insgeheim wie lange sie dieses Tempo, das der Stumme ihr vorlegte noch mithalten konnte. Er hatte ihr versprochen sie nach Hause zu bringen, sowie es seine Art zu sein schien, durch eine Geste. Ayesha wußte, dass es die Belohnung war die ihn lockte. Die Belohnung die sie ihm zugesichert hatte, mehr war es nicht was ihn dazu bewegte sie zu führen. Er hätte sie auch in der Wildnis alleine gelassen. Mißtrauisch beobachtete Ayesha die schwarze Gestalt vor sich. Sie betrachtete ihn mit gemischten Gefühlen, er war ihr unheimlich, fast so mysteriös wie ein Schatten, der in der Nacht auftaucht, sofort aber wieder verschwindet. Sie wußte nichts von ihm, ahnte nur, das er etwas versteckte. Vor den Augen der Menschen verbarg, als fürchtete er sich davor, das es jemand bemerken könnte. Nachdenklich starrte Ayesha ihn an. Noch nie, so erschien es ihr, hatte sie einen Menschen getroffen, der auf solch eine Weise unheimlich war. Die Stille in die er sich hüllte, war das schlimmste, sie war kaum zu ertragen. Unentwegt hatte Ayesha das Gefühl, als würde er sie beobachten, als würden seine Augen durch sie hin durch blicken, immer noch nicht kannte sie sein Gesicht, alles was sie wußte, dass war die Tatsache, dass er gefährlich war. Man konnte es ihm nicht sofort ansehen, doch Ayesha wußte, zu was er in der Lage war, sie erinnerte sich daran, wie er Kay unschädlich gemacht und bestimmt auch einige ihrer Reisegefährten getötet hatte. Abscheu stieg in ihr auf, als sie sich an das Gesicht von Leros erinnerte. Hatte er ihn getötet? Oder Vers? Jedoch, er hatte sie gerettet. Warum hatte er das getan? War er vielleicht doch nicht so schlecht wie sie dachte. Hatten all die Dinge welche er wohl erlebt haben mochte ihn zu dem gemacht was er nun einmal war. Zu einem Räuber und Mörder? Für sie war er ein Rätsel und würde es wohl auch immer bleiben. Doch, sie mußte sich wohl oder übel mit ihm abfinden. Sein Schwert klirrte leise und Ayesha zuckte bei diesem Geräusch zusammen. Sie erinnerte sich dran, was solch eine Waffe ausrichten konnte, oft genug hatte sie es in den letzten Tagen mit ansehen müssen, hatte gespürt wie sich kalter Stahl an ihrer Kehle anfühlte. Ihre Gedanken kehrten zu der letzten Nacht zurück. Mitten in der Nacht war sie erwachten, hatte sich umgesehen, der Stumme schien zu schlafen, leise war sie zu ihm geschlichen. Neugier hatte sie getrieben, Neugier was sich wohl hinter der Kapuze im Schatten verbergen mochte. Vorsichtig und lautlos hatte sie versucht die Kapuze zurück zu schieben, augenblicklich war sein Arm hinauf geschossen, umklammerte ihre Hand und eine Messerklinge lag an ihrer Kehle. Sie hatte seinen keuchenden Atem gehört, den Druck um ihr Handgelenk gespürt, sie war zurück gewichen. Angst war in ihr hoch gekrochen, Angst das er sie töten würde. Doch nichts war geschehen, er hatte sein Messer weg gesteckt, hatte ihr den Rücken zu gedreht und hatte seelenruhig weiter geschlafen als wäre nichts geschehen. Seit dieser Nacht hatte Ayesha eine Ahnung davon, wie gefährlich er wirklich war. Es war eine Art von Gefahr, der man sich kaum bewußt wurde. Subtil, kaum greifbar schien sie über Ayesha zu schweben. Erst in jener Nacht war sie sich dieser wirklich bewußt geworden. Es wurde ihr bewußt, das es für ihn ein Leichtes war sie zu töten. Nur eine falsche Bewegung, ein falsches Wort könnte ihr letztes gewesen sein. Sie war bedeutungslos für ihn, nur ein Mittel zum Zweck um an eine Belohnung zu kommen. Geld war das einzige voran dieser Mensch glaubte, das einzige was für ihn eine Rolle spielte. Wie sollte man solch einem Menschen sein Leben anvertrauen können? Wie sollte man ruhig neben ihm schlafen, wenn die Angst den nächsten Morgen nicht mehr zu erleben ein stiller und doch immer präsenter Gefährte war? Es war ein befremdendes Gefühl für Ayesha, das sie nur beschützt wurde, um sie unversehrt abliefern zu können, unversehrt um den höchst möglichen Profit für sich selbst heraus zuschlagen. Sie fragte sich, was sich wohl hinter diesem Schatten der auf seinem Gesicht lag abspielte. Dachte er über sie nach? Hatte er eine Art von Mitgefühl für sie, oder war es nichts von alle dem? Es war schwer sich dies vorzustellen. Wie sollte man auch, wenn eine Person kein Gesicht besaß, keine Gefühle ausstrahlte, nicht sprechen konnte...sie konnte niemandem vertrauen, den sie nicht kannte. Doch hatte sie eine Wahl? Wie lange würde sie ohne ihn überleben? Ein paar Tage vielleicht, doch nicht mehr. Sie brauchte sein Wissen, sie brauchte seine Gefährlichkeit um selbst zu überleben. "Er ist selbst wie diese Wölfe, vor denen er sich so fürchtet," dachte Ayesha und blickte ihren stummen Führer an. Immer noch fragte sie sich, warum er sich so sehr vor ihnen gefürchtet hatte. Sie hatte es ganz deutlich vernehmen können. Seine Anspannung in dieser Nacht, seine Furcht. Es war nicht die Art von Furcht gewesen, die sie selbst verspürt hatte. Nicht die Furcht sein Leben zu verlieren. Es war etwas anderes gewesen, doch was, das konnte sie nicht deuten. Es war so seltsam gewesen, so als habe er für einen kleinen Augenblick, kaum mehr als ein Atemzug, seine Maske abgelegt. Als habe er in diesem Augenblick etwas von sich selbst preis gegeben. In ihren Gedanken versunken folgte Ayesha dem Stummen. Die Sonnenstrahlen gewannen mit jedem Augenblick mehr an Kraft. Man konnte fast fühlen, wie es wärmer wurde. Die Luft begann vor ihnen leicht zu flimmern, und die dunklen Wolken welche sich vereinzelt am Horizont gezeigt hatten verschwanden. Mit festem Schritt lief der Stumme vor Ayesha, doch seine Gedanken waren an einem anderen Ort. "Warum tue ich das eigentlich?" fragte er sich selbst. "Es ist zu gefährlich. Für mich und für sie. Warum begreift sie das nicht? Ich habe versucht ihr Angst zu machen, warum bleibt sie? Sie muß es doch spüren? Sie ist nicht dumm. Sie ist zäh, jede andere wäre nach alledem zusammen gebrochen, viel schon mitgemacht das Mädchen. Was denke ich eigentlich? Sie ist wie jede andere auch, ich werde Geld bekommen, ich muß nur dafür sorgen, das sie unbeschadet am Katzenstein ankommt. Ich müßte nie wieder fort...müßte mich nie wieder mit diesem Abschaum abgeben. Sie nennen sich selbst "Kinder des Waldes". Keiner von ihnen hatte nur die Spur einer Ahnung davon, was es heißt wirklich eines zu sein. Sie hatten den Tod verdient. Das Mädchen ist eine Gefahr, eine Last für mich, sie ist zu neugierig. Es ist noch ein sehr weiter weg zu Fuß und die direkten Wege kann ich nicht mit ihr gehen. Es wäre zu gefährlich. Die Wölfe sind überall... Was ist wenn ich sie nicht ewig auf Distanz halten kann? Was dann?" Vorsichtig sah er über seine Schulter, bemerkte die Röte auf den Wangen des Mädchens, die feinen Schweißperlen die auf ihrer Stirn zum Vorschein kamen. Sie würde bald eine Pause brauchen. Er richtete seinen Blick wieder nach vorne. Er wußte, das er heute noch den Wald erreichen mußte, in diesem kannte er sich aus, dieser war ihm vertraut. Jeder Strauch, jeder Baum, jeder Pfad. Er kannte sie alle. Dort gab es die Möglichkeit sich zu verbergen, sich zu schützen. Hier auf dem offenen Land waren sie wie Freiwild, leicht zu finden. Ein leiser Laut drang aus seiner Kehle und es klang beinahe wie ein Seufzen. "Warum tue ich das eigentlich?" fragte er sich erneut, doch so lang er auch darüber nachdachte, er fand keine Antwort auf seine Frage. Das Geäst der Bäume schloß sich über ihnen zusammen wie das Dach einer Hütte. Feuchtigkeit strömte von dem Waldboden zu dem Laub der Bäume entpor, das Sonnenlicht brach durch das Geäst der Baumwipfel und die kleinen Strahlen, die bis zu dem Boden hinunter drangen leuchteten hell auf. Fliegen schwirrten über der Wasseroberfläche des kleinen Flusses und sein Rauschen erfüllte die kleine Lichtung. Ayesha seufzte wohltuend auf, als sie ihre schmerzenden Füße in das kühle Naß gleiten ließ. Ihr Körper entspannte sich, alle Anspannung der letzten Tage viel von ihr ab, als wäre es Schnee, der im Sonnenlicht zu schmelzen begann. Sie stützte ihren Kopf auf ihre Handflächen und starrte auf die klare, reißende Oberfläche des Flusses. Dicht neben ihr saß der Stumme im Schatten eines Baumes und schien leicht zu schlafen. Seine Hände ruhten trotz dieses leichten Dämmerschlafes an seinen Waffen, immer schien er bereit zu sein zu kämpfen. Niemals entspannte er sich, seine Atmung war kaum zu hören. Sein Kopf zuckte kaum merklich hin und her, als würde er von etwas schrecklichem träumen. "An was denkt er wohl jetzt?" fragte sich Ayesha und ihr Blick streifte kurz über seinen Körper. Ein leichtes Zittern befiel seinen Körper, dann schüttelte er leicht seinen Kopf. Sofort nahm Ayesha ihren Blick wieder von ihm, sie wußte, das es ihm unangenehm war, wenn sie ihn beobachtete. Das kühle Wasser des Flusses umspülte ihre Füße und sie tauchte eine Hand hinein, klatschte sich das kalte Wasser auf ihre erhitzten Wangen. Plötzlich drangen Geräusche aus dem Wald. Der Stumme sprang augenblicklich auf seine Füße, sein Schwert glitt geräuschlos aus der Scheide. Langsam ging er auf Ayesha zu und ging vor ihr in Angriffsstellung, seine Hände umklammerten den Knauf des Schwertes. Die Klinge blitzte im Sonnenlicht hell auf. Ayesha starrte in die selbe Richtung, in welche auch der Stumme zu blicken schien. Das Geräusch wurde immer lauter, eine große, schwarze Wölfin tapste aus dem Unterholz hervor. Sie hob ihren Kopf, schnupperte, dann ruhten ihre grünen Augen auf dem Stummen. Sie legte den Kopf schief, schien ihn anzustarren. Der Stumme ließ sein Schwert sinken, kniete sich auf den Waldboden und streckte seine freie Hand der Wölfin entgegen. Vorsichtig tapste sie auf ihn zu... Blieb kurz vor dem Stummen stehen und sog den Geruch des Stummen tief in ihre tierischen Lungen ein. Mit großen Augen sah Ayesha diesem Schauspiel zu. Die Wölfin schien alle Vorsicht zu vergessen, kam immer näher und ließ sich von dem Stummen über ihr struppiges Fell streicheln. "Loba, du verdammtes Vieh, wo steckst du?" Bei diesem Ruf hob die Wölfin schnell ihren Kopf, sie jaulte leise und drängte sich noch näher an den Stummen heran. Dieser tätschelte der Wölfin leicht über den Kopf und das Tier beruhigte sich wieder. Äste wurden zur Seite geschoben und ein großer, grauhaariger Mann stapfte auf die Lichtung. Ein breiter Filzhut bedeckte seinen Kopf und man konnte kaum sein Gesicht erkennen. Den Rest des Gesichtes, das man erkennen konnte, war von einem grauen Bart bewachsen. "Loba, komm her," sagte er und klopfte mit seinem Stock gegen seinen Unterschenkel. Die Wölfin reagierte nicht, blieb bei dem Stummen stehen und sah ihren Herren ausdruckslos an. Ein leisen Fluch zischend kam der Mann noch einige Schritte näher. Der Stumme hob seine Hand, als wolle er ihn grüßen. Wie angewurzelt blieb der Mann stehen, starrte den Stummen an, Verwirrung lag in seinen Augen. Der Stumme machte eine Geste mit seinen Fingern, eine Art Zeichen, einen Gruß. Der ältere Mann riß die Augen auf, Freude spiegelte sich in seinen tief braunen Augen wieder. "Ryan?" rief er freudig aus, ließ seinen Stock fallen und rannte den restlichen Weg auf sie zu. "Ryan," rief er ein weiteres Mal und umarmten den jungen Mann stürmisch, wie ein Vater, der seinen verlorenen Sohn wiedergefunden hatte. Herzlich drückte er den Stummen an sich und hob ihn ein Stück hoch. "Wie geht es dir? Was machst du hier?" fragte er und löste seinen klammer Griff um dessen Körper. Er lachte schallend und schlug dem Stummen freundschaftlich auf dessen Rücken, dann veränderte sich plötzlich sein Gesichtsausdruck. Er hob argwöhnisch eine Augenbraue und sah den Stummen skeptisch an. "Was ist los mit dir? Hat es dir die Sprache verschlagen oder bist du krank?" Der Stumme schüttelte seinen Kopf und deutete mit einem Nicken in Ayesha's Richtung. Ayesha hatte ihren Körper leicht gegen den Stamm eines Baumes gelehnt und streichelte der Wölfin, die neben ihr saß und mit ihrem Schwanz wedelte sanft über den Kopf. "Wie? Er kann reden?" fragte sie und in ihrer Stimme schwang Argwohn mit. "Natürlich kann Ryan reden." Der Rippenstoß des Stummen kam nur wenige Augenblicke zu spät. Der ältere Mann wirkte verstört und rieb sich die schmerzende Stelle, auf welche der Stoß des Stummen geprallt war. "Na ja," sagte er vorsichtig. "Bis vor ein paar Monaten konnte er es noch." Abschätzend musterte Ayesha die beiden Männer vor sich. Sie lächelte leicht und schüttelte dann ihren Kopf. "Ich glaube, einen schlechteren Lügner als ihr es seid, habe ich noch nie getroffen." Der Stumme seufzte leise und schüttelte seinen Kopf. "Wenn dieses Plappermaul da ist, dann nützt auch die beste Maskerade nichts mehr." Es war eine angenehme warme und weiche Stimme. Die Hände des ehemals so stummen Reisegefährten tasteten sich zu der dunklen Kapuze, mit einem leisen Rascheln fiel sie zurück. Sprachlos starrte Ayesha auf den Menschen, der nun vor ihr stand. Kinn langes, von der Sonne gebleichte Haare kamen zum Vorschein, eine tief braune Haut zierte das fein geschnittene Gesicht. "Du bist ja gar kein..." die Stimme versagte ihr und sie starrte die junge Frau die nun vor ihr stand entgeistert an. "Ach sie wußte nicht das du..." "Ja Wido du Sohn eines Schafes, sie wußte überhaupt nichts." Sacht schlug Ryan Wido gegen seinen Hinterkopf und lächelte leicht, ihre Augen blickten Ayesha abschätzend an. Diese Augen, noch nie in ihrem Leben hatte Ayesha solche Augen gesehen. Augen, welche die Farbe von Bernsteinen besaßen... "Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mir das jetzt mal alles ruhig erklären könntest, Ryan," sagte Wido und blickte verwirrt zwischen Ayesha und Ryan hin und her. Ryan lachte laut und nickte leicht. "Komm, wir setzten uns, wir haben uns viel zu erzählen." Gespannt lauschte Wido den Erzählungen Ryans. Sie berichtete ihm alles was seit ihrer letzten Begegnung geschehen war. Nachdenklich paffte Wido an seiner Pfeife und streichelte Loba über ihr Fell. "Da lässt man dich einmal aus den Augen, und du fängst nur Dummheiten an," sagte er, doch sein Lächeln verriet das er seine Worte nicht all zu ernst meinte. "Was hat dich nur geritten dich diesen Söhnen einer läufigen Hündin an zu schließen? Bist du von allen guten Geistern verlassen, Ryan?" Ryan nahm einen tiefen Zug aus dem Wasserschlauch und blickte Wido nachdenklich an. "Was hättest du an meiner Stelle getan?" gab sie die Frage zurück. "Ich brauchte Geld und ich mußte fort, du weißt warum." Wido nickte und lies den Rauch aus seinen Lungen entweichen. "Natürlich verstehe ich dich, aber es ist nicht deine Art." Er seufzte leise und sein Blick begegnete dem von Ayesha, die schweigend ihrer Unterhaltung gelauscht hatte. "Und was ist mit dir, Mädchen?" fragte er und lächelte sie warm an. "Wie heißt du eigentlich, und was bei allen mir bekannte Göttern gibst du dich mit der da ab?" Die Freundlichkeit in seiner Stimme zauberte ein Lächeln auf Ayeshas Lippen. Es tat so gut endlich wieder Stimmen zu hören. "Ayesha," stellte sie sich vor. "Sie wird mich nach Hause bringen. Zurück zum Katzenstein." Wido pfiff leise. "Das ist noch ein sehr weiter Weg, mein Kind," sagte er und blickte Ryan dann sofort wieder an. "Sei vorsichtig, in den Wäldern wimmelt es von den Wölfen." "Wie viele hast du bis jetzt gesehen?" "Genau kann ich dir das nicht sagen. Loba und ich sind schon eine ganze Weile unterwegs und haben es vermieden ihnen zu begegnen, ich glaube sechzig oder mehr. Sie sind überall." "Das hatte ich mir gedacht," sagte Ryan und ihr Blick veränderte sich. Sie hatte mit Schwierigkeiten gerechnet, doch sie hatte nicht gewußt, das sie so schnell auf sie zu kommen würden. Das die Gefahr so groß war. Sie spürte das der Blick des Mädchens auf ihr haftete, sie hob den Kopf und lächelte leicht. "Was ist?" "Ich frage mich nur, warum all diese Maskerade. Warum hast du mir nicht die Wahrheit gesagt?" fragte Ayesha und blickte Ryan an. "Ich glaube kaum, das die Männer mich mitgenommen hätte, wenn sie meine wahre Gestalt gekannt hätten. Und warum hätte ich dir die Wahrheit sagen sollen? Zwei Frauen, die alleine Reisen sind auffälliger und die Ogronier hätten uns wohl viel schneller sichten können." "Außerdem hüllt sich Ryan gerne in Nebel, sie ist gerne mysteriös," ergänzte Wido und lachte laut auf. "Sei du mir ganz still," sagte Ryan mit gespieltem Zorn in der Stimme. "Was treibst du eigentlich hier? So weit weg von deiner Sippe?" "Geschäfte, du kennst mich doch. Ich reise hinauf zum Wiesensee, wir haben also fast das gleiche Ziel, meine Liebe." "Dann wäre mein nächster Vorschlag, das wir aufbrechen sollten. Du bist nicht so schnell mein Freund, und ich möchte so lange die Sonne am Himmel steht noch einiges voran kommen." Wido verzog sein Gesicht und erhob sich. "Ich bin alt, Ryan, vergiß das nicht. Aber wenn ich muß, kann ich immer noch so schnell laufen wie in alten Zeiten." "Ich weiß doch, Wido," sagte Ryan während sie ihr Gepäck schulterte und Ayesha zu sich winkte. Loba wedelte mit dem Schwanz, es erschien, als wäre es der Wölfin sehr recht, das es wieder weiter ging. Zärtlich leckte Loba Ayesha die Hand ab und sie fuhr sanft über das schwarze Fell der Wölfin. "Wie es aussieht mag sie dich," sagte Ryan und stupste Loba sanft gegen die feuchte Schnauze. "Mit ihr hast du die treuste Freundin die man sich vorstellen kann gefunden." "Ja, die treuste und auch die, welche dir nur ärger macht," sagte Wido und erhielt von der Wölfin ein Knurren als Antwort. Freudig sprang Loba an Ayesha hoch und lief vorweg, Ayesha folgte ihr mit schnellen Schritten. Wido und Ryan liefen den beiden hinter her. "Meinst du nicht, es ist zu gefährlich. Der Weg hinauf zum Katzenstein wird stark bewacht." "Keine Sorge, Wido. Ich weiß das," flüsterte Ryan. "Das du es weißt, beruhigt mein altes Herz ja ungemein, mein Kind," erwiderte Wido und der Zynismus in seiner tiefen Stimme war deutlich zu hören. "Ich meine es sehr ernst, passe auf dich auf und auf das Mädchen." Ryan nickte und drückte leicht seine Hand. "Danke, aber zerbrich dir nicht meinen Kopf Wido." "Ich muß bei dir irgendetwas falsch gemacht haben. Nie hörst du auf mich," stellte Wido fest und legte freundschaftlich einen Arm um Ryan. "Sag mal, was hältst du davon, wenn wir heute Nacht im Schwarzen Eber einkehren?" "Ich weiß nicht," sagte Ryan und unterdrückte den Widerwillen in ihrer Stimme. "Wirtshäuser kosten Geld, Zeit und außerdem liegt es überhaupt nicht auf unserem Weg." "Das tut es sehr wohl," entgegnete Wido. "Komm schon. Einen Krug gutes Bier für mich, das Mädchen möchte bestimmt wieder einmal in einem richtigen Bett schlafen und was dich betrifft," er lächelte verschwörerisch und senkte seine Stimme. "Da gibt es jemanden, der dich sehnsüchtig erwartet und du weißt das genau." "Ja, eben darum mach ich mir ja solche Sorgen," dachte Ryan. Sie wußte genau, was und wer auf sie wartete. Genervt blies sie die Luft aus und nickte schließlich. "Also gut, aber dann laß uns jetzt schnell weiter gehen. Es ist noch ein langer Weg und wir haben nicht mehr viel Zeit bis die Sonne untergeht..." Ein kühler Wind kam auf, das Licht der Sonne wurde schwächer und die Umgebung wurde in ein rötliches Licht getaucht, nur die grünen Augen von Loba leuchteten in der immer stärker werdenden Dunkelheit. Die Wölfin blickte zu dem jungen Mädchen hinauf, das neben ihr lief und ihre Hand ruhte auf ihrem Rücken. So als würde die Wärme Lobas sie beruhigen. Nur schwer durchdrangen die Augen Ayeshas die Dunkelheit. Zum erstenmal seit dem sie mit Ryan aufgebrochen war, liefen sie auf einem normalen befestigten Weg. Vorsichtig blickte Ayesha über ihre Schulter. Ein eigenartiges Gefühl beherrschte ihre Gedanken als sie die beiden Menschen, die ihr in einigem Abstand folgten betrachtete. Sie war hin und her gerissen. Sie wußte nicht, ob sie froh über die Ereignisse des Tages sein sollte, oder ungehalten. Zuviel war heute geschehen, zuviel hatte sich verändert. "Ryan, in meiner Heimatsprache bedeutet der Name Trauerweide. Sie ist eine seltsame Person, sie ist mir immer noch unheimlich," dachte Ayesha und blickte wieder nach vorne. Vor ihnen flackerte in unregelmäßigem Abstand Licht auf. "Halte dich an Loba Mädchen," rief ihr Wido zu. "Sie kennt den Weg." Die Wölfin bellte leise und ihre kalte Schnauze stupste Ayesha in ihre Seite. Ayesha verstand und ließ sich von der Wölfin führen, ein großes hell erleuchtetes Haus tauchte vor ihnen auf, Musik drang aus seinem Inneren zu ihnen herüber und das Lachen von Menschen war zu vernehmen. Über der Tür hing ein Schild, von Wind und Wetter war seine Farbe ausgeblichen und man konnte nur noch schemenhaft einen Eber erkennen. Unter dem Tier stand in verschnörkelter Schrift "Zum Schwarzen Eber". "Da wären wir," rief Wido und erklomm die wenigen Stufen als erster. "Rein mit euch, ich bin hungrig aber noch mehr durstig." Wido lachte laut und klopfte sich auf seinen Bauch. Ryan ließ Ayesha vor und blieb noch einen Augenblick stehen... Sie atmete tief durch, dann folgte sie den beiden. Mit einem Ruck riß Wido die Tür auf. Gelächter und Musik schallte ihnen nun noch lauter entgegen. Reisende und Bauern scharrten sich um die Tische, lachten, spielten Karten, einige Frauen saßen vereinzelt zwischen ihnen. Ayesha drängte sich dichter an Wido heran. Der ältere Mann lächelte und nahm ihre Hand. "Du brauchst keine Angst zu haben Mädchen," sagte er und seine Stimme hatte auf Ayesha eine beruhigende Wirkung. "Sie werden dir nichts tun, die Frauen hier sind für sie Ablenkung genug." Ayesha nickte leicht, hielt die Hand Widos jedoch fest umklammert, dieser reckte den Kopf. "Da hinten ist noch ein Tisch, wir sollten uns beeilen, bevor auch dieser uns durch die Lappen geht." Er zog Ayesha hinter sich her und ließ sich seufzend auf einem der Stühle nieder. "Das tut gut," sagte er, streckte sich und lächelte. "Meine Knochen sehnen sich nach Entspannung, mein Magen aber noch mehr nach etwas zu essen. Wir sollten..." abrupt hielt Wido inne. Sein Blick blieb an einer Person hängen, die auf der Treppe welche wohl zu dem oberen Geschoß führte stand und sie anstarrte. Mit schnellen Schritten eilte eine junge Frau die Stufen hinunter. "Ryan," rief sie freudig und warf sich dieser in die Arme. Lächelnd drückte die junge Frau Ryan an sich und küßte sie schnell auf die Wange. "Ich hatte die Hoffnung das ich dich in diesem Leben noch einmal sehe ja schon fast verloren. Von Wido weiß ich, das auch er nicht wußte wo du steckst," sie hob tadelnd ihren Zeigefinger. "Du bist ein richtiges Scheusal, weißt du das?" Verlegen strich sich Ryan eine lästige Haarsträhne aus den Augen. "Ich hatte wenig Zeit. Außerdem habe ich nichts getan, was du nicht auch tun würdest, Teleri." Die Frau lachte laut auf und umarmte Ryan erneut. "Dann würde ich sagen, du hast Dinge getan, die ich überhaupt nicht hören geschweige denn wissen will." "Immer noch das lose Mundwerk. Du wirst dich nie ändern," sagte Wido und zog die junge Frau in seine Arme. "Eher könntest du den Lauf eines Flusses ändern, bevor du mich ändern könntest, Wido," gab die junge Frau spitz zurück und drückte den älteren Mann fest an sich. Über seine Schulter hinweg sah sie Ayesha an. "Und wer ist eure Gefährtin hier? Ich glaube, wir kennen uns nicht." Sie löste sich aus Widos Umarmung und streckte Ayesha ihre Hand entgegen. "Meine Name ist Teleri," sagte sie und ihre blauen Augen leuchteten wie zwei Sterne. Ayesha ergriff schüchtern die Hand und schüttelte sie leicht. "Hallo, mein Name ist Ayesha." "Ein schöner Name," sagte Teleri vergnügt und setzte sich zwischen Ryan und Ayesha. Loba, die unter dem Tisch lag wedelte freudig mit ihrem Schwanz, als sie den Geruch Teleris erkannte. "Na, meine Loba, schön das es dir gut geht." Loba bellte laut als Antwort und Teleri kicherte leise. "Und was hast du mit diesen beiden hier zu schaffen? Wenn du mit ihnen reist, dann mögen die Götter dir gnädig gestimmt sein." "Erschreck sie nicht, Teleri," sagte Ryan und ihr Blick wurde ernst. "Sie hat schon viel erlebt." Sanft nahm Teleri Ryans Hand in die ihre und flüsterte ihr etwas ins Ohr. "Wenn ich dich erschreckt habe, Kleine, dann tut es mir leid." Ayesha schüttelte verneinend ihren Kopf, sagte jedoch nichts. Stumm betrachtete sie die junge Frau. Sie war hübsch, das war ihr sofort aufgefallen. Ihr langes blondes Haar und diese blauen leuchtenden Augen... Doch noch etwas anderes war ihr nicht entgangen. Ryan schien in der Gegenwart dieser Frau plötzlich verändert zu sein. Der Ausdruck in ihren Augen war anders geworden. Liebevoll blickten sie ihr Gegenüber an. Der Abend schien sich endlos hinzuziehen, Wido trank viel, versuchte Ayesha mit Geschichten oder auch Scherzen zum Lachen zu bringen und hatte immer ein Augen auf Ryan, die schweigsam neben Teleri saß. Müdigkeit bannte sich einen Weg in Ayeshas Gedanken, sie mußte gähnen und konnte kaum noch ihre Augen offen halten. "Bist du müde, Kleine?" fragte Teleri und strich ihr leicht über ihre Wange. "Ist ja auch schon ziemlich spät. Ich habe Zimmer für euch herrichten lassen, geh einfach die Treppe hinauf." Ayesha wollte sich gerade erheben, als Wido sie am Arm festhielt. "Warte," sagte er und leerte seinen Krug mit einem Zug. "Ich komme mit dir und zeige dir den Weg." Schwankend erhob er sich, pfiff leise und Loba tapste unter dem Tisch hervor. Schweigend folgte Ayesha ihm die Treppe hinauf, blieb dann noch einmal stehen und sah zu Ryan und Teleri hinunter. Sie sah wie Ryan sanft über die Wange Teleri's strich und lächelte. "Eine sonderbare Frau," dachte Ayesha, verwarf diesen Gedanken doch gleich wieder und eilte Wido mit schnellen Schritten hinter her. Der schwache Schein einer Kerze erhellte den Raum. Schatten tanzten an den Wänden und die Geräusche der Nacht drangen durch das geöffnete Fenster in das kleine Zimmer. Stille herrschte. Kein Wort sprachen die beiden Menschen, die eng umschlungen auf dem kleinen Bett lagen. Ihre Finger hatten sich ineinander verflochten und hielten sich fest. "Warum sagst du nichts?" fragte Ryan und zog Teleri noch näher an sich heran. "Was sollte ich auch schon sagen," entgegnete diese mit vorwurfsvollem Ton. "Soll ich dir sagen, dass ich dich vermißt habe? Mich jede Nacht, jeden Tag gefragt habe, ob du überhaupt noch einmal zu mir zurück kehrst? Soll ich dir sagen, das ich Angst um dich habe? Soll ich das sagen?" Ryan seufzte leise und vergrub ihr Gesicht in den Haaren Teleris. Sie wußte, was sie dieser Frau antat. Immer wieder und wieder, auch wenn sie es nicht wollte, sie verletzte sie egal was sie auch tat. Sie verletzte jeden Menschen der ihr nahe stand, oftmals erschien es ihr, als wäre es ihr nicht vergönnt glücklich zu sein. Vorsichtig drehte sich Teleri ihr zu, zeichnete die Linien ihres Gesichtes nach und blickte sie aus traurigen Augen an. "Dich jedes Mal gehen zu lassen, zu sehen, wie du einfach fort gehst, nicht zu wissen, ob du lebend zu mir zurück kehrst. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte," ihre Stimme begann zu zittern und sie brach ab. Schluchzend lag sie in Ryans Armen. Tränen tropften auf Ryans Haut. Sanft hob sie ihr Kinn an und sah ihr fest in die Augen. "Bitte nicht weinen," sagte sie zärtlich und küßte Teleri. Ihre Lippen schmeckten salzig. Ryan schmeckte ihren Schmerz, ihre Verzweiflung. "Ich habe es dir vor langer Zeit einmal gesagt," sie seufzte leise und küßte Teleri auf ihre Stirn. "Nimm mich so, oder erspare dir viel Kummer und Schmerz, ich will nicht das du unglücklich bist Teleri." "Ich weiß," flüsterte sie und wich Ryans Blick aus. "Es ist nur. Du bist frei, kannst gehen wann immer es dir beliebt, und ich? Ich bin hier gefangen, ich habe niemanden außer dir. Das macht mir Angst, was wird nur aus mir werden, wenn du einmal nicht mehr wieder kommst?" Fest umarmte Ryan Teleri und drückte sie an sich. "Sag so etwas nicht, ich werde immer zurück kommen, egal was passiert, ich werde dich nicht alleine lassen." "Eben das ist es. Ich bin alleine, und doch nicht wirklich," wisperte Teleri und betrachtete Ryan im fahlen Licht der Kerze. "Weißt du was du noch nie seit dem wir uns kennen über die Lippen gebracht hast?" fragte sie und ihre Stimme begann erneut leicht zu zittern. Ryan schüttelte den Kopf. "Siehst du, du weißt es nicht einmal, du hast noch nie gesagt, dass du mich liebst. Ich habe es schon so oft zu dir gesagt, so oft." "Ich dachte, ich hätte die meine Liebe schon des öfteren bewiesen," erklärte Ryan und nahm das Gesicht Teleris zwischen ihre Hände. "Willst du einen erneuten Beweis?" Teleri schüttelte ihren Kopf. "Das meinte ich nicht," erklärte sie und richtete sich auf. "Das was du meinst ist nicht die Art von Liebe von der ich spreche... Ich weiß einfach nicht, was ich für dich darstelle, was ich für dich bin." Erschrocken betrachtete Ryan Teleri. Sie hatte nicht gewußt, wie sehr ihre Freundin litt, wie tief ihr Schmerz reichte. "Warum spürt sie nicht das ich sie liebe?" fragte sie sich und versank in den blauen traurigen Augen ihres Gegenübers. "Warum muß ich immer jeden verletzten den ich liebe? Warum? Ich brauche sie, wie sehr, kann ich ihr mit Worten kaum begreiflich machen..." Zaghaft richtete sie sich auf und wischte die Tränen welche Teleri's Wangen hinab flossen fort. "Du bist der einzige Mensch, der mich wirklich kennt, der einzige, bei dem ich mich zu Hause fühle. Ich kann es dir nicht erklären, es ist einfach so, du bist der einzige Mensch, den ich liebe." Ihre Lippen nährten sich und schlossen sich zu einem zärtlichen Kuß. Teleri klammerte sich an ihren Körper, als wolle sie Ryan nie wieder los lassen. Sie spürte die Wärme des anderen Körpers, spürte ihr Herz, das schneller schlug. Als ihre Lippen sich von einander lösten schlug Teleri die Augen auf und lächelte. "Endlich, endlich hast du es gesagt," flüsterte sie, küßte Ryan erneut und zog sie mit sich hinunter in die weichen Kissen. Nachwort: So, habe mich mit dem abtippen wirklich beeilt. Irgendwie habe ich das Gefühl, als wäre dieses Kapitel zu lang...naja, einige scheinen sich ja über die steigende Wörteranzahl zu freuen ^___^. Hatte erst überlegt das Kapitel zu trennen, doch dann erschien mir das nicht richtig...tja, jetzt ist es eh egal. Ist ja schon passiert *g* . Ich bedanken mich wieder einmal dafür, das man sich dies hier durch gelesen hat, hoffe das Kapitel hat denjenigen, die es gelesen haben gefallen. Und jetzt war auch endlich der Shojo Teil dabei, weiß zwar nicht, ob mir der gelungen ist, aber all zu viel ändern wollte ich auch wieder nicht. Naja, die "Bettszene" hab ich dann doch mal lieber weggelassen *lalala*. Also, DANKE noch mal für das Lesen. Bis bald. Adios seen Kapitel 5: Schatten der Vergangenheit ------------------------------------- Schatten der Vergangenheit Heftiger Regen prasselte auf die Erde nieder, laut schlugen die Tropfen des Himmels in einem melodischen Rhythmus auf das Dach des Wirtshauses. Der Wind peitschte die kleinen Regentropfen gegen die Fenster und ließ die Ziegel des Daches ächzen. Die Äste der Bäume knarrten und stöhnten...kein Vogel war zu hören, kein Tier zu sehen. Im Inneren des Wirtshauses prasselte im Kamin ein großes Feuer an welchem Reisende die sich vor dem Sturm in das schützende Innere gerettet hatten wärmten. Nachdenklich starrte Ayesha in die Flammen des Feuers. Beobachtete, wie sie an den Holzscheiten empor züngelten und eine wollige Wärme verbreiteten. Vorsichtig drehte sie einen heißen Becher mit warmer Milch in ihren Händen hin und her, immer noch versuchte sie all diese Ereignisse zusammen zu setzen. Versuchte all das Neue zu begreifen. Es war zuviel in den letzten Tagen passiert. Nie hätte sie gedacht, dass ihre Reise solch eine Wendung nehmen würde. Es erschien ihr fast grotesk, man hatte sie fortgeschickt um in Sicherheit zu sein. Was war aus dieser Sicherheit geworden? Menschen waren gestorben, waren für sie in den Tod gegangen und sie war nicht mal imstande dazu gewesen zu fliehen. Ihr Tod war umsonst gewesen, weil sie nicht in der Lage gewesen war zu fliehen. Ayesha verzog ihr Gesicht vor Bitterkeit. Sie fühlte sich schuldig, schuldig an dem Tod ihrer Reisegefährten. Wie groß mußte zu Hause die Trauer über den Tod von Ehemännern, Brüdern oder Freunden sein? Was würde passieren wenn sie zurückkehrte? Würde man sich verachten? Würden sie ihr die Schuld an allem geben? Was würde ihr Vater sagen? War sie imstande ihr altes Leben wieder aufzunehmen ohne an all das, was geschehen war ständig denken zu müssen, wenn sie in die Gesichter der Menschen blicken würde, welche Menschen verloren hatten? Nein, Ayesha wußte, dass sie nicht mehr dieselbe war, wie am Anfang ihrer Reise. Irgendetwas hatte sich bereits verändert. Ihre Augen hatten gesehen, wie die Welt außerhalb ihres zu Hauses war. Rauh, gnadenlos, blutig und ohne Hoffnung. Sie hatte es in den Augen der Menschen gesehen. Hoffnungslosigkeit, Schmerz und Haß verzehrte sie, hatte das Licht in ihren Augen vernichtet, es war erloschen. Kalt waren sie geworden, so kalt wie ein Bergsee. Ayesha seufzte leise, trank einen Schluck Milch und blickte Loba an, die vor ihr saß und sie aufmerksam anstarrte. "Sie spürt das du dir Sorgen machst, mein Kind," sagte Wido und setzte sich neben sie an das Feuer. "Meine Loba spürt so etwas immer." Liebevoll tätschelte er der schwarzen Wölfin über ihren Kopf und lächelte sie an. "Ich denke nur nach, das ist alles," erwiderte Ayesha und versuchte den grünen Augen der Wölfin auszuweichen. Es gefiel ihr nicht, dass dieses Tier anscheinend so tief in sie hinein blicken konnte. "Nachdenken ist gut," sagte Wido und trank einen Schluck Milch. "Über was denkst du nach?" "Über nichts bestimmtes, ich mache mir Sorgen wie es wohl in meiner Heimat aussieht. Wie es meinem Vater geht, er macht sich bestimmt Sorgen um mich." "Welcher Vater sorgt sich nicht um seine Kinder?" gab Wido die Frage zurück und zündete sich eine Pfeife an. "Aber es ist nicht nur das, oder?" "Nein," gestand Ayesha und ließ ihren Kopf hängen. "Es ist so viel geschehen. Ich war noch nie so lange von meiner Heimat fort. Als ich noch ein Kind war, wollte ich immer mit meinem Vater reisen, wollte die Orte selbst sehen, von denen er mir sooft erzählt hat," Ayeshas Stimmen schwankte, doch sie sprach schnell weiter. "Aber jetzt habe ich Dinge gesehen, welche ich am liebst vergessen möchte." Aus seinen braunen Augen sah Wido Ayesha mitfühlend an. "Du hast nur einen Teil gesehen, mein Kind," sagte er und ergriff ihre Hand. "Ich weiß, dass du dich nach deinem Vater sehnst. Nach deiner Heimat, glaubst du ich möchte nicht zurück zu meiner Frau und zu meinen Kindern? Es ist nun einmal so, dass das Schicksal mit uns unverständliche Wege geht." Sein Blick bekam einen seltsamen Ausdruck und er deutete auf Ryan, die zusammen mit Teleri eng umschlungen in einer dunklen Ecke saß. "Sorge dich nicht mein Kind, sie wird dich sicher nach Hause bringen. Sie kennt jeden Pfad und jeden Wald so gut, als wäre sie in diesem geboren und aufgewachsen." Ayesha blickte Ryan an, doch als ihr bewußt wurde, dass Ryan sie ebenfalls ansah, nahm sie augenblicklich ihren Blick wieder von ihr. "Du fürchtest dich vor ihr, nicht wahr?" Ayesha sah Wido bei diesen Worten an und bemerkte, das seine Augen aufblitzten. "Ja, ein wenig schon," gestand sie und senkte ihren Blick. "Das brauchst du nicht, Ayesha," sagte Wido bestimmt und paffte an seiner Pfeife. "Sie wirkt rau und unfreundlich, aber tief drinnen ist sie anderes. Glaub mir, ich kenne sie schon lange genug." Gedankenverloren kraulte er Loba hinter ihrem Ohr und lächelte. Es war diese Art von Lächeln, wenn sich Menschen an vergangene Zeiten erinnern, ein warmes Lächeln in welchem jedoch auch Sorge lag. "Wie lange kennst du sie schon?" fragte Ayesha und trank erneut einen Schluck von der warmen Milch. "Wie hast du sie getroffen?" "Wir sind aber ganz schön neugierig, mein Kind," sagte Wido und lachte leise. "Getroffen ist vielleicht das falsche Wort dafür. Ich war geschäftlich in Aranei, eine schöne Stadt, aber sie ist bekannt dafür, dass dort die Heimat aller Diebe ist. Die Gassen sind eng, viel Menschen, sie haben dort leichtes Spiel. Ich hatte nur einen kurzen Augenblick nicht aufgepaßt, da wollte mir diese kleine Wildkatze die Taschen ausräumen," Wido lächelte bei diesem Gedanken und er schüttelte leicht seinen Kopf. "Wäre Loba nicht bei mir gewesen, hätte ich Ryan wohl damals nicht gefangen, sie wäre in den dunklen Gassen einfach verschwunden, es muß ein Wink der Götter gewesen sein, dass es anders kam. Ich nahm sie einfach mit mir." "Hat sie sich nicht gewehrt?" fragte Ayesha und zog ihre Knie an ihren Körper. "Das hat sie, sie biß, trat und schlug um sich, als wäre sie von Sinnen. Es hat lange gedauert, bis sie so etwas wie Vertrauen aufbauen konnte," die Stimme Widos wurde leiser und er paffte nachdenklich an seiner Pfeife. "Selbst heute glaube ich, dass ich nicht alles von ihr weiß. Ryan ist kein Mensch, der einem anderen mehr erzählt als dieser wissen muß. Sie haßt es, wenn Menschen in sie hinein sehen können." Vorsichtig musterte Wido das Mädchen, hatte er ihr zuviel erzählt? Er wußte genau das es gefährlich war anderen zuviel zu erzählen. Oft genug hatte ihn seine Menschenkenntnis in die Irre geführt, hatte ihn in gefährliche Situationen gebracht. Er seufzte leise und sah kurz zu Ryan hinüber. Dieses Mädchen, wie sehr liebte er sie. In all den vielen Jahren die er sie schon kannte, war sie zu so etwas wie einer Tochter für ihn geworden, es schmerzte ihn sie jedes Mal gehen zu lassen. Er fürchtete sich davor, das Ryans Hitzkopf sie einmal das Leben kosten könnte. sie war stark, das wußte er. Stark aber auch voller Haß. Ein Haß der so tief in sie eingebrannt zu sein schien, dass er ihr oftmals den Verstand vernebelte. Viel zu oft verlor sie die Kontrolle über sich. Wido kannte die Geister welche sie verfolgten und sie niemals zur Ruhe kommen lassen würden. "Immer bist du auf der Flucht mein Kind," dachte er während er Ryan anblickte. "Ich weiß, deine Schuld ist schwer, aber wirst du jemals glücklich sein? Wirst du jemals aufhören dich zu quälen, oder ist nur der Tod deine Erlösung?" Die feuchte Zunge Lobas welche ihm zärtlich die Hand ableckte riß Wido aus seinen Sorgen. Er lächelte seine treue Freundin an und diese legte ihren Kopf auf sein Knie. "Waren das deine Fragen, Ayesha?" "Nein, noch nicht alle," sagte Ayesha und lächelte den älteren Mann freundlich an. "Woher kommt Teleri? Sie erscheint mir noch viel zu jung zu sein, um hier zu enden." "Sie ist noch sehr jung, das stimmt," bekannte Wido und senkte seine Stimme, damit ihn niemand hören konnte. "Glaubst du etwas sie wäre freiwillig hier? Sie hat kein zu Hause mehr, niemand kann sich um sie kümmern. Sie ist alleine. Hast du gestern in ihre Augen gesehen?" fragte er und seine Stimme verwandelte sich in ein flüstern. "Ja, sie waren sehr traurig." "Sie sind alt Ayesha," sagte Wido mit Bitterkeit. "Alt, weil sie schon zuviel mit ansehen mußten. Teleris Dorf wurde von den Wölfen niedergebrannt, niemand hat überlebt, nur sie. Ich weiß nicht genau, wie alt sie damals war, aber ihr Leben war nie einfach. Teleri hat überlebt, aber auf welche Art und Weise sie dies zustande gebracht, wie sie Jahre lang gelebt hat muß schrecklich für sie gewesen sein." Kurz hielt Wido inne, er erinnerte sich wie er Teleri damals gefunden hatte. Blutend hatte sie in einer dunklen Gasse von Kalmas gelegen. Er hatte damals gewußt, was ihr passiert sein mußte. Auf welch schreckliche Weise man nicht nur ihren Körper sondern auch ihre Seele zerstört hatte, geschunden, zerstört, zerrissen hatte man dieses Mädchen. Es hatte sich in dieses Schicksal gefügt um zu überleben, doch ein stiller Widerstand war geblieben. Den letzten Rest von ihr hatte man nicht zerstören können. Wäre auch dies geschehen, so wäre Teleri an ihren Verletzungen gestorben. "Sie hat viel gelitten Ayesha," sagte Wido. "Dies ist ihr zu Hause. Nicht das Beste, das gebe ich zu, aber es ist eins für sie, außerdem, sie ist nicht mehr ganz alleine. Sie hat Ryan und glaube mir, mein Kind. Ich weiß, das Teleri für sie sterben würde. Sie liebt sie mehr als sich selbst. Ich hoffe für Teleri, das sie nicht von Ryan enttäuscht wird. Das würde sie nicht überleben." Ayesha sah Wido aufmerksam an. Wie viele Gedanken machte er sich nur um andere Menschen? Sie neigte leicht ihren Kopf und sah zu den beiden Menschen hinüber die eng umschlungen in der dunklen Ecke saßen, abgeschirmt von neugierigen Blicken, alleine, nur für sich. Ayesha war es schon gestern aufgefallen. Wie groß die Freude über Ryans Rückkehr war, oder war es eine Art von Erleichterung, die Ayesha nicht verstand? Sie hatte es in Teleris Augen gesehen, diese Liebe. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen und sie legte Wido ihre Hand auf seine. "Zweifle nicht an Ryan," sagte sie und bemerkte die Verwunderung in Widos Augen. "Ich glaube, für beide kommt dieser Sturm genau zum richtigen Zeitpunkt." "Ich danke den Göttern, dass sie uns heute mit Regen beschenken," flüsterte Teleri und lehnte sich sanft gegen Ryans Oberkörper. "So bleibst mir wenigstens einen Tag länger erhalten." Ryan schwieg und nickte nur sacht. Sie wollte jetzt nicht sprechen, sondern Teleris Stimme hören, viel zu lange hatte sie in dieser Stille gelebt. Wie sehr hatte sie die sanfte Stimme Teleris vermißt? Sie spürte, wie ihre Hand leicht angehoben wurde und ein flüchtiger Kuß brannte kurz darauf auf ihrer Haut. Teleri lächelte zärtlich und zeichnete mit ihrem Finger die Spur der Regentropfen am kalten Glas der Fensterscheibe nach. "Ich wünschte es würde immer regnen," sagte sie und umfing Ryans Hand mit der ihren. "Wünsch dir das besser nicht," entgegnete Ryan und konnte sich ein leises lachen nicht verkneifen. "Sonst wirst du meiner Anwesenheit noch überdrüssig." "Red nicht so einen Unsinn, wir wissen beide, dies würde niemals passieren." Teleris Blick schweifte durch den Raum, bis er an den Gestalten von Wido und Ayesha hängen blieb. "Weißt du eigentlich wie sehr ich dieses Mädchen beneide?" fragte sie leise und sah zu Ryan hinauf. "Du beneidest sie? Sie hat schon vieles hinter sich, ich weiß nicht recht, ob das beneidenswert ist." Teleri lachte leise und schüttelte ihren Kopf. "Das meinte ich auch nicht. Ich meinte, ich beneide sie darum, das sie mit dir reisen wird. Was würde ich darum geben, nur ein einziges mal mit dir so lange zusammen zu sein." "Höre ich da etwa einen Hauch von Eifersucht?" stichelte Ryan und zog Teleri noch näher an sich. "Du redest heute nur Unfug," gab Teleri barsch zurück. "Ich hätte dich gestern Nacht wohl besser auf einer harten Bank schlafen lassen, dann wärst du nicht ganz so vergnügt." Nun war es Ryan die laut lachte. "Mir hat es in deinem Bett besser gefallen wenn ich ehrlich bin..." Sie küßte sanft Teleris Nacken und spürte, wie ein leichter Schauer über den Körper ihres Gegenübers huschte. "Dann komm dieses Mal mit mir," raunte Ryan in Teleris Ohr. "Ich würde mich sehr über deine Gesellschaft freuen, dann wäre ich nicht immer so einsam." Teleri seufzte leise und legte eine Hand auf Ryan's Wange. "Ich weiß, nichts wäre mir lieber, aber du weißt auch, dass ich nicht so einfach gehen kann wie du, hier sind Menschen die mir ein zu Hause gegeben haben, ich kann nicht einfach verschwinden. Ich will nicht noch einmal mein zu Hause verlieren." "Verzeih," sagte Ryan und küßte Teleri. "Ich hatte vergessen wie wertvoll dir diese Menschen hier sind, aber mein Angebot war ernst gemeint, sehr ernst sogar." Sanft strich Teleri ihr über die Wange und lächelte schief. "Das weiß ich," sagte sie und küßte Ryan erneut. "Es hat mir viel bedeutet das du mir dieses Angebot gemacht hast. Es hat den letzten Rest von diesem Gefühl beseitigt nur jemand zu sein, der eine Lücke ausfüllt welche für ihn zu groß ist." Ryan zog irritiert ihre Augenbrauen hoch und starrte Teleri an. "Wie meinst du das?" fragte sie leise. "Du weißt sehr genau, wie ich das gemeint habe. Nicht einmal für mich bist du greifbar, du bist wie dieser Sturm, niemand wagt es dich zu bändigen, niemand kann dich halten." Ihre blauen Augen blickten Ryan und diese hatte das Gefühl, als könnten sie direkt in ihr Innerstes hinein schauen. Als könnten sie ihren Schmerz sehen, ihre Qual, ihren Haß. Ryan versuchte Teleris Blick auszuweichen, doch Teleri hob ihr Kinn an und sah ihr fest in die Augen. "Warum versteckst du dich sogar vor mir?" fragte sie. "Ich weiß warum du so geworden bist. Ich weiß, warum du normalerweise jeden Menschen zurück stößt der dir zu Nahe kommt. Warum hast du solch eine Angst davor, dass jemand in dich hinein schauen könnte? Warum hast du selbst vor mir Angst?" Ryan konnte diesen Blick nicht länger ertragen, sie schlug die Augen nieder und flüsterte: "Ich weiß es nicht. Ich habe Angst davor, dass ich dich auf die gleiche Art und Weise verlieren könnte, wie ich bereits so viele Menschen verloren habe...ich will dich nicht gefährden. Ich will nicht. Ich will nicht, dass ich mich auch noch schuldig an deinem Tod fühlen muß." ihre Stimme versagte ihr und sie blickte stumm zu Boden. Teleri sah dieses Wesen traurig an. Sie wußte, was für eine Schuld auf Ryan lag, sie wußte, um die Vorwürfe die sie sich schon so viele Jahre machte. Vorsichtig nahm sie ihr Gesicht zwischen ihre Hände und versuchte sie aufmunternd an zu lächeln. "Warum?" fragte sie und streichelte sanft über ihre Wange. "Warum gibst du dir immer noch nach all diesen Jahren die Schuld für etwas, gegen das du machtlos warst? Du warst noch so jung. Du konntest nichts dafür," sagte sie eindringlich. "Du konntest nichts dafür." Sanft nahm sie Ryan in ihre Arme und drückte sie fest an sich. Teleri spürte die Anspannung die jede Faser von Ryans Körper befallen hatte, sie hatte Angst. "Ich will dich nicht verlieren," war die Antwort. "Du wirst mich nicht verlieren," sagte Teleri und küßte Ryan auf ihr Haar. "Ich schwöre dir, du wirst mich nicht verlieren." Zögernd hob Ryan ihren Kopf und sah Teleri an. Allein der Gedanke, diesen Menschen zu verlieren löste Angst in ihr aus. Angst vor dieser Einsamkeit, in welcher sie so lange gelebt hatte. Angst vor der Schuld. Angst vor dem, das Teleri zuviel wußte. "Warum bleibst du nicht einfach bei mir?" fragte Teleri und Ryan hörte die Hoffnung in ihrer Stimme. Bleiben? Hier? Nichts wünschte sie sich mehr, sie liebte diesen Menschen, schon so viele Jahre lang. Sie haßte es Teleri immer nur für einige Tage zu sehen, sie haßte diese Abschiede, welche von Mal zu Mal schwerer wurden. Sie haßte sich selbst dafür, dass sie immer wieder fortging, doch sie wußte auch, dass sie eine Gefahr für Teleri darstellte. Sie würde niemals bei ihr bleiben können. "Bleib bei mir," hörte sie Teleri erneut das aussprechen, was sie sich selbst so sehr wünschte. Niedergeschlagen schüttelte sie ihren Kopf. "Ich kann nicht," sagte sie und spürte wie sich ihre Kehle bei diese Worten zusammen zog. "Es ist zu gefährlich für dich, zu gefährlich für uns beide." "Ich weiß," sagte Teleri und ließ ihren Kopf hängen. "Aber es wäre eine schöne Vorstellung." Ryan lächelte bitter und preßte ihre Stirn gegen die von Teleri. "Ja das wäre es." Schweigend verharrten sie so. Jeder spürte die Wärme des anderen Körper, doch keine von beiden war imstande ein Wort zusprechen. Leise verfluchten sie das Schicksal dafür, dass es ihnen solch einen grausamen Streich spielte. Ryan spürte den Atem von Teleri auf ihrer Haut, und schlug die Augen wieder auf. "Weiß sie eigentlich, wie wunderschön sie ist," dachte Ryan. "Weiß sie, wie schwer mir all das fällt? Weiß sie, wie dankbar ich dafür bin, dass ich sie lieben darf?" Sie hauchte Teleri einen Kuß auf ihre Stirn und Teleri schlang ihre Arme um Ryans Nacken. "Kannst du mich einfach festhalten?" fragte sie und ihre Stimme zitterte leicht. Ryan nickte, zog Teleri nah an sich und drückte sie fest an ihren Körper. Es bedurfte keinerlei Worten mehr. Keine von beiden war in der Lage noch etwas zu sagen. Was wären das auch für Worte die man wählen sollte? Sie wären unzureichend, bedeutungslos, zu greifbar war ihr Abschied, zu stark war ihre Verzweiflung. Wie sollte man diese Gefühle mit Worten beschwichtigen? Wie sollte man die Angst welche über ihnen schwebte damit vertreiben können? Sie würde niemals verschwinden. Leise prasselte der Regen auf das Dach. Der Wind heulte auf, als könnte er die Verzweiflung der beiden Menschen spüren. Ryan schloß unter dieser Musik der Natur ihre Augen und wiegte Teleri leicht hin und her. Sie wußte, dass Teleri nicht mehr reden wollte, alles was sie wollte war sich geborgen fühlen. Sie wollte die Wärme Ryans noch so lange spüren wie es ihr vergönnt war, sanft küßte Ryan Teleris Stirn und hielt sie einfach nur fest. Nachwort: Ok, ich gebe es zu. Leicht kitschig, aber auch das muß mal sein oder ^__~?! Weiß gar nicht was ich jetzt so ins altbekannte Nachwort schreiben soll...ich freu mich darüber, das diese Geschichte einigen hier gefällt...Leider ist es dieses mal etwas kürzer geworden. Hoffe ihr verzeiht mir das, wie gesagt ich will an dieser Geschichte nicht viel verändern. Ich bedanke mich wie immer dafür, dass es einige gelesen haben! Hoffe es hat euch gefallen. Und dieses mal gibt es sogar eine "richtige" Widmung. Ich widme dieses Kapitel: Coma, cherry15, Igel242002 und meiner Schwester die mir damals beim schreiben sehr viel geholfen hat. Ich sag dann mal bis bald! Adios seen Kapitel 6: Zwei Gesichter ------------------------- Zwei Gesichter Nebel lag wie ein düsterer Schleier über dem Wald, verhüllte die Konturen der Bäume, ließ sie im schwachen Licht der junge Sonne verzehrt und schrecklich aussehen. Sanft tropften die letzten Regentropfen der Nacht aus dem Geäst der Baumwipfel, flossen lautlos über das Blattwerk und suchten sich ihren Weg zurück in die Erde, zurück zu dem Ort aus welchem sie einst gekommen waren. Ein leichter, kühler Wind war aufgekommen und bewegte die Nebelschwaden vorsichtig hin und her. Stille herrschte und nur sehr langsam erwachte die Welt aus ihrem traumlosen Schlaf. Ein friedlicher Schlaf, aus dem man sich nur ungern löste, da die Welt welche einen erwartete rau und gefährlich war. Fröstelnd hüllte sich Ryan in ihren Umhang ein. Die Kälte welche zu dieser frühen Stunde noch herrschte jagte ihr eine Gänsehaut über ihren Rücken. Verschlafen wischte sie sich über ihre Augen, sie hatte nur wenig geschlafen in der letzten Nacht, über zu vieles hatte sie nachdenken müssen, zu viele Dinge waren ihr in ihrem Kopf umher gegangen und ließen sie immer noch nicht zur Ruhe kommen. Still hatte sie neben Teleri gelegen und hinaus in die Nacht geblickt, hatte ihrem gleichmäßigen Atem gelauscht und war nicht in der Lage gewesen ihre Hand los zulassen. Sie hatte den leichten Druck der Finger gespürt die sich mit den ihren verflochten hatten. Sie hatte sich schuldig gefühlt. Der Gedanke an Teleri versetzte ihr einen schmerzhaften Stich und sie zog scharf die kalte Luft ein, so das ihre Lunge schmerzten. Sie erinnerte sich an die Augen Teleris an jenem Morgen. Sie hatte sie mit so einem seltsamen Blick angesehen. Ryan war nicht imstande gewesen diesen Blick richtig zu deuten, noch nie hatte Teleri sie so angesehen. Es war ihr noch nicht einmal möglich genau zu sagen, was sie bei diesem Blick empfand. Er war forschend gewesen, abschätzend, vielleicht auch und ängstlich. Immer noch glaubte Ryan die Wärme des anderen Körpers zu spüren, glaubte immer noch den Duft von Teleris Haar zu riechen, spürte immer noch diese Angst welche ihren Körper gelähmt hatte, als sie Teleri zum Abschied umarmt hatte. "Ich komme zurück," hatte sie ihr zu geflüstert und sie auf die Stirn geküßt, doch die Antwort, welche sie erwartet hatte, trat nicht ein, nicht dieses Mal. Ein kaltes Lächeln war über die Lippen Teleris gehuscht und sie hatte ihre Augen niedergeschlagen. "Versprich nichts was du nicht halten kannst," das waren ihre Worte gewesen, dann hatte sie Ryan geküßt und sie ziehen lassen. Nachdenklich starrte Ryan in den Nebel, seine Feuchtigkeit durchdrang ihren Umhang und ließ sie ein weiteres Mal erschauern. "Versprich nichts was du nicht halten kannst." Immer wieder und wieder hallten diese Wörter in ihrem Kopf wieder, wie das Echo in einer Schlucht, dass von den Felsen zurück geworfen wird. Sie spürte, wie sich tief in ihr etwas zusammen zog, alles was sie in diesem Moment empfinden konnte war für sie neu, war einfach nicht genau einzuordnen. "Was hast du damit gemeint," dachte sie und ihr Blick schweifte kurz hinauf in den dunstigen Himmel. "Was wolltest du mir nur sagen?" Zischend entwich ihr Atem ihrer Kehle und sich wischte sich einige lästige Haarsträhnen aus der Stirn. Sie war nervös, in ihren Finger begann es leicht zu kribbeln. "Versprich nichts was du nicht halten kannst." Wieder kehrten diese Wörter in ihr Bewußtsein zurück, hielten sie gefangen, verwirrten ihren Geist, brachten ihr Denken in einen Fieber ähnlichen Zustand. War das ihre Straffe? Die Straffe dafür, dass sie den einzigen Menschen den sie zu lieben wagte im Stich ließ? Jedesmal von neuem kam und ging sie wie die Gezeiten. Niemand wußte, wann und ob sie jemals wiederkehren würde, innerlich verfluchte sie sich selbst dafür, dass sie nun eben so war. Doch man hatte ihr keine Wahl gelassen, sie war nicht aus freien stücken zu diesem Wesen geworden, man hatte sie zu dem gemacht was sie heute war, man hatte ihren Weg entschieden. Wut befiel ihren Körper und ihr Blick wurde kalt. "Du warst noch so jung." Wieder glaubte sie Teleris sanfte Stimme in ihrem Kopf zu hören, wie sie versuchte ihr begreiflich zu machen, dass sie keine Schuld zu tragen hatte, doch Ryan wußte es besser. Ja, sie war jung gewesen, fast noch ein Kind, doch selbst ein Kind kann entscheiden, kann den Unterschied zwischen Recht und Unrecht erkennen, sie war nicht in der Lage gewesen. Selbst heute noch, nach all diesen Jahren verfluchte sie sich für ihre Blindheit, ihren Glauben an die Menschen. "Eine Närrin bist du," flüsterte sie leise vor sich hin. "Eine verdammte Närrin." Durch ihr Flüstern hob Loba, die neben ihr lief, vorsichtig den Kopf und sah sie verwundert an. Ein flüchtiges Lächeln umspielte Ryans Lippen und sie streichelte der Wölfin beruhigend über ihren Kopf. "Keine Sorge, altes Mädchen," sagte sie. "Ich habe nicht dich gemeint." Loba kläffte leise und Ryan lachte zum erstenmal an diesem Morgen. Sie war froh über die fast stille Anwesenheit der Wölfin, es war beruhigend zu wissen, dass dort jemand neben ihr lief ohne zu verstehen was sie sagte. Für einen kurzen Moment schaute Ryan über ihre Schulter um sicher zu gehen, dass Wido und Ayesha ihr folgten. Sie blickte das Mädchen abschätzend an und ihr entging nicht, dass auch diese an ihr eine Art Musterung durchführte. "Ein seltsames Mädchen," dachte sie und lief weiter. "Warum sieht sie mich die ganze Zeit auf so eine eigenartige Art und Weise an? Ich habe es schon gestern bemerkt, sie fürchtet sich vor mir wie jeder andere auch." Ihr Blick veränderte sich, wurde fast wehmütig. Sie wußte, dass sich das Mädchen fragte, ob sie die Mörderin einer ihrer Reisegefährten war, sie fragte sich, ob sich in Ryan nicht doch noch ein letzter Rest des Stummen befand. Kurz ließ sie noch einmal ihren Blick über das Mädchen gleiten, versuchte in diesen Augen zu erkennen wie groß die Furcht war. Erst jetzt fiel ihr auf, wie jung sie noch war. Auch wenn es nur wenige Jahre zu sein schienen, welche sie trennten, so war sie selbst so viele Jahre älter als das Mädchen. Nicht äußerlich, aber ihr Geist war durch all diese Dinge, welche sie erblickt hatte, gealtert. War abgestumpft, hatte sich verändert, der Glaube in andere war erloschen, bis auf wenige Ausnahmen. Wido, dieser Name vermochte es jedes Mal ihr ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Wieviel hatte dieser Mann nur für sie getan? Er hatte ihr ein Heim gegeben, hatte sie bei sich aufgenommen, als wäre sie eines seiner Kinder, er brachte ihr eine Liebe entgegen, die sie noch nie in ihrem Leben erfahren hatte. "Selbst dich enttäusche ich immer wieder?" dachte sie und ihre Kehle zog sich zusammen. "Habe ich dich dir eigentlich jemals gedankt? Gedankt dafür, dass du mich liebst?" Sie wußte, dass es keine Selbstverständlichkeit war geliebt zu werden. Weder von Teleri noch von Wido, es war ein Geschenk. Ein Geschenk, dass sie nie wirklich von anderen erfahren hatte. Warum trat sie es jedesmal erneut mit ihren Füßen, wenn es doch so kostbar für sie war? In ihrem Kopf vermischten sich plötzlich so viele Gefühle, Liebe, Haß, Verachtung, Traurigkeit und dieses Gefühl, dass sie nicht würdig genug für die Liebe dieser beiden Menschen war. Immer noch waren tief in ihr diese Zweifel, wie konnte es sein, dass man sie lieben konnte? War sie überhaupt in der Lage zu lieben? Wie sollte man etwas von sich geben, wenn man es nie selbst erfahren hatte? Wie sollte man wissen was zu lieben bedeutet, wenn man es nie gespürt hatte? Vor Bitterkeit verzogen sich ihre Gesichtszüge, ließen sie hart und ausdruckslos werden, deshalb kamen ihr diese Worte so schwer über Lippen, nur aus diesem Grund hatte sie es all die Jahre weder zu Teleri noch zu Wido sagen können. Sie wußte nicht, was es hieß zu lieben und geliebt zu werden. Zaghaft stupste die kalte Schnauze Lobas gegen ihre Hand, die schwarze Wölfin blickte zu ihr hinauf. Sie bellte leise und leckte ihr über die Hand, so als wolle sie die dunklen, schmerzhaften Gedanken vertreiben, so als wolle sie auf die Art Ryan ihre Liebe zeigen. Zärtlich strich sie Loba über ihren Kopf und blieb stehen, sah in die grünen Augen der Wölfin. Sie wußte genau, dass das Tier nicht wissen konnte, was sie bedrückte und dennoch, in diesem Moment glaubte Ryan das Loba ihren Schmerz spüren konnte. "Danke," sagte sie leise und die Wölfin legte ihren Kopf schief. Grüne Augen trafen Bernsteinfarbene, und verbanden sich in einem freundschaftlichen Blick. Ein leises Brummen drang an Ryans Ohren und sie wußte, dass Loba ihr auf diese Weise ebenfalls dankte. Sie hörte die Stimmen Widos und Ayeshas. Sie lachten beide laut. Es war seltsam für sie ständig Stimmen um sich zu hören, zu lange lebte sie schon alleine. Zu lange war sie nicht mehr in Begleitung gereist. Es war ihr nicht unangenehm, aber befremdend zu sehen, wie sich zwei Menschen nach nur wenigen Tagen schon so vertraut behandelten. Sie selbst hatte Monate, wenn nicht sogar Jahre gebraucht um Wido völlig zu vertrauen. Dieses Mädchen tat es bereits nach nur wenigen Tagen. Ayesha erschien ihr noch so arglos, wie ein junger Welpe der die Welt um sich noch nicht kannte und noch nichts von den Dingen wußte welche ihm noch bevorstanden. "Ich beneide das Mädchen." Sie erinnerte sich an die Worte Teleris und wußte, dass sie recht gehabt hatte. Dieses Mädchen war zu beneiden, nicht um die Dinge welche sie erlebt hatte, nicht darum, dass sie mit Ryan reiste. Sie war um ihre Arglosigkeit zu beneiden, um ihr Vertrauen. Ayesha besaß etwas, dass Ryan selbst schon vor vielen Jahren verloren hatte, wenn nicht sogar nie besessen hatte. Sie besaß die Fähigkeit zu vertrauen, auch wenn ihr die Menschen fremd waren. Ein leiser Seufzer entfuhr ihrer Kehle, sie fragte sich warum sie gerade jetzt überall diese Dinge nachdachte. Warum gerade jetzt? War es durch die Worte Teleris? Durch das Mädchen? Sie wußte es nicht, nie zuvor hatte sie sich darüber Gedanken gemacht, hatte nie einen Gedanken daran verschwendet was sie zurück ließ wenn sie ging. Ryan spürte die Blicke auf ihrem Rücken, abschätzend, musternd und mit diesem Gefühl behaftet, dass das Mädchen nicht wußte, ob sie auch ihr vertrauen konnte. Leise streifte der Wind das Blattwerk und ihr Gesicht, wehte einige Haarsträhnen in ihre Stirn und kühlte ihre erhitzen Gedanken. Kurz schloß Ryan die Augen und hörte dieser Musik zu, für die meisten Menschen war es nichts besonderes. Sie hörten nur das leise Rauschen, waren nicht in der Lage zu verstehen, was sie eigentlich hörten. Für Ryan war es wie ein Wiegenlied, wie die liebevollen Worte einer Mutter, die sie ihrem Kind, bevor es einschlief, ins Ohr flüsterte. Viele Jahre lang war diese Melodie ihr Wiegenlied gewesen, hatte sie in den Schlaf eintauchen lassen und ihr auch wenn es nur für einen kurzen Moment war, das Gefühl vermittelt, dass sie nicht alleine war. "Einsamkeit," dachte sie und starrte vor sich hin ohne genau zu wissen was sie mit ihrem Blick fixierte. "So leicht ist es in sie einzutauchen, so schwer ist es sie wieder zu verlassen. Bei allen Götter, was denke ich da?" Ryan schüttelte diesen Gedanken von sich, als wäre dieser ein paar lästige Regentropfen. Hinter sich hörte sie wie Ayesha laut auflachte, unwillkürlich zuckte sie zusammen, als habe ein Schlag sie getroffen. Es klang so unbeschwert in ihren Ohren, so fröhlich, ihr wurde bewußt, dass sie selbst schon lange nicht mehr auf diese Art und Weise gelacht hatte. "Selbst das habe ich verlernt," dachte sie bitter und beschleunigte ihren Schritt. Sie wollte das nicht hören, versuchte ihren Geist davor zu verschließen...doch tief in ihr hallte das Lachen Ayeshas immer noch ebenso wie die Worte Teleris. "Versprich nichts was du nicht halten kannst." Laut begann das Holz zu knacken, gab seinen Widerstand gegen die Flammen auf und ließ die Glut durch seine Fasern gleiten. Still war es geworden, leise heulte eine Eule im Geäst der Bäume, die nächtlichen Bewohner des Waldes begannen sich zu regen um auf Beutefang zu gehen. Müde streckte Ayesha ihre Glieder, sie fühlten sich steif und taub an. Sie waren lange gelaufen, länger als sie es von Ryan gewohnt war. Für einen Moment schloß Ayesha ihre Augen. Sie hörte das Knacken in der Glut, hörte die nächtlichen Geräusche des Waldes und den gleichmäßigen Atem Widos, der sich neben ihr zusammen gerollt hatte und schlief. Auch ihn hatte das Laufen angestrengt und er war kurz nach dem sie einen Lagerplatz gefunden hatten eingeschlafen. Loba hatte ihren Kopf auf Ayeshas Knie gelegt und sie hörte auch den leise pfeifenden Atem der Wölfin. Beruhigend strich Ayesha Loba über ihr Fell und die Wölfin zuckte kaum merklich mit ihrem Kopf. Ayesha war dankbar für die Anwesenheit dieser zwei, es beruhigte sie nicht mehr mit Ryan alleine zu sein. Immer noch war diese Angst in ihr nicht verschwunden, immer noch versuchte sie Ryan abzuschätzen und immer noch glaubte sie, dass diese Frau etwas geheimnisvolles an sich hatte. Vorsichtig öffnete Ayesha wieder ihre Augen und blickte zu Ryan hinüber die dicht am Feuer saß und ihren Blick in die Glut gerichtet hatte. Den ganzen Tag über hatte sie kein Wort gesprochen, war wieder so stumm geworden, wie Ayesha sie kennengelernt hatte. Sie glaubte zu wissen, an welchem Ort ihre Gedanken waren. "Sie denkt bestimmt an Teleri," dachte sie und blickte verstohlen zu Ryan hinüber. Immer noch fragte sie sich wie Ryan so einfach gehen konnte, und warum Teleri das auf sich nahm. Sie hatte an jenem Morgen den Schmerz in Teleri's Augen gesehen. Wido und sie hatten in einiger Entfernung auf Ryan gewartet, es war beiden klar, dass sie in diesem Augenblick störten. Dennoch war es Ayesha nicht entgangen auf welche Art und Weise Teleri Ryan angeblickt hatte, es war ein flehender, ängstlicher Blick in ihren Augen gewesen, so als wollte sie auf diese Weise Ryan verdeutlichen, dass sie bei ihr bleiben sollte "Sie würde für Ryan sterben," erinnerte sich Ayesha an die Worte Widos. Sie fragte sich, wie es wohl sein mußte einen anderen Menschen so zu lieben. Sie kannte diese Art von Liebe nicht, noch nie in ihrem Leben gab es einen anderen Menschen als ihren Vater den sie geliebt hatte. "Warum starrst du mich so an," die Stimme Ryans riß sie aus ihren Gedanken, und Ayesha schüttelte leicht ihren Kopf. Sie senkte ihren Blick, ihr war nicht bewußt gewesen, dass sie Ryan die ganze Zeit angestarrt hatte. "Es tut mir leid," sagte sie leise. "Ich wollte dich nicht beleidigen." "Wer hat gesagt, dass du mich beleidigt hast?" fragte Ryan und stocherte mit einem Stock in der Glut. "Ich wollte nur wissen, warum du es tust, aber beleidigt hast du mich deshalb doch nicht, Kleine." Ayesha hörte wie Ryan leise lachte und aus ihren Muskeln wich die Anspannung. Sie lächelte freundlich, hob den Kopf Lobas vorsichtig an, um die Wölfin nicht zu wecken und rückte näher an Ryan heran. "Wie lange werden wir noch brauchen?" fragte sie und sah, wie Ryan nachdenklich den Kopf hin und her wiegte. "Das kann ich dir nicht genau sagen. Es hängt zum einen davon ab, wie schnell wir voran kommen, und zum anderen können wir nicht auf den befestigten Wegen gehen." "Warum?" fragte Ayesha und hob eine Augenbraue. "Zu gefährlich," war die knappe Antwort die sie erhielt. Stille kehrte zwischen ihnen ein, eine seltsame Anspannung lag auf Ayesha und sie ließ zischend die Luft aus ihren Lungen entweichen, sie spürte, dass sie nervös war. So nah war sie Ryan bis jetzt noch nie gewesen, sie hörte ihren Atem, der ungleichmäßig aus ihrer Kehle entrann. "Ist sie auch nervös?" fragte sie sich und blickte kurz zu ihr hinüber. Das Feuer tauchte ihr Gesicht in einen warmen Schein und in ihren Augen blitzte es auf. In diesem Moment erschien sie ihr gar nicht mehr wild und gefährlich. Da war etwas an ihr, was Ayesha bis jetzt noch nicht bemerkt hatte. Auch in Ryan schien eine Seite zu existieren, die nicht rauh zu sein schien, sondern auf eine besondere Weise verletzlich wirkte. Sie konnte nicht ergründen woran es lag, aber in diesem Moment glaubte sie etwas zu sehen was Ryan sonst vor allen versteckte. Sie zeigte ihr etwas an sich, von dem Ayesha nie geahnt hätte, dass es auch diese Seite in ihr gab. "Sie ist gezeichnet," dachte Ayesha und konnte ihren Blick nicht von Ryan's Gesicht nehmen. "Ich würde gerne wissen was ihr passiert ist." Unter dem forschenden Blick der auf ihr lag wurde Ryan nervös, sie spürte, dass Ayesha versuchte sie zu verstehen. Ihr gefiel dieser Blick nicht mit dem das Mädchen sie ansah. Nervös strich sie sich einige Haarsträhnen aus der Stirn und versuchte nicht in ihre Richtung zu blicken. Mit jeder Faser ihres Körpers spürte sie diese Spannung, die über ihnen lag. Sie wußte, dass das Mädchen sie etwas fragen wollte, und sie fürchtete sich davor. "Warum fürchte ich mich vor ihr?" fragte sie sich und wagte nun doch kurz Ayesha anzusehen. Ihre grünen Augen blickten sie nachdenklich an, einige ihrer schwarzen Haarsträhnen wurden ihr von dem Nachtwind in die Stirn geweht und sie strich sich die Strähnen hinter ihr Ohr. Erst jetzt fiel Ryan auf, dass das Mädchen schön war. Nicht auf die gleiche Weise wie Teleri, aber sie hatte etwas an sich, was sie schön aussehen ließ. Je länger sie in die Augen Ayeshas blickte, um so unruhiger wurde sie, es kribbelte in ihren Fingern, sie ballte sie zu Fäusten und schlug ihre Augen nieder. "Ich werde dich schon nach hause bringen," sagte sie und verschränkte ihre Arme vor ihrer Brust. "Das weiß ich," sagte Ayesha und lächelte. "Wido hat es mir auch gesagt, dass ich niemanden besseres als dich finden würde." Ryan lachte leise und trank einen Schluck Wasser. "Wido redet zuviel," sagte sie und schaute kurz zu ihrem schlafenden Freund hinüber. "Das hat er schon immer getan, er hält zu große Stücke auf mich." "Ist dir das unangenehm?" fragte Ayesha und sah sie durchdringend an. "Er hat mir nur soviel erzählt, wie ich seiner Meinung nach wissen darf." Ryan hob ihren Kopf, in ihren Augen blitzte es gefährlich auf und Ayesha mußte hart schlucken. "Und? Hast du alles erfahren was du wolltest?" fragte sie und in ihrer Stimme schwang ein seltsamer Unterton mit. Nicht gefährlich, aber irgend etwas hatte sich in ihrer Stimme verändert, sie war kälter geworden. "Nein, ich würde gerne mehr über dich wissen," sagte Ayesha, doch ihre Stimme kam ihr mehr wie ein Flüstern vor. Wie die Augen einer Katze glühten Ryans Augen auf, sie kam näher an Ayesha heran. Am liebsten wäre Ayesha aufgesprungen und davon gelaufen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Sie kämpfte die Angst die langsam in ihr hoch kroch nieder und blieb wo sie war. Ryan suchte die Augen von Ayesha und blickte sie an, in den grünen Augen ihres Gegenübers sah sie Angst auflodern. Sacht flackerte sie auf, glühte und versuchte das sich Ayesha's Augen zu weiten begannen. Fest blickte Ayesha sie an, versuchte nicht ihrem Blick auszuweichen sondern ihm stand zu halten. "Stärker als ich glaubt hatte," dachte Ryan. Sie spürte, dass das Mädchen sich fürchtete, ihr Körper war angespannt. Ihr Atem, welchen sie auf der Haut spürte, war schneller geworden. Dann drehte Ayesha abrupt ihren Kopf weg. Ryan hatte gewonnen. Sanft drehte sie Ayeshas Kopf in ihre Richtung und zwang sie erneut in ihre Augen zu sehen. "Siehst du, du fürchtest dich vor mir," sagte sie und das Blitzen in ihren Augen verlosch so schnell wie es gekommen war. "Glaub mir, Kleine. Du willst bestimmt nicht mehr von mir wissen, denn dann, würdest du mich erst richtig fürchten." "Und woher nimmst du die Erkenntnis, dass ich mich vor dir fürchte?" fragte Ayesha. Sie versuchte es fest und selbstsicher klingen zu lassen, doch sie wußte, dass sie in diesem Moment sich selbst belog. Ryan lächelte kalt und verstärkte den Druck um ihr Kinn. "Ich weiß es, jeder fürchtet sich vor mir," sagte sie bestimmt. "Ich merke es durch die Art wie du mich anblickst, dass du zurück schreckst wenn ich mich in deiner Nähe aufhalte. Du hattest bis jetzt noch nicht einmal den Mut mit mir zu sprechen. Deine Augen verraten dich." Ryan ließ ihre Hand sinken und nahm den Blick von Ayesha, sie verstummte und richtete ihren Blick wieder auf die Flammen. Vorsichtig berührte Ayesha die Stelle an welcher Ryan sie berührt hatte, sie fühlte sich heiß unter ihren Fingerspitzen an, nur langsam löste sich Ayesha aus ihrer Starre und blickte Ryan gefaßt an. Sie hatte so etwas erwartet, war vorbereitet auf diese Reaktion gewesen und dennoch, es hatte sie spüren lassen, dass Wido Recht hatte. "Sie haßt es wenn Mensch in sie hin ein blicken können." Aber hatte sie das wirklich? Hatte sie eben gerade die Person gesehen welche Ryan wirklich war? Oder war auch das nur eines ihrer Spielchen gewesen mit denen sie sich andere vom Hals hielt? Zaghaft, als wolle sie ein wildes Tier berühren, streckte Ayesha ihre Hand aus und legte sie auf Ryans Unterarm. Sie spürte, wie erschrocken Ryan über diese Geste war, doch sie machte keine Anstalten Ayeshas Hand weg zu schlagen. "Auch wenn du es nicht hören willst," flüsterte sie. "Ich vertraue und ich fürchte mich jetzt nicht mehr vor dir." Sanft drückte sie zu, plötzlich legte sich eine weitere Hand auf die ihre und erwiderte den Druck. "Geh jetzt schlafen," sagte Ryan und nahm ihre Hand fort. "Wir haben Morgen einen langen Weg vor uns." Schweigend nickte Ayesha, erhob sich und legte sich neben Loba nieder. Die Wölfin blinzelte leicht und rutschte näher an Ayeshas Körper heran. Ayesha spürte die Wärme Lobas und schlang einen Arm um den Körper der Wölfin. "Gute Nacht, Ayesha," hörte sie Ryan leise sagen und sie lächelte. "Ja, gute Nacht," sagte sie und blickte noch einmal kurz zu ihr hinüber. Ihr Gesicht war verschlossen, doch für einen kurzen Augenblick, kaum länger als der Schlag eines Herzens, glaubte Ayesha zu sehen, dass Ryan lächelte. "Wer bist du wirklich?" dachte sie noch bis ihr Körper der Müdigkeit und der Anstrengung nach gab. Sanft schlugen die Schwarzen Schwingen des Schlafes über ihr zusammen und ließen ihren Körper in einen traumlosen Schlaf gleiten. Nervös atmete Ryan aus, fuhr sich mit allen zehn Fingern durch ihr Haar, als könnte sie so das Chaos das in ihrem Kopf herrschte ordnen. Über den Schein des Feuer hinweg blickte sie Ayesha an. Sie sah wie sich ihr Brustkorb leicht hob und senkte und sie friedlich schlief. "Warum vertraust du mir, Kleine?" dachte sie und glaubte immer noch den sanften Druck auf ihrem Arm zu fühlen. "Du hast doch keine Ahnung, keine Ahnung." Sie stützte ihr Kinn auf ihre Handflächen und blickte in das Feuer, sie fragte sich, ob sie in der Lage war Ayesha zu vertrauen? Sie fragte sich, ob sie ihr vielleicht nicht doch alles erzählen sollte. Nein, das war unmöglich, sie würde das Mädchen in Gefahr bringen, in die gleiche Gefahr, mit welcher Teleri und Wido schon so viele Jahre lang lebten. "Aber ich würde ihr gerne vertrauen können," dachte sie und blickte noch einmal zu Ayesha hinüber. "Glaub mir," flüsterte sie leise. "Ich würde es gerne können, doch ich kann es nicht, noch nicht..." Nachwort: So, das war dann also das sechste Kapitel. Ich hoffe, es hat euch Spaß gemacht auch dieses Kapitel zu lesen. Dieses mal wollte ich, dass man mal etwas mehr von Ryan erfährt und sie als Person näher kennenlernt. Hoffe mal, ich habe euch jetzt nicht noch mehr verwirrt... ich glaub ich mach mir um zu viele Dinge einen Kopf ^^. Ich bedanke mich wieder dafür, dass einige meine Geschichte lesen und grüße an dieser Stelle meine "treuen" Leser. DANKE an euch!!! Ich hoffe, ich kriege das nächste Kapitel vor meinem Urlaub hin, wenn nicht, wird es dann leider etwas dauern bis ich weiterschreiben kann... Tja, ich sag noch mal DANKE an alle. Bis bald, wir lesen uns Adios seen Kapitel 7: Blicke in meine Augen und sag mir was du siehst ---------------------------------------------------------- Blicke in meine Augen und sag mir was du siehst Sie keuchte, kämpfte sich zurück auf die Füße und umklammerte den Griffe ihres Schwertes fest mit ihren kleinen Händen. Sie spürte, wie ihr heißes Blut an der Wange hinunter floß, schmeckte auf ihren Lippen den Schweiß der sich dort gebildet hatte. Angst vibrierte in ihren Nerven. Lauernd blickte sie in die kalten Augen ihres Gegenübers, wartete auf seinen nächsten Angriff. Er war stark, stärker als die Anderen es gewesen waren. Ihn zu töten war dieses mal nicht so einfach. Lauernd umkreisten sie sich, jeder schien abzuwarten was der andere tun würde. Haß sammelte sich in ihr, loderte wie die Flammen eines Feuers auf. Er hatte ihr alles genommen, was sie besessen hatte, hatte ihr Leben zerstört. Sie wollte Rache, Rache damit endlich alles ein Ende hatte. Plötzlich sauste sein Schwert auf sie hernieder, sie hastete zur Seite und die scharfe Klinge streifte ihren Oberarm. Sie schrie laut auf, als sie spürte wie die Klinge des Schwertes sich in ihr Fleisch grub und der Schmerz ihren Verstand vernebelte. sie hörte ihn lachen, er lachte sie aus. Sie preßte ihre freie Hand auf die Wunde, um die Blutung zu stoppen und blickte ihn aus haßerfüllten Augen an. "War das schon alles Mädchen?" fragte er und schlug ein weiteres Mal mit seinem Schwert nach ihr. Hastig riß sie ihr Schwert hinauf, beide Klingen prallten aufeinander und es knirschte laut, als Metall auf Metall traf. "Gib doch endlich auf, dann verschone ich dich vielleicht," schrie er und sein Gesicht verzog sich vor Anspannung und Wut. Mit alle ihrer Kraft hielt sie dem Druck ihres Gegners stand, wich dann aus, tauchte unter seinem Schlag hinweg, und die Klinge ihres Schwertes versetzte ihm eine Wunde quer über den Bauch. Er heulte auf wie ein Wolf. "Du elende kleine Hure," schrie er und stürmte auf sie zu. Leicht, als würde es durch Seide gleiten durchdrang ihr Schwert seine Haut. Stieß auf einen kurzen Widerstand. Es knackte laut, als die scharfe Klinge seinen Knochen durchschnitt. Blut klebte an ihrem Schwert. Sie hörte, wie er gellend aufschrie, sich den Stumpf, an welchem kurz zu vor seine linke Hand gewesen war, gegen seinen Bauch preßte, um das Blut zurück zu halten. Leise als wären es Regentropfen floß sein Blut auf den Boden, er sank vor ihr auf die Knie und keuchte laut und unregelmäßig. Mit langsamen, bedächtigen Schritten kam sie auf ihn zu, blickte in seine Augen. Angst und Schmerz verzerrten sie zu kleinen Schlitzen. Er lachte, es klang fast hysterisch in ihren Ohren. Ein letztes Mal versuchte er sich zu wehren, doch sie schlug ihm sein Schwert aus der Hand, und es fiel zu Boden. Sie richtete ihre Klinge auf seine Kehle und atmete schwer. Ihr junger Körper war erschöpft, am Ende und sie selbst konnte sich nur schwer noch auf den Beinen halten. "Ich habe dich unterschätzt," flüsterte er und preßte sich den Stumpf noch fester gegen seinen Bauch. Sein Hemd war bereits mit seinem Blut durchtränkt. "Auf was wartest du noch? Mach schon, töte mich," schrie er und reckte leicht den Kopf. "Oder fehlt dir dazu der Mut, Kleine? Komm schon, wenn du es jetzt nicht tust, werde ich dich verflogen, werde dir dein Leben zur Hölle machen, werde dich, werde dich finden und töten! Also auf was wartest du? Töte mich!" Zögernd hob sie ihr Schwert, die Klinge blitzte kurz im Sonnenlicht auf. Ihr Atem ging stoßweise, ihr Körper war wie jedes Mal angespannt, jedes Mal starb dabei ein Teil von ihr selbst. "Töte mich," schrie er wieder doch dieses Mal noch lauter als zuvor. Sie schloß ihre Augen, spannte ihre Muskeln an, dann ließ sie ihr Schwert auf ihn hernieder fahren. Laut schrie Ryan auf, sie riß die Augen auf und blickte sich verstört um. Wo war sie? Ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb, und ihr Haar klebte ihr vom Schweiß durchtränkt an ihrer Stirn. Sie schüttelte leicht ihren Kopf, beißendes Sonnenlicht stach ihr in die Augen und sie brauchte eine Weile ehe sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten. Sie spürte das sie am ganzen Körper zitterte und bebte. "Schon wieder," dachte sie und versuchte diese Bilder aus ihrem Kopf zu verdrängen. "Nie wird es mich los lassen, niemals." Sie versuchte tief durch zu atmen und sich zu beruhigen, doch in ihrem Kopf tanzten immer noch diese Bilder, und ihr Körper schien noch einmal diesen Schmerz zu erleben, wie an jenem Tag. "Warum kann es nicht einfach aus meinem Kopf verschwinden," dachte sie und schlug die Hände vor ihr Gesicht. "Warum kann ich es nicht einfach vergessen?" Nach all diesen Jahren war es immer noch so tief in ihr Gedächtnis eingebrannt, es war nicht einmal verblaßt. Immer noch war es genauso schrecklich, düster und blutig wie an jenem Tag. Vorsichtig schob Ryan den Ärmel ihres Hemdes hinauf und ihr Blick fiel auf die große Narbe, welche sich um ihren Oberarm wandte, wie eine Schlange. Leicht berührte sie die grobe Haut und zuckte dann augenblicklich zurück, zischend entwich ihr Atem ihrer Kehle und sie spürte wie ihr schwindelte. Sie seufzte leise und schob den Ärmel wieder zurück, als könnte sie so ihre Erinnerungen weg sperren. Sie lehnte sich gegen den Stamm des Baumes, unter welchem sie saß, und blickte hinauf. Sonnenlicht brach durch das Geäst und nur vereinzelt erreichten die Strahlen den Boden. Sie spürte die Wärme auf ihrem Gesicht und schloß ihre Augen. "Nicht einmal im Schlaf laßt ihr mich in Ruhe," flüsterte sie leise zu sich selbst. Sie wußte, diese Geister würden sie niemals los lassen, würden sie egal wohin sie auch ging und wie sehr sie sich auch versuchte zu verstecken jagen, sie würden sie immer wieder finden. Ihre Kehle zog sich bei dieser Vorstellung zusammen, und sie blinzelte die Tränen, welche sich in ihren Augen zu sammeln begonnen hatten, fort. Sie hatte genug geweint in all den Jahren. Es war immer sinnlos gewesen. Plötzlich legte sich eine Hand auf ihre Schulter und sie riß erneut ihre Augen auf, doch als sie in Widos Augen blickte beruhigte sie sich sofort. "Du hast geschrien," sagte er tonlos und setzte sich neben sie. "Hast du wieder geträumt?" Ryan nickte leicht und blickte Wido traurig an. "Ich habe dich schon letzte Nacht wimmern hören," flüsterte er und nahm ihre Hand in die seine, umschloß sie sacht. "War es wieder der gleiche Traum?" "Es ist immer der gleiche Traum," erklärte Ryan und blickte auf den kleinen See welcher vor ihnen lag. "Es ist immer das gleiche," flüsterte sie und ließ ihren Kopf hängen. "Warum läßt es mich nicht los, Wido?" fragte sie ihren Freund und dieser zog sie kurz an sich. "Weil du das Vergessen nicht zuläßt, mein Kind," sagte er und hielt sie sanft in seinen Armen. "Wie könnte ich das auch vergessen," rief sie, doch sie vermochte es nicht sich aus Widos Umarmung zu befreien. "Hast du es jemals wirklich versucht?" fragte er und lächelte wehmütig. "So lange ich dich schon kenne, so lange quälst du dich auch schon. Warum kannst du die Vergangenheit nicht endlich ruhen lassen?" "Weil ich immer noch das Gefühl habe, als würde ihr Blut an meinen Händen kleben," sagte Ryan und setzte sich auf. "Ich konnte es nie ganz weg waschen. Manchmal glaube ich es noch an mir riechen zu können." Ihre Stimme begann zu schwanken und sie brach ab. Sie verstummte, und ihr Blick wanderte wieder zu dem Ufer des Sees, an welchem Ayesha saß. Ihr schwarzes Haar leuchtete wie die Schwingen eines Raben im Sonnenlicht, und Ryan bemerkte ihren entspannten Gesichtsausdruck. "Mein armes Mädchen," hörte sie Wido sagen und sie drehte ihren Kopf in seine Richtung. "Du weißt ganz genau, dass ich es nicht mag, wenn du mich so nennst. Ich bin schon lange kein Mädchen mehr." Wido schmunzelte und legte einen Arm um sie. "Ich weiß, aber für mich bist du immer noch manchmal das kleine, wütende Mädchen, das ich kennengelernt habe. Du bist eigentlich nur größer geworden." Widerwillig mußte Ryan lächeln, wie schaffte es dieser Mann nur immer wieder sie zum Lachen zu bringen. "Kann ich dich etwas fragen, Wido?" "Aber natürlich, du kannst mich alles fragen," sagte er und stopfte sich seine Pfeife. "Warum liebst du mich?" "Da könntest du mich auch fragen warum Ebbe und Flut immer wiederkehren. Es ist einfach so. So störrisch und aufbrausend du auch sein kannst, ich möchte nicht, dass du mich jemals verläßt. In all den Jahren die ich dich jetzt schon kenne, bist du mir einfach an mein Herz gewachsen," kurz hielt Wido inne und ließ den Rauch aus seiner Lunge entweichen. "Manchmal wünsche ich mir Ryan du wärst meine Tochter, ich hätte dir gerne vieles erspart." Nachdenklich verstummte Wido und Ryan sah ihn aus großen Augen an, schnell beugte sie sich zu ihm und küßte ihn flüchtig auf seine Wange. "Wofür war das denn?" fragte Wido sichtlich irritiert. "Ich weiß nicht," sagte Ryan und lächelte verschmitzt. "Ich dachte einmal kann nicht schaden." Wido lachte schallend und schüttelte seinen Kopf. "Jetzt bin ich mir sicher, dass ich was bei dir falsch gemacht habe," sagte er und paffte an seiner Pfeife. "Glaubst du wir schaffen den Rest des Weges in zwei Wochen?" "Ich weiß nicht," sagte Ryan und blickte nachdenklich auf den See. "Wenn wir weiterhin so langsam voran kommen wie heute eher nicht." "Du mußt auch an Ayesha denken," räumte Wido ein. "Sie ist es nicht gewohnt so zu reisen wie wir." "Ich weiß das, Wido," erwiderte Ryan und ihre Stimme klang leicht ärgerlich. "Ich denke schon an sie." Argwöhnisch runzelte Wido bei ihren Worten die Stirn und blickte ihr forschend ins Gesicht. "Was hältst du eigentlich von ihr?" Ryan antwortete nicht gleich, sondern blickte erneut zu Ayesha hinüber. Was hielt sie von dem Mädchen? Sie wußte es selbst nicht wirklich. Sie dachte an die letzte Nacht. Vorsichtig umschlossen ihre Finger die Stelle, an welcher Ayesha sie berührt hatte. "Sie ist stärker als man anfangs glaubt...und sie ist neugierig, sehr neugierig." "Macht dir das Sorgen?" fragte Wido und hob eine Augenbraue. "Am Anfang schon," gestand Ryan und blickte kurz zu Wido dann doch gleich wieder zu Ayesha hinüber. "Ich wußte, dass sie sich vor mir fürchtet, doch seit letzter Nacht weiß ich selber nicht mehr was ich glauben soll." Verwirrt hielt sie inne, doch ihr Blick war immer noch auf Ayesha gerichtet. "Wie wäre es," hörte sie Wido flüstern. "Wenn du zur Abwechslung einfach mal einem anderen Menschen vertraust ohne an die Folgen zu denken, laß es doch einfach mal geschehen, dass auch ein anderer außer Teleri und ich dich kennenlernt." "Genau das ist mein Problem," bekannte Ryan und bettete ihre Kopf auf ihre gefalteten Hände. "Ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll." Ein lautes Lachen unterbrach sie und sie starrte Wido wütend an. "Ich finde das nicht witzig," sagte sie und Wido verstummte, konnte sich ein Grinsen aber nicht verkneifen. "Entschuldige," sagte er und versuchte ein erneutes Lachen zu unterdrücken. "Aber du mußt zugeben, es ist schon komisch, dass du nicht weißt wie du mit Ayesha reden sollst." "Mag sein," erwiderte Ryan und ließ ihren Kopf hängen. Wido richtete sich auf und blickte Ryan an. Er spürte, dass sie es wirklich nicht wußte. Sie hatte keine Übung darin mit anderen Menschen umzugehen. Viel zu lange lebte sie schon in dieser, von ihr selbst gewählten, Einsamkeit. Leicht schüttelte er seinen Kopf, er kam sich in diesem Moment seltsam vor. Wie ein Vogel der seinem Jungen das Fliegen bei bringen wollte, und doch genau wußte, dass das Junge angst vor einem Sturz hatte. Sanft faßte er Ryan unter ihr Kinn und drehte ihr Gesicht in seine Richtung. "Geh einfach zu ihr hinüber und rede mit ihr." "Und über was?" Wido seufzte geräuschvoll und verstärkte den Druck seiner Finger. "Also das kann ich dir nun wirklich nicht sagen, es wird sich schon ergeben." Er lächelte sie aufmunternd an, und seine Augen bekamen einen glücklichen Ausdruck als Ryan ihm sein Lächeln zurück gab. Zögernd erhob sich Ryan und ging mit langsamen, unsicheren Schritten auf Ayesha zu. Wido sah ihr lächelnd nach. "Mach dich auf den Weg mein kleiner Vogel," dachte er. "Geh schon, geh endlich fliegen." In unregelmäßigen Abständen blitzen kleine Lichtreflexe auf der Wasseroberfläche auf wie aus dem Himmel gefallene Sterne. Fliegen schwirrten in der flimmernden Luft, sacht bewegte der Wind die Oberfläche des Wassers und Ayesha sah fasziniert zu, wie sich um ihre Füße kleine Wellen zu bilden begannen. Sie seufzte leise und tauchte ihre Hand in das kühle Naß. Ihre Füße schmerzten von der Reise und ihr Körper fühlte sich kraftlos an. Sie benetzte ihr Gesicht und blickte gedankenverloren hinaus auf den See. Sie fühlte sich hier wohl, der See erinnerte sie an ihr zu Hause. "Vater," dachte sie wehmütig. "Wie geht es dir wohl? Mach dir keine Sorgen, ich bin bald wieder bei dir." Für einen kurzen Augenblick schloß Ayesha ihre Augen und wand ihr Gesicht der Sonne zu. Sanft liebkosten die warmen Strahlen ihr Gesicht, sie lächelte schief. Schön war es an diesem Platz, friedlich, still, alles war so weit entfernt. Die Schatten ihrer Erlebnisse verblaßten langsam und verloren ihren Schrecken. "Ich habe nicht annähernd soviel gesehen wie sie," dachte Ayesha. Warum dachte sie gerade jetzt an Ryan? Hatte sie letzte Nacht wirklich die Ryan gesehen, die sie tatsächlich war? Mit jedem Menschen schien sie anders umzugehen, für jeden Menschen besaß sie ein Gesicht, eine Persönlichkeit. Welche hatte sie ihr zugedacht? "Bei mir spielt sie die Unnahbare," dachte Ayesha. "Sie versucht kalt zu wirken, so als nehme sie keine Notiz von mir, als würde sie mich nur dulden." Dabei wußte sie, dass es anders war. Sie hatte es letzte Nacht gespürt als Ryan sie berührt hatte, da war etwas gewesen, sie konnte es nicht deuten, aber sie hatte es mit all ihren Sinnen gefühlt. Eine seltsame Nähe, eine nicht genau einzuordnende Vertrautheit oder hatte sie sich getäuscht? Hatte sie etwas sehen wollen, was nicht vorhanden war? Plötzlich schob sich ein Schatten über ihr Gesicht, irritiert öffnete Ayesha ihre Augen und blickte Ryan fragend an, die sich über sie gebeugt hatte. "Darf ich mich setzten?" fragte Ryan und Ayesha nickte nur leicht. Argwöhnisch beobachtete Ayesha wie sich Ryan, zwischen ihnen etwas Platz lassend, setzte. Sie schlang ihre Arme um die Knie und starrte genau wie Ayesha zu vor einfach nur schweigend auf den See. Ayesha lächelte leicht, sie wußte, dass Ryan etwas sagen wollte anscheinend aber nach den richtigen Worten suchte. Doch dieses Mal würde Ayesha ihr das nicht abnehmen, dieses Mal würde nicht sie es sein, die ein Gespräch begann. Schweigend, als wären sie zwei Felsen saßen sie neben einander und blickten auf den See hinaus. Aus den Augenwinkeln blickte Ryan zu Ayesha hinüber, sie bemerkte ihr schiefes Lächeln und war sich sicher das Ayesha darauf wartete, dass sie zu sprechen begann. Sie verspannte sich, setzte sich auf und räusperte sich geräuschvoll. "Also, wenn, wenn ich dich erschreckt habe letzte Nacht, dann, dann tut mir das leid," stotterte sie unbeholfen. Ayeshas Lächeln wurde bereiter und sie schüttelte ihren Kopf. "Das hast du nicht," sagte sie und blickte Ryan an. Das Gesicht Ryans wirkte verspannt, sie schien nervös zu sein. "Dir gefällt es hier," bemerkte Ryan und blickte auf den See. "Ja, es erinnert mich ein wenig an mein zu Hause. Um diese Jahreszeit blühen dort am Ufer viele Blumen und die Weiden tragen ein grünes Kleid, es ist wunderschön, aber dieses Schauspiel wird nicht lange zusehen sein. Der Winter kommt bald." Sie lächelte versonnen und senkte dann ihren Blick. "Früher war mir das nie so bewußt, doch jetzt, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll," für einen Moment schien Ayesha nach den richtigen Worten zu suchen und fuhr dann fort. "Man wird sich erst dieser Schönheit bewußt, wenn man sie glaubt verloren zu haben." Aufmerksam lauschte Ryan der Stimme Ayeshas. Sie hatte den Eindruck, als könnte sie dieses Bild, das Ayesha in ihren Gedanken zu malen begonnen hatte, deutlich sehen. Durch diese Freundlichkeit welche sie in Ayeshas Stimme hörte, wich die Anspannung in ihrem Körper und sie lehnte sich leicht zurück. Ihre Finger gruben sich in das von der Sonne erhitzte Gras. "Hast du auch solche Erinnerungen?" fragte Ayesha und Ryan zuckte kaum merklich zusammen. Ihre Heimat, sehr sorgfältig hatte sie alles was sie damit verband tief in sich verschlossen. "Nicht die gleichen wie du," antwortete sie nach einer Weile. "Wie meinst du das?" Wehmütig blickte sie Ayesha an und schlug dann ihre Augen nieder. "Meine Erinnerungen sind nicht so schön wie die deinen. Ich erinnere mich nicht gerne daran." Sie richtete ihren Blick in den blauen Himmel. Ihre Heimat, an was erinnerte sie sich noch? Ein Dorf, tief lag es im Wald verborgen, bis in die nächste Stadt war es ein weiter Weg. Ein Fluß, das Lachen von Kindern, doch dann wurden ihre Erinnerungen dunkel, verloren ihre Farbe, verblaßten. Sie spürte wie sich eine Hand über die ihre legte, und wandte ihren Blick Ayesha wieder zu. Eben so wie sie starrte sie in den blauen Himmel, ihr Gesicht war ausdruckslos. Ryan konnte nicht erkennen, was sie wohl jetzt in diesem Augenblick dachte. "Es ist nicht gut wenn man alles vergißt," sagte Ayesha plötzlich und blickte ihr in die Augen. Forschend schienen die Augen Ayeshas sie anzublicken, schienen in ihnen die Antwort auf ihre Frage zu suchen, da Ryan nicht gewillt war darauf zu antworten. Schmerz sammelte sich in den Augen Ryas. Deutlich konnte es Ayesha sehen. Schmerz und noch etwas anderes lag in diesem Blick. Wehmut? Angst? Haß? Sie wußte es nicht, es war wie eine Mischung aus allen möglichen Gefühlen die ein Mensch in sich tragen konnte. Ihr Blut pochte gegen ihre Schläfen, ihr Atem wurde plötzlich schneller. Diese Augen schienen eine Geschichte zu erzählen, eine Geschichte wie ein Wintertag. Dunkel, kalt und ohne Wärme. "Soviel Schmerz," dachte Ayesha. "Was hat dich so verbittern lassen? Was ist dir nur widerfahren?" Insgeheim fragte sie sich, warum sie sich so dafür interessierte. Sie war eigentlich von Natur aus nie neugierig gewesen. Warum ließen sie diese Fragen nicht los? Fragen, die nur ein Mensch beantworten konnte, und dieser würde es niemals tun, da es alte Wunden aufreißen würde. Wunden die nie richtig verheilt waren. "Wie muß das sein?" fragte sich Ayesha und konnte ihren Blick nicht von diesen traurigen Augen nehmen. "Wie muß das sein wenn man ganz alleine ist? Ohne einen Halt, ohne ein Ziel, ohne Erinnerungen?" Sie fühlte, dass ihre Hand immer noch auf der von Ryan lag, doch sie spürte sie kaum, es war, als würde man Luft berühren. Sie wollte ihre Hand fort nehmen, doch dann fühlte sie wie Ryan sie festhielt. Nicht schmerzhaft sondern so, als wollte sie nur für einen kleinen Augenblick noch diese Wärme fühlen können. Ayesha lächelte sanft und nickte nur leicht. "Warum vertraust du mir überhaupt?" fragte Ryan und erwiderte ihren Blick. "Du weißt nichts über mich, kennst mich nicht wirklich. Warum?" "Ich weiß es nicht," gestand Ayesha und versuchte in ihrem Kopf nach einer Antwort zu suchen. "Vielleicht weil ich glaube, dass du gar nicht so bist, wie du es mir vorspielst." "Und was macht dich da so sicher? Woher weißt du, dass ich dir etwas vorspiele?" Ayesha lachte leise und schüttelte ihren Kopf. "Weil dich deine Augen verraten," antwortete sie Ryan. Es war die gleiche Antwort die Ryan ihr in der letzten Nacht gegeben hatte. Sanft löste sie den Griff um ihre Hand und stand auf. "Wir sollten weitergehen oder etwa nicht?" Ryan blickte zu ihr hinauf und nickte. "Ja, das sollten wir. Du lernst schnell." Ein lautes lachen durchschnitt die Stille. Irritiert sah Ryan in Ayesha's Gesicht. Ihre Augen leuchteten und feine Grübchen hatten sich um ihren Mund gebildet. "Wie es scheint lerne ich wirklich schnell von euch," sagte sie und wand sich zum gehen. "Ich hole Wido und Loba dann können wir weiter." Schwungvoll drehte sie sich um und Ryan sah ihr nach wie sie mit schnellen Schritten das Ufer verließ. Nervös blies sie die Luft aus und starrte in den klaren See. Ein Gesicht blickte sie an, es war ihr vertraut und doch wieder so fremd. Auf eine seltsame Art und Weise hatte ihr dieses Gespräch gut getan. Es war völlig neu für sie sich mit einer anderen Person, als mit Wido oder Teleri zu unterhalten, es war so anders. Leicht bewegte sich das Wasser und verzehrte ihre Gesichtskonturen, wie ein Maske, nur der Ausdruck in ihren Augen blieb gleich. Nachdenklich blickte sie dieses Wesen das sich im Wasser widerspiegelte an, berührte es vorsichtig und spürte die Kälte des Sees durch die Haut ihrer Finger. "Deine Augen verraten dich." Sie lächelte sanft. "Schlägt sie mich einfach mit meinen eigenen Waffen." Sie warf einen Blick über ihre Schulter und sah, dass Wido und Ayesha ihr Gepäck bereits zusammen gepackt hatten. Loba lief aufgeregt von einem zum anderen und bellte laut, hob den Kopf und blickte sie an. "Ist ja schon gut," dachte sie und erhob sich. "Ich komme ja schon, altes Mädchen." Noch einmal blickte sie über den See, ließ den Wind durch ihr Haar wehen und atmete befreit durch, dann drehte sie sich um und ließ den See hinter sich, doch eine Frage begleitete sie. "Hast du auch solche Erinnerungen?" Die Nacht brach herein, lautlos kroch sie wie schwarze Finger über den Wald, über die Ebene, in die Hütten und Dörfer. Sterne funkelten am Firmament, der Mond war aufgegangen, doch die kleine schmale Sichel spendete nur wenig Licht, sanft beschien er den See, still war es. Die Bäume rauschten leise im Nachtwind, tote Blätter fielen auf das Gras. Eine Eule saß in einem der Bäume, ihre Augen funkelten und sie drehte hektisch ihren Kopf nach allen Seiten, als sie die Gestalt welche sich langsam aus dem Dunkeln löste erspähte. Mit langsamen Schritten trat die Gestalt aus dem Dickicht, er brauchte sich nicht zu eilen. Er hatte Zeit, viel Zeit. Er hob seinen Kopf, schnupperte wie ein Hund der eine Witterung aufnahm und beugte sich nieder. Seine Finger berührten sacht das herunter gedrückte Gras und er entblößte seine weißen Zähne zu einem zufriedenen Lächeln. Seine Kapuze rutschte ein Stück zurück und enthüllte zwei flinke, blitzende Augen, ein befriedigter Laut drang aus seiner Kehle und er erhob sich wieder. Er hatte genug gesehen. "Lauf nur weiter, dein verstecken hat nun ein Ende. Lauf nur, ich weiß, dass du noch nicht weit gekommen sein kannst. Lauf nur, ich habe Zeit, sehr viel Zeit. Glaubst du es hätte je ein Ende gehabt? Ich werde dich weiter jagen so wie du mich einst gejagt hast. Erbarmungslos, lauf nur, ich warte, bald, bald gehst du mir in die Falle, bald..." Nachwort: Hab ich es doch vor meinem Urlaub geschafft ^^. Naja, nicht das beste Kapitel wie ich finde, aber raus lassen?! Nein, das kommt nicht in die Tüte "gg". Ich hoffe, es hat euch trotzdem gefallen. Ich finde es wirklich erstaunlich, dass eine so alte Geschichte doch so einigen gefällt und sich dafür zu bedanken finde ich eigentlich immer als zu wenig. Ich meine, was wäre eine Geschichte ohne diejenige welche sie lesen?! Sie wäre eine von vielen die in meinen Schubladen oder auf meinem PC verstauben... Es freut mich wirklich das es einige gibt, die diese Geschichte mögen und sie lesen. Dafür sage ich wieder einmal DANKE an alle die auch dieses Kapitel gelesen haben!!! Ich weiß das ist keine Selbstverständlichkeit, und wie dankbar ich dafür bin... Tja, was denkt ihr?! In dem Sinne, bis bald. Man liest sich. Adios seen Kapitel 8: Wenn der Himmel weint... ----------------------------------- Wenn der Himmel weint... Immer höher stieg die Sonne, der blutrote Feuerball gewann mit jedem Augenblick mehr an Kraft und Intensität. Loba regte sich leicht, ihre Ohren zuckten und die Wölfin öffnete ihre Augen. Schüttelte leicht ihren Kopf und erhob ihre noch müden Glieder. Sie gähnte lautlos und tapste verschlafen einige Schritte vorwärts, die Menschen um sie herum schlief noch friedlich. Sie legte ihren Kopf schief, lauschte den ruhigen entspannten Atemzügen ihrer Freunde und lief vorsichtig zu Ryan hinüber, blieb vor ihr stehen und betrachtete die verspannten Gesichtszüge, dann stupste sie den Körper Ryans vorsichtig mit ihrer Schnauze an und leckte ihr über ihre Wange. Augenblicklich, als sie die feuchte Zunge auf ihrer Wange spürte, öffnete Ryan ihre Augen und sah Loba verschlafen an. Sie brummte mißmutig und richtete sich leicht auf. "Morgen altes Mädchen," sagte sie und wischte sich über ihre Augen, doch der letzte Rest des Schlafes welcher ihren Verstand vernebelte wollte einfach nicht weichen. Loba kläffte leise und Ryan verstand. Sie erhob sich von ihrem Lager und suchte in einer ihrer Taschen nach einem getrocknetem Stück Fleisch. "Das willst du doch, oder?" fragte sie und grinste breit über ihr ganzes Gesicht. Loba setzte sich vor sie und hechelte, den Blick jedoch immer auf das Stück Fleisch gerichtet, welches Ryan langsam vor ihr her schwenkte. "Dann komm und hol es dir," sagte Ryan und ging einige Schritte von ihr weg. Loba reckte ihren Kopf und kam vorsichtig einige Schritte näher gerobbt, ihren Kopf jedoch immer noch leicht gesenkt. Ryan lachte leise, sie fiel aber auch immer wieder auf dieses Spiel herein. Sie senkte ihre Hand, doch als sie dicht vor Lobas Schnauze ruhte, und die Wölfin gierig nach dem Stück schnappte, zog sie ihre Hand wieder weg. Loba knurrte leise, es war ihr deutlich an zu sehen, dass ihr das Spiel nicht gefiel. Ryan bückte sich zu der Wölfin hinunter und sah ihr in die Augen, für einen kurzen Moment erwiderte Loba den Blick, wand ihre Aufmerksamkeit dann doch wieder dem Stück Fleisch in Ryans Hand zu. "Na gut, trotzdem habe ich gewonnen," sagte Ryan und warf das Fleisch der Wölfin zu, welches sie begierig verschlang. Müde fuhr sie sich durch ihr Haar, was war das für eine seltsame Nacht gewesen? Sie hatte geträumt, aber nicht von den Dingen wie sie es sonst tat, es waren andere Dinge gewesen welche ihr in ihrem Kopf umher gingen. Sie konnte sich noch ganz genau daran erinnern. Teleri, sie hatte sie gesehen, ihr Gesicht, ihre vor Angst geweiteten Augen, sie hatte ihren Namen gerufen, laut und eindringlich hatte er in ihren Träumen gehallt. Was war nur passiert? Noch nie hatte sie solch einen Traum von ihr gehabt, noch nie war er so real gewesen... Leicht schüttelte sie ihren Kopf, griff nach dem Wasserschlauch und goß sich etwas Wasser in die hohle Hand. Das kalte Wasser rann ihre Wangen hinab und ihren Hals entlang. Sie atmete schwer durch und setzte sich neben Loba. "Meinst du es ist etwas passiert?" fragte sie die Wölfin und diese blickte sie besorgt an. "Ich weiß es nicht," schienen ihre Augen zu sagen und Ryan ließ ihren Kopf hängen... "Ich auch nicht," gestand sie und seufzte leise. Sie sorgte sich,sie wußte ganz genau, solche Träume waren noch nie zu ihr ohne einen bestimmten Grund gekommen, immer war etwas geschehen. "Teleri," flüsterte sie leise. "Was soll ich nur tun?" fragte sie sich selbst. Sie war bereits zu weit weg, sie konnte nicht zu ihr zurück, nicht einfach weil sie geträumt hatte, aber wenn wirklich etwas geschehen war? Sie schob diesen Gedanken von sich, sie wollte nicht daran denken, dass etwas passiert war. "Vielleicht einfach nur ein aufdringlicher Kunde," sagte sie leise und bettete ihren Kopf auf die Handflächen. Dieser Gedanken durchzuckte sie wie ein schneidender Schmerz. Eifersucht befiel ihren Körper und sie verzog leicht ihren Mund. So lange kannte sie Teleri jetzt schon, und doch tat sie es immer noch, nicht oft, dass wußte Ryan, doch es befiel sie jedesmal ein schlechtes Gefühl dabei. Es war nicht nur Eifersucht, es war auch Angst. Angst davor, dass Teleri etwas passieren könnte, dass man sie zwang, dass man sie verletzte. Ein erneuter Seufzer entglitt ihrer Kehle und sie starrte gedankenverloren zu Ayesha und Wido hinüber die noch immer schliefen... "Sag es Wido nicht," sie erinnerte sich an diese Bitte Teleris. Es fiel ihr immer noch schwer ihren Freund zu belügen, aber was sollte sie auch schon tun? Sie hatte ein Versprechen gegeben, auch wenn ihr selbst mehr als unwohl bei dem Gedanken war, sie wußte, dass Teleri all das unter dem Schutz des Wirtes tat. "Deshalb läßt er sie auch nicht gehen," dachte sie bitter. "Warum tust du das? Nur um geliebt zu werden?" Sie spürte wie Loba ihren Kopf auf ihr Knie legte uns sie aus mitfühlenden Augen betrachtete. Sanft kraulte sie die Wölfin hinter ihrem Ohr. "Glaubst du, sie tut das auch, um mich zu bestrafen?" Loba winselte leise als Antwort und Ryan nickte. "Ja, allerdings. Deshalb tut sie es auch..." Sie nahm das Gesicht der Wölfin zwischen ihre Hände und Loba leckte ihr über ihre Nasenspitze. Ryan verzog leicht ihr Gesicht. "Du bist noch unmöglicher als ich," sagte sie und hob tadelnd ihren Zeigefinger, doch sie lächelte leicht. Sie hörte ein Rascheln und blickte ruckartig hinter sich. Aus verschlafenen Augen blickte Ayesha sie an und brummelte ein verschlafenes: "Guten Morgen." Ryan lächelte sie an. "Na? Gut geschlafen?" Ayesha gähnte und setzte sich ein wenig auf. "Es ging," antwortete sie und erhob sich mit unsicheren Schritten. Ryan sah ihr zu wie sie verschlafen zu herüber kam uns sich neben ihr niederließ. "Und du?" fragte sie und langte nach dem Wasserschlauch. "Nicht besonders," gestand Ryan und kraulte Loba weiter nachdenklich hinter ihrem Ohr. Die Wölfin schien diese Zärtlichkeit zu genießen und schloß wieder ihre Augen. "Sie mag dich wirklich unwahrscheinlich gerne," sagte Ayesha und lächelte bei dem Anblick der sich ihr bot. "Sie ist Wido und mir nur dankbar," erklärte Ryan und küßte die Wölfin auf ihren struppigen Kopf. "Wir haben sie gefunden, da war sie noch ein Welpe. Ihre Mutter war fort, ich glaube, sie wurde getötet. Du hättest sie sehen sollen, sie war so niedlich. Kaum alt genug um die ersten Schritte zu machen. Wir haben sie mit uns genommen und sie aufgezogen, und seit dem, weicht sie keinen Schritt mehr von unserer Seite." "Eine treue Freundin," meinte Ayesha und streichelte Loba ebenfalls über ihren Kopf. "Die treuste," erwiderte Ryan und lächelte auf Loba hernieder. "Sie hört einfach zu und gibt keine Widerworte." "Anders als die Menschen," fiel ihr Ayesha ins Wort und blickte ihr in die Augen. "Ja, anders als die Menschen." Stille kehrte zwischen ihnen ein, jede beobachtete die andere aus den Augenwinkeln und fragte sich, was ihr Gegenüber wohl jetzt in diesem Augenblick dachte. Ryan räusperte sich. "Hast du Hunger? Wir haben noch getrocknete Früchte, das Fleisch möchte ich gerne für Loba aufheben." "Früchte klingen gut," sagte Ayesha und lächelte leicht. Ryan reichte ihr einen kleinen Sack und Ayesha nahm eine Handvoll getrocknete Beeren aus ihm heraus. "Ich möchte heute noch ein ganzes Stück voran kommen," sagte Ryan und trank einen Schluck Wasser. "Aber, auf dieser Route liegt ein Dorf, ich werde mich dann um neuen Proviant kümmern." Sie blickte hinauf in den von der Sonne immer noch geröteten Himmel und atmete tief durch. Die Luft roch frisch und würzig, einige Vögel sangen im Geäst der Bäume um den neuen Tag zu begrüßen. Loba hob kurz ihren Kopf, lauschte dem Gesang, doch dann legte sie ihren Kopf wieder auf Ryans Knie. Langsam verschwanden die Schatten ihrer Träume welche Ryan noch gefangen gehalten hatten, nachdenklich blickte sie zu Ayesha hinüber. "Habe ich das ihr zu verdanken?" fragte sie sich selbst und lächelte das Mädchen zum erstenmal warm an. Ayesha runzelte ihre Stirn, warum blickte Ryan sie plötzlich so seltsam an? Sie war nicht in der Lage genau zu deuten was in diesem Blick lag, doch sie glaubte so etwas wie Dankbarkeit zu erkennen, sie erwiderte ihren Blick und drückte ihr leicht ihren Arm. Ryans Blick fiel auf ihre Hand und Ayesha nahm sie wieder fort. "Wir sollten Wido aufwecken, sonst kriegen wir den alten Esel nie mehr wach," sagte Ryan mit rauher Stimme. Ayesha nickte und erhob sich von ihrem Platz. "Das mache dann wohl besser ich, wer weiß...vielleicht weckst du ihn ja mit einem Tritt." Sie grinste schelmisch und wand sich zum gehen, doch dann hielt Ryan sie an ihrer Hand fest. "Für meine Freunde würde ich sterben," sagte sie ernst und drückte leicht Ayeshas Hand. Irritiert sah Ayesha Ryan in die Augen, sie wußte nicht, warum sie das gesagt hatte, doch sie nickte leicht und Ryan ließ ihre Hand los. Skeptisch sah Ryan Ayesha nach, und ihr Blick verwandelte sich in Belustigung, als sie sah, wie Ayesha versuchte Wido durch ein Schütteln aufzuwecken. "So schafft sie das nie, oder Loba?" Die Wölfin blickte kurz zu ihrem Herrn hinüber und bellte laut. Ryan lachte laut und nickte. "So sehe ich das allerdings auch. Wir sollte ihr helfen oder was meinst du?" Loba wackelte mit ihrem Kopf und sprang dann augenblicklich auf, Ryan folgte ihrem Beispiel, klopfte sich über ihre Hose und machte sich daran das Gepäck zu verstauen. An ihre Ohren drangen mißmutige Laute und sie grinste schief. "Hat sie es also doch geschafft." Sie hörte wie Wido laut schimpfte, ein Rascheln, das von einer Decke herrührte und das leise Kichern Ayeshas. Mit geübten Griffen verstaute Ryan ihr Gepäck und schulterte den größten Teil. Ein weiters Mal blickte sie hinauf in den Himmel. Das Blattwerk leuchtete in vielen unterschiedlichen Grüntönen auf, die Morgenröte verblaßte langsam und wich dem neuen Tag. Sie atmete tief durch, heute hatten sie einen langen Weg vor sich. Wolken zog sich zusammen, verdunkelten die Sonne und spendeten der von der Hitze des Tages geplagten Welt etwas kühle. Immer noch war die Luft drückend und schwül, jede Bewegung war ein Kampf gegen sich selbst. Gegen die eigene Müdigkeit. Ayeshas Atem entrann ihrer Kehle immer noch unregelmäßig, um sie herum begann die Welt sich zu drehen, verlor ihre Konturen und vermischte sich zu einer einzigen großen Fläche aus Braun und Grün. Sie fühlte das trockene Laub unter sich. Ihre Finger gruben sich tief in den Waldboden ein und ihre Augenlieder zuckten kaum merklich. Ayesha fühlte sich elend, in ihrem Magen begann es zu brodeln und auf ihrer Stirn sammelten sich glänzende Schweißperlen. Heute waren sie ein weites Stück voran gekommen. Die Landschaft hatte sich verändert, war hügelig und felsig geworden. Nur noch vereinzelt hatte Ayesha Tiere erspähen können, nur ihre ständigen Wegbegleiter, die Herrscher der Lüfte waren ihnen gefolgt. Mit jedem Schritt welchen Ayesha an diesem Tag hinter sich gebracht hatte, war in ihr die Erkenntnis aufgekeimt, dass es nicht mehr weit sein konnte. Vielleicht noch vier oder fünf Tage. Mit jeder Bewegung kam sie ihrem Zuhause immer näher. Doch auch etwas anderes hatte sich in ihr Denken eingeschlichen, es war auf der einen Seite fast schon grotesk. Sie hatte sich nichts sehnlichster gewünscht, als ihre Heimat wiederzusehen, doch tief in ihr, sie wußte selbst nicht warum, sträubte sich etwas genau gegen diesen Wunsch. Sie hatte etwas kennengelernt, ein anderes Leben. Ein Leben ohne Zwänge, ein Leben ohne Verpflichtungen, ein Leben das gefährlich aber genauso wunderschön sein konnte. Ayesha seufzte leise und versuchte gleichmäßig durchzuatmen. Immer noch spürte sie in sich diese Hitze, welche sie schon den ganzen Tag verzehrte, ihr Herz pochte laut gegen ihren Brustkorb und sie begann erneut zu keuchen. Plötzlich fühlte Ayesha wie sich etwas kühles auf ihre Stirn legte. Sie öffnete irritiert ihre Augen und blickte Ryan fragend an, welche sich neben sie gesetzt hatte und sie mit einem besorgten Blick musterte. "Wie geht es dir?" fragte sie und wischte ihr mit dem Wasser durchtränkten Stück Stoff über ihr erhitztes Gesicht. "Es geht," sagte Ayesha und versuchte sich auf zu setzten, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Kaum merklich schüttelte Ryan ihren Kopf, klemmte einen Arm unter sie und half ihr sich auf zu richten. "Danke," sagte Ayesha und lächelte Ryan an. "Warum hast du nicht gesagt, dass es dir nicht gut geht?" fragte Ryan und durchtränkte das Stück Stoffen mit neuem Wasser. "Ich weiß nicht, ich habe es eigentlich kaum bemerkt," versuchte Ayesha sich heraus zu reden. "Hör auf mit solchen Ausflüchten," sagte Ryan ärgerlich und legte ihr das Stück Stoff wieder auf ihre Stirn. "Damit ist nicht zu spaßen, du kannst froh sein. Dein Körper hätte noch heftiger reagieren können." Ayesha nickte stumm und blickte Ryan an. In ihren Augen lag etwas. Ayesha war sich nicht sicher was es war. War sie ärgerlich darüber, dass Ayesha sie aufgehalten hatte, besorgt weil es ihr nicht gut ging, oder war es eine Mischung aus beiden Möglichkeiten? Ayesha wußte es nicht, für einen kurzen Moment schloß sie ihre Augen, öffnete sie dann doch wieder sofort, als sie spürte, wie sanfte Finger ihr Handgelenk um schlossen. "Dein Puls ist noch etwas flach," erklärte Ryan und ließ das Handgelenk Ayesha's vorsichtig wieder auf das Laub sinken. "Du solltest dich heute noch etwas ausruhen. Ich gehe alleine in das Dorf, es ist nicht weit. Wido bleibt bei dir und paßt auf dich auf." Ayesha nickte schwerfällig, doch sie lächelte schief. "Bist du zornig auf mich?" fragte sie leise ohne Ryan anzusehen. "Warum sollte ich?" gab Ryan die Frage zurück und legte ihre Stirn in Falten. "Weil ich euch aufhalte, wenn ich nicht so schwach wäre, dann wären wir viel schneller. Ich bin eine Last für euch." weiter kam Ayesha nicht, denn Ryan lachte laut und schallend auf. "Ohne dich, Kleine," sagte sie und zwinkerte ihr zu. "Wären wir überhaupt nicht auf dieser Reise und du bist keine Last für uns." Sie lächelte noch einmal, drehte sich dann um und ging mit festen Schritten zu Wido und Loba hinüber. Ayesha sah ihr nach, ein leichter Windstoß bewegte das Laub unter ihren Händen, wehte einige verschwitzten Haarsträhnen aus ihrer Stirn und kühlte ihr erhitztes Gesicht. Genüßlich schloß Ayesha ihre Augen und lehnte sich leicht gegen den Stamm des Baumes. Sie blickte hinauf in den Himmel...die Wolken wurden immer dunkler. An ihrer Unterseite zeigte sich ganz deutlich eine leichte Schwärze. "Regen," dachte Ayesha und schloß ihr müden Augen. "Endlich Regen." "Wie geht es ihr?" fragte Wido und wischte sich mit seinem Handrücken über seine Stirn. Ryan seufzte leise und ließ sich neben ihrem Freund niedersinken. "Nicht besonders gut schätze ich. Die Hitze, ihr Körper verkraftet sie nicht gut." "Zeig mir den Menschen, der das so einfach ertragen kann...verflucht noch mal, ist das heiß," stöhnte er und ließ sich etwas kaltes Wasser in die hohle Hand laufen. Ryan lächelte verschmitzt und ihr Blick richtete sich in den Himmel. Sie schnupperte, ja, Gewitter, Regen, sie konnte es mit jeder Faser ihres Körpers fühlen. Die Wolken zogen sich immer mehr zusammen. Wie eine einzige große Armee zogen sie in den Kampf gegen die Sonne. "Es wird regnen," sagte sie und klopfte Wido aufmunternd auf die Schulter. "Bald kommt Abkühlung alter Freund." "Darum bitte ich allerdings," fluchte Wido und wischte sich einige Schweißperlen von der Stirn. Sein ergrautes Haar hing ihm in feinen Strähnen in die Stirn und seine Wangen waren leicht gerötet. Loba, die neben Wido lag, hechelte unterbrochen. Auch das Tier litt unter der beißenden Sonne. "Ich muß mich jetzt auf den Weg machen, wenn ich das Dorf vor dem Regen erreichen will," erklärte Ryan und erhob sich. "Du willst alleine gehen?" fragte Wido und hob eine Augenbraue. "Natürlich, du mußt bei Ayesha bleiben, wir können sie hier nicht alleine liegen lassen du Schafskopf," entgegnet Ryan ärgerlich. "Ich halte das für keine gute Idee. Es ist zu gefährlich wenn du alleine gehst, und das weißt du auch." Die Gesichtszüge Ryans begannen sich zu verhärten, wurden kalt wie ein Fels und sie musterte Wido. "Ich weiß das es gefährlich ist, mich wird niemand erkennen. Außerdem werde ich Loba mitnehmen, unser altes Mädchen spürt Gefahr doch am schnellsten von uns oder etwa nicht?" Resignierend schüttelte Wido seinen Kopf. Er wußte, wenn Ryan sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie niemand mehr davon abhalten. "Unvernunft," dachte er als er Ryan zusah, wie sich den Umhang über die Schulter legte und die dunkle Kapuze über ihren Kopf legte. "Soviel Unvernunft." Nachdenklich starrte er die dunkle Gestalt an welche nun vor ihm stand und er rümpfte die Nase. "Ich muß sagen, das ist natürlich sehr unauffällig. Eine schwarze, stumme Gestalt und eine schwarze Wölfin. Unauffälliger geht es wirklich nicht mehr." Ryan schnaubte mißbilligend und versuchte den beißenden Sarkasmus in Wido's Stimme zu überhören. "Hast du einen besseren Vorschlag?" fragte sie und hängte sich den Beutel für den Proviant über ihre Schulter. "Ja," sagte Wido und seine Augen verengten sich. "Bleib hier." "Ach, Wido," sagte Ryan und ihre Stimme bekam plötzlich einen zarten Tonfall. "Mach dir nicht immer so viele Gedanken um mich. Ich kann alleine auf mich aufpassen." Mit diesen Worten ließ Ryan Wido zurück, sie klopfte gegen ihren Oberschenkel und Loba erhob sich schwerfällig. Streckte sich und gähnte herzhaft, dann trottete sie an Ryans Seite. Wido sah beiden noch so lange nach, bis die Dunkelheit des Waldes sie verschlang, ihre Körper mit der Umgebung verschmolzen waren...Abermals schüttelte er seinen Kopf. "Warum hörst du nie auf mich?" fragte er sich selbst. "Warum mußt du immer so unvernünftig handeln?" Sein Blick schweifte über ihr Lager, bis er an Ayesha hängen blieb. Wido erhob sich schnaufend und schwitzend und ging auf das schlafende Mädchen zu. Er sah, das sich ihr Brustkorb leicht hob und senkte. Sie schlief friedlich. Mit einem Seufzer setzte sich Wido neben sie und nahm ihre kleine Hand in die seine. Noch einmal blickte er in die Richtung, in welcher Ryan und Loba verschwunden waren. "Ich hoffe, du wirst vorsichtig sein," flüsterte er leise. "Irgend etwas stimmt nicht, ich kann es fühlen, ich weiß nicht was es ist, doch es ist da...dieses Gefühl begleitet mich schon die ganze Zeit, wie ein Schatten folgt es uns, was ist das, wer ist das?" fragte er sich selbst. Wido schluckte hart, schon die ganze Zeit verspürte er diese Unruhe in sich... Er hatte es nicht deuten können, es war noch zu weit von ihnen entfernt gewesen, doch jetzt, in diesem Moment glaubte er eine Präsenz zu fühlen, welche er kannte, welche ihm vertraut war. Er lehnte seinen Kopf gegen den Baumstamm, starrte auf Ayeshas Hand, welche er immer noch umschlossen hielt. Sanft drückte er zu, um das Mädchen wissen zu lassen, dass er bei ihr war. Die Augenlieder Widos wurden ihm schwer, sein Körper war wie der von Ayesha müde, suchte nach Ruhe um neue Kraft zu schöpfen, doch dieses Gefühl ließ ihn nicht los. "Wer bist du," dachte er noch einmal, jedoch wurde die Müdigkeit in seinen Gliedern immer stärker, bis sie die Oberhand gewann und Widos Körper langsam in einen traumlosen, unruhigen Schlaf eintauchen ließ. Ein lautes Knacken riß Wido aus seinem Dämmerschlaf. Verwirrt schlug er die Augen auf. Die Sonne war kaum mehr zu erkennen, nur noch ein leichter Schimmer am Himmel ließ erahnen, dass sie da war, der Himmel war dunkel, Kaskaden aus Wolken tauchten ihr Lager in ein diffuses Licht. Lautlos fielen die ersten Regentropfen und wurden gierig von dem ausgetrockneten Gras aufgesogen. Donner grollte in der Ferne und ein Blitz fuhr auf die Erde hernieder. Verschlafen wischte sich Wido über seine Augen. Hatte er sich getäuscht? War es nur das Gewitter gewesen, das ihn aufgeweckt hatte? Die Luft war immer noch stickig und trocken. Der leichte Wind, welcher aufgekommen war, bewegte leicht die Blätter des Baumes unter welchem Ayesha und er saßen. Sanft löste er seinen Griff um die Hand Ayesha's und setzte sich auf. Ryan war noch nicht zurück gekehrt, er wurde unruhig. Es mußten Stunden vergangen sein, warum war sie noch nicht zurück? Leicht schüttelte Wido seinen Kopf, da war es wieder, dieses Geräusch, lauter als zuvor. Zweige die unter dem Druck von Stiefeln brachen, Schritte, immer näher schienen sie zu kommen. Augenblicklich sprang Wido auf seine Füße, und griff nach seinem Stab, welchen er gegen den Baum gelehnt hatte. Durch seine schnellen, lauten Bewegungen wurde Ayesha aus ihrem tiefen Schlaf gerissen. "Wido," murmelte sie verschlafen. "Was ist denn los?" "Sei ruhig," knurrte Wido und sah sich hektisch um. Ayesha erschrak über Wido's Tonfall in der Stimme. Er hatte etwas beunruhigendes an sich, fast so, als hätte Wido Angst. Schwerfällig richtete sich Ayesha auf und sah zu Wido hinauf. Seine Gesichtszüge waren verspannt, seine Augen kalt, so hatte sie ihn noch nie gesehen. "Wido," flüsterte sie erneut, doch er schien sie nicht zuhören. Seine Angespanntheit übertrug sich auf ihr eigenes Denken. Ayesha erhob sich schwankend, und preßte sich fest an Wido. Ein Blitz erleuchtete den Himmel für den Bruchteil eines Herzschlages, der Regen wurde stärker... "Komm raus," schrie Wido. "Zeig dich, ich weiß, dass dort jemand ist." Still wurde es, das einzige Geräusch, dass zu vernehmen war, war das leise Geräusch der Regentropfen, welche auf den Erdboden prasselten. Wido atmete schwer durch, angestrengt starrte er in die Richtung, aus welcher er glaubte, das Geräusch vernommen zu haben. Seine Hände umklammerten den Stab in seinen Händen, suchten einen Halt. Angst und Nervosität vibrierte in seinen Nerven. Er spürte, dass er Ayesha Angst einjagte, doch in diesem Moment konnte er nicht selbstsicher und gefaßt wirken. "Zeig dich du Feigling," schrie er erneut. Zaghaft löste sich ein Schatten aus der Dunkelheit des Waldes, kam mit langsamen, bedächtigen Schritten immer näher. Ein schwerer Umhang umschloß seinen Körper und sein Gesicht lag im Schatten, ein leises Klirren war zu vernehmen. Wido riß seine Augen auf, glaubte kaum, was er dort vor sich sah, und taumelte einige Schritte zurück. Er keuchte laut auf. "Wer bist du?" fragte er. Die Gestalt blieb kurz stehen, ein leises Lachen drang an Widos und Ayeshas Ohren. Lautlos bewegte sich die Gestalt vorwärts, immer weiter auf sie zu. "Keinen Schritt weiter," schrie Wido und schwang seinen Stab. "Wer bist du und was willst du?" "Begrüßt man so Freunde von Ryan?" fragte die Gestalt. Es war eine tiefe Männerstimme, doch in ihr schwang eine Kälte wie man sie nur einem Wintertag verspüren konnte mit. Ängstlich drückte sich Ayesha an Wido, dieser Mann war ihr unheimlich, er war wie ein Schatten, aus der Dunkelheit gekrochen. Schwarz und gefährlich. Bedrohlich baute sich die Gestalt vor ihnen auf, seine Hände wanderten zu der Kapuze und schoben sie zurück. Kalte, blaue Augen durchbohrten Wido wie giftige Pfeile und er taumelte ein weiteres mal einige Schritte zurück. Ein bösartiges Lächeln umspielte einen vernarbten Mund. "Ayesha," flüsterte Wido und seine Stimme klang heißer. "Lauf, lauf." Die letzten Worte schrie er so laut, dass sich seine Stimme fast überschlug. Ayesha wich einige Schritte zurück. Der Blick des Mannes folgte ihrer Bewegung. "Ja, Mädchen," sagte er und ein weiteres Mal erklang sein Lachen. "Lauf, lauf so schnell du kannst." Schritt um Schritt wich Ayesha zurück, wer war dieser Mann? Ihre Augen suchten die seinen, ein Zittern durchfuhr ihren gesamten Körper, was sie sah, ließ sie schwindeln. Haß, purer Haß lag in seinen Augen, vergiftete ihn von innen wie ein häßliches Geschwür. Die Stimme Widos drang kaum mehr in ihr Bewußtsein. "Lauf," schrie er immer wieder und wieder. Dann setzte ihr Verstand aus, und Angst durchflutete ihren Körper, schnell trugen sie ihre Füße über den vom Regen aufgeweichten Boden. Sie rannte, immer schneller und schneller, hinter ihrem Rücken hörte sie ein weiteres mal das Lachen des Mannes. "Wo ist sie?" fragte der Mann und umkreiste Wido wie ein Raubtier, dass mit seiner Beute ein grausiges Spiel begann bevor es zuschlug. "Ich suche sie schon so lange." "Was willst du von Ryan?" fragte Wido und ließ den Mann nicht aus den Augen. "Was ich von ihr will?" gab er die Frage zurück. "So viele Jahre versuche ich sie jetzt schon zu finden. Sie nahm mir etwas, etwas kostbares, etwas, dass ich für kein Gold wieder bekommen kann. Ich will Rache, ich will ihr Blut." Er ballte seine Hände zu Fäusten und spuckte verächtlich auf den Boden. "Du wirst sie nicht bekommen," schnaubte Wido und reckte seinen Kopf. "Und wer will mich daran hindern?" fragte der Mann und lachte spöttisch. "Etwa du?" Wido wirbelte seinen Stab um die eigene Achse und machte sich für einen Angriff bereit. "Du wirst sie nicht bekommen, und wenn es mein Leben kostet." Knirschend zog der Mann sein Schwert aus der Scheide, die Klinge war dunkel, so dunkel wie der Nachthimmel. "Ganz wie du willst, alter Mann, ganz wie du willst." Regentropfen peitschten Ayesha ins Gesicht, nahmen ihr die Sicht, ihre Kehle schmerzte durch das heftige Atmen. Über ihr grollte der Donner, doch in ihren Ohren hörte sie nur das Lachen des Mannes. "Wer ist er? Was will er von uns? Ryan. Er will sie, was ist hier nur los." Immer schneller rannte sie, ihre Füße sanken immer tiefer in den aufgeweichten Boden ein, sie strauchelte, fiel einen Abhang hinunter. Äste schlugen ihr ins Gesicht, rissen ihr Wunden in Arme und Beine, bis ihr Sturz hart von einem Baumstamm abgebremst wurde. Schmerz explodierte in ihrem Kopf. Regungslos blieb Ayesha liegen. In ihren Augen sammelten sich Tränen. "Wido," dachte sie und das Wasser in ihren Augen vermischte sich mit dem Wasser des Himmels. "Wido, ich bin ein Feigling, er hat keine Chance, ich hätte bei ihm bleiben müssen, ihm helfen. Wido, nein, oh ihr Götter, bitte nicht." Holz splitterte unter der Wucht des Schlages. Wido taumelte einige Schritte zurück, starrte erschrocken seinen Stab in den Händen an, welcher auf die Hälfte der ursprünglichen Größe geschrumpft war. "Geweihtes Holz kann nicht brechen," schrien seine Gedanken. "Es kann nicht brechen." Ein harter Schlag traf ihn am Bauch, ließ ihn aufschreien, tief grub sich die Klinge in sein Fleisch ein, schien sein Fleisch zu versengen, es zu vergiften. "Ich hatte dir doch gesagt, Alter," hörte er die Stimme des Mannes in seinem Bewußtsein. "Du kannst mich nicht aufhalten." Mit der Kraft der Verzweiflung kämpfte Wido den Schmerz in sich nieder, holte aus und führte einen mächtigen Hieb aus. Sein Gegenüber wich unter seinem Hieb hindurch, vollführte einen Schlag mit der glatten Seite seines Schwertes und holte Wido von den Füßen. Hart schlug er auf dem nassen Boden auf, er schmeckte Blut. Ein Tritt traf in auf die tiefe Wunde an seinem Bauch und nahm ihm die Luft zum atmen. Wido japste und schrie dann gequält auf, als er spürte, wie die Klinge sich ein weiteres mal in seine Haut eingrub. "Wo ist sie?" Erneut diese Frage, und wieder schwieg Wido beharrlich. "Mein kleiner Vogel," dachte er und sein Blick verklärte sich. "Warum? Warum hast du es mir nicht gesagt?" "Wo ist sie," schrie die Gestalt über ihm, die langsam ihre Konturen verlor, wieder zu einem Schatten mit der Dunkelheit verschmolz. Wido lachte leise, ein Schlag traf ihn ins Gesicht, er spuckte Blut. "Du wirst, wirst sie nicht bekommen. Sie, sie ist nicht hier und wird nicht wiederkommen." "Oh doch, dass wird sie," sagte der Mann und lächelte hinterlistig. "Sie wird wiederkommen, und es wird mir eine Freude sein ihren Schmerz zu sehen." Vorsichtig versuchte Wido nach seinem Stab zu taste, doch als seine Hand das nasse Holz mit seinen Fingern umschloß, fuhr die dunkle Klinge des Schwertes wie ein Schatten auf sie hernieder. Blut floß lautlos aus Widos Wunde, er war nicht fähig zu schreien, der Schmerz war zu groß, hielt sein Denken gefangen, machte seinen Körper lahm und kraftlos. "Alter Mann," nur schwer nahm er die Stimme über sich noch wahr. "Du hättest es so einfach haben können," der Mann schüttelte seinen Kopf, wie ein Vater, wenn sein Kind etwas verbrochen hatte. "Aber, du wolltest es ja nicht anderes." Wido hustete, Blut quoll aus seinem Mund, doch er lächelte den Mann an, was ihn zu verwirren schien. "Warum lachst du verdammt noch mal?" schrie er seine Frage laut heraus, um den Regen zu übertönen. "Weil, weil du ein Narr bist," röchelte Wido, sein Körper zuckte unter einem erneuten Schwerthieb zusammen, doch sein Geist war schon zu weit fort, als das er diesen Schmerz noch mit all seinen Sinnen hätte wahrnehmen können. "Du wirst, wirst scheitern. Ich weiß es., Ryan wird dich töten, töten, töten, wie das, was du so geliebt hast." Das Gesicht des Mannes verhärtete sich, Haß lag in seinen Augen und er musterte den Mann, der vor ihm auf dem Boden lag und mit dem Tod kämpfte. "Glaub mir, alter Mann," flüsterte er und beugte sich zu Wido nieder, sah wie seine Augen mit jedem Augenblick ausdrucksloser wurden. "Ihr Tod wird nicht so schnell kommen wie der deine." Die Augenlieder Widos wurden ihm schwer, mit all seiner Kraft versuchte er diesen Schatten, der sich langsam über ihn legte niederzukämpfen, doch er wußte, dass es ein aussichtsloser Kampf war, er wußte, diesen Kampf hatte er bereits verloren. "Möge Feron (***) dich straffen, dir schlaflose Nächte bereiten, möge er dich mit den Geistern der Vergangenheit quälen, wie er Ryan schon so lange quält." Um den vernarbten Mund des Mannes bildete sich ein bitteres Lächeln. "Das tut er schon," sagte er, hob sein Schwert, die dunkle Klinge funkelte kurz im Schein eines Blitzes auf. Ein kurzer erstickter Schrei hallte über das Land, dann war nur noch das Geräusch des Regens zu vernehmen. Ayesha wagte nicht zu atmen, in ihrem Kopf herrschte eine Art Trance, sie starrte in den dunklen Himmel. Regentropfen benetzten ihr Gesicht, nichts war zu hören. Angst hielt immer noch ihren Körper gefangen, machte ihn unfähig sich zu bewegen. Ihre Hände gruben sich in den Waldboden ein, sie spürte die Feuchtigkeit unter ihren Fingerspitzen. "Wido," dachte sie und schluchzte laut. Vorsichtig hob Ayesha ihren Kopf, versuchte durch die Gischt des Regens etwas zu erkennen, niemand war da, es war totenstill um sie. "Wie in einem Alptraum," dachte sie und Angst schnürte ihr die Kehle zu. Sie schluckte hart, versuchte diesen Krampf in sich zu lösen, ruhig durchzuatmen, doch es mißlang ihr. Laut pochte ihr Herz gegen ihren Brustkorb, ihr Blut klopfte heftig gegen ihre Schläfen und die Welt um sie herum begann sich von neuem zu drehen. Plötzlich spürte sie etwas, eine Hand hatte sich auf ihre Schulter gelegt. Ayesha schrie laut auf, schlug und trat um sich, wie ein verletztes wildes Tier. "Mich kriegst du nicht," schrie sie laut, doch sie wollte nicht die Augen öffnen, nicht noch einmal diese Augen sehen. "Mich kriegst du nicht." "Ayesha." Diese Stimme, sie hatte mühe in ihr von Angst beherrschtem Denken einzudringen. "Ayesha, ich bin es." Zaghaft öffnete Ayesha ihre Augen, und blickte in die verwirrten Augen Ryan's. "Ryan," schluchzte Ayesha und warf sich ihr in die Arme. Irritiert drückte Ryan diesen zitternden Körper fest an sich, mit all ihren Sinnen spürte sie die Angst Ayeshas. "Ayesha, was ist denn los?" fragte sie und nahm ihr Gesicht zwischen ihre Hände. Ayesha's schluchzen wurde wieder lauter und ihre Augen wurden erneut von Tränen überschwemmt. "Was ist passiert?" Ayesha zitterte, versuchte fest zusprechen, doch sie konnte es einfach nicht. "Wido," wisperte sie und schlang erneut ihre Arme um Ryans Nacken. "Ein Mann, er war plötzlich da, wie ein Schatten., er sucht dich, ein Mann mit einem vernarbten Gesicht." Ryan entglitten ihre Gesichtszüge, ihre Augen waren weit aufgerissen...ein vernarbtes Gesicht, ein Schatten. "Katlar," dachte sie und ein Schauder jagte ihren Rücken hinab. "Ich wußte es. Wido, Wido, nein." Sanft löste sie den Klammergriff Ayeshas, nahm ihr Gesicht zwischen ihre Hände und sah sie eindringlich an. "Hör mir jetzt gut zu," flüsterte sie. "Ich gehe jetzt hinauf, hab keine Angst, es wird alles wieder gut," versuchte sie Ayesha zu beruhigen, doch wie konnte sie, die selbst nicht daran glaubte, Ayesha ihre Angst nehmen. "Nein, geh nicht, er ist, er ist gefährlich," flüsterte Ayesha und umschloß Ryans Schultern. "Ich weiß," sagte sie ausdruckslos und schlug kurz ihre Augen nieder. "Ich gehe jetzt, hier nimm das," sie drückte Ayesha etwas in ihre Hand. Kalt war es, erschrocken betrachtete Ayesha den langen, mit Widerhaken besetzten Dolch in ihrer Hand. "Wenn du jemanden hier hinunter kommen siehst, und genau weißt, es ist weder Wido noch ich," raunte Ryan und ihr Blick wurde ernst. "Hast du zwei Möglichkeiten, entweder du rennst, rennst so schnell du nur kannst, oder du greifst an. Du mußt den Dolch tief in seinen Körper bohren, ihn einmal wenden, die Widerhaken werden ihm eine schmerzhafte Wunde zufügen," Ryan unterbrach ihren Redefluß und setzte sich auf. "Ich gehe jetzt, du bleibst hier." Ayesha nickte leicht, ihre Hand umklammerte das kalte Metall des Dolches in ihrer Hand. Sie zog sich wieder tiefer in ihr Versteck zurück und sah Ryan nach, die lautlos, wie ein Schatten die Anhöhe entpor kletterte, Loba folgte ihr ebenso leise. "Bitte," dachte sie und schloß für einen Augenblick ihre Augen. "Bitte sei vorsichtig." Der Körper Ryans verschmolz mit der Umgebung, sie war kaum noch zuerkennen. Ayesha wagte nicht zu atmen. Sie lauschte, Regen, Veränderung, Stille, das Rascheln in den Baumkronen. Ihr Atem ging stoßweise, ihr Körper war wie die Sehne eines Bogens angespannt. Ayesha biß sich auf die Unterlippe. Dann durchzuckte ein markerschütternder Schrei die Stille und ein Wolf stimmte laut sein Klagelied an. Ayeshas Körper sackte in sich zusammen. Tränen brannten auf ihren Wangen, sie schluchzte und unterdrückte einen leisen Schrei in ihrer Kehle. Leise, da er nicht wissen konnte, was den Menschen auf dieser Welt widerfahren war, flossen die Regentropfen das Blattwerk der Bäume hinunter, schwemmten rote Flüssigkeit mit sich fort, ließen sie tief in den Boden einsickern... Ließen sie zurückkehren, zurück zu jenem Ort, aus welchem das Leben einst begonnen hatte. Doch ohne es zu wissen, reflektierte der Regen den Schmerz der Menschen, genau wie sie zeigte auch er seine Trauer, genau wie sie, weinte an diesem Tag der Himmel. *** Feron: Gott der Dunkelheit. Kann man z.B. mit Hades gleichsetzten. Nachwort: So, da bin ich wieder!!! Frisch aus dem Urlaub und mit dem neuen Kapitel. Tja, was soll ich eigentlich schreiben?! Keine Ahnung, erst mal an die Freischalter *gg*. Entschuldigung, ich konnte mich nicht kürzer fassen ^^. Naja, ich hoffe ihr verzeiht mir... Ist etwas düster geworden wie ich finde, doch ich würde euch ja nur langweilen, wenn so überhaupt nichts passieren würde. Gut, in dem Kapitel kam es dann halt alles auf einmal...ist zwar nicht die beste Art eine Geschichte voran zutreiben, aber hey, ich war ja erst 15 ^^. Den Namen Katlar habe ich, muß ich ja zugeben geklaut (gehört natürlich der Autorin des Buches, aus welchem ich ihn habe). Ist aus einem Kinderbuch, aber erstens ist mir kein guter eigener eingefallen, und zweitens er symbolisiert alles, wovor ich mich in meiner Kindheit, als ich das Buch gelesen hab, gefürchtet habe. Ich hoffe, euch hat das Kapitel ein bißchen gefallen...Ich gebe mir Mühe, dass das nächste auch bald online gehen kann. In dem Sinne, danke an diejenigen, die dieses Kapitel gelesen haben!!! Und einen Gruß an meine treuen Leser!!! Adios, wir lesen uns seen Kapitel 9: Was sollt ich sagen da mein Glaube starb, und die Wahrheit mein Freund die floh vor dir ins Grab... -------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Was sollt ich sagen da mein Glaube starb, und die Wahrheit mein Freund die floh vor dir ins Grab... Funken stoben in den Nachthimmel, flackerte kurz auf, als bäumten sie sich gegen ihr verglühen, gegen ihr Ende auf. Holz knackte laut, ein beißender Geruch lag über der winzigen Lichtung... Kleine Flecke Blut glitzerten im Licht des Mondes...dunkel, kalt. Der Regen hatte nicht alles fortspülen, hatte nicht alle Schatten und allen Schmerz mit sich nehmen können. Ayesha sah ihre Umwelt durch einen dicken Tränenschleier, verschwommen, verklärt war ihr Blick. Ihre Augen brannten, waren gerötet von den langen Stunden die sie geweint hatte. Ihr Kopf war leer, wie ein ausgetrockneter See, ihre Gedanken waren erloschen. Sie fühlte nichts, nichts, nur eine große gähnende Leere in sich. "Wido," dachte sie und neue Tränen bahnten sich den Weg ihre Wangen hinab. "Warum? Warum?" schrien ihre Gedanken, doch sie verhallten ungehört.Für einen kurzen Augenblick richtete sich ihr Blick hinauf in den Himmel. Sterne funkelten zwischen den letzten dunklen Wolken hervor, der Nachtwind fuhr ihr durchs Haar, ließ ihre Tränen trocknen und rauschte durch das Blattwerk der Bäume. "Warum?" fragte sie sich erneut, doch sie wußte, niemand konnte ihr sagen, warum das Schicksal oftmals grausam und unberechenbar zuschlug. Warum es so kalt sein konnte, dass es jemanden straffte, der eine solche Straffe nicht verdient hatte. Ayesha atmete tief durch, doch immer noch entwich ihr Atem ihrer Kehle zitternd. Niemals würde sie diesen Anblick vergessen können...Niemals. In ihrem Magen stieg eine nie gekannte Übelkeit auf, als sie sich an das erinnerte, was ihre Augen erblickt hatten. Blut, überall Blut, der Körper Widos hatte leblos im kalten Regen gelegen. Seine Hand, vom Körper abgetrennt. Wunden, so viele Wunden, seine Augen, ausdruckslos,leblos hatten sie in den Himmel geblickt. Ayesha schlug bei diesen Erinnerungen die Hände vor ihr Gesicht, versuchte diese Bilder aus ihrem Kopf zu verdrängen, versuchte sie zu vergessen. Sie fühlte sich schuldig, was wäre gewesen, wenn sie bei ihm geblieben wäre? Hätte sie ihm helfen können? Wäre er dann noch am leben? Hätte er nicht soviel leiden müssen? Was wäre gewesen, wenn sie nicht so feige gewesen wäre? "Ich würde jetzt neben ihm liegen," dachte sie und verzog ihren Mund vor Bitterkeit und Trauer, ihre Augen richteten sich auf das Feuer, sanft fraß es sich durch Widos Körper, umhüllte ihn mit seinem Schein und seiner Wärme. Rauch stieg auf und wurde von dem Wind in alle Richtungen auseinander gewirbelt, seine Seele wurde in alle vier Winde verstreut. Langsam ging Ayesha näher an den Scheiterhaufen, den Ryan mit der Kraft der Verzweiflung errichtet hatte, hinüber. Noch einmal schweifte ihr Blick über den Körper Widos, er sah so friedlich in diesem Moment aus, nichts zeugte mehr von dem Leid und dem Schmerz, dass seine Gesichtszüge gefangen gehalten hatten, es war wie fort gespült. Müde schloß Ayesha ihre Augen. "Lebewohl," wisperte sie und sah noch einmal in Widos Gesicht. Ruckartig drehte sie sich um, als die Flammen über Wido zusammen schlugen wie die Schwingen eines Vogels, ihn aufnahmen in ihren Frieden, in ihre Stille. Leise hörte sie Loba jaulen, schon seit Stunden klagte sie der Welt auf diese Weise ihr Leid, ließ die Welt wissen, was ihr widerfahren war. Wie tausend Stiche bohrte sich dieses Klagelied in Ayeshas Kopf. Soviel Leid lag in diesem Gesang, soviel Schmerz. Sie öffnete ihre Augen und sah zu Loba hinüber, sie hatte ihren Kopf leicht angehoben, der Blick des Tieres war hinauf zum Himmel gerichtet, und sie sang, sang für ihren Herren. Neben ihr saß Ryan. Sie hatte ihre Arme um die Knie geschlungen und wiegte mit ihrem Oberkörper leicht vor und wieder zurück, wie zu einer leisen Melodie. Schon seit Stunden saß sie so da, apathisch, nicht in der Lage das Geschehene zu realisieren. Sie hatte geschrien, daran konnte sich Ayesha erinnern, hatte ihren Schmerz hinaus geschrien, hatte den leblosen Körper Widos in ihren Armen gehalten. "Wach auf du verdammter Kerl," hatte sie immer wieder und wieder geschrien. "Laß mich nicht alleine..." Dieser Aufschrei hallte immer noch in Ayeshas Ohren wieder, verursachte, dass sich ihre Kehle schmerzhaft zusammen zog. "Laß mich nicht alleine." Doch Ryan hatte nicht geweint, nicht eine einzige Träne war aus ihren Augen entwichen, stumm war sie geworden. Ein entsetzliches Schweigen hatte sie erfasst, schon seit Stunden saß sie so da, wie ein verängstigtes kleines Kind. Nachdenklich starrte Ayesha in ihr verschlossenes Gesicht, keine Gefühlsregung huschte über ihr Antlitz, nur ihre Augen verrieten sie. Schmerz lag in ihnen, eine Art von Schmerz, welchen Ayesha nur zu gut kannte. Vorsichtig nährte sie sich Ryan, doch sie schien sie überhaupt nicht wahr zunehmen. Loba verstummte kurz und blickte Ayesha aus ihren traurigen grünen Augen an... Sanft strich Ayesha der Wölfin über ihren Kopf. Das struppige Haupt des Tieren senkte sich leicht, als habe es plötzlich Angst. Angst vor einer menschlichen Hand, da es erblickt hatte, wozu solche Hände in der Lage waren. Seufzend ließ Ayesha ihre Hand sinken, sie konnte die Reaktion Loba's gut nachempfinden, jedoch, es versetzte ihr einen kleinen Stich. Ein leises Geräusch drang an ihre Ohren, ein Wispern. Leicht wippte Ryan mit ihrem Oberkörper hin und her, ihr Mund formte Worte, doch sie entrannen nicht ihrer Kehle...nur ein erstickter Laut war zu hören. Mitfühlend blickte Ayesha Ryan an. Verlust und Schmerz spiegelte sich in ihren Augen wieder, doch da war noch etwas, Schuld. Ja, Ayesha glaubte Schuld in ihren Augen lesen zu können. Sanft legte sie Ryan eine Hand auf die Schulter, doch es war, als würde man Luft berühren. Ryan reagierte nicht. "Ryan," erst jetzt bemerkte Ayesha das ihre Stimme noch immer zitterte. "Ryan?" auch dieses mal reagierte sie nicht, ihre Augen waren starr auf den Scheiterhaufen gerichtet. "Verdammt, rede doch endlich," schrie Ayesha, die diese Stille um sich nicht mehr ertragen konnte. "Ryan, bitte, bitte, sag doch etwas." Kurz schlossen sich die Augen Ryans, Ayesha spürte, wie ein Beben ihren Körper durchflutete wie ein Blitz, ihre Unterlippe zitterte leicht. "Tot, er ist, nein, ich bin schuld, ich bin schuld, Tot." stammelte sie und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Langsam kniete sich Ayesha neben Ryan und sah sie fest an, dieses Wesen, so rau und unverwüstlich Ryan auf sie gewirkt hatte, so zerbrechlich und schwach war sie in diesem Moment. Sanft legte Ayesha einen Arm um Ryans Schultern und zog sie an sich, für einen kurzen Moment wehrte sich Ryan, ihr Körper verspannte sich, wurde steif in Ayesha's Armen, doch dann gab sie ihre Gegenwehr auf, sie hatte keine Kraft mehr dazu. "Ich habe ihn getötet, ich, nur wegen mir, ich bin schuld, Wido," schluchzte sie und barg ihr Gesicht an Ayeshas Hals. Ayesha fühlte den heißen Atem Ryan's auf ihrer Haut und sie schluckte hart, sanft strich sie ihr über ihr Haar, flüsterte beruhigende Worte, doch die Anspannung wich nicht aus Ryans Gliedern, wollte sie nicht frei geben. "Ich bin schuld," raunte Ryan durch zusammen gepreßte Zähne. "Ich habe ihn getötet." Erschrocken riß Ayesha ihre Augen auf, und nahm Ryan's Gesicht zwischen ihre Hände. Ihre Augen begegneten sich, Schmerz, Schuld, Trauer, all das vermischte sich in den Augen Ryans zu einer häßlichen Fratze. Sanft strich Ayesha ihr mit dem Daumen ihrer Hand über die Wange. "Nein," sagte sie und versuchte ihre Stimme fest und sicher klingen zu lassen, es mißlang ihr. "Du bist nicht schuld, du." "Natürlich bin ich schuld," schrie Ryan so laut sie konnte und riß sich von Ayesha los. "Nur wegen mir liegt er jetzt da. Was glaubst du wer schuld ist? Katlar? Nein, nur wegen mir war er hier, nur wegen mir, nur weil ich, weil ich, nein," ihre Stimme verwandelte sich in ein Schluchzen, ihre Knie zitterten. Ayesha sprang auf, umfing Ryans Körper und sank zusammen mit ihr wieder hinab in das kühle Gras. Kraftlos lag sie in ihren Armen, zitterte und bebte am ganzen Körper. "Wer ist er?" fragte Ayesha und ihre Stimme war so scharf wie die Klinge eines Messers. "Was will er von dir?" Ein lautes Lachen durchschnitt die Stille der Nacht, entgeistert starrte Ayesha Ryan an, die in ihren Armen lag und begonnen hatte fast schon hysterisch zu lachen. "Was er will?" fragte Ryan, löste sich aus Ayesha's Armen und suchte deren Augen. "Er will mich, so einfach ist das, er will mich," stieß sie krampfhaft hervor und lachte erneut. "Aber," brachte Ayesha hervor, doch als sie den Blick in Ryan's Augen bemerkte schwieg sie augenblicklich. "Aber was," spie sie aus und ihre Stimme wurde kalt. "Warum er das alles tut? Warum er mich schon so lange jagt, als wäre ich ein Tier?" Sie lachte kalt und fixierte Ayesha mit ihren Augen wie ein Katze einen Vogel. "Hast du jetzt Angst?" fragte sie und kam näher. Ayesha spürte wie sie unruhig wurde, jeder Muskel in ihrem Körper spannte sich. Ryans Gesicht war kaum mehr eine Fingerlänge von dem ihrem entfernt. Sie spürte ihren Atem auf ihrer Haut und ein Schauder jagte ihren Rücken hinab. "Warum tust du das jetzt?" fragte sie und erwiderte den Blick Ryan's so fest und bestimmt wie sie konnte. "Warum versuchst du mir jetzt Angst einzujagen?" Ryans Mundwinkel begannen leicht zu zucken, sie lächelte. "Weil du jetzt Angst haben solltest, Kleine," erklärte sie und schüttelte ihren Kopf. "Du weißt ja überhaupt nicht, mit wem du es zu tun hast, du weißt überhaupt nicht wie groß die Gefahr eigentlich für dich ist, du weißt überhaupt nichts," ihre Stimme schwankte und sie brach ihren Satz ab. Wut vibrierte in Ayeshas Nerven, als sie in das Gesicht Ryan's blickte, sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Fest, damit sie nicht die Kontrolle über ihr Handeln verlor, weiß traten ihre Fingerknöchel hervor. "Du," zischte sie und verzog verächtlich ihren Mund. "Hör endlich auf mit diesen Spielchen, hör endlich auf damit, ich habe in seine Augen gesehen, habe gesehen, zu was er in der Lage ist. Erzähl mir also nicht, ich wüßte nicht, wie groß die Gefahr ist, ich habe es gesehen." Fest starrte sie sich an, über ihnen jagten die Wolken über den Nachthimmel, das Holz auf dem Scheiterhaufen knackte unter den Flammen auf, selbst Loba war durch ihre lauten Stimmen verstummt. Ryan blickte in Ayeshas vom Zorn gerötetes Gesicht. Sie seufzte leise und schlug ihre Augen nieder, es war soweit. Die Wahrheit, wie ein blankes Schwert schob sie sich zwischen sie beide, die Wahrheit, wie schmerzlich konnte sie sein? Wie häßlich, wie grausam? Langsam schüttelte Ryan ihren Kopf. Er war wieder gekommen, sie hätte es wissen müssen, wie hatte sie in dem Glauben leben können, dass es je ein Ende finden könnte? Wie hatte sie annehmen können, dass er aufgeben würde? Warum hatte sie daran geglaubt, dass ihre Vergangenheit sie nicht einholen würde? Die Vergangenheit ließ sich nicht einfach weg sperren, man konnte nicht vor ihr davonlaufen, sie holte einen immer wieder ein, immer wieder, soweit man auch laufen mochte, sie war immer präsent. In ihren Träumen, in ihrem Denken, in ihrem Fühlen und sie machte vor niemanden halt. "Warum jagt er dich?" Ryan hörte kaum noch die Frage Ayeshas, zu tief war sie in den Strudel der Erinnerungen versunken, sie fühlte eine sanfte Berührung auf ihrer Hand, vorsichtig hob sie ihren Kopf, blickte in Ayeshas Augen. Sie suchte eine Erklärung, einen Grund für all das, was geschehen war. "Warum?" wiederholte Ryan ihre Frage, doch ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. "Weil, ich, ich," stammelte sie, suchte in ihrem Kopf nach den richtigen Worten um Ayesha begreiflich zu machen, was sie getan hatte, doch sie fand sie nicht. "Warum?" fragte Ayesha erneut und ergriff ihre Hand. Ryan fühlte die Wärme die von Ayesha aus ging, es hatte etwas vertrautes und doch so fremdes an sich, dass sie zusammen zuckte. "Sie hat bereits zu viel gesehen," dachte sie und starrte auf ihre ineinander verflochtenen Finger. "Sie hat ihn gesehen, er wird sie, nein, nicht sie auch noch, nein." Diese Gedanken rauschten durch Ryans Geist wie ein reißender Fluß, ließen sie schwindeln, vernebelten ihr logisches Denken und zurück blieb nur Angst. Angst um dieses Mädchen, dass nicht wußte wen sie in diesem Moment anblickte und wessen Hand sie hielt. Tief holte sie Luft, überlegte sich, wie sie Ayesha alles erzählen konnte, ohne das Verachtung übrig blieb. "Er jagt mich weil, weil ich, weil seine Frau und sein Sohn durch meine Hand getötet wurden." Abrupt lösten sich ihre Hände. Stille kehrte zwischen ihnen ein und Ryan hörte wie Ayesha scharf die Luft einsog. Sie traute sich nicht ihren Kopf zu heben, fürchtete sich vor den Augen Ayesha's, fürchtete sich davor, dass sie nun das bekam was sie verdiente. Verachtung. Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben, nichts war zu vernehmen, kein Laut, nicht mal das Rauschen der Blätter durchbrach diese Stille welche die beiden Gestalten einhüllte. "Seine Frau und sein Sohn wurden durch meine Hand getötet." Dieser Satz hallte in Ayeshas Bewußtsein wider, doch sie war nicht fähig auch nur ein Wort zusprechen. "Sie hat getötet. Blut klebt an ihren Händen wie an den seinen." Forschend blickte sie Ryan in ihr Gesicht, doch dieses mal war es nicht so verschlossen und selbst beherrscht wie sonst, als würde sie ihren Blick nicht ertragen, schlug sie ihre Hände vor ihr Gesicht und begann leise zu wimmern. Ayeshas Atem ging stockend, was sollte sie jetzt nur tun? Ein Teil in ihr fürchtete sich plötzlich vor Ryan, der andere Teil in ihr wollte das eben gesagt nicht glauben, sträubte sich gegen die Wahrheit... Mit sanfter Gewalt nahm sie Hände Ryans von ihrem Gesicht fort, und blickte ihr lange in die Augen. "Warum hast du es getan?" fragte sie und ihre Stimme klang wieder erwartend fest und sicher. "Ich glaube nicht, dass du es ohne Grund getan hast." Irritiert blickte Ryan Ayesha an, sie wußte nicht, was sie ihr darauf antworten sollte. "Weil ich," begann sie brach dann sofort wieder ab, und musterte das Mädchen, dass vor ihr saß, ihr in die Augen blickte und den Grund für alles wissen wollte. Ryan seufzte laut, es tat weh sich zu erinnern. Bilder tanzten in ihrem Kopf. Gefühle. Erinnerungen die sie so tief in sich verschlossen und sich geschworen hatte, dass sie niemals wieder aufsteigen sollten. Sie fühlte, das ihre Hände immer noch durch einen festen Griff gehalten wurden, ihr Halt gaben für das, was nun vor ihr lag. "Du hast mich einmal gefragt, ob ich auch solche Erinnerungen an meine Heimat habe wie du," sagte Ryan und ihr Blick wurde traurig. Als sie sah, wie Ayesha schweigend nickte, fuhr sie fort. "Ich habe sie nicht, ich...ich werde dir jetzt Dinge sagen, die du nicht unbedingt verstehen wirst, ich verstehe sie ja selbst nicht einmal." Bedrückt hielt sie inne, spielte gedankenverloren mit den Fingern Ayesha's und sah sie dann wieder an. "Aber mir scheint, du hast ein Recht darauf. Ein Recht alles zu erfahren, ein Recht darauf, zu wissen, wie ich zu dem wurde was ich jetzt bin." Fest schnürte sich Ayeshas Kehle zu, sie fürchtete sich davor, was Ryan ihr nun erzählen würde. Sanft verstärkte sie den Druck ihrer Finger, versuchte ihr auf diese Weise klar zu machen, dass sie einfach nur zuhören, das sie einfach nur ihrer Geschichte lauschen würde... Nervös preßte Ryan die Luft zwischen ihren Zähnen hindurch, sie hatte angst, angst davor sich ihren Geistern zu stellen, den Geistern, welche sie schon so lange verfolgten, ihr den Schlaf raubten, immer in ihrem Kopf waren, sie nie zur Ruhe kommen ließen. Manchmal des Nachts hörte sie ihre Stimmen, hörte ihr Klagen, sah vor ihren inneren Augen ihre vor Schmerz verzehrten Gesichter, leise flüsterten sie ihren Namen immer wieder und wieder. "Mörderin, du bist eine Mörderin," Ryan schüttelte leicht ihren Kopf, als könnte sie so diese Stimme in ihrem Inneren zurück drängen, als könnte sie so diese Stimme zum schweigen bringen. Sie spürte, dass Ayesha immer noch ihre Hand hielt, sie wußte nicht, wie sie beginnen sollte. Wie fängt man an die Geschichte eines Lebens zu erzählen? Wie beginnt man seine eigene Geschichte zu erzählen? An welchem Punkt setzt man an, ab welchem Zeitraum werden Dinge relevant? Seufzend schloß Ryan ihre Augen, und dann sah sie es. Ein Dorf, dichter Wald, ein Fluß, Lachen, die Stimme einer Frau, dann Feuer, Schreie, Tränen und Dunkelheit. Erschrocken riß sie ihre Auge wieder auf, ihr Körper bebte und sie schlug die Augen nieder. "Ich war noch sehr jung," begann sie und ihre Stimme klang brüchig. "Ich habe nicht viele Erinnerungen an meine Kindheit, ich weiß nur, das Dorf in welchem ich lebte, es war sehr schön dort. Dichter Wald umgab es, ein Fluß. Ja, an ihn kann ich mich ganz deutlich erinnern, ich war sehr oft dort. Habe ihm zu gehört, wie er rauschte, seine Geschichte erzählte. Jeden Tag eine andere, so erschien es mir damals. Ich weiß noch, dass ich mich oft gefragt habe wohin er wohl führen mochte, ich war noch so jung." für einen kurzen Moment hielt Ryan inne und blickte Ayesha an. Ihre Augen waren auf sie gerichtet, sie hatte den Kopf schief gelegt und lauschte ihrer Stimme. Ryan sah, wie sie leicht nickte und sie fuhr fort zu erzählen: "Ich lebte bei meiner Mutter, meinen Vater habe ich nie kennen gelernt. Meine Mutter hat nicht gerne über ihn geredet. Warum, dass weiß ich nicht. Ich habe sie nie danach gefragt wenn ich ehrlich bin. Sie war ein anerkannte Person im Dorf, alle behandelten sie mit Respekt und ich, da ich ihre Tochter war, wurde ebenso behandelt. Auch, wenn mir nie entgangen war, dass sie mich manchmal auf eine seltsame Art und Weise musterten, damals konnte ich es noch nicht verstehen, doch jetzt weiß ich warum." Ein Windstoß erfaßte ihre Haare, ließ einige Haarsträhnen ihr wirr ins Gesicht hängen. Ryan machte keine Anstalten sie fort zu wischen, sie spürte es nicht, fühlte nicht, das ihren Körper eine unglaubliche Kälte durchfuhr, hörte nicht, das Loba erneut begonnen hatte ihr Lied zu singen, sie fühlte nicht einmal mehr die Hände Ayesha's die ihre immer noch umschlossen. Ihr Geist glitt hinab, hinab in Empfindungen, in kostbare Augenblicke die sie so tief in sich verschlossen hatte. Alte Wunden rissen wieder auf, bluteten still. Ryan schluckte, ihre Stimme war zu einem leisen Flüstern herab gesunken. "Dann, dann kamen sie, nie wieder haben ich gesehen wie so wenige Menschen es vermochten, so viele in Entsetzten und Angst zu versetzen. Ich weiß noch, dass meine Mutter mich in ihren Armen hielt, mir beruhigend über mein Haar streichelte, doch ich wußte, sie selbst fürchtete sich viel mehr als ich mich. Ich hatte doch keine Ahnung wer diese Männer waren, ich wußte doch, ich wußte noch nicht, zu was sie in der Lage waren," abrupt brach ihre Stimme ab. Ayesha spürte wie sich der Druck um ihre Hände verstärkte. Ryan zitterte. "Du brauchst mir nicht mehr zu erzählen," sagte sie und ihre Stimme bekam einen einfühlsamen Tonfall. "Doch," sagte Ryan fest und sah ihr in die Augen. "Ich will weiter erzählen." Stumm nickte Ayesha, sie wußte, für Ryan war es schwer über diese Dinge zu sprechen. Schwer, weil es ihre Erinnerungen waren, ihr Schmerz. "Das nächste woran ich mich erinnern kann ist," erzählte Ryan weiter und rückte etwas näher an Ayesha heran. "Meine Mutter nahm mich bei der Hand. Unsere Hütte war nicht groß, nur ihre Schwester, sie selbst und ich lebten dort, sie hat gelächelt, jedoch es war in diesem Moment so unwirklich, so als wäre sie nicht sie selbst. Unter ihrem Bett gab es eine Bodenluke, ein Versteck. Ich kannte es, doch es war so dunkel, ich hatte mich schon immer vor der Dunkelheit gefürchtet. Ich wehrte mich, mit all meiner Kraft, ich, ich hatte Angst, ich wollte nicht dort hinunter. Stimmen kamen immer näher, meine Mutter schrie mich an, ich hatte Angst, so große Angst. Dann stieß sie mich hinunter, hart schlug ich auf dem Boden auf. Es roch nach Stroh, über mir schloß sich die Luke, das Licht wurde immer schwächer, bis mich diese Schwärze einhüllte. Dann war es so still, selbst mein Herzschlag erschien mir in diesem Moment als zu laut, ich fürchtete, jemand könnte es hören. Lange saß ich dort unten, umgeben von Stille und Dunkelheit. Plötzlich drang ein lautes Geräusch an meine Ohren, ich hörte meine Mutter schreien, dann lachten Männer, ich hörte Worte, doch ich wollte sie nicht verstehen. Meine Mutter, meine Mutter, sie schrie so furchtbar. Mit jedem Mal wurde sie lauter und das Lachen der Männer auch." der Atem Ryans beschleunigte sich bei diesen Worte, sie keuchte fast. In ihrem Kopf drehte sich alles, sie fühlte sich wie damals als sie in dieser Dunkelheit gewartet hatte. Doch auf was hatte sie gewartet? Auf was hatte sie gehofft? Sie wußte es nicht mehr. "Wie lange, wie lange ich dort unten gesessen habe weiß ich nicht mehr," sagte sie und in ihren Augen sammelte sich Tränen. "Ich hörte Rufe, erstickte Laute, dann war es wieder still, leise fielen Tropfen auf den mit Stroh bedeckten Boden. Jedesmal gab es ein leises Klicken, es klang wie Regen," Ryan lachte leise. "Es klang wie Regen," wiederholte sie und schüttelte ihre Kopf. "Einige Tropfen streiften mich, es fühlte sich seltsam auf der Haut an. Ich hörte wie die Männer davon gingen, ihre Stiefel ließen die Bodendielen knarren. Ich wartete, so lange wartete ich. Ich wußte, dass ich noch etwas in meinem Versteck bleiben mußte, ich konnte nicht sicher sein, das die Männer fort waren. So wartete ich, wartete bis ich es in dieser Dunkelheit nicht mehr aushielt. Mühsam habe ich die Luke geöffnet, hinaus gespäht. Niemand war da, schwerfällig bin ich aus meinem Versteck geklettert, ich war noch klein damals. Rötliches Licht ergoß sich durch die zersplitterte Tür. Alles war umgestürzt. Stühle, Krüge, der Tisch, einfach alles. Nichts lag oder stand mehr an seinem Platz. Meine Mutter, sie lag auf dem Bett. Ihre Augen, was war mit ihren Augen gewesen. Sie waren offen, schienen auf die Zimmerdecke zu starren als suchte sie dort etwas. Langsam habe ich mich ihr genährt, ich wollte sie nicht erschrecken... Ich habe die Hand ausgestreckt. Wollte sie berühren, doch sie reagierte nicht. Ich habe ihren Namen gerufen, sie geschüttelt, doch sie regte sich einfach nicht. Erst dann sah ich es,über ihren Hals wandt sie ein breiter tiefer Schnitt... Blut sickerte unaufhörlich aus ihrer Wunde. Ihr Blut rann ihr den Arm hinab, tropfte auf den Boden, sickerte durch die Bodenritze in die Luke. Ich hatte gedacht es wäre Regen, ich hatte gedacht es wäre Regen," wiederholte Ryan ihren letzten Satz und verstummte dann. Aus geweiteten Augen starrte Ayesha sie an. Ihr Hirn arbeitete fieberhaft diese neuen Informationen zu verarbeiten, sie richtig einzuordnen. "Ich dachte es wäre Regen," hörte sie Ryan wispern die ihre Hände vor ihr Gesicht schlug und begann leise zu weinen. Ayesha schluckte, sie hatte das Gefühl als würden sich Finger um ihre Kehle legen und ihr somit die Luft zum Atmen nehmen. Sie keuchte, plötzlich beschlich sie ein eigenartiges Gefühl, sie konnte es nicht deuten, aber es war da. Immer noch hörte sie Ryan leise wimmern, spürte wie ihr eigenes Blut in den Adern rauschte. Nur schwer gewann sie wieder die Kontrolle über ihr Handeln, sie betrachtete Ryan und ihr Blick wurde weich, fast zärtlich. Sanft zog sie dieses zitternde und vor Tränen bebende Wesen in ihre Arme, strich ihr beruhigend über das von kaltem Schweiß durchtränkte Haar. "Sie, sie wurde geschändet," flüsterte Ryan und schlang ihre Arme fest um Ayeshas Taille. "Geschändet und getötet, und ich konnte ihr nicht helfen." Fest krallten sich ihre Finger in Ayeshas Gewand, suchten einen Halt. "Und was passierte dann?" fragte Ayesha, ihr immer noch beruhigend über ihr Haar streichelnd. "Ich, ich weiß es nicht mehr. Ich glaube, ich habe mich neben ihr zusammen gerollt. Ich wollte schlafen, schlafen und vergessen. ich muss lange geschlafen haben, denn als mich ein Rütteln weckte war die Sonne bereits untergegangen. Die Schwester meiner Mutter stand plötzlich vor mir. Ihre Augen waren kalt, an ihren Händen klebte Blut, heute bin ich mir sicher, dass sie einige von ihnen getötet hat, niemals hätte sie sich wie meine Mutter in solch ein Schicksal gefügt. Sie war zu stark und zu stolz. Sie zog mich mit sich, ich schrie sie an, schlug auf diese Hand die mich hielt immer wieder und wieder ein, doch sie ließ mich nicht los. Draußen roch die Luft verbrannt, die Hütten standen in Flammen. Alles war zerstört,einfach alles." Leise heulte der Wind auf, einige Funken lösten sich aus den Flammen und trieben zu ihnen hinüber. Traurig blickten Ayeshas Augen auf Ryan hinab, die zusammen gerollt in ihrem Schoß lag und mit ihren Tränen kämpfte. Langsam begann Ayesha zu begreifen, die Erkenntnis keimte in ihr auf wie ein Samenkorn. Zärtlich strich sie Ryan einige verirrte Strähnen aus der Stirn und flüsterte: "Habe ich Recht, wenn ich denke, dass sie dich ausgebildet hat?" Ein Schauder jagte Ryans Rücken hinab, als sie daran dachte. "Ja, das hat sie, ihr Name war Resa," sagte sie, doch plötzlich veränderte sich ihre Stimme. Sie wurde kalt, zornig, angefüllt mit Haß. "Sie hat mich ausgebildet. Zwei Sommer lang, sie hat mich nicht geschont, mich oft verletzt, sie war eine gute Kämpferin, doch sie brauchte mich. Ihr linker Arm war seit einem Kampf unbrauchbar geworden. Steif hing er an ihrer Seite hinab, deshalb brauchte sie mich. Sie wollte Rache. Rache, und ich war ihr Werkzeug dazu. Gemeinsam haben wir die Männer verfolgt, es waren sechs. Erst als ich diese Zahl wußte, hatte ich eine Ahnung davon, wie sehr meine Mutter gelitten haben mußte. In mir war nichts mehr, nichts mehr nur Haß. Haß und das Verlangen mich zu rächen." Ryan atmete tief durch, langsam verschwand das Zittern aus ihren Gliedern und sie löste ihren Griff um Ayeshas Taille. "Und ich habe mich gerächt," stieß sie hervor. "Keiner der Männer hatte auf mich geachtet, wer achtet schon auf ein Kind? Sie konnten nicht wissen, dass ich ihnen den Tod bringen würde." ein kaltes Lachen entfuhr ihr und Ayesha zuckte zusammen. "Resa hatte gute Arbeit geleistet, ich tötete leise, schnell und kalt. Ja, sie hat wirklich gute Arbeit geleistet. Sie selbst hat sich immer im Hintergrund gehalten, mir zu gesehen wie ich sie tötete, ihnen die Kehle durchschnitt, ihnen das Leben austrieb wie ein böser Geist. Die ersten zu töteten war sehr leicht, wir überraschten sie aus einem Hinterhalt, nur einmal mußte ich einen offenen Kampf bestreiten und ich wurde schwer verletzt. Resa pflegte mich gesund, sie brauchte mich noch, der sechste und letzte war jedoch nicht so einfach zu finden." kurz hielt Ryan inne, sammelte Kraft für den letzten Teil ihrer Geschichte, sammelte Kraft für den schmerzlichsten Teil. "Wir, wir drangen in sein Haus ein, es wurde gut bewacht, doch Resa hatte mir beigebracht lautlos zu sein, die Dunkelheit auszunutzen und zu einem Schatten zu werden, doch wir trafen ihn nicht an. Er war nicht dort. Nur seine Frau und sein kleiner Sohn. Seine Frau war sehr schön, dass weiß ich noch. Sein Sohn, er war etwas jünger als ich. Sie flehten, bettelten um ihr Leben. Die Frau weinte und zog ihren Sohn in ihre Arme, ihr Flehen war umsonst. Ich hatte nicht gewußt, wie kalt Ressa wirklich war, sie riß der Frau ihr Kind aus den Armen, hielt ihm die Klinge an seine Kehle, sein Blut ergoß sich über ihre Hand, auf den Boden. Dann ließ sie diesen kleinen, leblosen Körper auf den Boden fallen, seine Mutter schrie laut, sie weinte, wimmerte, dann schrie mich Ressa an, ich solle es zu Ende bringen. Ich gehorchte ihr, ich weiß nicht warum. Langsam ging ich auf die Frau zu. Ihre Augen waren weit aufgerissen, starrten mich an, ein leiser Laut drang aus ihrer Kehle, als mein Schwert sich in ihr Fleisch bohrte. Sie sackte auf die Seite, starrte mich noch einmal an. Noch heute sehe ich sie vor mir, wie sie auf dem Boden liegt und das Licht in ihren Augen immer schwächer wird." "Das war Katlars Frau?" fragte Ayesha leise. Ryan nickte leicht. "Ja, seine Frau und sein Sohn. Durch die Schreie waren die Wachen aufmerksam geworden, sie haben uns gejagt. Resa wurde schwer verletzt und ich habe sie mit mir gezehrt. Sie war die letzte Person, mit der ich etwas verband. Mein altes Leben, auch wenn ich genau wußte, dass sie mich nicht liebte. Ich konnte sie nicht zurück lassen. Ich habe ihre Wunden versorgt, doch ich wußte, dass sie sterben würde. Ihr Atem war flach, der Puls kaum noch zu fühlen. Ich fragte sie, ob sie nun stolz auf mich sei, doch sie lachte nur kalt. Wie soll man auf eine Mörderin stolz sein? Das war ihre Antwort gewesen. Ich verstand sie nicht, sie hatte mich zu dem gemacht was ich war. Sie lachte, hustete, zog mein Gesicht nahe an das ihre und sagte: Du bist eine Mörderin Ryan, hast du geglaubt, sie wäre deine Mutter? Wie dumm von dir, kleine Närrin, sie hat dich gefunden. Du hast nie zu uns gehört nie, deine Augen, kleines Wald Kind, kleine Mörderin, Mörderin." Tränen brannten auf Ryans Gesicht, diese Worte hatten alles in ihr zerstört, sie fühlte den verwirrten Blick Ayeshas der auf ihr haftete, sie durchbohrte. Langsam wandte sie ihr Gesicht dem Ayeshas zu und sah ihr in die Augen. Tränen liefen ihre Wangen hinab, tropften auf Ayesha's Hände. "Du wußtest es nicht," sagte Ayesha leise und wischte ihr die Tränen fort. "Du konntest es nicht wissen." "Ist das wirklich eine Entschuldigung?" fragte Ryan und umklammerte ihre Hand. "Nein, das ist es nicht." "Bist du sicher, dass sie dir die Wahrheit gesagt hat?" fragte Ayesha, die immer noch versuchte zu begreifen was Ryan ihr eben erzählt hatte. "Warum hätte sie lügen sollen?" gab Ryan die Frage zurück. "Alles paßte zusammen. All diese Dinge, die mich schon immer beschäftigt hatten, warum meine Mutter immer so beharrlich über Fragen von mir geschwiegen hatte. Warum mich Resa nie mit Liebe behandelte, alles bekam plötzlich einen Sinn, einfach alles." "Trotzdem, du hattest ein Recht auf deine Rache, auch wenn sie nicht deine leibliche Mutter gewesen war," beharrte Ayesha, doch Ryan lachte leise. "Ich habe Resa getötet," flüsterte sie und sah zu, wie sich Ayesha's Blick in Entsetzten verwandelte. "Warum?" wisperte sie erschrocken. "Ich habe die Kontrolle verloren," sagte Ryan und wich ihrem Blick aus. "Wut und Enttäuschung, das war alles was ich empfinden konnte. Ich, ich haßte sie in diesem Augenblick so sehr, wie sie dort vor mir lag, mich auslachte und immer wieder Mörderin flüsterte. Darin liegt meine wahre Schuld..." Augenblicklich schlang Ryan erneut ihre Arme um Ayesha und drückte sie fest an sich. "Bitte, bitte ver...verachte mich jetzt nicht," schluchzte sie und vergrub ihr Gesicht in Ayeshas Haaren. "Bitte." Starr wie ein Fels saß Ayesha da, spürte die Nähe des fremden Körpers, das Zittern, die Verzweiflung, was sollte sie jetzt tun? Ohne Nachzudenken, legte auch sie ihre Arme um Ryan und erwiderte den Druck. "Nein," flüsterte sie und begann von neuem Ryan über ihr Haar zu streicheln. "Ich verachte dich nicht." Doch war das die Wahrheit? Immer noch brauste die Angst in ihr wie ein Sturm. "Es gibt ihn doch noch in ihr," dachte Ayesha und blickte starr vor sich hin. "Es gibt den Stummen also doch noch tief in ihr." Ryan schluchzte, umklammerte Ayesha wie eine Ertrinkende, sie fühlte sich leer, alles war gesagt. "Ich verachte dich nicht," hörte sie Ayesha wieder flüstern, doch sagte sie in diesem Moment die Wahrheit, oder tat sie es nur, weil sie angst hatte? Zweifel nagten an Ryan, sie wußte, ein Wesen wie sie hatte nichts anderes als Verachtung verdient. "Du bist eine Mörderin," wieder hörte sie die Stimme Ressa's in ihr. Ihre kalte, lieblose Stimme. "Du hast mich benutzt," schrien ihre Gedanken, kämpften mit dem Geist in sich. "Benutzt, als wäre ich dein Spielzeug, benutzt weil du dir nicht selbst die Hände schmutzig machen wolltest, du hast mich benutzt." "Und du hast dich benutzen lassen," gab ihr die Stimme als Antwort, und Ryan wußte, dass es die Wahrheit war. Sie war ein perfektes Werkzeug gewesen, ohne einen eigenen Willen, leichtgläubig, jung und dumm. Sanfte Hände strichen ihr über ihr verschwitztes Haar, hielten sie fest. Ryan fühlte sich so müde, so unendlich müde. "Ayesha," flüsterte sie und blickte zu ihr hinauf. "Ich bin, ich bin so müde, so müde." Erschöpfung bahnte sich ihren Weg durch ihren Körper, befiel ihren Geist, lähmte ihn, ließ ihn hinab gleiten.. "Dann schlaf," raunte Ayesha ihr ins Ohr. "Schlaf, ich bin da, ich bleibe bei dir." Ryan lächelte kraftlos, ihre Augenlieder wurden schwer. Sie fühlte, wie die Anspannung aus ihren Gliedern wich. Sie frei gab, ihr Atem wurde gleichmäßig, sie hörte Ayesha leise eine Melodie summen, sie verschmolz mit dem Gesang Lobas zu einem wunderschönen Lied. Wie ein kleines Kind rollte sich Ryan in Ayesha's Armen zusammen, und glitt hinab in einen traumlosen, dunklen Schlaf. Leise summte Ayesha ihre Melodie, sie hatte nicht mehr gewußt, dass sie dieses Lied noch immer kannte. Ihr Vater hatte es ihr immer vorgesungen als sie noch ein Kind war. "Es hat deiner Mutter immer so gefallen," hatte er gesagt und seine Augen waren bei diesen Worten immer so traurig geworden. Schwer lag Ryans Körper in ihren Armen, doch sie wollte sie nicht los lassen. Zärtlich strich sie ihr über ihre Hand. "Schlaf nur," wisperte sie. "Ich bin da, ich passe auf dich auf." seltsam klangen diese Wörter in ihren Ohren. Ihr Blick wanderte hinauf in den Himmel. Mit jedem Augenblick wurde es heller, der Himmel verfärbte sich im Osten bereits rötlich. "Ein neuer Tag," dachte Ayesha und blickte auf Ryan hinunter. "Ein neuer Tag." Sie betrachtete das Gesicht Ryans, sie zuckte unkontrolliert und klammerte sich noch fester an Ayesha. Sie lächelte sanft. "Ich bin da," raunte sie ihr ins Ohr, und Ryan beruhigte sich etwas. "Ich kann es einfach nicht glauben," dachte sie und sie bemerkte erst jetzt, das auch ihre Augen schwer wurden. "Ich kann es nicht glauben, dass du das getan hast, du hattest recht. Ich hätte es lieber nicht erfahren." Vorsichtig legte sich Ayesha auf den Boden, sie roch das Gras, fühlte, dass es von Tau und Regen noch feucht war, immer noch hielt sie Ryan in ihren Armen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, sie lauschte ihrem gleichmäßigen Atem, hielt sie sacht fest. "Ich hätte es lieber nicht erfahren," dachte sie noch, bis auch sie der Müdigkeit in sich erlag, sich ihre Augen schlossen und erst, kurz bevor ihr Körper in den Schlaf eintauchte erkannte, wie häßlich die Wahrheit sein konnte. Nachwort: Mm, irgendwie ein komisches Kapitel wie ich finde, was hat mich da nur geritten?! Tja, ich weiß es nicht mehr. Ich finde, es ist irgendwie nich so wirklich gut geworden, aber jetzt ist es ja schon zuspät. Ist wieder etwas länger geworden. Freischalter...Tschuldigung... So, jetzt ist es raus, ihr wißt nun vieles über Ryan's Vergangenheit. Kommt evtl. etwas unpassend, aber ich möchte es ungern ändern, außerdem ist es ja schon das zehnte Kapitel und irgendwann muß es ja mal ans Tageslicht kommen oder?! Ich hoffe euch hat das Kapitel etwas gefallen und das es nicht all zu verwirrend war... Ich bedanke mich an dieser Stelle wieder für das Lesen und grüße alle die es bis zum Schluß durchgelesen haben. DANKE und bis bald ^^ Adios seen Kapitel 10: Von Licht und Schatten... ------------------------------------- Von Licht und Schatten... Sanft schob sich die Sonne über die Hügel, ihr goldenes Licht streichelte das Blattwerk, die Wiesen und die Felsen, hauchte ihnen neues Leben ein und stieg mit jedem Augenblick der verstrich immer höher. Die Wolken am Himmel waren zu dünnen Schleiern zusammen geschrumpft, und sollten bald vom Wind davon getragen werden. Still war es, das Feuer war schon seit Stunden erloschen, zurück war nur schwarze Asche geblieben, schwarze Asche und einige kleine, verkohlte Holzstücke... Die Flammen hatten den Körper Widos tatsächlich mit sich genommen. Hinfort aus dieser Welt, vielleicht in eine weit bessere. Aber, wer konnte das schon wissen? Ein Sonnenstrahl brach durch das Blattwerk und traf auf blase Haut... Ryans Augenlieder zuckten, ihr Bewußtsein löste sich nur schwer aus diesem dunklen Schlaf, in welchen sie verfallen war. Sie spürte die Wärme um sich, fühlte das ihr Körper bereit war zu erwachen, doch ihr Geist war es nicht, noch nicht... Sie hatte geträumt. Ja, sie konnte sich genau daran erinnern. Ressa, von ihr hatte Ryan geträumt. Hatte noch einmal mit ansehen müssen, wie ein junges, wütendes Mädchen getötet hatte. Immer noch hörte sie die erstickte Stimme Resas. "Mein Geschöpf," hatte sie geflüstert und ihre Augen hatten Ryan fixiert. "Niemals wirst du Frieden finden...Menschen wie wir finden keinen Frieden...sie sind immer alleine...". Schmerzlich wurde Ryan bewußt, dass Resa recht gehabt hatte. Selbst wenn sie von Menschen umgeben war, war sie doch stets allein. Selbst wenn sie in den Armen Teleris lag, spürte sie nicht dieses Gefühl...Sie gehörte zu niemandem...hatte nie zu jemandem gehört... Diese Erkenntnis schmerzte beinahe noch mehr, als das, was sie getan hatte. Ryan atmete tief durch, versuchte einen klaren Kopf zu bekommen, doch wie sollte das möglich sein? Zuviel war in dieser kurzen Zeit über sie hereingebrochen, immer wieder wurde ihr Leben durcheinander gebracht, immer wieder verlor sie jemanden, den sie geliebt hatte... Vorsichtig schlug Ryan ihre Augen auf, die letzten Schatten des Schlafes verschwanden, erst jetzt wurde ihr bewußt, dass sie immer noch in den Armen Ayeshas lag. Sie hörte ihren gleichmäßigen Atem, spürte ihre Arme, welche ihr einen sanften Halt gaben. "Was tust du mit mir?" dachte sie und wand sich ihr zaghaft zu. Sonnenstrahlen tanzten auf ihrer Haut, einige Haarsträhnen waren ihr ins Gesicht gefallen, ihre Augen waren geschlossen, ihr Atem ruhig und entspannt. Ryan lächelte leicht bei diesem Anblick. Dieses Mädchen, sie wußte so gut wie nichts über sie und dennoch, sie fühlte sich ihr in diesem Moment so nahe, als würde sie Ayesha schon seit Jahren kennen... "Wer bist du, dass du es vermagst das ich mich dir öffne?" flüsterte sie leise und strich ihr sanft einige Haarsträhnen aus der Stirn. "Was tust du mit mir?" Sie spürte wie ihre Haut zu prickeln begann und zuckte zurück. Ihr Atem beschleunigte sich, wurde unregelmäßig, ihre Hand tastete sich unter ihr Hemd, umschloß etwas fest mit ihren Fingern. Wärme durchflutete ihre Hand, drang in jede Faser ihres Körpers ein, ließ sie von innen heraus zu leuchten beginnen. Vorsichtig, doch immer noch fest umklammert, beförderte Ryan etwas ans Tageslicht. Ihre Finger umkrampften einen Anhänger, das Lederband war alt, an manchen Stellen brüchig, sie hatte diese Kette nie abgelegt. "Nein," keuchte sie. "Nein, das kann nicht sein, nur einmal habe ich das gespürt. Nein, hör auf..." Die Wärme in ihr steigerte sich zu einer gigantischen Hitze, brachte ihr Blut zum Kochen, ihr Denken in einen Fieber ähnlichen Zustand. Sie kannte dieses Gefühl, schon einmal hatte sie es verspürt, nur einmal in ihrem ganzen Leben. "Nein," keuchte sie erneut und ihre Finger begannen durch die Hitze zu schmerzen. "Bitte, bitte nicht. Ich kann es ihr nicht antun, ich kann es nicht..." Langsam verlor die Hitze an Intensität, wurde schwächer, bis sie wieder verschwand. Ryan zitterte am ganzen Körper. Ihr Geist war für diese Macht noch zu schwach, konnte sie noch nicht kontrollieren. Sie löste den Druck um den Anhänger. Kalt war er plötzlich, so kalt wie Eis... Ihre Augen begannen zu glühen, und ihr Körper erholte sich wieder. Vorsichtig öffnete sie ihre Hand, die noch immer zu einer Faust geballt war. "Warum?" fragte sie sich selbst. "Warum? Ich kann es nicht, es geht nicht." Der Anhänger leuchtete in ihrer Handfläche, doch er blieb kalt. Sacht strich Ryan mit ihrem Zeigefinger über die kleinen Vertiefungen. Zeichen, Inschriften, doch sie wußte nicht, was sie zu bedeuten hatten. Sie kannte diese Sprache nicht. Der kleine Stein leuchtete wie ein gefallener Stern. Seufzend fuhr sich Ryan über ihre Augen. Er hatte sie gerufen, mit ihr gesprochen, sie kannte diese Macht, welche von ihm ausging, doch nicht all zu oft trat er auf diese Weise mit ihr in Verbindung. Normalerweise versteckte sie ihn, als wäre er etwas kostbares, sie wußte nicht, welche Bedeutung er hatte, welche Macht, doch er war ihr auf eine seltsame Art und Weise heilig. "Warum hast du das getan?" dachte sie und starrte den Stein in ihrer Handfläche zornig an. "Ich kann es nicht...Gefahr...ich würde sie in Gefahr bringen...du weißt das." "Mit wem redest du?" Abrupt ließ Ryan den Stein wieder unter ihrem Hemd verschwinden und sah Ayesha irritiert an. "Du bist ja wach," sagte sie und versuchte zu lächeln. "Ja, mit wem hast du geredet?" fragte Ayesha erneut und wischte sich den Schlaf aus den Augen. Ryan sah sie abschätzend an, ihr war nicht bewußt gewesen, dass sie ihren Gedanken laut ausgesprochen hatte. "Ich habe nur laut gedacht," sagte sie leise. "Es war nichts, keine Sorge, Ayesha." Ayesha runzelte ihre Stirn, klemmte sich ihre Hand unter ihre Wange und sah Ryan an. "Sie sieht schlecht aus," entschied sie, und ihr Blick verwandelte sich in Mitgefühl. "Hast du schlecht geträumt?" Ein verunsichertes Lächeln huschte über Ryans Gesicht, und sie nickte leicht. "Ja, habe ich," bekannte sie und wurde unter dem Blick Ayeshas unruhig. "Von was hast du geträumt?" "Ist das wichtig?" gab Ryan die Frage zurück und Ayesha schüttelte ihren Kopf. "Nein, ich kann es mir denken, du hast sehr unruhig geschlafen, ich habe es gespürt. Einige Male hast du Resas Namen geflüstert. Du hast von ihr geträumt nicht wahr?" Ryan setzte sich ein wenig auf, doch ihre Augen waren immer noch auf Ayesha gerichtet. Ayesha erwiderte diesen festen Blick, und Ryan wand ihre Augen dem Himmel zu. Dunstige Schwaden von Wolken zogen über den blauen Himmel, die Sonne leuchtete kraftvoll, es könnte so ein schöner Tag sein... "Ich glaube," sagte Ryan nach einer kurzen Weile. "Es ist unwichtig wovon ich geträumt habe. Ich träume jede Nacht von ihnen, dass ist die Strafe, welche Feron sich für mich ausgedacht hat. Ihre Geister quälen mich..." Ryans Stimme schwankte und brach ab. Ihre Kehle fühlte sich trocken an, sie wußte, sie hatte bereits zuviel geredet letzte Nacht. Sie schluckte hart, versuchte dieses Gefühl in sich los zu werden, dieses Gefühl, dass jede ihrer Bewegungen beobachtet wurde. Plötzlich fühlte sie etwas, verdutzt blickte sie auf ihre Hand hinab. "Du brauchst mir das nicht zu erklären," sagte Ayesha und umschloß Ryans Hand mit der ihren. "Ich verstehe das auch so...du brauchst mir das nicht zu erklären." "Ich hatte nicht vor dir das zu erklären," sagte Ryan und löste die Berührung Ayeshas, indem sie ihre Hand wegzog. Verwundert musterte Ayesha Ryan, was war nur los mit ihr? Plötzlich war sie wieder so fremd, so unnahbar, so kalt, sie schüttelte ihren vom Schlaf zerzausten Kopf, doch ihr Blick ließ Ryan nicht los. "Was will sie nur?" fragte sich Ryan, sie spürte Ayeshas Blick auf sich, doch sie wollte sie jetzt nicht ansehen, sie konnte nicht, sie fürchtete sich vor dem, was sie in ihren Augen vielleicht erkennen würde, und, auch wenn sie es sich nicht selbst eingestehen wollte, auch vor dem, was Ayesha erkennen könnte... Kurz schlossen sich Ryans Augen und sie versuchte ruhig durchzuatmen, der Stein an ihrer Kette begann von neuem eine Wärme auszustrahlen. Doch dieses mal war ihr Geist dagegen gefeit... Ein leises Knacken ließ Ryan ihre Augen wieder öffnen. Sie lächelte warm, als sie Loba erblickte, die vor ihr stand, und gähnte. "Na, altes Mädchen," sagte sie liebevoll und drückte die Wölfin an sich. Loba musterte sie, und Ryan erkannte, auch der Blick des Tieres war noch immer geprägt von Trauer. "Ja," dachte sie und küßte Loba sacht. "Ich vermisse ihn auch, wir sind jetzt alleine mein Mädchen, er kommt nicht mehr wieder...wir sind alleine..." Loba gab ein seltsames Geräusch von sich, fast so, als habe sie Ryans Gedanken verstanden. Ryan nickte ihr leicht zu, und erhob sich. "Wir müssen weiter," sagte sie knapp und begann ihre Sachen zu verstauen. Ayesha sah ihr dabei nachdenklich zu. "Sie ist nervös," dachte sie. "Warum bist du so nervös? Ist es wegen letzter Nacht? Habe ich etwas falsch gemacht? Mache ich dich so nervös?" Langsam erhob sie sich, sie fühlte, dass ihr Körper noch nicht bereit war aufzubrechen. Sie hatte wenig geschlafen in der letzten Nacht, zuviel hatte sie erfahren, über zuviel hatte sie noch nachdenken müssen, zuviel ließ sie einfach nicht los... Vorsichtig begann auch Ayesha ihre Sachen zu verstauen, immer wieder sah sie zu Ryan hinüber, die Widos Habe betrachtete. Ayesha wußte, dass sie in diesem Augenblick mit den Tränen kämpfte. Fest preßte sie ihre Lippen aufeinander, sie wußte, nun war nicht der Zeitpunkt etwas zusagen. "Jetzt trägst du wieder deine Maske," dachte sie traurig. "Warum tust du das? Ich dachte, ich hätte endlich hinter sie schauen dürfen...warum verschließt du dich nun schon wieder vor mir? Warum?" Fest krallten sich Ryans Finger in den Stoff. Jede Faser roch noch nach Wido... Sie blähte ihre Nasenflügel, sein Duft, hastig stopfte sie den Mantel in ihren Beutel. Sie fühlte, wie Tränen versuchten in ihr aufzusteigen, doch sie kämpfte sie nieder. Sie wollte nicht mehr weinen, sie hatte genug geweint... Mit schnellen und unsicheren Bewegungen verstaute sie den Rest ihres Gepäcks. Kurz blickte sie zu Ayesha hinüber, doch als sie bemerkte, dass sie auch in ihre Richtung blickte, schlug sie die Augen sofort nieder. "Ich kann nicht, ich kann es nicht, verzeih mir," dachte sie. "Ich kann mich dir nicht noch einmal öffnen, es wäre zu gefährlich für dich. Ich...ich will das nicht, verzeih mir. Was tust du nur mit mir?" Zitternd lag die junge Frau auf einer Pritsche...dunkel war es um sie, und der kleine Raum roch nach verfaultem Stroh... Nur vereinzelt brachen die Sonnenstrahlen durch das vergitterte Fenster, sie konnte nur erahnen wie spät es sein mochte. Mittag? Oder schon später Nachmittag? Sie wußte es nicht, sie hatte jedes Gefühl für Zeit eingebüßt. Vorsichtig versuchte sie sich zu bewegen, doch das Klirren der Ketten ließ sie inne halten, was wollten sie nur von ihr? Was hatten sie noch mit ihr vor? Hatten sie ihr nicht schon genug angetan? Nicht nur ihren Körper hatten sie geschunden, sondern auch ihre Seele...so viele Male... "Ich hatte mir doch geschworen, dass so etwas nie wieder passieren sollte...Warum? Warum?" schrien ihre Gedanken so laut, dass ihr Kopf zu dröhnen begann. Angst ließ ihren Körper erschaudern, und sie begann leise zu schluchzen. "Warum hilfst du mir nicht? Hast du meinen Schrei nicht gehört? Du hättest ihn hören müssen, du hast es bis jetzt immer gespürt... Warum hilfst du mir nicht?" Tränen stahlen sich auf ihre Wangen, und tropften auf ihre gefesselten Hände. Sie weinte, klagte ihr Leid über diese grausame Fügung, dass man ihr zum zweiten Mal ihr Leben gestohlen hatte, es ein weiteres Mal zerstört hatte... Warum? Warum mußte diese Welt so grausam sein? Die schweren Ketten scheuerten die Haut ihrer Handgelenken wund, sie fühlte wie warmes Blut sich unter dem kalten Metall zu sammeln begann. Rot tropfte es auf das Holz der Pritsche... Leicht hob sie ihren Kopf an, versuchte einen Blick aus dem Fenster zu erhaschen, doch die Ketten hinderten sie daran, drückten sie wieder zurück. Verzweiflung ließ ihren Körper zusammen sacken, machte ihn unfähig sich zu bewegen. Warum sollte sie das auch tun? Es war sowieso sinnlos... Schreie drangen durch die schwere Eichentür in ihren kleinen Raum. Gequälte, gellende Schreie. Fest preßte sie sich ihre Hände auf die Ohren, versuchte diese Laute nicht wahrzunehmen, doch es war vergebens. Sie hallten durch ihr Bewußtsein, ebenso, wie sie auf dem dunklen Gang außerhalb hallten. So, wie auch sie vor wenigen Tagen geschrien hatte, als man sie hier her gebracht hatte. Ja, sie hatte geschrien, so laut wie noch nie zuvor in ihrem Leben, sie hatte Angst gehabt, nicht verstanden, warum sie all dies erdulden mußte. Sie wußte es immer noch nicht, und die Angst war jeden Tag größer geworden. Wie ein dunkler Schatten stand sie hinter ihr, hielt sie mit ihren kalten Armen fest, verschlang sie mit ihrem eisigen Atem. "Hilfe," wisperte sie und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen... Schritte hallten auf dem Boden wieder, augenblicklich hob die junge Frau ihren Kopf, wischte sich die Tränen fort. Wenn diese Männer sie schon quälten, so wollte sie nicht, dass sie sich auch noch an ihrem Schmerz ergötzen konnten. Sie hörte, wie ein Schlüssel in das Schloß gesteckt wurde, und die Tür öffnete sich knirschend. Das Licht von Fackeln ergoß sich in den Raum, und ihr Körper spannte sich. Ein Mann tauchte in der offenen Tür auf, hinter ihm konnte sie erkennen, dass zwei weitere vor der Tür warteten. Er kam näher, seine Stiefel knirschten auf dem Boden. Sein Blick schweifte über ihren Körper... Der Blick war ausdruckslos, doch so war er schon einmal gewesen. Langsam ging er vor ihr auf und ab, er schien keine Eile zu haben. Jede seiner Bewegungen verfolgte sie, ihre Hände ballten sich zu Fäusten, Haß stieg in ihr auf, ein nie gekannter Haß. Abrupt blieb er stehen und starrte sie an, sie erwiderte seinen Blick und preßte ihre Lippen aufeinander. "Wir zwei werden uns jetzt ein wenig unterhalten," sagte er und seine Stimme hatte einen eigenartigen Tonfall. "Ich werde euch nichts sagen. Nichts, hört ihr? Nichts," schrie sie und spuckte ihm vor seine Füße. Doch, zu ihrer Verwunderung, blieb er gelassen. "Oh doch," sagte er und kam näher. Sie erschrak über die Kälte in seinen Augen. "Das werden wir, oder willst du, dass wir dir wieder weh tun?" Fest preßte sie ihre Knie zusammen, Wut brodelte in ihr auf, doch sie wußte, sie war machtlos. Er lachte laut und schüttelte seinen Kopf. "Dummes Mädchen," sagte er und strich ihr durchs Haar. Angewidert ließ sie diese Berührung über sich ergehen, sie stellte sich vor, dass andere, geliebte Hände dies taten, doch auch diese Vorstellung milderte ihre Übelkeit nicht. Sie wußte, so würden sie niemals diese Hände berühren, an welche sie in diesem Augenblick dachte. "Ich werde nichts sagen, egal was ihr von mir wollt, ich werde nichts sagen," stieß sie hervor und sah, wie sich um den vernarbten Mund des Mannes ein Lächeln bildete. "Wie du willst," sagte er und trat ein Stück zur Seite. Er nickte den beiden Männern, die immer noch an der Tür warteten, zu. "Ich werde alles erfahren," sagte er und schüttelte seinen Kopf. "Warum macht ihr es euch alle nur so schwer?" Die Worte des Mannes drangen kaum noch zu der junge Frau durch, ihr Blick war starr auf die beiden Männer gerichtet, die nun ganz nah bei ihr waren. Hände berührten sie, Gelächter schallte durch den Raum, feuchte Lippen streiften ihre Wange... Sie wußte, was nun folgen würde, ihr Körper spannte sich ein weiteres Mal, bis sie glaubte, dass sie zerbrechen würde. Doch, war sie nicht schon bereits zerbrochen worden? Diese Splitter marterten ihr Fleisch, ließen ihre Seele bluten... Tränen brannten auf ihren Lippen... Langsam verließ ihr Geist ihren Körper, schaute aus einiger Entfernung der Qual unter sich zu, als wäre er unbeteiligt. Lautlos flossen erneut Tränen, glitzerten kurz im schwachen Licht auf, bis sie unsichtbar wurden, unsichtbar im Schatten aus Schmerz und Pein... Stille umgab Ayesha, eine grausame kalte Stille, schon den ganzen Tag über hielt sie Ayesha in ihren Klauen. Sie war nicht fähig zu sprechen, mit wem auch? Wenn doch von Ryan diese Stille ausging, beharrlich schwieg sie, war völlig in sich gekehrt, als wollte sie jeden Kontakt zu ihr vermeiden. Über was mochte sie nur nachdenken? Ihr Gesicht war ausdruckslos, dachte sie an Wido, an Kaltar oder an Teleri? Ayesha wußte es nicht, man konnte nicht in Ryans Augen lesen, sie waren so wie immer. Unnahbar und Kalt. "Warum tust du das," fragte sich Ayesha, diese Frage hatte sie sich schon so viele Male an diesem Tag gestellt. "Warum stößt du mich jetzt von dir? Was habe ich dir getan?" Traurig senkte Ayesha ihren Blick, sie ertrug es nicht Ryan noch länger anzusehen. Gestern Nacht war sie ihr so nahe gewesen, so nahe, wie noch niemandem in ihrem Leben... Zum erstenmal hatte sie fremde Arme um sich gefühlt, zum erstenmal hatte sie geglaubt, dass Ryan sich ihr geöffnet hatte. Nun war von all diesen Empfindungen nichts mehr übrig. Die Nacht war vorbei und der Tag war da. Erneut trug sie ihre Maske. Erneut ging sie auf Distanz. Sie war solch ein schwieriger Mensch... Insgeheim fragte sie Ayesha, wie Teleri Ryan lieben konnte. Wie kann man einen Menschen lieben, den man nicht fassen kann? Einen Menschen mit so vielen Gesichtern, einen Menschen der sich quält und selbst zerstört. Einen Menschen der nicht glaubt, dass er es verdiene geliebt zu werden? Da waren sie wieder. Fragen, so viele Fragen. Ayesha seufzte und blickte zu Loba hinunter, die sich zu ihren Füßen zusammen gerollt hatte. Ihr Kopf ruhte auf ihrem Knie und ihre Augen blickten Ayesha nachdenklich an. "Meine Loba spürt wenn sich Menschen sorgen." Ayesha erinnerte sich an die Worte Widos. Sie lächelte die Wölfin an, und streichelte ihr kurz über ihr Fell. "Ich weiß, dass du meine Sorgen spürst," dachte sie und strich sich einige Haarsträhnen hinter ihr Ohr. "Aber, du kannst mir nicht helfen. Du bist nur ein Tier..." Der Blick der Wölfin schien sich zu verfinstern. Plötzlich erhob sie sich und die Haare auf ihrer Schnauze kräuselten sich leicht. Erschrocken beobachtete Ayesha die Veränderung in Lobas Augen. Nein, dass konnte nicht sein, sie konnte ihre Gedanken nicht verstanden haben. Loba knurrte leise, doch es klang nicht bedrohlich. Sie drehte ihren Kopf, und blickte zu Ryan hinüber, die ein wenig abseits saß und gedankenverloren über die Hügel blickte. Durchdringend blickten Lobas Augen in die von Ayesha, und sie schien leicht in die Richtung zu nicken, in welcher Ryan saß. "Nein," sagte Ayesha und schüttelte ihren Kopf. "Ich werde bestimmt nicht zu ihr gehen, ich habe auch meinen Stolz." Loba knurrte leise als Antwort. Warum mußten diese Menschen immer so schwierig sein? Sie waren so stolz, so seltsam, immer nur dachten sie dran, dass es schaden könnte einmal nicht auf ihren Kopf zuhören. Auf einmal schnappte Loba zu, ihre Zähne gruben sich tief in Ayeshas Ärmel ein. "Was soll das jetzt?" fragte Ayesha ärgerlich und versuchte sich zu befreien, doch Loba ließ nicht los. Sie zog sie fest sie konnte, ihre Hinterbeine rutschten leicht, doch sie zog noch fester, bis Ayesha auf ihren Füßen stand. "Laß los Loba," zischte Ayesha, doch Loba reagierte nicht. Immer weiter zog sie das Mädchen mit sich. Mit all ihrer Kraft versuchte Ayesha sich zu wehren, sie spürte, dass auch ihre Füße zu rutschen begannen... "Verdammt Loba, was willst du?" fragte sie, und ließ sich von der Wölfin weiter ziehen. Man konnte die Anstrengung dem Tier deutlich ansehen, doch sie gab nicht auf, irgendetwas schien sie voran zu treiben, immer weiter, und Ayeshas Widerstand brach mit jedem Schritt. Sie wußte wohin Loba sie bringen wollte, zu wem die Wölfin sie trieb... Nachdenklich starrte Ryan in den Himmel, sie fühlte sich seltsam. Sie wußte nicht woher dieses Gefühl herrührte, doch es war ganz nahe bei ihr. Sie seufzte leise, irgendwann an diesem Tag hatte sie es gespürt, irgendwo litt ein Mensch... Sie wußte nicht wer, doch sie hatte diesen Schmerz und diese Angst ganz deutlich wahrnehmen können. Es hatte ihr die Luft abgeschnürt, so stark war diese Empfindung gewesen. Noch dazu dachte sie an den heutigen Morgen. "Was wolltest du mir nur sagen?" dachte sie und ihre Hand umschloß den kleinen Stein an ihrer Kette. "Warum quälst auch du mich jetzt?" Sie löste ihren Griff, und ließ ihren Kopf hängen. Warum mußte alles immer so kompliziert sein? Warum konnte nicht einmal alles einfach glatt laufen? Warum mußte sie sich selbst immer in Schwierigkeiten bringen? "Nein," flüsterte sie und der Stein verschwand wieder unter ihrem Hemd. "Dieses Mal werde ich nicht auf dich hören, ich habe es schon einmal getan, und dieser Mensch hat bis jetzt nur wegen mir gelitten. Ich werde ihr nicht das gleiche Schicksal bereiten, dieses Mal nicht." Ein Geräusch ließ sie aus ihren Gedanken aufschrecken, sie hob den Kopf und blickte in die Augen Ayeshas. "Was willst du?" fragte sie unwirsch, und ihr nahm den Blick wieder von ihr. "Ich wollte nicht zu dir kommen," sagte Ayesha trotzig. Ihr Gesicht verfinsterte sich. "Loba hat mich hier her geschleift." Ryan blickte zu der schwarzen Wölfin hinüber, die hechelnd vor ihr saß. "Warum machst du es uns nur so schwer Mädchen?" dachte sie und sah, wie Loba ihren Kopf schief legte. "Mach ich das?" schienen ihre Augen zu fragen. "Ich dachte, du wolltest sie bei dir haben?" "Das will ich ja auch, nein, dass will ich eben nicht," flüsterte sie barsch. "Was hast du eben gesagt?" fragte Ayesha, sie war sich unschlüssig, ob sie gehen oder bleiben sollte. "Ich habe nur laut gedacht," erwiderte Ryan und stützte ihr Kinn in ihre Handflächen. "Warum verschließt du dich wieder vor mir?" Diese Frage traf Ryan wie ein Schlag, unvorbereitet, was sollte sie darauf jetzt sagen? "Ich verschließe mich nicht vor dir," sagte sie leise, doch sie konnte Ayesha immer noch nicht anblicken. "Oh doch, dass tust du," beharrte Ayesha und der Zorn in ihrer Stimme war sehr deutlich zu vernehmen. "Schon den ganzen Tag behandelst du mich als wäre ich Luft. Du redest nicht mehr mit mir, ich will nur wissen, ob ich irgend etwas falsch gemacht habe..." "Du," dachte Ryan traurig. "Nein, du hast nichts falsch gemacht, im Gegenteil..." Nervös fuhr sich Ryan durch ihre Haare, was sollte sie ihr nur sagen? "Du bist nicht der einzige Mensch der Fehler gemacht hat, du bist nicht der einzige Mensch der jemanden verloren hat, du bist nicht der einzige Mensch der alleine ist," sprudelte es aus Ayesha heraus, und Ryan musterte sie abschätzend. "Was weißt du schon," sagte sie und schüttelte ihren Kopf. "Auf dich wartet jemand. Dein Vater, er liebt dich bestimmt. Das Dorf, bestimmt hast du viele Freunde dort, und ich bin mir ganz sicher, dass deine Mutter dich auch liebt..." Plötzlich zuckte Ayesha zusammen, Ryan sah, wie ihre Augen einen merkwürdigen Ausdruck bekamen. "Meine Mutter ist tot," sagte Ayesha, und ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. "Was?" fragte Ryan und sah sie entgeistert an. "Das wußte ich nicht," versuchte sie sich zu entschuldigen. "Woher solltest du das auch wissen?" entgegnete Ayesha. "Ich habe es dir schließlich nie erzählt." Ihre Stimme hatten einen kalten Tonfall bekommen, und Ryan erkannte, was sie eben in diesem Augenblick gesagt hatte... "Du glaubst wirklich, dass du der einzige Mensch bist der leidet, oder?" fragte Ayesha und sie ballte ihre Hände zu Fäusten. "Auch meine Mutter wurde mir genommen, ich hatte nicht einmal die Chance sie kennenzulernen. Kurz nach meiner Geburt kamen die Wölfe, und nahmen sie mir weg. Man hat sie ermordet, was weißt du schon über mich? Nichts. Du weißt nicht, was es heißt, wenn man keine eigenen Entscheidungen treffen darf. Wenn alles für einen bestimmt wird, du weißt nichts davon... Du weißt nicht, wie es mir geht..." kurz hielt Ayesha inne, ihre Stimme zitterte, und sie versuchte sich wieder unter Kontrolle zu bringen. "Du glaubst, dass das Leben nur dich straft. Du glaubst, dass du dich durch deine Kälte schützen kannst, du stößt jeden weg. Du verdammst dich selbst zur Einsamkeit, du quälst dich selbst... Du hast den Blick dafür verloren, wie es Menschen um dich herum geht, du siehst nur dich..." Niedergeschlagen ließ Ayesha ihre Schultern hängen, ihr Atem preßte sich zischend durch ihre Zähne hindurch, vorsichtig wich sie einige Schritte zurück...wollte fort rennen, fort von diesem Platz, fort von dem Menschen, der vor ihr saß, und sie entgeistert anstarrte. Ryan sah fassungslos zu, wie Ayesha Schritt um Schritt vor ihr zurückwich, fast so, als wolle sie vor ihr davon laufen. Sie wollte fort,fort von ihr... "Nein," dachte sie und sprang auf, umklammerte Ayeshas Handgelenk so fest sie konnte. "Ryan," rief Ayesha und versuchte den Griff um ihr Handgelenk zu lösen. "Geh nicht," flüsterte Ryan. "Bitte, bitte, geh nicht. Laß mich nicht alleine, bitte...," ihre Stimme verwandelte sich in ein Schluchzen, und plötzlich fand sich Ayesha in ihren Armen wieder. Fest drückte Ryan sie an sich. "Bitte, bitte, geh nicht fort." Fest umklammerte Ryan Ayesha, versuchte sie festzuhalten. Sie konnte nicht fortgehen, nicht jetzt. "Ayesha," raunte Ryan in ihr Ohr. "Bitte, es, es tut mir leid. Ich weiß, ich kann widerlich sein, es tut mir leid... Bitte, bitte bleib, bitte..." "Ich hatte nie vor wegzugehen," sagte Ayesha und schlang nun ebenfalls ihre Arme um Ryans Körper. "Ich könnte es doch auch nicht, wie sollte ich wieder nach Hause kommen?" Ein leichtes Lächeln umspielte Ryans Lippen, und sie löste ihre Umarmung ein wenig. Sie spürte, wie der Stein über ihrem Herzen von neuem begann ihren Körper mit Wärme zu überschütten... Sie fühlte, wie ihre Haut zu kribbeln begann, und sie sah Ayesha in ihre Augen. Was sah sie darin? Sie konnte es nicht richtig deuten, Wärme, Licht, Zuneigung. Konnte das sein? Konnte es sein, dass sich in ihren Augen Zuneigung zu sammeln begann? Sanft hob Ayesha das Kinn Ryans an, und lächelte sie an. "Ich kann doch gar nicht fortgehen," sagte sie und strich ihr flüchtig über ihre Wange. "Ich will doch überhaupt nicht fortgehen, ich weiß nicht warum, aber, ich will es nicht..." Ryan lächelte und nahm das Mädchen erneut fest in ihre Arme. "Verzeih mir," sagte sie und streichelte ihr kurz über ihr Haar. "Ich bin kein einfacher Mensch, ich wußte nicht, was ich nach gestern sagen sollte, was ich tun sollte, was ich...," Ayesha legte ihr einen Finger auf die Lippen, und brachte sie auf diese Weise zum schweigen. "Du sollst überhaupt nichts tun," sagte sie, und ihre Stimme klang bei diesen Worten sehr ernst. "Alles was du tun solltest, ist dich zu öffnen. Laß dir helfen, du kannst diese Schuld nicht alleine tragen, laß dir helfen, laß dir von mir helfen..." Ryan legte ihren Kopf schief, musterte Ayesha und schlug kurz ihre Augen nieder. "Ich will dich nicht in Gefahr bringen, verstehst du das nicht?" fragte sie leise. "Du hast doch gesehen was passieren könnte, ich will nicht, dass dir etwas passiert..." "Ich würde es freiwillig tun," sagte Ayesha, auch wenn ihr nicht bewußt war, was sie da eben ausgesprochen hatte. Es war ein Wunsch gewesen, ein Wunsch, der sie schon so lange plagte... "Ich weiß aber nicht, wie du das könntest," erwiderte Ryan und ließ erneut ihren Kopf hängen. "Das," sagte Ayesha und umarmte sie noch fester als zuvor. "Das, wird die Zeit zeigen, laß es einfach einmal geschehen, laß es einfach einmal zu, dass jemand hinter deine Maske schauen darf. Laß mich dein wahres Gesicht sehen." Kaum merklich nickte Ryan und zog das Mädchen ebenfalls in ihre Arme, hielt sie fest, roch den Geruch ihres Haares, fühlte ihre Haut unter ihren Fingern. Spürte die Wärme des anderen Körpers, spürte, wie sich in ihr etwas öffnete... Ja, sie wollte ihr vertrauen. Wollte ihr zeigen, wie sie wirklich war. Wollte, dass sie erkannte, dass sie anders sein konnte, als sie vielleicht glaubte. Ryan lächelte, der Stein versprühte seine Wärme, vertrieb diese Starre aus ihren Glieder. Durchflutete ihren Körper mit einem wohligen Gefühl. Licht schien ihre Adern zu durchfließen, als wäre ihr Blut Feuer. Dann fühlte sie plötzlich ein brennen auf ihrer Haut, irritiert öffnete sie ihre Augen, noch immer spürte sie die Lippen Ayeshas, welche ihre Wange gestreift hatten. "Wir müssen weiter," sagte sie und löste sich aus der Umarmung. "Ja, dass sollten wir," sagte Ryan, und sah Ayesha nach, wie sie sich langsam von ihr entfernte, um ihr Gepäck zu holen. "Was tust du mit mir?" dachte Ryan, und ihre Finger berührten die Stelle, an welche ihre Haut noch immer zu brennen schien. Sie fühlte etwas in sich. Wärme? Glück? Freude? Es war etwas, wonach sie sich so gesehnt hatte, sie spürte in diesem Augenblick nur ein Licht in sich. Ein warmes, wohliges Licht, dass die Schatten aus ihrem Kopf zurückdrängte, sie verscheuchten. Ja, in diesem Moment fühlte sie Wärme... "Du wirst mich kennenlernen," dachte sie und lächelte Ayesha an. "Ich werde dir vertrauen, ich werde dir zeigen, wie ich wirklich bin, aber, weiß ich das eigentlich? Weiß ich, wer ich wirklich bin, welches der vielen Gesichter ist mein eigenes? Zu lange habe ich mich versteckt, habe versucht in der Einsamkeit Erlösung zu finden... Es wird Zeit... Zeit, dass ich mich im Licht betrachte, erkenne, wer ich bin..." Nachwort: So, nächstes Kapitel fertig. Ich weiß ja auch nicht, aber dieses mal ist es echt kitschig ^^. Tja, ich hoffe, er tropft unten nicht schon raus...Die Überschrift sollte sich irgendwie im Kapitel widerspiegeln...Ach, ich weiß auch nicht, was mich da geritten hatte!!! Ich hoffe, das Kapitel hat denjenigen, die es gelesen haben gefallen. Ich habe mir etwas Zeit damit gelassen, weil ich auch noch eine andere FF zu ende bringen möchte...Nun, ich sag DANKE für das Lesen, und wer die junge Frau ist, tja, ratet doch mal ^^. Dann grüße ich an dieser Stelle noch mal Igel, das nächste mal geht es wirklich "hoch her" *gg*. Also, bis zum nächsten Teil!!! Adios seen Kapitel 11: Ein Vogel beginnt zu fliegen ---------------------------------------- Ein Vogel beginnt zu fliegen "Ryan..." deutlich drang diese Stimme in ihr Bewußtsein. Sie kannte diese Stimme, sie war zärtlich, doch auf eine merkwürdige Art und Weise schien sie auch mit Schmerz angefüllt zu sein. "Ryan...hilf mir...bitte.." Schwerfällig öffnete Ryan ihre Augen. Graue Nebelschwaden hüllten sie ein, trübten die Sicht bis auf wenige Meter. Falles Licht ließ den Nebel aufleuchten, ein unnatürliches, gespenstisches Leuchten. Argwöhnisch schüttelte Ryan ihren Kopf. Wo war sie? Was sollte dieses ganze Schauspiel bedeuten. Sie fühlte, wie sich die feinen Haare in ihrem Nacken aufstellten, ein kalter Windstoß durchdrang ihr Gewand, und sie begann zu zittern. Probeweise ging sie einige Schritte vorwärts, ihre Füße schienen kaum den Boden zu berühren, sie war sich nun sicher, dass sie in einem ihrer Träume gefangen war. Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an das groteske Licht, doch sie konnte nichts sehen. Nur graue Schwaden von Nebel, welche sie umschlossen, sie in sich aufnahmen. Sie fühlte seine Feuchtigkeit auf ihrer Haut. "Ryan..." da war wieder diese Stimme, dieses mal jedoch lauter als zuvor. Den Schmerz, welchen Ryan deutlich wahrnehmen konnte, schnitt ihr tief in ihr Fleisch. Vorsichtig bannte sie sich ihren Weg, sie wußte nicht, was sie da tat, und aus welchem Grund sie dieser Stimme folgte. Plötzlich teilte sich der Nebel vor ihr, gab für einen kurzen Moment die Sicht auf etwas frei, vor ihr saß jemand. Zusammen gesunken, die Hände über das Gesicht gelegt, als wolle sie sich vor etwas schützen. Ryans Herz begann unregelmäßig zu schlagen, ihr Blut pochte ihr heftig gegen ihre Schläfen... Sie konnte nicht glauben, was ihre Augen erblickten. Warum mußten sie ihre Träume immer so quälen. "Teleri?" fragte sie leise und kam noch einige Schritte näher. "Bleib stehen," die Stimme klang scharf und bestimmt, und Ryan hielt inne, blieb wo sie war. "Teleri?" fragte sie ein weiteres mal. Die Gestalt nahm ihre Hände vom Gesicht, traurige Augen blickten Ryan an, schmerzvoll waren die Gesichtszüge verzerrt. "Teleri," sagte Ryan und lächelte. "Warum hilfst du mir nicht?" fragte sie und sah sie aus traurigen Augen an. "Bist du schon soweit von mir entfernt, dass du mich nicht mehr spüren kannst?" Ryan öffnete ihren Mund, doch die Worte blieben aus, sie wußte nicht was die darauf sagen sollte. "Fühlst du nicht, dass ich leide?" fragte Teleri und ihre Stimme verwandelte sich in ein hilfloses Schluchzen. "Hilf mir...bitte...so hilf mir doch, ich kann nicht mehr...ich kann nicht mehr..." Ihre Augen begannen glasig zu werden, Tränen sammelten sich in ihnen... Ryan stockte der Atem, als sie die Tränen Teleris sah. Rot waren sie, Rot wie Blut, sacht glitten sie an ihren Wangen hinab, und tropften auf ihr weißes Gewand. "Hilf mir," sagte Teleri mit Tränen erstickter Stimme. "Bitte...es tut so weh...so weh..." Langsam begann ihr Körper sich aufzulösen, wurde mit jedem Augenblick der verstrich durchsichtiger. "Nein," schrie Ryan und rannte auf sie zu. "Teleri, nein, was ist nur los? Sag mir doch was passiert ist. Wo bist du?" Die Gestalt vor ihr war kaum mehr zu erkennen, unter ihren Tränen stahl sich ein Lächeln auf Teleris Lippen. "Du bist schon zu weit weg...ich wußte es...habe ich dich verloren? Ich wußte, ich kann dich nicht halten...glaub mir, wir sehen uns wieder...es tut so weh...so weh..." Mit diesen Worten löste sie sich vor Ryans Augen auf. Ein Windstoß verteilte den Nebel, wie eine feste Mauer schloß er sich um sie. "Teleri," schrie Ryan so laut sie konnte, doch ihre Stimme wurde vom Nebel verschluckt... "Teleri...nein...nein," schluchzte Ryan und sank auf ihre Knie. Plötzlich durchzuckte ein höhnisches, kaltes Lachen die Stille. "Nein," schrie sie erneut so laut sie konnte, und sank in sich zusammen... Heftig atmend erwachte Ryan, ihr Herz schlug wild gegen ihren Brutkorb. Ihr Atem entwich zischend ihrer Kehle. Sie preßte ihre Hände fest gegen ihren Kopf, was war das für ein Traum gewesen? "Es war nur ein Traum, nur ein Traum," flüsterte sie leise, jedoch wich diese Anspannung in ihr nicht. Sie wußte genau, Träume kamen zu Menschen nicht ohne einen Grund. Sie waren Spiegel. Spiegel zu Sorgen, Ängsten oder auch Wünschen. "Teleri," Ryan atmete tief durch, und blickte hinauf in den gestirnten Himmel. "Was ist nur los? Warum besuchst du mich so oft in meinen Träumen? Ich vermisse dich, ich vermisse dich so sehr." Schlaftrunken wischte sich Ryan über ihre Augen, über ihr blitzten die Sterne, der Mond stand als schmale Sichel am Firmament und spendete nur wenig Licht. Sie seufzte leise und setzte sich auf... "Ich vermisse dich," dachte Ryan erneut und schlang ihre Arme um die Knie. Vor ihrem geistigen Auge entstand das Bild Teleris, sie sah ihre wunderschönen Augen, sie glaubte ihre Wärme zu fühlen, sie lächelte versonnen, doch dann verschwand dieses Trugbild so schnell wie es auch gekommen war... Kalt wurde es, und Ryan begann zu frösteln. Ja, sie vermißte sie wirklich, aber warum kamen all diese Gefühle erst jetzt zum Vorschein? Früher hatte sie auf ihren Reisen kaum einen Gedanken an sie verschwendet. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, dass, sobald sie zurückkehrte jemand auf sie warten würde. Das sie in eine Art zu Hause zurückkehren konnte, dieses Gefühl war seit einigen Tagen verschwunden... Teleri fehlte ihr, doch nicht auf die gleiche Art und Weise wie es vielleicht früher einmal der Fall gewesen war. Nachdenklich ließ Ryan ihren Blick über ihr Lager schweifen, ihr Blick blieb an Ayesha hängen, die friedlich schlief und einen Arm um den Körper Lobas gelegt hatte. Ryan lächelte bei diesem Anblick. Sie waren dem Katzenstein sehr nahe, es würde nicht mehr lange dauern bis sie das Dorf Ayeshas erreichen würden. Bald würden sie sich trennen, dieser Gedanke versetzte Ryan einen kleinen Stich. Sie hatte sich an die Gesellschaft des Mädchens gewöhnt, sie auf ihre Weise sogar lieb gewonnen... Sie fürchtete sich vor dem Abschied. "Es ist besser so," rief sich Ryan in ihr Gedächtnis. "Es ist besser so für sie und auch für mich, aber ich will es nicht, ich will nicht das sie geht. Verdammt, was denke ich da eigentlich?" Nervös fuhr sich Ryan durch ihre Haare und atmete geräuschvoll aus. Was war nur mit ihr los? Sie konnte das alles nicht verstehen. Seufzend ließ sich Ryan auf ihr Lager zurück sinken, und streckte eine Hand aus um Loba zu streicheln. Die Nähe der Wölfin hatte sie schon immer beruhigt, ihr Sicherheit gegeben. Sanft strichen ihre Finger über das Fell, bis sie auf menschliche Haut trafen. Augenblicklich hielt Ryan inne, drehte ihren Kopf in Ayeshas Richtung, das Mädchen schlief friedlich. "Ich beneide sie um ihren friedlichen Schlaf," dachte Ryan und drehte sich auf die Seite, betrachtete das Gesicht der Schlafenden aufmerksam. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Gesichtszüge entspannt, ein Lächeln stahl sich auf Ryans Lippen. "Bald," dachte sie und strich Ayesha zart, darauf bedacht sie nicht zu wecken, über ihre Wange. "Bald bist du wieder zu Hause, wirst das alles vergessen, wirst mich vergessen, es ist besser so für dich. Du sollst auch vergessen... Ich wollte nie das du das alles siehst, ich wollte nie, ich wollte dich nie in Gefahr bringen." Das Lächeln auf ihren Lippen erstarb, ihr Gesicht wurde verschlossen. Was dachte sie da nur? Seit wann machte sie sich solche Gedanken und Sorgen um einen anderen Menschen? Was hatte Ayesha nur mit ihr getan? Doch wußte sie nicht ganz genau was Ayesha getan hatte? Hatte sie nicht etwas in ihr berührt? Einen Ort gefunden, welchen Ryan so sorgfältig verschlossen hielt? Ein Gesicht, welches sie sonst niemandem zeigte... Nicht einmal Teleri. Ryan atmete geräuschvoll durch, und ließ ihre Hand auf Ayeshas Wange ruhen. Sie spürte wie sich das Mädchen zaghaft bewegte, doch ihre Augen blieben geschlossen. "Du siehst schön aus wenn du schläfst," flüsterte Ryan und ihre Stimme verband sich mit dem Geräusch des Nachtwindes. Sanft strich er durch das Geäst der Bäume, bräunliche Blätter verloren ihren Halt, sanken sacht von ihm getragen auf die Erde nieder... Die Welt begann sich zu verändern, wechselte ihr Kleid, der Sommer klang lautlos aus. Die Blätter verloren langsam ihre Farbe, wurden Braun und leblos. Ryan fragte sich, ob sie sich ebenso zu verändern begann, hatte sie sich nicht schon bereits verändert? Hatte sie nicht schon bereits ihr Kleid gewechselt? "Ayesha," flüsterte sie leise und ihr Blick fixierte die Schlafende fest. "Ich will nicht das du mich vergißt. Ich will es nicht, ich will nicht, dass du gehst. Aber, warum? Warum will ich es nicht? Warst du es? Hast du mich verändert?" Sanft strich Ryan über die warme Haut, dieses Mädchen. Was hatte es nur an sich, dass sie den Gedanken nur schwer ertrug sie nicht wieder zusehen? Plötzlich fühlte Ryan wie die Gesichtszüge Ayeshas sich verspannten, ihr Mund öffnete sich leicht. Ihr warmer Atem brannte auf ihrem Gesicht... Sie hörte ein leises Wimmern. Sanft wanderte ihre Hand zu den Schulter Ayeshas, streichelte beruhigend über den bebenden Körper. "Von wem träumst du," flüsterte Ryan leise und rückte ein weiteres Stück näher an sie heran, legte ihren Kopf auf den Körper Lobas, sie hörte die ruhigen Atemzüge der Wölfin. "Träumst du von deiner Mutter? Ich glaube, dein Vater hat dir bestimmt viel von ihr erzählt. Sei dankbar dafür...ich weiß nichts von meiner Mutter...ich habe sie nie gekannt. Sie hat für mich weder einen Namen noch ein Gesicht." Unter den sanften Berührungen verschwand die Anspannung welche Ayeshas Körper befallen hatte, sie drängte sich näher an Loba, ihr Gesicht war dem Ryans ganz nahe, kaum noch eine Fingerlänge entfernt. "Schlaf," wisperte Ryan und hauchte ihr einen Kuß auf die Stirn...ihre Lippen streiften die zarte Haut nur kurz, doch sie fühlte wie sich ihre Kehle dabei zusammen zog. "Schlaf, ich passe auf dich auf... Schlaf, ich bin bei dir,dir wird nichts passieren, schlaf und träume süß..." Sanft hüllte Nebel die Felsen ein, ließ sie zu Schatten werden, zu grauen Schatten unter einer fahlen Sonne. Bäume und Sträucher waren so gut wie verschwunden, karg und kalt war es geworden...mit jedem Schritt spürte man die Kälte, fühlte die Feuchtigkeit des Nebels auf der Haut. Zitternd hüllte sich Ayesha in ihren Mantel, doch er wärmte sie nicht. Es war auch nicht die Kälte des Tages welche sie erzittern ließ, es war eine weit subtilere Art von Kälte. Sie kroch aus ihrem Inneren hervor, befiel ihre Glieder, machte jeden Schritt zu einer Qual... Sacht drehte sie ihren Kopf, versuchte einen kurzen Blick auf Ryans Gesicht zu erhaschen. Still lief sie neben ihr, ihre Augen waren dem Boden zugewandt, ihr Körper gespannt, ihre Lippen aufeinander gepreßt. Sie schien nachzudenken, nur über was? Vielleicht über sie? Nein, warum sollte sie? Ayesha nahm ihren Blick wieder von Ryan. Sie wußte, sie war ihrer Heimat ganz nahe, so nahe, dass sie schon fast glaubte sie könnte das Rauschen in den Weiden hören. "Ich kehre zurück, doch die Blumen am See werden bald verschwinden...ich habe es verpaßt," dachte Ayesha und ihr Blick wurde traurig. "Ich hätte dir diesen Anblick gerne gezeigt. Doch, du wirst verschwinden...zu einem Schatten in meinen Erinnerungen werden...warum solltest du dich auch anders verhalten? Wir haben schließlich ein Geschäft...nur ein Geschäft." Nachdenklich schweifte ihr Blick über die Landschaft, ihr war nie aufgefallen wie kalt und trostlos diese wirkte. Wie rau sie war. Warum empfand sie keine Freude mehr an diesem Anblick? Warum fühlte sie sich so seltsam, fast so, als würde sie nicht mehr hier her gehören, als wäre sie nur eine Besucherin. Ihr Vater. Sie vermißte ihn, seine beruhigende Stimme, seine beschützende Hände, doch sie vermißte nicht ihr altes Leben. Ein Leben welches nicht nur von ihrem eigenen Willen abhing, sondern auch von den Bedürfnissen anderer. Ayesha fragte sich schon so lange, ob sie so einfach wieder in ihre alte Rolle schlüpfen konnte... Nein, dass konnte sie nicht mehr. Auch sie hatte sich verändert. Tief in ihr, dass wußte sie, hatte sie sich verändert. "Du bist so schweigsam," die Stimme Ryans riß Ayesha aus ihren Gedanken, und sie hob verstört den Kopf. "Ich denke nur nach," gab sie zurück und strich sich einige Haarsträhnen aus der Stirn. "Und über was denkst du nach?" fragte Ryan und verlangsamte ihr Tempo. "Können wir eine Pause machen? Wir haben doch soviel Zeit wie wir wollen, oder?" Ryan lächelte sanft, ihr war nicht entgangen, dass Ayesha das letzte Stück des Weges schwer fiel. "Natürlich, wie du willst," sagte sie und blieb stehen, lud ihren Gepäck vom Rücken hinunter, und ließ sich auf einen kleinen Felsen sinken. "Und, über was denkst du nach?" fragte Ryan, als sich Ayesha dicht vor ihr nieder gelassen hatte, und Loba nachdenklich hinter ihrem Ohr kraulte. "Über viele Dinge," erwiderte Ayesha. "Ich frage mich schon seit dem wir aufgebrochen sind, wie es sein wird, wenn ich wieder zu Hause bin, wie es sein wird mein altes Leben wieder aufzunehmen nach alle dem was passiert ist. Ich weiß nicht, ob ich das so einfach kann..." "Warum solltest du auch dein altes Leben wieder aufnehmen?" entgegnete Ryan und musterte sie forschend. "Wer erwartet das von dir? Du mußt dich nur fragen, ob es das ist was du wirklich willst. Was würde es für einen Sinn ergeben, wenn du dich einfach wieder in das fügst, was du eigentlich gar nicht willst..." "Und woher weißt du, dass es nicht das ist was ich will?" Ryan lächelte sie geheimnisvoll an und ihre Augen suchten die Ayeshas. "Wenn es das ist was du willst," sagte sie fest. "Warum macht es dir dann Angst, und warum mußt du soviel darüber nachdenken?" Ayeshas Hand krallte sich fest in das Fell der Wölfin, Loba zuckte unter diesem Griff zusammen und betrachtete Ayesha aus großen Augen. "Warum tust du mir weh? Du weißt doch, dass sie recht hat," schienen ihre Augen zusagen, und Ayesha blies nervös die Luft aus ihren Lungen. "Du hast leicht reden," flüsterte sie und Wut kochte in ihr hoch. "Du wirst einfach wieder gehen können, ich nicht. Mein Vater wird sich dir sehr erkenntlich zeigen, deine Belohnung wird sehr hoch sein." "Ich will kein Geld," erwidert Ryan plötzlich und schlug ihre Augen nieder. "Ich werde kein Geld von deinem Vater annehmen." Irritiert starrte Ayesha Ryan an, die ihre Augen nieder geschlagen hatte und still vor ihr saß. "Aber, dass war doch der Grund," sagte sie und rückte etwas näher an Ryan heran. "Deshalb hast du mich doch geführt." "Selbstverständlich war das der Grund, am Anfang," erklärte Ryan und spielte nachdenklich mit ihren Fingern. "Ich dachte, ich könnte durch dieses Geld mit Teleri fortgehen. Egal wohin, mir wäre jedes Ziel recht gewesen...doch ich habe es so satt mich immer wieder wie ein Tier zu verstecken, mich im Schatten zu verkriechen nur um nicht verletzt zu werden. Ich hab es einfach nur satt..." kurz hielt Ryan inne, ihr Blick wanderte ziellos hin und her, starrte ins Leere. "Doch, dass ist nicht alles. Ich weiß ich werde niemals Frieden finden...egal wie weit ich auch laufe, ich werde ihn nicht finden, und ich weiß jetzt auch, dass ich Teleri niemals glücklich machen kann, es geht einfach nicht..." Fest verflochten sich die Finger Ryans ineinander, diese Worte zusprechen fiel ihr schwer. Es war schwer der Wahrheit ins Augen zusehen, zu erkennen, dass es einen weiteren Abschied in ihrem Leben geben würde... "Ich will kein Geld von deinem Vater und schon gar nicht von dir," sagte sie bestimmt. "Ich will es nicht..." Niedergeschlagen ließ sie ihren Kopf hängen, ihre Augen blickten auf den kalten Fels unter sich. Sie wußte was sie zutun hatte. Sie wußte wie sie all das beenden konnte, es war ein steiniger und schwerer Weg, doch es gab keinen anderen welchen sie einschlagen könnte. "Und was hast du jetzt vor?" fragte Ayesha leise. Ein bitteres Lächeln breitete sich auf Ryans Gesicht aus. "Ich werde zu ihm gehen, ihn herausfordern, ich will mit ihm kämpfen. Nur auf diese Weise wird einer von uns vielleicht Frieden finden... Nur wenn einer von uns beiden aufhört zu existieren, wird alles ein Ende haben..." Plötzlich schlangen sich Arme fest um sie, zogen sie an sich, schnürten ihr beinahe die Luft ab. Erschrocken starrte Ryan auf Ayeshas schwarzen Haarschopf hinab, sie klammerte sich fest an sie. "Ayesha," flüsterte sie, hob die Arme um sie ebenfalls um den zierlichen Körper zulegen, doch sie ließ sie wieder sinken. "Red nicht so etwas," sagte Ayesha und ihre Stimme zitterte. "Ich will nicht das dir etwas passiert. Ich will nicht das du zu ihm gehst. Ich will nicht das du vielleicht..." sie sprach das Wort nicht aus, doch Ryan wußte was sie sagen wollte. Sanft hob sie ihr Kinn an und blickte in ihre Augen. "Was wäre daran so schlimm?" fragte sie tonlos. "Es wäre für alle das Beste wenn ich...wenn ich nicht mehr hier wäre..." "Warum sagst du so etwas? Was soll daran gut sein? Ich verstehe dich nicht, warum sagst du so etwas, ich will nicht das du zu ihm gehst..." Die Stimme Ayeshas war Tränen erstickt, ihr Körper zitterte spürbar. Ihre Finger krallten sich fest in Ryans Mantel. "Ich habe aber keine andere Wahl," sagte Ryan mit bedauern in der Stimme. "Verstehst du nicht, dass ich es leid bin wegzulaufen? Ich will das nicht mehr, ich muß es tun, alleine schon für Wido. Ich muss es tun..." Zaghaft umschlossen Ryans Hände Ayeshas Schultern, hielten das Mädchen für einen kurzen Moment ganz fest. "Ich muss es tun," sagte sie erneut und streichelte Ayesha beruhigend über ihren Hinterkopf. Still wurde es um sie, keine von beiden sprach mehr ein Wort. Was sollte man auch sagen, wenn jedes Wort seine Wirkung verfehlte? Ryan schluckte hart. Ayesha hatte Angst um sie... Warum? Warum hatte sie Angst? "Ich werde dich so nahe an dein Dorf bringen wie es mir möglich ist," sagte Ryan um diese erdrückende Stille um sie herum zu durchbrechen. "Du wirst nur noch ein kurzes Stück alleine zurück legen müssen, es ist dann nicht mehr weit. Du wirst gehen und in Sicherheit sein, glaub mir, du brauchst dann keine Angst zu haben. Er wird dir nichts tun, wenn er mich hat wird er zufrieden sein. Er wird dir nichts tun, du wirst..." Ryans Worte erstarben... Zarte Lippen legte sich auf ihre, und sie riß beinahe erschrocken ihre Augen auf... Was war das für ein Gefühl? Wärme durchflutete ihren Körper. Licht, sie fühlte wie ihr Geist vernebelt wurde,ihr schwindelte, dieses Gefühl, sie kannte es. Sanft erwiderte sie den Druck der fremden Lippen. Gedanken rauschten durch ihren Geist,Gefühle, ein Kuß... Zärtlich und schüchtern war er. Ryan schlang ihre Arme um den zierlichen Körper, drückte Ayesha fest an sich. Dieses Gefühl, es war so warm, so vertraut. Sanft tasten sich ihre Hände zu Ayeshas Wangen, hielten den Kopf des Mädchens umschlossen. Ayesha schlang ebenfalls ihre Arme um Ryans Nacken, hielt sich an ihr fest, sie wollte sie nicht los lassen. Sie glaubte, dass ihre Sinne zufliegen begannen, ihr entglitten... Plötzlich war da eine weitere Seiten welche sie an Ryan entdeckte. Der Kuß war so sanft, wie ein Windhauch auf der Haut, so zart... Sie fühlte wie ihr Herz schneller schlug. Was war das für ein Gefühl in ihr? Sie kannte es nicht. Es war ihr fremd, etwas völlig neues durchdrang ihren Geist. Es fühlte sich so warm an. Sie fühlte wie Ryan ihr zärtlich über die Wange strich, ihren Kopf aus ihrer sanften Gewalt befreite. Zaghaft lösten sich ihre Lippen wieder von einander... Ayeshas Augen suchten die Ryans, doch sie hielt ihre Augen noch immer geschlossen. Preßte ihre Lippen aufeinander, als wolle sie so dieses Gefühl was sie eben gespürt hatte noch einen kleinen Augenblick festhalten, es in ihrem Gedächtnis bewahren. Ayesha barg ihren Kopf an Ryans Hals. Sie hörte ihren Atem der unregelmäßig ihrer Kehle entrann, sie fühlte wie sanfte Hände ihr durchs Haar fuhren. Sie roch ihren Duft, er war angenehm. Zaghaft küßte Ayesha Ryan auf ihren Hals, still war es wieder um sie, fest hielt jede die andere in ihren Armen. Worte waren bedeutungslos geworden... Was sollte man auch für Worte wählen um begreiflich zu machen, was in ihrem Inneren jetzt vorging? Stumm hielt Ryan Ayesha in ihren Armen, der Stein über ihrem Herzen glühte wieder auf... Ihr Blick schweifte hinauf in den Himmel. Graue Wolken verhüllten die Sonne, lautlos zog ein junger Vogel seine Bahnen über ihnen. Seine noch schwachen Flügel waren nur als zwei Schatten zuerkennen, doch sie trugen ihn, fest und entschlossen flatterte er mit kräftigen Zügen immer höher, immer weiter der Sonne entgegen, immer weiter dem schwachen Licht entgegen. Seine Flügel waren noch jung, doch sie trugen ihn. Ryan lächelte... Nachwort: Hallo! Es hat mit dem abtippen etwas gedauert, was auf einige Probleme die ich hatte zurück zuführen ist. Naja, ist nicht weiter wichtig. Ich hoffe, das Kapitel hat wieder einigen gefallen. Ich weiß nicht, aber es mußte ja so kommen, oder? Ich hoffe, es geht alles nicht zu schnell...kann ja sein, dass ich es hier etwas übertrieben habe...Ich weiß eigentlich nicht was ich so genau schreiben soll, was man auch sehr deutlich merkt. Ich bedanke mich wieder fürs lesen dieses Kapitels. Ich widme diesen Teil Igel, Mondscheinelfe, meiner besten Freundin und meinem besten Freund. Ach, also, die Geschichte ist hier nicht zu Ende. Ich dachte nur irgendwie, es ist ein in sich abgeschlossenes Kapitel. Ich bin noch lang nicht fertig ^^. Adios seen Kapitel 12: Verbrannte Flügel... -------------------------------- Verbrannte Flügel... Fest umklammerten ihre Hände den Körper unter ihr...lauschte dem ruhigen Atem welcher auf ihrer Haut brannte wie Feuer. Ryan lächelte schief. Sie konnte es nicht glauben, ihr Geist versuchte diese neuen Empfindungen zu verarbeiten, versuchte einen klaren Gedanken zufassen. Es war ihr nicht möglich, ihr Verstand schien immer noch vernebelt zu sein. Auf ihren Lippen fühlte sie immer noch den sanften Kuß...Gedankenverloren streichelte sie Ayesha über ihre seidiges Haar. War es das gewesen, was sie die ganze Zeit gefühlt hatte? Weil Ayesha ihr viel näher gekommen war, als sie es durfte? Leicht schüttelte Ryan ihren Kopf...was tat sie hier? "Teleri..." dieser Name ließ sie zusammen zucken. "Teleri...es tut mir leid..." Plötzlich verspannten sie sich, ihre Hände schienen steif zu werden. War sie wirklich in der Lage ihr das anzutun? Der einzigen Person die sie, neben Wido, aufrichtig geliebt hatte. "Verzeih mir," dachte sie und blickte hinauf in den Himmel. Sie wußte nicht was sie tun sollte. Teleri war so weit entfernt, schon immer gewesen, und Ayesha war ihr so nahe. "Was hast du?" sie hörte die Stimme Ayeshas, doch sie sah das Mädchen nicht an. "Nichts," sagte Ryan leise. Ayesha richtete sich auf, nahm Ryans Gesicht sanft zwischen ihre Hände und zwang sie in ihre Augen zu blicken. "Du denkst an Teleri, oder?" Ryan versuchte dem forschenden Blick auszuweichen, doch Ayesha hielt ihr Gesicht mit sanfter Gewalt fest. "Bin ich eine so schlechte Lügnerin?" fragte sie und versuchte zu lächeln. "Ja, bist du," sagte Ayesha und ihr Blick wurde traurig. "Ich weiß nicht, ob ich ihr das antun kann," bekannte Ryan und schlug ihren Blick nieder, sie ertrug es nicht Ayesha bei ihren Worten anzublicken. Auf ihrer Haut fühlte sie die Hände Ayeshas welche ihr sanft über ihre Wangen strichen. "Ich verstehe." "Nein," sagte Ryan fest. "Das kannst du nicht...Sie war der erste Mensch den ich geliebt habe, und der mich geliebt hat...ich weiß nicht ob ich so einfach gehen kann. Ich habe Angst, du weißt nicht wie schwer es mit mir ist...du weißt nicht wie verletzend ich sein kann, du weißt nicht.." Schnell zog Ayesha Ryans Gesicht an das ihre, verschloß ihre Lippen. Sie wollte nicht hören was Ryan im Begriff war auszusprechen. Sie wollte es einfach nicht hören. Sie war selbst über ihr Handeln verwundert...war sich nicht sicher, was sie eigentlich tat. War es das, was Menschen vielsagend als Liebe bezeichneten. War es Liebe was sie trieb? Sie kannte diese Form der Liebe nicht, wußte nicht wie man sich in diesem Zustand fühlte...Dieses Gefühl, ein leichtes kribbeln breitete sich in ihrem Körper aus. Sie fühlte sich wie berauscht...Sanfte Hände hielten sie fest, zarte Lippen erwiderten ihren Kuß. "Und leicht machst du es mir auch nicht," flüsterte Ryan und umarmte Ayesha fest. "Das war Sinn der Sache," gab sie als Antwort und grinste frech. Vorsichtig drückte sie ihre Stirn an die Ryans und lächelte. "Sie beobachtet uns," flüsterte Ryan und küßte Ayesha auf ihre Nasenspitze. "Wer?" Ryan grinste und nickte leicht nach Links. Loba saß genau neben ihnen und sah beide aus großen Augen an. Die Wölfin legte ihren Kopf schief, musterte beide, schien noch nicht zu wissen was sie davon halten sollte. Ayesha lachte leise. "Ja, sie scheint uns wirklich zu beobachten. Glaubst du, sie hat etwas dagegen?" "Nein," erwiderte Ryan und lächelte sanft. "Ich glaube, sie ist mit ihrer Arbeit sehr zufrieden." Ryan bedachte die Wölfin mit einem fast dankbaren Blick. Langsam erhob sich Loba und tapste zu ihnen hinüber. Ryan streichelte ihr über ihren Kopf. "Bist du nun zufrieden altes Mädchen?" dachte sie und blickte Loba an. "Bist du zufrieden?" fragten ihre Augen und Ryan wiegte ihren Kopf unschlüssig hin und her. "Ich weiß es noch nicht.." Loba knurrte mißmutig. Diese Menschen, nie wußten sie was sie wollten. Nie waren sie damit zufrieden was sie hatten, oder haben könnten. Sie waren schon rätselhafte Wesen. "Und, was hat sie dir gesagt?" fragte Ayesha und küßte Ryan auf ihre Wange. "Wie kommst du darauf, dass sie etwas gesagt hat?" gab Ryan die Frage zurück. "Sie hat dich so seltsam angeblickt nur deshalb." Ryan lächelte und strich Ayesha eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. "Sie scheint zufrieden zu sein," sagte sie und küßte Ayesha flüchtig. "Und was ist mir dir?" fragte Ryan und hob ihre Augenbrauen leicht an. "Ich weiß nicht," sagte Ayesha und ihre Stimme bekam einen seltsamen Tonfall. "Ich habe immer noch Angst. Angst davor, dass du zu ihm gehen wirst...was ist, wenn ich dich nie wieder sehen werde?" Sanft strich Ryan über Ayeshas Wange. "Ich kann dir nichts versprechen," sagte sie mit bedauern in der Stimme. "Ich wünschte ich könnte dir mit Gewißheit sagen das ich zurück komme. Aber ich muß es tun...bitte versteh das. Ich muß es für Wido tun und für mich auch." Behutsam zog Ryan Ayesha in ihre Arme. Sie wollte das Mädchen solange festhalten wie es ihr möglich war. Sie wußte, dieser Kampf war schon seit Jahren unumgänglich...letztendlich mußte sich alles so fügen wie es gedacht war, auch wenn es womöglich ihren eignen Tod bedeutete. Fest drückte Ayesha ihren Körper an Ryans. Sie fühlte wie sie ihr sanft durch ihr Haar strich. Warum mußte das alles nur geschehen? Warum gerade jetzt? Traurig schloß sie ihre Augen. Plötzlich sah sie ihn. Kalte blaue Augen, Haß so großer Haß lang in ihnen, und auch Schmerz...der vernarbte Mund...in ihren Ohren glaubte sie sein höhnisches Lachen zu vernehmen. Dieser schwarze Schatten, ein Schauder jagte ihren Rücken hinab, und Ayesha öffnete wieder ihre Augen. "Und was ist, wenn ich dich nicht gehen lasse?" Sie hörte wie Ryan leise lachte. "Du weißt so gut wie ich, dass ich trotzdem gehen würde...ich laufe nicht mehr weg, und ich verstecke mich nicht länger." In Ayeshas Augenwinkel begann es zu glitzern. Schnell wischte sie sich über ihre Augen. Warum sollte sie jetzt weinen? Solch eine Antwort hatte sie doch erwartet. "Nicht weinen," raunte ihr Ryan ins Ohr und küßte sie auf ihr Haar. "Glaub einfach an mich, glaub einfach daran, dass ich wiederkomme." "Das werde ich," flüsterte Ayesha und küßte Ryan ein weiteres mal. "Ich glaube an dich..." Ein Lächeln umspielte Ryans Lippen. Sie sog tief den Geruch von Ayeshas Haaren ein, bewahrte ihn in ihrem Gedächtnis auf. Ihr Blick wandte sich wieder dem Himmel zu. "Was Wido wohl zu alledem sagen würde?" fragte sie sich selbst, doch der Gedanke an ihren Freund schmerzte. "Ich werde dich rächen," schwor sie sich. "Glaub mir Wido, ich werde dich rächen...dieses mal ist er zu weit gegangen. Ich werde ihn töten, für uns beide. Du wirst in Frieden ruhen mein Freund...ich werde ihn töten..." Kalt blitzen ihre Augen auf. Ja, dieses mal war er zu weit gegangen. Er hatte ihr erneut jemanden genommen. Sie wußte was der einzige Weg war welcher ihr noch offen stand. Nachdenklich blickte sie auf Ayeshas Haarschopf hinunter. "Ich tue das auch für dich," dachte sie und umfing das Mädchen noch fester. "Ich will nicht das er dich auch noch aufspürt...ich will nicht das du in der gleichen Gefahr bist wie Teleri." Lange standen beide einfach so da, unbewegt wie die Felsen um sie herum. Keine von beiden wagte sich zu bewegen. Jeder Schritt der nun getan wurde entfernte sie von einander...jeder Augenblick der verstrich kündete von ihrem baldigen Abschied. Ryan seufzte laut und löste sich aus der Umarmung. "Wir müssen weiter," sagte sie, doch der Widerwillen war deutlich in ihrer Stimme zu erkennen. "Ich weiß," sagte Ayesha und ließ ihren Kopf hängen. Aus traurigen Augen sah sie Ryan dabei zu wie diese ihr Gepäck schulterte und sich für das letzte Stück ihrer gemeinsamen Weges rüstete. Sie wußte sie hatte nicht das Recht Ryan festzuhalten...man konnte sie auch nicht festhalten, dass hatte Ayesha gelernt. Jedoch tief in ihr sehnte sich ein kleiner Teil nach eben dieser Macht...dieser Macht einen Menschen festzuhalten der für jeden anderen unhaltbar war... "Komm, laß uns weitergehen," hörte sie die Stimme Ryans, und Ayesha schluckte hart. Sie fühlte wie sich eine Hand in die ihre stahl und sanfte Druck ausübte. Ayesha erwiderte diesen Druck mit ihren Fingern, und zwang sich zu einem Lächeln. Ein lauter Pfiff durchzuckte die Stille und Loba sprang auf ihre Pfoten, wedelte mit ihrem Schwanz und bellte laut als Antwort. "Komm altes Mädchen," rief Ryan der Wölfin zu. "Wir gehen weiter." Eilig tapste Loba einige Schritte vorwärts, doch plötzlich hielt sie inne. Hob ihren Kopf...ein Geruch stieg in ihre Nase...sie schnupperte...dieser Geruch, sie kannte ihn. Verwirrt blickte sich die Wölfin um...niemand war zusehen. Kurz schüttelte sie ihren struppigen Kopf und lief ihren Gefährten mit schnellen Schritten nach...doch diesen Geruch nahm sie mit sich... Goldene Sonnenstrahlen ergossen sich in den kleinen Raum, tanzten an den Wänden wie kleine Sterne. Ein kurzes Lächeln huschte über das Antlitz des Mannes welcher hinter einem großen Tisch saß, und diesem Schauspiel schon eine ganze Weile zusah. Nachdenklich schwenkte er einen Kelch mit einem rötlichen Getränk hin und her...er atmete geräuschvoll durch und ließ sich in seinem Stuhl zurücksinken. Dunkle Gedanken rauschten durch seinen Geist, Gedanken welche ihn schon so viele Jahre lang beschäftigten. "Es wird Zeit," sagte er zu sich selbst. "Wir beide wissen das nicht wahr? Es wird Zeit..." Vorsichtig stellte er den Kelch auf den Tisch zurück, griff unter sein schwarzes Hemd. Ein schwaches Geräusch drang an seine Ohren, gequält schloß er seine Augen, als er das kalte Material zwischen seinen Fingern spürte. Sanft strich er über die Oberseite des goldenen Medaillons...Erinnerungen brachen über ihm zusammen. Erinnerungen welche er nur selten zuließ, da sie ihm immer wieder aufs neue Schmerzen bereiteten, da sie immer wieder Wunden aufrissen. Doch er wußte, diese würden niemals wirklich heilen können. "Maris," flüsterte er und schlug seine Augen wieder auf. Betrachtete das Medaillons in seiner Hand. "Unsere Zeit ist bald da. Ich kann es spüren, sie ist gekommen. Die Zeit das ich dich und unseren Sohn endlich rächen kann. Und ich werde mich rächen, glaub mir. Ich werde ihr Leben zerstören, ihr jeden nehmen der ihr nahe steht. Sie soll leiden...so unsagbar leiden... Ich vermisse dich, es ist schon so lange dunkel um mich. Sie hat mir mein Licht genommen..." Ein Klopfen riß ihn aus seinen Gedanken. Schnell führte er das kalte Material an seine Lippen und küßte es flüchtig. Der weiche Ausdruck auf seinem Gesicht verschwand wieder so schnell wie er auch gekommen war. Kalt und unbewegt wurden seine Gesichtszüge. Diese Maske paßte ihm schon seit Jahren perfekt... Mit einer schnellen Handbewegung verschwand das Medaillons wieder unter seinem Hemd. "Ja, herein," reif er und setzte sich gerade auf seinen Stuhl. Zögernd wurde die schwere Tür geöffnet, und ein Mann wurde sichtbar. "Was willst du," knurrte er mißmutig. "Seid ihr mit dem Mädchen schon fertig?" Vorsichtig betrat der Mann den Raum. Seine Nerven waren bis zum zerreißen angespannt. Er fürchtete sich vor der dunklen Gestalt die dort am Tisch saß, und ihn durchdringend musterte. "Ja, sind wir," antwortete er, doch seine Stimme kam ihm eher wie ein Krächzen vor. "Doch sie will einfach nicht reden. Ich wollte euch fragen, was wir nun mit ihr tun sollen. Was ist euer Befehl Katlar?" Er verneigte sich kurz und trat dann nervös von einem Fuß auf den anderen. Kaltar faltete nachdenklich seine Hände und sah mit wachsendem Vergnügen zu, wie es dem Mann vor ihm mit jedem Augenblick mehr unbehaglicher wurde. "So," sagte er monoton. "Sie will also nicht reden. Was tun wir normalerweise in diesen Fällen?" "Wir töten sie," gab der Mann ihm zur Antwort. "Ist das also euer Befehl? Sollen wir das Mädchen töten? Sie ist ohnehin nur unnötiger Ballast." Kaltar lachte leise und schüttelte seinen Kopf. "Sie ist also unnötiger Ballast? Ich dachte ihr hättet euren Spaß mit ihr gehabt?" Der Krieger vor ihm lächelte schief und nickte leicht. "Wie würdest du es finden wenn ich über dich sagen würde du wärst unnötiger Ballast? Wie würde dir das gefallen?" Die Augen seines Gegenübers weiteten sich erschrocken, feine Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn. Kaltar gefiel es wie der Krieger vor ihm es mit der Angst zutun bekam. Wie leicht war es doch Menschen zu ängstigen? Es war so leicht... Fest stützte Katlar seine Hände auf die Tischplatte und fixierte den Mann vor ihm. Er sah wie es um seine Mundwinkel leicht zuckte, wie die Schweißperlen im Sonnenlicht glitzerten als wären sie kleine Tautropfen am Morgen. Er schüttelte leicht seinen Kopf und ließ sich wieder in seinem Stuhl zurücksinken. "Nein, ihr sollt sie nicht töten...noch nicht," sagte er und faltete seine Hände. "Sie wird noch eine Verwendung finden, ich weiß es." "Was macht euch da so sicher, für was braucht ihr das Mädchen?" fragte der Krieger, doch sein Blick war weiterhin auf den Boden gerichtet. "Findet nicht jeder Mensch seine Verwendung? Glaub mir, ich kann sie noch gut gebrauchen." Nachdenklich hielt Katlar inne, starrte aus dem Fenster. Einige Sonnenstrahlen trafen ihn auf der Haut, und er schloß genüßlich seine Augen. Ja, dieses Mädchen würde ihm noch sehr dienlich sein und sie hatte nicht mal die leiseste Ahnung davon. Sie wußte nicht für was er sie noch so dringend brauchte... er lächelte. "Sind schon Nachrichten von den Spähern eingetroffen?" fragte er leise. "Nein, heute noch nicht. Doch sie scheinen immer noch auf der gleichen Route unterwegs zusein. Sie werden weiterhin beobachtet so wie ihr es befohlen habt." Kaltar nickte leicht, wandte seinen Blick wieder dem Krieger zu. "Du kannst jetzt gehen, benachrichtige mich sobald die neuen Nachrichten eintreffen." Der Krieger verneigte sich leicht, Kaltar hörte wie er geräuschvoll vor Erleichterung die Luft ausblies. "Ach, warte noch," rief er ihm nach, und der Krieger blieb stehen. "Für heute glaube ich hat das Mädchen genug. Laßt also für den Rest des Tages von ihr ab. Wie gesagt, ich brauche sie noch." Der Krieger nickte schweigend, drehte sich auf dem Absatz um und schloß die schwere Tür leise hinter sich. Still war es wieder, gedankenverloren starrte Kaltar die Steindecke an. "Der Katzenstein," dachte er und klopfte sich mit dem Zeigefinger nachdenklich gegen seine Lippen. "Was willst du dort? Das Mädchen? Bringst du sie nach Hause? Wie ehrenvoll von dir. Du bist und bleibst für mich ein Rätsel Ryan..." Katlar atmete tief durch, in seinem Körper stellte sich ein eigenartiges Gefühl ein. Was war das? Er war nervös, und gleichzeitig wußte er, dass er alle Trümpfe in der Hand hielt. Das Spiel konnte auf ein neues beginnen. "Es dauert nicht mehr lange...du weißt es doch auch, oder? Bald sehen wir uns wieder...du wirst kommen...ich weiß es...seltsam das du meine Späher nicht bemerkt hast, was lenkt dich so ab? Das Mädchen? Ist es das Mädchen?" Ein wissendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, seine Augen funkelten. "Komm nur...ich habe lange auf diesen Tag gewartet...du wirst zu mir kommen, doch wohl anders als du es dir vorgestellt hast...du wirst zu mir kommen...bald..." Dämmerlicht hüllte die felsige Landschaft ein, ließ den kalten Stein in einem rötlichen Licht leuchten. Still war es um diese Tageszeit geworden, die wenigen Tiere welche noch zu existieren schienen suchten sich ihr Lager für die Nacht, während andere erst jetzt zum Vorschein kamen. Die Welt schien genauso schweigsam zu sein wie die beiden Menschen die immer noch Hand in Hand den Abhang mit vorsichtigen Schritten hinab liefen. Mit jedem Schritt den sie voran gekommen waren, war ihr Lauftempo gesunken. Mit langsamen, fast schon zaghaften Schritten liefen sie nun das letzte Stück des Weges... Fest umklammerte Ayesha die Hand Ryans. Jetzt hatte sie die Gewißheit, dass es nicht mehr weit sein konnte. Die Landschaft war ihr so vertraut, sie erkannte alles, jeden Stein, jeden Strauch. Es war nur noch ein kurzes Stück des Weges. Diesen Abhang hinunter, dann würden sie bereits die Senke des Berges erreichen und den See erblicken können. In der Ferne hörte sie ein leises Plätschern...der Fluß welcher hier irgendwo aus diesem Berg entsprang. Sie kannte dieses Geräusch nur zu gut. Wie angewurzelt blieb Ayesha plötzlich stehen, sie spürte wie Ryan ebenfalls stehen blieb und sie irritiert anblickte. "Was ist?" fragte sie leise und kam näher. "Warum bleibst du stehen?" Sanft ergriff Ayesha Ryans Hand, schmiegte ihre Wange in deren Handfläche und küßte die Innenseite. "Es ist nicht mehr weit," flüsterte sie und ihre Augen bekamen wieder diesen traurigen Ausdruck. "Ich weiß," sagte Ryan und küßte Ayesha auf ihre Stirn. "Ich will nicht mehr weitergehen. Ich will es nicht..." "Willst du hier bis in alle Ewigkeit stehen bleiben als wärst du ein Baum?" fragte Ryan neckisch und lächelte sie warm an. "Nein, das will ich mit Sicherheit nicht. Aber, ich will nicht weitergehen..." Die gelblichen Augen Ryans suchten die ihren, verbanden sich mit Ayeshas Augen zu einem liebevollen Blick. Zärtlich zog Ryan Ayeshas Gesicht an das ihre und küßte sie. Ein leiser Seufzer entglitt Ayeshas Kehle, und sie schlang fest ihre Arme um Ryans Nacken. "Eben darum will ich nicht weitergehen," wisperte sie und lehnte ihre Stirn gegen Ryans. "Sobald ich wieder zu Hause bin wirst du verschwinden...ich will das nicht." Ryan nickte verständnisvoll und versuchte sie aufmunternd anzulächeln. "Ich werde dir etwas mitgeben, etwas das mir sehr viel bedeutet," flüsterte sie und küßte Ayesha ein weiteres mal. "Lieber wäre es mir wenn du es wärst," entgegnete Ayesha. "Ich weiß, aber ich werde alles was in meiner Macht steht tun, damit ich wieder zurückkomme." Ryan löste sich aus ihrer Umarmung und kniete sich zu Loba hinunter. Sanft streichelte sie der Wölfin über ihr Haupt...das Tier wußte was es zu bedeuten hatte. "Nimm Loba mit dir," sagte Ryan, doch ihre Stimme stockte bei diesen Worten. "Ich weiß sie wird es gut bei dir haben, ich will nicht das ihr etwas passiert. Kümmer dich um mein altes Mädchen, sie wird sich auch um dich kümmern...ihr werdet nicht alleine sein." Ayesha nickte sacht, kniete sich zu Ryan und Loba hinunter und streichelte ebenfalls kurz der Wölfin über ihr schwarzes Fell. Sie war sich sicher, auch dieser Abschied viel Ryan schwer. Sie liebte das Tier aus ganzem Herzen, und Loba brachte ihr die gleiche Zuneigung entgegen. "Ich werde mich gut um sie kümmern," sagte sie und Loba jaulte leise. "Keine Sorge, ich kümmere mich schon um dich." Ayesha lächelte, als Loba ihr zärtlich die Hand ableckte. Doch plötzlich, wie aus heiterem Himmel spannte sich der Körper des Tieres unter ihren Fingern an. Jeder Muskel schien sich zu versteifen. Loba hob ihren Kopf, schnupperte als würde sie etwas wittern... sie knurrte leise und bleckte ihre scharfen Zähne. "Ryan," flüsterte Ayesha erschrocken. "Was hat sie auf einmal?" Irritiert betrachtete Ryan die schwarze Wölfin, sie kannte es wenn Loba Gefahr spürte, doch dieses mal kam es völlig überraschend. "Was hast du Loba?" fragte sie leise und blickte dem Tier tief in die Augen. Loba knurrte ein weiteres mal, doch noch lauter als zuvor. "Was ist mit dir, was spürst du?" Die grünen Augen des Tieres starrten fest und kampflustig in die gelblichen Menschenaugen, und dann verstand Ryan...ihre Augen weiteten sich vor Schreck. "Wölfe," stieß sie hervor und richtete sich augenblicklich auf. "Sie sind hier...ganz in der Nähe...sie sind hier." Alle Farbe wich aus Ayeshas Gesicht, sie wurde fast schon blas, als wäre sie krank. Ihr Körper begann plötzlich zu zittern. "Was?" flüsterte sie so leise das es kaum zu vernehmen war. "Sie sind hier?" Ryan nickte, zog sie nahe an sich heran, und rannte mit ihr den Abhang hinunter. Die scharfen Felsspitzen erschwerten ihr vorankommen. Ayeshas Kehle brannte wie Feuer, ihr Denken wurde durch Angst vernebelt. War er es? Würde er jetzt schon über sie kommen? Würde er sie finden? Sie beide töten? Sie spürte wie ihr Herz schneller schlug, wie ihr Atem stoßweise ihrer Kehle entwich. Sie erhaschte einen kurzen Blick auf Ryans Gesicht. Kalt war es wieder, gehetzt wie ein Tier das in die Enge getrieben wurde... Abrupt blieb Ryan stehen, blickte sich hektisch um, zog Ayesha hinter sich her. Sie mußte ein Versteck finden, doch wo konnte man sich in dieser kargen Landschaft nur verstecken? Es gab hier oben nur wenige Bäume, kein dichtes Unterholz...fast schon panisch lief sie weiter, und blickte sich immer wieder nach allen Seiten um. "Ryan," hörte sie die Stimme Ayeshas in ihrem Rücken. "Dort hinten ist eine kleine Höhle, ich kann mich genau daran erinnern...es ist nicht weit von hier," keuchte sie und lief ebenfalls schneller. Hinter ihnen hörten sie Stimmen. Wie viele Männer es sein mochten war jetzt noch nicht auszumachen, doch Ryan glaubte das es mindestens vier oder fünf Späher waren. "Verdammt, warum habe ich sie nicht schon früher bemerkt," verfluchte sie sich selbst. "Ich habe es ihnen leicht gemacht uns zu folgen." Vor ihnen tauchte ein großer Fels auf, seine Spitzen waren mit Moos bewachsen. "Dort, dort muß die Höhle sein." Entschlossen rannten beide noch schneller. Der Fels gewann immer deutlicher an Konturen, er war relativ groß. Sein Gestein schien durch Wind und Wetter schon fast eine schwärzliche Farbe angenommen zu haben. Mitten in diesem schwarzen Brocken war deutlich ein Loch zuerkennen. "Komm schon," drängte Ryan und kletterte durch den engen Spalt. Ayesha folgte ihr zögernd, und auch Loba zwängte sich noch in den kleinen Raum. Dunkel war es um sie, es roch nach verfaultem Blattwerk und Fäulnis. Ayesha drängte sich dicht an Ryan, sie fühlte wie ihr Herz ihr gegen den Brustkorb schlug, sie atmete unregelmäßig. "Sei jetzt ganz still," wisperte Ryan beruhigend. "Ich bin mir sicher, sie werden uns nicht finden." Ayesha nickte und lauschte angestrengt.... Getrocknetes Laub begann leise zu rascheln, Schritte kamen näher und Stimmen. Tiefe Stimmen...Wölfe, sie waren ganz in ihrer Nähe. Ayesha wagte kaum zu atmen, jeder Atemzug und jede Bewegung erschien ihr zu laut. "Hier sind sie nicht," rief draußen jemand. "Sie müssen irgendwo in der Nähe sein. Wir haben sie doch gesehen." "Laßt uns noch einmal hinauf zur Anhöhe gehen, vielleicht finden wir dort einige Spuren." Ryan schluckte schwer, von den Stimmen her mochten es nur drei Männer sein, doch sie konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob sich nicht noch mehr Ogronier in ihrer Nähe aufhielten. Fest hielt sie Ayesha in ihren Armen. Was sollte sie jetzt nur tun? Sie waren ihrem Ziel doch sie nahe...fieberhaft suchte sie nach Antworten, doch nur eine kam in Betracht...nur eine einzige. "Ayesha," flüsterte Ryan. "Ich glaube sie sind fort..." Ayesha nickte, doch die Anspannung in ihren Gliedern wollte nicht weichen. "Sollen wir dann versuchen zu meinem Dorf zu gelangen, ich glaube wir könnten es schaffen." "Nein," sagte Ryan bestimmt und legte ihr einen Finger auf die Lippen. "Du bleibst mit Loba hier. Ich weiß wen sie wollen...hör mir jetzt gut zu, du kennst den Weg der zu deinem Dorf führt. Es ist nicht mehr weit...Loba und du bleiben solange hier bis die Luft rein ist...ich werde jetzt gehen..." Ayeshas Hand umfaßte fest Ryans Arm und hielt sie zurück. "Was hast du vor?" fragte sie und ihre Stimme zitterte. "Ich gehe sie ablenken, du weißt warum sie hier sind," erwiderte Ryan und umarmte Ayesha noch einmal. "Warum? Warum bleibst du nicht bei uns? Woran soll ich denn erkennen ob die Luft rein ist?" Ryans Gesichtszüge wurden weich und sie nahm Ayeshas Gesicht zwischen ihre Hände. "Loba wird es merken...ich komme wieder, diese Handvoll Männer dürfte kein Problem für mich darstellen." "Bitte geh nicht...bitte..." Erst jetzt bemerkte Ayesha wie sich einige Tränen den Weg ihre Wangen hinunter bahnten...ein schlechtes Gefühl durchflutete ihren Körper...eine dunkle Vorahnung. Ryan lächelte ein weiteres mal, ihre Lippen nährten sich Ayeshas. Zuerst nur kurz, doch dann intensiver. "Ich komme wieder," flüsterte sie ihr ins Ohr und drückte Ayesha fest an sich. Dann löste sie sich aus ihren Armen, drehte sich um und schlich geduckt zum Ausgang der Höhle. Ihr Körper wurde wieder sichtbar, sie drehte ihren Kopf noch einmal in Ayeshas Richtung... "Warte hier, ich komme wieder..." Ein knirschendes Geräusch drang an Ayeshas Ohren, als Ryan ihren Dolch aus der kleinen Scheide an ihrem Gürtel zog. Sie zuckte bei diesem Klang zusammen...ihr Mund fühlte sich ausgetrocknet an, feine Tränenspuren glitzerten auf ihren Wangen. Seufzend rutschte Ayesha an der kalten Wand der Höhle hinunter, schlang die Arme um ihre Knie und starrte auf den Ausgang. Ryan war fort, doch dieses Gefühl war nicht verschwunden... Loba stupste sie sacht in ihre Seite, und legte sich neben sie. Ayesha streckte eine Hand aus und berührte den Körper der Wölfin. "Lebwohl," flüsterte sie und schloß ihre Augen. "Lebwohl..." Lautlos, als wäre sie ein Schatten schlich Ryan vorwärts...ihre Hand umklammerte fest den Dolch...still war es um sie...Waren die Männer vielleicht schon fort? Hatten sie schon aufgegeben? Nein, so schnell ließen sich die Wölfe nicht abschütteln wenn sie bereits Blut geleckt hatte. Sie hatten ihr Opfer erblickt und würden es weiter jagen bis es vor Schwäche oder Angst zusammen brach. Ryan kannte ihre Methoden, sie kannte sie gut. Laub raschelte in ihrer Nähe...sie waren also noch da...geduckt schlich sie weiter, versteckte sich hinter einem Felsen und spähte vorsichtig auf den Abhang hinaus...ihre Gestalt verschmolz mit der Landschaft...nervös hielt Ryan ihren Atem an. Ein junger Krieger bewegte sich auf ihr Versteck zu...sein Schwert blitzte im Dämmerlicht auf...Er schien noch nicht viel Erfahrung zu haben. Seine Schritte verursachten zu viele Geräusche, seine Miene wirkte gelangweilt. Mißmutig stocherte er mit seinem Schwert im spärlichen Laub. Ryan lächelte, so leicht hatte sie es sich nicht vorgestellt. Immer näher kam er, blickte sich nicht einmal um...geschmeidig wie eine Katze schlich Ryan um den Felsen herum...sie war nun hinter ihm, und er schien sie nicht einmal gehört zu haben. Leise schlich sie vorwärts, das Laub unter ihren Füßen verursachte kaum ein Geräusch... Noch fester schlossen sich ihre Finger um den Knauf des Dolches...ihre Augen wurden kalt ebenso wie ihr Lächeln welches auf ihren Lippen lag. Jede Faser in ihr spannte sich an...ihr Körper schnellte in die Luft, umklammerte den Körper des Kriegers von hinten. Sie hörte wie er scharf die Luft ein sog. "Na," raunte sie ihm ins Ohr. "Du hast mich dann wohl als erster gefunden." Leicht, als würde es durch Luft gleiten zerteilte die Klinge des Dolches die Haut...erschrocken riß der Krieger seine Augen auf...er röchelte und schwankte. Heißes Blut ergoß sich über Ryans Hände, schnell sprang sie vom Rücken des Kriegers und blickte ihn verächtlich an. Aus geweiteten, verklärten Augen blickte er sie an. Seine Hände preßten sich auf den breiten Schnitt an seiner Kehle. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor... Langsam kam Ryan näher, musterte ihr Werk...Ihr Gegenüber strauchelte, und fiel rücklings auf den Boden. Er röchelte, starrte entgeistert seine Blutverschmierten Hände an...Seine Augen wurden ausdruckslos bis auch der letzte Hauch von Leben seinen Körper verlassen hatte. "Zu einfach," sagte Ryan und trat dem Krieger in seine Seite, doch er bewegte sich nicht mehr. Schnell blickte sie sich um, niemand war sonst zu sehen, doch irgend etwas bereitet ihr Unbehagen. Sie konnte es nicht deuten, doch dieses Gefühl gewann von Augenblick zu Augenblick an Intensität. Ein Sirren durchschnitte die Stille. Schmerz ließ Ryans Gesichtszüge verhärten... "Bogenschützen," dachte sie und starrte entgeistert auf den Pfeil welcher aus ihrer Taille ragte. Ihre Bewegungen wurde schwerfällig...was war nur los? Hektisch blickte sie sich um...wo waren die anderen. Ihre Hand tastete sich zum Knauf ihres Schwertes und sie zog es aus der Scheide...lauernd stand sie da. Ihr Atem ging schneller, doch ihr Geist begann langsam taub zu werden. Verwirrt schüttelte sie ihren Kopf. Was war das? Die Umgebung um sie herum verlor ihre Konturen, wurde verschwommen als würde sie durch einen Regenschleier blicken... "Gift," schoß es durch den Kopf. "Gift... verdammt.." Ryan taumelte einige Schritte vorwärts...da waren sie...vier Männer kamen auf sie zu. In diesem Zustand konnte sie es nicht mit allen Vieren auf sich nehmen. Ryan ging in Angriffsstellung, was hatte sie auch sonst für eine Wahl. "Was denn Mädchen," die tiefe Stimme drang kaum wirklich in ihren Geist. "Du kannst nicht mehr kämpfen, das Gift ist stärker als du." Ryan keuchte, schluckte schwer. Sie schüttelte ihren Kopf...die Welt um sie herum begann sich zu drehen... "Holt mich doch," schrie sie und spuckte verächtlich auf den Boden. "Kommt schon, holt mich." Fest preßte Ryan ihre Lippen aufeinander, kämpfte gegen das Gift in ihrem Körper welches ihr langsam den Verstand vernebelte...einer der Männer rannte auf sie zu, sie parierte seinen Hieb, Metall klirrte... Schmerz stieg in ihr empor...ein weiterer Pfeil hatte sie getroffen. Ihr Blut wurde mit jedem Augenblick der verstrich mehr und mehr vergiftet...Schwerfällig hob sie ihr Schwer zur Gegenwehr...hart trafen die Schläge der Männer ihr Ziel...Blut floß auf den Felsigen Boden... Ryan keuchte, sank auf ihre Knie nieder. Blut floß ihr in einer feinen Linie die Stirn hinab...getrübt war ihr Blick, sie konnte kaum etwas erkennen, vor ihr tauchte ein bärtiges, dunkles Gesicht auf. "Katlar wird sich freuen," sagte er und grinste dreckig. "Er erwartet dich." Ein Schlag traf Ryan an ihrem Kopf...ihr Geist wurde schwächer...Licht wurde von Dunkelheit verschluckt...sie hörte wie die Männer leise lachten... "Ayesha," dachte sie während die Dunkelheit um sie immer dichter wurde. "Verzeih mir...verzeih mir..." Verklärt starrte sie in den Himmel. Das Licht wurde immer schwächer...ein junger Vogel flog über ihnen, er suchte einen Platz um sich von seinem Flug auszuruhen. Ryan glaubte zu sehen wie er seinen Kopf drehte, sich umblickte. Dann erschien über ihm ein großer Schatten...ein Adler senkte sich aus einer dunklen Wolke auf ihn hinab. Seine scharfen Klauen packten den jungen Vogel, ein Schrei war zu hören...Federn rieselten aus dem Kleid des kleineren Vogels...er kämpfte, doch er war nicht stark genug. Der Adler hakte ein paar mal mit seinem scharfen Schnabel auf den kleinen Körper unter ihm ein, bis die Gegenwehr zusammenbrach...Ausgerissene Federn wurden vom Wind sacht hin und her geweht... "Wir sind zu hoch geflogen," dachte Ryan mit ihrem letzten klaren Gedanken. "Zu hoch, zu weit, wir sind beide besiegt worden...wir haben uns beide die Flügel verbrannt..." Nachwort: Leider hatte sich meine Festplatte wohl gedacht, es macht Spaß sich mal für ein paar Tage zu verabschieden, deshalb bin ich leider erst jetzt mit dem neuen Kapitel da. Ich hoffe, es war soweit in Ordnung. Ich weiß nicht, aber es kommt mir bei einigen Abschnitten so vor, als würde es zu holprig klingen... Nun, ich hoffe es war doch nicht all zu schlimm. Ich bedanke mich fürs lesen. Das nächste Kapitel wird dann wohl ein sehr düsteres werden. Naja, ihr werdet es ja dann sehen. Also, bis bald. Adios seen Kapitel 13: Zerbrochene Schwüre ------------------------------- Zerbrochene Schwüre Langsam kehrte ihr Geist zurück in ihren Körper. Ihre tauben Glieder schmerzten, und ihr Denken schien noch immer gelähmt zusein. Übelkeit stieg in ihr auf, vorsichtig schüttelte sie ihren Kopf. Die Welt begann sich hinter ihren Augen zu drehen. Die ersten Einflüsse welche die Welt von sich gab drangen an ihre Ohren, doch sie wollte ihre Augen nicht öffnen. Wollte nicht erblicken wo sie sich womöglich befand. Sie war so dumm gewesen, war in eine Falle gerannt wie ein unerfahrenes Kind. Innerlich verfluchte sie sich selbst für diese Torheit, doch nun war es zuspät um es zu bereuen. Sie konnte es nicht mehr rückgängig machen... Ihre Augenlieder begannen zu flattern. Schemenhaft nahm sie die Welt um sich war. Getrocknetes Stroh stach ihr in die Handflächen und sie ballte ihre Hände zu Fäusten. "Ich bin so dumm," dachte sie und schlug die Augen auf. "Du hattest Recht Wido, meine Unvernunft kostet mich jetzt wohl meinen Kopf." Schwere Eisenketten umschlossen ihre Arme und Beine, jede Bewegung wurde in ihrem Keim erstickt. Ryan seufzte leise. "Wo bin ich," dachte sie, und drehte ihren schmerzenden Kopf so gut es ging. Kalte Steinmauern umgaben sie, eine dunkle Tür mit einem kleinen vergitterten Fenster. Dunkel und kalt war es, sie zitterte. Rötliches Licht ergoß sich durch das vergitterte Fenster und ließ den Raum in einem blutigen Licht erleuchten. Ryan lächelte kalt. Sie wußte, sie befand sich in irgendeinem Außenposten der Wölfe. Sie befand sich in ihrem Reich, und hier galten ihre Spielregeln, nicht mehr die ihren. Schwerfällig ließ sie ihren Kopf wieder auf das alte Stroh gleiten, ihre Augen auf die Decke des Raumes gerichtet. Getrocknetes Blut klebte an ihrer Stirn, und ihre Wunden schmerzten, doch sie fühlte diesen Schmerz kaum. Ihre Gedanken waren an einem anderen Ort, waren bei einer anderen Person. "Ayesha," dachte sie wehmütig. "Wo bist du? Haben sie dich auch bekommen? Nein, du bist zu schlau um wie ich in solch eine Falle zu tappen. Bist du zu Hause bei deinem Vater? Bitte, verzeih mir, bitte." Niedergeschlagen schloß Ryan ihre Augen, das Gift in ihrem Körper gab ihr Denken nun Stück für Stück frei. Ihr Körper sehnte sich nach der Nähe Ayeshas. Nach dem Duft ihres Haares, nach den Berührungen auf ihrer Haut, nach diesen Küssen. Fest preßte Ryan ihre Lippen aufeinander, versuchte diese Sehnsucht welche sie zu verbrennen schien zurück zu drängen. "Ich hätte sie doch bemerken müssen," flüsterte sie leise. "Ich hätte es spüren müssen, ich bin eine Närrin." Schreie drangen an ihre Ohren. Schreie welche ein Mensch nur in größter Qual zu lassen würde. "Soweit werdet ihr mich nicht bringen," dachte Ryan. "Niemals werdet ihr meinen Schmerz vernehmen, niemals." Fieberhaft suchten ihre Gedanken nach einer Lösung. Flucht? War sie möglich, oder war es eine ausweglose Situation in welcher sie steckte? Ryan wußte ganz genau, diese Männer würden sie nicht töten, dieses Privileg behielt sich jemand vor, und sie hatte keinen Zweifel daran, dass er sich etwas ganz besonderes für sie ausgedacht hatte. "Bist du hier?" fragte sie sich selbst. "Bist du hier, wartest irgendwo. Freust dich auf das, was du für mich noch bereit hältst? Natürlich bist du hier...ich kann dich fühlen, deine Kälte. Du bist hier." Ein weiteres Geräusch drang in ihr Bewußtsein. Ein leises Knarren, ein Ächzen. Sie öffnete ihre Augen einen Spalt breit und spähte zur Tür. Langsam öffnete sie sich...ihr Körper spannte sich an. Was war das für ein Gefühl? Angst? Ja, sie hatte Angst. Sie war eingesperrt, hilflos, sie konnte sich nicht wehren. Zwei Krieger betraten den Raum. Groß waren sie gebaut, breitschultrig, ihr struppiges Haar hing beiden über die Schultern. Sie lächelten finster und kamen näher. "Wir haben Befehl uns etwas um dich zu kümmern," sagte der eine und lachte laut. Sein Kamerad fixierte Ryan mit seinen flinken Augen und stimmte in das Gelächter des anderen ein. Angewidert verzog Ryan ihr Gesicht. "Ich lege auf eure Gesellschaft keinen Wert," sagte sie stolz und drehte ihren Kopf weg. "Man hat uns gesagt dass du eine kleine Wildkatze bist, ein kleines dreckiges Wald Kind," schnaubte der andere Krieger und packte sie am Arm. Ein lautes Klirren ließ Ryan zusammen zucken. Sie spürte wie sich die Fesseln um ihre Füße zu lösen begannen...es war soweit. "Komm, beweg dich," rief der Krieger welcher sie am Arm festhielt. "Wir gehen uns jetzt etwas beschäftigen." Fest stießen sie die Männer vorwärts, die schwere Tür kam immer näher. Ryan wußte was sie vor hatten, ihre Augen glühten kalt auf... Der Griff um ihren Arm war fest, doch nicht fest genug. Widerstrebend ließ sich Ryan weiterziehen, sie atmete tief durch, ihr Körper spannte sich an... "Was ist?" fragte der Krieger unwirsch und brummte missmutig. Sie spürte wie er den Griff um ihren Arm einweiteres Mal lockerte, sie lächelte schief...Augenblicklich riss sie sich los, vollführte einen Tritt und holte den Krieger von seinen Füßen. Hart schlug er auf dem Boden auf, und ein merkwürdiger Laut entrann seiner Kehle. Wie von Sinnen trat Ryan auf den Mann welcher unter lag ein,immer wieder und wieder. Wut und Hass brodelten in ihren Adern, ließen sie vergessen was sie hier tat. Plötzlich durchzuckte ein lautes Knacken die Luft. Der Krieger heulte auf, presste seine Hände über sein Gesicht, Blut sickerte auf den mit Stroh bedeckten Boden. "Verdammt, hilfst du mir endlich mal", schrie er seinem Kameraden zu welcher wieder zurück in den Raum gestürzt kam. Hart traf Ryan ein Schlag an ihrem Kopf, und sie ging in die Knie. "Torheit", dache sie während ein weiterer Schlag ihr Gesicht traf. "Damit habe ich alles nur noch viel schlimmer gemacht...noch unerträglicher." Die Schläge schnürten ihr die Luft ab, sie japste nach Luft, und ihr Körper sackte in sich zusammen. Fest biss sie sich auf ihre Unterlippe, damit kein Laut des Schmerzes nach außen dringen konnte. Sie schmeckte Blut... Ein Tritt traf sie in ihre Magengrube, und Ryan musste würgen. Blut quoll aus ihrem Mund. "Du kleine Schlampe," schrie eine Stimme über ihr, ein Faustschlag folgte... "Lass es gut sein. Du weißt wie der Befehl lautet. Sie soll alles in vollem Bewusstsein erfahren." Die beiden Männer funkelten sich wütend an. "Ach, soll sie doch verrecken. Hoch mit dir." Ryan hustete, spuckte ihr Blut einem der Krieger vor die Füße, und ließ sich in die Höhe ziehen. Ihr Verstand war taub, Schmerz beherrschte ihr Denken. "Halt sie dieses mal besser fest, sonst reißt sie sich wieder los." "Keine Sorge," brummte der Krieger welcher Ryan festhielt, und wischte sich sein Blut aus dem Gesicht. "Damit hast du es dir nur noch schwerer gemacht Kleine," zischte er ihr ins Ohr und stieß sie grob vorwärts. Widerstandslos gehorchte Ryan...es hatte keinen Sinn sich zuwehren. "Wir werden dir wehtun Kleine," zischte er einweiteres Mal. "Ihm wird es gefallen." "Daran habe ich keinen Zweifel," entgegnete sie und starrte gedankenverloren vor sich hin. Sie hörte wie der Krieger in ihrem Rücken leise lachte, und Ryan schloss ihre Augen. Vor ihrem Inneren Auge tauchte das Bild Ayeshas auf. Sie saß an einem See, um sie herum blühten kleine blaue Blumen. Ein Windstoß fuhr durch ihr Haar, sie drehte ihren Kopf in Ryans Richtung und lächelte sie freudig an. Ryan lächelte zurück, dann fiel die schwere Tür hinter ihr ins Schloss... Ein kalter Wind wehte über den See, verursachte dass sich seine Oberfläche zu kräuseln begann. Sanft wiegten die Blätter der Weiden im Wind und ihre Stämme ächzten leise. Rötliche Lichtreflexe tänzelten über die Oberfläche des Sees. Still und unbewegt saß Ayesha am Ufer und blickte auf den See hinaus. Wie sehr hatte sie diesen Anblick einst geliebt? Er war für sie immer wie eine tröstliche Umarmung gewesen. Etwas das ihr immer das Gefühl gegeben hatte, dass sie nicht alleine war. Nun war selbst dieser Anblick für sie bedeutungslos geworden. Ihre Gedanken waren nicht wirklich hier, sie waren weit fort, und niemand konnte wissen wo sie waren, bei wem sie waren. "Wo bist du?" dachte Ayesha und schluckte schwer. "Wohin haben sie dich gebracht? Lebst du überhaupt noch?" Bei diesem letzten Gedanken zuckte sie zusammen, als habe man sie geschlagen. Nein, sie wusste das Ryan noch lebte, sie fühlte es ganz deutlich. Doch sie litt unglaubliche Qualen, irgendwo litt der Mensch welchen sie liebte. Niedergeschlagen senkte Ayesha ihren Blick und starrte auf das Ufer. "Ryan," wisperte sie und berührte sanft das Wasser mit ihren Fingern. "Ryan..." Bei dem Klang dieses Namens hob Loba sofort ihren Kopf. Blickte sich nach allen Seiten um, und gab dann einen traurigen Laut von sich. "Sie ist nicht hier Loba," sagte Ayesha und strich der Wölfin über ihren Kopf, kraulte sie hinter ihrem Ohr wie Ryan es immer getan hatte. "Du vermisst sie, ich weißt das mein Mädchen. Ich vermisse sie auch." Aus traurigen Augen blickte Loba Ayesha an, und legte ihren Kopf in ihren Schoß, suchte ihre Wärme und ihre Nähe. "Glaubst du wir sehen sie wieder Loba?" fragte sie leise, doch die Wölfin blieb stumm. "Du weißt es also auch nicht." Traurig blickte Ayesha wieder auf den See hinaus. Anfangs hatte sie Ryan dafür verflucht, dass sie gegangen war, doch nun fühlte sie nur noch eine tiefe Leere in sich. Seitdem sie wieder in ihrem zu Hause war, hatte sie nicht einmal gelächelt. Wie konnte sie auch, wenn sie doch ganz genau wusste, dass Ryan irgendwo gefangen war. Ayesha seufzte leise, ein Windstoß erfasste ihre Haare und ließ sie ihr wirr in die Stirn hängen. Stützend legte sie ihre Hände hinter sich auf das kühle Gras, verblühte Blumen brachen unter dem Gewicht ihrer Hände... "Ayesha?" Sie hörte die Stimme in ihrem Rücken, doch sie reagierte nicht. Sie wollte alleine sein. Alleine mit ihren Gedanken und Sehnsüchten. "Ich weiß dass du mich hörst," sagte Arlon und ließ sich seufzend neben seiner Tochter nieder, betrachtete sie mit einem mitfühlenden Blick. "Sei mir nicht böse Vater," sagte Ayesha ohne ihn anzusehen. "Ich möchte alleine sein..." "Seit du wieder zu uns zurückgekehrt bist willst du alleine sein mein Kind. Was ist denn nur los mit dir?" Ayesha seufzte geräuschvoll, und blickte ihren Vater an. Erst jetzt fiel ihr auf das er gealtert war. Nicht äußerlich sondern innerlich. Seine Augen waren gealtert. Diese Kraft in ihnen war zu einem schwachen Leuchten geschrumpft. "Weißt du eigentlich das ich geglaubt habe, du wärst Tod," sagte ihr Vater plötzlich und zog sie in seine Arme. "Ich dachte ich würde dich nie wieder sehen mein Kind. Ich dachte ich hätte nun auch dich verloren." Fest klammerte sich Ayesha an den Körper ihres Vaters. Tränen versuchten aus ihren Augen zu entweichen, doch sie ließ es nicht zu. "Was hast du nur Ayesha, du kannst es mir doch sagen?" Konnte sie das? Konnte sie ihm sagen dass sie ihr Herz verschenkt hatte? An einen Menschen mit so vielen Gesichtern? An einen wunderbaren Menschen, der nur jetzt für sie unerreichbar war. Ayesha schluckte hart, löste sich aus der Umarmung und blickte ihren Vater an. "Ich kann es dir nicht sagen," flüsterte sie und blickte beschämt zur Seite. "Noch nicht. Verzeih mir." Arlon lächelte, nahm ihr Kinn zwischen seine Finger und zwang Ayesha ihn anzusehen. "Da gibt es nichts zu verzeihen mein Kind. Wenn du es mir nicht erzählen willst, ich bin mir sicher du wirst deine Gründe dafür haben." "Ich wüsste auch gar nicht wo ich anfangen sollte," sagte Ayesha und raufte sich die Haare. "Ich brauche einfach etwas Zeit, dass ist alles. Ich brauche nur etwas Zeit." Arlon nickte schweigend. Er konnte nur erahnen was seiner Tochter alles widerfahren sein mochte. Wie viel schreckliches sie erblickt haben musste. Noch nie in seinem Leben war er über etwas so froh gewesen, wie an dem Tag der Rückkehr Ayeshas. Er hatte es nicht glauben können, als sie den Berg hinunter geeilt kam. Sie hatte geweint, doch er hatte gespürt dass es keine Tränen der Freude waren. Irgendetwas musste passiert sein, aber er wusste nicht was. Sanft zog er das Gesicht seiner Tochter zu sich und küsste sie auf ihre Stirn. "Du hast soviel Zeit wie du brauchst mein Kind. Ich bin so froh, dass du wieder bei mir bist. Ich liebe dich." "Danke Vater," flüsterte Ayesha und drückte ihren Vater für eine kurze Zeit fest an sich. "Ich liebe dich auch." Arlon lächelte sanft und erhob sich wieder. "Bitte bleib nicht all zu lange hier draußen. Es wird kalt, ich möchte nicht das du krank wirst." Ayesha nickte schweigend und blickte wieder auf den See hinaus. Kopf schüttelnd verließ Arlon das Seeufer, blickte noch einmal kurz zu seiner Tochter hinüber. "Was ist dir nur widerfahren Ayesha?" fragte er sich, doch seine Frage verhallte ungehört... Durch einen dicken Tränenschleier blickte Ayesha auf den See hinaus, ihr Blick schweifte hinauf in den Himmel. Langsam bereitete sich die Nacht über das Land aus, jedoch konnte sie ihr keinen Frieden schenken. Sie wusste, dass ihr Vater sich Sorgen um sich machte, doch er konnte nicht wissen was sie beschäftigte. Welche Sorgen sie plagten, und sie wollte es ihm nicht erzählen. Sie konnte es nicht. "Komm zurück," flüsterte sie leise und schloss ihre Augen. "Bitte, komm zurück zu mir, bitte." Fest schlang Ayesha ihre Arme um sich selbst, und sah zu wie sich der Tag langsam in die Nacht verwandelte. "Ich vermisse dich, komm zurück.Ich liebe dich, komm zurück..." Nervös blies Katlar die Luft aus seinen Lungen, sein Körper war angespannt, und er lief nachdenklich in der kleinen Zelle auf und ab. Das Stroh raschelte unter seinen Stiefeln. Er war am Ziel, sie saß in seiner Falle, gehörte ihm. Er lächelte, nun war er der Sieger. Er hatte diesen Kampf zwischen ihnen gewonnen. Seufzend lehnte er sich gegen die Steinmauer und blickte aus dem vergitterten Fenster hinaus in die Nacht. "Maris," flüsterte er leise. "Ich hatte es dir geschworen, so viele Male. Jetzt ist wahrlich unsere Zeit gekommen. Ich habe sie, deine Mörderin." Ein Windhauch durchdrang die Gitter, und Katlar atmete genüsslich diesen Duft ein. Diesen Duft welchen die Welt nur versprühte wenn sie im Wechsel war, wenn sie ihr Kleid änderte. Eis, Schnee, Winter... Seine Zeit war angebrochen. Oh, er würde sie leiden lassen, so sehr, dass sie sich wünschen würde, sie wäre schon seit langer Zeit nicht mehr unter den Lebenden. Er würde ihr Licht einfangen, es quälen. Katlar lächelte bei diesem Gedanken genüsslich. Wie süß konnte Rache doch sein? Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken, die Tür zur Zelle öffnete sich, und zwei Krieger schleiften einen schlaffen Körper hinein. "Ist sie noch bei Bewusstsein?" knurrte Katlar, und sah zu wie die Krieger Ryan auf den Boden stießen. "Natürlich Herr," sagte der eine und verneigte sich leicht. "So wie ihr es befohlen habt." Katlar nickte stumm. Was brachte ihm all das, wenn Ryan nicht wahrnehmen konnte was er ihr zu erzählen hatte. Die Krieger befestigten wieder die Fußfesseln, und verneigten sich beide vor ihrem Herren. Mit einer flüchtigen Geste wies Katlar beide an sich zu entfernen und die Männer gehorchten. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss. Still war es... "Ryan?" fragte Katlar und beugte sich zu ihr hinunter. "Ryan hörst du mich?" Er vernahm ihren flachen Atem, seine Männer hatten gute Arbeit geleistet. Sacht schlug er gegen Ryans Wange, und sah zu wie sie nach wenigen Augenblicken ihre Augen zaghaft aufschlug. "Du bist also doch wach," sagte er und lächelte schief. "Ich hatte schon die Befürchtung wir könnten uns gar nicht mehr miteinander unterhalten." "Und ich, und ich hatte mich schon gefragt, wann wir uns wieder sehen," röchelte Ryan, und richtete sich ein wenig auf. Ihre Lippen waren spröde, und ihr Mund fühlte sich ausgetrocknet an. Doch all das war nichts im Vergleich zu diesem Schmerz, welcher tief in ihr brannte und ihr Fleisch noch immer marterte. Schwerfällig folgte sie Katlars Schritten. Er schlich um sie herum, und begutachtete sie wie ein Händler sein Vieh. "Haben sie dir sehr wehgetan?" fragte er, konnte sich ein bösartiges Lachen jedoch nicht verkneifen. "Interessiert dich das wirklich?" gab Ryan die Frage zurück und fixierte Katlar fest. In ihren Augen lag all der Hass, welcher sich über Jahre in ihr angestaut hatte, doch sie war seine Gefangene. Er hatte die Kontrolle, und diese Tatsache war für sie unerträglich. Sie fühlte sich wie ein eingesperrtes Tier, und es war nur eine Frage der Zeit bis man ihr ihre Krallen zog. "Ich glaube," begann Katlar und unterbrach sein auf und ab gehen. "Du hast nicht geglaubt, dass es einmal so zwischen uns enden würde, oder?" "Nein," bekannte Ryan und starrte ihr Gegenüber finster an. "Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich dich zum letzten Mal in deinem eigenen Blut liegen sehen würde." "Wie sehr man sich doch täuschen kann," meinte Katlar und nickte bestätigend. "Die Dinge scheinen im Moment nicht zu deinen Gunsten zu laufen, und dennoch bist du so stolz wie eh und je. Ich frage mich ob du einfach nur dumm oder genial bist." Er schüttelte nachdenklich seinen Kopf und blickte Ryan dann in ihre Augen. "Was glaubst du, was ich jetzt mit dir vorhabe?" Irgendetwas in seiner Stimme ließ Ryan zusammen zucken. Er war so Siegesgewisse, dass es ihr schwindelte. Fest presste sie ihre Lippen aufeinander, um den Schmerz in sich ertragen zu können. "Du wirst mich töten," stieß sie hervor und spürte wie die Kraft in ihren Gliedern schwand. "Hältst du mich für so primitiv?" fragte Katlar und wirkte etwas beleidigt. "Weißt du eigentlich wie lange dieses Gefühl wenn man einen Gegner niederstreckt anhält? Warum frage ich dich, natürlich weißt du es. Es ist nur ein winziger Augenblick, nur ein Hauchen der Zeit. Man fühlt diese Befriedigung erst in jenem Moment wenn das Herz des Gegners aufhört zu schlagen. Ein schwindend geringer Moment. Es vergeht zu schnell." Erneut beugte er sich zu Ryan nieder. "Deshalb habe ich mir etwas anderes für dich ausgedacht," zischte er, griff fest in ihr Haar und riss ihren Kopf in die Höhe. "Ach ja," erwiderte Ryan spöttisch. "Und was?" "Ganz langsam werde ich dich zerstören, jeden Tag ein Stückchen. Ich werde nicht nur dich strafen, sondern auch diejenigen welche dir so kostbar sind." Er lachte laut, und in seinen Augen funkelte die Rachlust auf. Stoßweise entrann Ryan der Atem aus ihrer Kehle. "Sie haben nichts damit zutun," schrie sie so laut, dass sie ihre Stimme überschlug. "Eben das sah zum Beispiel dein alter Freund anders." Gequält schloss Ryan ihre Augen...Wido. "Er dachte doch wirklich, dass er etwas gegen mich ausrichteten konnte, dieser alte Narr," spie Katlar verächtlich aus. "Jedoch habe ich erst durch ihn erkannt, wie viel Freude es macht dich Leiden zusehen. Es war mir eine Freude ihn zu töten." "Merkwürdig," meinte Ryan und lächelte böse. "Das gleiche dachte ich bei deiner Frau..." Ein heftiger Schlag traf sie im Gesicht. "Wage es nie wieder über sie zu sprechen," schrie Katlar und seine Wangen röteten sich vor Zorn. "Weißt du eigentlich wie sie uns angefleht hat sie zu verschonen?" fragte Ryan und leckte sich ihr Blut von den Lippen. "Sie hat so sehr geweint, gebettelt hat sie um ihr Leben. Wie erbärmlich sie doch war." "Hör auf," schrie Katlar und packte Ryan an ihrem Gewand. "Du kennst doch überhaupt nicht das Gefühl zu lieben. Wie kann ein Mensch jemanden wie dich nur lieben?" "Und das sagst ausgerechnet du zu mir?" entgegnete Ryan und hob argwöhnisch eine Augenbraue an. "Was weißt du schon von mir? Natürlich kenn ich dieses Gefühl.Ich kenne es..." Traurig senkte sie ihren Blick und verstummte. "Sprichst du gerade über deine kleine Freundin?" Mit wachsender Genugtuung sah Katlar zu, wie Angst in Ryans Augen trat. "Ein hübsches Mädchen," flüstere er und leckte sich über seine Lippen. "Ich glaube, sie würde unseren Männern gefallen." "Wenn du sie auch nur berührst schwöre ich, dass ich dich abschlachte wie einen alten Köter," zischte Ryan ihm entgegen und verzog verächtlich ihren Mund. Stumm starrten sich beide an. Still war es um sie. Katlar war überrascht von dem Blick in Ryans Augen. Angst und Sorge lagen in ihnen. Ein weiterer wunder Punkt. "Ryan, Ryan," abrupt löste er seinen Griff um Ryans Kragen und brachte wieder etwas Distanz zwischen sie beide. "Ich muss sagen, ich bin enttäuscht von dir. Stellst einfach einem so jungen und unerfahrenen Ding nach. Weiß sie wer du wirklich bist? Wie kalt du bist, wie viel Blut an deinen Händen klebt?" "Das geht dich einen feuchten Dreck an. Und wenn du ihr irgendetwas tust...ich werde dich umbringen." Lächelnd drehte ihr Katlar den Rücken zu und sah aus dem vergitterten Fenster hinaus. "Ich muss sagen, du bist wirklich hässlich. Da hast du einen Menschen der dich so sehr liebt, eine wunderschöne Frau, und was tust du? Du betrügst sie einfach, nein, wie hässlich von dir." Erschrocken weiteten sich Ryans Augen. "Nein...das hast du nicht getan...das nicht," wisperte sie stockend. "Eines muss ich dir lassen," sagte Katlar und blickte sie an. "Du hast einen guten Geschmack. Sie ist wirklich wunderschön, jedoch sie wehrt sich so beharrlich, und schreit so viel." "Halt dein Maul," schrie Ryan und zerrte wütend an ihren Ketten. "Wie hart wird sie das nur treffen," Kopf schüttelnd kam Katlar näher. "Wie hart wird es für sie sein, wenn sie erfährt, dass du sie betrogen hast?" Dicht vor ihr blieb er stehen und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. "Es wird mir eine Freude sein ihr diese Botschaft zu überbringen, oder willst du das doch lieber selbst tun?" Ryan bebte vor Zorn am ganzen Körper. Ihre Gedanken überschlugen sich... "Das wirst du mir büssen," presste sie hervor und spuckte Katlar vor seine Füße. "Ich werde dich töten...das wirst du mir büssen." Mit langsamen bedächtigen Schritten ging Katlar auf die Tür zu, öffnete sie und winkte einen der Männer welche auf dem Gang wache standen zu sich. "Bringt mir das Mädchen," sagte mit herrischem Ton, der Mann nickte, verneigte sich und eilte fort. Seine Stiefel knirschten auf dem Steinboden. "Oh Ryan, es wird ihr das Herz brechen." Katlars kaltes Lachen hallte von den Steinmauern wieder, und Ryan schloss gequält ihre Augen. "Teleri," dachte sie. Furcht und Schuldgefühle befielen ihr Denken. "Was hat er dir nur angetan...dann haben mich meine Träume doch nicht getäuscht." Kaum merklich begann Ryans Unterlippen zu zittern. "Und all das hat sie nur für dich über sich ergehen lassen," hörte sie die Stimme Katlars über sich. "Bei den Göttern, weißt du wie sehr sie nun leiden wird?" "Du elender Bastard," schrie Ryan, doch sie wollte nicht ihre Augen öffnen. Nicht sein spöttisches Lächeln sehen. Sie wollte ihm nicht auch noch diese Genugtuung bieten. Fest krallten sich ihre Finger in das Stroh, suchten einen Halt, doch sie fand ihn nicht. Schwerelos trieb ihr Geist fort, verkroch sich in diese Schwärze welche sich in ihrem Kopf ausbreitete. Sie konnte nicht mehr... Es klopfte fest und bestimmt an der Zellentür. "Da ist sie," sagte Katlar an Ryan gewandt, und öffnete die Tür. Angst erfüllt lugte Ryan zu der geöffneten Tür hinüber. Ihr Blick wurde weich, zärtlich. Mit ebenfalls weit aufgerissenen Augen starrte sie Teleri an. Ryan sah wie Tränen ihre Wangen hinab glitten. Teleri zitterte am ganzen Körper, versuchte einen Schritt auf Ryan zu zumachen, doch die Wache hielt sie fest am Arm. Lächelnd strich Katlar Teleri über ihre Wange, und diese schloss ängstlich ihre Augen. Er nickte der Wache kurz zu, und dieser ließ Teleri los. "Nun Ryan," sagte er ohne sie anzublicken. "Du weißt was du zutun hast." Fest umschlossen seine Hände Teleris Gesicht, zogen es an das seine und er drückte ihr einen Kuss auf ihre Lippen. Angewidert nahm Ryan ihren Blick von beiden, fest ballten sich ihre Hände zu Fäusten. "Süßes Wiedersehen," rief Katlar ihr zu, lachte leise und verriegelte die schwere Tür hinter sich... Sprachlos starrte Ryan Teleri an. Sie fühlte wie sich ihre Kehle langsam zusammen schnürte, ihr die Luft zum atmen nahm. Sie ertrug diesen Anblick nur wenige Augenblicke, und schlug dann ihre Augen nieder. Was hatte sie nur getan? "Ryan." Sie hörte die sanfte Stimme Teleris. Zaghaft schlug Ryan wieder ihre Augen auf, blickte Teleri an. Ihr Gesicht und ihr Gewand starrten vor Schmutz. Ihre Haare hingen ihr wirr in die Stirn und an ihren Wangen rannen immer noch Tränen hinunter. Sie hörte wie Teleri leise schluchzte. "Teleri," flüsterte sie, versuchte sich zu bewegen, doch die Ketten hielten sie fest. Langsam kam Teleri auf sie zu, streckte ihre Hand aus, Ryan seufzte leise, als sie die zarten Hände auf ihren Wangen fühlte. "Ich kann es nicht glauben," wisperte Teleri und lächelte leicht. "Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen." Vorsichtig zog sie Ryans Kopf in die Höhe und küsste sie auf ihre Stirn. "Ich hatte eigentlich gehofft, wir würden uns auf eine andere Art und Weise wieder sehen," erwiderte Ryan und legte ihre Hand auf die von Teleri. Stille kehrte zwischen ihnen ein...Beschämt vermied es Ryan Teleri in ihre Augen zu blicken, sie fürchtete sich davor, dass Teleri zu tief in sie hinein sehen könnte. Das sie erkennen könnte was passiert war. "Was haben sie dir angetan?" fragte Ryan leise und berührte Teleri zärtlich an ihrer Wange. Sie spürte wie ein kurzes Zittern durch Teleris Körper fuhr, und das sie ihren Atem anhielt. "Was haben sie dir angetan?" wiederholte sie ihre Frage. "Das ist doch unwichtig," versuchte Teleri ihr auszuweichen, sie wollte nicht darüber sprechen, wollte sich all diese Dinge nicht in ihr Gedächtnis rufen. "Für mich ist es nicht unwichtig," Ryans Augen suchten nun doch die Teleris, und blickte sie fest an. "Was ist passiert?" Seufzend ließ sich Teleri auf den Boden sinken und strich Ryan abwesend durch ihr Haar. "Sie haben uns überfallen," begann sie leise zu erzählen und starrte die Mauern der Zelle an. "Sie nahmen mich mit. Ich wusste doch nicht warum, bis ich ihn sah. Er sah genauso aus wie du es mir erzählt hast...sie haben...sie haben mich..." Teleris Stimme begann zu schwanken, und verlor sich dann in einem hilflosen Schluchzen. Schwerfällig versuchte Ryan sich aufzurichten um sie in ihre Arme zu schließen, doch die schweren Ketten machten dieses Vorhaben unmöglich. Zorn vibrierte in ihren Nerven. "Ich werde dich töten," schrie sie wütend. "Hörst du mich du elender Bastard, ich werde dich töten. Töten." Fest schlangen sich Arme um ihren Körper, drückten sie fest an sich. "Psst," flüsterte Teleri ihr ins Ohr. "Sag so etwas nicht, du machst es für uns beide nur noch schlimmer." "Verzeih mir," schluchzte Ryan. "Ich wollte das nicht, ich wollte nicht, dass sie dir so etwas antun." Sanft strich Teleri ihr durchs Haar und lächelte leicht. "Ist schon gut," sagte sie beruhigend. "Ich weiß, dass du es nicht wolltest." Schweigend wiegte sie Ryan in ihren Armen hin und her. Sie fühlte wie ihre Handflächen feucht wurden, argwöhnisch hob sie eine ihrer Hände vor ihr Gesicht, ihr Atem stockte. Rote Flüssigkeit rann die Linien ihrer Handfläche hinab. Blut, Ryans Blut. "Was haben sie getan?" Bei dieser Frage breitete sich auf Ryans Gesicht ein Lächeln der Bitterkeit aus. "Was glaubst du?" gab sie die Frage zurück und bettete ihren Kopf in Teleris Schoß. "Ich glaube, ich möchte es überhaupt nicht wissen, da ich es mir sehr gut vorstellen kann..." erwiderte diese und blickte nachdenklich auf Ryan hinab. Irgendetwas behagte ihr nicht, sie konnte es nicht eindeutig benennen, doch sie spürte es genau. Etwas stimmte mit Ryan nicht. "Sind Wido und das Mädchen auch hier?" Ein Schauder jagte Ryans Rücken hinab und sie schloss ihre Augen. "Er hat Wido getötet," flüsterte sie leise. "Nein," stieß Teleri hervor. " Das kann nicht sein, das darf nicht sein." "Es ist aber die Wahrheit, er hat ihn getötet...ich konnte ihm nicht helfen...ich habe versagt," gestand Ryan und umfasste Teleris Knie. "Und die Kleine? Ist sie auch..." "Nein, sie ist zu Hause bei ihrem Vater. Ayesha ist zu Hause." Bei diesem Namen bereitete sich eine Art von Wärme in Ryans Körper aus und ließ ihr Zittern verschwinden. Ayesha. Wie sehr wünschte sie sich jetzt bei ihr zu sein, sie in ihren Armen zu halten, doch dann schnitt eben dieser Wunsch ihr wie die Klinge eines Schwertes tief in ihr Fleisch. "Ich habe dich so sehr vermisst," wisperte Teleri und küsste Ryan auf ihre Wange. "Warum hast du mich nicht gehört? Warum? Ich hatte den Eindruck, als wärst du so weit von mir entfernt wie es noch nie der Fall gewesen war." "Ich habe dich gehört," sagte Ryan beschwichtigend. "Ich habe von dir geträumt..." "Ich auch von dir," flüsterte Teleri, vergrub ihr Gesicht in Ryans Haaren und streichelte über ihren Arm. Übelkeit stieg in Ryan auf, sie kam sich so schäbig vor, so unsagbar schäbig. Sanft drehte Teleri Ryans Kopf in ihre Richtung und sah sie an. Ihre Augen waren so traurig. Warum? Aufmunternd lächelte Teleri sie an. "Ich liebe dich." Langsam nährten sich ihre Lippen Ryans und hauchten ihr einen zarten Kuss auf den Mund. Irritiert öffnete Teleri augenblicklich ihre Augen. "Was hast du? Du bist so anders, es fühlt sich so anders an." Angespannt wich Ryan Teleris Blick aus, sie ertrug es nicht sie anzublicken. "Teleri, ich...ich...," begann sie, doch die Worten blieben aus. Sie wusste nicht was sie sagen sollte. "Die Kleine," sagte Teleri plötzlich. "Es ist die Kleine nicht wahr?" Ryan nickte stumm als Antwort, zu mehr war sie nicht in der Lage. "Ich wusste es," erklang die Stimme Teleris über ihr. "Ich wusste, dass ich dich nicht halten kann, ich wusste es." Tränen tropften auf Ryans Haar, und sie schloss abermals ihre Augen. Was hatte sie dieser Frau nur angetan? Sie war wirklich ein Monster. "Teleri es tut mir leid." "Sag das nicht," unterbrach sie Teleri. "Ich wusste an jenem Morgen an welchem du mit ihr aufgebrochen warst, dass etwas passieren würde. Ich habe es gewusst." Niedergeschlagen blickte Ryan Teleri an. Ihre Tränen tropften immer noch auf Ryans Gesicht, sie versuchte ihre Hand zu heben, doch Teleri hielt sie auf. Umfing Ryans Hand mit der ihren, führte sie an ihre Lippen und küsste ihre Finger. "Vergib mir," flüsterte Ryan den Tränen nahe. "Bitte vergib mir." "Habe ich dir jemals gesagt wie wunderschön du bist?" fragte Teleri und lächelte sie traurig an. "Nein, dass habe ich dir nie gesagt. Du bist so wunderschön, so schön..." Zärtlich nahm Teleri Ryans Gesicht zwischen ihre Hände und küsste sie ein weiteres Mal. "Erfüllst du mir noch einen Wunsch?" flüsterte sie mit Tränen erstickter Stimme und blickte Ryan fragend in ihre Augen. "Jeden," hauchte Ryan und strich über ihre Wange. "Dann tue diese Nacht so, als wäre nichts geschehen, tu einfach so, als wäre alles in Ordnung. Sei heute Nacht zum letzten Mal mein, danach gebe ich dich frei..." Zaghaft nickte Ryan, packte Teleri am Kragen ihres Gewandes und zog ihr Gesicht nahe an das ihre. "Wie du willst," flüsterte sie zärtlich und küsste sie auf ihre Lippen. Seufzend gab sich Teleri diesem Kuss hin. Vorsichtig umschlossen ihre Arme Ryans Körper und zogen sie fest an sich. Ihre Gedanken verfolgen... Leere breitete sich in ihrem Körper aus, ein gigantische Leere welche sie nie wieder füllen könnte. Sie fühlte wie die Hände Ryans ihr sanft über ihr Gesicht strichen, wie sich ihre Lippen fordernd auf die ihren drückten, doch sie wusste in diesem Moment auch, dass es nicht der Wirklichkeit entsprach. "Ich werde dich immer lieben," dachte sie während ihr weiterhin Tränen über die Wangen flossen. Mitten in der Nacht fuhr Ayesha aus ihrem Schlaf auf. Ihr Atem presste sich zischend durch ihre Zähen hindurch, ihr Haar klebte an ihrer schweißnassen Stirn. Fest umkrampften ihre Finger das Bettlaken. "Was war das für ein Traum?" flüsterte sie leise und strich sich einige verschwitzte Haarsträhnen aus der Stirn. Ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb, und ihr wilder Atem wollte sich nicht beruhigen. Ihr war heiß und kalt zugleich. Irritiert blickte sie sich um, doch niemand war zusehen. Nur Loba schlief friedlich neben ihrem Bett. Erschöpft ließ sich Ayesha zurück in ihre Kissen sinken. "Ryan," dachte sie und wälzte sich unruhig in ihrem Bett hin und her. "Was tust du? Was tust du nur? Glaubst du ich fühle das nicht? Ich fühle es sehr genau, deinen Schmerz, und auch deine Schuldgefühle. Dein Verlangen. Du willst das doch gar nicht, hör auf damit, bitte, es tut weh. Warum tust du das..." Müde lag Teleri in Ryans Armen. Sie hatte ihre Augen geschlossen. Sie fühlte die kalten Eisenketten auf ihrer Haut, und sie zuckte kurz zusammen. "Nun bist du frei," dachte sie und versuchte sich gegen die erneut aufsteigenden Tränen zuwehren. "Du bist frei, und ich bin alleine, wie ungerecht die Welt doch ist. Ich habe dich verloren, doch warst du wirklich jemals bei mir? Ich habe dich so geliebt. Ich tue es immer noch. Es tut weh, so weh..." Tränen sammelten sich in ihren Augen, sie hatte den Kampf verloren. "Ich habe dich so geliebt," dachte sie abermals. "Warum? Warum liege ich nun in diesen Scherben? Spürst du meinen Schmerz? Unser Band ist gelöst, unsere Schwüre zerbrochen. Du bist nun frei..." Still hielt Ryan Teleri fest. Streichelte ihr beruhigend über ihre Hand, sog den Geruch ihres Haares tief in ihre Lungen ein. Sie fühlte sich schlecht. Was war sie nur für ein Mensch? Traurig schloss Ryan ihre Augen und lauschte dem gleichmäßigen Atem Teleris. Sie seufzte leise auf und bettete ihren Kopf in das Stroh. Sie spürte wie Teleri langsam davon trieb, eintauchte in einen friedlich Schlaf. "Teleri, ich habe dich geliebt. Ich wollte dir nie wehtun, es tut mir wirklich leid. Ich wollte dich nie ins Unglück stürzen, und dennoch habe ich es getan, ich habe dich dort hinein gestoßen. Ich habe dich wirklich geliebt, vergiss das niemals." Sie fühlte, dass ihre Wunden schmerzten, doch war das nicht Bedeutungslos, wenn man sich vor Augen führte wie viel Schmerz sie der Frau zugefügt hatte die nun in ihren Armen lag? Und selbst jetzt noch waren ihre Gedanken nicht im hier und jetzt. Sie waren wieder bei einem anderen Menschen. Einem Menschen der soweit entfernt von ihr war. "Ayesha," dachte sie wehmütig. "Es tut mir leid. Ich wünschte ich könnte bei dir sein. Fühlst du mich, fühlst du meine Sehnsucht? Mein wunderschönes Mädchen. Werde ich dich wieder sehen? Noch einmal in deinen Armen liegen? Ich liebe dich. Was habe ich nur getan..." Nachwort: Hallo erstmal an alle. Wieder ein etwas längeres Kapitel, aber es gab ja auch viel zu erzählen. Deshalb an die alt bekannten Freischalter: "Tschuldigung!" Naja, so düster wie ich gedacht hab war es ja dann gar nicht mal, oder? Ich hoffe das Kapitel war einigermaßen in Ordnung für euch. Ich hoffe ich konnte mit dem Kapitel ein bisschen das ausdrücken, was die Charaktere so bewegt...Nun, ich bedanken mich wieder für das Lesen und hoffe die Geschichte ist weiterhin noch nachvollziehbar. In dem Sinne noch einen Gruß an Igel, Mondscheinelfe und alle anderen die diese Geschichte vielleicht sonst noch so lesen! Adios und bis bald. seen Kapitel 14: Herbstmond ---------------------- Herbstmond Der kalte Wind drang durch das vergitterte Fenster, heulte leise und gequält auf, umhüllte den zitternden Körper mit seinen eisigen Fingern. Saugte die Wärme aus ihm heraus, ließ die Glieder erstarren. Zusammen gekauert lag Ryan auf dem Stroh, ihre Zähne klapperten und ihre Finger begannen durch die Kälte langsam taub zu werden. Flach entstieg ihr Atem ihrer Kehle und bildete kleine weiße Wölkchen. Vorsichtig rieb sie ihre Hände gegen einander, um sich wenigstens den letzte Rest Wärme in ihrem Körper zu bewahren. Ihre nasse Kleidung klebte an ihrem Körper. Bevor die Nacht über das Land herein gebrochen war, hatte ein Krieger sie mit kaltem Wasser übergossen. "Damit es dir nicht ganz so behaglich wird," hatte er gesagt und laut aufgelacht. Zorn kroch in ihr hoch, doch wofür all diese Mühe? Es war vergeblich sich zuwehren, sie hatte gelernt, dass sie nichts tun konnte. Sie war dazu verdammt all diese Schikanen über sich ergehen zulassen. Widerstand war zwecklos geworden. Seufzend zog Ryan ihre Knie an ihren Oberkörper und schloss ihre müden Augen. Wie lange war sie jetzt schon hier gefangen? Nur sporadisch nahm sie die Einflüsse der Welt war. Doch sie fühlte dass es immer kälter wurde. Der Herbst war angebrochen. Wochen mussten vergangen sein, doch Zeit spielte für sie keine Rolle mehr. Jeder Tag zog sich endlos dahin, Stunden wurden zu Tagen und Tage wurden zu einer kleinen Ewigkeit. Ihr Körper hatte sich an die täglichen Qualen der Folter gewöhnt. Ihr Geist wohnte diesen Prozeduren nicht mehr bei. Er trieb jedes Mal fort, versteckte sich tief in diesem letzten Stück ihres Körpers, das nur ihr gehörte. In welches die Wölfe noch nicht vordringen konnten. Auf ihrem Körper hatten sich neue Narben gebildet, weitere Erinnerungen die sie auf ewig mit sich tragen würde. Doch wie lange würde sie noch leben? Wie lange würde Katlar noch mit ihr spielen? Ryan hasste dieses Gefühl, dass sie für ihn nichts weiter als ein Spielzeug war mit welchem er nach Belieben verfahren konnte wie er wollte. Nachdenklich starrte sie die kalten Steinmauern an. Dunkelheit umgab sie, doch in diesem Moment erschien ihr die Nacht als tröstlich. Trotz der Kälte welche ihren Körper lähmte, war die Nacht jedes Mal die einzige Zeit in welcher sie ruhen und nachdenken konnte. "Teleri," flüsterte sie leise. "Werden sie dich nun zufrieden lassen? Jetzt da sie mich haben?" Erneut stiegen Schuldgefühle und Scham in ihr auf, als sie an Teleri dachte. Ihre Gedanken kehrten zu der Nacht zurück, in welcher Teleri in ihren Armen gelegen hatte. Was hatte sie ihr nur angetan? Wie viel Schmerzen hatte sie ihr bereitet? Es war ein Abschied in jener Nacht gewesen, ein schmerzlicher und endgültiger Abschied. "Nun bist du frei," hatte sie geflüstert, und Ryan war nicht entgangen wie lange Teleri geweint hatte, wie lange sie selbst geweint hatte. Fest presste sie ihre Lippen aufeinander. "Vergib mir," dachte sie bitter. "Vergib mir Teleri." Bilder tanzten in ihrem Kopf. Weit fort trieb ihr Geist, verlor sich in Erinnerungen. In Erinnerungen die schon so weit zurück lagen... Vor sich erblickte sie plötzlich wie sie Teleri das erste Mal gesehen hatte, wie wunderschön sie in ihren Augen gewesen war. Wie lange es gedauert hatte bis sie bereit gewesen war sich Teleri zu öffnen. Auf ihren Lippen spürte sie ihren ersten Kuss. Ein kraftvolles Zittern ließ ihren Körper erbeben. "Was habe ich nur getan?" fragte sie sich selbst, aber eine Antwort war nicht zu erwarten. Doch dann tauchte ein weiteres Bild in ihren Erinnerungen auf, und dieses schmerzte noch mehr. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, und der Stein über ihrem Herzen erwärmte sich augenblicklich. "Ayesha," flüsterte sie und ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht, erstarb jedoch so schnell wie es auch gekommen war. "Werde ich dich genauso verletzen wie Teleri? Wirst du durch mich ebenfalls in diesen Abgrund gerissen? Warum liebst du mich nur, und warum liebe ich dich nur so sehr. Warum?" Wütend ballte sie ihre Hände zu Fäusten. "Du darfst mich nicht lieben, und ich darf es ebenfalls nicht, ich werde dich zerstören, zerstören wie ich jeden um mich herum bereits zerstört habe. Ich darf nicht, aber ich kann dich nicht vergessen...es geht nicht..." Feine durchsichtige Perlen sammelten sich in ihren Augen, liefen ihre Wangen hinab und tropften auf ihre gefesselten Hände. "Ich kann es nicht." wisperte Ryan und schüttelte leicht ihren Kopf. Warum musste dieses Mädchen auch diesen Ort tief in ihr berühren? Warum war ihr die Gefahr in welcher sie schwebte so gleichgültig? "Mein wunderschönes Mädchen," dachte Ryan und Sehnsucht begann ihren Körper zu verbrennen. Diese Sehnsucht welche einen Körper nur befällt, wenn man sich sicher ist einen geliebten Menschen niemals wieder zu sehen. Wenn man sich nicht verabschieden konnte. "Verzeih mir Ayesha," flüsterte Ryan leise. "Verzeih mir diese Liebe die dich vielleicht zerstören wird. Verdammt. Ich will dich wieder sehen, ich muss dich wieder sehen. Wartest du auf mich? Hörst du mich? Ich möchte dich doch nur noch ein letztes Mal sehen, deine Stimme hören, dich berühren. Ayesha, gib mir ein Zeichen und ich werde kämpfen..." Laut heulte der Wind auf, sein eisiger Atem ließ Ryan erschaudern, dennoch brannte ihr Körper vor Verlangen. Vorsichtig tastete sich ihre Hand an ihren Hals, zog den Anhänger hervor und betrachtete den kleinen Stein welcher zu leuchten begonnen hatte. "Gib mir ein Zeichen," sagte sie fest. "Ich weiß, du kannst es. Ich komme zurück, ich habe es dir versprochen. Ich komme zurück zu dir." Sacht führte sie den Stein an ihre Lippen, küsste seine Oberfläche und schloss ergeben ihre Augen. Wärme durchflutete ihre Adern, vertrieb die Schatten der Kälte. Unwillkürlich musste Ryan lächeln. "Ich hatte nicht gedacht, dass du mir eines Tages nützlich sein könntest." Sanft strich sie über den weißen Stein, als wolle sie sich auf diese Art und Weise bei ihm bedanken. Silbernes Licht ergoss sich durch das vergitterte Fenster. Erst jetzt bemerkte Ryan diese Müdigkeit in ihren Gliedern, spürte wie ihr Geist sanft davon glitt. "Ich komme zurück," flüsterte sie leise. "Ich schwöre dir Ayesha, ich werde zu dir zurückkommen, vergiss mich nicht..." Ihre Augenlieder wurden ihr schwer, ihr Atem entwich ihrer Kehle regelmäßig. Auf sanften Schwingen wurde ihr Körper davon getragen. Sie träumte, ganz deutlich konnte sie es wahrnehmen. Ein See...Weiden standen dicht am Ufer, ihre langen Äste hingen bis auf die Wasseroberfläche hinab...Hütten...am Ufer des Sees saß eine Gestalt. Langsam hob sie ihren Arm, lächelte vor Glück. "Ryan," klar hallte die wunderschöne Stimme Ayeshas in ihrem Traum wieder. "Ich warte auf dich. Hab Geduld, ich weiß wir sehen uns wieder. Ich werde auf dich warten..." Dunkle Wolken verhüllten die Sonne und gaben der Welt einen düsteren Schimmer. Der kalte Herbstwind ließ die Regentropfen herum tanzen, tote Blätter lösten sich aus den Baumkronen und trieben im Wind dahin. Verschlossen hielt die Welt ihre Augen, machte sich bereit um in einen langen traumlosen Schlaf zu versinken. Laut knackte das Kaminfeuer, die kleinen Flammen zuckten sacht hin und her und verbreiteten ihre Wärme wie eine tröstliche Umarmung. Jedoch vermochten sie es nicht den Mann zu berühren welcher an seinem Schreibtisch saß, und gedankenverloren auf einige Schriftstücke blickte. Nachdenklich zeichnete Katlar die geschriebenen Linien mit seinem Finger nach. "Es ist doch immer wieder das gleiche," dachte er und lächelte missmutig. Seufzend führte er das erste Schriftstück vor seine Augen und begann zu lesen. Doch es war ihm nicht möglich sich wirklich auf diese Arbeit zu konzentrieren. Er wusste ohnehin um was es sich handelte. Todesurteile, wie jeden Tag erreichten sie ihn in Scharren. Schon seit Jahren war es immer wieder das gleiche Spiel, und er war es langsam müde bei ihm mitzuspielen. Kopf schüttelnd unterschrieb er das Pergament und lehnte sich dann in seinem Stuhl zurück. "Und schon ist ein weiteres Leben Geschichte," dachte er und blickte auf das eben unterzeichnete Schriftstück hinab. Man hätte annehmen können, dass es für ihn mit den Jahren zu einer Art Routine geworden wäre solche Schriftstücke zu unterzeichnen. Jedoch hatte er sich an diese Form der Tötung nie wirklich gewöhnen können. Dies hatte nichts mit dem Weg eines Kriegers zutun welchen ihn sein Vater gelehrt hatte. "So schnell kann ein Leben erlischen, durch eine einfache Handbewegung verglüht es," sagte er und legte das Schriftstück beiseite. "Zu einfach, viel zu einfach." Angewidert schweifte sein Blick hinauf zur Zimmerdecke, seine Gedanken wollten sich jetzt nicht mit solchen belanglosen Dingen beschäftigen. Sie hatten ein anderes Ziel vor Augen, ein weit größeres. "Warum wehrst du dich nicht," dachte er zornig. "Alles erduldest du stillschweigend...wartest auf deinen Tod. Hast du dich schon damit abgefunden? Ich hatte mir wirklich mehr von dir erhofft Ryan. Was soll ich denn noch tun, damit du endlich zerbrochen vor mir auf den Knien liegst? Muss ich doch erst das Mädchen her bringen? Sie vor deinen Augen quälen? Ist es das was du willst? Willst du das auch sie leiden muss?" Wütend hieb Katlar mit der flachen Hand auf die Schreibfläche des Tisches und streckte seine Beine aus. Wie seltsam konnte das Leben doch spielen? Er glaubte am Ziel gewesen zu sein, und dennoch verspürte er nicht die Art von Befriedigung welche er sich erhofft hatte. "Suchen nicht alle Menschen nach ihrer Erlösung?" fragte er sich selbst und schloss niedergeschlagen die Augen. "Haben wir beide nicht all die Jahre nach ihr gesucht Ryan? Hat jemals einer von uns sie gefunden? Werden wir sie jemals finden?" Plötzlich fühlte er einen Luftzug auf seiner Haut, irritiert öffnete Katlar die Augen. "Habe ich nicht gesagt, dass ich nicht gestört werden möchte?" knurrte er bösartig und tief. "Verzeih mir, ich wusste nicht dass diese Order auch für mich Geltung hat." Langsam wandte Katlar seinen Blick der geöffneten Tür zu, und fixierte den jungen Mann welcher in der Tür stand fest. "Du?" fragte er verwirrt. "Was willst du hier?" "Welch eine nette Begrüßung," entgegnete der junge Mann und kam näher. Seine vom Regen durchweichten dunkelblonden Haare hingen im strähnig in die Stirn. "Ich konnte ja nicht ahnen, was für eine Freude mein Besuch für dich darstellt." Seufzend setzte sich Katlar auf, knurrte leise und versuchte den sarkastischen Unterton in der Stimme des Besuchers zu überhören. "Wie sollte man sich auch über deinen Besuch freuen Gerin?" fragte er und lächelte schief. "Jedes Mal wenn du erscheinst, bringst du schlechte Nachrichten mit dir." Der junge Mann lachte leise und ließ sich dankbar auf einen Stuhl gleiten welcher vor dem Schreibtisch stand. Er streckte seine müden Glieder und erwiderte den Blick Katlars fest und sicher. "Findest du nicht, dass du mit dieser Aussage einwenig übertreibst mein Lieber?" Angewidert verzog Katlar sein Gesicht und schüttelte nachdenklich seinen Kopf. "Nein, ich glaube kaum das ich übertreibe Bruder. Wenn die Schoßhunde des hohen Rates zu einem Besuch anrücken, haben sie immer schlechte Nachrichten bei sich." Bei diesen Worten verschwand der fröhliche Ausdruck in den Augen Gerins augenblicklich. Seine Miene begann sich zu verschließen und er faltete nachdenklich seine Hände. "Ich bin kein Schoßhund des hohen Rates," erwiderte er und Zorn schwang in seiner Stimme mit. "Aber natürlich bist du das nicht," stichelte Katlar weiter. Er kannte den wunden Punkt bei seinem Bruder. Er hatte schon immer diese Punkte in den Menschen ausmachen und sie für sich nutzen können. Jedoch ging sein Bruder zu seiner eigenen Überraschung nicht auf dieses Spiel ein. Er lehnte sich leicht in seinem Stuhl zurück und lächelte Katlar überlegen an."Du hast es also immer noch nicht verkraftet, oder Katlar? Noch immer bist du wütend auf mich." "Ich bin nicht wütend," entgegnete dieser und strich sich einige Haarsträhnen aus der Stirn. "Aber natürlich bist du das. Du hast es dir selbst zu zuschreiben. Wir wissen doch beide, dass du es noch immer nicht verkraftet hast das ich an deiner Stelle den Posten des Beraters und Botschafters bekommen habe und nicht du." Wütend funkelte Katlar seinen jüngeren Bruder an. Seine Lippen waren fest aufeinander gepresste, und er kämpfte sichtlich um seine Beherrschung. "So jung, und schon so anmaßend," flüsterte er und seine Augen glühten gefährlich auf. "Mit dieser Einstellung kommst du nicht weit Gerin." "Ich bin schon weiter gekommen, als du je kommen wirst," erwiderte der jüngere und seine dunkelblauen Augen blickten seinen Bruder überlegen an. Schweigend saßen sich beide Männer gegenüber, ihre Augen waren in einen festen Blick verflochten, und es schien, als wollte keiner der erste sein welcher den Blick senkte. Die Anspannung welche über ihnen lag war schon fast mit den Fingern zu greifen. Abrupt erhob sich Gerin, ging auf das prasselnde Kaminfeuer zu und streckte seine eiskalten Finger den Flammen entgegen. Langsam kehrten Gefühle in seine tauben Glieder zurück und er lächelte schief. "Eigentlich bin ich gekommen um dich zu warnen, aber wenn du es nicht hören willst kann ich auch gerne wieder abreisen." "Vor was will mich ein Welpe wie du schon warnen?" Argwöhnisch hob Katlar eine Augenbraue an und musterte seinen Bruder lange. Gerin hatte sich verändert, die Zeit war natürlich auch an ihm nicht spurlos vorbei gegangen. Doch es erschien Katlar als wäre er innerlich stärker und reifer geworden. Erst jetzt wurde ihm bewusst wie lange er seinen jüngeren Bruder nicht mehr gesehen hatte. Jeder von ihnen hatte seinen Weg gewählt, und dieser war bis jetzt in unterschiedlichen Richtungen verlaufen, es hatte keine Berührungspunkte zwischen ihnen gegeben. Jeder von ihnen lebte in einer anderen Welt. Er kannte seinen Bruder nicht mehr, er hatte nichts mehr von diesem kleinen Jungen welchen er damals zurück gelassen hatte. Nun würde Katlar bewusst, dass er Gerin wohl nie wirklich gekannt hatte. Dieser Mann war ein Fremder für ihn und als solchen würde er ihn auch behandeln. "Also Kleiner," sagte er und stützte seine Ellenbogen auf der Tischplatte ab. "Was hast du mir zu sagen?" "Ich will dich warnen Bruder," erklärte Gerin und drehte sich schwungvoll zu ihm um. "Einigen gefällt es ganz und gar nicht, dass du deine Pflichten vernachlässigst und deine eigenen Interessen verstärkt in den Vordergrund stellst." "Wenn du ihnen schon nach dem Mund redest, so haben sie dir wenigstens beigebracht sich gewählt auszudrücken." Katlar lächelte bei diesen Worten böse und legte dann seinen Kopf schief. "Du musst ein Narr wenn du glaubst, dass du mich durch diese Nachricht einschüchtern könntest Gerin. Ich fürchte mich schon lange nicht mehr vor dem hohen Rat." "Ich hatte doch wirklich vergessen wie eigensinnig du sein kannst Katlar," seufzte Gerin und wandte seinen Blick wieder dem Kaminfeuer zu. Er spürte den Blick seines Bruders auf seinem Rücken, er konnte sogar fast sein böses Grinsen vor sich sehen. Fest stemmte Gerin seine Handflächen gegen die kalte Steinwand und schloss seine Augen. Innerlich brauste ihn ihm ein Sturm aus Emotionen. Wie konnte sein Bruder so gelassen sein? Er war doch der einzige der wissen sollte, was diese Botschaft für ihn bedeutete. "Gerin," kurz zuckte der junge Mann bei der Erwähnung seines Namens zusammen. "Bist du gekommen um mich zu töten?" Leise knackte das Feuer auf, Holz brach zusammen und Funken stoben aus der kleinen runden Öffnung, verglühten so schnell wie ein Herzschlag. "Nein, noch nicht," flüsterte Gerin, doch sein Blick blieb starr auf das Feuer gerichtet. "Würde es ein Schoßhund des hohen Rates nicht sofort tun?" fragte Katlar und sah abschätzend zu seinem Bruder hinüber. "Selbst wenn es der eigene Bruder ist," fügte er nach einer kurzen Pause hinzu. Nervös blies Gerin die Luft aus seinen Lungen, ihm schwindelte und er krallte seine Fingernägel in die Ritzen der Steinwand. "Ich würde es nicht tun," sagte er, doch seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Genüsslich lehnte sich Katlar in seinem Stuhl zurück und blickte belustigt den jungen Mann vor sich an welcher sichtlich um seine Fassung kämpfte. "Dummer Welpe," dachte Katlar und schüttelte missbilligend seinen Kopf. "Ich würde es tun...ohne zu zögern. Ich würde es sofort tun." Nachdenklich blickte Katlar seinen Bruder an, sein Gesicht schmückte ein gefährliches Lächeln. "Ich wollte dich wirklich nur warnen Katlar," sagte Gerin und wandte ihm sein Gesicht wieder zu. "Hör auf mit deiner Suche nach diesem Mädchen, es bringt dir nichts. Ich bin über alles unterrichtet was du in den letzten Wochen so getrieben hast. Und ich muss sagen, es gefällt auch mir nicht. Du solltest wirklich..." "Ich habe sie," unterbrach Katlar den Redefluss Gerins. "Du hast wen?" fragte Gerin sichtlich irritiert und setzte sich wieder auf seinen Stuhl. "Ich habe die Mörderin meiner Frau und meines Sohnes." Geschockt betrachtete Gerin seinen Bruder, seine Augen weiteten sich und er ballte seine Hände unter der Tischplatte zu Fäusten. "Du hast sie? Warum ist sie dann noch am Leben?" fragte er und man konnte ihm seine Verwirrung deutlich ansehen. "Warum?" erwiderte Katlar und ließ seinen Blick unstet durch den Raum schweifen. "Weil ich ein Tier bin, wusstest du das noch nicht Gerin? Ich bin ein Tier, und als solches spiele ich noch gerne etwas mit meiner Beute bevor ich sie töte. Außerdem ist hier weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt um sie zu töten." "So kenne ich dich ja gar nicht Katlar," meinte Gerin kalt. "Seit wann wartest du auf den richtigen Zeitpunkt um zu töten?" "Daran sieht man doch wieder, dass wir uns nicht kennen Kleiner. Ich warte immer auf den richtigen Zeitpunkt, meine Rache soll perfekt sein. Aber ich erwarte nicht das du es verstehst." Katlar verstummte und spielte nachdenklich mit seinen Fingern. Was wusste dieser unerfahrene Junge schon von Rache oder seinem Schmerz? Er wusste nichts davon und er hatte nicht vor es ihm zu erklären. "Und was hast du statt dessen vor?" Katlar seufzte leise und sein Blick fixierte Gerin so fest, dass ein kurzer Schauder durch den Körper seines Gegenübers huschte. "Ich will sie nach Kalmas bringen. Ich will, dass ihr Blut über die Gräber meiner Frau und meines Sohnes fließt. Ich will das sie endlich Frieden finden, ich will sie dort töten wo für uns alles begonnen hat." Ein bitteres Lächeln verzehrte Katlars Gesichtszüge und zum ersten Mal glaubte Gerin Gefühle in den Augen seines Bruders zu erblicken. Ein unendlicher Schmerz spiegelte sich in seinen Augen wieder. Schmerz und Hass. "Ihre Leben sind untrennbar mit einander verwoben," dachte Gerin und blickte seinen Bruder mitfühlend an. "Für alle Zeiten, selbst wenn er sie tötet so wird er niemals Frieden finden...niemals." "Ich möchte dich um etwas bitten Gerin," sagte Katlar plötzlich und seine tiefe Stimme riss Gerin in die Realität zurück. "Um was möchtest du mich bitten Bruder?" fragte er auch wenn ihm der Tonfall in der Stimme seines Bruder nicht sonderlich gefiel. "Ich möchte dich bitten für einige Tage ein Auge auf all das hier zu haben. Ich habe wohl etwas mit dem hohen Rat zu besprechen." Er lachte leise auf. "Was willst du mit dem hohen Rat besprechen?" harkte Gerin nach und seine Augen verengten sich. "Ich möchte sie bitten mir einige Mittel zu bewilligen und mir völlig freie Hand dabei zu lassen. Was ich plane muss in den nächsten Wochen anlaufen, sonst hat das alles keinen Zweck." "Was heckst du da schon wieder aus Katlar? Mir gefällt dein Blick nicht." Katlar lachte ein weiteres mal, beugte sich vor und flüsterte leise: "Ich will das sie mir Mittel bewilligen um in den Katzenstein einzudringen. Dort lebt jemand den ich noch für meine Rache brauche...ich muss sie herholen, erst dann ist alles perfekt." "Bist du wahnsinnig geworden," rief Gerin aus und packte seinen Bruder am Kragen. "Sie werden dir das niemals bewilligen. Der Katzenstein ist eine geschützte Region. Die Region welche am Ressourcen reichsten ist, ein Angriff selbst wenn er noch so klein ist werden sie nicht dulden." Zornig schlug Katlar die Hand weg welche ihn festhielt und funkelte seinen Bruder an. "Wage es nicht noch einmal mich anzufassen," zischte er kalt. "Lass das alles meine Sorgen sein. Alles worum ich dich gebeten habe ist ein Auge auf meine Region zu haben, und den Transport des Mädchens in die Wege zu leiten. Hast du verstanden? In drei Tagen soll sie nach Kalmas gebracht werden, mehr sollst du nicht tun." "Lauf doch in dein Verderben, ich werde dich nicht aufhalten," sagte Gerin und erhob sich schnell. Seine Hand umschloss den Knauf der Tür, öffnete sie, doch bevor er verschwinden wollte hörte er die Stimme seines Bruders hinter sich. "Ich rate dir eines Gerin," sagte Katlar und seine Stimme war zu einem gefährlichen Flüstern gesunken. "Wenn ich erfolg haben sollte, entscheide dich auf welcher Seite du dann stehst...und ich gebe dir noch einen Rat, wähle gut Kleiner...wähle gut..." Dunkelrote Tropfen fielen zu Boden, wurden gierig von dem ausgetrockneten Stroh aufgesogen und ließen die ehemals gelblichen Fasern in einer rötlichen Farbe erstrahlen. Heiß glitt die Flüssigkeit an Ryans Rücken hinab, jede Stelle welche sie streifte begann wie Feuer zu brennen. Verzweifelt kämpfte Ryan darum ihren Schmerz nicht laut hinaus zu schreien. Fest biss sie sich auf ihre Unterlippe. Ein lautes zischendes Geräusch durchzuckte die Stille welche in ihrem Gefängnis herrschte, und sie zuckte unter dem erneuten Schmerz zusammen. Sie spürte wie ihre Knie langsam nachgaben, doch sie wurden von den schweren Eisenketten in ihrer Position gehalten, ebenso wie ihre Hände. Ihr Bewusstsein trieb in einer schwerelosen Dunkelheit...sie hörte wie der Mann laut auflachte. Es bereitete ihm wie jeden Tag Freude sie zu quälen und sie leiden zu sehen. "Lange halte ich das nicht mehr durch," dachte Ryan und biss sich noch fester auf ihre Unterlippe, als sie ein weiterer Schlag auf ihrem Rücken traf. Ihre Knie zitterten und brachen dann unter der Wucht der Schläge zusammen. Wie eine leblose Puppe hing sie in ihren Ketten, keuchte laut und unregelmäßig auf. "Na, hast du für heute genug?" fragte der Mann und sie hörte wie er leise näher kam. Seine Stiefel brachten das Stroh zum rascheln und das schleifende Geräusch der Peitsche folgte seinen Bewegungen. Angewidert schloss Ryan ihre Augen, als sie seine harten Finger auf ihrem entblößten Rücken fühlte wie er ihr Blut verschmierte. Sie hörte wie er leise keuchte und Übelkeit stieg in ihr auf. "Wer hätte gedacht, dass sich unter all diesem Schmutz doch eine schöne Frau verborgen hält," flüsterte er ihr ins Ohr. "Zu schade das Katlar uns nicht erlaubt hat noch mehr mit dir zu spielen, aber,er ist nicht da und wir sind ganz alleine..." Grob glitten seine Hände über Ryans Rücken, sie hielt ihren Atem an, spannte ihren Körper. "Lass deine dreckigen Pfoten von mir," zischte sie und versuchte die Hände abzuschütteln, die Ketten klirrten leise. "Mädchen," raunte er und ließ eine seiner Hände über ihren Bauch gleiten. "Du kannst dich schlecht wehren, und so dreckig sind meine Hände gar nicht, dass wirst du schon noch merken." Ein starkes Zittern befiel Ryans Glieder, und sie verzog angewidert ihr Gesicht, als sie seine Lippen in ihrem Nacken fühlte. Diese Übelkeit welche sich in ihr eingestellt hatte verwandelte sich in Wut. "Nicht das auch noch," dachte sie und versuchte diese Berührungen auf ihrer Haut so gut es ging zu verdrängen. "Bitte...nicht...nicht." Die harten Hände des Mannes griffen zu, und ein erstickter Schrei drang aus ihrer Kehle. Wütend zerrte sie an ihren Ketten, doch plötzlich löste sich sein Griff und ein dumpfer Schlag war zu vernehmen. "Wage es nicht noch einmal sie anzufassen verstanden," hörte sei eine fremde Stimme sagen. Zornig war sie, doch Ryan wusste das sich dieser Zorn nicht gegen sie richtete. "Jawohl zu Befehl," stotterte der Mann und erhob sich wieder. Wütend funkelte Gerin den Mann an und trat auf ihn zu. "Wenn du so etwas noch einmal tust, werde ich Katlar davon unterrichten, und dann wirst du selbst bei den Göttern keine Gnade finden." Ängstlich zuckte der Mann zusammen und nickte stumm. "Mach sie los," zischte Gerin, doch der Mann vor ihm bewegte sich nicht. "Sofort," schrie er und sein Gegenüber eilte mit hastigen Schritten an ihm vorbei. Befreit seufzte Ryan auf, als sie spürte wie sich ihre Fesseln lösten. Kraftlos sank sie auf den Boden und blieb dort liegen, atmete ruhig durch und das Zittern in ihren Gliedern verschwand langsam. Vorsichtig drehte sie ihren Kopf und musterte den fremden Mann. Er schien einige Jahre älter als sie zu sein. Seine dunkelblauen Augen blickten kurz zu ihr hinüber, dann wandte er sich wieder dem Mann zu. "Und jetzt mein Guter," sagte er und zog den Mann nahe zu sich heran. "Verschwinde ganz schnell, lass uns alleine." "Aber mein Komandant hat gesagt, dass ich..." "Was Katlar gesagt hat, ist mir so etwas von gleichgültig," erwiderte Gerin und bedachte den Mann vor sich mit einem letzten zornigen Blick. Wie jämmerlich diese Gestalt vor ihm doch war. Ein Nichts, eine willenlose Kreatur seines Bruders. "Und mich nennt er einen Schoßhund," dachte Gerin und schüttelte leicht seinen Kopf. "Ich frage mich, was dieser Kerl dann für Katlar darstellt." Schritt um Schritt wich der Mann vor ihm zurück, sein Blick schweifte noch einmal zu der jungen Frau hinüber welche am Boden lag. "Wage es ja nicht noch einmal sie anzufassen. Es wäre das letzte was du tun würdest." Aus seinen Augenwinkeln beobachtete Gerin wie sich die Hand des Mannes um den Knauf der Peitsche schloss, doch er löste diesen Griff sofort wieder. "Wie ihr befehlt," sagte er, wich einige weitere Schritte zurück und verschwand dann hinter der schweren Tür. Nervös seufzte Gerin auf, mit was für Menschen hatte er es hier nur zutun? Noch nie in seinem Leben hatte er solch primitive Kreaturen zu Gesicht bekommen. Ein schwaches Keuchen drang an seine Ohren, und er wandte seinen Blick wieder der jungen Frau zu die immer noch am Boden lag. Scharf sog Gerin die Luft ein, als er seinen Blick über ihren Körper schweifen ließ. Tiefe Wunden überzogen ihren Rücken, Blut floss immer noch in feinen Linien ihre Haut hinab. "Ja, du bist wirklich ein Tier Bruder...ein gefährliches Tier," dachte Gerin bitter und ging auf die junge Frau zu. Er sah wie sie kurz ihren Kopf hob, stolz blickte sie ihn an, unbeugsam. Ihre Augen, er kannte sie... "Du bist also die Person welche mein Bruder schon so lange jagt?" fragte er und konnte sich ein schiefes Lächeln nicht verkneifen. Vorsichtig wanderten seine Hände zu dem Verschluss seines Umhangs, augenblicklich wich die Frau vor ihm zurück. Ruhig löste Gerin die Harken, nahm seinen Umhang von seinen Schultern und hielt ihn der Frau auffordernd entgegen. "Hier, nimm ihn ruhig. Erstens wird er dich wärmen und zweitens, ich glaube du möchtest dich wohl lieber bedecken so lange ich hier bin." Wie ein verschrecktes Tier kam die junge Frau vorsichtig und mit bedachten Schritten auf ihn zu. Feine Schweißperlen sammelten sich auf Gerins Stirn. Es erschien ihm in diesem Moment, als würde er versuchen ein wildes Tier anzulocken ohne sich der Gefahr auszusetzen womöglich gebissen zu werden. Gebannt starrte er in die Augen der jungen Frau. Diese Augen...sie waren ihm so vertraut, doch woher kannte er sie nur? Mit einer schnellen Handbewegung riss ihm die Frau den Umhang aus seinen Händen, schlang ihn um sich und zog sich wieder in eine Ecke des Raumes zurück. Gerin lächelte schief, blieb jedoch dort stehen wo er sich befand. "Ich schätze, jetzt ist es für uns beide angenehmer," meinte er und verschränkte seine Arme vor der Brust. Argwöhnisch verfolgte die junge Frau jede seiner Bewegungen. "Wer seid ihr?" fragte sie, und schien immer noch nach den Gründen für seine Freundlichkeit zu suchen. "Ist das so wichtig?" gab Gerin die Frage zurück. "Ich weiß wer du bist, und das ist alles was ich wissen muss. Doch ich will es dir gerne sagen. Ich bin Katlars Stellvertreter solange er nicht hier ist. Wäre deine Frage damit beantwortet?" Kraftlos sank die junge Frau auf den mit Stroh bedeckten Boden nieder, und schlang den Mantel noch fester um ihren Oberkörper. "Mehr oder weniger," meinte sie und schloss für einen kurzen Moment ihre Augen. "Ihr kennt mich also. Welch eine Ehre das ich schon so bekannt bin." Gerin lachte leise und nickte sacht. "Ja, du bist unter uns fast so etwas wie eine Berühmtheit. Jeder Krieger in diesem Land war hinter deinem Kopf her. Katlar war bereit einen wirklich hohen Preis für diesen zu zahlen Ryan." "Meinen Namen kennt ihr also auch schon? Ihr scheint über alles sehr gut informiert zu sein." Ryans Augen verengten sich und musterten den Mann vor sich genau. Seine Kleidung war eher schlicht, und sie konnte keine Insignien feststellen welche seinen Rang bezeichneten. Nicht mal eine Waffe trug er bei sich. Noch kein Krieger war in ihrem Gefängnis unbewaffnet erschienen. "Ihr tragt keine Waffen bei euch," teilte sie ihm ihre Feststellung mit und in Ryans Augen blitzte es gefährlich auf. "Wenn du mit dem Gedanken spielst mich anzugreifen, würde ich das an deiner Stelle lieber sein lassen. Du kämst nicht weit," erwiderte Gerin und lehnte sich gegen die Steinmauer. "Das habe ich nicht vor, ihr habt mir geholfen. Warum sollte ich euch angreifen?" "Warum nicht?" entgegnete Gerin ruhig. "Ihr seit schlagfertig, dass muss ich euch lassen." Ein schneidender Schmerz durchfuhr Ryans Körper und sie sog scharf die Luft in ihre Lungen. Die Wunden an ihrem Rücken brannten, und noch immer sickerte Blut in den Stoff des Mantels. Ihr Körper war müde, ihre Glieder schmerzten von der Stundenlangen Haltung in welcher man sie angekettet hatte. Erschöpft lehnte sie ihren Kopf gegen die kühle Steinmauer, und starrte hinauf zur Decke ihres Gefängnisses. "So etwas wie eben wird dir nicht noch einmal widerfahren," hörte sie den Unbekannten sagen. "Ich verspreche es dir, niemand wird mehr Hand an dich legen." Ryan verzog ihr Gesicht und atmete tief durch. "Warum? Was habt ihr stattdessen mit mir vor?" Ein kaltes Lachen drang an ihre Ohren, und Ryan wandte dem Unbekannten wieder ihren Blick zu. "Ich kann dir wohl nichts vor machen," meinte er und kam einige Schritte auf sie zu, blieb jedoch dicht vor ihr stehen. "Morgen wirst du nach Kalmas gebracht. Ein Trupp Männer wird mit dir reisen, Katlar hat es angeordnet. Er will, dass du nach Kalmas gebracht wirst. Dort will er dich töten." "So, will er das?" Ryan schüttelte sacht ihren Kopf, jedoch blieb ihre Miene so unbewegt wie zuvor. "Ich wusste gar nicht, dass Katlar einen Hang zu tiefsinnigen Taten hat." "Ich persönlich sehe im Töten keine tiefsinnige Tat," erwiderte der Mann und plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Eine Ryan unbekannte Traurigkeit erschien in seinen Augen, er neigte seinen Kopf leicht zu Boden und seufzte leise. "So sieht dann wohl mein Schicksal aus. Wer hätte das gedacht?" meinte Ryan und zog ihre Knie fest an ihren Oberkörper. "Darf ich euch etwas fragen?" "Natürlich, sprich nur. Was ist deine Frage Ryan?" Ryan schluckte hart, es kostete sie viel Überfindung diese Frage zustellen, doch es war wichtig. Nicht nur für sie. "Was geschieht mit der jungen Frau die auch hier gefangen ist?" Nachdenklich legte Gerin seine Stirn in Falten. "Die kleine Avatra (*)? Ich schätze mal, sie wird sterben. Katlar scheint für sie keine Verwendung mehr zu haben." "Nein," schrie Ryan und warf sich dem Mann vor die Füße. "Das dürft ihr nicht, sie hat mit der ganzen Sache nichts zutun. Sie darf nicht für meine Vergehen bestraft werden, sie hat schon genug gelitten. Bitte, lasst sie gehen...ich bitte euch. Bitte, tut Teleri nichts an, bitte." Erschrocken betrachtete Gerin diese neue Situation, so stolz ihm diese Frau erschienen war, so verletzlich war sie jetzt geworden. Mitfühlend blickte er auf sie hinab. "Diese Frau muss ihr sehr viel bedeuten, wenn sie sogar ihre Stolz für sie aufgibt," dachte er. Gerins Miene war ausdruckslos, doch in seinen Augen keimte die Erkenntnis auf. Langsam kniete sich Gerin zu Ryan hinab, umfasste ihre Schultern und zwang sie ihm in seine Augen zusehen. "Wer ist sie?" fragte er verwirrt, und bemerkte erst jetzt die Tränen welche über die Wangen Ryans glitten. "Warum demütigst du dich so für sie?" "Ich bitte euch," schluchzte Ryan. "Sie darf nicht sterben. Sie war...sie ist eine sehr gute Freundin von mir." "Eine sehr gute Freundin?" harkte Gerin nach und blickte ihr in ihre Augen. Dort erkannte er, dass sie log. "Ich verstehe, aber warum ist sie dann hier wenn sie mit dieser ganzen Angelegenheit nichts zutun hat?" Ryans Gesicht verfinsterte sich augenblicklich. "Weil euer hochwohlgeborener Herr und Meister mich quälen wollte. Er wollte mich leiden sehen, er wollte uns beide leiden sehen, uns zerstören," spie Ryan verächtlich aus und Hass sammelte sich in ihren Augen. Sacht nahm Gerin Ryans Kinn zwischen seine Finger und hob es an. Forschte in ihren Augen, sie sprach die Wahrheit... "Oh Katlar," dachte Gerin und Scham stieg in ihm auf. "Was spielst du nur mit diesen Menschen für ein grausames Spiel?" Stumm starrten sich beide an. Jeder suchte in den Augen des anderen nach Antworten oder Anzeichen, doch ihre beiden Augen waren leer, ausdruckslos, da sie bereits zuviel gesehen hatten. "Ich versichere dir," sagte Gerin plötzlich und sein Blick nahm einen eigenartigen Ausdruck an. "Ihr wird nichts geschehen, sie wird frei sein. Ich schwöre es dir, deiner Freundin wird nichts geschehen. Aber für dich kann ich leider nichts tun..." "Warum tut ihr das alles? Warum?" fragte Ryan, die immer noch nicht wusste wie sie diese neuen Wendungen einordnen sollten. "Ich glaube," sagte Gerin und lächelte sie an. "Es ist einiges wieder gut zu machen, einige Fehler zu korrigieren. Und glaub mir, ich werde sie korrigieren." Abrupt erhob er sich und wandte sich zum gehen. "Ryan, es tut mir leid das ich für dich nichts tun kann. Es tut mir wirklich leid," sagte er und verschwand so schnell wie er gekommen war. Verwirrt blieb Ryan zurück. Wer war das gewesen? Ein Freund oder ein Feind? Sie wusste es nicht, doch sie hatte keinen Anlass an seinen Worten zu zweifeln. Erschöpft ließ sie ihren Kopf in ihre verschränkten Arme gleiten. "Teleri," dachte sie und lächelte leicht. "Du wirst frei sein, dein Leiden wird ein ende finden. Endlich findet es ein ende...wenigstens konnte ich etwas wieder gut machen. Wenigstens etwas..." Doch für sie gab es kein Entkommen mehr. Sie würde fortgebracht werden, in eine Stadt welche sie schon vor Jahren den Rücken gekehrt hatte. Sie wusste warum Katlar diesen Ort gewählt hatte. Es sollte dort enden, wo es auch seinen Anfang genommen hatte. Es war eine lange Reise bis Kalmas, teilweise führte diese Route durch unwegsames Gelände. Dichter Wald, sie würden in ihr Gebiet zurückkehren, in ihre Heimat. Nachdenklich wiegte Ryan ihren Kopf hin und her. Morgen würden sie aufbrechen... "Meine einzige Chance," dachte sie und ihre Finger verflochten sich ineinander. "Meine einzige Chance zu fliehen...ist das dein Zeichen? Ayesha? Ist es das?" Ihr Herz begann schneller zu schlagen, ihr Blut rauschte durch ihre Adern wie ein Ozean. Um Ryans Mundwinkel zuckte es leicht, sie lächelte. "Ich werde kämpfen, ich schwöre es dir. Ich werde diese Gelegenheit nicht an mir vorbei ziehen lassen. Ich werde es versuchen. Hörst du mich? Ayesha. Bald, ich komme zurück. Ich schwöre es bei meinem Blut. Bald werden wir uns wieder sehen..." (*) Avatra ist die feine Umschreibung für eine verdorbene Frau. Ein leichtes Mädchen ohne Lebensberechtigung. In Barolon ist dieser Ausdruck weit verbreitet. Nachwort: Und wieder ein Kapitel fertig abgetippt. Ich weiß ja nicht, aber irgendwie gefällt es mir nicht so wirklich, aber das zu entscheiden überlasse ich lieber euch. Eine neue Person ist also dazu gekommen. Was haltet ihr so von Katlars Bruder Gerin? Als ich mir diesen Charakter ausgedacht hatte, wollte ich so eine Art Gegenstück zu Katlar schaffen. Aber täuscht euch nicht, auch Gerin wandert immer zwischen Schwarz und Weiß hin und her. Er wird für den Verlauf der Geschichte noch eine wichtige Rolle spielen...aber da müsst ihr euch noch etwas gedulden. Ich bedanke mich wieder bei allen die dieses Kapitel gelesen haben. Grüße an dieser Stelle wieder Igel, Mondscheinelfe und meine Schwester. Dann sage ich auf zum nächsten Kapitel. Es gibt bald eine große Überraschung Adios seen Kapitel 15: Östlich des Morgens ------------------------------- Östlich des Morgens Sanft schob sich die Sonne den Horizont hinauf. Rötliches, warmes Licht beleuchtete den See, und verlieh der Welt eine trügerische Schönheit. Vögel erhoben sich in die Lüfte, waren nur als kleine schwarze Schatten am Himmel zuerkennen. Auch sie würden bald verschwinden. Würden in wärmere Gefilde wandern, da sich bald das eisige Schweigen des Winters über das Land ausbreiten würde. Die Welt würde ihre Augen schließen, in einen langen traumlosen Schlaf gleiten, und erst wieder erwachen wenn auch die Bewohner des Himmels zurück kehrten um den Frühling mit sich zu bringen. Fröstelnd hüllte sich Ayesha in ihre Decke ein, ihre Augenlieder flatterten leicht, als sie ein Sonnestrahl auf der Haut traf. Verschlafen öffnete sie ihre Augen, nur langsam tauchte ihr Geist aus ihren Träumen auf. Aus Träumen in welchen sie so gerne länger verweilen würde, doch jedes Mal von neuem holte sie der Morgen in die Wirklichkeit zurück, und sie musste sich der Tatsache stellen, dass es auch dieses mal nur ein Traum gewesen war. Traurig ließ Ayesha ihren Kopf wieder in die Kissen gleiten, und starrte zu dem kleinen Fenster hinauf. Sonnenstrahlen drangen durch es hindurch, ließen einige Partikel in der Luft aufleuchten, sacht bewegten sie sich hin und her. "Wie Federn im Wind", dachte Ayesha und zog ihre Bettdecke höher. "Wie deine zerfetzten Flügel..." Vorsichtig hob sie ihre Hand, sie fühlte die Wärme der Strahlen auf ihrer Haut. Widerstandslos glitten ihre Finger durch die Luft, verwirbelten die Partikel und Ayesha seufzte leise auf. "So begegnen wir uns nur noch in meinen Träumen Ryan. Nur dort kann ich dich fühlen, dich sehen...wo magst nur sein? Du hast Schmerzen nicht wahr? Sie quälen dich...ich kann es fühlen...sie quälen nicht nur dich...Du hast Angst, ich spüre es...Und ich kann dir nicht helfen, muss es wie du stillschweigend ertragen...Ich träume jede Nacht von dir, höre deine Stimme, sehe dein Gesicht, fühle deine Berührungen...Oh Ryan, ich wünschte ich könnte dir helfen. Ich wünsche es mir so sehr..." Niedergeschlagen schloss Ayesha ihre Augen. Sie fühlte sich so einsam, so verlassen. Niemand wusste von ihrem Schmerz und ihrer Angst, sie hatte es niemandem erzählt. Keiner wusste was tief in ihr vorging, wonach sie sich jeden Tag sehnte. Warum sie in der letzten Zeit so oft zu den Göttern betete. Sie hatte sich in einen Mantel aus Schweigen gehüllt, und diesen konnte und wollte sie nicht ablegen. Sie hatte sich verändert. So sehr, dass sie sich manchmal vor sich selbst fürchtete. Verschlossen und nachdenklich war sie geworden, erwachsen. Ihre Freude war fortgespült geworden, war mit Ryan verschwunden. Einen Spalt breit öffnete Ayesha ihre Augen. Wie seltsam das Schicksal doch mit den Menschen spielte. Es führte sie zusammen, verteilte die Karten, entscheid über Sieg oder Niederlage und letztendlich trennte es die Menschen wieder. Es hielt die Fäden in den Händen, und die Menschen tanzten nach der Melodie welche es ihnen vorgab. Es konnte grausam und kalt wie ein Wintersturm sein, doch gleichzeitig so blühend und wunderschön wie ein Sommerregen. "Es ist nicht fair", flüsterte Ayesha leise und drehte sich auf die Seite. "Es ist einfach nicht fair...warum hast du sie mir weggenommen? Warum gerade jetzt? Jetzt da wir...Warum bist du so grausam?" Diese Fragen quälten Ayesha schon so lange, doch sie wusste, dass sie niemals eine Antwort erhalten würde. Das Schicksal scherte sich nicht darum was es anrichtete, was es den Menschen antat. Sie waren nur Spielfiguren auf dem Brett des Lebens... Ein lautes Winseln ließ Ayesha zusammen fahren, sie spähte über den Rand ihres Bettes hinweg auf den Boden. Loba lag ausgestreckt auf einer Decke, sie winselte im Schlaf, ihre Pfoten traten gegen einen unsichtbaren Widerstand. Sie fletschte die Zähne. Vorsichtig glitten Ayeshas Hände zu der schlafenden Wölfin hinunter, berührten zärtlich ihr Fell. Bei dieser Berührung öffneten sich die Augen Lobas, und das Tier blickte verstört zu Ayesha hinauf. "Guten Morgen", sagte Ayesha und lächelte schief. "Du scheinst auch geträumt zu haben, oder? Wen hast du gejagt mein Mädchen? Wer hat den Zorn meiner Loba zuspüren bekommen?" Loba richtete sich verschlafen auf, und knurrte bedrohlich. "Ich verstehe", flüsterte Ayesha und fuhr der Wölfin über ihren Kopf. "Ich habe auch schon oft von ihm geträumt." Ein Schauder ließ ihren Körper erbeben, und ihre Augen bekamen einen traurigen Ausdruck. "Was wird er ihr nur alles antun Loba?" fragte sie die Wölfin, und Ayeshas Stimme begann zu schwanken. "Wie viel Schmerz will er ihr noch zufügen? Oder glaubst du, er hat sie schon...er hat..." Schluchzend hielt Ayesha inne, und vergrub ihr Gesicht in den Kissen. Mitfühlend blickte Loba zu dem Mädchen hinauf, ihre Ohren zuckten leicht, und sie leckte Ayesha zärtlich über ihre Hand. Zögernd legte die Wölfin ihre Vorderpfoten auf die Bettkante, und blickte sich etwas unendschloßen um. "Willst du zu mir?" fragte Ayesha und lächelte sanft. "Komm, ich erlaube es dir." Mit einem Ruck sprang die Wölfin auf das Bett, und legte sich dicht neben Ayesha nieder. Die plötzliche Nähe des Tieres war wie Balsam für Ayeshas Seele. Sie seufzte leise, schlang einen Arm um den Körper Lobas und vergrub ihr Gesicht in ihrem Fell. "Ich kann nicht mehr Loba", wisperte Ayesha und Tränen bahnten sich ihren Weg ihre Wangen hinab. "Ich kann nicht mehr, es geht einfach nicht...Ich vermisse sie so sehr...Jede Nacht sehe ich ihr Gesicht vor mir. Warum ist sie mir auf der einen Seite so nahe, fast so nahe das ich ihren Atem auf meiner Haut spüren kann. Und auf der anderen Seite so weit von mir entfernt, dass ich dieses Gefühl der Einsamkeit nicht mehr ertragen kann...Warum? Warum spielen die Götter solch ein grausames Spiel mit uns?" Fest umklammerte Ayesha den Körper der Wölfin, zogen ihn nahe zu sich heran. Widerstandslos ließ Loba es geschehen. Das Mädchen tat ihr aus den tiefsten Winkeln ihrer Seele leid. Auch das Tier vermisste ihre Herrin, sehnte sich danach sie wieder zusehen. Verstand nicht, warum die Menschen immer so grausam zu ihres gleichen sein mussten...Warum einige von ihnen nur verbrannte Erde und zerbrochene Seele zurücklassen konnten... Schluchzend und zitternd hallte die Stimme Ayeshas durch ihr kleines Zimmer, füllte es mit Traurigkeit und Schmerz. Fest presste sie ihre Lippen aufeinander, versuchte sich verzweifelt an dieses Gefühl zu erinnern. An dieses Gefühl welches von ihrem Körper Besitz ergriffen hatte, als sie Ryan das erste Mal geküsst hatte. Ein leichtes Lächeln bildete sich um ihre Mundwinkel, ihr Körper entspannte sich, drängte diese Einsamkeit zurück. Ayesha erinnerte sich, auf ihren Lippen spürte sie dieses Gefühl, sie glaubte diese süße und diese Kraft zufühlen. "Ich komme zurück...ich komme zurück, " tief in ihr hörte sie die Stimme Ryans, fühlte ihre letzte Berührung. Taub begann ihr Bewusstsein zu werden, Müdigkeit verscheuchte das Zittern aus ihren Gliedern...Doch irgendetwas hielt sie umklammerte, hielt sie gefangen. Ein Gefühl, oder war es eine Vorahnung? Sie fühlte, dass etwas geschehen würde, etwas mit dem noch keiner bis jetzt gerechnet hatte...Etwas neues, etwas das eigentlich nicht vorherbestimmt gewesen war... "Onone (*)", dachte Ayesha und schloss ergeben ihre Augen. "Ich bitte dich...lass sie mich ein weiteres Mal sehen...lass mich in ihre Augen blicken...in ihre wunderschönen Augen...vertreibe den Schmerz aus ihnen, vernichte diesen Hass in ihnen...ich flehe dich an...schenke mir süße Träume...süße Träume..." Gleißendes Sonnenlicht stach ihr in die Augen. Vor Schmerz verzehrten sich ihre Geschichtszüge, und Ryan blinzelte verzweifelt gegen das helle Sonnenlicht. Wie lange hatte sie die Sonne nicht mehr gesehen? Ihre Wärme und ihre Kraft auf ihrer Haut gespürt? Genüsslich sog sie die frische Morgenluft in ihre Lungen ein...Sanft berührte der Wind ihre Haut, streifte durch ihr Haar...Welch ein wunderschönes Gesicht konnte die Welt doch annehmen? Es roch eigenartig an diesem Morgen, Ryan war nicht in der Lage genau zusagen aus welchen Quellen dieser Geruch strömte, doch er war ihr vertraut. Er erinnerte sie an ein anderes Leben, an ihr Leben. Es roch nach Wald, vermodertem Blattwerk, nach Moos, nach Freiheit...Ja, die Morgenluft brachte ihr den Geruch der Freiheit. Ryan lächelte bitter, an solch einem Morgen war sie doch wahrlich in der Lage dem Irrglauben zu verfallen, dass sie frei war. Als könnte sie nun durch den Wald gehen, durch ihr zu Hause. Das Leuchten des Blattwerks betrachten, die unendliche Weite des Landes erblicken, den Wind in ihren Haaren fühlen und sein Flüstern vernehmen. Ja, fast hätte sie glauben können frei zu sein. Wären da nicht die schweren Ketten welche sich um ihre Handgelenke schlossen, und wären da nicht die groben Hände die sie festhielten. Doch, ihre wahre Freiheit hatte sie nicht erst jetzt verloren. Das war ihr in den letzten Wochen bewusst geworden. Sie hatte viel Zeit zum nachdenken gehabt. Ihre wahre Freiheit hatte sie an jenem Tag eingebüßt, an welchem sie mit Resa fort gegangen war um zu töten. Jener Tag war es gewesen an welchem sich ihr Leben verändert hatte. Von diesem Zeitpunkt an war sie immer auf der Flucht gewesen. Vor den Menschen, vor den Kopfgeldjägern, vor den Ogroniern, vor sich selbst. Immer war sie auf der Flucht gewesen... "Ich laufe nicht mehr weg", dachte Ryan und bemerkte erst jetzt welche Ironie sich in diesem Gedanken befand. "Ich könnte auch gar nicht mehr fortlaufen...mit gestutzten Flügeln kann man nicht mehr fortfliegen..." Niedergeschlagen senkte sie ihren Kopf, starr blickte sie auf den steinigen Hof hinab. Nun war es soweit, der Tag ihrer Reise nach Kalmas. Zurück zu jenem Ort, dessen Klang sie bis heute noch fürchtete. Quälende Erinnerungen befielen ihre Gedanken, Erinnerungen an ein zorniges, verwirrtes und doch schuldiges Mädchen. Vor ihrem Inneren Auge tauchte plötzlich das Bild Resas auf. Sie lachte, verzog verächtlich ihren Mund. "Habe ich es dir nicht gesagt kleines Waldkind?" hörte Ryan die krächzende Stimme der Frau die sie zu dem gemacht hatte was sie war. "Menschen wie wir finden keinen Frieden und auch keine Erlösung. Hast du daran wirklich geglaubt? Oh kleine Katze, was bist du nur für eine Närrin?" Wütend verzog Ryan ihren Mund, versuchte das Gesicht Resas aus ihren Erinnerungen auszusperren. Jedoch, hatte sie das nicht so viele Jahre lang versucht? Niemals war sie ganz verschwunden, tief in ihr war immer noch ein Teil des Mädchens welches so einfach zu beherrschen gewesen war. Und auch Resa war allgegenwärtig. Jedes Mal wenn Ryan ihr Schwert erhoben hatte, wenn sie gekämpft hatte. All das wusste sie von dieser Frau, sie hatte ihr beigebracht zu kämpfen und ohne Reue oder Mitleid zu töten. Immer war Resa bei ihr, und sie würde nie ganz verschwinden... "Beweg dich endlich", zischte einer der Wachmänner hinter ihrem Rücken, und trieb sie durch einen Schlag mit seinem Stock weiter voran. Vorsichtig setzte Ryan ihren Weg fort. Helles Sonnenlicht ergoss sich in den Innenhof des Außenpostens, die dunkle Fahne der Ogronier flatterte auf einem Turm sacht im Wind. Ryan seufzte leise und blickte sich skeptisch um. Viele Krieger säumten ihren Weg, verstauten Gepäck, trugen Säcke hin und her. Missbilligend schüttelte Ryan ihren Kopf, als ihr Blick auf einen kleinen Holzkarren fiel, welcher in der Mitte des Hofes stand. "Mit diesem Gefährt wollen sie mich nach Kalmas bringen", dachte sie und konnte sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen. "Sie haben in all den Jahren auch nichts dazu gelernt. Da kann ich mich ja auf eine sehr lange Reise einstellen." Ein verächtliches Brummen drang an ihre Ohren, und sie hörte wie der Krieger hinter ihr mit seinem Stock gegen seine Handfläche schlug. Augenblicklich lief sie weiter, doch ihr Blick schweifte noch immer durch den Innenhof. Plötzlich weiteten sich ihre Augen. Leicht öffnete sie ihren Mund um besser atmen zu können. Wie angewurzelt blieb sie stehen, ihre Augen fixierten nur zwei Personen, alle anderen verblassten zu Schatten. "Teleri", flüsterte sie leise und sie versuchte zu lächeln. Kurz schloss Ryan ihre Augen, da sie glaubte diese würden ihr einen grausamen Streich spielen, doch als Ryan ihre Augen wieder öffnete war Teleri immer noch da. Sie war nicht verschwunden. "Er hält also sein Versprechen", dachte sie. "Oder ist auch das wieder nur eines der vielen Spielen um mich zu quälen?" Langsam lief sie weiter, doch ihr Blick war nun auf Teleri gerichtet. Ryan sah, dass Teleri neben dem Unbekannten Mann stand mit welchem sie gesprochen hatte. Er hatte eine Hand auf ihre Schulter gelegt, und hielt sie mit diesem Griff fest. Feine Tränenspuren glitzerten auf den Wangen Teleris, Sonnenstrahlen ließen ihr Haar wie Feuer leuchten und Ryan erkannte, dass keine Fesseln um ihre Hände waren. Sie lächelte zufrieden. "Selbst jetzt bist du wunderschön", dachte sie und Wehmut stieg in ihr auf. "So wunderschön wie ein Sonnenaufgang...du bist etwas besonders...etwas das man nur einmal in seinem Leben trifft. Ich danke den Göttern das es mir vergönnt war dies zu erblicken...ich danke ihnen, dass ich dich lieben durfte...danke das dein Licht wieder erstrahlt..." Ein kräftiger Schlag riss sie aus ihren Gedanken, zwei grobe Hände packten die Ketten und zogen sie weiter. Immer weiter auf den Karren zu, Ryan wehrte sich nicht. Der Unbekannte hatte seinen Teil ihrer Vereinbarung gehalten, sie würde nun das gleiche tun... Zitternd und starr vor Angst stand Teleri wie eine Steinfigur neben einem ihr unbekannten Mann. Vorsichtig drehte sie ihren Kopf in seine Richtung und musterte ihn schnell von oben bis unten. Noch nie hatte sie ihn hier gesehen, er schien auch gar nicht in diese Umgebung und zu diesen Männer zu passen. Starr verfolgten seine Augen jede Bewegung Ryans, doch seine Miene zeigte keinerlei Reaktionen. Wie eine Maske war es, unbewegt, ohne Leben. "Was mag sich hinter seinen Augen nur abspielen?" fragte sie sich selbst, und nahm ihren Blick wieder von ihm. Sie spürte seine Hand welche sie an ihrer Schulter festhielt. Jedoch war dieser Griff weder schmerzend noch grob. Es war eine sanfte Art von Gewalt mit welcher er sie festhielt. Immer noch fragte sie sich, warum man sie hier her gebracht hatte. Wie aus heiterem Himmel waren Krieger in ihr Gefängnis gestürzt, und Angst war in ihr aufgekommen. Angst vor dem was geschehen könnte...was jedes Mal geschah. So viele Male... Beschämt senkte sie ihren Blick und ein eigenartiges Gefühl bemächtigte sich ihres Körpers. Jetzt war sie wahrlich eine Avatra, eine verlorene Seele, eine gezeichnete Frau. Nie zuvor hatte sie an die Folgen ihrer Taten gedacht, nicht einmal in ihren schlimmsten Alpträumen. Zaghaft hob Teleri den Kopf und sah durch einen dicken Schleier aus Tränen zu Ryan hinüber. "Ich habe dich damit immer so verletzt...Immer, und was hast du getan? Hast es stillschweigend geduldet, hast versucht es zu ignorieren...Wir haben uns beide gegenseitig verletzt. Jetzt rächen sich all diese Taten an uns...vernichten uns...Wir haben es uns selbst zu zuschreiben...Wir haben mit unseren eignen Händen diese Gräber ausgehoben...Wir sind selbst schuld." Kleine, durchsichtige Perlen glänzten in der Sonne auf, funkelten wie Sterne am nächtlichen Firmament. Teleri machte keine Anstalten sie fort zuwischen. Warum sollte sie? Sollten diese Männer doch ihren Schmerz sehen, es war ihr egal. Sie hatten sie schon zerbrochen, sollten sie doch nun auch ihr Werk erblicken. "Könntest du mir bitte einen Gefallen tun?" hörte sie plötzlich die Stimme des Mannes neben sich, und sie zuckte zusammen. "Hörst du bitte auf zu weinen. Sei froh, dass du sie wenigstens noch einmal sehen kannst, manchen ist das nicht vergönnt." Hart schluckte Teleri, ihre Kehle war wie zugeschnürt, als würden sich Hände um sie legen und zudrücken. Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht, spürte wie ihre Handflächen feucht wurden, doch die Tränen versiegten nicht. Laut seufzte Gerin auf, wandte der jungen Frau sein Gesicht zu und blickte sie kühl an. Er spürte wie ihr Körper bebte, zitterte. "Soviel Schmerz", dachte er und seine Augen verengten sich leicht. "Egal wo du bist Bruder, überall hinterlässt du nur Schmerz, Tränen und Leid. Was bist du nur für ein großer Krieger?" Unschlüssig trat Gerin von einem Fuß auf den anderen. Was sollte er nur tun? Er kannte diese Menschen, wusste unter welchen Bedingungen sie leben mussten, unter welchen Herren. Er wusste um die Zahl der Getöteten, und diese Zahl stieg mit jedem Tag. Gerade jetzt in diesem Augenblick starb ein Mensch, und womöglich war er daran nicht unschuldig. Doch, er gehörte nicht zu ihnen, und er wollte es auch nicht. Warum tat ihm diese Frau dann so leid? Warum berührten ihn ihre Tränen so sehr? Hatte er es nicht schon so viele Male gesehen? Hatte er nicht oft genug in von Leid verzehrte Gesichter geblickt? Fest trat er näher an die junge Frau heran, er spürte dass sie sich wehrte, doch es gelang ihm die Hände welche ihr Gesicht verbargen zu lösen. "Ich glaube, du willst gar nicht aufhören", sagte er und schüttelte leicht seinen Kopf. "Woher weißt du, dass ich Frauen nicht weinen sehen kann? Wer hat es dir gesagt?" Gerin lächelte sanft und verschränkte seine Arme vor der Brust. "Los, geh schon. Geh zu ihr." Misstrauen ließ das Gesicht seines Gegenübers verhärten. Ihre Augen blickten starr in die Gerins, als suchten sie dort Anzeichen für einen Hinterhalt, für ein erneutes Spiel. "Und wenn ich das tue, ist das Letzte was ich wohl erblicke ein Pfeil der mich durchbohrt, nicht wahr? Warum könnt ihr verdammten Wölfe uns nur immer quälen?" fragte sie und furchte zornig ihre Stirn. "Bereitet es euch soviel Vergnügen?" "Ich dachte du möchtest dich von ihr verabschieden, aber wenn nicht, so kann ich das auch gerne wieder rückgängig machen", schnaubte Gerin und blickte sie ebenso kalt an. "Wenn ihr nicht wärt, müsste ich mich nicht von ihr verabschieden", erwiderte Teleri und drehte sich schwungvoll um. Erneut flossen ihr Tränen die Wangen hinab. Warum sollte sie ihm auch glauben? Es gab keinen Grund ihm ihr Vertrauen zu schenken. Zögernd umfassten Hände ihre Schultern, hielten sie fest. "Geh zu ihr", hörte Teleri die Stimme des Mannes. "Ich verspreche dir, es wird nichts geschehen. Nichts, hörst du? Und jetzt lauf...lauf schon." Ein kaum merkliches Zittern erfasste den Körper Teleris, sie spähte verstollen zu Ryan hinüber. Nur noch wenige Schritte trennten sie von dem Karren, nur noch ein kleiner Augenblick, dann würde sie verschwinden. Schneller entrann ihr Atem ihrer Kehle. Sie wollte Ryan doch nur noch einmal in ihre Arme schließen, sie berühren, ihr in die Augen sehen...sie wollte es so sehr. "Lauf schon, dir passiert nichts." Zögernd ging Teleri einige Schritte auf Ryan zu, wartete, doch nichts geschah. Es schien, als wäre sie unsichtbar, keiner blickte ihr nach. Niemand hinderte sie daran weiterzulaufen. Schneller wurden ihre Schritte, immer schneller, bis sie schließlich rannte. Der kalte Wind riss an ihren Haaren, durchdrang ihr Gewand, ließ sie erschaudern, doch das kümmerte sie nicht. Ihre Füße schienen über den steinigen Hof zufliegen. Sie sah, wie Ryan irritiert ihren Kopf hob, zu ihr blickte, lächelte, jedoch dann sofort von einem Krieger weiter getrieben wurde. "Ryan", rief Teleri und sie keuchte laut und unregelmäßig. "Ryan..." Fest schlangen sich ihre Arme und Ryans Nacken, zogen sie an sich. Weinend vergrub Teleri ihr Gesicht in Ryans Halsbeuge. Sie zitterte, und keuchte noch immer, doch tief ihr keimte ein Gefühl auf. Ein Gefühl welches sie schon lange nicht mehr gefühlt hatte. Sie war glücklich...seit langer Zeit verspürte sie wieder das süße Gefühl des Glücks. "Was tust du hier?" fragte Ryan verwirrt, doch auch sie versuchte so gut es ging Teleri in ihre Arme zuschließen. "Er meinte ich könnte zu dir gehen, mich von der verabschieden...er hat es mir erlaubt", wisperte Teleri und hauchte Ryan einen flüchtigen Kuss auf ihre Wange. Tief atmete Ryan durch, und blickte zu dem Unbekannten hinüber. Sein Gesicht war immer noch so verschlossen wie an jenem Abend, an welchem sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Doch Ryan glaubte ein leichtes Lächeln um seine Lippen zuerkennen. "Danke", dachte sie und drückte Teleri glücklich an sich. "Ich danke euch." "Wo bringen sie dich hin?" fragte Teleri und nahm ihr Gesicht zärtlich zwischen ihre Hände. "Was haben sie jetzt mit dir vor?" Ein bitteres Lächeln ließ Ryans Gesicht erkalten. Nachdenklich blickte zur Seite und legte dann ihre Hand auf eine Teleris, welche noch immer auf ihrer Wange lag. "Sie bringen mich nach Kalmas", sagte sie und kämpfte um ihre Selbstbeherrschung. "Es wird enden Teleri. Es wird dort enden wo es begonnen hat. Dir wird nichts geschehen, du wirst frei kommen." Aus traurigen Augen blickte Teleri Ryan an. Sie spürte das Ryan Angst hatte. Sie fürchtete sich, und selbst wenn sie es versuchte, sie konnte es nicht vor Teleri verstecken. Dafür kannte sie Ryan zu gut. Ein einziger Blick in ihre verstören Augen reichte für Teleri aus, um zu wissen was tief in ihr vorging... "Warum vertraust du ihm?" fragte sie leise und strich Ryan sanft über ihre Wange. "Ich weiß nicht warum ich ihm vertraue", bekannte Ryan und blickte nachdenklich zu dem Mann hinüber. "Er ist ein Wolf, jedoch noch ein junger. Vielleicht weil ich daran glauben will, dass es selbst in ihm einen kleinen Funken Mitgefühl gibt...ich weiß es nicht..." Schweigend hob Ryan ihren Kopf, blickte Teleri in ihre Augen. Sie lächelte leicht, als sie sah, wie sich in ihren Augen wieder ein schwaches Leuchten bildete. Dieses Leuchten welches sie immer so an ihr geliebt hatte. Behutsam zog sie Teleri in ihre Arme, presste ihren Körper fest an den ihren, und streichelte ihr beruhigend über ihr Haar. "Es wird alles gut werden, ich weiß es. Glaub mir, es wird alles wieder gut..." kurz hielt Ryan inne, schloss ihre Augen. Wie schwer war doch die Last des Abschiedes? Wie scharf und schmerzhaft? "Ich möchte das du mir etwas versprichst Teleri", raunte sie ihr ins Ohr, hörte aber nicht auf ihr über ihr Haar zu streicheln. "Was? Was soll ich dir versprechen?" "Versprich mir, dass du mich vergisst..." Teleri öffnete ihre Mund um etwas zu sagen, doch Ryan legte ihr schnell eine Hand auf ihren Mund und flüsterte leise: "Vergiss mich, es ist besser so für dich, glaub mir. Es ist der bessere Weg...ich weiß, du wirst wieder lieben, dafür bist du geschaffen...ich muss für mich meinen Weg finden, verstehst du? Ich muss ihn finden, und das werde ich auch." Teleri weinte stumm bei ihren Worten, ein kurzer, von Ryans Hand erstickter Laut entrann ihrer Kehle, dann war sie wieder ganz still. Sanft küsste Ryan ihr ihre Tränen fort und versuchte zu lächeln, doch wie so oft in den letzten Wochen misslang es ihr. "Habt ihr eure Herzen jetzt erleichtert?" fragte einer der Krieger unwirsch und funkelte die beiden Frauen mit einer Mischung aus Belustigung und Unbehagen an. "Halt dein Maul", zischte Ryan ihm entgegen und ihr Blick wurde kalt. "An deiner Stelle wäre ich nicht so Vorlaut", erwiderte der Krieger und kam etwas näher. "Wir haben eine lange Reise vor uns, und da ist niemand der dich schützen kann." Er lachte laut auf, und entschwand kopfschüttelnd wieder. Angespannt atmete Ryan aus. Sie wusste, dass er Recht hatte, sie war ungeschützt. Weder der Unbekannte noch sonst jemand konnte sie mehr schützen. "Fragt sich nur, wie lange diese Reise für mich dauern wird", dachte sie und wandte ihren Blick dann wieder Teleri zu. "Pass auf dich auf", flüsterte sie und schloss sie noch einmal in ihre Arme. Eng drängte sich Teleri an Ryan, sie wollte sie nicht los lassen, jedoch sie wusste, dass es keinen anderen Weg mehr gab. Dieser Abschied war kein Abschied für eine gewisse Zeit, dieser Abschied war womöglich für immer... "Das werde ich. Und Ryan, grüß mir Ayesha, " flüsterte sie leise. Ryans Augen weiteten sich, sie schob Teleri etwas von sich fort, blickte ihr in ihre Augen. "Sie weiß es", dachte sie und lächelte sanft. Zaghaft nickte Ryan, zog Teleri ein letztes Mal an sich, schloss ihre Augen und hauchte ihr einen Kuss auf ihre Lippen. "Ich liebe dich", sagte sie, dann löste sie sich von Teleri und ging auf den Karren zu. Die Holzluke ächzte unter ihrem Gewicht auf. Fahles Licht herrschte in dem kleinen Karren, nur ein winziges Fenster war vorhanden. Seufzend ließ sich Ryan auf den Boden gleiten, und sah zu Teleri hinaus. Unbewegt wie eine Statur stand sie da, wie das Bildnis einer Göttin. Ihre langen blonden Haare wehten leicht im Wind, ihre Augen blickten sie traurig und voll Schmerz an. Ryan lächelte ihr kurz zu. Wie schön diese Frau doch war... "Ich werde dich nie vergessen", dachte sie und spürte wie sich nun auch in ihren Augen Tränen sammelten. Ein bärtiges Gesicht tauchte plötzlich vor ihr auf, kalt blickten sie seine dunklen Augen an. Ein lautes Geräusch war zu vernehmen, Ketten lösten sich, Rufe hallten über den Hof...Mit einem kräftigen Ruck wurde die Luke zugeschlagen, und es wurde wieder dunkel um sie... Sanft umhüllte die Nacht die Welt, nahm ihr ihre Konturen, ließ sie zu einem einheitlich schwarzen Mantel werden. Ruhig war es, eine Eule saß in einem der Bäume und ihr Ruf hallte über die stille Ebene. Müde fuhr sich Gerin über seine Wange, spürte die harten Bartstoppeln und seufzte leise. Sein Körper war schon vor Stunden der Müdigkeit erlegen, doch sein Geist war immer noch hell wach. Zu viele Gedanken und Sorgen belasteten ihn, und ließen ihn einfach nicht zur Ruhe kommen. Nachdenklich lehnte sich Gerin in seinem Stuhl zurück und starrte auf den Tisch. Ein kleines, aus Holz gefertigtes Spielbrett stand auf der Tischplatte. Die liebevoll geschnitzten Figuren standen auf ihren Positionen und warteten darauf bewegt zu werden. Sanft fuhr Gerin mit einem Finger über das Haupt einer Figur und setzte sie einige Züge vorwärts. Er lächelte kaum merklich, als Erinnerungen in ihm aufstiegen. Erinnerungen aus seiner Jungend, oder war es aus seiner Kindheit? Sein Vater hatte ihm dieses Spiel geschenkt als er noch sehr jung gewesen war. Noch sehr genau erinnerte sich Gerin an die Worte seines Vaters: "Lerne durch es. Eine Schlacht beginnt im Kopf, man muss genau wissen wie man die Figuren setzten muss. Welche man opfern kann und welche nicht. Erst im letzten Zug entscheidet das reale Schwert über Sieg oder Niederlage. Merke dir das gut Gerin." In all den Jahren hatte sich Gerin diese Lektion in sein Gedächtnis eingeimpft. Hatte sie nie vergessen... Seine Hand wanderte auf die andere Seite des Spielbretts, und bewegte eine Figur für den zweiten Spieler der fehlte. Trauer bemächtigte sich seinen Erinnerungen, seine Hände begannen zu zittern. Diese Partie welche er nun schon so viele Jahre spielte, war nie entschieden worden. Begonnen hatte er sie mit seinem Vater bevor dieser nach Barolon ausgezogen war, um zu kämpfen. "Wenn ich wieder zu Hause bin", hatte er gesagt und Gerin sanft durch sein Haar gestrichen. "Dann beenden wir diese Partie, versprochen." Traurig starrte Gerin auf den letzten Zug welchen sein Vater vollführt hatte. Der Bogenschütze war weiter vorgerückt, bekam Rückendeckung von kleinen Zwergen ähnlichen Wesen. Es war ein guter, durchdachter Zug von ihm gewesen, und Gerin hatte bis heute diesen letzten Zug seines Vaters nicht angerührt. Hatte nur alle seine anderen Figuren bewegt. Nachdenklich knete er seine Unterlippe. Thore (*) war für Gerin schon immer mehr als nur ein Spiel gewesen. Durch dieses Spiel war er sich der Bedeutung der Strategie bewusst geworden, und noch etwas hatte er gelernt. Etwas das weit mehr Bedeutung hatte. Menschen waren so einfach zu kontrollieren wie diese Figuren. Man musste wahrlich nur wissen welche es wert waren beschützt zu werden und welche nicht. Einige waren wertlos, und man konnte sie ohne mit der Wimper zu zucken opfern, so lange man sie für einen weit besseren Zug geopfert hatte... Still saß er da, überlegte wie er jetzt reagieren sollte. Auch wenn er es selbst war, der die Gegenseite spielte, so bildete sich Gerin immer ein, dass sein Vater vor ihm sitzen und diese Figuren bewegen würde. Laut knackte das Kaminfeuer und riss ihn für einen kleinen Moment aus seinen Überlegungen. "Wie weit werden sie wohl schon gekommen sein?" fragte er sich und faltete seine Hände. Nach einigen Überlegungen entschied Gerin, dass sie noch nicht weit vorangekommen sein durften. Diese Männer welche er ausgewählt hatte waren dumm wie Esel doch so gefährlich wie Raubtiere. Tief atmete Gerin durch, umschloss mit seinen Fingern einen Krieger und zog ihn in die Nähe des Bogenschützen... Ein Klopfen ließ ihn zusammen fahren. Genervt blies Gerin die Luft aus seinen Lungen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. "Wer besitzt diese Frechheit, mich um diese Stunden noch zu stören", knurrte er leise, riss dann jedoch zusammen und rief laut: "Ja, herein." Die Tür öffnete sich und ein junger Krieger erschien in der Tür. "Was willst du?" fragte Gerin beiläufig und widmete sich wieder seinem Spiel. "Verzeiht mir die Störung", sagte der Krieger mit belegter Stimme, es war ihm anzusehen, dass er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. "Schon gut", entgegnete Gerin und winkte ihn zu sich heran. "Was gibt es so wichtiges, das du mich jetzt schon, in den frühen Morgenstunden störst?" "Ja", sagte er Krieger und kramte in seinem Lederbeutel. "So eben hat uns eine Nachricht erreicht, sie ist für euch bestimmt." Argwöhnisch beobachte Gerin wie der Krieger in seinen Lederbeutel herum wühlte, bis er eine vergilbtes, zusammen gerolltes Pergament heraus zog, und es ihm überreichte. "Wisst ihr von wem die Nachricht ist?" fragte er und blickte unschlüssig zwischen dem Pergament in seiner Hand und dem Krieger hin und her. "Nein", bekannte der Krieger entschuldigend. "Es zeigt uns kein bekanntes Zeichen, und Nachrichten werden selbstverständlich nicht geöffnet." Gerin nickte und legte das Pergament neben das Spielbrett. "Gibt es sonst noch etwas?" fragte und schien schon wieder damit beschäftig zu sein, sich einen neuen Zug zu überlegen. "Was soll jetzt mit dem Mädchen geschehen?" fragte der junge Krieger leise. "Habe ich das nicht schon gesagt? Sie soll Morgen freigelassen werden." Vorsichtig nährte sich der Mann Gerin und sah ihn warnend an. "Glaubt ihr nicht, Katlar wird darüber wenig erfreut sein? Er sagte immer, er bräuchte das Mädchen noch..." "Und zu mir sagte er, dass er keine Verwendung mehr für sie habe", unterbrach Gerin den Krieger. "Er will sie töten, und solch eine schöne Frau zu töten empfinde ich als Verschwendung. Lasst sie gehen." Der Krieger nickte leicht, verbeugte sich und wandte sich zum gehen. "Warte noch einen Moment", rief ihm Gerin nach. "Beobachtete sie aber noch einige Tage lang. Ich will wissen wo sie hingeht und mit wem sie sich unter Umständen trifft. Ach, und noch etwas, " fest stemmte Gerin seine Handflächen auf die Tischplatte, erhob sich und starrte den jungen Krieger wütend an. "Wenn ich in Erfahrung bringe, dass einer von euch sie heute Nacht besucht, dann werden hier einige Köpfe rollen. Und so wie ich euch einschätze, werden das nicht gerade wenige sein..." Der junge Krieger zuckte kurz zusammen, seine Augen waren ausdruckslos, doch seine Haltung zeigte Gerin, dass er Angst hatte. "Jawohl Herr, " krächzte der jüngere und verschwand dann wieder. Erschöpft ließ sich Gerin wieder auf seinen Stuhl gleiten. "Tiere", knurrte er missmutig. "Einfache, erbärmliche Tiere..." Unstet schweifte sein Blick durch den Raum, bis er an dem der Pergamentrolle hängen blieb. Skeptisch blickte er sie an, schüttelte leicht seinen Kopf. "Noch unvorsichtiger ging es wohl nicht für dich, oder?" dachte er und bewegte eine Figur auf dem Brett zum Gegenzug. Dann setzte er sich aufrecht, ergriff die Pergamentrolle und begann zu lesen: Der Rabe hat die Nachricht des Wolfes erhalten. Fragt sich jedoch, warum der Wolf das alles überhaupt tut? Was bezweckt er damit? Welche Absichten verfolgt er? Will er sich nur das Vertrauen des Raben erschleichen, um ihm dann die Feder zu stutzen, und ihn zu guter letzt doch noch in einen Käfig zu sperren? Diese Fragen quälen den Raben und bescheren ihm schlaflose Nächte... Doch, dem Wolf ergeht es nicht anders, nicht wahr? Auch er versucht verzweifelt Frieden in der Nacht zu finden, doch auch er findet ihn nicht... Der Rabe richtet dem Wolf aus, er wird sich der Sache annehmen, weiß zwar nicht was für ihn dabei herausspringt, doch bis jetzt hat der Wolf den Raben noch nicht belogen...bis jetzt... Der Wolf sollte auf seine Rückendeckung aufpassen, sonst verliert er diese Partie. Sobald die Angelegenheit erledigt ist, wird der Rabe dem Wolf eine Nachricht zusenden... Ein schiefes Lächeln umspielte Gerins Mundwinkel, er nickte befriedigt, erhob sich und ging zum Kamin hinüber. Sein Blick schweifte noch einmal über das Pergament, dann warf er es in die Flammen. Schnell fraßen sich die Flammen durch das dünne Material und vernichteten es. Würden nur einen kleinen Rest Asche übrig lassen...nur Asche... "Der Wolf dankt dem Raben", flüsterte Gerin und trat zum Spielbrett zurück. Er legte seinen Kopf schief. Besah sich die bis jetzt vollführten Züge. Seine Augen wurden ausdruckslos, als er seinen Krieger über den Bogenschützen führte. "Das Spiel kann beginnen", sagte er und stieß mit seinem Zeigefinger den Bogenschützen um. Hilflos rollte die Figur über das Spielbrett... Mit bedächtigen Schritten trat Gerin zum Fenster, öffnete es. Der kalte Nachtwind kühlte sein erhitztes Gesicht und seine Gedanken. Immer noch war der Ruf der Eule zu vernehmen. Eisig küsste der Wind Gerins Gesicht... Nachdenklich öffnete Gerin seine Augen, blickte in die schwarze Nacht... Er verzog leicht sein Gesicht, als seine Augen erblickten, dass sich der Himmel im Osten langsam rötlich verfärbte...die Sonne würde bald aufgehen. "Das Spiel beginnt, die Schlacht beginnt..."dachte Gerin und lächelte kalt. Onone: Göttin der Traumwelt, der Wünsche und Sehnsüchte der Menschen. Brolonische Göttin. Thore: Eine Art von Brettspiel. Im Eismeer zwar bekannt, aber nur von gebildeten und einflussreichen Ogroniern gespielt. Es ist etwas mit Schach zu vergleichen. Nachwort: Hallo an alle die dieses Kapitel eben gelesen haben. Danke dafür! So, jetzt kommen die Dinge doch langsam ins rollen. Ryan ist auf dem Weg nach Kalmas, zurück zu jenem Ort, an welchem diese Geschichte ihren Ursprung hat. Doch, wird ihr die Flucht gelingen, oder wird sie es überhaupt versuchen? Und da haben wir noch Gerin. Ich hatte ja gesagt, er ist ein vielseitiger Charakter, ich hoffe es kam auch so in der Art rüber. Ich kann nicht leugnen, dass ich Charaktere mag die immer zwischen Schwarz und Weiß wechseln. Denn es gibt auch im wirklichen Leben nicht einfach nur gut und böse... Tja, und wer ist der Rabe? Das war die erste kleine Überraschung, die große kommt im nächsten Kapitel...lasst euch überraschen... Ich grüße an dieser Stelle wieder die alt eingesessen Leser Igel und Mondscheinelfe, die mich mit ihren konstruktiven Kommentaren so nett unterstützen. Bis zum nächsten Kapitel! Adios seen Kapitel 16: Katzenaugen ----------------------- Katzenaugen Sacht fuhr der Wind durch das Blattwerk, verursachte, dass die Blätter unter dieser sanften Berührung leise raschelten. Früh war es, die Sonne verteilte ihre ersten wärmenden Strahlen. Auf eine seltsame Art und Weise erschien dieser Morgen als schön, als vollkommen. Er war noch unberührt, rein. Die Welt war noch nicht in der Lage ihre Augen aufzuschlagen, um ihre Hände auszustrecken. Wie ein neugeborenes Kind lag sie still und friedlich da, konnte noch nicht ahnen welche Wendungen sich ereignen würden. Wie viel noch geschehen würde. Stumm schien sie zu warten. Wartet darauf, wie die Menschen ihr Geschenk nutzen würden. Das Geschenk, das sie einen neuen Morgen erleben durften, dass sie seine Schönheit erblicken und all diese Hoffnungen in ihn setzten durften. Doch, wartete sie nicht jeden Morgen von neuem umsonst? Waren es nicht die Menschen welche dieses Geschenk als selbstverständlich betrachteten? Waren es nicht die Menschen welche über ihre Welt Schmerz und Leid brachten? Waren es nicht die Menschen, die vergessen hatten wie schön ein Sonnenaufgang sein konnte? Sie hatten ihren Blick dafür verloren, strebten nach Macht, Reichtum, danach etwas zu repräsentieren was sie nicht darstellten, was sie nie damals sein konnten... Müde schlug Ryan ihre Augen auf. Blickte sich verstört um. Dunkelheit umgab sie. Nur vereinzelt brachen Sonnestrahlen durch das kleine Fenster des Karrens. Sie fühlte wie ihr Gefährt über die unebenen Wege rumpelte. Verschlafen fuhr sich Ryan über ihr Gesicht, fest schnitten ihr die Handfesseln in ihr Fleisch, und sie senkte seufzend ihre Hände. Niedergeschlagen lehnte sie ihren Kopf gegen die Wand des Karrens, und schloss für einen Augenblick ihre Augen. Sie hatte geträumt, so wundervoll geträumt. "Ayesha", flüsterte Ryan leise und lächelte versonnen. "Ich habe von dir geträumt...es war wunderschön dich wieder zu sehen, dich zu berühren, dich zu küssen...Mein wunderschönes Mädchen. Warum musste ich aufwachen? Ich wäre so gerne länger bei dir geblieben...Ayesha..." Wärme durchflutete Ryans Adern, und sie zog ihre Kette unter ihrem Hemd hervor. Hell leuchtete der kleine, weiße Stein. "Was willst du mir dieses Mal sagen?" fragte sie und schloss ihre Hand um den Anhänger. "Was willst du nur von mir? Soll ich fliehen? Willst du mir das sagen? Wenn ja, wie soll ich das anstellen? Ich will nicht mehr davon laufen...Ich habe es satt...Ich kann es nicht mehr, dazu fehlt mir die Kraft...Und, ist es nicht besser, wenn alles endet? Es wäre besser für Ayesha, wenn es so enden würde...Es wäre besser für uns, bevor ich auch sie in diese Dunkelheit stoße." Heiß glühte der Stein plötzlich auf, und Ryan löste erschrocken ihren Griff. Ihre Handfläche schmerzte durch die Hitze welche auf sie eingewirkt hatte. Der Stein begann seine Farbe zu verändern, verwandelte sich von dem normalen weißen Leuchten in ein rötliches Feuer. Wie die kleinen Flammen eines Feuers leuchtete der Stein durch die Dunkelheit des Karrens. Ryans Augen verengten sich vor Schmerz, diese Hitze schien ihren Körper zu versengen. "Hör auf", flüsterte sie stockend. "Ich habe verstanden...Hör auf...ich verstehe..." So schnell wie diese Hitze gekommen war, verschwand sie auch wieder, und der Stein hing kalt und leblos über Ryans Brust. Sie seufzte erleichtert auf. Immer noch nicht wusste sie um diese Macht welche womöglich tief in diesem Anhänger schlummerte. Doch sie war sich sicher, seine Macht war groß, und sie war zu jung um diese Macht zu kontrollieren. Nachdenklich faltete Ryan ihre Hände, und blickte aus dem kleinen Fenster hinaus. Eine Wand aus Grün zog an ihr vorbei, ein eigentümlicher Geruch stieg ihr in ihre Nase, und Ryan lächelte. "Die Welt schlägt ihre Augen auf", dachte sie und bettete ihren Kopf auf ihre gefalteten Hände. "Sie erwacht, verströmt diesen Duft, wie man ihn nur morgens wahrnehmen kann...Oh Ayesha, was soll ich nur tun? Weißt du wie sehr ich dich vermisse? Nie hätte ich gedacht, dass ich mich nach einem Menschen so sehnen könnte...Was hast du nur mit mir gemacht...Was hast du nur mit mir gemacht?" Unstet schweifte ihr Blick durch den kleinen Karren, der Geruch von altem Holz stieg in die Nase, und sie rümpfte sie leicht. Wie weit waren sie wohl schon vorangekommen sein? Drei oder vier Tage mochten sie schon unterwegs sein, doch Ryan war sich nicht sicher. Die Männer hatten nie die Tür ihres neuen Gefängnisses geöffnet. Sie schienen Angst vor ihr zu haben, oder hatten sie Angst vor dem unbekannten Mann? Argwöhnisch runzelte Ryan ihre Stirn. Wer war nur dieser Mann? Sie erinnerte sich an den Ausdruck in seinen Augen, als er ihr das erste Mal in die ihren geblickt hatte. Etwas seltsames war in ihnen aufgetaucht, und Ryan wurde das Gefühl nicht los, dass er glaubte sie zu kennen... Fieberhaft suchte sie in ihren Erinnerungen, doch sie konnte sich nicht ins Gedächtnis rufen, ob sie diesem Mann schon einmal begegnet war. Er war ein Fremder für sie... "Ob er sein Versprechen gehalten hat? Ist Teleri frei? Teleri..." Bei diesem Namen krampfte sich Ryans Magen zusammen. Immer noch schlug dieses Gefühl von Schuld in ihr heftig und laut. Es war bei weitem nicht so einfach zu vergessen wie sie gedacht hatte. Wie sollte man auch solch eine lange Zeit einfach aus seinem Gedächtnis streichen, sie vergessen? Es war unmöglich, und Ryan wusste, sie würde es auch niemals vergessen, sie würde Teleri nie vergessen können. War sie doch die erste Person gewesen, der sie sich geöffnet hatte, die sie lieben durfte. Ihre Augen bekamen einen traurigen Ausdruck, und sie atmete tief durch. "Ich hoffe dir geht es gut", dachte sie und starrte hinauf zu der niedrigen Decke des Gefährtes. "Du hast es verdient glücklich zu werden Teleri. Du hast es verdient...mehr als ich, mehr als jeder andere den ich kenne...Wo magst du jetzt sein? Wo wird dich dein Weg hinführen? Ich hoffe weit weg von mir...Ich will dich nicht noch einmal verletzten, das habe ich schon oft genug getan...So viele Male habe ich dich verletzt. Habe ich mich eigentlich jemals bei dir dafür entschuldigt? Jetzt ist es zu spät...viel zu spät." Seufzend zog Ryan ihre Knie an ihren Körper, umklammerte sie mit ihren Händen, und starrte auf ihre gefesselten Hände. "Bald ist alles zu ende", flüsterte sie und Tränen bahnten sich ihren Weg ihre Wangen hinab. "Bald...Es kann nicht mehr lange dauern...Verzeih mir Ayesha, ich dachte, ich könnte fliehen, doch es geht nicht. Wie sollte ich? Ich würde sie nur veranlassen mich erneut zu jagen. Weißt du wie lange ich das erduldet habe? Mein fast mein ganzes Leben lang bin ich vor ihnen geflohen. Sie würden früher oder später meine Fährte wieder aufnehmen, mich finden, und ich würde sie auch auf deine Spur bringen. Ich kann das nicht zu lassen, verstehst du? Ich will nicht, dass auch du durch mich leiden musst. Ich will, dass du in Frieden leben kannst. Glaub mir, dieser Schmerz wird nur für eine gewisse Dauer sein. Dann wirst du mich vergessen... Wirst dein Leben so gestalten wie du es dir vorstellst. Auch du wirst wieder lieben, ich weiß es. Glaub mir Ayesha, es ist besser so...Es ist der einzige Weg welchen es noch gibt. Ich kann nicht mehr wählen in welche Richtung ich gehen werde, es ist entschieden... Und dieser Weg wird mich nicht zu dir führen. Es ist ein Weg welchen ich alleine gehen muss...ich werde dort auf dich warten... Ich werde dort auf dich warten, wo die Sonne aufgeht. Dort werde ich auf dich warten. Vergib mir das ich so schwach bin, vergib mir, dass ich dich so sehr liebe...Vergib mir mein wunderschönes Mädchen...Vergib mir... Fackeln erleuchteten den dunklen Gang, die Schatten welche die Flammen warfen tanzten an den Wänden. Kalte Steinmauern schlossen sich zu einer hohen, spitz zulaufenden Decke zusammen. Langsam lief Katlar den Gang entlang, ihm war nicht wohl in seiner Haut. Er wusste, an diesem Platz war die ganze Macht des hohen Rates konzentriert. Hier war er selbst nur ein kleiner Fisch im großen weiten Meer, und er musste Acht auf sich geben. Missmutig verzog Katlar sein Gesicht, eben aus diesem Grund hasste er es auch hier zu sein. Er hasste es sich klein und unbedeutend zu fühlen, und diese Männer gaben ihm wohl auch nur all zu gern das Gefühl, dass er unwichtig war. Katlar hatte sein Gesuch augenblicklich an dem Tag seiner Ankunft in Kalmas eingereicht, doch erst jetzt schienen die hohen Herren Zeit und Muse zu haben über sein Gesuch ein Urteil zu fällen. Seufzend blieb Katlar stehen, er musste sich nicht beeilen, sie hatten ihn Tage lang warten lassen. Jetzt kam es auf ein paar Augenblicke auch nicht mehr an. Fest stemmte er seine Handflächen auf eine kalte aus Steingehauenen Fensterbank, und blickte hinaus in den Regen. Dunkle Wolken jagten über den Himmel, verdunkelten die Sonne, die Regentropfen peitschten gegen das Fensterglas. "Ein Tag nach meinem Geschmack", dachte Katlar und lächelte kalt. Wie lange war er nicht mehr in Kalmas gewesen? Jahre mussten ins Land gegangen sein. Diese Stadt hatte sich verändert, war noch hektischer und kälter geworden, als sie es früher schon gewesen war. Wie seltsam war es wieder hier her zurück zukehren? Zu viele Erinnerungen waren mit diesem Ort verbunden. Viel zu viele quälende Erinnerungen... "Maris", flüsterte Katlar leise und sein Blick richtete sich hinauf in den dunklen Himmel. "Du weißt, ich tue das alles nur für dich...nur für dich und unseren Sohn. Es ist so kalt ohne euch geworden, so kalt und dunkel...Glaubst du, ich tue das richtige? Bin ich auf dem richtigen Weg...Ich vermisse euch...Ich vermisse euch so sehr..." Fest krallten sich seine Fingernägel in den kalten Stein. "Ich werde dich töten Ryan. Dein verdammtes Blut wird über ihre Gräber fließen. Ich schwöre es dir, du wirst einen genauso langsamen und qualvollen Tod finden wie meine Frau und mein Sohn. Du wirst genau wie sie leiden...Leiden wirst du...Du und deine kleine Freundin..." Bösartig glühten Katlars Augen auf. Hass durchflutete seinen Körper, vergiftete jeden Winkel seines Geistes. Entschlossen ballte er seine Hände zu Fäusten, atmete tief durch, und lief den Gang weiter gerade aus. Fest und sicher waren seine Schritte. Er wusste ganz genau, selbst die Mauern hatten hier Augen und Ohren. Sie sollten ruhig sehen, dass er zu allem entschlossen war, und sie ihn nicht aufhalten konnten egal was sie ihm zu sagen hatten. "Auch wenn ihr mir nicht eure Zustimmung gebt, ich werde es tun", dachte er zornig. "Wer braucht euch schon? Ich brauche euch nicht, so viele Jahre lang habe ich euch gedient ohne eine Frage zustellen, habe eure Befehle ausgeführt, weil ich dachte ihr müsst wissen was richtig ist. Wie falsch man doch liegen kann... Ihr wisst nichts, seid den Problemen und Bedrohungen dieses Landes nicht ausgesetzt. Keiner von euch hält den Kopf hin, dass müssen wir für euch besorgen...Nein, ich brauche eure Zustimmung nicht..." Wütend verzog Katlar seinen Mund, blieb vor einer der großen Schwingtüren stehen, atmete tief durch. Er hatte gelernt, eine Schlacht welche mit Worten geschlagen wurde war weit schwerer zu gewinnen, als eine Schlacht mit dem Schwert. Zögernd legte er seine Hand auf den Türknauf, und drehte ihn vorsichtig um... Ein leises Klicken drang an seine Ohren, kurz schlossen sich seine Augen, er atmete unruhig, um seine Mundwinkel zuckte es leicht. Trotz seines ganzen Stolzes verspürte er das sein Unbehagen mit jedem Augenblick wuchs. Wärme schlug ihm entgegen, und ihm schwindelte. "Ich habe dich erwartet Katlar", hörte er eine ihm bekannte Stimme sagen, und Katlar seufzte leise. "Ich hätte nicht gedacht, dass mir der hohe Rat einen seiner Handlanger schickt um mir seine Entscheidung zu unterbreiten. Ich scheine wohl nicht mehr wert zu sein, oder Nerom?" entgegnete er und trat näher. Kerzen erleuchteten den Raum, das Feuer im Kamin flackerte durch den Luftzug welcher von der Tür in den Raum strömte. Ein lautes Lachen erfüllte den Raum, und Katlars Blick bekam einen wütenden Ausdruck. "Deine unverschämte Art hast du wohl immer noch nicht ablegen können Katlar", erwiderte der ältere Mann, und erhob sich von seinem Platz hinter dem Schreibtisch. "Ich hatte doch wirklich einst die Hoffnung, dass du diese Eigenschaft eines Tages ablegen würdest, so kann man sich täuschen." "Du hast dich in so manchen Dingen getäuscht Nerom", sagte Katlar und lächelte böse. "In sehr vielen Dingen hast du geglaubt zu wissen was geschehen würde, und jedes Mal warst du auf dem falschen Weg." Schweigen herrschte plötzlich, und Nerom fixierte Katlar fest, schüttelte dann seinen Kopf, und gebot ihm mit einer Handbewegung sich auf einen Sessel, welcher in der Nähe des Kamins stand, zu setzten. "Du siehst schlecht aus Katlar", bemerkte Nerom und musterte sein Gegenüber lange und prüfend. "Trägst du noch immer Trauer? Ich dachte, diese Gebot wäre schon lange verjährt, warum immer noch? Maris wird nicht zurückkehren." "Ich weiß", flüsterte Katlar und starrte auf seine gefalteten Hände. "Ich bin es ihr schuldig, ich darf sie nicht vergessen..." "Das würdest du nicht", erwiderte Nerom und seufzte leise. "Ich habe dich beobachtet, viele Jahre lang. Und was mir zu getragen wurde gefällt mir ganz und gar nicht." Augenblicklich verschwand die Entspannung in Katlars Glieder, er richtete sich auf, ballte seine Hände zu Fäusten und in seinen Augen glühte es gefährlich auf. "Ich glaube Nerom, dir steht es nicht zu über mich zu richten. Ich habe euch viele Jahre lang gedient ohne Fragen zu stellen. Ich habe eure Befehle ausgeführt, auch wenn es bedeutet hat, dass sich das Blut an meinen Händen um weitere Male vermehrt hat. Es steht dir nicht zu über mich zu richten." "Da hast du recht meine Junge", stimmte Nerom zu und strich sich nachdenklich über seinen grauen Bart. "Aber, wer hat gesagt, dass ich über dich richte? Richtest du dich nicht schon viele Jahre lang selbst? Seit Maris diese Welt verlassen hat, erscheint es mir, als wäre der Katlar den ich gekannt und geschätzt habe mit ihr verschwunden. Warum? Warum stellst du dich plötzlich gegen uns? Haben wir dir nicht all die Jahre vertraut, haben wir dir nicht völlig freie Hand bei all deinen Entscheidungen gelassen? Sag mir, warum?" Schweigend betrachte Katlar den alten Mann welcher vor ihm saß. Sanft beschien das Feuer des Kamins sein Gesicht, ließ ihn vertrauensvoll und ehrlich wirken. Doch all das war nur Fiktion. Katlar wusste wie gefährlich Nerom sein konnte, er war kalt und ohne Gnade. Nerom war genau wie er selbst... "Es gibt dafür keine Erklärung", sagte er nach einem Moment der ihm wie eine kleine Ewigkeit vorgekommen war. "Ich könnte dir keine nennen, welche dich zufrieden stellen würde." "Ist das so?" fragte Nerom und aus seinem Blick verschwand all die Härte mit welcher er Katlar zuvor angeblickt hatte. Weich wurde er, fast wie ein Vater seinen verlorenen Sohn musterte, da er wusste wie viel Schmerz und Zorn dieser in sich trug. "Weißt du Katlar, ich frage mich schon die ganze Zeit seitdem du hier her gekommen bist. Warum wir deinem Gesuch nachgeben sollten. Wir brauchen diese Region. Die Menschen dort arbeiten für uns, fördern die so dringend benötigten Ressourcen. Die Stämme sind ruhig, sind durch Bündnisse an uns gebunden. Warum sollten wir also Unruhen riskieren? Nur weil du es willst?" Argwöhnisch betrachtete Katlar Nerom, auf solch einen abrupten Umschwung in ihrer Unterhaltung war er nicht gefasst gewesen. Leicht lehnte er sich in dem Sessel zurück, legte seinen Hände flach auf die Lehnen und sah Nerom einen Moment schweigend an. "Warum?" fragte er schließlich und lächelte leicht. "Dort verstecken sich Mörder, und eure so ruhigen Stämme sind es schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Sie wollen hinaus aus dieser Knechtschaft. Sie wollen ihren alten Status zurück. Ich für meinen Teil finde eine Demonstration unserer Macht als angebracht, um sie wieder in ihre Schranken zurück zu weisen. Einige Tote ziehen die Fesseln wieder enger an." "Oder fördern ein ausbrechen, " viel ihm Nerom ins Wort und schüttelte seinen Kopf. "Nein Katlar, dass ist nicht der Grund warum du das tun willst. Wer versteckt sich dort, oder wen vermutest du dort?" Laut heulte der Wind auf, Regen prasselte gegen das Fensterglas. Stille herrschte und Katlars Fingernägel krallten sich in den Stoff der Lehnen. "Niemand der euch etwas angeht", stieß er hervor und senkte kaum merklich seinen Blick. "Und genau das ist der Punkt", bestätigte Nerom nickend und erhob sich. "Eben um diese Aussage von dir geht es. Es hat nichts mit uns zutun. Dein Gesuch birgt für uns nicht den geringsten Vorteil, wir können dabei nur verlieren. Dir geht es einzig und alleine nur um deinen privaten Rachefeldzug. Sag mir Katlar, geht es dir besser seitdem du Maris Mörderin jagst? Geht es dir besser sie leiden zu sehen?" "Ja", flüsterte Katlar und hielt dem forschenden Blick Neroms stand ohne mit der Wimper zu zucken. "Es bereitet mir Vergnügen sie leiden zusehen, so unendlich großes Vergnügen." "Weißt du was uns noch viel weniger gefällt als deine eigensinnigen Aktionen Katlar?" fragte Nerom und wandte ihm den Rücken zu. "Nein, was missfällt den hohen Herren sonst noch?" gab Katlar die Frage zurück. Ein leichtes Lächeln umspielte Neroms Lippen, dieser Mann war so voller Zorn. Zorn der ihn auf der einen Seite gefährlich, auf der anderen Seite so berechenbar machte. "Uns missfällt, dass aus deiner Region kaum noch Transporte unbeschadet zu uns kommen. Das mag keine Neuigkeit sein, aber in den letzten Jahren haben sich diese Übergriffe vervielfacht. Wir fragen uns, ob du noch im Stande bist deine Pflichten auszuüben, oder ob du dich zu sehr mit deinen privaten Spielereien beschäftigst mein Freund." "Ich erfülle meine Pflichten so gut wie jeder andre auch..." "Eben das tust du nicht mehr", viel Nerom Katlar ein weiteres Mal ins Wort und seine Stimme war deutlich lauter geworden. Seine Augen blitzten und fixierten sein Gegenüber kalt und berechnend. "Und eben aus diesem Grund ist dein Gesuch abgelehnt worden. Bringe deine Region wieder unter Kontrolle, dann können wir uns vielleicht noch einmal über dein Gesuch unterhalten." Augenblicklich verfinsterte sich Katlars Blick, seine Fingernägel gruben sich noch tiefer in den Stoff des Sessels. Sein Atem entstieg schnell und ungleichmäßig seiner Kehle, innerlich kämpfte er darum die Fassung zu bewahren. Er wollte diesem Mann nicht auch noch die Genugtuung bieten, dass er die Kontrolle über sich verlor. "Ist das dein letztes Wort?" fragte Katlar und erhob sich, sein schwarzer Mantel raschelte leise. "Ja, dass ist unser letztes Wort, " bestätigte Nerom und blickte Katlar abschätzend an. "Dann habt ihr auch die Folgen zu tragen", entgegnete Katlar, drehte sich auf dem Absatz um und öffnete die schwere Schwingtür. "Katlar", hörte er die Stimme Neroms hinter sich. Sie war zu einem gefährlichen und bedrohlichen Flüstern herab gesunken. "Wenn du mit dem Gedanken spielst eigenmächtig zu handeln, und unseren Befehl missachtest, dann kann auch ich dich nicht mehr schützen." Fest umklammerte Katlars Hand den Türknauf, als versuche er irgendwo halt zu finden, wo es nichts gab an das er sich hätte klammern können. Er war alleine, verloren. "Ich gebe dir diesen letzten Rat", hörte er erneut Nerom flüstern und er zuckte kurz zusammen. "Hör auf damit, sie werden dich töten. Es steht schon jemand für dich bereit, glaub mir, ich scherze nicht. Viele lecken sich nach deinem Blut die Finger, sind begierig deinen Platz einzunehmen. Pass auf dich auf, und komm endlich zur Besinnung. Sie werden dich schnell töten wenn es soweit ist, du wirst nicht einmal Zeit haben Angst zu empfinden." Ein leises Lachen durchschnitt die Stille welche nach den Worten Neroms eingekehrt war wie ein Schwert. "Es ist also schon beschlossen", meinte Katlar ruhig und gelassen. Er atmete tief durch, öffnete die Tür und flüsterte leise: "Dann soll es so kommen wie es beschlossen ist...ich habe dann nichts mehr zu verlieren... Feine Lichtreflexe tanzten wie Sterne vor ihren Augen, Wärme durchflutete ihren Körper, nahmen ihn auf in ihre Wellen aus Licht, reinigten ihn, wuschen das Blut fort und ließen für eine kleinen Augenblick ihren Narben verschwinden. Leicht verblassten sie, wurden zu kleinen Schatten ihrer selbst... Unruhig zuckten Ryans Augenlieder, ihr Körper wälzte sich hin und her. Was war das plötzlich für ein Gefühl? Wärme, Licht sie spürte es. Auf ihrer Haut, in ihrem Körper. Ihre Kehle schnürte sich bei jedem Atemzug fester zusammen. Unsichtbare Arme schienen sie zu halten, sie hin und her zu wiegen als wäre sie ein kleines Kind. Eine leise Melodie drang an ihre Ohren und sie lächelte schief. Sie kannte diese Melodie, sie kannte sie gut... "Ryan?" Diese Stimme, so wunderschön erklang sie in den Ohren Ryans wie ein Lied. Ein Lied welches sie schon so langer vermisst hatte. "Ryan...willst du denn überhaupt nicht mehr aufwachen?" Zaghaft öffnete Ryan ihre Augen, blinzelte leicht, und ein Schauer jagte ihren Rücken hinab, als ihr gewahr wurde in wesen Armen sie lang. "Ayesha", flüsterte sie leise und lächelte die strahlenden Augen die über schwebten an. Sanfte Hände strichen ihr einige verschwitzte Strähnen aus der Stirn, und Ayesha bedachte sie mit einem liebevollen Lächeln. "Hast du schlecht geträumt?" fragte sie besorgt und küsste Ryan sacht auf ihre Stirn. "Geträumt? Ist dies nicht ein Traum? Nur ein wunderschöner Traum", entgegnete Ryan und das Leuchten in ihren Augen erlosch so schnell wie es gekommen war. "Warum soll dies ein Traum sein? Du hast lange geschlafen, so lange..." flüsterte Ayesha und beugte sich zu Ryan hinab. Zärtlich berührten ihre Lippen die Ryans, und diese schloss ergeben ihre Augen. "Ich dachte, du wolltest mich verlassen", wisperte Ayesha und streichelte Ryan sacht über ihre Wange. "Willst du mich verlassen?" "Nein", bekannte Ryan aufrichtig und blickte beschämt zur Seite. "Nein, ich will es nicht, aber ich werde es müssen..." "Warum?" fragte Ayesha mit solch einer Naivität, wie sie sonst nur Kinder in sich tragen, da sie noch unschuldig sind. "Du musst es nicht tun...du bist stark, du kannst kämpfen und wieder zu mir zurückkehren. Aber, willst du das?" Ein warmes Lächeln breitete sich auf Ryans Gesicht aus, und ihre Hände umfingen zärtlich Ayeshas Gesicht. "Natürlich will ich das, ich wünsche mir nichts sehnlicher." Ein zufriedenes Lächeln schmückte Ayeshas Gesicht, und ihre Lippen kamen denen Ryans erneut nahe. Scharf sog Ryan die Luft in ihre Lungen, als sie den warmen Atem Ayeshas auf ihrem Gesicht spürte. "Wenn das dein Ernst ist", raunte sie und berührte flüchtig Ryans Lippen mit den ihren. "So wirst du bald die Möglichkeit haben es zu beweisen..." "Wie meinst du das?" fragte Ryan und hob irritiert eine Augenbraue an. Ein dumpfes Geräusch ließ Ryan hoch schrecken, es klang nach Stimmengewirr...Rufe, Schreie, das knirschende Geräusch wenn Schwert auf Schwert traf zerstörte die friedlich Stille welche sie umgeben hatte. "Siehst du? Du wirst deine Chance bekommen, " sagte Ayesha und tiefe Risse bildeten sich plötzlich auf ihrer Gesichtshaut. "Du wirst deine Chance bekommen...Ich werde auf dich warten...Ich warte..." Fest presste Ryan ihre Hände auf ihren Mund, um einen Schrei zu ersticken welcher aus ihrer Kehle entrinnen wollte. Der gesamte Körper Ayeshas wurde rissig wie altes Gemäuer. Teile bröckelten wie Schneeflocken hinab, und verschwanden im Nichts. Dunkel wurde es, und Ayesha löste sich vor Ryans Augen auf. Zersprang in tausende von kleinen Splittern. "Geh nicht", wimmerte Ryan und sank auf ihre Knie nieder, fest gruben sich ihre Finger in die kleinen Splitter. Blut floss über die scharfen Kanten. Die Wärme verschwand aus ihrem Körper, und es wurde wieder kalt und dunkel um sie. Alte Narben brachen wieder auf, bluteten still, schmerzten... Keuchend schlug Ryan ihre Augen auf. Kalte Schweißperlen rannen ihre Wangen wie Tränen hinab. Kälte kroch durch die Ritzen des Karrens und ließen ihren Körper erzittern. Sanftes Dämmerlicht drang durch das kleine Fenster in ihre Gefängnis, und Ryan versuchte diese Schatten welche ihren Verstand gefangen hielten zurück zudrängen. Stimmen drangen an ihre Ohren...das Klirren von Schwertern, Schreie von Sterbenden... "Bei allen Göttern", dachte sie und erhob sich so gut wie sie es vermochte. "Was ist hier los?" Ein heftiger Stoß ließ den Karren erzittern, hart stürzte Ryan zu Boden... "Du wirst deine Chance bekommen..." hörte sie die Stimme Ayeshas in ihrem Geist. Klar und deutlich, es war eine Botschaft gewesen, dieses Trugbild ihrer Geliebten hatte sie vorbereiten wollen. "Auf was verdammt", zischte Ryan und versuchte sich etwas aufzurichten. Der Karren schwankte...erneut schlug Ryans Körper hart auf den Holzboden, und sie blieb stöhnend liegen...Holz begann zu splittern, die Welt drehte sich...immer schneller und schneller...Leicht, als wäre er ein Spielball, wurde Ryans Körper in dem engen Karren hin und her geschleudert, jeder Sturz war härter und schmerzender als der vorherige. Heißes Blut floss an Ryans Schläfe hinab, in ihrem Kopf drehte sich alles...Sie keuchte, versuchte einen klaren Gedanken zufassen, doch es war vergebens... Erneut dröhnten laute Schreie durch den Wald... "Überfall", schoss es Ryan durch den Kopf. "Ein Überfall..." Ein schiefes Lächeln verzehrte ihre Gesichtszüge, jedoch als der Schmerz ihren Geist erreichte, war er es welcher ihre Gesichtszüge bis zur Unkenntlichkeit verzerrte. Vorsichtig öffnete Ryan ihre Augen, der Karren schwankte noch immer, doch er schien soweit sie es einordnen konnte still zu stehen. Rötliches Licht ergoss sich durch ein klaffendes Loch auf der Vorderseite des Karrens in ihr kleines Gefängnis, und streichelte zärtlich über ihr Gesicht. "Meine Chance", dachte sie und erhob sich schwerfällig. Jeder Knochen in ihrem Körper schien zu schmerzen, doch hinter diesem Loch konnte sie den Duft der Freiheit riechen. Er lockte sie...vernebelte ihren Verstand...forderte sie zurück wie er es schon immer getan hatte... Schwankend ging Ryan einige Schritte vorwärts, das Holz knarrte unter ihren Schritten gequält... "Ayesha", dachte sie und schloss für einen kurzen Augenblick ihre Augen. "Ich muss es tun...Ich kann dich nicht alleine lassen...Ich will dich sehen...Ich muss dich sehen..." Zögernd streckt sie ihre gefesselten Hände aus, versuchte sich abzustützen...Ihre Muskeln spannten sich an, scharf schnitten die Fesseln ihr ins Fleisch. Blut sickerte in die Fasern des Seiles, doch Ryan bemerkte es nicht. Mit einem kräftigen Ruck zwängte sie sich durch das Loch... Warmes, sanftes Licht empfing sie, und Ryan schloss bei diesem Gefühl genüsslich ihre Augen. Sacht streichelte der Wind über ihr Haar, wehte einige Haarsträhnen in ihre Stirn. "Freiheit", dachte sie und hätte am liebsten laut geschrieen. "Freiheit." Fesseln schienen von ihr abzufallen wie Schnee sobald die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings ihn zu Wasser werden ließen. Nach diesem Gefühl hatte sie sich so lange gesehnt. Freiheit... Um sie herum tauchte die Landschaft langsam in die Dunkelheit der Nacht ein. Ein schwarzer Mantel in welchem man sich gut verstecken konnte... Eilig sprang Ryan von dem Karren hinab. Sie nahm einen scharfen Geruch wahr, den Geruch von Blut. Hastig blickte sie sich um...Tote Ogronier lagen verstreut umher, wie Puppen deren Fäden durchtrennt worden waren. Dunkle Gestalten huschten vereinzelt zu den Taschen und Kisten, durchsuchten sie. Lautlos schlich Ryan weiter. Sie wusste, diese Männer waren womöglich Kinder des Waldes. Mensch ihres Gleichen, doch sie waren in diesem Moment wie hungrige Tiere. Es dürste sie nach Gold, oder Dingen welche sie weiterverkaufen konnte, und dazu gehörte wohl auch sie selbst... Schnell trugen sie ihre Füße weiter, Laub raschelte unter ihren Füßen, dichter wurde der Wald. Ihr zu Hause war bereit sie wieder in sich aufzunehmen, er gestattete ihr zurückzukehren. Unregelmäßig entrann ihr Atem ihrer Kehle, ihr Geist war erneut auf der Flucht. Rannte wie so viele Male zu vor weg, doch dieses Mal hatte sie ein Ziel... Ein scharfes Sirren durchzuckte die Luft... Schmerz explodierte in Ryans Geist wie ein Blitz. Sie strauchelte, fiel...Hart schlug ihr Hinterkopf gegen einen mächtigen Baumstamm...Dunkel wurde es... Benommen versuchte sie sich aufzurichten, doch ihre Beine wollten ihrem Verstand nicht mehr gehorchen...Schritte kamen näher, leise begann das Laub zu rascheln... Ein dunkler Schatten löste sich aus dem rötlichen Dämmerlicht und kam langsam auf sie zu. "Nein", schrieen ihre Gedanken. "Ich war ihr so nahe...so nahe..." Schwerfällig versuchte sie sich aufzurichten...Kalter Stahl drückte sich gegen ihre Kehle, und Ryan hielt in ihrer Befegung inne. "Eine falsche Bewegung Kleine, und dein Blut verteilt sich ganz langsam über den Waldboden", zischte eine tiefe Stimme über ihr. Vorsichtig sank Ryan zurück und blickte die dunkle Gestalt über sich an. Kein Gesicht war hinter dem schwarzen Tusch zu erkennen, nur große Augen welche sie von Kopf bis Fuß musterten. Es waren helle Augen, doch zu ihrer eigenen Verwunderung war in ihnen keine Bösartigkeit zu finden. Sie waren anders als die der normalen Kinder des Waldes. In ihnen leuchtete es noch schwach... Doch plötzlich veränderte sich ihr Ausdruck. Erstaunen, oder auch Erschrecken ließen sie zu kleinen Schlitzen werden. "Woher hast du das?" schrie er und griff nach Ryans Hals.... Das dünne Lederband zerriss, der leuchtende Stein schwebte über Ryans Gesicht, und entfernte sich immer weiter von ihr. Ihr Licht schien langsam zu verschwinden... "Gib es...gib es mir zurück", röchelte Ryan und streckte ihre Hand nach ihrer Kette aus. "Gib es mir zurück..." "Woher hast du das?" schrie die Gestalt ein weiteres Mal, doch dieses Mal noch lauter und erregter als vorher. Fest packten seine Finger Ryan an ihrem Kragen. "Woher verdammt? Wer hat dir das gegeben?" Aus trüben Augen blickte Ryan die Gestalt an, streckte ihre Hand aus, versuchte den kleinen Anhänger noch einmal zu berühren. "Gib es mir zurück", sagte sie, doch ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. "Ich...Ich brauche es...Ich brauch es..." Abrupt löste die Gestalt seinen Griff...Sanft sank Ryan zurück auf den mit Laub bedeckten Boden...Ihr Atem wurde langsamer, ihr Herz schlug unregelmäßig...ein letztes Mal versuchte sie ihren Anhänger zu erreichen, doch die Gestalt hatte sich bereits von ihr einige Schritte entfernt... Schwer wurden ihre Augenlieder, Schmerz beherrschte ihren Körper...Dunkelheit kroch aus jedem Winkel ihres Geistes...umhüllte sie...lähmte ihren Körper...sanft trieb sie davon...davon in einen wunderschönen langen Traum... Nachwort: Kapitel fertig! Tut mir leid, dass es dieses Mal etwas länger gedauert hat. Ihr könnt ich bei meiner Uni bedanken, die mir den Einstieg nun echt nicht all zu leicht gemacht hat. Na ja, ist nicht so wichtig. Ich hoffe, dieses Kapitel ist in euren Augen nicht so schlecht wie ich es empfinde. Ich weiß nicht, aber als ich das damals geschrieben habe, hatte ich wohl nicht so die Lust. Sei es drum, ich hoffe es hat dem einen oder anderem doch etwas gefallen. Alles etwas verwirrend was? Ich kann euch beruhigen, es wird sich im nächsten Kapitel oder so klären. An dieser Stelle wieder einen lieben Gruß an Igel und Mondscheinelfe! Hoffe einige Fragen sind beantwortet, und einige neue wieder entstand. Also, bis zum nächsten Kapitel. Bleibt mir gewogen. Adios seen Kapitel 17: Friedhof der Erinnerungen ------------------------------------- Friedhof der Erinnerungen Sanftes Morgenlicht hüllte die Landschaft ein. Kalt war es geworden, der Sommer klang lautlos aus. Die Stimmen der Vögel welche in den Baumwipfeln saßen wurden immer weniger. Nur sporadisch vernahm man ein leises Gezwitscher. Nur noch wenige Wächter des Himmels schienen hier zu weilen. Warum waren sie noch hier? Bald würde der eisige Hauch des Winters ihre Herzen befallen, ihre Flügel lähmen. Sie würden zu kalten leblosen Figuren werden. Der Atem der jungen Frau bildete kleine weiße Wolken, fest zog sie ihren braunen Umhang um sich. Ihre Finger schmerzten durch die Kälte der Nacht welche geherrscht hatte. Starr und ausdruckslos war ihr Blick. Warum lief sie so unermüdlich weiter? Sie hatte doch eigentlich kein wirkliches Ziel. Jedoch trieben sie ihre Gedanken immer weiter, sie konnte nicht zur Ruhe kommen. Wie sollte sich auch der Körper ausruhen wenn die Seele keinen Frieden fand? Kurz hob sie ihren Kopf, blickte hinauf zur jungen Sonne. Ihre blauen Augen... Einst so unergründlich und voll Lebenswillen nun kalt und leer. Nie hätte sie geglaubt, dass sie so enden würde. Verachtet, beschmutzt, gedemütigt und alleine. Ein heftiges Zittern durchflutete ihren Körper wie ein Blitz. Sie seufzte leise, nahm ihren Blick wieder aus dem Himmel und kehrte zurück auf die Erde. Der Boden war schlammig und aufgeweicht, es hatte geregnet letzte Nacht. Ein eisiger Windhauch fuhr durch das Geäst der Bäume, Blätter rieselten auf sie hinab, blieben in ihrem blonden Haar hängen. Es war ihr egal... Sie war genauso tot wie diese braunen Blätter. Auch aus ihr war das Leben gewichen und nur noch die Hülle wandelte auf dieser Welt. Ein Schatten ihres früheren selbst. Welch eine Ironie, war sie es nicht gewesen welche einst geglaubt hatte man könnte das Leben immer wenden? Zu seinen eigenen Gunsten herum drehen. Hatte sie nicht geglaubt, dass es immer einen zweiten, einen besseren Weg gab? So sehr konnte sich also ein Mensch irren. Ihre Füße glitten tief in die aufgeweichte Erde hinein, doch sie lief weiter, immer weiter den kleinen Berg hinauf. Äste knarrten im Wind. Ihre Gedanken flogen weit fort, zu einem anderen Ort. Zu einem anderen Menschen, zu einem Leben welches ihr schon so fremd vorkam. Sie keuchte, solch eine körperliche Anstrengung war sie nicht gewohnt. Das Geäst der Bäume schloss sich über ihr wie zu einem schützenden Dach zusammen, doch nun waren nur noch die knorrigen Äste übrig. Die Blätter waren bereits gestorben. "Im Sommer muss es wunderschön aussehen", dachte sie und lächelte bitter. Ja, im Sommer sah alles noch wunderschön aus. Wie schnelllebig die Zeit doch sein konnte. Wunderschöne Tage verstrichen als wären sie ein Herzschlag, dunkle und schmerzvolle Stunden hingegen erschienen einem wie eine Ewigkeit. Wie lange war sie jetzt schon in dieser Ewigkeit gefangen? Würde sich diese Dunkelheit in welcher sie versunken war jemals wieder lichten? Würde sie jemals wieder die Wärme der Sonne verspüren können? Ohne diese Gewissheit, dass sie verloren war, dass sie zerrissen war. Unsichtbare Wunden schmerzten auf ihrer Seele, sie waren nicht sichtbar, doch sie wusste, dass sie da waren. Still bluteten sie, vergifteten ihren Körper mit jedem Tropfen. Schwarzes Gift durchflutete ihre Adern, wenn sie sich verletzen würde, wäre dann auch ihr Blut schwarz? Schwarz wie ein Nachthimmel? Sie lachte leise über diese Vorstellung, doch es war ein missmutiges Lachen ohne Wärme und Menschlichkeit. Flüchtig wischte sie sich über ihre müden Augen, ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb. Laut und aufdringliches schlug es. "Warum kannst du nicht einfach aufhören zu schlagen?" dachte sie und schüttelte leicht ihren Kopf. "Warum kannst du nicht einfach verstummen? Es wäre einfach, so einfach..." Fröstelnd hüllte sie sich in ihren Mantel ein, der schwere Stoff umschloss ihren Körper wie die beschützenden Arme eines geliebten Menschen. Ein geliebter Mensch? Auch das hatte sie verloren, alles war verloren. In dem Strudel aus Ereignissen und Zeit untergegangen, es war fortgespült worden und würde niemals wiederkehren. Ihre Gesichtsmuskeln spannten sich an, schmerzten durch die Kälte und den Schlafmangel der letzten Tage. Der Berg begann um ein weiteres Mal steiler zu werden, ihr Atem beschleunigte sich. Die leblosen Bäume wirkten traurig, auch sie spürten dass es Zeit war in einen langen Schlaf einzutauchen. Ihre Äste hingen kahl über dem Kopf der jungen Frau, wie Finger schienen sie nach ihr zu greifen, und sie begann zu rennen. Ihr Mantel flatterte im kalten Wind, Feuchtigkeit durchdrang ihre Stiefel, doch sie konnte nicht stehen bleiben. Ein schwaches Licht tauchte plötzlich vor ihr auf, ein Haus. Mit jedem Schritt kam sie ihm näher. Langsam gewannen das Licht und das Haus an Konturen. Sie lächelte, rannte schneller...Was trieb sie zu diesem Ort? Glaubte sie wirklich dort Frieden zu finden? Frieden, welch einen lieblichen Klang hatte dieses Wort in ihren Ohren? Ihre Lungen brannten wie Feuer, sie keuchte, blieb außer Atem vor dem kleinen mit Moos bewachsenen Haus stehen und starrte die alte morsche Tür an. Zaghaft hob sie ihre Hand, ließ sie jedoch sofort wieder sinken. Unschlüssig starrte sie das alte Holz an. "Es ist ein Fehler hier her zu kommen", dachte sie und ballte ihre kleinen Hände wütend zu Fäusten. "Aber wo sollte ich sonst hingehen. Ich habe kein anderes Ziel mehr..." Tief atmete sie durch, hob ihre Hand und klopfte laut an. Für eine kurze Zeit geschah nichts, doch dann vernahm sie deutlich Schritte hinter der Tür. Knirschend wurde ein Schlüssel herum gedreht, die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Zwei braune, gutmütige Augen blickten die junge Frau an. Schlagartig verwandelte sich die Augen, starrte fassungslos die zusammen gesackte Gestalt an welche vor der Tür stand. "Teleri", sagte die ältere Frau und starrte immer noch entgeistert auf das, was sich ihren Augen bot. Ihre langen Haare waren zu einem strammen Zopf geflochten, graue Strähnen durchzogen das ehemals schwarze Haar. Sie lächelte leicht und öffnete die Tür vollständig. "Hallo Bara", flüsterte Teleri und ließ sich von der älteren Frau in deren Arme ziehen. Beruhigende Hände strichen ihr über ihr Haar, und Teleri spürte wie Tränen in ihr aufstiegen. Doch, sie durfte jetzt nicht weinen, nicht jetzt... "Mein Kind", hörte sie Bara wispern. "Wie siehst du denn nur aus? Ist etwas geschehen?" Teleri schluckte hart, sie schüttelte sacht ihren Kopf. Fest biss sie sich auf ihre Unterlippe, Blut berührte ihre Zunge. "Nun komm erst einmal rein. Dann kannst du mir alles erzählen", meinte Bara und zog Teleri mit sich in den hell erleuchteten Raum. Eine wohlige Wärme schlug Teleri entgegen, sie seufzte leise, sank auf einen der Stühle nieder und starrte Bara wortlos an. Die ältere Frau lächelte, ging zu einer kleinen Feuerstelle hinüber und schöpfte ein wenig heiße Milch aus einem Topf in einen kleinen Becher. "Hier, trink das", sagte sie und setzte sich Teleri gegenüber. "Es wird dich wärmen und dir gut tun meine Liebe." Dankbar nahm Teleri ihr den Becher aus der Hand und trank einen Schluck. Das heiße Getränk glitt ihre Kehle hinab, wärmte ihren Körper und sie schloss für einen Augenblick genüsslich ihre Augen. Die Kälte in ihren Gliedern verschwand langsam, und Teleri umschloss den Becher mit beiden Händen. "Du siehst so durchgefroren aus, Teleri", sagte Bara und umfasste eine der Hände Teleris mit der ihren. "Es ist ja auch kalt draußen", erwiderte die Angesprochene und versuchte zu lächeln. "Das weiß ich auch. Was führt dich zu mir? Wenn ich ehrlich bin, bist du die letzte Person mit welcher ich gerechnet habe." Wortlos führte den Teleri den Becher ein weiters Mal an ihre Lippen, trank einen Schluck und blickte dann in Baras braune Augen. "Schlafen deine Kinder noch?" fragte sie stattdessen und blickte zu der Treppe welche in das Obergeschoß führte. Der Hauch eines Lächelns umspielte Baras Mundwinkel, Teleri hatte wohl nicht vor auf ihre Frage zu antworten. "Ja, die beiden schlafen noch. Ich bin froh, dass mir die Kleinen noch geblieben sind. All unsere anderen haben uns ja schon verlassen. Ich wüsste nicht, wie ich alleine zu Recht kommen würde, wenn Wido auf reisen ist. Es wäre still ohne meine jüngsten." Bei der Erwähnung von Widos Namen zuckte Teleri zusammen, umkrampfte den Becher mit ihren Händen. Wido...Sie hatte sich nicht einmal von ihrem Freund verabschieden können, doch auch Bara, seiner Frau, war das nicht vergönnt gewesen. Zaghaft hob Teleri ihren Kopf, blickte in Baras fröhliches und doch besorgtes Gesicht. Ihr war unwohl in ihrer Haut bei dem Gedanken, dass sie ihr gleich verkünden musste, dass ihr Mann nie wieder zurückkehren würde. "Einer von uns muss es ja tun", dachte Teleri bitter. "Einer von uns, und Ryan wird es nicht mehr tun können..." "Was hast du nur Teleri? Du bist so schweigsam, so kenne ich dich gar nicht." Die Stimme Baras riss Teleri aus ihren Gedanken. Sie seufzte leise und nahm Baras Hand in die ihre. "Mach dir um mich keine Sorgen", sagte Teleri mit belegter Stimme. "Ich werde schon wieder, vielleicht. Aber, ich muss dir etwas sagen..." "Was?" fiel Bara ihr ins Wort. Angst kroch in der älteren Frau hoch, das Mädchen vor ihr war so ganz anders als sie es in Erinnerung hatte. So ernst, so verschlossen, als wäre etwas in ihr zerbrochen... "Was ist Teleri? Hast du etwas von Wido gehört?" Für einen kleinen Augenblick schloss Teleri ihre Augen, versuchte die letzten Kraftreserven in sich zu mobilisieren um das auszusprechen, was geschehen war. "Ja, ich habe Wido gesehen. Es ist schon länger her. Er war zusammen mit Ryan und einem Mädchen bei mir um zu übernachten. Sie hatten geplant ein großes Stück des Weges gemeinsam zu reisen. Aber...aber..." Teleris Stimme war bei jedem Wort leiser geworden, bis ihre Stimme nur noch ein schwaches Flüstern war. Sie atmete tief durch, spürte den verwirrten Blick Baras auf sich haften. Sie musste es ihr erzählen, sie war es ihr schuldig. "Bara, Wido ist...er ist...verdammt, wie soll ich dir das sagen?" "Was ist mit meinem Wido", wisperte Bara, Angst ließ ihren Blick fahl werden. "Er ist...er ist tot", flüsterte Teleri. Fingernägel bohrten sich in ihre Haut, sie kniff kurz ihre Augen zusammen, ein Schluchzen drang an ihre Ohren, und sie öffnete augenblicklich ihre Augen. Feine durchsichtige Perlen liefen Baras Wangen hinab, ihr Mund war leicht geöffnet, ihr Körper zittert. "Ich weiß, ein Verlust ist schmerzhaft", dachte Teleri und umfing auch die andere Hand Baras mit der ihren. "Ich weiß wie groß er ist, wie sehr er weh tut...ich weiß das..." "Nein", stieß Bara hervor, ihr Körper sackte in sich zusammen, ihre Lippen zitterten. "Es tut mir leid", sagte Teleri, auch wenn sie wusste, dass das nicht helfen würde. Fest krallten sich Baras Hände in die Teleris, als versuchte sie einen Halt zu finden. Doch es gab keinen, sie spürte wie sie fiel, tiefer und tiefer. Ihr Wido...Was war passiert? War Teleri nur aus diesem Grund zu ihr gekommen, um ihr zu sagen, dass ihr Mann nicht mehr lebte. Ihr Schmerz floss aus ihren Augen, zeigte sich der Welt. "Warum? Wie ist es passiert?" fragte Bara, doch ihre Stimme stockte bei jedem Wort. "Was passiert ist?" wiederholte Teleri die Frage Baras, und kämpfte um ihre eigene Fassung. Erinnerungen kamen in ihr hoch. Ein dunkler Raum, Lachen, Schmerz, grobe Hände, welche nach ihr griffen. Leicht schüttelte Teleri ihren Kopf, versuchte diese Bilder aus ihrem Geist zu verdrängen. "Willst du das wirklich wissen?" fragte sie, und blickte Bara fest in ihre Augen. Sie wusste, die ganze Geschichte über den Tod Widos würde den Schmerz um ein vielfaches verstärken. "Ja, ich möchte es wissen. Ich habe ein Recht darauf Teleri...ich habe ein Recht darauf." Sacht nickte Teleri, verstärkte den Griff um Baras Hände, die Frau vor ihr brauchte jetzt viel Kraft. Kurz atmete Teleri durch und begann zu erzählen. Erzählte die Gesichte wie Wido Ryan traf, wie sie gemeinsam aufbrachen, erzählte von Katlar, von Widos Tod und erzählte dann ohne es gewahr zu werden ihren eigenen Apart in dieser dunklen, schmerzvollen Geschichte... Schwerelos trieb ihr Geist in dieser erdrückenden Dunkelheit...sie wagte nicht ihre Augen zu öffnen, fürchtete sich vor dem Anblick welchen ihre Augen womöglich erblicken würden. War das der Tod? Fühlte es sich so an, wenn man starb? So schwerelos, so dunkel, so kalt. Wo war dieses Licht von welchem die Menschen immer sprachen? Warum schien es nicht für sie? Ihr Körper war taub, sie konnte nicht einmal ihre Finger bewegen. Steif und leblos schwebten sie neben ihr... "Warum?" schoss es ihr durch den Kopf. "Ich habe meine Chance vergeben...Verzeih mir, bitte verzeih mir..." "So sehen wir uns wieder kleines Waldkind." Diese Stimme...Kalt, unbarmherzig, höhnisch. Sie kannte sie...sie kannte sie so gut, und sie fürchtete sich vor ihr. "Schlag endlich deine Augen auf, sieh mich an!" befahl die Stimme, und sie gehorchte ihr. Gehorchte wie sie es früher auch immer getan hatte. Zaghaft öffnete sie ihre Augen...zwei kalte, dunkle Augen blickte sei an. Hohn und Verachtung lag in diesem Blick, und es schwindelte ihr. "Ryan, Ryan", sagte sie Stimme missbilligend. "Wie ich sehe, bist du nicht einmal im Stande eine anständige Flucht hinter dich zu bringen. Du bist wahrlich ein Versager...ein Versager..." Wut vibrierte in jeder Faser von Ryans Körper, sie wollte sich bewegen, doch es gelang ihr nicht. Unsichtbare Ketten schienen sie zu halten. Langsam kam die Frau näher, blickte verachtend auf sie herab. "Unglaublich was aus dir geworden ist", schnaubte Resa und umschlich sie. "Wie erbärmlich du doch bist...so jung, so naiv, so kalt und so verliebt." Sie lachte schallend, nahm Ryans Gesicht zwischen ihre Hände, zwang sie in ihre Augen zu sehen, die Ryan wie zwei dunkle Höhlen fixierten. "Dummes kleines Waldkind", schnurrte Resa. "Glaubst du wirklich, dass das Liebe ist. Du kannst nicht lieben, du doch nicht. Du bildest es dir ein, wie bei der Frau davor. Du hast nie jemanden geliebt...Nie...du kannst das nicht." Wut und Hass züngelten in Ryan wie Flammen empor, sie versuchte zu sprechen, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Alles was sie zustande brachte war ein hilfloses Krächzen. Das Gesicht Resas verzog sich vor Belustigung. Sanft strich sie Ryan über ihre Wange und wisperte: "Ach du dummes Kind. Ich habe es dir vor vielen Jahren gesagt: Menschen wie wir können nicht lieben, sie können nur töten. Wir sind so geschaffen worden. Auch du wirst dich dem irgendwann stellen müssen. Stell dich endlich deinem wahren Selbst." Sacht glitten Tränen Ryans Wangen hinab, fielen ins Nichts... "Bei den Göttern, bist du schwach", spie Resa verächtlich aus. "Du hast deine Chance vergeben. Glaubst du, das Mädchen wartet ewig auf dich. Wie dumm bist du nur...Zu welch einem prächtigen Geschöpf hatte ich dich geformt? Zu einem nach Blutdürstenden Engel. Als solcher warst du wunderschön...Was ist aus dir geworden? Ein Feigling bist du? Ein erbärmlicher Versager..." Eisige Lippen berührten Ryans Stirn, Angst und Abscheu stiegen in ihr auf, doch sie konnte sich nicht wehren...Sie war so schwach... "Kleines Waldkind", säuselte das Trugbild über ihr, doch war es ein Trugbild? "Dich dürstet doch nach seinem Blut, ich spüre das in dir...Du willst immer noch sein Blut, nie wird es ein Ende finden...Für dich niemals...Du wirst das Mädchen verlieren...Früher oder später wird sie erkennen welch ein Geschöpf du in Wirklichkeit bist...Mein Geschöpf, und das wirst du immer sein...Du wirst sie verlieren...verlieren wirst du sie, und es wird mir eine Freude sein dabei zu zusehen...Welch eine Freude..." Schweigend saßen sich die beiden Frauen gegenüber, eine betretende Stille herrschte. Vorsichtig hob Teleri ihren Kopf, forschte in dem Gesicht Baras, doch sie konnte darin nichts erkennen. Leer und ausdruckslos war es mit jedem ihrer Worte geworden. Sie spürte das Bara noch immer ihre Hände umfangen hielt, doch ihr Blick war nicht im Hier und Jetzt. Er war weit fort, in vergangenen Zeiten, er war bei Wido. Traurig blieb Teleri stumm, was sollte sie auch noch sagen? Hatte sie nicht zu viel gesagt? Nervös biss sie sich auf ihre Unterlippe... "Ich hatte es Wido gesagt", vernahm sie plötzlich die Stimme Baras. "Ich hatte ihm gesagt, dass dieses Mädchen Unglück bringt. Doch er wollte nie auf mich hören, er hat sie so geliebt...so geliebt, und jetzt hat ihn diese Liebe sein Leben gekostet." Erschrocken weiteten sich Teleris Augen, wütend waren die Worte Baras gewesen. Das hatte sie nicht gewollt, sie hatte nicht gewollt, dass Bara Ryan die ganze Schuld auf die Schultern lud. "Nein Bara", flüsterte Teleri und streichelte beruhigend mit ihrem Daumen über Baras Handfläche. "Ryan trägt an diesem Unglück keine Schuld..." "Ach, tut sie das nicht", spie Bara verächtlich aus, und löste ihren Griff um Teleris Hände. "Ryan war ja noch nie an etwas schuldig. Immer habt ihr sie in Schutz genommen...immer. Und was ist jetzt? Mein Wido ist tot, und du? Du bist eine geschändete Frau, verstoßen und gezeichnet. Schau mir in die Augen, Teleri und sag mir, dass Ryan dafür nicht die Schuld trägt." Angespannt hob Teleri ihren Kopf, blickte in Baras wütende Augen, öffnete ihren Mund, doch die Worte blieben aus... "Siehst du", sagte Bara triumphierend. "Du kannst es nicht. Du kannst es nicht weil ich die Wahrheit gesagt habe." "Du hast Recht, ich kann es nicht...Aber ich habe meine Gründe dafür..." "Ja, die hast du zweifellos", schrie Bara, sprang auf und schlug den Becher vom Tisch. Die weiße Flüssigkeit floss lautlos über den Boden. "Du liebst sie noch immer...Verdammt Teleri, sie hat dich betrogen, verlassen hat sie dich, und du liebst diese Batura (*) noch immer." Fest ballte Teleri ihre Hände zu Fäusten, ihre Gesichtszüge verhärteten sich. Die Worte Baras schmerzten. Ryan hatte es nicht verdient, dass man so über sie sprach. Bara hatte gewiss nicht Unrecht, doch das hatte Ryan nicht verdient... "Ich hatte es gewusst Bara", flüsterte Teleri und vergrub ihr Gesicht in ihren Handflächen. "Ich hatte gewusst, dass ich Ryan nicht halten kann...Niemand kann das, auch das Mädchen wird diese Erfahrung machen. Ich gab sie frei, ich habe nicht das Recht sie festzuhalten, und du hast nicht das Recht so über sie zu sprechen. Glaub mir Bara, Ryan bezahlt am teuersten von uns...sie bezahlt am teuersten." "So viel hat sie dir angetan", stieß Bara hervor und wich vor Teleri einige Schritte zurück. "Glaubst du, ich weiß nicht wie viel du wegen ihr gelitten hast? Verblendet bist du, schon so viele Jahre lang. Warum bin nur ich es, die jetzt erkennt welch ein Geschöpf sie ist? Sie bringt nur Unglück über uns...nur Leid..." Ein Zittern fuhr durch Baras Körper und die ältere Frau verstummte. Tränen liefen ihre Wangen hinab, Zorn lag in ihren Augen. "Ich liebe sie wirklich noch", wisperte Teleri, doch es klang als spräche sie mit sich selbst. "Ich liebe sie so sehr, doch ich habe die Hoffnung, dass diese Gefühle irgendwann nur zu einer Erinnerung werden. Zu einer, an welche ich mich gerne zurück erinnern werde, oder sie zu Grabe tragen kann. Ja, Ryan war meine Welt, doch die Welt ändert sich. Wir haben uns geändert...Ich kann sie nicht hassen, ich kann es nicht..." Zittrig war ihre Stimme bei diesen Worten, abrupt verstummte Teleri, blickte Bara fest an und ergänzte: "Und genau wie ich liebte Wido sie bis zum Schluss. Du magst das alles nicht verstehen können, Bara. Wir lieben sie immer noch, und das werden wir auch auf ewig tun. Einen Platz in unseren Herzen wird Ryan immer einnehmen, und du wirst daran nichts ändern können...Nichts..." "Mein Wido ist tot", schluchzte Bara, schlang ihre Arme um ihren Oberkörper und sank kraftlos auf den Boden nieder. Ein Seufzer entfloh Teleris Kehle, müde wischte sie sich über ihre Augen. Dieses Gespräch hatte viel Kraft gekostet...Ein lautes Schluchzen drang an ihre Ohren, und sie erhob sich, ging auf Bara zu, nahm sie in ihre Arme und wiegte sie wie ein Kind sacht hin und her. "Mein Wido ist tot...tot..." sammelte die Frau in ihren Armen und weinte hemmungslos. Zärtlich strich Teleri über ihr Haar, sie fühlte den Schmerz Baras. Den körperlichen und den seelischen wie er ihr Gewand durchweichte. "Ich bin alleine..." schluchzte Bara und klammerte sich an Teleri fest. "Ich habe niemanden mehr...niemanden..." "Das nicht wahr Bara", erwiderte Teleri und drückte den zitternden Körper noch fester an sich. "Du hast deine Kinder, sie werden dir helfen. Du hast Freunde, ein zu Hause...du bist nicht alleine...du bist es nicht..." "Ich fühle mich aber so. Teleri, wie soll ich das meinen Kindern erklären...Ich weiß nicht was ich machen soll...Ich weiß es nicht...es tut weh..." "Ich weiß", flüsterte Teleri beruhigend in ihr Haar. "Aber der Schmerz wird irgendwann verblassen. Glaub mir, irgendwann wird er verschwinden wie ein Schatten im Morgenlicht. Du hast so viel für das es sich zu Leben lohnt...so viel, und ich habe nichts mehr...nichts mehr." Stumm hielten sich die beiden Frauen fest, weinten leise. Jede von ihnen klagte der Welt ihr persönliches Leid. Ihre Tränen kündeten von ihrem individuellen Verlust. Aber verloren hatten sie beide...Jeder für sich hatte verloren... "Teleri, du bist auch nicht alleine", sagte Bara plötzlich und löste sich etwas von Teleri. "Doch Bara, eben genau das bin ich. Ich habe keine Familie wie du, kein zu Hause, ich habe nichts mehr. Alles ist vernichtet, einfach alles..." Sanft strich Bara über Teleris Wange und versuchte sie anzulächeln. "Warum bleibst du nicht einfach hier bei mir? Ich weiß, die Gesellschaft einer alten Frau ist nicht gerade das was du dir erträumst, aber..." "Ich werde bleiben", bestätigte Teleri. "Ich werde einige Tage bleiben, doch dann werde ich gehen. Ich kann nicht sicher sein, dass mich die Ogronier nicht doch verfolgen, ich will dich in diese Sache nicht auch noch mit hinein ziehen. Für einige Tage werde ich bleiben..." "Aber wo willst du denn hin Teleri? Wohin?" Ein schwaches Lächeln breitete sich auf Teleris Gesicht aus, sie schüttelte leicht den Kopf und schloss die zitternden Frau wieder in ihre Arme. "Das weiß ich noch nicht", flüsterte sie und Tränen glitzerten in ihren Augen. "Das weiß ich noch nicht Bara...ich weiß es nicht..." "Versagerin..." Klar und deutlich vernahm Ryan die bösartige Stimme Resas in ihrem Geist, spürte ihre kalten Hände wie sie ihr immer noch über die Wangen strichen. Erneut stieg dieser Ekel in ihr auf, doch auch dieses Mal konnte sie sich nicht dagegen wehren, ihre Hände gehorchten nicht ihrem Willen. "Du hast sogar zu gelassen, dass man dir dein Licht stiehlt. Wie erbärmlich..." lachte Resa und ihre leblosen Augen glühten gefährlich in der Dunkelheit auf. "Nie wirst du aus Schaden klug, oder? Das war schon immer so..." Lautlos schlich Resa näher, legte eine Hand auf Ryans Herz und lächelte schief. "Ich höre es", flüsterte sie. "Mein Geschöpf...es schreit in dir...Will hinaus...Hinaus in diese Welt um zu töten...Hörst du es auch wie es schreit, nach dir ruft? Warum hast du geglaubt, du könntest es kontrollieren? Jedes Mal wenn du tötest weidet es sich an dem Blut deiner Gegner, es verlangt danach. Bereitet es dir nicht Freude zu töten? Mein Engel des Verderbens..." Heiße Tränen glitten Ryans Wangen hinab, um ihre Mundwinkel zuckte es leicht. "Verschwinde", krächzte sie. "Verschwinde...Resa...Verschwinde..." Dicht beugte sich die ältere Frau über ihr Gesicht, lächelte sie an. "Erinnere dich meiner Worte. Du wirst eines Tages erkennen, dass ich recht habe...Eines Tages...Erinnere dich kleines Waldkind...Erinnere dich..." Sterne funkelten am schwarzen Firmament. Leichter Nebel stieg vom Boden auf, floss wie ein Fluss aus Schwaden über die Landschaft, kroch in jede Ritze die sich ihm bot. Ließ Körper durch seinen feuchten Kuss erzittern, und dämpfte jedes Geräusch. Käuzchen saßen in den leeren Baumwipfeln, ließen ihren Ruf über die Landschaft hallen, und kündeten von neuen Ereignissen. Müde und zitternd saßen zwei Männer vor einem kleinen Lagerfeuer, wärmten ihre kalten Hände. "Ich hasse diese verdammten Tiere", flüsterte der jüngere von den beiden und blickte sich verstört um. "Du hast auch vor allem Angst, was?" erwiderte der andere höhnisch und lachte schallend. "Das sind doch nur Tiere." "Nein, dass sind keine einfachen Tiere. Sie sind die Geschöpfe Ferons. Ihr Ruf ist der seine, sie sind seine Boten. Spähen nach neuen Seelen welche sie in die Dunkelheit stoßen können...Das sind keine einfachen Tiere Jeral." "Du siehst Gespenster, Kleiner", schnaubte Jeral und blickte den junge Burschen neben sich an. "Wie du meinst..." Ein plötzliches Rascheln ließ beide aufschrecken, mit einem Satz setzten sich beide auf, griffen nach ihren Waffen. "Da bin ich aber beruhigt", sagte eine Stimme in der Dunkelheit. "Ich dachte, ihr würdet beide friedlich schlafen anstatt eure Wache zu halten." Die Angesprochenen steckten ihre Schwerter wieder weg, und Jeral lächelte den Mann welcher aus der Dunkelheit auftauchte an. "Musst du uns jedes Mal so erschrecken Ragan? Irgendwann töten wir dich deswegen noch einmal unabsichtlich." Ragan strich sich durch sein schwarzes Haar und lächelte schief. "Das würdet ihr zwei niemals schaffen. Dazu fehlt euch die Übung. Besonders dir Charon." Missmutig brummte der jüngere und ließ sich wieder vor das Feuer sinken. Ragan kam näher und blickte beide Männer nun ernst an. "Wo ist Markos?" fragte er und in seiner Stimme klang ein gefährlicher Unterton mit. "Ich muss ihn dringend sprechen." "Markos?" fragte Jeral und strich sich nachdenklich über seinen Bart. "Ich glaube, ich habe ihn in dem Zelt dort hinten gesehen." Mit einer kurzen Handbewegung deutete er in eine Richtung. "Ich glaube, unser lieber Herr ist bei seiner Beute", meinte Charon und lachte leise. Das Gesicht Ragans verfinsterte sich, und er ließ die beiden Männer wortlos am Feuer zurück. Wütend stampfte er über ihren Lagerplatz, alle schliefen in ihren Zelten. Sie brauchten den Schlaf, Morgen würde wieder ein harter Tag für einige werden. "Markos", dachte Ragan und verzog missmutig seinen Mund. "Warum tust du so etwas immer wieder? Weißt du eigentlich in welche Gefahr du uns bringst? Ist dir das klar?" Ein schwacher Lichtschein drang aus einem der letzten Zelte. Durch den dünnen Stoff konnte Ragan die ihm sehr vertrauten Konturen eines Körpers erkennen. Er atmete tief durch und wappnete sich für den nun wohl folgenden Disput. Mit einer schnellen Handbewegung zog er das Tuch, welches den Eingang zum Innenraum schütze weg und spähte in das innere des Zeltes. Zwei zornige gelbgrüne Augen starrten ihn an. "Was willst du hier?" zischte der Mann und funkelte Ragan wütend an. Ragan antwortete nicht, sein Blick schweifte über den Anblick welcher sich ihm bot. Markos saß auf dem Boden, hatte bei seinem Erscheinen die unbekannte junge Frau angesehen. Sie schlief, feine Schweißperlen glitzerten auf ihrer Stirn und sie warf sich unruhig hin und her. "Ist sie krank?" fragte Ragan und trat näher. "Nein, dass glaube ich nicht", erwiderte Markos und wischte der Frau den Schweiß von der Stirn. "Sie träumt schlecht...sie redet leise im Schlaf, doch ich kann es nicht verstehen." Markos bedachte die schlafende Frau mit einem kaum sichtbaren Lächeln. Misstrauisch beobachte Ragan diese Gefühlregung in Markos Gesicht. "Ich muss mit dir sprechen Markos", flüsterte er. "Hat das nicht Zeit bis Morgen?" fragte Markos und tupfte mit einem Stück Stoff weiter über die Stirn der jungen Frau. "Nein, hat es nicht", sagte Ragan bestimmt und umfasste den Arm Markos mit seiner Hand. Markos seufzte leise, ließ das Stück Stoff sinken und erhob sich. "Wie du willst, aber nicht hier." Schwungvoll drehte sich Markos um, und verließ mit schnellen Schritten das Zelt, Ragan folgte ihm. Kalte Nachtluft empfing sie, und beide Männer erschauderten kurz. Tief hüllte sich Markos in seinen Umhang und blickte hinauf in den gestirnten Himmel. "Eine wunderschöne Nacht, nicht wahr mein Freund?" Ragan blies genervt die Luft aus seinen Lungen, und trat dicht neben Markos. "Bist du eigentlich jetzt mit Wahnsinn geschlagen Markos?" fragte er und Zorn sammelte sich in seiner Stimme. "Wie kommst du dazu dieses Mädchen mit hierher zu bringen? Wie dumm kann man eigentlich sein?" Schweigend starrte Markos in den Himmel hinauf. Keine Gefühlsregung huschte über sein Antlitz. Still und unbewegt wie eine Skulptur stand er da. "Ich verstehe dich nicht. Verdammt Markos, warum? Hast du nicht genug Frauen? Beziehungsweise, wie wird Nima wieder einmal auf solch eine Geschichte von dir reagieren?" "Darum geht es nicht Ragan", sagte Markos und blickte seinen Freund kurz an. "Deswegen ist sie gewiss nicht hier..." "Warum dann? Ist dir mal die Idee gekommen, dass sie eine Spionin der Wölfe sein könnte? Dann sind wir erledigt Markos. Erledigt." Ein schiefes Lächeln huschte über Markos Gesicht und er schüttelte seinen braunen Haarschopf. "Sie ist keine Spionin. Ich bin mir da sicher, sie ist keine..." "Ach ja?" fiel Ragan ihm ins Wort, seine Wangen waren vor Zorn leicht gerötet und er ballte wütend seine Hände. "Woher willst du das wissen? Du kannst es nicht wissen." Schweigend griff Markos in eine Innentasche seines Umhanges und flüsterte: "Seit wann tragen Spione dieses hier?" Zischend sog Ragan die Luft in seine Lungen, als er sah was Markos in seiner Handfläche hielt. Hell leuchtete der weiße Stein in der Nacht, wie ein gefallener Stern versprühte er sein Licht. "Woher hast du das?" fragte Ragan und berührte den Stein sanft mit seinem Zeigefinger. "Sie trug ihn um ihren Hals", wisperte Markos und starrte den weißen Stein lange an, in seinen Augen schien sich etwas zu bewegen. Hoffnung und Angst schienen sich in seinem Blick zu vermischen. "Markos", sagte Ragan nun ruhiger. "Das ist aber kein Beweis. Sie kann ihn gefunden haben, oder er wurde ihr gegeben um uns zu täuschen. Du kannst deshalb dir nicht sicher sein. Es sind viele von uns getötet worden, vielleicht stammt er daher." "Er passt Ragan", Markos wandte sein Gesicht Ragan zu. "Verstehst du? Er passt..." Plötzlich wurde Ragans Gesicht weich. Er kannte Markos nun schon so viele Jahre lang, und nie hatte sein Freund aufgehört zu hoffen, zu suchen. "Markos", seufzte Ragan und legte ihm freundschaftlich eine Hand auf seine Schulter. "Das kann ein Zufall sein..." "So viele Zufälle gibt es nicht", schrie Markos und riss sich los. "Es gibt nur zwei verdammte Steine die ineinander passen, und du weißt das genau." Zögernd wanderte Markos Hand unter sein Gewand, beförderte seinen Anhänger hinaus. Mit zittrigen Fingern führte er beide Steine ineinander. Die Bruchstellen passten...sie passten... Sprachlos sah Ragan dem zu was sich seinen Augen bot. Er konnte es nicht glauben. "Oh Markos", dachte er und schüttelte leicht seinen Kopf. "Ich will dich doch nur schützen...nur schützen." Schweigend starrten sich beide Männer an. Der Wind streifte über ihre erhitzten Gesichter, kühlte ihren verwirrten Geist. "Du kannst die Vergangenheit einfach nicht los lassen, oder Markos?" fragte Ragan leise. "Sie wird nicht zurückkehren, so sehr du auch suchen magst, sie kommt nicht wieder." "Ich weiß", flüsterte Markos und Trauer schwang in seiner Stimme mit. Schneidend war sie, tief saß sie in seinem Herzen. "Aber ich muss es doch versuchen. Welch ein Narr wäre ich, wenn ich diese Zeichen ignorieren würde...welch ein Narr wäre ich dann..." Sacht nickte Ragan, legte Markos eine Hand auf dessen Schulter und sah gemeinsam mit ihm hinauf in den Himmel. "Und was willst du jetzt tun?" fragte er leise. "Ich weiß es noch nicht, ich muss es herausfinden. Und nur diese Frau kann mir meine Fragen beantworten. Nur sie..." Kurz hielt Markos inne, steckte die Kette der jungen Frau zurück in seine Tasche. "Ich verlange nicht viel Ragan", meinte er, sah seinen Freund aber bei seinen Worten nicht an. "Alles was ich dich bitten will ist, dass du mich hoffen lässt. Sollte ich falsch liegen, können wir uns weitere Schritte überlegen...Aber Ragan, lass mich bitte hoffen...lass mich einfach nur hoffen..." Batura: Ist ein barolonisches Schimpfwort für eine ehrenlose Frau. Eine, die ohne Gewissen oder Ehre handelt. In machen Regionen ist es aber auch der weibliche Ausdruck für einen Bastard. Nachwort: Erst einmal ein Hallo und ein Danke an alle die dieses Kapitel gelesen haben. Es sind einige neue Charaktere dazu gekommen. Ich hoffe es war nicht zu verwirrend, und man kann den Überblick behalten. Ihr könnt mir natürlich sagen was ihr von ihnen evtl. haltet, da eine Geschichte durch ihre Charaktere lebt und vorangetrieben wird. Eine Bekannte von mir sagte, als sie dieses Kapitel gelesen hat, es wäre das verworrenste in der ganzen Geschichte. Nun, ich hoffe es war nicht ganz so schlimm. Ebenso hoffe ich, dass ich euch am Schluss irgendwie "etwas" überraschen konnte... Dann sende ich wieder einen Gruß an Igel und Mondscheinelfe, hoffe das Kapitel war auch in eurem Sinne. Natürlich auch an alle anderen die es gelesen haben. Also, bleibt mir gewogen, dass nächste Kapitel kommt bald! Adios seen Kapitel 18: Wenn Masken fallen... --------------------------------- Wenn Masken fallen... Lautlos fielen die ersten Schneeflocken, hüllten die Welt in ihr Tuch aus eisigem Schweigen und Leere ein. Still wurde die Welt, ihr Atem verlangsamte sich, stand fast schon still. Die Tage wurden kürzer, und die Nächte gewannen mehr und mehr an Intensität. Einsam und kalt wurden sie, angefüllt mit Sehnsüchten und Träumen welche jedoch nie diese dunklen Stunden überdauern würden. Sie blieben das was sie waren, Träume und Wünsche... Ein kurzer Schauer jagte Ayeshas Rücken hinab, sie schüttelte sich leicht und feine Schneeflocken rieselten aus ihrem Haar hinab. Fest schlang sie den mit Pelz besetzten Umhang um ihren Körper, blickte nachdenklich auf die stille Oberfläche des Sees. Braune Blätter trieben sacht auf ihr, die Äste der Weiden berührten fast das dünne Glas zwischen Luft und Wasser. Ein leises Seufzen entglitt Ayeshas Kehle, und sie stemmte sich an dem Stamm einer Weide ab. Loba lief unruhig neben ihr hin und her, schnupperte, scharrte mit ihrer Schnauze in dem dünnen Film aus Schnee und aufgeweichter Erde. Auch die Wölfin hatte sich verändert, ihr Fell war dichter geworden, und hing ihr stellenweise zottelig den Leib hinunter. Doch nicht nur äußerlich war eine Veränderung vonstatten gegangen, die Wölfin war ruhiger geworden, als wüsste sie, dass es sich in diesem Umfeld nicht ziemte sich wie früher zu verhalten. "Loba, was treibst du da schon wieder?" fragte Ayesha, beugte sich zu dem Tier hinab und fuhr zärtlich über Lobas Kopf. Die grünen Augen des Tieres blickten sie an und Loba kläffte leise. "So? Dann such mal weiter", sagte sie und lächelte müde. Schwerfällig erhob sich Ayesha wieder, und ihre Augen folgten Loba bei deren Suche. Doch nach was suchte die Wölfin nur? Vielleicht nach dem Gras welches nun unter der dünnen Schicht aus Schnee friedlich schlief? Nach Spuren von anderen Tieren, oder nach dem Geruch einer Fährte nach welcher sich beide, Mensch wie Tier, gleichermaßen sehnten? "Du wirst sie hier nicht finden", flüsterte Ayesha und richtete ihren Blick wieder dem See zu. "Du wirst ihren Geruch nicht wahrnehmen können, Loba. Sie ist gegangen, je eher wie das begreifen, umso schneller wird der Schmerz verblassen...Sie ist gegangen..." Ein leises Winseln drang an Ayeshas Ohren, und sie schloss ihre müden Augen. Was nutzte es auch die Welt mit ihnen zu betrachten, wenn man für die Schönheit der Umgebung unempfänglich geworden war. Bedeutungslos war sie geworden, verblasst, erloschen. Was nutzte es wenn man jeden Tag wartete, es war vergebens geworden... "Ryan", dachte Ayesha und öffnete ihre Augen. "Was ist nur mit dir passiert? Nicht einmal das weiß ich, ich weiß überhaupt nichts...Vielleicht ist es auch besser so, oder? Ich frage mich was wohl der bessere Weg wäre. Zu wissen das du irgendwo dort draußen weilst, jedoch nicht zu mir zurückkehrst. Oder das du...Das du...verdammt..." Erschöpft ließ Ayesha ihren Kopf in ihre Handflächen gleiten, der scharfe Wind spielte mit einigen ihrer Haarsträhnen. Sanft glitt er durch sie hindurch, ein beruhigendes Streicheln. "Ryan", flüsterte Ayesha und biss sich auf ihre Unterlippe. "Bitte...komm zurück...komm zurück...bitte..." "Wer soll zurückkommen, Ayesha?" Erschrocken hob Ayesha ihren Kopf, drehte sich um. Loba sprang beschützend vor ihre Herrin, knurrte leise, doch als sie die klugen alten Augen sah, entspannte sich die Wölfin augenblicklich. "In ihr hast du eine treue Freundin gefunden, mein Kind", sagte Arlon und bedachte sie Wölfin mit einem freundlichen Blick. Mit langsamen Schritten nährte er sich seiner Tochter und blieb dicht neben ihr stehen. Blickte gemeinsam mit ihr über den See. "Ayesha", flüsterte Arlon und senkte seinen Blick. "Ich habe dich schon einmal gefragt, doch ich tue es erneut. Was ist los mit dir? Du bist nicht mehr diejenige welche ich einst gekannt habe." "Darf ich mich nicht verändern", schnaubte Ayesha und blickte zur Seite. "Natürlich darfst du dich verändern. Es ist der Lauf der Zeit, dass man sich verändert. Wer will schon die Zeit aufhalten?" entgegnete Arlon und seufzte leise. "Ich bin nur gekommen um dir zu sagen, dass ich deine Verbindung gelöst habe." Irritiert wandte Ayesha ihm ihr Gesicht zu. In diesem fahlen Licht des Winters wirkte ihr Vater älter als er eigentlich war. Dunkel waren seine Augen, wie ein Nachthimmel ohne Sterne... "Warum hast du das getan?" fragte Ayesha und schlang ihre Arme um ihren Oberkörper. Ein schiefes Lächeln schmückte Arlons Gesicht, und er legte eine Hand auf die Schulter seiner Tochter. "Du fragst wirklich nachdem warum?" sagte er und lachte leise. "Ich hätte wissen müssen, dass dies nicht dein Weg ist. Die Ereignisse haben mich bestätigt, dein Platz ist hier bei uns und nicht irgendwo anders. Verzeih mir, dass ich geglaubt habe ich wüsste was das Beste für dich ist. Ich lag dieses Mal mit meiner Entscheidung falsch." "Ich kann dir nicht vergeben Vater. Es gibt nichts was ich vergeben könnte." Eisklar durchschnitt Ayeshas Stimme die Luft. Sie lächelte bei ihren Worten, doch es war ein kaltes Lächeln. Die Wärme war verloren gegangen. "Wirst du jetzt nicht Ärger bekommen. Ich meine mit Torats Vater." Arlon nickte leicht, und ließ seinen Blick über den stillen See gleiten. "Ja, er hat getobt wie ein wilder Eber. Ich habe noch ein Gespräch mit ihm vor mir. In den nächsten Tagen werde ich zu seinem Dorf reisen. Während meiner Reise erwarte ich von dir, dass du ein Augen auf all das hier haben wirst." "Du willst fort?" fragte Ayesha und wandte Arlon nun ihr Gesicht gänzlich zu. "Ich will nicht, ich muss mit ihm reden. Ihm erklären, dass diese Angelegenheit nichts mit unserem Bündnis zu tun hat. Ich kann...ich kann meine Tochter doch nicht jemanden anderem zur Frau geben, wenn ich doch ganz genau weiß, dass sie ihr Herz bereits vergeben hat..." Erschrocken weiteten sich Ayeshas Augen. Die letzten Worte ihres Vaters hallten noch in ihren Ohren wieder. Leicht senkte sie den Kopf, starrte auf die dünne Schicht aus Schnee unter sich. "Woher...woher weißt du das?" wisperte Ayesha, doch sie konnte ihren Vater nicht ansehen. "Kind, glaubst du wirklich ich würde das nicht erkennen?" fragte Arlon und nahm ihre kalte Hand in seine. "Der Ausdruck in deinen Augen hat es mir verraten, du wartest. Jeden Tag von neuem wartest du. Glaubst du ich kenne dieses Gefühl nicht? Glaubst du, ich wäre nicht auch einmal jung gewesen?" Kalt wehte der Wind über Ayeshas erhitztes Gesicht, ihre Wangen waren gerötet, ihr Herz schlug schneller. Sollte sie ihrem Vater die Wahrheit sagen, sollte sie ihm sagen an wen sie ihr Herz verschenkt hatte? "Es ist in der Zeit passiert, als du fort warst, oder?" fragte ihr Vater und drückte sacht ihre Hand. "Ja, während dieser Zeit ist es geschehen", flüsterte Ayesha, hob bei ihren Worten jedoch nicht ihren Kopf. "Warum bist du dann alleine zu mir zurückgekehrt Hat er dich im Stich gelassen?" Ein bittres Lächeln umspielte Ayeshas Mundwinkel, sie seufzte leise, hob ihren Kopf und flüsterte: "Nein, so war es nicht. Ich weiß nicht ob dieser Mensch überhaupt noch am Leben ist. Ich weiß es nicht, ich weiß nicht." Heiße Tränen glitten über die geröteten Wangen Ayeshas, ihr Atem entrann stockend ihrer Kehle. Sie fühlte wie ihr Vater den Druck um ihre Hand verstärkte. "Es tut mir leid, Ayesha", sagte er und zog seine Tochter in seine Arme. "Ich wollte dich nicht quälen." "Ich quäle mich selbst schon genug", erwiderte Ayesha und barg ihr Gesicht an der Brust ihres Vaters. "Ich strafe mich selbst indem ich jeden Tag von neuem hoffe." Sanft streichelte ihr Vater über ihr Haar, hielt sie fest an seinen Körper gedrückt. "Jetzt verstehe ich endlich", raunte Arlon in ihr Ohr. "Jetzt weiß ich, warum du dich so merkwürdig verhältst. Jetzt weiß ich warum dein Lächeln gestorben ist, jetzt verstehe ich..." Fest krallten sich Ayeshas Fingernägel in den Umhang ihres Vaters, zehrten leicht an dem Stoff. Tränen glitten ihre Wangen hinab, schluchzend stand sie da, sagte kein Wort, war still und unbewegt wie die Oberfläche des Sees. "Eben davor hätte ich dich so gerne bewahrt", flüsterte Arlon und umarmte seine Tochter noch fester. "Vor diesem Schmerz, vor diesem Gefühl. Es bereitet mir schmerzen zu sehen, dass mein Kind leidet." "Aber", flüsterte Ayesha eben so leise. "Du kannst mich nicht mein ganzes Leben lang vor allem beschützen. Ich weiß, es wird vorbeigehen. Ich brauche nur Zeit...nur Zeit." Schweigend nickte Arlon, streichelte seiner Tochter weiter beruhigend durch ihr schwarzes Haar. "Die Zeit", dachte er und lächelte bitter. "Sie heilt nicht alle Wunden, einige werden verblassen, doch erinnern wird man sich immer an sie. Auch du wirst niemals vergessen können, Ayesha. Du wirst auch weiterhin jeden Tag auf ein Wunder hoffen, ein Wunder welches jedoch nie eintreten wird." Seufzend hob Arlon den Kopf, richtete seinen Blick auf den See. Hatte nicht auch er jeden Tag auf ein Wunder gewartet? Hatte er nicht auch einst gehofft? Was war mit seinen Träumen und Hoffnungen geschehen? Zu Staub und Asche waren sie zerfallen... "Mein armes Mädchen", dachte er wehmütig. "Ich weiß genau wie schwer es ist eine Liebe zu verlieren. Jedoch wirst du sie niemals vergessen können, so sehr du es auch versuchen magst. Immer wird dich etwas an sie erinnern...Immer..." Wut und Enttäuschung befielen seine Seele. Wie ein mächtiger Schatten legten sich diese Empfindungen über sein Antlitz. Kalt und unbewegt wurde es, wie Eis. Hass fand in seinen Augen ein zu Hause, vergiftete seinen Körper mit jedem Augenblick der verstrich. Fest umkrampften seine Hände das Stück Pergament, es knisterte leicht. "Entkommen", schrieen seine Gedanken. "Sie ist entkommen. Alles war umsonst, alles." Heiß glühten Katlars Augen auf, und er zerknüllte das Stück Pergament mit der verhassten Botschaft. Unruhe befiel seinen Körper, und seine Selbstsicherheit schwand dahin wie das Sonnenlicht des Tages. "Gerin", dachte er und erhob sich von seinem Stuhl. "Du verdammter Bastard. Hast du deine Hände wieder einmal im Spiel?" Unruhig wie ein Wildestier in seinem Käfig lief Katlar in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Laut hallten seine Schritte durch den kleinen Raum, draußen fielen lautlos die Schneeflocken. "Entkommen bist du", flüsterte er leise und blieb vor dem Fenster stehen. "Wieder einmal bist du mir und deinem Schicksal entkommen. Wie weit willst du noch laufen, Ryan? Wie weit, du weißt doch, verstecken ist sinnlos. Ich finde dich, egal wo du dich auch verstecken magst...Ich werde dich immer finden." Niedergeschlagen lehnte sich Katlar an den Fensterrahmen, starrte hinaus in die trostlose Landschaft. Still verharrte die Welt unter ihrem weißen Leichentuch. Kein Leben war mehr in ihr, Katlar liebte diesen Anblick. "Glaubst du wirklich, du kannst mir entkommen? Ich habe nichts mehr zu verlieren, der Abgrund kommt immer näher. Glaube nicht, dass ich aufgebe. Wenn ich untergehe, so werde ich dich mitreißen ...Du wirst mit mir untergehen, Ryan. Du wirst mit mir in den Abgrund fallen." Ein knarrendes Geräusch riss Katlar aus seinen Gedanken, doch er drehte sich nicht um. Er wusste wer den Raum betreten hatte... "Du wolltest mich sprechen Bruder", erklang die Stimme Gerins hinter seinem Rücken, und Katlar lächelte kalt. "Ja, dass wollte ich Bruder", spie er verächtlich aus und wandte sich Gerin zu. In seinen Augen glühte der Hass gefährlich auf, und seine Hände ballten sich zu Fäusten. "Gerin, Gerin", flüsterte Katlar und ging langsam auf seinen Bruder zu. "Da vertraut man dir ein einziges Mal, und was tust du? Du trittst mein Vertrauen mit Füßen." "Von was sprichst du Katlar?" fragte Gerin und beobachtete sein Gegenüber argwöhnisch. Er spürte mit jeder Faser seines Körpers den Zorn seines Bruders. "Von was ich spreche?" wiederholte Katlar die Frage und begann schallend zu lachen. "Du besitzt also wahrlich die Frechheit mich zu fragen von was ich spreche?" Ein bösartiges Grinsen breitete sich auf Katlars Antlitz aus und er umschlich, wie ein Raubtier, seinen Bruder. "Du kleiner, dreckiger Schoßhund des hohen Rates", schrie Katlar plötzlich und packte Gerin an seinem Gewand. "Steckst du dahinter? Hast du deine dreckigen Pfoten mit im Spiel?" "Von was redest du", schrie nun Gerin eben so laut, und befreite sich aus dem Griff seines Bruders. "Bist du jetzt wirklich wahnsinnig geworden?" "Wahnsinnig...Ich?" fragte Katlar und lachte leise. "Du hast doch überhaupt keine Ahnung wie wahnsinnig ich wirklich bin." Erschrocken sah Gerin zu, wie die Augen seines Bruders sich zu verändern begannen. Dunkel wurden sie, kalt und gnadenlos. Angst vibrierte in seinen Nerven, und feine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Er wusste, dass Katlar unberechenbar war. Vielleicht in diesem Moment noch mehr also sonst... Vorsichtig wich Gerin einige Schritte zurück. "Hast du jetzt etwa Angst vor mir kleiner Welpe?" fragte Katlar und folgte den Bewegungen Gerins. "Was ist los Katlar? Von was sprichst du die ganze Zeit, was ist geschehen?" fragte Gerin nervös. "Was geschehen ist? Sie ist weg, der Transport wurde überfallen. Sie ist weg. Alles ist vernichtet worden, alles. Und ihr seid Schuld. Abgelenkt habt ihr mich bei diesem lächerlichen Gespräch in Kalmas. Ihr habt dabei eure Finger mit im Spiel, ihre elenden Hunde", schrie Katlar und sein Gesicht rötete sich vor Zorn. "Außerdem hat der hohe Rat mein Ende beschlossen, wusstest du das noch nicht? Ich bin Geschichte." Erschrocken begannen sich Gerins Augen zu weiten. "Ich hatte dich gewarnt Bruder", dachte er und senkte seinen Blick gen Boden. "Ich hatte dich gewarnt..." "Wie hoch wirst du in ihrem Ansehen aufsteigen, wenn du deinen Auftrag ausgeführt hast?" Augenblicklich hob Gerin seinen Kopf, starrte seinen Bruder fassungslos an. "Was?" fragte er und seine Gesichtszüge verspannten sich. "Du weißt sehr gut von was ich spreche", entgegnete Katlar und verschränkte seine Arme vor der Brust. "Bist du nicht derjenige welcher für mich bereit steht? Ich weiß doch welche Vorlieben die hohen Herren haben. Sie lieben es mit ihren Untergebenen zu spielen. Ihnen dann den Tod zu bringen, wenn sie es am wenigstens erwarten. Glaubst du, ich hätte nicht schon einmal für sie getötet?" sagte Katlar und seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. "Das haben sich die hohen Herren sehr gut ausgedacht. Es ist fast schon Ironie des Schicksals, dass mein eigener Bruder mir den Tod bringen soll wie ich einst unserem Vater den Tod brachte..." Im nächsten Moment fand sich Katlar gegen die Wand gedrückt wieder...Kalter Stahl presste sich gegen seine Kehle, und er blickte in die von Zorn geweiteten Augen seines Bruders. "Du elendes Tier", schrie Gerin so laut, dass sich seine Stimme fast überschlug. "Du warst es? Du hast unseren Vater getötet? Und ich hatte immer geglaubt, er wäre neben dir auf dem Schlachtfeld gefallen." Ein leises Lachen ließ Gerin zusammen zucken. "Da sieht man doch wieder wie naiv du eigentlich bist kleiner Welpe", wisperte Katlar, legte seinen Kopf schief und fixierte sein Gegenüber. Kein Gefühl regte sich in seinen dunklen Augen. "Ich habe es getan. Es war ein Befehl. Unser Vater hatte seine Schuldigkeit getan, er war nutzlos für sie geworden. Er war nutzlos..." "Hör auf", schrie Gerin und presste seinen Dolch noch fester gegen die Kehle seines Bruders, eine feine Blutspur floss Katlars Hals hinab. "Auf was wartest du noch?" fragte er höhnisch und lächelte schief. "Mach schon, töte mich. Eine einfache Handbewegung. Glaub mir, es geht ganz schnell...so habe ich es auch bei unserem Vater getan...Sie werden stolz auf dich sein, dich reich belohnen wie sie mich einst belohnt haben..." Zitternd vor Wut starrte Gerin den Menschen vor sich an. Krampfhaft umschlossen seine Finger den Knauf des Dolches. Es wäre einfach...Eine einzige Handbewegung...Ein tiefer Schnitt, und es wäre beendet. Sein Blick suchte den seines Bruders, doch die Augen Katlars blieben ausdruckslos. Kein Gefühl, keine Wärme, all das hatte er bereits vor Jahren verloren. Es war zusammen mit Maris verschwunden. In Gerin keimte fast so etwas wie Mitleid für seinen Bruder auf. Was besaß dieser noch? Nichts, alles hatte er verloren. Er existierte nur noch aus einem Grund. Der Hass auf diese Frau hielt ihn am Leben, verlieh ihm die Kraft weiter zu machen. Zerfressen war sein Körper und sein Geist, zerfressen von Wut, Zorn und Hass... "Du weißt überhaupt nichts Katlar", dachte Gerin und sein Blick wurde traurig. "Du weißt überhaupt nicht welche Macht ich besitze...Welche Macht ich schon so lange über dich besitze..." "Auf was wartest du?" Gerin vernahm die Stimme seines Bruders, doch sie erschien ihm in diesem Moment Meilen weit entfernt. "Was ist? Kannst du es nicht? Wie erbärmlich bist du eigentlich, Gerin?" fragte Katlar und lachte leise auf. "Erbärmlicher Versager. Glaubst du, sie werden dulden, dass du dich ihnen widersetzt?" "Du nennst mich erbärmlich?" entgegnete Gerin und hob spottend eine Augenbraue an. "Sieh dich doch einmal an, Bruder. Was ist von dir noch übrig? Zu welch einer Kreatur bist du geworden? Rache ist dein einziger Antrieb. Rache...Und selbst wenn du sie töten solltest, du wirst niemals frieden finden. Niemals...Du wirst scheitern...Ich schwöre dir, du wirst sie niemals finden." Kraftlos lockerte Gerin seinen Griff, trat ein paar Schritt zurück und sah zu wie sein Bruder die Wand hinunter glitt und ihn schweigend ansah. Keuchend entrann Gerins Atem seiner Kehle, als er dem Blick in den Augen Katlars gewahr wurde. Ihm schwindelte, als er den Hass in ihnen erkannte... "Du wirst bezahlen", dachte er und verfluchte sich in Gedanken, dass er dieses Wesen vor sich nicht doch getötet hatte. "Bezahlen wirst du...Deine Taten werden dieses Mal nicht ungesühnt bleiben. Nicht dieses Mal...Bei meinem Leben, ich schwöre, dass du sie nicht bekommen wirst. Du sollst an deinem eigenem Rachdurst zugrunde gehen..." Zum letzten Mal bedachte Gerin seinen Bruder mit einem verächtlichen Blick, sein Gesicht wirkte wie erfroren. Angewidert wich er Schritt um Schritt zurück, bis er die Tür erreicht hatte. "Du hättest dir viel erspart Gerin", hörte er die brüchige Stimme seines Bruders. "Warum hast du mich nicht einfach getötet?" Fest umschlossen Gerins Finger den Knauf der Tür, erschöpft senkte er sein Haupt und flüsterte so leise, dass nur er es verstehen konnte: "Ich bin einfach nicht wie du..." Stille...unendliche Stille...Kein laut drang an Markos Ohren, abgeschottet hatte er sich von den Einflüssen der Welt...entrückt war er ihr. Ruhig und entspannt hob und senkte sich sein Brustkorb. Seine Augen waren geschlossen...weißes, warmes Licht umhüllte seinen Körper wie einen schützender Mantel. Bilder tanzten in Markos Geist, wunderbare warme Bilder an welche er sich nur zu gerne erinnerte. Das Lachen einer Frau, tröstliche Umarmungen, seine Eltern, seine Frau...Er lächelte leicht als sein Geist ihm diese Trugbilder aus längst vergangen Zeiten vorspielte. Immer heller wurde das weiße Licht, der kleine Stein über seiner Brust glühte heiß auf. Kurz kniff Markos seine Augen zusammen, versuchte ruhig und entspannt zu atmen. Er durfte sich keine Schwäche leisten, sonst würde diese Verbindung in sich zusammen fallen und all dieser Kraftaufwand wäre umsonst gewesen. Zögernd wanderte eine seiner Hände in die Innentasche seines Umhanges, zog die Kette der jungen Frau hinaus. Augenblicklich gewann das weiße Licht um ihn an Intensität, wurde zu einer brennend roten Flamme. Um Markos Mundwinkel begann es leicht zu zucken. Schmerz befiel seinen Körper, doch er konnte noch nicht zurück. "Zeig es mir..." dachte er. "Zeig mir deine Erinnerungen..." Sein Geist löste sich aus seinem Körper, verband sich mit dem hellen Licht. Kalter Schweiß sammelte sich auf Markos Stirn, und er begann zu keuchen, als der Stein der jungen Frau seine Erinnerungen preisgab. Ein Wald...Angst...Ein Fluss...Tränen des Abschiedes...Verlust...Dunkelheit...unendlicher Schmerz... Heiße Tränen glitten Markos Wangen hinab, Erschöpfung befiel seine Glieder und er löste sich ganz langsam und ohne Hast aus diesen Empfindungen. Das weiße Licht um ihn herum verschwand, kroch zurück in seinen Anhänger, und er zitterte leicht. Keuchend saß er da, versuchte die Bilder und Gefühle welche er gesehen und verspürt hatte zu ordnen. "Was war das?" flüsterte er zu sich selbst und umschloss den Stein der jungen Frau mit seiner Hand. "Waren das deine letzten Gedanken und Gefühle? Musstest du wirklich so leiden..." Erschöpft wischte sich Markos die Schweißperlen von der Stirn, versuchte gleichmäßig und ruhig zu atmen. "Hast du erfahren was du wissen wolltest mein Freund?" Schwerfällig hob Markos seinen Kopf, und blickte Ragan an welcher in der Öffnung des Zeltes stand und ihn besorgt musterte. "Ich...ich weiß nicht", stieß Markos hervor. Sein Geist schien durch diese Verschmelzung der zwei Steine noch sehr geschwächt zu sein. "Hast du etwas gesehen?" fragte Ragan und kam näher. Ihm gefiel der Ausdruck in den Augen seines Freundes nicht. Er wirkte in diesem Augenblick so verloren, so einsam. "Ich bin mir nicht sicher was ich genau gesehen habe. Es waren immer nur sehr kurze Passagen, ich konnte sie nicht richtig deuten. Außerdem bin ich mir sehr unsicher, ob es die Gefühle des Mädchens waren, oder...oder..." die Stimme Markos begann zu zittern und er brach seinen Satz ab, ließ seinen Kopf in seine Handflächen gleiten und seufzte leise. "Und Ragan? Was hast du herausgefunden?" Ragan lächelte und schüttelte seinen Kopf. "Überhaupt nichts, wenn du gefragt hättest wie viel neue Flüche und Schimpfwörter ich nun kenne, dann könnte ich dir mehr sagen." Ein scheues Lächeln breitete sich auf Markos Gesicht aus, und er blickte seinen Freund an. "Sie hat dich verflucht?" "Ja, das hat sie", bestätigte Ragan und lächelte ebenfalls. "Beschimpft hat sie mich auch, aber auf keine meiner Fragen konnte sie mir Antwort geben. Sie sagte, sie könne sich nicht daran erinnern wer ihr diese Kette gab. Sie wüsste es nicht." "Und du glaubst ihr nicht", beendete Markos den Satz Ragans und erhob sich schwerfällig. Seine Knie wollten ihn kaum tragen, und er stütze sich an einem Pfahl ab. "Nein, ich glaube ich ihr auch nicht. Man vergisst niemals von wem man solch etwas Wertvolles bekommen hat. Man vergisst es nicht..." "Außer man ist noch ein Kind", fiel ihm Markos ins Wort und seine Stimme war zu einem Flüstern herab gesunken. "Ja, außer man ist noch ein Kind", sagte Ragan und stützte seinen Freund, als dieser versuchte einige Schritte zu gehen. "Markos", sagte Ragan und blickte sein Gegenüber ernst an. "Sie will dich sprechen." "Mich? Warum gerade mich?" Ein leises Lachen entrann Ragans Kehle und er zwinkerte seinem Freund verschwörerisch zu. "Sie sagte, sie will mit diesem verdammt Dieb sprechen welcher ihr die Kette gestohlen hat. Und wenn ich mich nicht irre, dann bist das du." "Ich weiß nicht ob ich das schaffe", keuchte Markos und verzog sein Gesicht vor Schmerz. "Diese Reise hat mich viel Kraft gekostet...Ich weiß nicht, ob ich einem Gespräch mit ihr standhalte." "Ich habe dir gesagt du sollst das lassen", zischte Ragan wütend. "Du weißt wie gefährlich solche Reisen für uns sind. Manch einer kommt von ihnen nie wieder zurück, verliert sich in längst vergangenen Gefühlen..." "Ich weiß das Ragan", stieß Markos hervor und keuchte leise. "Ich weiß, aber ich musste es tun, ich musste es tun..." Leise seufzte Ragan auf. Warum war Markos nur auf solch eine gefährliche Art und Weise unvernünftig? Warum begab er sich in Gefahr, wenn er selbst nicht einmal durch den Blick in vergangene Zeiten eine Antwort erhielt? "Ragan", die schwache Stimme seines Freundes riss Ragan wieder zurück in die Realität. "Ja, was ist?" "Bring mich zu ihr", flüsterte Markos, und schloss dann kurz seine müden Augen. "Bist du dir da sicher?" harkte Ragan nach und bedachte seinen Freund mit einem besorgen Blick. "Ja, bring mich zu ihr...Sie will mich spreche, und ich muss mit ihr sprechen...Bring mich zu ihr..." Schwer atmend lag Ryan in weichen Decken. Wütend zerrte sie an ihren Handfesseln, doch sie konnte sie nicht lösen. Seufzend gab sie ihren erneuten Versuch auf, ließ ihren Kopf zurück sinken und starrte die Leinen des Zeltes an. "Welch ein Narr bin ich nur", dachte sie bitter. "Ich stolpere einfach von einer Gefangenschaft in die nächste..." Fragen plagten ihren Geist, doch bis jetzt konnte sie sich nicht einmal eine davon beantworten. Wer waren diese Männer? Was wollten sie von ihr, und warum stellten sie ihr all diese merkwürdigen Fragen? Fragen auf die sie doch selbst keine Antworten kannte. "Ayesha", flüsterte Ryan und Wehmut stieg in ihr auf. "Hilf mir...bitte...hilf mir...Ich habe wieder von dir geträumt, aber du hast mich vergessen...Bitte, hilf mir...Vergiss mich nicht...bitte..." Ein kalter Luftzug ließ Ryan erschaudern, ein eigenartiges Gefühl bemächtigte sich ihrer Gedanken. Sie spürte etwas, die Präsens eines Menschen...sie war ihr vertraut... Vorsichtig drehte sie ihren Kopf, und ihre Augen verengten sich, als sie dem Besucher gewahr wurde. Ihr Blick kreuzte den des fremden Mannes, und sie begann leicht zu zittern. Seine Augen...wie die Augen einer Katze leuchteten sie im Licht der kleinen Lampen welche auf dem Boden des Zeltes standen. Sie leuchteten wie die ihren... Mit unsicheren Schritten kam er auf sie zu, sein Umhang raschelte leicht bei seinen Bewegungen. "Bist du also endlich erwacht?" fragte er, doch in seiner Stimme waren keine feindlichen Absichten zu vernehmen. "Wie fühlst du dich?" "Wie soll man sich schon fühlen wenn man von einem Pfeil getroffen und bestohlen wurde?" entgegnete Ryan und der Sarkasmus in ihrer Stimme war kaum zu überhören. Der Mann vor ihr fuhr sich nervös durch sein braunes Haar, starrte sie dann einen kurzen Augenblick an und senkte dann seinen Blick. "Du bist ein ziemlich starrsinniges Wesen, nicht wahr?" fragte er und kam erneut einige Schritte auf sie zu, bis er dicht neben ihr stand. "Und ihr seid ein einfacher Dieb", spie Ryan verächtlich aus und ihr Blick wurde zornig. "Vielleicht wirke ich auf dich wie ein einfacher Dieb, doch du musst noch viel lernen Mädchen...noch sehr viel." Argwöhnisch beobachtete Ryan den Mann, was war das plötzlich für ein Gefühl in ihr? So, als würde sie diesen Mann bereits kennen, oder täuschte sie hier ihr Gefühl? "Wer seid ihr?" flüsterte Ryan und hielt dem forschenden Blick des Fremden stand. "Mein Name ist Markos und nicht gewöhnlicher Dieb." Unfreiwillig musste Ryan lächeln, und auch um den Mund des fremden Mannes welcher sich ihr unter dem Namen Markos vorgestellt hatte, erschien der Hauch eines Lächelns. "Schlauer Fuchs", übersetzte Ryan den Namen und nickte anerkennend. "Der Name passt zu euch." "Danke, darf ich nun den deinen erfahren?" fragte Markos und ließ sich neben ihrem Lager nieder. "Ryan..." "Trauerweide", sagte Markos und er bedachte sie mit einem prüfenden Blick. "Ich glaube, auch dieser Name ist sehr passend..." Ein leiser Seufzer entrann Ryans Kehle, ja der Name entsprach ihrem Wesen fast schon auf eine groteske Art und Weise. "Was wollt ihr von mir?" fragte sie leise und blickte Markos fragend an. "Warum haltet ihr mich hier fest, und warum habt ihr mir meine Kette weggenommen?" Schweigend saß Markos da, blickte die junge Frau vor sich immer noch prüfend an. Versuchte Ähnlichkeiten auszumachen, versuchte Parallelen festzustellen, und lächelte dann. Griff in die Tasche seines Umhangs und holte ihre Kette hervor. Augenblicklich erhellte sich der Blick Ryans, doch sie sagte kein Wort. "Ich möchte nur wissen, von wem du diese Kette bekommen hast. Ich bitte dich, es ist sehr wichtig." "Ich habe schon eurem Kumpanen gesagt", zischte Ryan böse. "Das ich es nicht weiß...Ich weiß es nicht." "Nun gut", seufzte Markos und fuhr sich durch sein Haar. "Dann fangen wir anders an. Kannst du dich daran erinnern seit wann du diese Kette trägst. Bitte, versuch es wenigstens." "Seit wann?" fragte Ryan irritiert. "Ich...ich trug sie schon immer...Seit ich denken kann...Sie war immer da...Bitte, gebt sie mir zurück...Bitte." "Dir liegt viel an ihr wie ich sehe", sagte Markos und fuhr zärtlich mit seinem Finger über den weißen Stein. "Doch auch mir ist sie wichtig...Sehr wichtig..." "Warum ist sie für euch von solch einem hohen Interesse?" fragte Ryan und ihre Verwirrtheit war ihr deutlich anzumerken. "Wo bist du aufgewachsen, Ryan?" fragte Markos und blickte Ryan ernst in ihre Augen. Er sah Furcht und Unverständnis in ihnen aufkeimen und ergänzte leise: "Sag es mir, es ist wichtig..." "In einem kleinen Dorf, dichter Wald umgab es. Warum wollt ihr das alles wissen?" "War ein Fluss in der Nähe deines Dorfes?" "Warum wollt ihr das wissen, was geht euch mein verdammtes Leben an", zischte Ryan und ihre Wangen färbten sich vor Zorn rötlich. "Beantworte meine Frage", schrie Markos und sprang auf. Fest waren seine Hände zu Fäusten geballt und ein merkwürdiger Ausdruck lag in seinem Blick. "Ja...ja, dort war ein Fluss", stotterte Ryan. Was war das für eine seltsame Unterhaltung? Was bezweckte dieser Mann damit? Warum wollte er soviel über sie wissen? Befriedigt nickte Markos, er seufzte leise, steckte die Kette wieder weg und wandte Ryan den Rücken zu. "Gebt sie mir zurück...Ich brauche sie...ich brauche sie", wimmerte Ryan und vergrub ihr Gesicht in den Kissen. "Du wirst sie zurückerhalten", flüsterte Markos und blickte sie kurz an. "Wenn ich glaube, dass die Zeit reif ist, wirst du sie zurückerhalten. Außerdem werde ich dir Morgen das Lager zeigen. Du bist nicht unsere Gefangene, ich hoffe für dich du verhältst dich angemessen. Solltest du mein Vertrauen missbrauchen, wird das Konsequenzen für dich haben...Schlaf jetzt, wir sehen uns Morgen." Ohne ein weiteres Wort eilte Markos aus dem Zelt hinaus. Kalte Abendluft schlug ihm entgegen, und ihm schwindelte. Keuchend entwich sein Atem seiner Kehle, und er lief einige Schritte vorwärts. "Ich wusste es", dachte er und blickte hinauf in den blutroten Himmel. Die Sonne ging langsam unter und schenkte der Welt ihre letzten warmen Strahlen. Für einen kurzen Moment schloss Markos seine Augen, versuchte seine letzten Kraftreserven zu mobilisieren. "Ich wusste es, als ich das erste Mal in ihre Augen blickte", flüsterte er leise und schlug seine Augen wieder auf. Starrte den roten Ball aus Feuer über sich an und lächelte schief. "Sie ist es...Sie muss es sein, ich habe keine Zweifel mehr. Sie hat genau das bestätigt, was mir der Stein offenbart hat." Wehmut und Trauer kroch plötzlich in Markos Geist hoch, und sein Blick verändert sich, das Lächeln auf seinen Lippen gefror. "Kara", flüsterte er leise und holte die Kette Ryans ein weiteres Mal hervor. Das Licht der untergehenden Sonne brach sich in dem Stein und kleine rote Lichtreflexe tanzten auf dem mit Schnee bedeckten Boden. "Sie ist dir so ähnlich, ihre Augen...Sie sind die deinen. Warum konnte ich dich nicht beschützen? Damals...ich hätte euch viel Schmerz erspart und mir selbst auch. Ich bete jede Nacht, dass du mir vergeben hast...Bist du nun an diesem Ort glücklich? Ich bitte dich, gib mir Kraft...Ich brauche sie jetzt so dringend für das was noch auf mich zu kommt...Die Wahrheit...wird sie mir glauben? So viele Fragen...Ich flehe dich an, Schwester...Gib mir Kraft...Hilf mir...Bald ist es soweit...Ich schwöre es dir Kara...Der Kreis wird sich bald schließen...Bald..." Nachwort: So, da bin ich wieder. Und wie hat euch das Kapitel gefallen? Ich hoffe doch ein bisschen. Tja, ist viel passiert, oder? Wer hätte gedacht, dass Katlar und Gerin einst so aneinander geraten würden. Wie habt ihr die Szene empfunden? Ich hoffe die Unterschiede zwischen den beiden Brüdern sind offensichtlich geworden. Ein Wiedersehen mit Ayesha gab es auch mal wieder, auch bei ihr hoffe ich, dass man eine Art Veränderung seit Beginn der Geschichte sehen kann. Und dann zu guter letzt hätten wir noch Ryan und Markos. Habe ich euch da wieder verwirrt? Wenn ja, dann habe ich geschafft was ich wollte. In den nächsten Kapiteln wird wohl endgültig Ryans Vergangenheit gelüftet, und wie sie und Markos zueinander stehen. Also, es wird viel passieren. Bleibt mir gewogen! Adios ©2003 by seen Kapitel 19: Der Kreis schließt sich ----------------------------------- Der Kreis schließt sich Sanftes, junges Licht ließ die Zeltwände weiß aufleuchten...Still war es noch, nur der scharfe Wind ließ die knorrigen Äste aufstöhnen. Fließend war der Übergang zwischen der Realität und der Traumwelt um diese Tageszeit, man konnte sich nicht sicher sein in welcher von beiden Welten man wandelte. In welcher war der Geist zu Hause? In welcher fand man das, wonach man sich so sehr sehnte? Träume und Sehnsüchte, unerfüllt und zurückgewiesen... Zaghaft begannen Ryans Augenlieder zuflattern, ihr Körper regte sich leicht und sie schlug verschlafen ihre Augen auf. Für einen kurzen Moment kehrte dieses merkwürdige Gefühl in ihren Geist zurück, dieses Gefühl, dass sie sich nicht sicher war wo sie sich überhaupt befand. Doch als ihr Blick die weißen Zeltwände streifte, begriff sie wo sich befand. Doch wo genau war dieser Ort eigentlich? Sie wusste es nicht, niemand wollte es ihr sagen. "Sie haben angst", dachte Ryan und fuhr sich durch ihre zerzausten Haare. "Angst dass ich sie verraten könnte, dass ich den Wölfen sagen könnte wo sie sich aufhalten." Müde und verschwommen war ihr Blick, ihr Geist schien immer noch in dieser Traumwelt zu weilen, und wollte sich noch nicht der Realität des Tages stellen. Seufzend rollte sich Ryan auf den Rücken, starrte gedankenverloren die Decke des Zeltes an. Was waren das nur für seltsame Menschen? Sie waren freundlich zu ihr, zwar reserviert und argwöhnisch, doch sie behandelten sie gut. Ihre Fesseln waren schon seit Tagen verschwunden. Seit Tagen... So lange weilte sie schon hier? Tage, hatte sie sich nicht geschworen, dass sie sobald sich eine Chance zur Flucht offenbarte zu verschwinden? Warum tat sie es nicht einfach, es wäre ein leichtes bei Nacht und Nebel wie ein Schatten zu... Irgendetwas hielt sie an diesem Ort, etwas das sie nicht einmal benennen konnte. Es war ein Gefühl, eine Art von Schuld und diesen Empfindungen konnte man keinen Namen geben. Unsichtbare Ketten hielten sie hier...War es wegen diesem seltsamen Mann welcher sich Markos nannte? "Er weiß etwas", schoss es Ryan durch den Kopf. "Er weiß etwas über mich, über meine Vergangenheit, er weiß etwas über diesen Stein." Der Stein...niemals hätte sie gedacht, dass sie dieses Ding vermissen würde. Ihr fehlte seine Wärme welche er ihr in dunklen und kalten Stunden geschenkt hatte. Ihr fehlte diese Kraft die von ihm ausging und sie immer wieder aufgerichtet hatte, wenn sie im begriff war aufzugeben. Ihr fehlte dieser kleine Anhänger welcher sie mit ihrer Vergangenheit verband, einer Vergangenheit welche sie womöglich nicht einmal kannte... Kraftlos schlossen sich Ryans Augen, Müdigkeit ließ ihren Geist hinab gleiten in dunkle Schatten, fing ihn zärtlich auf, umhüllte ihn und gaukelte ihm abermals seine Trugbilder vor. Ein schiefes Lächeln breitete sich um Ryans Mundwinkel aus, ein warmes, ehrliches Lächeln wie sie es sonst niemandem schenkte. Kaum sichtbar bewegte sie ihre Finger, umschloss eine unsichtbare Hand, streichelte sie sanft. Sie blähte ihre Nasenflügel, schnupperte leicht... Ja, sie konnte den Geruch ihres schwarzen Haares riechen. Kornblumen, sie vernahm den Geruch ganz genau. Vor ihrem geistigen Auge konnte sie das grün ihrer Augenfarbe erblicken. Strahlend wie Sterne funkelten sie, tief und unergründlich wie ein See, Rein und voll Liebe. Dieser Anblick schmerzte, machte Ryan deutlich wie sehr sich ihr Körper und ihr Geist nach eben diesem Bild sehnte. Sie verzehrte sich nachdem Wunsch dieses schwarze Haar zu berühren, diese Lippen zu küssen, diesen Körper in ihren Armen zu halten. "Ayesha", wisperte Ryan und legte eine ihrer Hände auf ihrem Herzen nieder. Sie fühlte das leichte Klopfen. Fast im Takt zu ihrem ruhigen Atem schlug es, sehnte sich... "Mein wunderschönes Mädchen", flüsterte Ryan leise und atmete tief durch. "Wie mag es dir gehen...Denkst du noch oft an mich? Ich denke jeden Augenblick an dich, vermisse dich...Verzeih mir, dass ich bis jetzt noch nicht zu dir zurückgekehrt bin...Die Chance war vorhanden. Warum habe ich sie nicht genutzt? Ich habe Angst, Ayesha. Angst davor was mir dieser Mann offenbaren könnte...Er weiß um ein Geheimnis...Es betrifft mich auch...Ich weiß es...Ich spüre es mit jeder Faser meines Körpers, etwas wird kommen, doch ich weiß nicht was...Ayesha, ich schwöre dir, wir werden uns wieder sehen...Bald...Sehr bald..." Ruhig und entspannt blieb Ryan liegen, fixierte das Bildnis Ayeshas in ihren Gedanken. Wollte es nicht gehen lassen. Vorsichtig schien sie ihre Hände zu heben, wollte dieses Trugbild vor sich berühren, es festhalten. Ein leichter Windhauch vernebelte das Bildnis, machte es an einigen Stellen durchlässig, und das Lächeln auf den Lippen Ayeshas verschwand. "Nur eine Illusion", dachte Ryan bitter und presste ihre Lippen aufeinander. "Nur eine Illusion..." Sanft trieb Ryans Geist hinfort, verlor sich in Empfindungen. Hinter ihren Augenlieder begann Schmerz sich zu verflüssigen. Plötzlich berührte sie etwas...Etwas vertrautes, etwas zärtliches... Schneller entglitt Ryan ihr Atem, zischend presste er sich durch ihre Zähne hindurch. Was war das? So vertraut, so nahe, so liebevoll. "Ayesha?" fragte Ryan flüsternd und traute sich nicht ihre Augen aufzuschlagen, zu nahe war die Präsens Ayeshas in diesem Moment, als das sie sich der Gefahr aussetzen wollte sie wieder zu verlieren. Fest umklammerten Ryans Hände die weiche Decke, tief gruben sich ihre Fingernägel in den dicken Stoff. "Ayesha...bist du das? Wie ist das möglich? Ayesha..." Erschrocken regte sich Ayesha im Schlaf. Ihr Körper zittert leicht, irgendetwas schien sie zu rufen, nach ihr zu greifen. Feine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, und sie warf sich unruhig in ihrem Bett hin und her. "Was ist das?" dachte sie und versuchte gegen diese Verlockung anzukämpfen. Sanft rief etwas nach ihr...Eine Stimme hallte in ihrem Kopf wider, wie das Echo in einer Schlucht...Sie war ihr vertraut, so schreckend vertraut das sich in ihr etwas zusammen zog. Zischend entwich ihr Atem ihrer Kehle, immer schneller und schneller. Ihre Lungen begannen zu schmerzen, doch sie konnte ihre Augen nicht aufschlagen, etwas hielt sie fest. Wie sanfte Arme umfing dieses Unbekannte ihren Körper, hielt ihn fest. Klarer wurde die Stimme in Ayeshas Kopf, und sie keuchte leise. "Wer bist du?" fragte sie sich selbst, doch die Stimme in ihr antwortete nicht. Flüsterte nur weiterhin ihren Namen. Zärtlich, liebevoll erklang er in der Dunkelheit aus Traum und Sehnsucht. Behutsam tastet es sich zu ihrem Unterbewusstsein, flüsterte diesem zärtliche Worte zu, und Ayesha drückte ihr Gesicht in die Kissen. Feuchtigkeit durchdrang das dünne Gewebe. "Ryan?" flüsterte sie und Tränen glitten ihre Wangen hinab. "Bist du das? Du lebst? Wie ist das möglich...Ryan?" Sanft liebkoste die ihr unbekannte Präsens ihren Geist, nährte ihn mit unterdrückten Empfindungen und Hoffnungen... "Ryan...", stieß Ayesha hervor und krallte sich fest in die Laken ihres Bettes. "Wo bist du? Komm zurück...komm zurück..." Heiß flossen Tränen Ayeshas Wangen hinab, kalter Schweiß ließ ihr Haar feucht werden. Diese Nähe...wie lange hatte sie sich nach dieser gesehnt? Wie lange? Ein Zeichen, war es das? Deutete sie es richtig? Sie spürte die eigene Verzweifelung und Sehnsucht der Präsens, des Geistes. War es wahrlich Ryans Geist welcher sie rief, sie zu sich lockte. Wie war das möglich? "Du bist so weit entfernt und mit dennoch so nahe", schluchzte Ayesha und kniff ihre Augen fest zusammen, wollte in diesem Gefühl verharren so lange es ihr vergönnt war. Sanft strichen ihre Finger über das Bettlaken. "Fühlst du das?" fragte sie diese Stimme in sich. "Fühlst du meine Berührungen? Ryan...wo bist du...Wo bist du..." Schweigend saß Markos in seinem Zelt. Seine Augen waren geschlossen, und weißes Licht umhüllte seinen Körper. Die zwei weißen Steine lagen in seinen Handflächen und begannen langsam die Farbe des Morgenhimmels anzunehmen. Heftig wurde sein Körper von Gefühlen getroffen und ihm schwindelte. Tief, ehrlich und rein waren sie. Er kannte solche Gefühle, fühlte er nicht selbst so wenn er an eine bestimmte Person dachte, sie sich vor Augen führte. Dies war die größte Macht welche sie besaßen, welche ihnen von den Göttern geschenkt wurde. Die Macht Menschen zu berühren, in sie hinein zusehen, zwei verschiedene Geister miteinander zu verbinden. Ja, dies war die größte Macht welche Menschen besitzen konnten. Kein Schwert, kein noch so starker Wille war dazu in der Lage einen Ort in Menschen zu berühren von dem sie selbst keine Ahnung hatte. Sie wusste nicht, dass er existierte. Ruhig sog Markos die Luft in seine Lungen, er wusste das Ragan hinter ihm stand und ihm mit seinem eignen Geist Kraft gab, ihn stützte. Still und ruhig überwachte er diese Zusammenkunft und lächelte schief. "Liebe", dachte er wehmütig. "So schwer zu finden, so leicht zu verspielen...Du liebst dieses Mädchen, nicht wahr. So sehr? Ich spüre wie sich dein Geist nach ihr verzehrt, deine Sinne führen dich zu ihr...Wollen eins mit ihr sein...Verzeih mir, aber das kann ich noch nicht zu lassen..." Gelassen begann Markos seine Hand um den Stein Ryans zu ballen. Erstickte das Leuchten in ihm...Schreie hallten in seinen Ohren wider. Gequälte und markerschütternde Schreie. Sehnsuchtsvoll erklangen sie. Imaginäre Hände lösten sich, wurden von einander weggezogen, zurück in ihre eigenen Körper... "Verzeih mir, Ryan", dachte Markos und umschloss den Stein nun völlig. "Die Zeit ist noch nicht gekommen...Noch nicht..." Keuchend wandte sich Ryan in ihren Decken...Immer tiefer wurde ihr Geist in diesen Sog aus Empfindungen gerissen. Alte Wunden rissen erneut auf, begannen ihren Schmerz und ihre Hoffnung in Form von schwarzem Blut der Welt zu klagen. Doch plötzlich mischte sich in diese Gefühle ein weiteres. Ihr Geist wurde zurück geschleudert...hinfort von der Person nach deren Nähe sie sich so gesehnt hatte. Mit all ihren Sinnen versuchte sich Ryan zu wehren. Diesen unbekannten Feind welcher sie zurückzog zurückzudrängen. "Nein", schrieen ihre Gedanken. "Nein...ich will nicht...Ich will nicht, lass mich hier...Verschwinde...Verschwinde...Ayesha...Bitte...Nein...Bitte...Ayesha..." Stille herrschte um Ayesha, nur ihr keuchender Atem drang an ihre Ohren. Verklärt war ihr Geist, berauscht als wäre sie trunken. Dieses Gefühl, wie sehr hatte sie sich danach gesehnt? Wie viele Nächte und Tage lang? "Ryan", flüsterte sie leise, doch abrupt spürte sie wie sich dieses Band löste...zu Staub zerfiel. "Ryan...Nein, komm zurück...Lass mich nicht wieder alleine...Nicht..." Tränen des Glücks verwandelte sich in Tränen des Schmerzes. Verzweifelt versuchte sie sich an dem fremden Geist fest zu klammern, ihn nicht entweichen zu lassen, doch irgendetwas trieb sie immer weiter von einander fort. Welch grausames Spiel wurde hier veranstaltet? Welch schmerzliche Fügung? "Ryan", keuchte Ayesha und weinte still. "Nein, komm zurück...Wo bist du? Sag mir wo du bist...Bitte...Verlass mich nicht...Verlass mich nicht erneut..." Kraftlos lag ihr Körper in den Decken. Schweißnass klebte ihr Haar an ihrer Stirn. Ihr Herz schlug laut und unregelmäßig, Tränenspuren glitzerten auf ihren Wangen. Doch als Ayesha die Augen aufschlug, den rötlichen Sonnenstrahlen welche durch ihr Fenster brachen gewahr wurde, war sie wieder alleine. Kalter Wind riss an seinen blonden Haaren, wehte ihm einige lästige Haarsträhnen in die Stirn, doch er machte keine Anstalten sie fortzuwischen. Unbewegt waren seine Augen, Gefühle waren zu Grabe getragen worden. Schon vor so vielen Jahren. Seine Schritte waren langsamer geworden, immer langsamer je näher er seinem Ziel kam. Tief atmete Katlar durch, die kalte Winterluft schmerzte in seinen Lungen und er lächelte bitter. "Wenigstens fühle ich noch irgendetwas", dachte er und hüllte sich in seinen schweren Mantel ein. Nie zuvor war ihm diese Leere in sich aufgefallen, nie zuvor hatte er einen Gedanken daran verschwendet. Warum brachen diese Empfindungen gerade jetzt über ihn herein? Warum gerade jetzt? Missmutig schüttelte er seinen Kopf, die Wunde an seinem Hals schmerzte noch leicht. "Gerin", flüsterte er leise und sein Blick begann traurig zu werden. "Nun habe ich auch dich verloren, meinen letzten Verbündeten in dieser Welt. Mein letztes Bindeglied zur Vergangenheit...Ich wusste, eines Tages würde es zu diesem Bruch kommen. Ich habe es selbst zu verantworten...Du wirst die alten Fehler fortsetzten welche ich begonnen habe. Du vertraust ihnen blind, bemerkst nicht wie sie mit dir spielen. Eine Spielfigur auf ihrem Brett bist du. Du magst dem Irrglauben verfallen sein, dass wir uns unterscheiden...Das tun wir nicht. Ebenso wie einst ich bist du jung, naiv und blind..." Ein tiefes Seufzen entglitt Katlars Kehle und er verlangsamte seinen Schritt. Er wusste, sein Bruder hatte keine Ahnung wie sehr sie sich glichen. Er wollte es nicht begreifen, da sich Gerin fürchtete eines Tages doch noch in die Fußstapfen seines Bruders zu treten. "Glaubst du wirklich, dass du anderes bist?" fragte Katlar sich selbst. "Glaubst du wirklich ich hätte damals eine Wahl gehabt, Gerin? Ich hatte keine, es gab nur den Weg einem anderen das Lebenslicht zu stehlen oder selbst zu verlöschen. Auch dich werden sie irgendwann vor diese Wahl stellen, und auch du wirst meine Flamme ausblasen... Du wirst genauso handeln wie ich. Angst ist ein mächtiges Instrument, dass musst du noch lernen. Angst hat so große Macht über die Menschen, lässt ihre dunkle Seite ins Tageslicht treten, macht sie willenlos und einfach zu kontrollieren. Du musst noch viel lernen, kleiner Welpe." Erinnerungen stiegen in Katlar auf. Ein großes Haus, eine Frau, seine Mutter. Tränen hatten damals ihr Gesicht überschwemmt, als sein Vater und er nach Barolon aufgebrochen waren. Es war ein schmerzlicher Abschied gewesen, und für seinen Vater ein Abschied für immer. Katlar erinnerte sich wie seine Mutter ihn in ihre Arme gezogen hatte, ihm liebevolle Worte zu flüsterte und ihn auf die Stirn geküsst hatte. Kurz hatte er seine Mutter an sich gedrückt, sich dann von ihr gelöst und war auf sein Pferd aufgestiegen. Warm war es damals gewesen, eine besondere Art von Wärme welche im Eismeer nur alle zehn Jahre herrschte. Vielleicht erinnerte er sich aus diesem Grund so gut daran. Schnell stampften die Hufe der Pferde über die Graslandschaft...Ein Ruf hatte Katlars Ohren ereilt, und er hatte sein Pferd angehalten. Ein scheues Lächeln huschte über Katlars Antlitz, als ihm seine Erinnerungen dieses letzte Bild vorspielten. Ein kleiner Junge, Tränen in den Augen, schnell trugen ihn seine kleinen Füße zu ihnen herüber. "Ihr kommt doch wieder?" hatte er gefragt und seine großen Augen hatten Katlar flehend angeblickt. Sanft hatte er Gerin über sein Haar gestreichelt und im versichert, dass sie wiederzurückkehren würden... So viele Jahre waren seitdem ins Land gegangen. Wie sehr hatte Katlar seinen jüngsten Bruder einst geliebt? Wie sehr war auf das Wohlergehen des Kleinen bedacht gewesen? Was war daraus geworden? Verachtung, Abscheu und Misstrauen. Schnell verschloss Katlar seinen Geist vor diesen Gefühlen, er durfte nicht schwach sein. Er durfte es nicht... "Wer Schwäche zeigt, wird früher oder später an ihr zugrunden gehen. Niemals darfst du dich jemanden so sehr öffnen, dass er dein wahres Wesen erahnen könnte. Niemals, hörst du Katlar?" In seinem Geist hallte die Stimme seines Vaters wider. Wie viele Jahre lang hatte er nach dieser Order gelebt? Niemals hatte ihn jemand tief in seiner Seele berühren können. Nicht einmal seine Frau welche er so geliebt hatte. "Für niemanden öffnest du dich, oder Katlar?" hatte sie ihn einmal gefragt. "Für jeden bist du unnahbar, niemand kann wissen wer du wirklich bist. Nicht einmal ich." Traurig senkte Katlar seinen Blick, der neu gefallene Schnee knirschte unter seinen Stiefeln. Ja, er war für niemanden je greifbar gewesen... Er kannte sich nicht einmal selbst. Der Weg vor ihm gabelte sich. Zur linken, erinnerte sich Katlar, führte er zu seinem alten Haus. Groß und mächtig war es, ein Symbol für seine Stellung. Hatte er diese nicht bereits verloren? Hatte er dort nicht Stunden des Glücks erlebt. Jahre war das her. Zur rechten führte er ihn an sein Ziel. Langsam lief Katlar weiter, kahle Bäume säumten seinen Weg. "Wie passend", dachte er und ballte seine Hände zu Fäusten. "Tote Blätter zu toten Körpern. Der Unterschied besteht nur darin, dass die Blätter im Frühling wiedergeboren werden." Unstet wanderte sein Blick über die weiße Landschaft die sich vor ihm erstreckte. Ein runder, kleiner Platz. Zwei graue Felssteine ragten aus dem Schnee heraus, und Katlars Herz schlug schneller. Ihm schwindelte und er keuchte leise. Mit langsamen Schritten nährte er sich den zwei Steinen, strich zärtlich über die kalte Oberfläche und lächelte sanft. Es war ein Lächeln welches nur sehr selten bei ihm sichtbar wurde. Es war ehrlich, aufrichtig und voll Liebe. "Hallo Maris", sagte Katlar leise. "Ich weiß, ich bin ein Schuft. So lange war ich nicht mehr hier. Glaube nicht, ich hätte unseren Tarik und dich vergessen. Ich kann euch nicht vergessen, vielleicht liegt genau darin mein größtes Vergehen an mir selbst." Schweigend nahmen die zwei Steine seine Worte auf, leise heulte der Wind in den knorrigen Ästen. "Maris, warum mache ich so viele Fehler? Warum? Ich weiß nicht mehr was ich tun soll. Ich bin am Ende, meine Kraft...Sie ist versiegt. Ich kann nicht mehr. Ich will zu euch, ich will euch sehen. Doch ich kann meinem Leben nicht selbst ein Ende setzten. Wenn man, wie ich, bereits unehrenhaft lebt will ich wenigstens ehrenhaft diese Welt verlassen. Verstehst du das?" Immer noch hüllte sich die Welt in Schweigen, ein heftiger Schauder jagte Katlars Rücken hinab, und er schloss kraftlos seine Augen. "Was soll ich nur tun? Mein Ende ist beschlossen, doch wann werden sie mich erlösen? Wann wird endlich diese erlösende Stille über mich herein brechen, mich verschlucken, zu euch führen, wann? Sag es mir Maris, wann werde auch ich erlöst?" Fest umklammerte Katlar den kalten Stein unter sich, spürte wie die Kälte durch seine Haut drang, sein Inneres befiel und ihn lähmte. "Ich vermisse dich und Tarik, ich brauche euch. Früher hätte ich so etwas nie gesagt, nie auch nur daran gedacht. Man merkt wahrlich erst was man hat, wenn man es verliert. Ich hoffe du kannst mir diesen Fehler irgendwann einmal verzeihen. Verzeih mir, dass ich zu spät erkannt habe...Verzeih mir." Unbewegt verharrte Katlar in dieser Position, er war es müde zu kämpfen, zu suchen und sich zu verschließen. "Ich bin mir nicht mehr sicher was ich tun soll. Du hättest bestimmt einen Ausweg gewusst, du wusstest ihn immer. Rache...wie sehr habe ich mich nach ihr verzehrt. Doch was hat sie mir bis jetzt gebracht? Kurze Gefühle von Überlegenheit, kurze Momente in welchen ich glaubte ich wäre am Ziel. Sie ist entkommen, weißt du. Ich habe versagt...Sie wird sich wieder verstecken, sich nach ihrer kleinen Freundin sehnen. Sehnen wir uns nicht alle nach einem zu Hause? Was soll ich nur tun, Maris? Ich bin so müde, aber ich kann den Mord an euch doch nicht ungesühnt lassen...Ich kann es nicht." Nachdenklich starrte Katlar in den grauen Himmel. Wie lange war er jetzt schon auf der Jagd? Zu viele Jahre lang. Katz und Maus hatten sie miteinander gespielt, doch immer wieder waren die Rollen anders verteilt gewesen. Immer wieder... "Ich weiß, sie war damals noch sehr jung", wisperte er und wandte seinen Blick wieder dem Stein zu. "Aber ist das eine Entschuldigung? Nein, auch ich kann mich nicht einfach so für den Mord an meinem Vater entschuldigen. Auch ich war damals noch jung. Jugend ist keine Entschuldigung, du hast bestimmt ihre Augen vergessen. Ich weiß welch ein Wesen noch tief in ihr schlummert, eines das sich an den Schmerzen und dem Tod ihrer Gegner weidet. Wir kennen es, haben in diese Augen geblickt..." Ein Windstoß wirbelte einige Schneeflocken in Katlars Gesicht, die kleinen Flocken verflüssigten sich auf seiner warmen Haut, vermischten sich mit den Tränen welche ihm über die Wangen flossen. Ein schiefes Lächeln bildete sich um seine Mundwinkel. "Du hättest bestimmt nicht gedacht, dass ich einmal Tränen vergießen würde, nicht wahr?" fragte er leise und leckte sich über seine Lippen. Schmeckte das Salz seiner Augen, schmeckte verdrängten Schmerz und Gefühle. "Meine Geliebte, wir sehen uns wieder. Ich glaube, es wird nicht mehr lange dauern. Ich spüre das der Tod näher kommt...Niemals hätte ich gedacht, dass er mir einmal als ein Freund erscheint... Als ein Freund der mich erlöst, als ein Freund welcher mich zu euch zurückführt. Nein, niemals hätte ich gedacht, dass der Tod das Gesicht eines Freundes besitzen könnte...Niemals..." Graue Wolken verhüllten die Sonne, verschluckten ihr wärmendes Licht. Kalter Wind wehte über die Landschaft, streifte durch die kahlen Baumkronen, ließ Schnee herab rieseln und legte über die Welt ein eisiges Schweigen. Starr stand Markos auf einer kleinen Lichtung, blickte hinauf in den grauen Himmel. Sein Atem bildete kleine weiße Wolken, doch sein Körper fror nicht. Hitze schien ihn zu versengen, bemächtigte sich seinen Gedanken als würde sein Körper durch Fieberschübe gepeinigt. Feine Schneeflocken legten sich auf die Kapuze seines Umhanges, doch er schien dies nicht einmal zu bemerken. "Kara", flüsterte Markos leise und seine Hand umkrampfte den Anhänger welcher über seiner Brust hing. Augenblicklich erwärmte sich der weiße Stein, versprühte einen verhaltenden Schimmer. Markos lächelte leicht. "Du hörst mich also. Das ist gut, Schwester. Ich habe jetzt ein schweres Gespräch vor mir. Ich muss es diesem Mädchen sagen, ich muss ihr alles erklären...Nein, keine Sorge, ich werde behutsam vorgehen, doch ich glaube als zu sanft darf ich nicht sein. Sie begreift sonst nicht... Keine Sorge...Alles wird sich so fügen wie es gedacht ist...Alles." "Mit wem redet ihr da?" hörte Markos hinter sich eine Stimme irritiert sprechen, er löste den Griff um seinen Anhänger, verbarg ihn unter seinem Gewand und wandte sich der Person zu. Argwöhnisch blickte Ryan ihn an, runzelte leicht die Stirn. Warum hatte man sie hier her geführt? Wollten diese Männer sie vielleicht jetzt doch töten? "Nein", sagte Markos uns lächelte schief. "Wir wollen dich doch nicht töten, Ryan." Erschrocken weiteten sich Ryans Augen. Dieser Mann war ihr unheimlich, konnte er ihre Gedanken lesen? Vorsichtig wich sie einige Schritte vor ihm zurück, doch seine gelbgrünen Augen beobachteten belustigt jeden ihrer Schritte. "Du musst dich nicht vor mir fürchten. Schau, ich bin unbewaffnet. Ich will dich gewiss nicht töten. Welchen Grund hätte ich dafür?" "Manche Menschen brauchen nicht einmal einen Grund um zu töten", entgegnete Ryan und blieb stehen. Die Luft war klirrend kalt, die feinen Haare in ihrem Nacken richteten sich auf. "Da magst du Recht haben. Es ist wie mit der Liebe, dafür gibt es oftmals auch keinen Grund, es geschieht einfach." Ein bitteres Lächeln breitete sich auf Ryans Antlitz aus, und sie nickte leicht. "Ja, und sie kann verdammt wehtun..." "Du wirst deine kleine Freundin wieder sehen", unterbrach sie Markos und bemerkte ihren erschrockenen Blick. "Woher wisst ihr...", begann Ryan, doch Markos gebot ihr zu schweigen. "Ich habe euch beide heute Morgen gespürt...Ich habe euere Sehnsucht gespürt. Vertrau mir, du wirst sie wieder sehen." "Habt ihr etwas damit zutun?" fragte Ryan und ihr Blick wurde zornig. Röte stieg ihr in die Wangen und sie ging einige Schritte drohend auf Markos zu. "Wart ihr derjenige welcher uns getrennt hat?" "Ja", bekannte Markos ruhig und gelassen. "Ich konnte nicht zu lassen, dass ihr beide mit einer Macht spielt welche keine von euch kontrollieren kann. Ihr hättet auf ewig dort in dieser Traumwelt gefangen bleiben können. Das konnte ich nicht zu lassen" Ein höhnisches Lachen schallte über die kleine Lichtung, und Ryan schüttelte angewidert ihren Kopf. "Da war es euch wohl lieber als stiller Beobachter zu fungieren, oder? Ich hoffe ihr hattet euren Spaß." Markos seufzte leicht und wandte Ryan den Rücken zu. "Du hast keine Ahnung von was du sprichst, Kleine", sagte er und seine Stimme schwoll an vor Zorn. "Du weißt gar nicht mit welcher Macht du gespielt hast..." "Macht", schnaubte Ryan und musterte ihr Gegenüber argwöhnisch. "Ich besitze keine Macht, noch nie." Nun war es Markos der leise lachte. Er schüttelte seinen Kopf. Unverständnis, so viel davon in einem Satz... Das Mädchen wusste wirklich überhaupt nichts. "Ich habe dich nicht hier her bringen lassen um mich mit dir zu streiten", sagte er etwas ruhiger, wandte ihr sein Gesicht zu und legte den Kopf schief. "Ich wollte eigentlich mit dir sprechen. Dir erklären was das alles soll..." "Das würde mich allerdings brennend interessieren", versetzte Ryan und verschränkte ihre Arme vor der Brust. "Was wollt ihr eigentlich von mir? Ich bin nicht wertvoll, und verkaufen könnt ihr mich auch nicht. Wozu haltet ihr mich dann hier fest?" "Genauer gesagt", flüsterte Markos und senkte seinen Blick. "Halte nur ich dich hier fest. Nur ich habe davon vielleicht einen Nutzen, wenn du es so formulieren willst." Langsam ließ Markos eine Hand in seine Tasche gleiten und holte Ryans Kette hervor. Er hörte wie sie scharf die Luft ein sog. "Weißt du eigentlich, dass dieser Anhänger dir das Leben gerettet hat?" fragte Markos und betrachtete den weißen Stein in seiner Hand. "Ich wollte dich eigentlich töten. Dieser Anhänger hat dir wahrlich dein Leben gerettet, Kleine." "Was ist das für ein Ding?" fragte Ryan und ihr Blick fixierte ihre Kette. "Was hat es damit auf sich?" "Hat der Stein jemals mit dir gesprochen, Ryan?" "Gesprochen?" wiederholte Ryan die Frage und hob irritiert eine Augenbraue an. "Wie meint ihr das? Das einzige was er hin und wieder tut, ist, dass er Wärme oder Kälte versprüht." Markos lächelte leicht und nickte dann. "Eben das meinte ich. Solch ein Stein transportiert die Gefühle seines Trägers nach außen. Jedes Gefühl saugt er in sich auf. Angst, Trauer, Hass, Glück und Liebe. Je heftiger das Gefühl, umso intensiver die Wärme oder Kälte. Der Stein symbolisiert die seelische sowie körperliche Verfassung seines Trägers und wenn der Träger stirbt, erlischt auch das Licht in seinem Anhänger, verstehst du? Außerdem ist es ein Symbol, ein Erkennungszeichen" Ryan nickte kaum merklich und runzelte dann skeptisch ihre Stirn. "Ich glaube schon. Aber von was für einem Symbol faselt ihr da?" Markos seufzte leicht und winkte sie näher zu sich heran. "Vor langer Zeit lebte eine Vereinigung von Priestern und Priesterinnen hier in Barolon. Das war lange bevor die Wölfe einfielen und das Land unter ihre Kontrolle brachten. Es ist lange her... Die Priester und Priesterinnen dienten der Göttin Onone. Sie verehrten die Traumwelt und die Welt jenseits des wachen Zustandes. Ihr Erkennungszeichen waren solch weiße Steine. Sie waren ihr Instrument, durch die Kraft welche in ihnen steckte war es den Anhängern dieser Vereinigung erlaubt die Traumwelt zu betreten. Dort zu verweilen, und mit längst verstorbenen Wesen und Zeiten in Verbindung zu treten. Es war eine große Macht und Verantwortung welche diese Vereinigung inne hatte, die Traumwelt ist eine mächtige Welt. Dort sind die Wünsche und Hoffnungen der Menschen verborgen..." "Und?" fragte Ryan ungerührt. Sie verstand nicht was das alles mit ihr zutun haben sollte. "Lass mich weitererzählen", rügte sie Markos und senkte seine Stimme. "Diese Vereinigung gibt es schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Sie löste sich irgendwann auf, wodurch kann ich dir leider nicht beantworten. Vielleicht durch Kriege unter den Priesterschaften oder durch andere Ereignisse. Doch die Steine blieben bestehen, von Generation zu Generation wurden sie und das alte Wissen an die Nachkommen weitergegeben. Bis heute existieren immer noch Krieger, Priester und einfache Menschen die dieses Zeichen tragen. Sie fanden sich sogar einst zusammen, gründeten ein Dorf...alles längst vergangene Zeiten..." "Das ist ja eine sehr rührende Gesichte", fiel Ryan Markos ins Wort und beäugte ihn skeptisch. "Aber, was soll ich bitte mit all diesem Unsinn zutun haben?" Markos seufzte leise. Er hatte es gewusst, sie konnte und wollte nicht verstehen. Er musste anders vorgehen. "Habe ich gesagt, dass diese Geschichte bis jetzt etwas mit dir zutun hat?" entgegnete er und sein Blick verfinsterte sich. Alles was Ryan zustande brachte war ein verhaltendes Kopfschütteln. Ihr gefiel der Ausdruck in den Augen ihres Gegenübers nicht im Geringsten...er war ihr unheimlich. "Weißt du Ryan", begann Markos von neuem und er lächelte sie leicht an. "Du bist nicht die einzige auf dieser Welt die leidet. Genug Menschen leiden, sind unglücklich und von Schuld geplagt. Der Stein hat mir einige Erinnerungen von dir gezeigt...Sie waren dunkel und grausam... Doch du bist nicht alleine..." "Ach nein", spie Ryan verächtlich aus. Ihr behagte es ganz und gar nicht, dass dieser Kerl womöglich in ihren Erinnerungen herum gestöbert hatte, auch wenn sie seiner Geschichte keinen Glauben schenkte. Man konnte nie wissen... "Ich bin nicht allein? Was wisst ihr von mir? Nichts, überhaupt nichts. Maßt euch nicht an, dass ihr über mich bescheid wisst. Ihr wisst nichts..." Lange starrte Markos Ryan schweigend an, sah, wie ihr Körper zitterte, wie sich in ihren Augen Zorn und Furcht sammelte. Sie hatte Angst vor ihm... Langsam und ohne Hast ließ Markos seine Hand in sein Gewand gleiten. Er hörte einen erstickten Laut welcher aus Ryans Kehle entfuhr, als er seinen eigenen Anhänger hervor holte und ihn ihr vor die Augen hielt. "Woher...Woher habt ihr den?" stotterte Ryan und starrte fassungslos den zweiten weißen Stein an. "Meine ältere Schwester Kara und ich erhielten sie als wir geboren wurden. Einst war es ein Stein, doch als ich geboren wurde, zerteilte unser Vater den Stein in zwei kleine damit Kara und ich immer wissen konnten ob es dem anderen gut ging. Es war eine unsichtbare Gedankenbrücke zwischen uns. Wie lange ist das schon her?" fragte sich Markos und lächelte schief. "So viele Jahre lang. Meine Schwester, Ragan und ich wuchsen in einem Dorf auf. Das letzte Dorf der Nachkommen der Priesterschaft. Mein Vater war das Oberhaupt aufgrund seiner Verdienste in vergangen Zeiten, und als er starb übernahm Kara diesen Posten. Es war damals noch eine gute Zeit. Ich glaube, sie war die glücklichste in meinem ganzen Leben...Doch dann fielen die Wölfe in unser Land ein...Selbst ich wusste was das bedeutete...Krieg...Es gab Krieg..." Kurz hielt Markos inne, Erinnerungen überschwemmten seinen Geist...Quälende Erinnerungen...Schmerzliche. "Markos", hörte er die zitternde Stimme Ryans und er schaute auf. Ihre Augen...Angst lag nun in ihnen. Angst vor dem was er ihr noch erzählen würde. "Warum erzählt ihr mir das alles? Ich verstehe euch nicht..." "Krieg", stieß Markos hervor und schien die Frage Ryans zu ignorieren. "Viele Kämpfen kamen auf uns zu...Kara, meine Schwester, sie war so wunderschön. So stark, ich wünsche mir heute noch ich hätte einen Funken mehr von ihr in meinem verdammten Leib. Sie führte uns sicher durch diese Kämpfe. Wir überfielen diese Bastarde aus dem Hinterhalt, löschten ganze Züge von ihnen aus. Doch eines Nachts überfielen sie unser Dorf... Kara, sie hatte wenige Tage zuvor ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Lukan, der Vater des Kindes war während einem Kampf gefallen... Er konnte sein Kind nicht einmal sehen...Nicht einmal..." stockend war Markos Stimme bei seinen letzten Worten geworden, er schluckte hart, richtete seinen Blick auf Ryan und sprach weiter: "Wir flohen, niemals in meinem Leben zuvor hatte ich solche Angst. Ich wusste, sie würden uns verfolgen. Sie wollten uns... Es war ihr Auftrag uns zur Strecke zu bringen. Ich weiß nicht mehr wie weit wir liefen. Stunde um Stunde. Es war eine dunkle und kalte Nacht... Ich weiß noch, dass meine Lungen schmerzten und ich blutete aus vielen Wunden. Schwach war ich damals und Ragan musste mich irgendwann stützen. Kara...sie, sie schlug vor das wir und trennen sollten. Wir sollten in unterschiedlichen Richtungen fliehen, und uns später an einem bestimmten Punkt treffen... Ich stimmte ihr zu. Warum habe ich das damals nur getan? Ich hätte bei ihr bleiben müssen...Ich hätte sie nicht alleine lassen dürfen...Es ist meine Schuld, alles..." Abrupt verstummte Markos, Tränen liefen seine Wangen hinab und Ryan starrte ihn entgeistert an. Warum erzählte er ihr das alles? Was war Sinn und Zweck seiner Worte...Sie verstand sie nicht... "Markos", sagte sie sanft und legte ihm eine Hand auf seine Schulter. "Warum erzählt ihr mir das alles? Es gibt doch keinen Grund dafür..." "Den gibt es, Kleine", erwiderte Markos schnell und blickte ihr in ihre verwirrten Augen. "Kara erschien nicht an unserem Treffpunkt. Wir suchten sie, einen ganzen Tag lang durchkämmten Ragan und ich die Wälder nach ihr...Wir fanden sie...Diese Bestien hatten sie ermordet. Durchlöchert hatten sie Karas Körper mit ihren Pfeilen und ihr beide Hände abgehackt... Starr war ihr Blick in den Himmel gerichtet, um sie herum war dunkles, getrocknetes Blut... Doch ihr Kind, es war nicht mehr bei ihr...Ich weiß nicht mehr wie viele Wochen wir die Gegend durchkämmten, wir suchten in jedem Dorf, in jedem Wald, in jeder Höhle, doch wir fanden es nie...Nie." "Ihr habt mein Mitleid für euren Verlust", sagte Ryan und es klang aufrichtig. Sie konnte diesen Mann verstehen, sie kannte selbst das Gefühl einen Menschen zu verlieren. Sie kannte es gut. "Aber, ich kann euch bei euerer Suche nicht helfen." "Du verstehst wohl auch gar nichts, oder?" schrie Markos plötzlich und funkelte sie aus wütenden Augen an. "Das Kind, ein kleines Mädchen. Nie zu vor habe ich solch ein Kind gesehen. Eigensinnig und kratzbürstig war es damals schon gewesen. Stark war es, es schrie nie. Selbst in jener Nacht, in welcher Tod und Schreie um es herum tobten, war es still... So still, dass wir hin und wieder dachten es wäre bereits tot. Doch es schlief friedlich in seinem Weidenkorb. Meine Schwester brachte ein kleines Mädchen zur Welt, und als ich meine Schwester tot auffand, fehlte ihr Stein. Er war weg... Ein dichter Wald war in der Nähe ihrer Leiche, ein Fluss...Kommt dir das bekannt vor, Ryan?" Erschrocken weiteten sich Ryans Augen, sie taumelte einige Schritte zurück und in ihrer Brust zog sich etwas schmerzhaft zusammen. "Warum tut ihr das?" fragte sie, doch ihre Stimme war ohne es zu wollen lauter geworden. "Warum erzählt ihr mir solche Lügen? Warum? Ist das wieder eines von Katlars Spielen um mich zu quälen? Warum erzählt ihr mir solche Dinge?" Ein lautes Seufzen entglitt Markos aus seiner Kehle und sein Blick wurde weich, als er Ryan ansah. Er wusste, die Tragweite seiner Worte hatte sie nicht verstanden, sie hatte höchstens eine ungefähre Vorstellung von dem was er eben gesagt hatte. "Ich erzähle dir keine Lügen. Dein Stein hat mir einige Erinnerungen von dir offenbart. Du weißt nicht wer deine wirkliche Mutter ist, oder? Du weißt es nicht...Woher willst du wissen, dass ich lüge? Oder muss ich dir meine Worte erst beweisen?" "Beweisen?" fragte Ryan verächtlich und ihr Körper spannte sich an wie die Sehne eines Bogens. "Lügen kann man nicht beweisen." Markos nickte leicht, nahm ihren Stein in die rechte und seinen in die linke Hand. Mit zittrigen Fingern führte er beide Steine zusammen. Die zwei Anhänger verschmolzen zu einem, die Bruchstellen die Ryan schon vor einigen Jahren aufgefallen waren passten ineinander. Zischend entwich ihr die Luft aus ihren Lungen, ihre Knie gaben nach und sie sackte zu Boden als habe man sie geschlagen. Fest krallten sich ihre Fingernägel in den Schnee hinein, ihr Denken war im Fieber. Gefühle rauschten durch ihren Geist...Sie starrte den Mann vor sich an, sah wie er sie liebevoll betrachtete. "Nein", dachte sie und wehrte sich gegen diese neue Erkenntnis. "Das kann nicht sein...Er lügt...Er lügt... Aber warum sollte er, was ist wenn er die Wahrheit spricht...Was wenn er...wenn...Nein..." Knirschende Schritte kamen näher, eine Hand legte sich auf ihr Haupt und streichelte ihr beruhigend über ihre vom Schweiß durchtränkten Haare. "Du bist die Tochter meiner Schwester, Ryan. Du kannst dich nicht dagegen wehren, es ist die Wahrheit...Ich habe dich so lange gesucht", flüsterte Markos und lächelte als sie ihn anblickte und er das Verständnis in ihren Augen aufkeimen sah. "Du bist die Tochter Karas. Du hast ihre Augen...Ich habe dich so viele Jahre lang gesucht, und nie die Hoffnung aufgegeben dich wieder zu finden. Nie, nicht einmal Ragan konnte mich davon abhalten...Ich wusste, irgendwann werde ich dich finden...Irgendwann..." Keuchend starrte Ryan den Mann über ihr an, sie fühlte sich so kraftlos in diesem Moment. Ihr Geist versuchte das eben gesagt zu verarbeiten, es in Einklang mit ihren Gefühlen zu bringen. Es war vergebens, verwirrt und geschockt kniete sie im Schnee. War unfähig sich zu bewegen, sie konnte nicht einmal ihre Hand heben. Sanfte Hände umfingen ihre Schultern, zogen sie hoch. Zärtlich umfing Markos ihren Oberkörper drückte ihn an sich und streichelte ihr weiterhin beruhigend über ihr Haar. "Ich habe dich endlich gefunden...Endlich..." Doch Ryan vernahm seine Worte nicht mehr. Still und unbewegt verharrte sie in dieser Umarmung. Ihr Herz schlug laut und schnell...Was war das für ein Gefühl in ihr? War das Freude oder Angst? War es Begreifen? Sie wusste es nicht, sie fühlte und hörte nichts... Nichts außer der Worte Markos. Der Worte welche womöglich alles für immer verändert hatten, und diese hallten deutlich, klar und laut in ihrem Geist wider: "Du bist die Tochter meiner Schwester...Du bist die Tochter Karas...Du bist es Ryan..." Nachwort: Kapitel fertig! Endlich, dachte schon ich kriege das diese Woche nicht mehr hin. Tja, was soll ich hier schreiben. Erst einmal am Anfang diese Szene zwischen Ryan und Ayesha...Herr Gott, ich konnte sie doch nicht als leiden lassen, oder? Irgendwann war mal Zeit, dass sie sich wieder sehen egal auf welcher Ebene. Ich hoffe, diese Szene wurde nicht all zu kitschig und somit erträglich. Ja, der liebe Katlar hat auch Gefühle! Ich habe schon oft gesagt, ich hasse diese ultimativen Bösewichter, da man sie (meiner Meinung nach), nicht nur darauf reduzieren darf. Hinter jeder bösen Maske steckt ein Mensch... Und so, jetzt ist es raus. Jetzt wisst ihr wie Markos und Ryan zusammenhängen, ich hoffe auch ich konnte die Sache mit dem Stein einigermaßen glaubhaft schildern. Da bin ich mir nicht so sicher. Ich hoffe, dass mir es jetzt gelungen ist endlich die Brücke zum Prolog zu schlagen. Hat ja lange genug gedauert, oder? Wir sind aber noch lange nicht am Ende, es kommen weitere Überraschungen. Also, bleibt mit gewogen! Einen lieben Gruß an meine treuen Leser Igel und Mondscheinelfe. Danke an euch! Adios © 2003 by seen Kapitel 20: Wahrheit oder Lüge? ------------------------------- Wahrheit oder Lüge? Zischend entwich Gerins Atem seiner Kehle, nervös starrte er in die Flammen des Kaminfeuers. Sah zu, wie sich das Feuer genüsslich durch die Fasern des Holzes fraß. Fest krallten sich seine Finger in den Stoff des Sessels, und er seufzte leise. Nun war er wieder hier, war zurückgekehrt. Jedoch ohne seinen Auftrag ausgeführt zu haben. Er hatte es nicht vermocht, er konnte es einfach nicht tun... Niedergeschlagen ließ Gerin sein Haupt in seine Handflächen sinken, und wischte sich über seine müden Augen. So vieles hatte er erfahren, so vieles, was er am liebsten niemals ans Tageslicht befördert hätte. Warum war es nicht im Schattenreich aus Erinnerungen geblieben? Warum drängte es solche Wahrheiten ans Tageslicht? Warum konnten sie nicht einfach zu einem weiteren Schatten werden? "Katlar", dachte Gerin und ein Lächeln der Bitterkeit breitete sich auf seinem Antlitz aus. "Ich weiß, ich hätte dich töten sollen. Wäre es für dich nicht sogar ein Segen gewesen? Was bindet dich außer Hass und Rache noch an diese Welt? Wie muss es sein, wenn man keine Gefühle mehr hat? Wie muss es sein, wenn man ganz alleine ist? Wie muss es sein, wenn man weiß, dass man bald sterben wird? Bruder, warum? Warum hast du das getan? Flieh doch einfach, lauf weg...Ich kann es nicht tun...es geht nicht..." Ein kalter Luftzug traf ihn auf seiner Gesichtshaut, und Gerin zitterte leicht. Das Feuer im Kamin flackert sacht hin und her. Er war gekommen... "Gerin", hörte er die ihm so vertraute Stimme Neroms sagen. Diese Stimme, wie lange hatte er ihr geglaubt? Wie lange hatte er alles was diese sagte für den richtigen Weg gehalten? Viel zu lange... "Du bist also wieder zurückgekehrt", sagte Nerom, lächelte leicht und setzte sich dem jüngeren gegenüber. "Es freut mich zusehen, dass du wohlauf bist, mein Junge." Gerin hob leicht seinen Kopf, sah seinen Lehrmeister aus leeren Augen an. "Wie man es nimmt", flüsterte er. Argwöhnisch furchte Nerom seine Stirn. Ihm gefiel der Ausdruck in den Augen seines ehemaligen Schülers nicht. Er war kalt geworden, wo war dieses Feuer, welches er immer so sehr an Gerin geschätzt hatte? Es schien erloschen zu sein... Sanft faltete Nerom seine Hände, beäugte Gerin kritisch und fragte: "Wie war deine Reise, mein Junge? Ich hoffe, du hast einige wichtige Nachrichten für mich." "Die habe ich allerdings", versetzte Gerin scharf und erhob sich abrupt, lief langsam in dem Raum auf und ab, und blieb vor dem großen Fenster stehen. "Katlar ist noch am Leben." "Das ist für mich nicht verwunderlich", erwiderte Nerom und lächelte leicht in sich hinein. "Dein Bruder ist nicht dumm, Gerin. Er ist sogar sehr intelligent, fast schon zu intelligent und zu wahnsinnig..." "Wahnsinnig", dachte Gerin und verzog verächtlich seinen Mund. "Ich glaube, wir sind alle wahnsinnig geworden...Jeder für sich selbst, auch ich..." Still verharrte er in seiner Position, lehnte sich leicht gegen den Rahmen des Fensters und sah schweigend zu, wie sich die Nacht über das Land legte. Wie ein schwarzer Schatten kroch es über die Ebene, hüllte es in ein wunderschönes Schweigen. "Gerin, warum hast du unseren Auftrag nicht ausgeführt?" Der jüngere hörte die Frage, doch er antwortete nicht gleich. In seinem Geist hallten diese Wörter wider wie ein Echo. "Warum? Warum?" Langsam drehte sich Gerin um, betrachtete den alten Mann welcher in dem Lehnsessel saß, und ihn musterte. Er kannte diesen Blick, er hatte ihn oft während seiner Ausbildung über sich ergehen lassen müssen. Ja, erkannte ihn gut, und wusste was er bedeutete. "Sag du mir lieber", begann Gerin und ging auf seinen Lehrmeister zu, seine Schritte hallten durch den Raum. "Warum ist er so gefährlich für euch? Sag mir, was er schon ausrichten kann? Er ist nur ein wildes, verletztes Tier..." "Und genau das macht ihn so gefährlich", beendete Nerom den Satz Gerins und blickte ihn lange an. "Genau das ist die Gefahr welche von Katlar ausgeht. Du musst wissen, Gerin. Nichts macht einen Menschen so gefährlich und unberechenbar, als blinde Wut und Rachdurst. Was wird geschehen, wenn es kein Ziel mehr für seine Wut gibt, auf was wird er dann losgehen? Wer wird der nächste sein? Wir können uns nicht leisten, dass einer unserer Männer womöglich eines Tages eine Gefahr für uns alle wird", kurz hielt Nerom inne, verlieh seinen Worten durch eben diese Pause noch mehr Gewicht und ergänze dann leise: "Auch für dich ist er eine Gefahr." Schweigend starrte Gerin Nerom an, versuchte in seinem Geist zu ordnen wer log und wer die Wahrheit sprach... Er kannte seinen Bruder, wusste, dass er im Moment gefährlich war. Er war es schon immer gewesen, doch da gab es eine weitere Seite in Katlar welche nur wenige Menschen kannten. Auch er war fähig zu lieben, und Katlar hatte ihn einst geliebt. Ja, das hatte er einst, bevor Gerin vom hohen Rat berufen wurde... Katlar hatte Maris geliebt. Mehr als sein eigenes Leben hatte er diese Frau geliebt, sie war womöglich die einzige Person gewesen, die seinen Bruder wirklich gekannt und geliebt hatte. "Gerin, hörst du mir überhaupt zu?" "Ja", sagte der jüngere und setzte sich wieder in gegenüber liegenden Sessel. "Ich habe jedes deiner Worte gehört, doch ich fragen mich: Sprichst du die Wahrheit, oder lügst auch du mir ins Gesicht? Wann wird meine Zeit gekommen sein, da ihr mir ein Messer in den Rücken rammt? Sag mir Nerom, wann wird meine Zeit kommen?" Für einen kurzen Moment glaubte Gerin so etwas wie erschrecken in dem vom Wetter gegerbten Gesicht Neroms zu sehen, doch es verschwand so schnell wie es gekommen war. Das Gesicht des älteren wurde wieder verschlossen und ausdruckslos. "Wann deine Zeit gekommen ist?" gab er die Frage zurück und lehnte sich nachdenklich in seinem Sessel zurück. "So wie ich dich einschätze, mein Junge, werden wir dafür noch sehr viel Zeit haben. Du bist nicht wie dein Bruder, du bist nicht so leicht lenkbar wie er. Das macht dich zwar auf eine andere Art und Weise gefährlich, aber auch sehr nützlich..." "Jeder ist für dich eine Figur, die du nach deinem Belieben herum schieben kannst, oder?" schrie Gerin und in seinen Augen begann Wut aufzulodern. Das Holz im Kamin brach unter dem Ansturm der Flammen zusammen, laut ächzte und knackte es...verlor den Kampf. "Ich bin nicht anders als du, Gerin", versetzte Nerom gleichgültig und breitete seine Arme aus. "Spielst nicht auch du mit den Menschen wie es dir beliebt? Oh, hast du etwa geglaubt ich wüsste das nicht? Ich war schließlich dein Lehrer, ich weiß in welchen Vorgehensweisen deine Stärken liegen. Ich weiß es sehr genau. Du bist, genau wie ich, ein Meister der Manipulation. Vielleicht bist du sogar noch geschickter darin als ich...Wer weiß." Wütend verzog Gerin sein Gesicht, kalt wurde es, als wäre es aus Eis gehauen. Nur seine Augen zeigten was tief in ihm vorging. Furcht, Wut, Hass. Nun befielen auch ihn diese Gefühle während er den alten Mann vor sich musterte. "Lügen, alles nur Lügen", dachte er bitter und schloss vor Schmerz seine Augen. "Mein ganzes Leben lang habe ich nichts anderes gehört, ich kenne Wahrheit überhaupt nicht, werde sie nie kennen...Nie." "Was ist los mit dir, mein Junge", die verhöhnende Stimme Neroms holte Gerin zurück in die Wirklichkeit, und sein Blick schien den alten Mann vor sich zu durchbohren. "Was willst du wirklich von mir?" fragte dieser und lächelte schief. Er war sich so siegessicher, er wusste, dass er niemals verlieren konnte. Er war unantastbar...Unantastbar...noch... "Warum habt ihr meinen Vater getötet? Warum musste es Katlar tun? Warum?" schrie Gerin seine Frage welche ihn schon so lange quälte heraus. "Warum? Sag es mir." "Dein Vater", flüsterte Nerom und faltete erneut seine Hände, legte sie in seinen Schoß und blickte Gerin lange an. "Dein Vater, was für ein großer Krieger. Er war unbeugsam, stark und hat viele Kämpfe für uns gewonnen. Das wir in Barolon Fuß fassen konnte, haben wir Evanus zu verdanken." "Warum habt ihr ihn dann getötet?" flüsterte Gerin, er war es müde um Antworten kämpfen zu müssen...Er war so müde... "So stark dein Vater auch war", erzählte Nerom weiter. "So widerspenstig war er auch. Seine Vorstellungen unterschieden sich zu stark von den unseren. Ich wusste, dass Evanus von sehr vielen Kriegern bewundert wurde, es wäre für ihn ein leichtes gewesen sie zu mobilisieren und uns anzugreifen. Das konnte ich doch nicht zu lassen, dass verstehst du doch, oder?" Wütend ballte Gerin seine Hände zu Fäusten, weiß traten seine Fingerknöchel hervor und sein Atem entwich zischend seiner Kehle. "Welch ein Glück, dass es Katlar gab. Ein junger, aufstrebender Krieger. Es dürstete ihn förmlich danach in unserem Ansehen aufzusteigen. Du weißt doch Gerin, junge Menschen sind leicht zu manipulieren, manchmal ist es sogar viel zu leicht. Wir unterbreitetem ihm ein Angebot, und er erledigte unseren Auftrag." "Ihr habt ihn benutzt, ebenso, wie ihr mich benutzen wolltet", zischte Gerin gefährlich und kämpfte um seine Fassung. "Er hat sich benutzen lassen, mein Junge", verbesserte ihn Nerom und zuckte gleichgültig mit seinen Achseln. "Er wollte es, er hätte auch ablehnen können..." "Natürlich hätte er das", spottete Gerin und lächelte böse. "Ihr hättet ihn nur dann getötet, nicht wahr?" "Ja, hätten wir", versetzte Nerom kalt und schaute dann in die Flammen des Feuers. "Was hat Katlar für diesen Auftrag erhalten? Was habt ihr ihm gegeben?" Leise seufze Nerom auf, schüttelte leicht seinen Kopf, jedoch er sah seinen ehemaligen Schüler nicht an. "Schon wieder hast du die Frage falsch formuliert. Du musst eher fragen: Was wollten wir ihm geben, und was hat er angenommen?" Wütend starrte Gerin sein Gegenüber an, er hasste es, wenn man ihn so behandelte. Er war kein kleiner, dummer Junge mehr. "Dann beantworte doch deine eigene Frage", zischte er bösartig und versuchte sich, so gut es in dieser Situation möglich war, zu entspannen. "Dein Bruder, er war ein außergewöhnlicher junger Mann. Ich wusste, er hatte große Pläne, vielleicht waren sie zu groß für ihn, aber das ist nicht das was du wissen willst... Wie er seinen Auftrag vollbrachte, weiß ich nicht, dass musst du ihn schon selbst fragen. Das einzige was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass Katlar verändert zu uns zurückkehrte. Auch in seinen Augen loderte damals dieses Feuer, dieses Feuer welches ich so sehr an dir schätze, Gerin. Doch an jenem Tag, es war erloschen, unwiederbringlich erloschen war es... Katlar hatte sich verändert. Jungend, sie war mit deinem Vater fortgegangen. Er bat uns darum, dass er nie wieder ins Feld ziehen musste, um ein Haus für seine Frau und sich und um eine kleine Region welche unter seiner Herrschaft stehen sollte. Das war alles was wir ihm gaben, aber wir hätten mehr gegeben, wenn er es gewollt hätte..." "Was", schrie Gerin, sprang auf und packte seinen ehemaligen Lehrmeister am Kragen seines Gewandes. "Wir hatten ihm deinen Posten angeboten, den Posten des Botschafters und Beraters. Einen Posten mit großer Macht, wie du weißt. Er lehnte ab, seit diesem Tag wuchs unsere Feindschaft und sie hat sich seitdem um ein vielfaches vergrößert." Zitternd vor Wut löste Gerin seinen Griff um Neroms Kragen, wich Schritt um Schritt zurück. Ihm schwindelte, nie war er sich bewusst gewesen, zu was diese Männer in der Lage waren. Wie einfach es für sie war ein Lebenslicht auszublasen, für sie war es nur ein einziger Atemzug, welche Konsequenzen dieser haben würde, dass berührte sie nicht...Sie waren davor geschützt... "Was hast du, mein Junge?" fragte Nerom und ein Lächeln breitete sich auf seinem Antlitz aus. "Warum erschüttert dich das alles so sehr? Du wusstest es, du hast bereits für uns getötet. Du kennst unsere Prinzipien, du weißt genau, dass man entweder für oder gegen uns ist...Du weißt das, Gerin." "Ja", flüsterte Gerin und blickte Nerom fest ins Gesicht. Abscheu stieg in ihm auf, und er hätte dieses Etwas vor sich am liebsten mit seinen eigenen Händen erwürgt. "Ja, ich weiß das alles, doch ich hätte nie gedacht, dass alles voran ich jemals geglaubt habe eine Lüge war." Schwungvoll drehte sich Gerin um, durchquerte das Zimmer mit wenigen Schritten. Er musste fort von hier, sein Geist war wie erloschen, kein Gedanke vermochte es durch diese Schwärze hindurch zu brechen...Vernebelt war er, trunken von Schuld und Erkenntnis. "Gerin", laut hallte die kalte Stimme Neroms in Gerins Ohren wider und er blieb wie angewurzelt stehen. "Überleg dir gut was du jetzt tust, jeder ist ersetzbar, für jeden gibt es ein Gegenstück." Unbewegt starrte Gerin Nerom an, senkte dann seinen Blick und lächelte leicht. "Auch das weiß ich, alter Freund", spie er verächtlich aus, hob seinen Kopf an und blickte seinen ehemaligen Lehrmeister kalt und wütend an. "Für jeden gibt es ein Gegenstück, Nerom. Auch für dich..." Warm schien die Sonne vom stahlblauen Himmel, feine Sonnenstrahlen tanzten auf der schneebedeckten Landschaft, und ließen sie wie gefallene Sterne aufleuchten. Kalt war der Wind, welcher durch die kahlen Baumkronen strich, doch die junge Frau spürte diese Kälte nicht wirklich. Ihr Körper hatte weit schlimmere Kälte erdulden müssen, und so war auch dieser bitterkalte Tag wie ein Frühling. Sanft streichelte der Wind über ihr blondes Haar, kühlte ihre erhitzen Wangen und sie schloss genüsslich die Augen. Lange hatte sie an diesem Ort verweilen dürfen, ihr war Unterstützung und Freundschaft zuteil geworden, obwohl sie geglaubt hatte, dass ihr nie wieder jemand solche Gefühle entgegen bringen würde. Sie hatte sich geirrt, wie so oft... Doch, die Zeit war gekommen, die Zeit Abschied zu nehmen. So sehr es sie auch schmerzte, und so sehr sie sich wünschte an diesem Ort bleiben zu können, so wusste sie auch, dass es unmöglich war. "Ich würde sie nur in Gefahr bringen", dachte Teleri wehmütig und blickte das Heim Widos an. Trauer stieg in ihr auf, Bara hatte sie aufgenommen, als wäre sie eine verlorene Tochter. Schmerzend war die Erkenntnis, dass Teleri nie wirklich gewusst hatte was eine Familie eigentlich war. Wie sollte sie auch, sie hatte es nur für eine kurze Zeit erleben dürfen, einige Jahre welche bereits so sehr verblasst waren, dass von diesen Erinnerungen nur Schatten übrig geblieben waren. Sie erinnerte sich nicht einmal an das Gesicht ihrer Mutter... Hart schluckte Teleri und wandte ihren Blick von dem kleinen Haus ab, sie musste gehen, sie hatte keine Wahl. "Ryan", dachte Teleri und lächelte bitter. "Jetzt verstehe ich dich erst, jetzt, da du gegangen bist. Nie habe ich verstanden warum du jedes Mal gehen musstest...Doch jetzt, da auch ich zu einer Gefahr für geliebte Menschen geworden bin, verstehe ich...Jetzt, obwohl ich es nicht mehr verstehen müsste..." Ein heftiger Schauer durchflutete Teleris Körper, als das Gesicht Ryans in ihren Gedanken auftauchte. Diese Augen, diese unergründlichen Augen...So viel Kraft lag in ihnen und so viel Schmerz... "Für mich hast du niemals diese Maske abgelegt...Nie...Ich dürfte niemals einen Blick auf diesen verborgenen Platz in dir werfen. Du hast ihn immer vor mir verborgen...Hast du für sie dein zweites Gesicht abgelegt. Darf das Mädchen das erblicken, was du mir nie zeigen wolltest?" Bitter waren diese Gedanken, Eifersucht stach ihr noch immer wie feine Nadeln ins Herz. Wie viele Jahre hatte sie ihr Leben mit jemand geteilt, der eigentlich dazu verdammt war alleine zu sein. Mit jemandem der sich immer hinter Lügen und Masken verbarg. Wie lange... Und dennoch bereute es Teleri nicht, nicht einmal jetzt. Viel war passiert, doch sie hoffte immer noch...Hoffnung war das einzige was ihr geblieben war. "Wolltest du dich wirklich einfach so und ohne ein Wort von dannen stehlen, Teleri?" Erschrocken drehte sich Teleri um, blickte in das ernste Gesicht Baras, und senkte schuldbewusst ihren Blick. "Nein", wisperte sie und trat einige Schritte näher. "Ich wollte mich nicht wortlos davon stehlen, gewiss nicht." Abschätzend blickte Bara die junge Frau vor sich an, legte dann ihren Kopf schief und sagte leise: "Für mich sah es jedoch genau nach diesem Vorhaben aus, mein Kind. Du willst mich doch verlassen, oder?" Zitternd starrte Teleri auf die mit schneebedeckte Erde, was sollte sie nur antworten. Gab es überhaupt eine Antwort auf die Frage, ob man ein neues Zuhause verlassen wollte? "Ich will nicht, ich muss...Ich muss...Verzeih mir, Bara", flüsterte Teleri und fand sich im nächsten Augenblick in den Armen Baras wider. Fest drückte die ältere Frau ihren Körper an den ihren. "Du musst es nicht", flüsterte sie ebenso leise und streichelte ihr beruhigend über ihr Haar. "Du musst es wirklich nicht, Teleri." Tränen durchweichten den Kragen von Baras Gewand, und sie zog dieses zitternde Wesen noch fester in ihre Arme. Dieses arme Geschöpf, wo wollte sie nur hin, was würde aus ihr werden? Sie war doch noch viel zu jung, um ihren Lebenswillen aufzugeben, sie war doch noch viel zu jung. "Ich bin eine Gefahr geworden", schluchzte Teleri und barg ihr Gesicht an Baras Schulter. "Ich kann nicht bei dir bleiben, so gerne ich das auch wollte, ich kann nicht. Was ist wenn sie mich finden? Was ist dann? Sie würden dich vielleicht töten, du hast Kinder, sie brauchen dich. Ich kann das nicht verantworten...Es geht nicht...Verzeih." "Da gibt es nichts zu verzeihen", raunte Bara, nahm Teleris Gesicht zwischen ihre Hände und wischte ihr die Tränen fort. "Aber, wo willst du denn nur hin? Wo willst du hingehen, Teleri?" "Das weiß ich noch nicht", bekannte Teleri und vermied es Bara ins Gesicht zu blicken. Diese Augen, sie blickten sie so besorgt an, wie die Augen einer Mutter... "Vielleicht gehe ich nach Kalmas oder Aranei, ich weiß es noch nicht", flüsterte Teleri, doch plötzlich legte sich ein bitteres Lächeln um ihren Mund. "Für eine Avatara gibt es immer Arbeit...Immer..." "Hör auf so etwas zu sagen", zischte Bara wütend und zwang Teleri ihr in die Augen zusehen. "Willst du wirklich so enden? Soll so dein Leben aussehen? Willst du das, Teleri?" Zerknirscht biss sich Teleri auf ihre Unterlippe. Nein, sie wollte es nicht, doch das Schicksal hatte sie bereits zu dem geformt, was sie nun einmal war und womöglich immer sein würde... "Mach dir keine Sorgen um mich", versuchte sie die ältere Frau vor sich zu beruhigen, doch sie wusste auch, dass es vergebens war. "Solch eine Arbeit ist nicht die schlechteste. So lange ich noch jung bin, und halbwegs weiß den Männern zu gefallen, werde ich durchkommen. Glaub mir, ich kenne dieses Leben, und mir ist nun einmal nicht gegeben anders zu sein." "Das ist der größte Unfug, denn ich je gehört habe", stieß Bara gequält hervor und verdrehte ihre Augen. "Glaubst du wirklich, dass das Leben dir keine anderen Möglichkeiten bietet? Glaubst du wirklich, du könntest nicht auch anders durch dieses Leben gehen, als dich anzupreisen wie ein Stück Vieh?" Das Lächeln um Teleris Mundwinkel wurde intensiver, doch ihr Blick blieb traurig. "Nenn mir welche, Bara", wisperte sie und löste sich aus den Armen der älteren. "Glaubst du etwa, ich hätte es nicht versucht? Ich habe es versucht, Ryan könnte es bezeugen. Ich habe es versucht, doch immer wieder bin ich zurückgefallen. Ich kann nichts dafür, ich bin nun einmal so, wie ich bin... Das wird sich wohl nicht ändern lassen." Seufzend zog Bara Teleri erneut in ihre Arme und flüsterte: "Bleib doch hier. Ich kann diese Gewissheit nicht ertragen, dass du irgendwo unglücklich bist." Schluchzend klammerte sich Teleri an Bara fest, suchte Halt, fand ihn aber auch dieses Mal nicht. "Ich kann nicht. So sehr ich mich danach sehne, es würde nicht gut gehen, was ist, wenn sie mich wirklich suchen. Nein, das ist zu viel Verantwortung für mich." Widerstrebend löste sich Teleri aus dieser tröstlichen Umarmung, wich einige Schritte zurück und schenkte Bara einen ausdruckslosen Blick. "Ich werde dich besuchen, sobald es mir möglich ist, werde ich zurückkommen. Weißt du eigentlich, wie grotesk diese Situation für mich ist?" Argwöhnisch beobachtete Bara Teleri und schüttelte ihren Kopf ohne ein Wort zu sagen, sie versand nicht, was Teleri ihr sagen wollte. "Es ist grotesk, dass ich nun wie Ryan bin", wisperte Teleri und ihr Gesicht wurde unbewegt wie ein Fels. "Ich bin jetzt wie sie..." Niedergeschlagen sah Bara zu, wie Teleri auf sie zu ging, sich vorbeugte und ihr einen Kuss auf die Stirn hauchte. Ein letztes Mal blickten sich beide Frauen an. Was war das für ein Blick in den blauen Augen Teleris? Er war so hoffnungslos, als habe sich dieser junge Mensch bereits mit einem Schicksal abgefunden, als wäre er bereit ein Leben lang alleine zu sein. Tränen glitzerten in Baras Augen und ließen die Welt vor ihren Augen verschwimmen. Immer weiter entfernte sich die zierliche Gestalt von ihr, verschwand bald zwischen den kahlen Bäumen... "Lebwohl, mein Kind", dachte Bara und wischte sich die Tränen aus den Augen. Eine Vorahnung beschlich sie, und ihr schwindelte. Sie spürte etwas, sie hatte dieses Gefühl bereits schon einmal gehabt. Damals, als Wido aufgebrochen war. Ja, damals hatte sie dieses Gefühl ebenfalls beschlichen... Ihre Hände begannen zu zittern, ob vor Kälte oder vor Angst, dass wusste Bara nicht, dass einzige was sie in diesem Moment klar und deutlich wusste, war, dass sie Teleri womöglich nie wieder sehen würde...Nie wieder... Weißes Licht umhüllte den zitternden Körper Markos, sein Geist trieb langsam hinfort. Die in Nebel eingehüllten Bilder begannen sich langsam zu lichten. Er lächelte sanft. Deutlich erblickte er sie, zwei schlafende Kinder, noch jung, noch unschuldig und er wäre bereit sein Leben dafür zugeben, dass sie in dieser Unschuldigkeit noch lange verharren durften. Vorsichtig streckte er seine Hand aus, berührte ihr Haupt, sacht regte sich eines der Mädchen und er zuckte zurück. Er durfte sie nicht aufwecken, sie waren noch zu jung, um zu verstehen... Traurig wurde sein Lächeln, fast wehmütig. Wie lange hatte er sie nicht mehr gesehen? Sie waren gewachsen, die Zeit verging ja so schnell und er verpasste so viel von ihr. Markos hatte bereits so viel versäumt, ihre ersten Schritte, ihre ersten Worte. Würden sie ihn überhaupt wieder erkennen? Zitternd löste er sich von ihnen, ihr Bild verschwand wieder im Nebel... "Markos? Bist du das?" Deutlich vernahm er diese wunderschöne Stimme, er lächelte schief, konzentrierte sich und ein weiteres Bild tauchte vor ihm auf. Ein Gesicht, braune, liebevolle Augen schienen ihn anzublicken und er seufzte leise. "Ja, ich bin es", wisperte er in seinen Gedanken und fühlte die nahe Präsenz eines anderen Geistes. "Du hast dir viel Zeit gelassen bis zu deinem nächsten Besuch, mein Lieber", rügte die sanfte Stimme ihn. Zerknirscht senkte Markos sein Haupt, ja, er war lange nicht mehr da gewesen. "Verzeih mir, Nima. Es ist sehr viel passiert...Sehr viel..." "Das weiß ich, Markos", flüsterte die Stimme ihm entgegen und er zuckte leicht zusammen, als er der Nähe Nimas gewahr wurde. Sanft schienen Hände die seinen zu umfangen, sie liebevoll festzuhalten. Tröstlich und Kraft spendend... "Wann wirst du zu uns zurückkehren?" fragte die Stimme in seinem Geist, und der flehende Unterton in ihr war nicht zu überhören. "Bald", versicherte er und versuchte die andere Präsenz fester an sich zu binden. "Ich habe hier noch einige Dinge zu erledigen, dann kehren wir zurück..." "Diesen Satz höre ich schon seit vielen Jahren von dir", erwiderte der Geist seiner Frau missmutig. "Du hast sie also gefunden?" "Ja", bestätigte Markos und lächelte versonnen. "Ich habe Karas Tochter gefunden, sie ist ihr so ähnlich, du kannst dir womöglich nicht vorstellen, wie sehr mich diese Tatsche erschreckt..." "Ich verstehe", flüsterte der Geist und eine flüchtige Berührung traf Markos auf seiner Wange. "Aber, tue mir einen Gefallen, bitte..." "Jeden", wisperte Markos und legte seine Hand vorsichtig auf die unsichtbare welche auf seiner Wange zu liegen schien. "Komm bald zurück, ich vermisse dich. Wir brauchen dich auch hier..." "Ich weiß", flüsterte er ebenso leise und seufzte. "Bald...ich schwöre es dir..." Vorsichtig löste sich die Präsenz seiner Frau aus seinen Empfindungen, glitt zurück wie ein Schatten. "Ich liebe dich", hauchte die feine Stimme noch, dann war Markos wieder alleine. Schwerfällig atmete er durch, das weiße Licht kroch zurück in seinen Anhänger und es wurde still um ihn. Vorsichtig wischte sich Markos mit dem Handrücken über seine Stirn, ihm schwindelte und er sackte in sich zusammen. Kraft raubend waren diese Treffen, doch es war das einzige was ihn jedes Mal wieder aufrichten konnte... Sehnsucht brannte in seinem Körper, die Sehnsucht nach seiner Frau und seinen Kindern. Schmerzend war sie in einsamen Nächten, doch er hatte auch hier Aufgaben. Wer sollte sie sonst ausführen, er war der einzige der es vermochte... "Verzeih mir, Nima", flüsterte er und schloss seine Augen. "Ich weiß, ich tue dir weh, auch wenn es nicht meine Absicht ist. Verzeih mir..." "Sie hat dir bis jetzt doch immer verziehen, oder?" Abrupt öffnete Markos seine Augen, richtete sich auf und blickte Ragan an, welcher in der offenen Luke seines Zeltes stand, und ihn musterte. "Ragan? Was willst du? Ist etwas geschehen?" Das Lächeln auf Ragans Antlitz wurde breiter und er trat vorsichtig näher, ließ sich neben seinem Freund nieder und blickte ihn prüfend an. "Wie war deine Familienzusammenkunft? Geht es ihnen gut?" "Ja", sagte Markos und lächelte ebenfalls leicht. "Ihnen geht es gut, aber Nima will das ich bald zurückkehre." "Das wollen wir alle, mein Freund." Vorsichtig faltete Ragan seine Hände und blickte Markos abschätzend an. "Wir alle wollen zurück zu unseren Familien, du doch auch. Der Winter ist da, wir sollten uns in den nächsten Tagen auf die Reise begeben. Was hält uns noch hier?" Seufzend fuhr sich Markos durch sein Haar, spielte gedankenverloren mit dem weißen Stein über seiner Brust. "Ich...ich kann noch nicht fort..." "Ist es wegen dem Mädchen?" fragte Ragan und bemerkte wie Markos leicht zusammen zuckte. "Es ist also wegen ihr. Was willst du noch von ihr? Du hast sie gefunden, mehr wolltest du doch nicht." "Das sagt sich so einfach", murmelte Markos leise. "Ich habe sie gerade erst wieder gefunden, und nun soll ich sie wieder verlassen. Ich möchte noch so viel von ihr erfahren..." "Wir beide wissen doch", flüsterte Ragan und legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter. "Sie wird nicht bei uns bleiben, ich habe es heute gespürt. Es zieht sie in eine andere Richtung...Nicht zu uns, sondern zu einer anderen Person..." Schweigend nickte Markos. Ja, er wusste wohin es Ryan zog. Er kannte die Richtung, er spürte diese Gefühle. Liebe, er lächelte schief. Ja, Liebe zog seine Nichte in eine andere Richtung... "Ich will ihr es wenigstens anbieten, verstehst du?" fragte er seinen Freund. "Ich will ihr nur das Angebot machen mit uns zu kommen. Was sie tut, ist dann ihre Entscheidung." Zaghaft nickte Ragan und ergänzte dann leise: "Aber du kennst ihre Antwort bereits, nicht wahr?" "Ja, ich kenne sie, aber sie soll wenigstens wissen, wo sie uns wieder finden kann, wenn sie es wünscht." Schweigend saßen beide Männer neben einander, jeder vertieft in seine eigenen Gedanken. Beide wussten, dass die Zeit gekommen war. Je länger sie hier blieben, umso größer wurde die Gefahr. Die Bäume welche ihnen Schutz geboten hatten, waren zu kahlen Feinden geworden. Erst wenn der Frühling wiederkehrte, konnte auch sie zurückkehren... Leise räusperte sich Ragan, blickte zu Markos hinüber und flüsterte: "Das war aber nicht der Grund, warum ich zu dir gekommen bin." "Nein?" fragte Markos irritiert und hob eine Augenbraue an. "Warum dann? Ist doch etwas geschehen?" "Wie man es nimmt", entgegnete Ragan viel sagend und zog aus seinem Lederbeutel ein zusammengerolltes Stück Pergament. "Das ist heute überbracht worden. Mir gefällt das nicht, Markos. Mir gefällt das ganz und gar nicht." Schweigend nahm Markos die Pergamentrolle aus Ragans Hand. Ein rotes Siegel prangte auf der Oberseite und hielt die Form zusammen. Er kannte es, sehr gut sogar. "Was hast du, Markos?" fragte Ragan leise, als er den Gesichtsaudruck seines Freundes bemerkte. Bleich war er geworden, fast wie der Schnee welcher draußen die Welt in sein weißes Leichtuch hüllte. "Ragan", flüsterte Markos ebenso leise und sah ihn ernst an. "Morgen wirst du die Männer veranlassen die Zelte abzubrechen. Wir müssen weg. Sag Ryan nichts, ich werde Morgen selbst mit ihr sprechen..." "Aber was..." "Tu was ich dir gesagt habe, und lass mich jetzt alleine", schnitt Markos seinem Freund das Wort ab und funkelte ihn an. Augenblicklich erhob sich Ragan, bedachte Markos mit einem Blick der voll Verwirrtheit und Sorge war, verschwand dann jedoch ohne ein weiteres Wort zu sagen. Zitternd blieb Markos zurück, fest umschloss seine Hand die Pergamentrolle. Er hatte es geahnt... Vorsichtig brach er das Sigel auf, rollte die Pergamentrollen auseinander und las die Botschaft, welche all seine Sorge und Ängste bestätigte: Der Wolf muss dem Raben eine dringende Botschaft ausrichten. Er hofft, dass der Rabe ihm diese Unvorsichtigkeit verzeiht. Der Wind beginnt sich zu drehen, Wolken ziehen auf. Ein Sturm wird kommen. Gewaltig wird er sein, und der Wolf kann ihn nicht mehr aufhalten. Er hat sein möglichstes getan, um den Schaden zu begrenzen. Die Zeit kommt näher, bald werden sich der Wolf und der Rabe wieder sehen. Doch wer von ihnen wird auch die Sonne des nächsten Tages erblicken? Der Wolf hofft, dass der Rabe alle Vorklärungen treffen wird und weiß, was er nun zutun hat. Der Rabe soll sich vorsehen, seine Flügel müssen ihn schnell tragen, die Wölfe sind hungriger als je zuvor. Das Rudel wird kommen...Bald... Nachwort: So, ein neues Kapitel, hoffe es wird noch im alten Jahr zu lesen sein. Tja, dieses Mal (leider) ohne Ryan und Ayesha, doch ich denke, dass es auch einmal wichtig ist den anderen Charakteren ein Kapitel zu widmen. Sie sind genauso wichtig, teilweise haben ihre Rollen ein noch größeres Gewicht für die Handlung... Nun, was soll ich schreiben. Ich hoffe, es wird nicht langsam langweilig. Weiß nicht warum ich das denke, aber dieses Gefühl war mal kurz vorhanden. Im nächsten Kapitel gibt es wieder einige Überraschungen (wenn es nicht hier schon offensichtlich war). Dann kommen auch wieder Ryan und Ayesha vor. Ich bedanke mich für das Lesen dieses Kapitels, einen Gruß wieder an Igel und Mondscheinelfe und auch an alle anderen die diese Gesichte lesen. Ich wünsche euch einen guten Rutsch ins nächste Jahr. Bleibt mir dann vielleicht auch im neuen Jahr gewogen. Bis dann © 2003 by seen Kapitel 21: Schwarze Federn --------------------------- Schwarze Federn Fein zeichnete sich die Sonne gegen die Schwärze der Nacht ab. Wie ein kleiner, brennender Kreis erhob sie sich über den Berg. Der Schnee begann durch das Licht leicht zu schimmern, verlieh ihm einen blutroten Glanz. Leise ächzte er unter Lobas Pfoten auf. Die schwarze Wölfin stand dicht neben ihrer neuen Herrin, blickte gemeinsam mit ihr den Reitern nach, welche schnell über die schneebedeckte Erde entschwanden. Scheu hob die Wölfin ihren struppigen Kopf, blickte hinauf zu dem Mädchen. Merkwürdig war ihr Blick, oder waren es nur die letzten Spuren der Müdigkeit, welche ihren Blick vernebelten? Vorsichtig tapste Loba vorwärts, drückte ihren Körper dem Boden entgegen. Die Kälte durchdrang selbst ihr dickes Winterfell. Lautlos kroch sie näher an ihre neue Herrin heran. Ihre neue Herrin, welch seltsamer Ausdruck. Nie zuvor war es dem Tier bewusst geworden, dass sie wahrlich jetzt unter neuen Umständen lebte. Es war nicht mehr das Leben, was sie gewöhnt war. Vieles hatte sich verändert, auch für sie, doch das schien niemand zu bemerken. Jeder schien zu glauben, ihr tierischer Geist wäre nicht in der Lage diese Veränderungen zu registrieren, wie wenig diese Menschen doch wussten... Loba wusste genau, dass sie ihre Herren verloren hatte. Beide, beide waren gegangen. Der freundliche alte Mann mit seinem sonnigen Gemüt, der sie immer mit so viel Liebe und Aufmerksamkeit bedacht hatte. Er war fort, unwiederbringlich fort gegangen war er. Das große Mädchen, wo war es nur? War auch sie in das dunkle Land der Stille gegangen? Dorthin, wo es keinen Schmerz und kein Licht mehr gab. War sie von diesem Schmerz nun befreit? Diesen Schmerz, welchen Loba immer in ihren Augen gesehen hatte. Die Augen des großen Mädchens, sie waren den ihren nicht unähnlich... Ja, diese beiden Menschen hatten ihre Worte verstanden, hatten sie gehört. Sie vermisste beide, doch das Tier wusste auch, dass sich ihre neue Herrin ebenfalls nach ihnen sehnte. Sanft stupste Loba dem Mädchen mit ihrer Schnauze in ihre Handfläche, ein heftiges Zittern ging durch den menschlichen Körper. Traurige Augen blickten sie an, Loba legte ihren Kopf leicht schief, jaulte leise und das Mädchen beugte sich zu ihr hinunter. "Jetzt sind wir beide alleine, Loba", flüsterte Ayesha und kraulte die schwarze Wölfin sanft am Kopf. "Seltsam, nicht wahr? Früher hätte ich mich glücklich geschätzt, wenn mein Vater mir so vertraut hätte, wie er es heute tut. Aber, jetzt bin ich wirklich hier gefangen..." Geräuschvoll entwich Ayeshas Atem ihrer Kehle, sie fühlte, wie sich Loba dichter an sie drängte und ihre Fingernägel gruben sich in das schwarze Fell. "Loba, was soll ich nur tun? Mein Kopf, er ist so leer. Das macht mir Angst, zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich ganz alleine." Zärtlich leckte die Wölfin Ayesha über ihre Wange, blickte sie lange an und in den tierischen Augen lag etwas Seltsames. Verständnis, war es das? Konnte Loba wirklich verstehen, was sie sprach? Vielleicht hatte Ryan deshalb immer mit ihr gesprochen, weil sie einfach nur stumm zu hörte, man in ihren Augen jedoch Antworten fand. Ein weiteres Mal stupste die schwarze Wölfin Ayesha sanft mit ihrer Schnauze an, als wolle sie ihr damit zeigen, dass sie noch da war und nicht gehen würde. Ein scheues Lächeln erhellte Ayeshas starres Gesicht und sie nickte leicht. "Ich weiß, du bleibst bei mir, und darüber bin ich sehr glücklich, altes Mädchen. Aber, soll ich dir etwas Eigenartiges erzählen?" Hechelnd setzte sich Loba auf den schneebedeckten Boden und spitzte die Ohren. "Also gut, ich erzähle es dir", sagte Ayesha und lachte leise. "Vor einigen Tagen, ich hatte so einen seltsamen Traum. Doch es war nicht einfach nur ein Traum, verstehst du? Es war zu real, zu greifbar... Ich habe etwas gespürt, eine Präsenz, einen anderen Geist. Ich weiß nicht wie ich das erklären soll", niedergeschlagen senkte Ayesha ihren Blick, starrte die dünne Schneedecke an, als könnte sie dort Antworten finden. "Es war fast so", erzählte sie weiter und hob ihren Kopf an. "Als wäre da jemand ganz nahe bei mir, ich glaubte Hände zu spüren, Berührungen, es war so wunderschön. Ich kannte diese Art von Berührungen. Ich, ich... Es war Ryan, Loba. Verstehst du, es war Ryan." Nervös begannen Lobas Ohren zu zucken, ihr Körper spannte sich an. Das große Mädchen? Wie sollte das möglich sein, war sie doch noch nicht auf ihre Reise gegangen? War sie noch hier. Warum kehrte sie dann nicht zu ihnen zurück? Das Tier verstand es nicht, konnte es nur auf den Umstand zurückführen, dass diese Wesen Menschen waren und als solche waren sie schwer zu verstehen. "Begreifst du, altes Mädchen?" fragte Ayesha und ihre Stimme quoll an vor Hoffnung. "Sie lebt, irgendwo, sie ist am Leben." Argwöhnisch kräuselten sich die feinen Haare auf Lobas Schnauze. Ja, das große Mädchen lebte, aber warum war sie dann nicht hier? Hier bei dem Menschen, welcher sich so nach ihr sehnte? Sanft umfing Ayesha den Kopf Lobas mit ihren Händen und lächelte das Tier zum ersten Mal seit langer Zeit glücklich an. "Ich habe es gespürt", wisperte sie und ihr Blick verlor sich im rötlich gefärbten Himmel. "Ich wusste, die Götter sind nicht so grausam, ich wusste, irgendwann würden sie ihr Spiel beenden. Aber, wie lange muss ich noch warten, Loba? Wie lange..." Hoffnungsvoll starrte Ayesha in den rötlichen Himmel. Tief in ihr fühlte sie, dass es nicht mehr lange dauern konnte, doch was würde dann sein? Waren sie überhaupt in der Lage ihr Leben miteinander zu teilen? Wie würde ihr Vater reagieren? Viel würde sich verändern und Ayesha fürchtete sich davor. Sie fürchtete sich im gleichen Ausmaß vor diesem Unbekannten, wie sie sich danach sehnte, Ryan wieder zu sehen. "Es ist damals auch nicht mit Teleri gut gegangen", dachte sie und eine Mischung aus Eifersucht sowie Schuld befiel ihre Gedanken. Immer noch fürchtete sie sich davor, dass Ryan eines Tages womöglich erkennen könnte, dass sie einen Fehler begannen hatte, dass sie Teleri vermissen würde und zu ihr zurückkehren würde. Teleri, dieser Name löste ein eigenartiges Gefühl in Ayesha aus. Nie hatte sie einen Gedanken daran verschwendet, wie es ihr gehen könnte. Es war einfach bedeutungslos für sie gewesen, andere Sorgen hatten sie geplagt. Warum dachte sie genau in diesem Moment an die Person, mit welcher Ryan einen großen Teil ihres Lebens verbracht hatte? Nachdenklich starrten ihre Augen ins Nichts, ihr Geist versuchte Antworten auf ihre Fragen zu finden, doch wie so oft misslang es ihr. Immer noch erschien ihr die ganze Sache als grotesk, als so widersprüchlich, wie viel war bereits passiert und wie sehr hatte sie sich selbst verändert? "Ryan", wisperte Ayesha leise und schloss ihre müden Augen. "Wo bist du nur? Was hält dich noch auf? Es muss etwas wichtiges sein, nicht wahr? Irgendetwas hält dich fest und du weißt nicht, ob du gehen oder bleiben sollst. Nun, ich kann dich gewiss nicht zwingen zu mir zurück zukehren, wie sollte ich auch? Ich weiß ja nicht mal wo du bist", traurig senkte Ayesha ihren Blick, streichelte Loba immer noch geistesabwesend über ihr Fell. "Ich vermisse dich, und ich weiß, dass du es ebenfalls tust. Ich habe es gefühlt an jenem Morgen, es war deutlich genug. Gekämpft hast du, um bei mir bleiben zu können. Warum kämpfst du jetzt nicht? Ich würde so gerne verstehen, doch das kann ich erst, wenn du mir die Antworten gibst. Wann wird das sein? Wann werde ich endlich verstehen können? Ryan, ich habe dir versprochen zu warten, das tue ich...Schon so lange... Doch, wie lange soll ich noch warten? Willst du mich immer nur versteckt besuchen, so subtil, dass ich es fast gar nicht gewahr werde? Nicht nur ich warte auf dich", flüstere sie, schenkte Loba einen liebevollen und verstehenden Blick. Sie wusste, auch die schwarze Wölfin sehnte sich nach Ryan. Sie litt nicht alleine... Seufzend lief Ayesha einige Schritte vorwärts, der Schnee ächzte unter ihren Schritten gequält auf. Es gab vie zu tun, ihr Vater war vorgeritten, die ganze Verantwortung lag auf ihr. "Dann kannst du dich schon einmal an das Gefühl gewöhnen", hatte er vor seinem Aufbruch gesagt, doch genau dieser Satz löste bei Ayesha in diesem Augenblick nur ein kaltes Lächeln aus. "Daran gewöhnen", dachte sie bitter. "Wer hat gesagt, dass ich mich an dieses Gefühl gewöhnen will?" Ein greller Pfiff durchzuckte die idyllische Morgenstille. Loba spitzte ihre Ohren, lief eilig zu dem Mädchen hinüber, welches sie augenblicklich an lächelte. "Komm, Loba", sagte Ayesha missmutig. "Wir haben viel zu tun, sehr viel..." Loba bellte leise, wedelte mit ihrem Schwanz und lief vorweg, wandte dann noch einmal dem Mädchen ihren Kopf zu. Seltsam waren diese Menschen doch, aber trotzdem gab es eine Sache um das man diese Wesen beneiden konnte. Das wusste Loba, man konnte sie um die Fähigkeit zu hoffen beneiden... Mit langsamen Schritten folgte Ayesha der schwarzen Wölfin, blieb dann jedoch kurz stehen und ihr Blick glitt über eine der kahlen Trauerweiden. "Ryan", dachte sie abermals und hüllte sich fester in ihren Mantel ein. "Ich habe dir versprochen zu warten, und du hast mir versprochen zurück zukehren. Ich hoffe, du hältst dein Versprechen, wie ich das meine gehalten habe... Liebe wartet, dass weißt du, aber manchmal kann auch sie nicht ewig warten...Es tut ansonsten zu weh...Wenn ich noch länger warten muss, werde ich verrückt..." Stimmengewirr erfüllte die Luft, eilig liefen Männer hin und her, verstauten Proviant, schlugen die Zelte ab, suchten ihr eigenes Hab und Gut zusammen und in ihren Augen klomm ganz langsam Angst auf. Angst vor den Wölfen, welche über sie herein brechen wollten. Jeder von ihnen wusste, was ihnen blühte, wenn die Wölfe sie wirklich dieses Mal einholen sollten. Ja, jeder von ihnen wusste es, doch wie ihr Tod aussehen würde, dass konnten sie nur erahnen... Doch die Gewissheit, dass es ein langsamer, qualvoller Tod sein würde, beschleunigte ihre Arme und Beine, ließ den Geist nicht zur Ruhe kommen. Angst war wahrlich die gefährlichste Waffe gegen Menschen, sie verursachte einen Kopflosenzustand, machte einen unaufmerksam und zu einer leichten Beute... Finster beugte Ragan die Szenerie, welche sich ihm bot. Er hatte alles veranlasst, war dafür verantwortlich, dass die Männer so gut wie keine Spuren hinterließen. Sie würden genauso lautlos verschwinden, wie sie es jedes Jahr taten. "Wie jedes Jahr", dachte Ragen bitter und verschränkte die Arme vor seiner Brust. "Wie viele Jahre machen wir das schon mit? Was bringen diese ganzen Überfälle? Wem nützen sie? Mir gewiss nicht, niemanden, sie sind wie ein Tropfen auf einen heißen Stein. Er verpufft, ehe er den Stein überhaupt berührt hat. Sinnlos, so sinnlos..." Finster starrten Ragan in den grauen Himmel, die Wolken waren bauchig, dunkel und dicht. "Schnee", sagte er leise zu sich selbst und lächelte schief. "Schnee ist gut, verdeckt unsere Spuren. Manchmal tun selbst die Götter ein gutes Werk." Müden fuhr sich Ragan durch sein Haar, er war seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen, überwachte den Abbau des Lagers und hoffte, dass sie schnell genug waren. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würden sie aufbrechen. Er lächelte versonnen bei dieser Vorstellung. Seine Frau, er würde sie endlich wieder sehen. Wie sehr wünschte er sich das. Er wusste, sie missbilligte es, dass er sobald der Frühling einkehrte wieder verschwand, doch was hatte er für eine Wahl? Er war es Markos schuldig, sie hatten viel zusammen durch gestanden, waren wie Brüder, und dennoch fragte er sich insgeheim, was Markos mit all dem bezweckte. Glaubte er wirklich, dass er den Wölfen so großen Schaden zufügte? "Vielleicht sind kleine besser als gar keine", dachte Ragan und legte seine Hand auf den Knauf seines Schwertes. Er hatte sich darauf vorbereitet, es einzusetzen und das würde müssen. Wenn er sich nicht vielen Dingen gewiss sein konnte, so wusste er, dass er am heutigen Tag kämpfen würde. Die glänzende Klinge würde ehe die Sonne versank Blutspuren aufweisen. Wolfsblut... "Man sagte mir, du suchst mich." Erschrocken zuckte Ragan zusammen, drehte sich um und seine Augen verengten sich leicht, als er der jungen Frau ins Gesicht blickte. "Ja", murmelte er und es klang übelgelaunt. "Ich hatte es irgendwann aufgegeben dich zu suchen, Mädchen." Auch Ryans Augen verengten sich, nahmen einen bösen Ausdruck an und sie verschränkte ihrerseits die Arme vor der Brust. "Ich kann es nicht ausstehen, wenn man mich Mädchen nennt. Ich habe einen richtigen Namen, und ein Kind bin ich schon lange nicht mehr." Ragan lachte leise auf, schüttelte seinen Kopf und nickte schließlich. "Gut, dann verzeih einem ungehobelten Kerl wie mir seine Ausdrucksweise." Kopf schüttend wandte er seinen Blick wieder dem geschäftigen Treiben zu. "Was machen sie da?" hörte er die junge Frau hinter sich fragen. "Nach was sieht es denn für dich aus?" gab Ragan die Frage zurück und schmunzelte leicht. "Wir brechen unser Lager hier ab, es wird Zeit nachhause zurück zukehren. Bald werden wir verschwunden sein." Scharf sog Ryan die kalte Winterluft in ihre Lungen, verschwinden würde sie, so schnell wie sie in ihr Leben getreten waren, so schnell wollten sie dieses auch wieder verlassen. "Närrin", hörte sie in sich eine Stimme. "Wie konntest du glauben, du könntest ein Teil davon werden? Naiv wie eh und je...Kleines Waldkind, Einsamkeit...Einsamkeit..." Zitternd presste Ryan ihre Handflächen gegen ihre Ohren, wollte diese Stimme in sich zum verstummen bringen, doch es misslang. Immer noch hörte sie die höhnische Stimme Resas in ihrem Geist. "Ryan, ist alles in Ordnung mit dir?" Besorgt legte sich eine Hand auf ihre Schulter, drückte sanft zu und Ryan schlug irritiert ihre Augen wieder auf. "Ja", stieß sie hervor und beruhigte sich langsam. "Es ist alles in Ordnung..." Argwöhnisch hob Ragan eine Augenbraue an, forschte in Ryans Gesicht, doch alles was er erblicken konnte, war, dass es unbewegt und kalt erschien. "Ein seltsames Mädchen", dachte er und nahm seine Hand wieder fort. "Warum hast du nach mir gesucht?" fragte Ryan, nachdem sich ihr wild klopfendes Herz wieder beruhigt hatte und die höhnische Stimme in ihrem Geist immer leiser und leiser geworden war. "Nun, nicht ich habe dich eigentlich gesucht, sondern Markos", bekannte Ragan und lächelte wissend. "Er möchte mit dir sprechen." "Er will sich wohl eher von mir verabschieden", schnaubte Ryan wütend und presste dann verbittert ihre Lippen aufeinander. "Ja, das auch", Ragan nickte leicht, er wusste, seinem Freund viel dieser Abschied nicht leicht, doch manchmal hatten Menschen keine Wahl. Vielleicht aus dem Grund, dass sie, Markos und er selbst, schon viel zu lange auf diesem Weg wandelten und ein Umdrehen bereits zu spät war. "Folge mir, ich bringe dich zu ihm", sagte Ragan und versuchte ein Lächeln zustande zu bringen. "So wie ich ihn kenne, will er dich aus anderen Gründen sehen." Schwungvoll drehte Ragan sich um und lief schweigend los. Skeptisch sah ihm Ryan hinterher, zitternd hüllte sie sich in ihren Umhang, doch diese Kälte in ihren Gliedern wollte nicht weichen. Immer noch waren ihre Lippen aufeinander gepresst, sie wollte jetzt nicht sprechen. "Aus anderen Gründen", dachte sie und konnte sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen. "Er will mir bestimmt sagen, dass wir uns nicht mehr sehen werden. Niemand hält es lange in meiner Gegenwart aus...Niemand." "Denkst du immer solchen Schwachsinn?" Erschrocken hob Ryan ihren Kopf, blickte direkt in Ragans dunkle Augen, in welchen der Zorn aufblitze, wie bei einem nächtlichen Gewitter. Beschämt senkte sie ihren Blick. Ihr war es immer noch unangenehm, dass diese Menschen womöglich ihre Gedanken verstanden, sie hörte, als wären sie laut ausgesprochene Worte. "Glaub mir, Ryan", flüsterte Ragan und umfing ihre Hand mit der seinen. "Das will er dir bestimmt nicht sagen, es sind andere Gründe die ihn beschäftigen. Gründe die auch dich betreffen, ob es dir gefällt oder nicht, es sind andere Dinge...ganz andere..." Sanft umfing Ragans starke Hand Ryans, sein Blick wurde weich und er nickte ihr leicht zu. "Komm, je länger du hier wartest, dir Dinge vorstellst welche womöglich falsch sind, verlierst du kostbare Zeit." Vorsichtig setzte Ragan einen Fuß vor den anderen, brach somit auf sanfte Weise Ryans Widerstand und führte sie schweigend fort vom Lagerplatz. Lautlos fielen die ersten Schneeflocken des Tages, sanft, als wären sie Federn wurden sie vom aufkommenden Wind hin und her gefegt. Der Himmel hüllte sich in eine gräuliche Farbe ein, ließ seine kleinen, kalten Boten hinab zur Erde gleiten, um die Welt mit einem eisigen Schlaf zu überziehen, welcher lange anhalten würde... Die Welt brauchte ihn dringend, diesen Schlaf, welcher sie zur Ruhe kommen ließ, ihr neue Kraft schenkte, um im Frühling neues Leben zu gebären... Seufzend schüttelte Markos sein Haupt und einige Schneeflocken rieselten auf den Boden hinab. Seine Hände zitterten leicht, doch in diesem Augenblick schien es ihm nichts auszumachen. Er war zu weit fort, als das er diese irdischen Gefühle hätte wahrnehmen können. Die Zeit schien still zu stehen, auch sie hielt den Atem an, wartet auf den großen Sturm. "Alles weiß", dachte Markos und sein Blick schweifte über die mit Schnee bedeckte Erde. "Bald wird eine weitere Farbe hinzukommen. Rot...rotes Blut...Sie kommen, lange kann es nicht mehr dauern, ich fühle sie...Sie sind hungrig...Sehr hungrig..." Mit einer schnellen Handbewegung schlug Markos die Kapuze seines Umhangs über seinen Kopf, und starrte hinauf in den grauen Himmel. "Jetzt fallen sie wieder", flüsterte leise zu sich selbst. "Zerfetzte Flügel, tote Seelen, welche nicht zur Ruhe kommen können... Schwester, bist auch du dort irgendwo? Kämpfst auch du um deinen ewigen Frieden? Ich hoffe du kannst mir verzeihen, was ich nun tun werde, es muss sein. Dich konnte ich nicht retten, du wolltest es auch gar nicht, habe ich Recht? Du wolltest nicht gerettet werden, doch vielleicht vermag ich es bei ihr..." Laut heulte der Wind auf, wehte Markos einige Schneeflocken ins Gesicht und ließ seinen Körper erstarren. "Hör auf", murmelte er gereizt und seine Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. "Ich werde ihr nichts erzählen, was sie nicht schon an sich selbst bemerkt hat. Ich wusste wie ähnlich sie dir ist, doch nicht wie sehr..." "Ich glaube, du hörst deine eigene Stimme sehr gerne, oder? Ansonsten würdest du nicht jedes Mal, wenn ich dich aufsuche, mit dir selbst sprechen." Ein schiefes Lächeln schmückte Markos Gesicht, als er sich Ryan zu wandte und sie kurz musterte. "Ist es nicht besser, die eigene Stimme zu hören, als eine, die einem nur Lügen erzählt?" fragte er und ging langsam auf sie zu. "Ich glaube, dass liegt eher im Auge des Betrachters", versetzte Ryan und funkelte Markos an. "Auch die eigene Stimme kann einen belügen." "Wie wahr, wie wahr", leicht nickte ihr Markos anerkennend zu und hielt kurz inne. "Ich hatte mit deinem Erscheinen eigentlich kaum noch gerechnet, ich dachte eher, ich würde hier zu einem Eiszapfen erstarren." "Nun, eine gewisse Ähnlichkeit kann ich dir leider nicht absprechen", für den Bruchteil eines Augenblicks erhellte sie Ryans Gesicht, sie klopfte ihrem Onkel den Schnee von der Schulter und sah ihn lange an. Wie seltsam das Leben doch spielen konnte. So lange hatte sie daran geglaubt alleine zu sein, dass das Wort Familie für sie nur eine höhnische Farce darstellte. Wie seltsam war es nun, dass dieser Mann alles an Familie repräsentierte, was sie besaß. Doch auch er würde wieder gehen, so schnell wie er gekommen war, genauso schnell würde er wieder verschwinden. Augenblicklich verhärteten Ryans Gesichtszüge, wurden wieder so kalt und unbewegt wie eh und je. "Was hast du?" fragte Markos, dem diese Veränderung in ihrem Gesicht nicht entgangen war. "Was los ist?" Abschätzend hob Ryan ihren Kopf, konnte er es sich wirklich nicht denken? "Ich frage mich nur, warum du mich erst suchst, mich zu dir holst und mich dann sofort wieder alleine lässt. Aber, was hätte mir anderes erwarten können? Es ist immer wieder das gleiche, irgendwann tut es nicht mehr weh..." "Hältst du mich für so herzlos?" Unschlüssig zuckte Ryan mit den Achseln, was sollte sie darauf schon antworten? "Weißt du Ryan", begann Markos und verschränkte seine Arme hinter dem Rücken. "Wir können uns nicht immer aussuchen, wie unser Leben aussehen soll. Vielleicht wäre es unter anderen Umständen ganz anderes gekommen, doch, das alles wäre reine Spekulation. Früher, bevor ich dich gefunden habe, habe ich jeden Frühling zu Bredal (*) gebetet, ich bat ihn um ein Zeichen, das mich endlich auf die richtige Spur bringt. Doch durch die Dauer des Frühlings und Sommers hindurch, wurde ich immer wieder enttäuscht", kurz hielt Markos inne, blieb dicht vor Ryan stehen und zwang sie, ihm in seine Augen zu sehen. "Glaubst du wirklich, ich hätte so lange nach dir gesucht, um dich dann sofort wieder gehen zu lassen?" "Warum geht ihr dann?" fragte Ryan ihrerseits und bemühte sich ihre Stimme fest und sicher klingen zu lassen, sie durfte jetzt keine Schwäche zeigen. "Wir wollen nicht gehen, wir müssen gehen. Hier ist unsere Heimat, doch wir sind schon seit Jahren in ihr nicht mehr willkommen, verstehst du? Unsere Familien, sie brauchen uns auch. Meine Frau, meine Kinder, ich habe sie so lange nicht mehr gesehen...So lange." Irritiert blickte Ryan Markos an. "Du hast Kinder?" fragte sie so leise, das es kaum noch ein Hauchen war. Ein glückliches Lächeln bildete sich um Markos Mund, er nickte leicht und legte Ryan sanft eine Hand auf die Schulter. "Ja, zwei Mädchen, ich vermisse sie sehr. Alleine wegen ihnen muss ich zurück." Schweigend sahen sich beide an, lautlos tanzten die Schneeflocken um sie herum und der eisige Schlaf der Welt begann... "Ryan", fest umfing Markos die Schultern seiner Nichte und wich nervös ihrem forschenden Blick aus. "Ich glaube, du hast gewiss sehr viele Fragen. Ich dachte mir, du möchtest mir wenigstens jetzt schon einige von ihnen stellen." Betreten blickte Ryan auf die weiße Schneedecke hinab. Fragen, ihr Kopf war voll von ihnen. Es war kein Tag vergangen, an welchem sie sich keine gestellt hatte. Oft war es ihr erschienen, als wäre ihr Kopf wie ein Fluss, welcher über die Ufer trat, da sein Fassungsvermögen für die neuen Wassermassen nicht mehr ausreichte. Jedoch, war es nicht besonders eine Frage, welche sie so sehr beschäftigte, ihr den Schlaf raubte, ihren Verstand vernebelte? Sie spürte wie ihr Körper zu zittern begann, Kälte drang durch ihre Stiefel, ihr Atem beschleunigte sich und bildete kleine, weiße Wölkchen. "Meine Eltern", wisperte sie und hob ihren Kopf. "Wie waren meine Eltern?" "Deine Eltern", wiederholte Markos ebenso leise, seine Augen schlossen sich, er schien sich zu konzentrieren, zu erinnern. "Dein Vater", begann er nach einer kurzen Weile zu erzählen. "Er war ein guter Krieger, doch das war es nicht, was ich an Lucan immer so geschätzt habe. Er besaß eine Fähigkeit, welche nur wenige Menschen haben. Egal was geschah, wie verzweifelt um ihn herum alle sein konnte, dein Vater brachte es immer wieder fertig ein Lächeln auf traurige Gesichter zu zaubern. Glaub mir, Ryan. Dein Vater war ein guter Mann. Er kämpfte mit seinem ganzen Herzen dafür frei zu sein. Er hatte sich so sehr auf dich gefreut." "Wenn ich das alles höre, dann habe ich wohl nicht viel von ihm", entschied Ryan missmutig. "Das glaube ich dir nicht, vielleicht hast du diese Seite in dir einfach noch nicht gefunden. Rein äußerlich kommst du eher nach der Familie deiner Mutter." Ein kurzes Aufblitzen in Markos gelbgrünen Augen ließ Ryan zusammenzucken, und sie wich einige Schritte zurück. "Erschrecken dich deine Augen?" fragte Markos plötzlich und folgte ihr. "Meine haben mich mein ganzes Leben lang erschreckt. Eine Laune der Natur, nichts, vordem man sich fürchten muss, Ryan. Nimm es als Segnung der Götter, es macht unsere Familie zu etwas besonderem." "Familie", sprach Ryan, und es klang wie ein Kind, das ein neues Wort zum ersten Mal aussprach. Ungewohnt, neu fühlte es sich auf der Zunge an. "Ich wusste nie, was dieses Wort für eine Bedeutung hat...Nie..." Schmerz lag in diesen Worten, so viel Schmerz, dass es Markos schwindelte. Sein Stein begann aufzuleuchten, ließ ihn den Schmerz und die Verzweiflung seiner Nichte spüren, als wären diese Emotionen seine eignen. "Vielleicht verstehst du es jetzt", stieß er hervor, kämpfte darum seinen Geist vor diesen Gefühlen zu verschließen. "Deine Mutter. Ich muss gestehen, ich bin nicht unbefangen, wenn ich über sie spreche. Ich habe sie sehr geliebt, und wenn ich in dein Gesicht blicke, ist es so, als wäre sie noch hier... Kara war eine stolze Frau. Jemand, dem du dich anvertrauen konntest. Sie wusste immer Rat, wusste immer was zu tun war. Selbst wenn Ragan, ich oder jemand anderes gezaudert hat, deine Mutter schien nach außen hin immer stark zu sein. Doch, da gab es noch eine andere Seite in ihr", wisperte Markos und vermied es Ryan bei seinen Worten ins Gesicht zu blicken. Er fürchtete sich vor dem Ausdruck in ihren Augen. "Weißt du, so sanft und liebevoll Kara sein konnte, so gnadenlos brachte sie ihre Gegner zur Strecke. Sie jagte sie, als wären sie Tiere...Mir ist das nie verborgen geblieben...Nie..." "Was?" fragte Ryan und trat einige Schritte näher, bis sie direkt vor Markos stand, seine Zweifel in den unergründlichen Augen erblicken konnte, sie verstand seine Worte in diesem Augenblick nicht. "Deine Mutter, sie steigerte sich während jedem Kampf in eine Art Rausch. Ihre Augen, sie wurden so kalt, ausdruckslos, doch ich fühlte es. Ja, ich fühlte ihre Emotionen, wenn sie einem Gegner ihr Schwert in den Leib stieß. Zu sah, wie sich sein Blut langsam über den Boden verteilte... Ich...Ich fühlte wie sie sich an diesem Anblick weidete, fühlte ihren Stolz. Das Töten bereitete ihr Vergnügen, verstehst du?" Abrupt verstummte Markos, blickte Ryan aus trüben Augen an und lächelte bitter. "Begreifst du? Es war eine Art Spiel für sie, eine groteske Art des Vergnügens... Ich empfand nie so, ich schäme mich jedes meiner Opfer. Doch Kara war stolz darauf, schmückte sich damit, als wäre es Geschmeide. Sie war so, wie du es heute bist... Auch dir bereitet das Töten Vergnügen. Du bist auch leider in diesem Charakterzug das Ebenbild deiner Mutter..." Steif verharrte Ryan in ihrer Position, fest ballten sich ihre eisigen Hände zu Fäusten. Wut vibrierte in ihren Nerven und ihr Blut pochte gleichmäßig, aber hart, gegen ihre Schläfen. "Ich...Ich bin nicht so...Ich bin nicht so...", stieß sie gequält hervor und funkelte ihr Gegenüber wütend und nervös an. "Warum lügst du jetzt? Ich habe es doch gesehen", flüsterte Markos. "Ein kleines, ängstliches, wütendes Mädchen. Alles hat es getan, um geliebt zu werden. Getötet hat es, schnell, kaltblütig, ohne Angst und auch ohne Reue. Warst du wirklich einst so einsam, Ryan? Was glaubst du denn, warum diese Frau dich so einfach manipulieren konnte? Man kann niemanden so formen, außer er trägt diese Anlagen bereits in sich..." Am ganzen Körper bebend stand Ryan da, ihre Fingerknöchel traten weiß hervor und ihr Atem entwich keuchend ihrer Kehle. "Hast du das vernommen?" hörte sie die gehässige Stimme Resas in ihren Ohren. "Ich habe dein Potenzial nur geweckt, es geformt. Du warst schon immer so, wärst es auch ohne mein Zutun geworden...Eine kleine Mörderin...Diese Veranlagung liegt offenbar in der Familie...Mörderin...Monster..." "Sei still", schrie Ryan, presste ihre Hände fest gegen ihren Kopf und sank auf ihre Knie nieder. "Mach dich nicht lächerlich...Ich werde immer wieder kommen, vielleicht sogar in dem Moment, in welchem du es am wenigsten erwartest...Irgendwann werde ich wieder kommen...Mein kleines, hübsches Geschöpf..." "Nein", schluchzte Ryan, vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Heiße Tränen wärmten ihre eisigen Finger, glitzernde Spuren blieben auf ihren Wangen zurück. Plötzlich spürte sie, wie sich zwei Arme zärtlich um sie legten, sie fest an einen anderen Körper drückten. "Du wirst noch lange gegen sie kämpfen müssen", meinte Markos und strich ihr beruhigend über ihr Haar. "Noch sehr lange, irgendwann wird sie verschwinden. Glaub mir, irgendwann..." "Hilf mir", schluchzte Ryan und barg ihr Gesicht an seiner Brust. "Bitte, lass mich mit dir gehen...Bitte, hilf mir." "Onone weiß, nichts wäre mir lieber", bekannte Markos, wischte Ryan die Tränen fort und nahm ihr Gesicht sanft zwischen seine Hände. "Nichts wäre mir lieber, ich wollte dich fragen, ob du mit uns kommen willst, aber die Zeit ist dafür noch nicht gekommen. Dich zieht es doch in eine ganz andere Richtung, oder?" Schluchzend blickte Ryan Markos an. "Ayesha", dachte sie. "Ayesha...ich habe es ihr geschworen, und ich will sie auch wieder sehen...Ich...Ich habe nur Angst..." "Du brauchst keine Angst zu haben, mein Kind. Sie wartet auf dich, vermisst dich, sorgt sich. Geh zu ihr, Ryan. Das ist in diesem Augenblick dein Weg." "Ich kann aber nicht", schrie Ryan laut, trommelte mit ihren Fäusten auf Markos Brust ein. "Ich werde sie auch vernichten...Jeden reiße ich mit ins Verderben...Ich kann das ihr nicht auch noch antun...Es geht nicht...Verdammt..." Kopfschüttelnd blickte Markos auf das zusammengekauerte, weinende und zitternde Wesen in seinen Armen hinab. "Manche Dinge kann man sich auch einreden. Es liegt an dir, was du aus dieser neuen Chance machst. Gib dir doch selbst noch eine Chance, Ryan. Ihr habt sie beide verdient. Das Mädchen liebt dich." Aus verweinten Augen blickte Ryan auf. Sah wie ihr Markos zu lächelte, ihr sanft über die Wange strich und nickte. Langsam beruhigte sich ihr Atem, ihr Herz verlangsamte sich, schlug wieder im normalen Takt. "Vertrau mir", sagte Markos. "Es wird alles gut, irgendwie wird alles..." Die Worte auf seinen Lippen erstarben, die gelbgrünen Augen Markos weiteten sich, und dann schrie er plötzlich laut und gellend auf. Sein Körper wurde schwer in Ryans Armen, beide sackten zu Boden. Verstört blickte Ryan in das schmerz verzehrte Gesicht ihres Onkels, sie fühlte wie ihr eine heiße Flüssigkeit über die Finger ran. "Markos", schrie Ryan und versuchte Markos und sich selbst wieder aufzurichten. "Was hast du?" "Wölfe", stieß dieser gequält hervor. "Sie sind schon da...Ich dachte, sie würden erst später kommen...Ich..." Vorsichtig tasten sich Markos Finger zu seinem Rücken, feines Holz fühlte er. Ein Pfeil, sauber getroffen hatte er, genau unterhalb seiner Rippen. "Komm", zischte Ryan. "Ich bring dich hier weg." Schwitzend klemmte sie einen Arm unter Markos und schleifte ihn mit sich. Sie hörte wie er gequält aufstöhnte, doch sie trieb ihn immer weiter. Angst befiel ihren Geist. Wölfe...Katlar...Hatte er sie schon wieder gefunden? "Ich werde nicht zu lassen, dass du mir zum zweiten Mal meine Familie stiehlst", dachte sie zornig. "Dieses Mal nicht, Wolf. Dieses Mal nicht..." Trotz der eisigen Kälte, sammelten sich feine Schweißperlen auf Ryans Stirn, ob diese von Anstrengung oder Angst herrührten, vermochte sie nicht zu sagen. "Ryan", die schwache Stimme Markos drang zu ihr hinüber, und sie hielt an. "Was ist?" "Lass mich hier", krächzte er und versuchte zu lächeln. "Lass mich hier...Deine Sachen, ich habe sie von Ragan unten am Fluss deponieren lassen. Unter einer großen Steinplatte, du kannst sie nicht verfehlen..." "Wer von uns beiden ist verrückt? Ich lasse dich nicht alleine, verstehst du? Ich lasse dich nicht hier zurück", zischte Ryan und hörte, wie Schnee unter Stiefeln ächzte. "Ich komme zurecht", erwiderte Markos, packte den Pfeil mit einer Hand und brach ihn oberhalb der Spitze ab. "Siehst du?" fragte er und hielt triumphierend den abgebrochenen Pfeil in der Hand. "Ich nehme einen anderen Weg, damit sie weder dir noch den anderen folgen können. Sie werden mich nicht finden, sie haben mich noch nie gefunden." Liebevoll lächelte Markos seine Nichte an, legte ihr eine Hand auf die Wange und zog sie nahe an sein Gesicht heran. "Ich werde mit dir in Kontakt treten, Ryan. Lerne mit ihm, er wird dir sehr nützlich sein, und wir werden miteinander sprechen können. Unsere Familie ist zusammen, vergiss das nie. Zusammen sind wir, endlich. Und jetzt, lauf, lauf und grüß das Mädchen von mir." Erneut traten Tränen in Ryans Augen, fest drückte sie den Körper des Mannes, welcher ihre Vergangenheit gelüftet und ihr Verstehen geschenkt hatte, an sich. "Ich weiß, wir werden uns wieder sehen", flüsterte sie und versuchte die Tränen zurück zudrängen. "Ich danke dir für alles...Für alles, danke, dass ich endlich weiß wer ich hätte sein können. Ich danke dir, Onkel." Bei diesem Wort breitete sich ein wohliges Lächeln auf Markos Gesicht aus, hart schluckte er und löste sich dann aus Ryans Armen. "Lauf jetzt, Ryan. Mach schon, lauf." Zögernd löste sich Ryan von Markos, ging langsam einige Schritte zurück. "Auf was wartest du? Lauf, jetzt." "Auf bald, Markos", flüsterte Ryan, wandte ihrem Onkel den Rücken zu und rannte los. Der Wind wehte ihr scharf ins Gesicht, feine Schneeflocken blieben in ihrem Haar und auf ihrem Gesicht kleben. Die kleinen Flocken verflüssigten sich auf ihrer Haut, vermischten sich mit dem salzigen Wasser aus ihren Augen. Immer schneller lief sie, immer schneller, bis sie zwischen den mächtigen Baumstämmen verschwunden war. Seufzend blieb Markos sitzen, lehnte seinen Oberkörper leicht gegen den Baumstamm. Er wusste, viel Zeit zum Ausruhen hatte er nicht. Müde schloss er seine Augen, atmete tief und ruhig durch. Ein schwerer Weg lag noch vor ihm, ein langer beschwerlicher Weg. Ein vertrockneter Ast begann neben ihm leise zu knarren. Verstört öffnete Markos seine Augenlider, riss diese im nächsten Moment auf und sein wütender Blick fixierte eine glänzende, tödliche Pfeilspitze... Kühl blickten sie sich an, keine Regung war in beiden Augenpaaren zu erblicken. Unbewegt und leblos waren sie, wie die Welt um sie herum. Keiner sprach ein Wort, was hatten Worte schon für ein Gewicht? Im Gegensatz zu Taten waren sie bedeutungslos... Tief glitten ihre Geister hinab in Erinnerungen, in längst vergangene Zeiten und Situationen. Jung waren sie gewesen, naiv, unwissend was das Schicksal noch mit ihnen plante. Man sagt: Wenn man jung ist, hat man noch Träume... Was war aus diesen für sie beide geworden? Aufgegeben hatten sie eben diese Träume. Sie waren im Strudel der Zeit verblasst... Langsam entspannte sich die Sehne des Bogens, die Pfeilspitze sank gen Boden und ein leises Lachen zerriss die drückende Stille. "Lange nicht gesehen, Rabe", sprach der Mann und wischte sich einige lästige Haarsträhnen aus der Stirn. "Ja", bestätigte Markos. "Wir haben uns lange nicht gesehen, alter Freund." Lächelnd bot der Mann Markos seine Hand an, dieser ergriff sie zögernd und ließ sich von ihm in die Höhe ziehen. Ein schneidender Schmerz durchzuckte Markos Körper und er blies zischend die Luft aus seinen Lungen. "Verzeih mir den Schuss, Markos. Ich musste es tun, sonst hätten die Männer bestimmt verdacht geschöpft. Sie mögen einfach sein, doch so einfach auch wieder nicht." "Ich weiß", presste Markos hervor, sein Blick musterte den Mann vor sich. "Du hast dich verändert, Gerin. Sehr verändert." Der zuvor freudige Ausdruck in Gerins Gesicht verschwand, wurde ernst und sorgenvoll. "Jeder verändert sich auf seine Weise, du hast dich auch seit unserem letzten Treffen verändert." "Seit diesem sind auch Jahre ins Land gegangen, Wolf. Sehr viele Jahre." Stumm nickte Gerin, blickte den verletzten Mann vor sich an. Unweigerlich begann er sich zu erinnern. Diese Situation war ihm so erschreckend vertraut, doch die Rollen schienen nun vertauscht. Unstet schweifte Gerins Blick über die weiße Landschaft, auf dem Waldboden waren Fußspuren deutlich sichtbar. Schnell, eilig waren sie. "Warum hast du sie laufen lassen? Ein so guter Schütze wie du", meinte Markos und wies auf seine Wunde. "Hätte sie gewiss nicht verfehlt." Nachdenklich wiegte Gerin seinen Kopf hin und her, spannte erneut seinen Bogen und atmete ruhig durch. "Ja, es wäre ein sauberer Schuss geworden, er hätte sie sofort getötet. Doch, der Wind ist ungünstig, er hätte sie treffen können, oder..." seine Finger ließen den Pfeil los, leise sirrte er durch die Luft, schlug in einen mächtigen Baumstamm ein, und Gerin beendete seinen Satz: "Er hätte sie verfehlen können." Ein leises Lachen entfuhr Markos Kehle, doch im nächsten Moment verzog sich seine Gesicht wieder vor Schmerz. Freundschaftlich schlug er Gerin auf die Schulter und nickte leicht. "Ja, er hätte sie auch verfehlen können. Ich danke dir, Gerin." "Ein Leben für ein anderes, erinnerst du dich daran? Wir sind quitt, Rabe. Wir sind quitt. Meine Schuld bei dir ist damit bezahlt..." Schweigend musterte Markos Gerin. Immer noch war ihm dieser Mann unheimlich, nie konnte man gewiss sein, was sich hinter diesen Augen abspielte. Nie wusste man, wer Gerin eigentlich war. Er roch wie ein Wolf, benahm sich wie einer, und dennoch erschien es Markos oftmals, als wäre dieser Mann mit sich nicht im Einklang. Irgendetwas schien unentwegt in Gerin zu kämpfen, welche Seite der Medaille repräsentierte sein wahres Ich? "Gerin, darf ich dir eine Frage stellen?" Kaum merklich nickte Gerin, doch sein Blick blieb immer noch starr geradeaus gerichtet. Markos atmete tief durch, sammelte Kraft für die Frage, welche ihm schon seit Jahren auf der Zunge brannte. "Warum tust du das alles? Warum sendest du mir, Jahr für Jahr, Botschaften über die Transporte? Wieso schadest du deinen eigenen Leuten? Du wusstest, dass sie bei dem letzten Transport dabei war...Warum hilfst du uns...Warum?" Ein leises, kaltes Lachen ließ Markos zusammenzucken, er blickte in das verschlossene Gesicht Gerins. Irgendetwas schien sich plötzlich in seinen Augen zu bewegen, sie funkelten wie glühende Kohlen und er wandte Markos sein Gesicht zu. "Warum ich das alles tue?" wiederholte er die ihm gestellte Frage. "Eigentlich ist es ganz einfach." Geschmeidig wie ein Katze kam Gerin näher, die feinen Haare in Markos Nacken richteten sich auf, als würde er Gefahr spüren...Seit wann war Gerin für ihn eine Gefahr? "Ich glaube, Markos, du hast die ganze Sache noch nicht so richtig verstanden. Ihr seid alle noch am Leben, weil es mich gibt. So lange ich Verwendung für euch habe, werde ich euch schützen... Hast du geglaubt, ich tue das alles weil du mir einst mein Leben gerettet hast? Nein, so dumm bist du nicht. Du hast doch nicht etwa geglaubt, ich hätte keinen Nutzen davon, oder?" Argwöhnisch verfolgte Markos jede Bewegung seines Gegenübers, unmerklich umschloss seine Hand den Knauf seines Dolches... "Markos, lass deine Waffe stecken", zischte Gerin bedrohlich. "Ich werde dir nichts tun, ich brauche dich noch." "Von was redest du, Gerin?" fragte Markos und in seiner Stimme schwang Furcht mit. "Was das alles soll? Wie gesagt, es ist so einfach. Du willst Antworten, die kann ich dir geben. Barolon, ihr habt ein sehr schönes Land, Markos. Ein sehr schönes, doch es wird von Schwachköpfen regiert. Um was kümmern sie sich denn? Um Reichtum, Festigung ihrer Macht... Macht, welche sie doch schon so lange verloren haben", leise begann Gerin zu lachen, kristallklar hallte sein Lachen von den Bäumen herüber. "Es ist so einfach den hohen Rat zu lenken, eure Überfälle beschäftigen sie sehr. Sie glauben, so viel durch sie zu verlieren. So lange es deine Männer und dich gibt, liegt ihre Aufmerksamkeit nicht auf wichtigen Dingen. Sie bemerken doch nicht einmal, wie ich ihnen ihre Macht Stück für Stück wegnehme..." "Und Ryan? Was für eine Figur ist sie auf deinem Spielbrett?" "Deine Nichte", zischte Gerin. "Auch sie hat für mich eine Funktion, eine sehr, sehr wichtige. So lange sie lebt, ist auch die Aufmerksamkeit meines Bruders auf einen Punkt konzentriert. Warum glaubst du, habe ich sie entkommen lassen? Aus Barmherzigkeit? Sei kein Narr, Markos. Als sie in Katlars Gefangenschaft weilte, bemerkte ich bereits, dass er seine Nase in Dinge steckte, welche ihn nichts angehen. Du siehst, ihre alle erfüllt für mich wichtige Aufgaben..." "Alles kleine Spielfiguren, nicht wahr, Gerin?" schnaubte Markos missbilligend. "Meister der Manipulation, damit schmückst du dich gerne. Ich wusste das, aber ich wusste nicht, wie töricht du bist. Wenn der hohe Rat hinter dein Spiel blickt, wirst du vor deinem Tod kaum Zeit zum atmen haben..." "Narr", fiel ihm Gerin wütend ins Wort, schritt auf ihn zu und packte Markos an seinem Umhang. "Wer sind diese Lügner denn noch? Sie sind wie Puppen, tanzen nach der Musik, welche ich ihnen vorgebe. Sie ahnen doch überhaupt nichts...Nichts... Schon seit so vielen Jahren haben sie ihre Macht und ihren Einfluss verloren. Ich unterzeichne alle wichtigen Dokumente, auf mich hören die Krieger, ich treffe die Entscheidungen. Sie wissen doch nicht, dass ich es sein werde, der ihnen ihr Lebensleicht ausblasen wird. Einen nach dem anderen..." "Und dein Bruder?" hastig befreite sich Markos aus dem Griff Gerins, verzog verächtlich seinen Mund und seine Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. "Was ist mit ihm? Wann wirst du ihn töten?" "Mein Bruder", sann Gerin. "Für ihn ist es die schlimmste Strafe in seinem Leben gefangen zu sein. In einem Leben, welches keines mehr ist. Er ist doch schon vor langer Zeit gestorben, nur noch seine von Hass zerfressene Hülle ist noch hier. Von mir wird er kein Leid erfahren, sein Leben ist die schlimmste Strafe. Er wird deine Nichte weiter jagen, so lange, bis einer von ihnen tot am Boden liegt. Doch ich ahne, wer es sein wird." "Und was ist mit uns? Wirst du auch uns einen nach dem anderen töten?" "Nein", versicherte Gerin, doch dieses Mal klang es aufrichtig. "Freunde tötet man nicht...Nicht einmal ein Wolf tut so etwas..." Zitternd vor Wut starrte Markos das Wesen vor sich an, das Wesen, welches er geglaubt hatte zu kennen. Auch diese Maske war nun gefallen, der Blick hinter diese hatte Markos erschreckt, ihn wieder in die Realität zurückgeholt. Wölfe waren, selbst wenn jemand diesen Teil in sich gut verbergen konnte, immer vorhanden. Warum erschreckte ihn das so? Spielten sie nicht alle ein falsches Spiel? Versuchte nicht jeder für sich das Beste heraus zu schlagen? Warum hatte er geglaubt, bei Gerin wäre das anders? Er hatte um seine Fähigkeiten gewusst, doch ihm war nie in den Sinn gekommen, dass er selbst nur eine Spielfigur auf dessen Spielbrett gewesen war. "Sie kommen", sagte Gerin leise. "Der Rabe sollte seine Flügel ausbreiten, die anderen Vögel sind bereits gen Süden gezogen...Es wird auch für ihn Zeit..." Niedergeschlagen nickte Markos, schleppte sich schwerfällig an Gerin vorbei, doch dieser legte ihm seine Hand auf die Schulter und hielt ihn somit zurück. "Auf bald, mein Freund. Ich werde dir im Frühling eine Nachricht zu kommen lassen. Bis zum Frühling..." Ein leises, enttäuschtes Lachen kam über Markos Lippen, er nickte leicht, befreite sich aus Gerins Griff und lief weiter. "Ja", antwortete er in seinen Gedanken. "Bis zum Frühling, Wolf... Bis zum Frühling..." (*) Bredal: Gott der Familie, Beschützer der Kinder und der Ehe, barolonischer Gott. Nachwort: Also, hab nur ich das Gefühl, oder werden die Kapitel, je näher das Ende rückt, immer länger? Ich hoffe, es war nicht zu lang... Deshalb an die Freischalter: Ein dickes Entschuldigung für die Länge. So, was soll ich schreiben? Ich hoffe, das Kapitel war einigermaßen in Ordnung. Aufgrund von Unistress hat es länger gedauert. Tja, mein Gerin, ich liebe diesen Charakter, manch einer mag glauben, dass dieses "zweite" Gesicht nicht zu ihm passt. Ich glaube es allerdings schon... Na ja, Ryan ist auf dem Weg zu Ayesha, schauen wir mal, was uns da noch erwartet. Wir nähren uns ja dem Ende. Doch einige Dinge kommen noch... In dem Sinne, bleibt mir gewogen, bis bald! © 2003 by seen Kapitel 22: Wo Dunkelheit herrscht, existiert auch Licht -------------------------------------------------------- Wo Dunkelheit herrscht, existiert auch Licht Eisig wehte der Wind durch die zersplitterten Fenster, die scharfen Kanten des zersprungenen Glases glitzerten im fahlen Licht der Sonne auf. Gefährlich und gleichermaßen schön wirkten sie auf ihren stummen Betrachter. Schon seit den frühen Morgenstunden saß er hier, beobachtete, wie sich das Licht im Glas einfing, wie es sich mit jeder weiteren Stunde, welche verstrich, veränderte. Erst war es ein rötlicher Schimmer gewesen, dann ein warmer Goldton, nun klang dieses Leuchten langsam aus, verglühte wie eine Kerze im Wind... Schwerfällig erhob er sich, seine Glieder schmerzten durch die eisige Kälte, welche vor Stunden seine Gefühle hatte sterben lassen. Ein Lächeln legte sich um seine Mundwinkel, Staub wirbelte unter seinen Stiefeln auf und vermischte sich mit den letzten Sonnenstrahlen. Seine Schritte waren bedächtig, langsam, als hätte er alle Zeit der Welt. Er brauchte sich nicht mehr zu eilen, die Welt um ihn herum beeilte sich schon genügend. Schnelllebig, kalt und rau war sie geworden... "Seltsam", dachte er und trat dicht an das Fenster, betrachtete die scharfen Kanten des Glases. "Früher hatte ich mir alles anders vorgestellt...Früher hatte ich an so viel geglaubt, was ist damit nur passier? Was ist mit mir passiert? Verändert hat sich alles, nicht nur ich mich, einfach alles ist anders geworden...Alles..." Fasziniert beobachtete er wie sich ein Sonnenstrahl an dem glatten, zerstörten Glas brach. Das Licht stach ihm in seine Augen, doch er lächelte immer noch. Vorsichtig streckte er seine Hand aus, umfing einen kleinen Teil des zersprungenen Glases mit seiner Hand. Er atmete tief durch, als er den Widerstand des Materials auf seiner Haut spürte. "Einst war es ein schönes Haus, oder?" dachte er und verzog bitter seinen Mund. "Ein perfekter Ort um sein Leben zu genießen... Wie falsch ich lag, diese Schönheit ist schon seit Jahren fort gegangen...Zusammen mit dir ist sie verschwunden... Sie wird niemals zurückkehren...Niemals..." Scharf sog er die Luft in seine Lungen, tief schnitt ihm das Glas in die Handfläche, doch er löste seinen Griff nicht. Verstärkte diesen sogar noch und presste seine Lippen fest aufeinander. Schmerz durchflutete seinen Körper, sein Geist versuchte den Körper zum Rückzug zu drängen, doch der Körper reagiert nicht, verharrte in dieser Position... Bitter war sein Lächeln, die Augen blieben ausdruckslos, so ausdruckslos, wie sie es schon seit Jahren waren, es womöglich immer sein würden... "Das ist alles was ich noch fühle", dachte er zornig, starrte auf die rote Flüssigkeit, die langsam an den glatten Seiten des Glases hinab floss. "Schmerz, mehr kann ich nicht mehr fühlen...Nur noch Schmerz lässt mich wissen, dass ich noch lebe, existent bin... Jämmerlich..." Zitternd löste er seinen Griff, besah sich die tiefe Wunde. Ein tiefer, rötlicher Schnitt verlief quer über seine Handfläche. Blut sickerte unaufhörlich aus ihr hinaus, er lächelte erneut. Soweit war es nun schon gekommen, so nahe war er seinem eigenen Abgrund. Unaufhaltsam kam dieser näher, mit jedem Tag mehr spürte er, dass bald sein Tag gekommen war. Bald würde man ihn in diesen Abgrund stoßen, es war sinnlos sich etwas einreden zu wollen. Lange konnte es nicht mehr dauern. "Welch ein Segen", dachte er und zeichnete eine feine Blutspur mit seinem Zeigefinger nach. "Welch ein Segen wäre es, wenn sie mich endlich erlösen würden, wenn ich endlich gehen könnte..." Er hatte aufgegeben, er war es müde zu kämpfen, man hatte ihn zerbrochen, er war von jeher zerbrochen gewesen. Nachdenklich senkte er seinen Blick, ließ seine schmerzende Hand sinken und starrte hinaus in den trüben Tag. Verstecken, ein seltsames Spiel, er hatte es nie gerne gespielt, nicht einmal als kleiner Junge. Er war nie die Beute für die Jäger gewesen, er war jedes Mal einer der Jäger. Er hatte die Beute aufgespürt, sie zur Strecke gebracht. Wie stolz er immer auf sich gewesen war. "Ironie des Schicksals", murmelte er so leise, dass man es kaum verstehen konnte. "Jetzt bin ich die Beute und sie sind die Jäger...Welche Ironie..." Eine der Bodendielen knarrte leise, kaum merklich drehte er seinen Kopf, lächelte schief, atmete ruhig und gelassen. Krachend schlug Metal auf Metal, Sonnenstrahlen brachen sich auf den glatten Oberflächen der Schwerter, welche sich vor den beiden Männern kreuzten. Irritiert hob der Mann eine Augenbraue an, beugte den Besucher über den Rand seiner schwarzen Klinge hinweg. "Der Jäger ist da", sagte er leise und senkte sein Schwert. "Wie hast du mich so schnell gefunden, Gerin?" "Das war nicht schwer", antwortete der angesprochene und senkte seinerseits sein Schwert. "Ich wusste, wenn es einen Platz auf der Welt gibt, an welchem du dich verstecken würdest. Dann hier, Katlar, dann hier in deinem alten Haus." Anerkennend nickte Katlar seinem jüngeren Bruder zu, drehte sich um, hob sein Schwert an und sah verzaubert zu, wie sich die Sonnenstrahlen an der schwarzen Klinge brachen. "Schlauer Welpe", sagte er und lachte leise auf. "Weißt du eigentlich, wie viel Blut an dieser Klinge klebt? Vielleicht ist es genau aus diesem Grund so dunkel... Das Blut meiner Gegner scheint in ihm eingefangen zu sein, ich weiß schon gar nicht mehr wie viele Menschen ich getötet habe..." Stumm lauschte Gerin den Worten seines Bruders, müde senkte er sein Haupt. Wie unwirklich war dieser Moment? Sein stolzer Bruder, der ihm immer so mächtig und kalt erschienen war, zerbrach vor seinen eigenen Augen. "Dein Stern verglüht und meiner beginnt zu erstrahlen", dachte Gerin und trat einige Schritte näher. "Das hätten wir beide nie geglaubt, oder? Der Lauf des Schicksals, ein Leben verglüht, ein anderes entsteht..." "Wie viel Zeit habe ich noch, Gerin?" die eisige Stimme Katlars durchschnitt die drückende Stille zwischen ihnen, wie eine scharfe Klinge. Geräuschlos wandte er sein Gesicht seinem Bruder zu, suchte seine Augen, blickte tief in diese, forschte darin nach der Antwort auf seine Frage. "Nicht mehr viel", bekannte Gerin leise. "Sie werden bald hier sein, du musst fort." Ein kraftloses Lachen entrann Katlars Kehle, er schüttelte leicht seinen Kopf. "Nein", wisperte er schließlich. "Ich laufe vor ihnen bestimmt nicht davon. Alles wird sich so fügen, wie es einst gedacht war. Ich bin kein Tier, welches sich versteckt." Zitternd ballten sich seine Hände zu Fäusten, Blut quoll aus seiner Faust, tropfte leise gen Boden, Zorn rötete seine Wangen. Er würde nicht davon laufen, er war ein Krieger, ein Krieger lief nicht vor der Gefahr davon. Er bezwang sie, stellte sich ihr. "Ich laufe nicht weg, Gerin", wiederholte Katlar stolz. "Ich bin kein Feigling..." "Nerom ist tot." Augenblicklich hob Katlar seinen Blick, starrte seinen Bruder fassungslos an. "Was?" stieß er hervor und wich einige Schritte zurück. Fest stützten sich seine Handflächen am Rahmen des Fensters ab, suchten einen Halt. "Man hat ihn heute Morgen gefunden, in seinem Arbeitszimmer. Seine Kehle war sauber durchtrennt, niemand hat etwas bemerkt", erzählte Gerin weiter, seine Augen schienen bei jedem Wort kälter zu werden. "Die Wachen können es sich nicht erklären, sie haben niemanden bemerkt", flüsterte Gerin, um seine Mundwinkel zuckte es kaum merklich. "Der hohe Rat ist in Aufruhr, man sucht fieberhaft einen Schuldigen, ich glaube, sie haben dich im Augen, Bruder." Unbewegt starrte Katlar seinen Bruder an, seine Augen verengten sich und sein Blick wurde fest. "Wir wissen beide", begann Katlar und kam einige Schritte auf Gerin zu. "Das ich es nicht war. Ich mache mir an so jemanden nicht die Hände schmutzig. Nerom wäre diesen Auffand nicht wert gewesen. Ich bin nicht derjenige von uns beiden, der hoch hinaus will..." Nervös wich Gerin dem forschenden Blick seines Bruders aus, sein Blut pochte ihm heftig gegen seine Schläfen, feiner, kalter Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn. "Warum?" fragte Katlar mit ungewohnter Ruhe in der Stimme. "Warum, Gerin? Warum..." Zitternd vor Wut verharrte Gerin, fest presste er seine Lippen aufeinander. Er spürte, wie sich eine starke Hand auf seine Schulter legte, sanft zu drückte. "Gerin", flüsterte Katlar und schüttelte seinen Kopf. "Gerin, warum?" "Warum?" stieß dieser hervor, schlug die Hand seines Bruders von seiner Schulter. "Du fragst ausgerechnet mich nachdem warum, Katlar?" Ein leises, kaltes Lachen füllte den Raum. "Er war nur der Anfang", schrie Gerin so laut, dass sich seine Stimme drohte zu überschlagen. "Er hat uns beide benutzt, er hat unseren Vater töten lassen...Er...Er hat den Tod verdient, er war es nicht wert länger die Sonne zu sehen. Das war erst der Anfang, Katlar. Erst der Anfang von etwas viel größerem..." Stumm betrachtete Katlar das wütende Wesen vor sich. Schuld stieg plötzlich in ihm auf. Leicht runzelte er die Stirn. Wie viele Jahre hatte er dieses Gefühl nicht mehr verspürt? Hatte er sich jemals in seinem Leben wirklich schuldig an etwas gefühlt? Erschöpft schlossen sich seine Augen. Bilder tauchten in seinem Geist auf. Ein kleiner Junge, die Bewunderungen in seinen Augen versetzte Katlar einen schmerzhaften Stich. Zischend presste sich sein Atem zwischen seinen Zähnen hindurch, und er öffnete wieder seine Augen, blickte seinen Bruder schweigend an. "Warum nur, Gerin?" dachte er voll Trauer. "Warum bist nur genauso geworden wie ich? Warum..." Sprachlos musterte Katlar seinen jüngeren Bruder, der Mann vor seinen Augen, verwandelte sich plötzlich wieder in den kleinen Junge mit den leuchtenden Augen, welche immer voll Hoffnung gewesen waren. Er jetzt realisierte Katlar, dass diese Hoffnung aus Gerins Augen verschwunden war. Sie war erloschen... "Katlar", wie aus einer anderen Welt schien die Stimme Gerins zu ihm zu sprechen. Verstört blickte Katlar auf. "Ich bitte dich, verschwinde von hier. Sie werden bald hier sein. Ich möchte, dass du meinen Sieg über sie miterlebst, mir später dienst, Bruder." Stolz waren diese Worte, siegesgewiss. Verneinend schüttelte Katlar sein Haupt, schlug sich seinen schweren Mantel über die Schulter und ging auf seinen Bruder zu, dicht neben ihm blieb er stehen, schloss ihn fest in seine Arme. "Ich werde gehen", raunte er und spürte, wie sich sein Gegenüber in seinen Armen versteifte. "Aber ich werde deinen Sieg nicht miterleben, Gerin. Nicht jedes Sieges kann man sich rühmen... Jeder Sieg endet auf die eine oder andere Weise in einer Niederlage..." Abrupt löste Katlar seine Umarmung, sein Blick wurde kalt, er stieß seinen Bruder von sich weg, durchquerte den Raum mit festen Schritten. "Außerdem, Gerin", flüsterte er leise und schlug sich die dunkle Kapuze über seinen Kopf. "Ich werde niemals jemandem dienen, der genauso leblos ist wie ich...Niemals..." Leise knackte das Holz unter der Last der Flamen auf, Funken stoben aus der kleinen runden Öffnung, verglühten rasch im kalten Wind... Sanftes Dämmerlicht brach durch die Fenster, die kleinen Lichtpartikel schimmerten auf dem Pergament. Seufzend lehnte sich Ayesha zurück, missmutig wischte sie die Pergamentrollen vom Tisch. Mit einem leisen Aufprall fielen sie gen Boden. Zufrieden lächelte sie, schloss ihre Augenlider und atmete befreit durch. Sie wusste, dass man von ihr erwartete diese Schriften zu lesen, man hatte sie ihr nicht ohne Grund gebracht. "Ihr müsst lernen", hatte Leta zu ihr gesagt. "Ihr müsst noch viel über die Politik unseres Stammes lernen, erst dann seid ihr in der Lage uns zu führen." Verbittert verzog Ayesha ihr Gesicht, als sie sich die Worte der ihr so vertrauten Frau ins Gedächtnis rief. Ayesha war sich der Tatsache bewusst, dass Leta es nur gut mit ihr meinte. Außerdem schuldete ihr Ayesha so viel. "Durch mich hat sie ihren Mann verloren", dachte sie und seufzte leise auf. "Ich schulde ihr Freundlichkeit und Respekt, aber ich kann das nicht, ich will das alles nicht..." Ein leises Brummen riss Ayesha aus ihren düsteren Überlegungen, sie lächelte, als sie Loba gewahr wurde. Die schwarze Wölfin lag zu ihren Füßen, ihr Kopf ruhte auf ihren Vorderpfoten, doch ihr Blick war auf sie gerichtet. "Was hast du, Loba?" fragte Ayesha und streichelte ihrer treuen Freundin über ihr Fell. "Warum so verdrießlich?" Ein weiteres Mal brummte Loba als Antwort, das Tier fühlte sich nicht wohl. Irgendetwas schien nicht zu stimmen, doch sie konnte nicht genau benennen, was es war. "Fühlst du es auch?" fragte Ayesha, erhob sich, beugte sich zu dem Tier hinab und blickte ihm fest in die Augen. "Ich fühle es, irgendetwas ist passiert...Irgendwo, doch ich weiß nicht, was es ist. Meinst du, sie ist es, Loba? Glaubst du, es ist Ryan?" Bei der Erwähnung dieses Namens hob Loba sofort den Kopf, blickte sich nach allen Seiten um, doch sie erblickte das große Mädchen nicht. "Verzeih mir", flüsterte Ayesha und barg ihr Gesicht in Lobas Fell. "Ich hätte wissen müssen, wie du bei ihrem Namen reagierst. Verzeih mir, altes Mädchen..." Zärtlich stupste Loba mit ihrer Schnauze in Ayeshas Halsbeuge, leckte ihr sanft über die Wange und kläffte leise. Ein leises Lachen entfuhr Ayesha, sie drückte die Wölfin fest an sich und starrte über ihren Körper hinweg in die Flammen des Kaminfeuers. "Ich weiß nicht mehr was ich tun soll", dachte sie, hörte aber nicht auf der schwarzen Wölfin gedankenverloren über ihr Fell zu streichen. "Immer noch hoffe ich, dabei ist Hoffnung meistens vergebliche Mühe... Warum gibst du mir kein Zeichen, nur ein Zeichen, mehr brauche ich nicht...Bitte, Ryan...Nur ein Zeichen..." Schweigend quittierte die Welt Ayeshas Wunsch, Stille herrschte und nur das Knacken des Kaminfeuers verursachte ein Geräusch. Seufzend schmiegte Ayesha ihre Wange in Lobas Seite, ihr Blick schweifte gedankenverloren durch den Raum. Wie seltsam war es, dass nun sie hier in diesem Zimmer saß. Das Zimmer, in welchem sonst nur ihr Vater Einzug hielt, wichtige Dinge entschied und oftmals seinen Gedanken frönte. Es war ein merkwürdiges Gefühl plötzlich auf seinem Platz zu sitzen, seine Politik zu überdenken, Entscheidungen zu treffen. Unwillkürlich fragte sich Ayesha, ob sie für solch ein Leben überhaupt geschaffen war. Ob sie es vermochte, dass diese Menschen ihr irgendwann einmal genauso vertrauten wie ihrem Vater. Wäre sie sie dieses Vertrauens würdig? Schon seit Wochen quälten Fragen Ayeshas Geist, ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Unentwegt stellte sich nur eine Frage: war dass das Schicksal, welches sie für den Rest ihres Lebens tragen wollte? Schon von jeher hatte sie sich vor dem Tag gefürchtet, an welchem sie vielleicht die Nachfolge ihres Vaters antreten müsste. Sie hatte sich vor den Entscheidungen gefürchtet, davor, an einem Ort gebunden zu sein. Niemals fort zu können... Die Tage ihrer Reise mit Ryan und Wido erschienen ihr aus der Sicht ihres Zuhauses, als glückliche Stunden. Es war ein anderes Leben gewesen, ein freies, ungebundenes. Wie sehr sehnte sie sich nach diesen Tagen zurück. Nach den Stunden, in welchen sie zusammen mit Ryan durch die Wälder gestreift war. Wie sehr sehnte sie sich nach der Nähe dieser einen Person? Das Feuer im Kamin flackerte wild auf, kalte Luft traf Ayesha an ihrem Rücken und sie fröstelte. "Habe ich nicht gesagt, dass ich von niemandem gestört werden will?" fragte sie barsch und wandte dem Besucher ihr Gesicht zu. Kalte Augen begegneten den ihren, Sorge und Trauer hatten sie erstarren lassen. Die ältere Frau antwortete nicht auf die ihr gestellte Frage, sie lächelte schief und trat einige Schritte näher an Ayesha heran. "Verzeiht mir, wenn ich eure Ruhe störe", sprach Leta, und der beißende Unterton in ihrer Stimme ließ Ayesha zusammenzucken. "Was willst du, Leta? Was ist denn so wichtiges geschehen, dass du mich trotz meiner Bitte störst?" Die grünen Augen der älteren verengten sich zu kleinen Schlitzen, seufzend warf sie ihre, von grauen Strähnen durchzogenen Haare, zurück. "Die Männer bitten euch nach draußen zu kommen. Sie wissen nicht, was zu tun ist." "Bei welcher Angelegenheit können sie denn nicht selbst entscheiden?" fragte Ayesha missmutig und erhob sich. Loba hob ihren Kopf, gähnte und stellte sich dann beschützend vor ihre Herrin. Die feinen Haare auf ihrer Schnauze kräuselten sich, leise knurrte sie, dem Tier missfiel diese ältere Frau. "Das, meine Liebe", erwiderte Leta und wandte sich zum gehen. "Solltet ihr besser selbst in Augenschein nehmen." Kalte Abendendluft umhüllte Ayesha wie eine feindliche Umarmung. Ein heftiges Zittern erfasste ihren Körper. Rötliches Licht ergoss sich über den Himmel, spiegelte sich auf dem unbewegten Seewasser wider und die Sonne war schon halb mit den Bergen verschmolzen. Leise rauschte der Wind in den kahlen Ästen der Weiden, sanft wiegten sie in ihm, wie zu einem stummen Wiegenlied. Schweigend schloss Ayesha ihre Augen, lauschte dieser Melodie und lächelte leicht. "Die Trauerweiden klagen ihren Schmerz", dachte sie bitter. "Sie klagen ihn ebenso stumm wie du es tust, Ryan." Stimmen drangen in ihr Bewusstsein, schnaufend schlug Ayesha ihre Augen wieder auf, blickte zu Loba hinunter, die ihren Kopf leicht schräg gelegt hatte und diese Szenerie verfolgte. "Komm, Loba", flüsterte Ayesha der Wölfin zu. "Lass uns nachschauen, warum man wieder keine Entscheidung ohne mich fällen kann." Loba bellte laut als Antwort und folgte ihrer Herrin Schritt für Schritt. Ihr gefiel diese Situation nicht, und für die Wölfin war es eine beschlossene Tatsache, dass sie ihre Herrin vor diesen Menschen schützen würde, wenn sie es für nötig hielt. Der Schnee knirschte laut unter Ayeshas Stiefeln auf, der kalte Wind riss an ihren Haaren und wirbelte ihr Schnee ins Gesicht. Leise fluchend hüllte sich Ayesha tiefer in ihren Mantel ein. "Wie erduldet es nur mein Vater jeden Tag von neuem, dass er als unersetzbar betrachtet wird? Warum wird er dieser Verantwortung nie müde?" Seufzend schüttelte Ayesha ihren Kopf, als vor ihr die Menschentraube auftauchte. Wild gestikulierend standen die Jäger beisammen, einige Frauen und Kinder hielten zu dem Geschehen Abstand, betrachteten sie mit großen Augen, während sie sich ihren Weg durch die streitenden Männer bahnte. "Was ist hier los?" frage Ayesha und ihre Stimme hatte einen anderen Ton angenommen. Es war nicht mehr die Stimme eines Mädchens, viel eher die Stimme eines Erwachsenen, welcher sich seiner Aufgaben und Verantwortungen vollends bewusst war. Augenblicklich verstummten die Männer, nur der größte von ihnen hob seinen Blick und begann zu sprechen: "Verzeiht uns, dass wir euch gestört haben, aber es ist etwas während der Jagt vorgefallen." Schweigend sah Ayesha den bärtigen Mann vor sich an. Sie kannte ihn von Kindesbeinen an, vieles hatte er ihr beigebracht, Spuren zu deuten, Tiere ausfindig zu machen. Wie grotesk war es nun, dass er sie mit solch einem Abstand und solch einer Untertänigkeit behandelte. "Dann sag mir doch, was euch widerfahren ist, Peryan. Dann ist es mir auch möglich zu entscheiden", erklärte Ayesha und lächelte ihr Gegenüber sanft an. Auch auf dem Gesicht des älteren Mannes zeigte sich ein Lächeln, er nickte leicht und wies auf einen der anderen Jäger. "Wir wurden angegriffen", sagte er und seine Stimme wurde genauso klirrend kalt, wie der Wind. "Wir verfolgten die Spur eines Ebers, da geschah es. Völlig lautlos stürzte sich etwas auf uns. Karalun und Stervas wurden verwundet. Glaubt mir, Ayesha. Es geschah ohne unser zutun." Nachdenklich beugte Ayesha Peryan, ein Angriff. Wer sollte sie angreifen wollen, wer hätte davon einen Nutzen? Unweigerlich dachte Ayesha an Torats Vater, war er es womöglich gewesen, um die Schmach seines Sohnes zu sühnen. "Konntet ihr erkennen, wer euch angegriffen hat?" fragte sie schließlich und in ihrer Stimme schwang Besorgtheit mit. Ein stolzes Lächeln zierte das Antlitz Peryans, er nickte leicht und gab einem seiner Männer ein Zeichen. "Ja, dass haben wir, Ayesha", sprach er mit dem Stolz eines Jägers, welcher seine Beute erlegt hatte. "Wir haben die Person nicht nur erkennen können, wir haben sie auch gleich gefangen genommen." Argwöhnisch beobachtete Ayesha, wie zwei der Männer etwas auf sie zu schleiften. Schlaff hing der Körper in den Armen der Männer, keine Gegenwehr, kein Laut drang an ihre Ohren. Wie tot hing der Mensch zwischen den Männern. Mit einem ächzen warfen die Jäger den bewegungslosen Körper auf die schneebedeckte Erde. Augenblicklich färbte sich die feine Schneedecke rot. Schmutz und Blut vermischten sich mit der Reinheit des Schnees... "Dreht sie um", befahl Peryan barsch und die Männer gehorchten. Augenblicklich weiteten sich Ayeshas Augen, sie schlug die Hände vor ihren Mund, um den Schrei, welcher ihrer Kehle entrinnen wollte, zurück zu halten. Tränen glitzerten in ihren Augenwinkeln, ihre Hände zitterten und ihr Blut pochte ihr wild gegen die Schläfen. "Wo...Wo ist es passiert?" presste Ayesha hervor, sie war sichtlich darum bemüht ihre Fassung zu wahren. "Oben auf der Anhöhe", antwortete Peryan und musterte Ayesha kritisch. "In der Nähe der Höhle. Ayesha, kennt ihr die Frau?" Stumm starrte Ayesha auf den leblosen Körper hinab. Schmutz und Blut ließen das Gesicht unkenntlich werden. Fest schien eine der Hände etwas zu umklammern, die Lippen waren durch die Kälte spröde und rissig. Vorsichtig tapste Loba auf den Körper zu, beschnupperte die Haare, sog den Geruch tief in ihre tierischen Lungen ein. Plötzlich schienen sich ihre Augen zu erhellen, sie bellte laut und wedelte mit ihrem Schwanz. Ebenso vorsichtig trat Ayesha neben die schwarze Wölfin. Das Tier blickte sie an, in ihrem Blick lag Erlösung. Erlösung, um welche Ayesha eine so lange Zeit gebetet hatte... Zitternd beugte sie sich zu dem Körper hinab, berührte sanft das Gesicht. Kälte durchdrang jede Faser ihres Körpers, getrocknetes Blut blieb an ihren Finger kleben. "Ayesha", weit entfernt schien die Stimme Peryans. Weit, weit entfernt, unwichtig war sie plötzlich geworden. "Kennt ihr sie?" Erstarrt nickte Ayesha, ihre Augen suchten die Peryans. "Sie hat...Sie hat mir das Leben gerettet, ohne sie wäre ich jetzt nicht hier...", wisperte Ayesha und umfing die eiskalten Hände mit den ihren. Schnell entstieg ihr Atem ihrer Kehle, unkontrolliert zuckten ihre Glieder. Was bot sie wohl gerade für ein Bild? Stumm betrachtete Peryan diese Szene, welche sich seinen Augen bot. Nachdenklich wiegte er seinen Kopf hin und her. Er hatte in die Augen Ayeshas geblickt, gesehen, was sich tief in ihnen ereignete. Freude, Erleichterung, Erlösung, all das hatte er gesehen. Er fragte sich nur, warum diese Gefühle in dem Mädchen aufgestiegen waren. Er verstand es nicht... "Bringt sie in mein Haus." "Wie bitte?" bestürzt blickte Peryan die Tochter seines Herren an. "Seid ihr wahnsinnig? Sie ist gefährlich, sie hat uns angegriffen. Verzeiht mir, aber diese Bitte muss ich euch abschlagen Ayesha." "Es war keine Bitte, Peryan", sagte Ayesha und ihre Stimme war scharf wie eine geschliffene Klinge. "Es war ein Befehl." Für einige Augenblicke starrten sie sich an, jeder versuchte den stummen Widerstand des anderen zu brechen, als Sieger aus diesem Kampf zu treten. Schützend stellte sich Loba vor den bewusstlosen Körper, bleckte die Zähne und knurrte bedrohlich. "Siehst du", zischte Ayesha. "Sie wird eher sterben, als das sie zulässt, dass dieser Frau etwas passiert und ich sehe das genauso." Resignierend strich sich Peryan über seinen Bart, er seufzte leise. "Also gut, ihr habt gewonnen, Ayesha. Ihr habt gewonnen." Mit einem lauten Pfiff wies er zwei der Jäger an, den Körper der Frau in die Hütte Ayeshas zu tragen. Kurz musterte Peryan erneut das Gesicht Ayeshas. Äußerlich schien es unbewegt, so als wäre nichts geschehen, jedoch erzählten ihm ihre Augen eine andere Geschichte. Freundschaftlich legte er Ayesha eine Hand auf die Schulter und flüsterte ihr zu: "Ich hoffe, du weißt was du tust, Ayesha." Die sanften grünen Augen blickten ihn dankbar an und für die Dauer eines Herzschlages breitete sich ein Lächeln auf Ayeshas Antlitz aus. "Vertrau mir, Peryan", flüsterte Ayesha ebenso leise. "Ich weiß was ich tue...Nie zu vor war ich mir einer Sache so sicher...Nie..." Taub schien ihr Geist zu sein, gelähmt von den Ereignissen des Nachmittages. Stille umschloss sie, nahm sie in sich auf. Dankbar war sie für diesen Zustand, niemand störte sie, beobachtete ihre Bewegungen oder ihre Mimik. Sie hatte sich vor diesen ganzen Augen gefürchtet. Unermüdlich hatte sie den Augenblick herbei gesehnt, um mit ihr alleine zu sein. Die Wachen hatte sie fort geschickt, sie brauchte sie nicht. Warum sollte sie auch? Sie wusste, dass ihr keine Gefahr drohte, nicht von ihr... Leise ließ sich Ayesha auf die Bettkante gleiten, zögernd streckte sie ihre Hand aus. Sie wollte dieses Gesicht berühren, dieses Gesicht, nach welchem sich all ihre Sinne gesehnt hatten. Zärtlich strich sie über die kalte Haut, zeichnete die Konturen des Gesichtes nach, prägte sich jede Linie genau ein. Nie wieder wollte sie diesen Anblick missen...Nie wieder... Nun, da sie den Schmutz und das Blut fortgewischt hatte, konnte sie auch wieder ihre ganze Schönheit erblicken. Viele Wunden hatten den Körper überseht, neue Narben hatte sie entdeckt. Ihr schwindelte bei dem Gedanken, was ihr wohl alles widerfahren war. Wie viel Schmerz, wie viel Leid... Hart schluckte sie, ihre Kehle schnürte sich mit jedem Atemzug immer weiter zu, bis sie um Atem rang. Ungläubig strich sie über die kalte Gesichtshaut, als wollte sie sich vergewissern, dass es kein Traum war. Das sie zurückgekehrt, existent war. "Ich habe mich so sehr nach dir gesehnt", wisperte Ayesha, auch wenn sie wusste, dass man sie nicht hörte. "Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich gehofft und gelitten habe. Jeden Tag von neuem habe ich gehofft, zu den Göttern gebetet, dass du zu mir zurückkehrst...Jeden Tag, doch ich wurde so oft enttäuscht...So oft..." Fest presste Ayesha ihre Lippen aufeinander, beugte sich über den Körper, legte ihren Kopf auf die Brust, lauschte dem gleichmäßigen Herzschlag. Wie unwirklich war dieser Moment? Wie ein Traum, welcher die Nacht überdauert hatte. Sie hatte so viel geträumt... Zärtlich umfing Ayesha eine der Hände mit der ihren, drückte sacht zu und erhob sich. "Ich gehe jetzt", flüsterte sie und lächelte. "Ich sehe später wieder nach dir, du brauchst jetzt Ruhe...Viel Ruhe..." Schnell führte sie die Hand an ihre Lippen, hauchte einen flüchtigen Kuss auf die Haut und wandte sich zum gehen. Kalte Finger umklammerten ihre Hand, hielten sie so fest, dass es schmerzte. Erschrocken blieb Ayesha stehen, drehte sich um. Unkontrolliert zuckten die Augenlider, leise gemurmelte Worte drangen an ihre Ohren. Dicht beugte sich Ayesha über den Mund, um einige Worte zu verstehen, doch es war vergebens. "Ryan", sagte sie leise, Tränen glitzerten in ihren Augen. "Ryan, keine Angst, ich bin hier...Ich bin bei dir..." Ryans Körper zitterte, ihre Augenlider begannen leicht zu flattern. Keuchend wandte sie sich hin und her. Ihre Gesichtsmuskeln spannten sich an, als kämpfe sie gegen etwas in sich, gegen den langen Schlaf des Vergessens... Fest umklammerte Ayesha die Hand Ryans, drückte sie gegen ihre Brust. "Ryan", schluchzte Ayesha und ließ ihren Kopf hängen. "Ryan, bitte...Bitte...Ich liebe dich..." "Warum...Warum weinst du?" Irritiert hob Ayesha ihren Blick, starrte fassungslos in diese wunderschönen Augen, welche sie vom ersten Moment an gefangen genommen hatten. Schweigend sahen sich beide an. Fieberhaft suchte Ayesha in ihrem Kopf nach Worten, doch sie blieben aus. Starr sah sie zu, wie sich auf Ryans Gesicht ein Lächeln ausbreitete, Wärme lag in ihm. Nur selten hatte Ayesha solch ein Lächeln bei ihr erblicken dürfen. Ihre Maske war gefallen... Sanft zog Ryan sie zu sich, blickte sie schweigend an. Ihr Körper war immer noch durch die Kälte und den Nahrungsmangel der letzten Tage geschwächt, doch wie bedeutungslos war das in diesem Moment. "Du bist so wunderschön", flüsterte sie und vernichtete die Tränenspuren auf den Wangen Ayeshas. "So wunderschön..." "Sprich nicht so viel", erwiderte Ayesha und legte ihr zärtlich einen Finger auf die Lippen. "Du bist noch zu schwach." Lächelnd schloss Ryan für einen kurzen Moment ihre Augen, genoss die Wärme des anderen Körpers. Markos hatte Recht gehabt, es hatte sie in eine andere Richtung gezogen. Zu jenem Menschen, welchen sie jetzt in ihren Armen halten durfte. "Ich bin so glücklich", hörte sie die Stimme Ayeshas flüstern und Ryan schlug wieder ihre Augen auf. "Ich bin so glücklich, dass du lebst, bei mir bist." Erneut rannen Tränen Ayeshas Wangen hinab, fest schlang sie ihre Arme um Ryans Körper und drückte diesen an sich. "Ich...Ich hatte es dir geschworen", raunte Ryan sanft. "Ich hatte es dir geschworen, Ayesha..." Zaghaft nickte Ayesha, verlor sich in den sanften Augen Ryans. Schweigend strich sie Ryan über ihre Wange, sie spürte den warmen Atem auf ihrer Haut und ein Schauder jagte ihren Rücken hinab. Zögernd beugte sich Ayesha vor, hielt den Atem an. Verlangen schien sich ihres Geistes zu bemächtigen, doch irgendetwas hielt sie zurück. Vielleicht war es die Angst etwas falsch zu machen, zu schnell vorzugehen. Sie spürte die Hand Ryans auf ihrer Wange, wie sie ihren Kopf näher zu sich zog. Sie wehrte sich nicht... Wärme vertrieb die kalten Schatten aus Ryans Gliedern, als sie die warmen Lippen Ayeshas auf den ihren spürte. Alles wurde bedeutungslos. All der Schmerz, all die vielen dunklen Stunden verloren ihr Gewicht. Eine lange Reise schien endlich ihr Ende gefunden zu haben...Endlich ein Ende... Eine schmerzliche Sehnsucht wurde gestillt, Zweifel fielen von ihr ab wie Schnee, der im Frühling zu tauen beginnt. Alles schien sich zum ersten Mal in ihrem Leben richtig anzufühlen... "Ayesha", flüsterte Ryan leise, sank zurück in die Kissen und umfing die Hand Ayeshas mit der ihren. "Ich bin so müde...so müde..." Glück ließ Ayeshas Gesicht weich werden, sorgsam deckte sie Ryan zu. "Dann schlaf", flüsterte sie ihr zu, küsste noch einmal flüchtig ihre Lippen. "Schlaf...Ich bleibe bei dir...Wir haben jetzt alle Zeit der Welt, Ryan. Alle Zeit der Welt..." Nachwort: Hallo, da bin ich wieder! Ein neues Kapitel, dieses Mal nicht so lang wie das letzte, aber wenn man alles zu ausführlich beschreibt, dann wird es oft zu langatmig... Na ja, egal. Ich hoffe, dieses Kapitel hat euch ein bisschen gefallen. Ich für meinen Teil bin (wie immer), eher kritisch eingestimmt, aber das ist ja Dauerzustand. So, haben sie sich wieder und auch Katlar durfte sich mal wieder zeigen. Junge, solche Szenen zu schreiben ist immer noch so schwierig, kitschig will ich ja nicht werden. Ok, also ich hoffe die Charaktere sind weiterhin in Ordnung und das Lesen hat euch ein bisschen Spaß gemacht. Wenn ja, hoffe ich, dass ihr mir gewogen bleibt! © 2003 by seen Kapitel 23: Onones Segen ------------------------ Onones Segen Zaghaft begannen ihre Augenlider zu flattern, nur langsam löste sich ihr Geist aus der Welt der Träume, kehrte vorsichtig in die reale Welt zurück. Ihr Körper regte sich, ruhig und entspannt entstieg ihr Atem ihrer Kehle, sie lächelte leicht, als sie die weichen Decken unter sich spürte. Ein seltsames, ihr bis dahin unbekanntes Gefühl bemächtigte sich ihres Körpers. Geborgenheit, Freude, fühlte es sich so an? Sie wusste es nicht, kannte diese Gefühle nicht gut, hatte sie nur wenige Male erlebt, als das sie mit Sicherheit sagen könnte, dass sie sich so anfühlten. Müde schlug sie ihre Augen auf, goldene Sonnenstrahlen tanzten durch den kleinen Raum, verschlafen streckte sie ihre Hand aus, das Lächeln auf ihrem Gesicht erhellte sich, als die jungen Strahlen der Sonne ihre Haut trafen. Es war ein seltsames Gefühl plötzlich hier zu sein, war ihre Suche nun wirklich zu ende? Hatte sie endlich einen Platz gefunden, an welchem ihr rastloser Geist ruhen durfte, eine Heimat finden würde? Sie hoffte es, wünschte es mit jeder Faser ihres Körpers, dass dieser Traum, welcher so lange unerfüllt geblieben war, nun ins Licht treten würde. "Jeder Mensch verdient es glücklich zu werden, auf jeden wartet irgendwo eine Heimat. Glaub mir, Ryan. Auch auf dich wird jemand warten, jemand, der dir endlich das gibt, wonach du so sehr suchst. Auch für dich gibt es einen Platz, und wenn du ihn gefunden hast, halte ihn fest..." Deutlich hallten die Worte Widos in Ryans Geist wider, sie erinnert sich so genau an diesen Satz, dass der Schmerz über den Verlust ihres Freundes sie erneut niederrang. Sie seufzte leise, erinnerte sich an die vielen glücklichen Stunden, an die väterliche Wärme, welche ihr Freund ihr immer gegeben hatte, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Seufzend starrte sie die Decke des Raumes an, viel war passiert, es war schon fast zu unwirklich, als das ihr Geist all diese neuen Umstände klar erfassen konnte. Doch, war das nicht in dieser Situation bedeutungslos? All der Schmerz, die Angst und Schuld war plötzlich nicht mehr von Bedeutung. Früher hatte sie sich nie um die Zukunft oder die Vergangenheit geschert, alles, was geschehen war, konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden, und alles, was sie noch tun würde, war im Dunkeln verborgen gewesen. Doch nun dachte sie plötzlich über all diese Abschnitte nach, nun hatte auch sie eine vollständige Vergangenheit. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich als ganzes, nicht als zerrissene Bruchstücke eines Bildes, sondern als vervollständigt. Und auch zum ersten Mal hatte sie keine Angst vor der Zukunft, sie freute sich auf den nächsten Morgen, überlegte, was er ihr bringen würde, diese Gefühle der Angst und der Dunkelheit waren wie fortgespült. Erneut lächelte Ryan, schloss ihre Augen, sog diesen besondern Duft, welcher durch den Raum strömte, tief in ihre Lungen ein. Bewahrte ihn tief in sich auf, wollte ihn nie wieder missen, es war ihr Duft. Wie sehr hatte sich Ryan nach ihm gesehnt, nach diesem Duft, und nach dem bedingungslosen Verständnis in Ayeshas Augen. Niemals würde sie ihr wehtun, niemals würde sie dieses Mädchen verlassen. Sie hatte viel wieder gut zu machen, dass war ihr bewusst, doch dieses Mal tat sie es nicht, um die Wogen zu glätten, sondern weil sie es wollte. Weil sie dieses Mädchen liebte... Liebe, ein seltsames Wort. Sie hatte Wido und Teleri geliebt, ja, dass hatte sie wahrlich, doch in diesem Augenblick erschien ihr diese Liebe, welche sie nun empfand als tiefer und reiner. Nie zuvor hatte sie solche Gefühle in sich verspürt. Nun wusste sie, wie es sich anfühlte auch mit der Seele zu lieben, nicht nur mit dem Verstand... Ein leises Geräusch drang an Ryans Ohren, leicht drehte sie ihren Kopf, blickte in zwei grüne Augen und eine raue Zunge leckte ihr freudig über die Wange. "Loba", rief Ryan und zog die erschrockene Wölfin zu sich auf das Bett. Fest schlang sie ihre Arme um den struppigen Leb des Tieres, drückte ihn glücklich an sich. "Mein altes Mädchen", flüsterte Ryan und strich Loba sanft über ihr Fell. "Ich habe dich so vermisst, so vermisst..." Loba brummte leise als Antwort, barg ihr Gesicht dicht an Ryans Hals, atmete den Duft des Menschen tief ein. Das große Mädchen war zurückgekehrt, auch das Tier hatte diese Hoffnung aufgegeben gehabt, hatte sich damit abgefunden, dass ihre Herren nie wieder zurückkehren würden... Freude ließ die Augen der Wölfin erstrahlen, sie funkelten wie Sterne am nächtlichen Firmament. Sanft stupste Loba Ryan in ihre Halsbeuge und brummte entspannt, als Ryan sie sanft hinter ihren Ohren kraulte. "Ich bin stolz auf dich", flüsterte Ryan der Wölfin ins Ohr. "Du hast die beschützt, bist bei ihr geblieben, ich danke dir dafür, Loba. Ich danke dir so sehr..." Zärtlich umfing Ryan das Haupt des Tieres mit ihren Händen, blickte lange in die grünen Augen, lächelte und küsste flüchtig das struppige Fell. "Ich habe dich so vermisst, mein altes Mädchen. So vermisst..." "Sie hat dich auch sehr vermisst, dass haben wir beide." Erschrocken wandte Ryan ihren Kopf der Tür zu, ein zärtliches Lächeln schmückte ihr Gesicht. Wusste Ayesha eigentlich, wie wunderschön sie in ihren Augen war? Hatte sie eine Ahnung, was ihre pure Gegenwart tief in Ryan auslöste? Ahnte sie, welche Gefühle in Ryan aufbrachen? Schweigend starrte Ryan die Erscheinung vor sich an, prägte sich ihre Haltung, den Ausdruck in ihren Augen und ihre Mimik genau ein, als wollte sie diesen Moment für immer in ihrem Geist aufbewahren... Zögernd ging Ayesha auf Ryan zu, Unsicherheit ließ ihre Bewegungen fahrig wirken. Sie zitterte leicht, als sie sich stumm auf die Bettkante niederließ und Ryan lange musterte. Verändert erschien sie ihr, diese Dunkelheit und die Schuld, welche Ryans Gesichtszüge stets verdunkelt hatten, waren fort. Ihr Gesicht war weich, verletzlich und so wunderschön... Es erschien Ayesha fast so, als würde sie in das Gesicht eines völlig neuen Menschen blicken. Eines Menschen, der endlich erkannt hatte, dass auch er ein Recht darauf hatte geliebt zu werden und das tat sie, auch wenn Ryan womöglich nicht wusste wie sehr. Zitternd streckte sie ihre Hand nach der Ryans aus, umfing sie, hielt sie fest, wollte sie nie wieder los lassen, nie wieder... "Ayesha", leise drang Ryans Stimme durch Ayeshas Geist, zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen und sie hob den Kopf. "Warum sagst du nichts?" fragte Ryan, legte ihre freie Hand auf Ayeshas Wange, sah sie lange und durchdringend an. "Weil ich nicht weiß, was ich sagen soll", wisperte Ayesha als Antwort, schlang ihre Arme um Ryans Nacken, zog sie fest an sich. "Ich habe so lange gewartet...so lange. Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen, ich hatte solche Angst um dich, betete jeden Tag zu den Göttern, doch es war vergebens. Ich glaube immer noch, dass ich träume. Einen wunderschönen Traum, wie ich ihn so oft während den letzten Wochen träumte und ich fürchte mich davor, dass ich irgendwann aufwache..." Scheu senkte das Mädchen ihren Kopf, wich dem forschenden Blick Ryans aus. Sie spürte, wie sanfte Hände ihr einige verirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht strichen, die Nähe und Wärme des anderen Körpers und sie zitterte erneut. "Siehst du", flüsterte Ryan ebenso leise. "Wäre das ein Traum, würdest du mich nicht fühlen. Es wäre unwirklich, fiktiv, dass ist es aber nicht, nicht mehr..." Vorsichtig hob sie den Kopf Ayeshas an, lächelte, es war ein warmes, ehrliches Lächeln, welches man so selten bei ihr sah. Leicht neigte sie ihren Kopf, berührte die zitternden Lippen des Mädchen mit den ihren, wollte sich selbst vergewissern, dass sie nicht mehr träumte. Lächelnd gaben sie sich wieder frei, fest verflochten sich ihre Finger ineinander, gaben sich Halt. Einen Halt, welchen beide gleichermaßen gesucht hatten. "Willst du es mir erzählen?" leise durchschnitt Ayeshas feine Stimme die Stille zwischen ihnen, nervös wich Ryan ihrem Blick aus. Es gab viel zu erzählen, sehr viel, doch an einiges wollte sie sich nicht mehr erinnern. Die Zeit in Katlars Gefangenschaft schien umgeben von Dunkelheit zu sein, tief hatte sie den Schmerz und das Leid in sich verschlossen und sie wollte diese Gefühle nicht erneut ins Licht treten lassen. Sie sorgte sich, dass die alte Wut in ihr aufbrechen würde, wenn sie sich zu erinnern begann. "Du musst es mir auch nicht erzählen, ich dachte nur, du möchtest vielleicht darüber reden." "Ich will es auch", erklärte Ryan ruhig und verstärkte den Druck um Ayeshas Hände noch mehr. "Aber ich weiß nicht, ob ich es jetzt schon kann. Es ist so viel passiert, vieles, was ich selbst erst einmal verstehen muss. Verzeih mir, ich werde es tun, bald, aber ich brauche dafür deine Hilfe, Ayesha." Flüchtig berührten Ayeshas Lippen ihre Stirn, in den Augen des Mädchens schien sich etwas zu regen, leicht runzelte Ryan die Stirn, versuchte zu deuten, an was Ayesha wohl dachte. "Du brauchst dich nicht länger zu fürchten, Ryan. Für Furcht haben wir keinen Grund mehr, keinen." Stumm nickte Ryan, wie gerne würde sie diesen Worten glauben schenken, wie sehr sehnte sie sich nach einem Ort, an welchen sie die Schatten der Vergangenheit nicht erreichen könnten. Hatte sie diesen Platz nun gefunden? Es wäre zu schön um wahr zu sein... "Vertraue mir", flüsterte Ayesha, umarmte sie von neuem, fest, sicher und strich ihr beruhigend durch ihr Haar. "Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas geschieht. Nie wieder sollen sie dich quälen, nie wieder wirst du fortlaufen müssen. Ich schwöre es dir, du bist jetzt sicher." Fest, wie eine Ertrinkende klammerte sich Ryan an Ayesha, sie wusste, dass diese Worte nicht der Realität entsprachen. Sie wusste, er würde nicht aufhören, genauso wenig, wie er es während der letzten Jahre getan hatte. Doch dieses Mal wollte sie an das Ende glauben. Dieses Mal wollte sie daran glauben, dass sich alles zum Guten wenden würde. Ja, dieses Mal besaß sie die Kraft daran zu glauben. Alles konnte gut werden, sie musste nur daran glauben. Alles konnte gut werden... Schwitzend und schnaufend rollte sich der wuchtige Körper von ihrem hinunter. Fest presste sie ihre Lippen aufeinander. Übelkeit stieg in ihr auf, als sein bitterer Geschmack ihre Zunge berührte. Grob glitten seine mächtigen Hände über ihren Körper, besitz ergreifend, packten sie ihrem Arm. "Ich wollte es so", dachte sie, wandte ihm den Rücken zu, presste ihr Gesicht in das verschwitzte Laken. "Ich wollte es so..." Stille erfüllte das kleine Zimmer, vereinzelte Lichtstrahlen fielen durch die zugezogenen Vorhänge. Draußen mochte ein schöner Tag sein. Wie lange hatte sie die Wärme der Sonne nicht mehr auf ihrer Haut gespürt? Wie lange war sie nicht mehr frei? Es mochten nur einige Wochen sein, doch für sie fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Immer noch vernahm sie seinen schnaufenden, zufriedenen Atem. Warum war er noch hier? Er hatte von ihr erhalten, wofür er zu zahlen bereit war, mehr musste und wollte sie nicht geben. Ihm stand diese Vertrautheit nicht zu, nicht dieser Frieden... Schmerzlich verzog sie ihr Gesicht, wann hatte sie zum letzten Mal diese Vertrautheit und diesen Frieden verspürt? Sie erinnerte sie daran, an das letzte Mal, als sie einem Menschen diesen Dienst ohne Bezahlung erwiesen hatte. Es war lange her... "Du bist eine wunderschöne Frau", flüsterte der Mann ihr zu, küsste sie auf ihre erhitzte Wange. Angewidert verkrampfte sich ihr Körper, in ihrem Magen brodelte es, Wut vibrierte jäh in ihren Nerven. Grob strichen seine Hände durch ihr Haar, über ihren Rücken und sie erhob sich schnell von dem Lager. "Dafür hast du nicht bezahlt", erklärte sie und ihre Stimme durchschnitt die Stille des Raumes wie eine blanke Klinge. Irritiert betrachtete der Mann sie, streckte eine Hand nach ihr aus, doch er griff ins Leere. "Na, na", lachte er leise und streckte sich. "Wer wird denn so kratzbürstig reagieren. Ich wollte nur nett zu dir sein, Mädchen. Außerdem hat es dir doch auch Spaß gemacht, dass habe ich gemerkt." Lächelnd schüttelte sie ihren Kopf, zog sich ihr Gewand über. Befreit atmete sie auf, der grobe Stoff ihres Kleides stärkte sie, ließ dieses Gefühl des Besitzens in ihr erlöschen. "So, meinst du, ja?" fragte sie amüsiert und ihre blauen Augen blitzten im fahlen Licht auf. "Ein Mann merkt so etwas", bekräftigte ihr Gegenüber mit Sicherheit in der Stimme. Er lächelte sie an, erhob sich seinerseits und trat zu ihr an das Fenster. "Komm schon, ich werde es auch niemanden erzählen. Ich weiß doch, dass dann euer Preis fällt, sobald ihr dafür kein Geld nehmt." Derb umfasste er ihren Nacken, zog ihr Gesicht nahe an das seine, sie roch seinen stickigen Atem, presste ihre Hände grob gegen seine Brust. "Wer hat gesagt, dass ich bei dir kein Geld nehmen würde? Ein zweites Mal könntest du dir mich nicht leisten", versetzte sie bissig. Abermals lachte er leise auf, zog ihr Gesicht näher an sich heran. "Und wer sagte, dass ich zahlen würde? Es schert sich doch niemand darum, was ich jetzt mit dir mache, es interessiert niemanden, Avatra..." "Nenn sie nie wieder so", zischte eine Stimme angriffslustig aus dem Hintergrund. Erschrocken wirbelte der Mann herum, ließ von ihr ab. In der offenen Tür lehnte ein junger Mann, seine Arme waren vor der Brust verschränkt und er musterte die Szene wütend. "Gibt es Probleme, Teleri?" fragte er und kam näher. "Wie man es nimmt, Pers", erwiderte sie. "Wir haben hier offensichtlich einen Besucher, der glaubt, er könne sich ein weiteres Mal etwas nehmen, ohne dafür zu bezahlen." Ein böses Grinsen legte sich um den Mund des jungen Mannes, sein Körper schien sich anzuspannen. "Ist das so?" fragte er den älteren vor sich und ballte seine Hand zu einer Faust. "Weißt du nicht, wen du vor dir hast, Bursche", zischte der Angesprochene aufgebracht. "Wem willst du mehr glauben schenken? Einem ehrbaren Mann oder dieser Avatra dort?" Leicht legte Pers seinen Kopf schief, fing aus den Augenwinkeln den Blick Teleris auf und schüttelte dann kaum merklich seinen Kopf. "Also, wenn das so ist", begann er und trat lächelnd noch näher an den Mann heran. "Dann muss ich darüber eigentlich gar nicht lange nachdenken." Brutal packte er den älteren in seinem Nacken, versetzte ihm einen Schlag in die Magengrube und ließ ihn keuchend gen Boden sinken. "Ich glaube, hoher Herr. Wir unterhalten uns lieber vor der Tür weiter." Er zwinkerte Teleri kurz zu, packte den schreienden Mann an seinen Haaren und zog ihn mit sich. Laut fiel hinter den beiden Männern die Tür ins Schloss. Seufzend ließ sich Teleri auf das Bett sinken, zitternd strich sie sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. Sie war es bereits gewohnt, dass diese Männer glaubten, sie wäre nichts wert und sie könnten über sie verfügen, wie es ihnen beliebte. Doch jedes Mal, wenn es geschah, fühlte sie, wie eine nie gekannte Traurigkeit in ihr aufstieg. Sie wusste, dass sie sich für dieses Leben entschieden hatte, sie wusste um die Schattenseiten, doch sie hatte nicht gewusst, wie häufig sie von nun an im Dunkeln wandeln würde. Ihr Hals schmerzte und sie glaubte noch immer die Hände ihres letzen Besuchers auf ihrer Haut zu fühlen, schmutzig fühlte sie sich, doch es war eine Art von Schmutzt, welchen man nie fortspülen konnte. Zitternd tasteten sich ihre Finger an den breiten Lederriemen, der sich um ihren Hals wandte. Grob fühlte er sich an, jeder konnte sehen, was sie war, immer sein würde. Sie schluchzte leise. "An das Ding wirst du dich nie gewöhnen", hörte sie eine vertraute Stimme sagen. Leicht drehte sie ihren Kopf, blickte in die schelmischen, braunen Augen von Pers. Er lächelte sie freundlich an, legte ihre eine Hand auf die Schulter und hielt ihr einen Becher mit roter Flüssigkeit hin. "Hier, ich habe dir etwas von unten mitgebracht." "Danke, aber das wäre nicht nötig gewesen", erwiderte Teleri, nahm ihm den Becher aus der Hand und lächelte bitter. "Nun, ich dachte, du wolltest vielleicht diesen Geschmack aus deinem Mund vertreiben, jedenfalls tun es so die anderen Mädchen", erklärte er und ließ sich neben ihr nieder. Stumm nickte Teleri, trank einen Schluck, wie froh war sie, in diesem Mann einen Freund gefunden zu haben. Einen Menschen, der ihr keine Fragen stellte, sondern einfach mit ihr sprach. "Was hast du mit unserem Gast gemacht, Pers?" Ein leises Lachen erfüllte den Raum, vertrieb die Schatten der Ereignisse und zauberte selbst auf das erstarrte Gesicht Teleris ein leichtes Schmunzeln. "Was soll ich mit dem Kerl schon gemacht haben? Ich habe ihn raus geworfen, nackt wie er war. Mal schauen, wie weit er kommt." Forschend blickte Pers die junge Frau an, ihm war schon damals, als er sie das erste Mal sah, aufgefallen, wie viel Traurigkeit in ihren Augen ein zu Hause gefunden hatte. Sie sprach wenig, meist nur mit ihm, und selbst dann sprach sie nur über Dinge, welche nie viel über ihre eigentliche Person preisgaben. Sie erschien ihm als so unwirklich wie ein Traum, an welchen man sich nur bruchstückhaft erinnern konnte. "Danke, dass du mir mit dem Kerl geholfen hast", flüsterte Teleri und drückte sanft seinen Arm. "Ich glaube, ohne dich wäre ich nicht mit ihm fertig geworden." "Dafür bin ich doch schließlich hier. Ich bin dafür da solche Leute raus zu werfen, wenn sie euch bedrohen." "Ich weiß", abrupt erhob sich Teleri, trat zum Fenster und öffnete die dunklen Vorhänge. Warmes Sonnenlicht streichelte ihre Haut, genüsslich schloss sie ihre Augen, ließ diese Wärme tief in ihren Körper eintauchen, atmete befreit durch. Wie dunkel war nur ihr eigenes Leben geworden, voll quälender Erinnerungen, voll Leid. Wie dunkel war es seit, seit... "Teleri", kaum merklich drang die kräftige Stimme von Pers zu ihr hinüber, sie schüttelte leicht ihren Kopf. Sie wollte jetzt nicht daran denken, sie wollte es nicht mehr. Es gehörte vergangenen Tagen an, glücklichen Tagen. "Teleri", sagte erneut, doch dieses Mal bestimmter als zuvor. "Ich muss mit dir reden, es ist wichtig." "Und was hast du so wichtiges mit mir zu bereden?" fragte sie unwirsch, ihre Stimme hatte, ohne das sie es wollte, diesen leicht arroganten Tonfall bekommen. Eine Art zu sprechen, wie es nur hier tat. "Über etwas, das dir gewiss nicht gefallen wird", erklärte Pers mit Bedauern in der Stimme. Nachdenklich starrte er auf seine Hände, wie sollte er ihr alles bloß erklären? Wie erklärte man jemanden, dass er nicht mehr lange an diesem Platz weilen würde? Plötzlich spürte er eine sanfte Hand auf seiner Schulter, irritiert hob er seinen Kopf, blickte in blaue Augen, als er der Trauer in ihnen gewahr wurde, schwindelte es ihn. "Was ist denn, Pers?" hörte er ihre Stimme, sie zitterte leicht, fast so, als wüsste sie, dass er ihr eine schlechte Botschaft überbringen sollte. "Hadomar", begann Pers, doch seine Stimme hatte ihre Festigkeit verloren, rau und angespannt war sie nun. "Er hat...Er hat mir aufgetragen, dich zu benachrichtigen, du wirst uns heute noch verlassen. Du hast von heute an einen neuen Besitzer..." Fest umfing nun ihre Hand seine Schulter, beinahe, als würde sie einen Halt suchen, doch Pers wusste, dass er ihr diesen niemals bieten konnte. Niemals, auch wenn er es gerne tun würde. "Bitte sag das noch einmal", wisperte sie erschrocken. "Er hat wohl jemanden gefunden, der für dich einen guten Preis gezahlt hat. Du gehörst nicht mehr ihm..." "Das kann er nicht tun", schrie Teleri aufgebracht, Angst und Wut beherrschten ihr Denken, ließen ihre Glieder starr vor Schreck werden. "Er kann mich nicht einfach verkaufen, er hat dazu kein Recht..." "Du weißt so gut wie ich", fiel ihr Pers ins Wort, sprang auf, hielt ihre Hände fest mit den seinen umschlossen. "Er kann es tun, wir gehören ihm. Er kann mit uns machen, was er will. An dem Tag, an welchem er dir dieses Halsband umlegte, hast du ihm das Recht übereignet, über dich zu bestimmen. Es tut mir leid..." Tränen glitzerten in Teleris Augen, beschämt barg sie ihr Gesicht an Pers Brust, ergab sich, wie so oft in den letzten Wochen, ihrem Schmerz. "Es tut mir leid", flüsterte er abermals, strich ihr durch ihr Haar, hielt sie fest. Stumm lag sie in seinen Armen, klammerte sich an seinem Körper fest, als wäre er der letzte Halt, welchen sie finden konnte. Beruhigend wiegte er sie hin und her, fast so, als wolle er ein kleines Kind zum einschlafen bringen. "Wer weiß", sprach er schließlich nachdenklich. "Vielleicht ist es auch besser für dich..." "Was redest du da", schrie Teleri, stieß in von sich, in ihren Augen funkelten Unverständnis und Furcht. Langsam wich sie einen Schritt nach dem anderen zurück, schlang fest ihre Arme um ihren Oberkörper. "Warum sollte es besser für mich sein", wisperte sie so leise, dass Pers es kaum verstehen konnte. "Gefangen bin ich dennoch, ich kenne diesen Menschen nicht. Weiß nicht, was er mit mir vor hat, was er mir alles antun könnte. Hier bin ich wenigstens auf eine spürbare Weise geschützte, dort nicht..." Schluchzend wandte sich Teleri um, starrte aus dem Fenster hinaus, lautlos liefen ihr Tränen die Wangen hinab. "Ich wollte es so", dachte sie wehmütig und lächelte bitter. "Ich wollte es so..." "Teleri", bei der Erwähnung ihres Namens zuckte Teleri zusammen, doch sie drehte sich nicht um, ausdruckslos starrte sie in diesen wunderschönen Wintertag. "Was hat dich so verbittern lassen? Wer nahm dir den Glauben daran, dass es auch noch etwas Gutes in dieser Welt gibt?" Ein leises Lachen erfüllte den Raum, fest presste Pers seine Lippen aufeinander, als er die Melancholie in ihm vernahm. Sie war drückend, allgegenwärtig. "Die Liebe", hörte er dieses zerbrochene Wesen sprechen und er schluckte hart. "Liebe hat mich zerbrochen, Pers. Eine Liebe zu einem Menschen, welcher nie geliebt werden wollte, nicht länger von mir." "Und woher nimmst du die Erkenntnis, dass du nie wieder einen Menschen finden wirst, der dich liebt?" fragte Pers ebenso leise und legte ihr einen Arm um die Schulter. "Weil ich keinen anderen Menschen will", erwiderte Teleri, wischte sich die Tränen fort und versuchte zu lächeln. "Ich will niemanden anderen, ich will, ich will nur sie...Nur sie..." Stumm nickte Pers, zog Teleri in seine Arme und drückte ihren verspannten Körper fest an sich. Er verstand ihre Worte, besser vielleicht als jeder andere. Hatte nicht auch er aus diesem Grund den dunklen Weg eingeschlagen. Weil er vergessen wollte, nicht fähig war zu glauben, dass es auch andere Möglichkeiten gab? Nun wusste er, er hatte sich den leichtesten aller Wege ausgesucht. Er spürte, dass sich Teleri an ihn klammerte, er genoss dieses Gefühl, jedoch er wusste, es würde nicht lange währen. "Komm jetzt", sagte er ruhig und brachte etwas Abstand zwischen sie beide. "Ich bringe dich nach unten, dein Käufer ist schon da. Es tut mir leid, Teleri." Ein scheues Lächeln huschte über Teleris Antlitz, sie nickte leicht, nahm seine Hand in die ihre. Sie fühlte, wie Pers sacht zudrückte, als wolle er ihr Kraft geben und sie war ihm dankbar dafür. "Du brauchst dich nicht bei mir zu entschuldigen", erklärte sie ruhig und gefasst. "Ich habe mir diesen Weg ausgesucht. Ich wollte es so, Pers. Ich wollte es so." Verstehend nickte Pers, zog Teleri nahe an sich und ließ die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss fallen. Zärtlich streichelten die goldenen Strahlen der Sonne die kahlen Zweige der Weiden. Sanft wiegten sie im Wind hin und her, leise spielte er ihnen sein Lied. Ein Lied, das schon so alt wie die Welt war, doch niemand sonst konnte es vernehmen, nur die Tiere und die Bäume hörten dieser Melodie zu. Genüsslich schloss Ryan ihre Augen, atmete die frische Luft tief in ihre Lungen ein, spürte die Wärme der Sonne auf ihrer Haut. Wie vollkommen war dieser Augenblick, ohne Angst, ohne Schuld und ohne Gefahr. Spärlich waren diese Augenblicke in ihrem Leben gewesen, nur kurze Passagen, welche ein zu geringes Gewicht besessen hatten, als das sie sich mit Freude daran erinnern konnte. Zaghaft zog sie den Körper Ayeshas näher an sich heran, hielt sie fest, lauschte ihrem Atem, lächelte glücklich. Sie wusste, sie hatte dieses Glück nicht verdient, nicht nach allem, was geschehen war. Jedoch, besaß nicht jeder Mensch ein Recht darauf, selbst wenn es nur ein geringer Bruchteil des Lebens war? Besaß nicht jeder das Recht auf einwenig Glück? Seufzend öffnete sie ihre Augen, blickte über den See hinweg... "Ich habe hier schon immer sehr viel Zeit verbracht", flüsterte Ayesha ihr zu, nahm Ryans Hände in ihre und lächelte schief. "Immer wenn ich besonders traurig war oder für mich sein wollte, kam ich hier her. Es ist mein Platz, der meinige und der meiner Mutter." "Es ist hier wunderschön", bestätigte Ryan und vergrub ihr Gesicht in Ayeshas Haaren. "Ich bin mir sicher, du hast gewiss viel von deiner Mutter." Ein leises, trauriges Seufzen entglitt aus Ayeshas Kehle. "Mein Vater sagt oft zu mir, dass ich ihn mit jedem Tag mehr an meine Mutter erinnere. Ich bedauere es, da ich nur die Erinnerungen meines Vaters an sie habe, keine eigenen." Schweigend nickte Ryan, verstärkte ihre Umarmung, wollte somit Ayesha zeigen, dass sie ähnlich empfand. Still verharrten sie so, jeder in seinen Gedanken versunken. Loba lief eilig um sie herum, bellte leise, wedelte freudig mit ihrem Schwanz, beinahe, als wolle sie zeigen, dass sie auch noch hier war. "Ich sehe dich schon, altes Mädchen", erklärte Ryan und lächelte der schwarzen Wölfin glücklich zu. "Sie hat dich doch so sehr vermisst, und jetzt kümmerst du dich kaum um sie." "Ich muss nun einmal Prioritäten setzen, und leider steht Loba im Moment da an zweiter Stelle." Scheu lächelte Ryan, küsste Ayesha auf ihre Wange und flüsterte leise: "Wie fühlt sich Glück an, Ayesha?" Irritiert hob Ayesha eine Augenbraue an, wandte Ryan ihr Gesicht zu, forschte in ihren Augen, ob sie diese Frage erst nehmen sollte oder nicht. "Ich weiß nicht, dieses Gefühl ist nicht dafür geschaffen, dass man es beschreiben sollte. Man muss es fühlen, aber ich glaube, ich spüre es jetzt in diesem Moment..." Kurz hielt Ayesha inne, legte ihre Hand auf Ryans Herz und sah sie eindringlich an. "Ich glaube, auch du spürst es jetzt oder täusche ich mich?" Lächelnd schüttelte Ryan ihren Kopf, zog das Gesicht des Mädchens nahe an das ihre und küsste sie sanft. "Nein, du täuschst dich nicht. Ich danke Onone, sie hat mir meinen Traum erfüllt." "Sie hat uns beiden unseren Traum erfüllt, Ryan. Endlich hat sie uns gehört, endlich..." Stimmengewirr erfüllte die Straße, Menschen liefen eilige durch die Gassen, Kinder liefen neben ihren Müttern her, lächelten sie aus glücklichen Gesichtern an. Wie unschuldig waren sie noch? Sie wussten noch nichts um das Leben, welches einem oft nur dunkle, schmerzvolle Fügungen zudachte. Sie wusste noch nichts von Leid und Schmerz. Wie beneidenswert waren sie um ihre Sorglosigkeit. Kurz kniff Teleri ihre Augen zusammen, bis sie sich an das helle Licht gewöhnt hatten. Wie lange war sie nicht mehr außerhalb ihres Raumes gewesen? Ihr war es nicht erlaubt gewesen auf die Straße zu treten, da Hadomar fürchtete, jemand könnte ihm sein Eigentum stehlen. Immer noch hielt sie die starke Hand Pers umklammert, wollte sie nicht los lassen, wollte ihren Freund nicht verlassen. Sie hörte ihn leise seufzen und wusste, dass er wie sie empfand. In ihm hatte sie einen treuen Freund gefunden, sie würde ihn vermissen. Argwöhnisch blickte sich Teleri nach allen Seiten um, doch sie entdeckte niemanden, der sich mit ihrer Vorstellung eines neuen Besitzers deckte. Die Gesichter, in welche sie blickte, waren wie das ihre. Getrübt von Sorgen, gejagt von der Angst was Morgen auf sie zu kommen würde... "Jetzt müssen wir uns wohl von einander verabschieden", bedauerte Pers und senkte seinen Blick. "Warum jetzt schon? Begleitest du mich nicht?" Ein flüchtiges, bitteres Lächeln schmückte Pers Gesicht und er schüttelte verneinend seinen Kopf. "Du weißt es doch, mir ist es nicht erlaubt mich weiter als zehn Schritte von dieser Tür zu entfernen. Du kennst die Regeln, Teleri." Kurz deutete er auf das Lederband, schloss sie dann in seine Arme, drückte sie fest an sich. "Lebwohl, Teleri. Versprich mir, dass du glücklich wirst, egal wie. Glaub mir, du gehörst hier nicht her, das Leben hat anderes mit dir vor. Sei dankbar dafür." Schluchzend erwiderte Teleri die tröstliche Umarmung, küsste Pers auf seine Wange, lächelte ihn an, doch dieses Mal war es ein ehrliches, warmes Lächeln, wie sie es nur wenigen Menschen schenkte. "Ich verspreche es dir, mein Freund", flüsterte sie ihm zu und strich ihm einige Haarsträhnen aus der Stirn. "Ich schwöre es..." "Geh nun, er wartet bei den Stählen auf dich. Ich bleibe hier, für den Fall, dass etwas passiert." Widerwillig löste sich Teleri aus seiner Umarmung, jeder Muskel in ihrem Körper verspannte sich, sie war unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Langsam lief sie los, sie spürte die besorgten Blicke ihres Freundes in ihrem Rücken, doch sie hatte keine Wahl. Ein letztes Mal atmete sie tief durch, hob stolz ihren Kopf. Hell leuchtete ihr blondes Haar in der Wintersonne, ihr Gesicht war verschlossen, wie aus Stein gehauen, keine Gefühlsregung spielte sich in ihren Augen ab. Angst vor dem Unbekannten ließ sie zusammen zucken, doch sie lief weiter. Der Geruch von Stahl schlug ihr entgegen und sie rümpfte leicht die Nase. Hufgeklapper und das Wirren von Pferden empfing sie, unschlüssig blieb sie stehen, blickte sich um, doch sie entdeckte niemanden. Nur ein altes, müdes Pferd, welches an einem Pflock auf seinen Besitzer wartete. Eine kleine Gestalt erschien im Tor des Stahles und Teleri fixierte die gedrungene Person fest mit ihrem Blick. Ein breiter Filzhut bedeckte das Gesicht, die Kleidung war alt und abgerissen. Unwillkürlich fragte sie sich, ob das ihr neuer Herr sein sollte. Kaum merklich zuckte es spöttisch um ihre Mundwinkel. Jäh hob die Gestalt den Kopf, blickte sie aus dunkelbraunen Augen an. Stoßweise entglitt Teleris Atem ihrer Kehle, sie schwankte, stützte sich an einem Pfahl ab. Langsam kam die Gestalt auf sie zu, ausdruckslos schien das Gesicht zu sein, halb lag es noch im Schatten des breiten Hutes. "Das kann nicht sein", flüsterte Teleri zu sich selbst und schüttelte leicht ihren Kopf, versuchte dieses Gefühl abzuschütteln. Kalter Schweiß trat auf ihre Stirn, ihre Gedanken wurden wirr. Tausende von Fragen drängten sich ihr auf, doch sie wusste nicht, welche sie davon stellen sollte. Ein besorgter Blick musterte sie, sie spürte, wie sich eine Hand um ihren Oberarm legte, ihr Halt gab. "Ich hatte mit Verwunderung gerechnet", sagte die Gestalt belustigt und lachte leise. "Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass du gleich in Ohnmacht fällst." "Was, was, was tust du hier?" stotterte Teleri und kämpfte um ihre Fassung. Immer noch leise lachend zog sich die Gestalt den Filzhut vom Kopf. Lange, langsam ergrauende Haare kamen zum Vorschein und ein liebevolles Lächeln schmückte den Mund. "Ich hole dich ab, nach was sieht es denn sonst aus, Teleri?" fragte Bara und schloss die verwirrte Frau in ihre Arme. Tränen der Erleichterung strömten Teleris Wangen hinab, fest presste sie sich an die ältere Frau und weinte in ihren Armen. "Du, du bist mein Käufer?" Zärtlich nahm Bara das Gesicht Teleris zwischen ihre Hände, wischte ihr die Tränen fort und nickte leicht. "Ja, ich habe mein letztes Geld für dich gegeben, mein Kind..." "Aber warum", schrie Teleri so laut, dass sich einige Arbeiter nach ihnen umdrehten. "Ich habe mich für dieses Leben entschieden, du weißt doch gar nicht, in welche Gefahr du dich bringst. Ich habe Ogronier gesehen und sie haben mich wieder erkannt. Du weißt nicht um die Gefahr." "Hörst du jetzt endlich mit diesem Unsinn auf", schrie Bara ebenso laut, in ihren braunen Augen flackerte Zorn. "Glaubst du, ich könnte mit ansehen, wie du in dein Unglück rennst? Wie irgendein Kerl dich womöglich quält? Nein, Teleri. Das kann und will ich nicht." "Aber warum", schluchzte Teleri und sank kraftlos auf den Boden nieder. Seufzend schüttelte Bara ihren Kopf, diese Frau verstand auch wirklich nichts. Bestimmt zog sie Teleri hoch, hob ihr Kinn an und blickte sie lange schweigend an. "An dem Morgen, an welchen du aufgebrochen warst, verspürte ich ein eigenartiges Gefühl. Ich habe es schon einmal verspürt, damals, als Wido ging und nicht mehr zurückkehrte. Ich wusste, ich würde dich nie wieder sehen, dass dir irgendwo etwas zustoßen würde. Diese Gewissheit ließ mich nicht mehr ruhig schlafen, ich schwor mir, dass ich dich finden und zurückholen würde", kurz hielt Bara inne, ließ ihre Hände sinken. "Es ist nun deine Entscheidung, was du nun tust. Ich habe dich zwar gekauft, dass ist richtig, aber nur, damit du nun wählen kannst. Entweder du kommst mit mir oder du gehst zurück und führst weiterhin ein Leben, welches dir eines Tages den Tod bringen wird. Entscheide dich Teleri, es liegt bei dir." Sprachlos starrte Teleri in Baras Augen, was war das in ihnen. War es Liebe? Blickte so eine Mutter ihre Tochter an? Immer noch versuchte ihr Geist die eben gesprochenen Worte zu realisieren, ihnen eine Wertigkeit zu geben. Kurz blickte sich Teleri um. An einem der Fenster des Hauses glaubte sie ein Gesicht zu erkennen, eine junge Frau blickte hinaus auf die Straße. Ihre Augen waren leer, kalt und leblos. Gezeichnet war sie, gezeichnet von diesem Leben in welchem es keine Liebe und kein Licht gab. Sie mochte einst gewählt haben, doch wie freiwillig war diese Wahl gewesen. Sie hatte damals keine andere Möglichkeit gehabt, als eine Avatra zu werden. Hatte sie Wido für solch ein Leben gerettet. Sie wusste, ihr Freund wäre unglücklich gewesen, könnte er sie nun sehen. "Teleri, bitte, komm mit mir", sagte Bara und ergriff eine ihrer Hände. "Ich könnte ein paar Hände gut gebrauchen, die mir helfen. Sowohl in meinem Haus, als auch bei Widos Geschäften. Komm mit mir, komm nach hause, mein Kind." Unentschlossen blickte Teleri auf ihre ineinander verflochtenen Finger hinab, sie hatte Angst. Angst, dass sie diese Frau mit sich reißen würde... "Und du bist dir ganz sicher, dass du mich bei dir haben willst?" fragte sie vorsichtig. Ein glückliches Lächeln ließ Baras Gesicht erstrahlen, fest schloss sie Teleri in ihre Arme. "Ja, ich will dich bei mir haben. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als das du mit mir kommst, meine Tochter." Bei den letzten Worten Baras traten erneut Tränen in Teleris Augen, sie lächelte und dieses Lächeln wirkte dieses Mal ehrlich und aufrichtig. "Dann lass uns nach hause gehen", sagte Teleri und küsste die ältere Frau sanft auf die Stirn. Bara nickte, löste sich aus Teleris Armen und löste die Zügel, welche das Pferd festhielten, von dem Pflock. Kurz warf sie Teleri einen Blick zu und gewahr, wie sie das Lederhalsband löste und es lange ansah. "Was ist das überhaupt für ein Ding?" fragte sie und trat neben die lächelnde Frau. "Das ist etwas, was ich nie wieder brauchen werde", erklärte Teleri, umfing eine Hand Baras mit der ihren und warf das Halsband weit von sich. Reglos blieb es auf der lehmigen Straße liegen und Teleri atmete befreit die kalte Winterluft in ihre Lungen. "Lass uns jetzt nach hause gehen, Bara. Ich werde dieses Ding nie wieder brauchen, nie wieder..." Nachwort: Hallo, ich hoffe, jemand hat sich durch diesen Teil der Geschichte gequält. Gleichzeitig möchte ich mich für die sehr lange Wartezeit entschuldigen. Hatte einige Probleme, dazu kam noch ein Urlaub etc. Hat sich alles gehäuft und somit hatte keine Zeit fürs Tippen. Ich hoffe trotzdem, dass dieses Kapitel dem einen oder anderen gefallen hat. Ich weiß nicht, aber ich glaube, ich wollt zu Beginn zwei Seiten zeigen. Zum einen Ryan und Ayesha und dann Teleri, welche nun wirklich nicht zu beneiden ist. Deshalb dachte ich mir, auch sie hat es verdient, dass sich jemand ihrer annimmt. Für Kritik bin ich mehr als offen, also, sollte euch etwas nicht gefallen haben, sagt es ruhig. Viele Kapitel werden es nicht mehr werden, aller höchstens noch drei plus Epilog. Bleibt mir diese Dauer noch gewogen. Danke, dass es jemand gelesen hat! © 2004 by seen Kapitel 24: Dämonen die ich rief -------------------------------- Dämonen die ich rief Blütenblätter wirbelten im lauen Wind, wie kleine Fabelwesen zogen sie ihre Bahnen. Spielten miteinander, wurden vom Wind auf und ab geweht. Die Luft roch frisch und jung, war erfüllt von Wärme und Glück. Tief sog er diesen Duft in seine Lungen ein, schloss seine Augen, sein gemarterter Körper entspannte sich. Blut und Schmutz fiel von seinen Händen ab, er wollte all das nicht mehr spüren, nicht mehr sehen. Langsam ging er einige Schritte vorwärts, das Gras gab unter seinen schweren Stiefeln nach, brach unter seinem Gewicht. Das Schwert an seiner Hüfte klapperte leise gegen die mit Metal beschlagenen Panzer seines Oberschenkels. Dieses Geräusch ließ ihn zusammen zucken, als habe ihn ein Blitz getroffen. Lange war dieses Geräusch sein einziger Begleiter gewesen, hatte dunkle Stunden angekündigt. Stunden des Kampfes, des Blutes und des Verlustes. Doch zählten das alles jetzt noch? Jetzt, da er in sein zu hause zurückkehrte? Zaghaft schüttelte er seinen Kopf, verdrängte diese vor Blut starrenden Bilder. Es war nicht mehr Zeit daran zu denken, er durfte es nicht. Musste die Rolle des Kriegers ablegen, sowie er es immer tat, wenn er zurückkehrte. Er schmunzelte leicht über diese Wandlung. Wie viel Gesichter Menschen doch besaßen, wie perfekt ihn jedes Mal ein anderes passte und nur wenige sagen konnten, welches das wahre war. Der Duft von Apfelblüten stieg ihm in seine Nase, genüsslich ließ er seinen Geist von diesem Geruch betören. Ihr Garten, mit wie viel Liebe pflegte sie ihn? Wie sehr hatte er sie vermisst? Plötzlich vernahm er ein Geräusch, hob seinen Kopf, um seine Mundwinkel zuckte es. Er bereitete seine Arme aus, sank auf seine Knie. Mit schnellen Schritten lief ein kleiner Junge auf ihn zu, rief freudig seinen Namen. Schnell trugen seine kleinen Füße ihn über das Gras hinweg, freudestrahlend warf sich der Junge in seine Arme und er presste ihn fest an sich. Streichelte seinen braunen Haarschopf, hob ihn hoch. Wie leicht Kinder doch waren, wie unschuldig? Er fühlte, wie sich die kleinen Arme um seinen Nacken schlangen, ihn fest hielten. Er lächelte... Leise wirbelte der Wind einige Blütenblätter auf, er sah über die Schulter des kleinen Jungen hinweg und sein Blick wurde weich, fast zärtlich. Nur selten sah man diese Verwandlung in seinen Augen. Liebe lag in diesem Blick, tiefe, aufrichtige Liebe. Nie hatte er geglaubt, solch ein Gefühl einem anderen Menschen entgegen zubringen, doch für sie verspürte er es. Langsam kam sie auf ihn zu, Tränen des Glücks glitzerten auf ihren Wangen. Ihr braunes Haar wehte sacht im warmen Wind. Hatte er ihr jemals gesagt, wie wunderschön sie war? Und wenn er es getan hatte, so hatte er es nicht oft genug gesagt. Ihre Füße schienen das Gras kaum zu berühren, sie schwebte förmlich, so zart waren ihre Schritte. Er atmete tief die Luft ein, sein Körper spannte sich. Seine Augen suchten die ihren, verbanden sich in einem liebevollen Blick. Fest presste er seine Lippen aufeinander, schloss seine Augen. Nie hatte er verstanden, wie solch ein wunderbares Wesen ihn lieben konnte. Gerade ihn. Ihn, den so viele nur "dunkler Schatten" nannten. Grausam und kalt war, wenn er zum Krieger wurde, doch all das fiel hier von ihm ab. War nicht mehr Teil seiner Selbst, sondern etwas, dass er an und auszog wie ein Mantel. Sanft legte sich eine Hand auf seine Wange, seine Augenlider flatterten leicht. Zärtlich strich diese Hand die Konturen seines Gesichtes nach und lag dann erneut bewegungslos auf seiner rauen Wange. Vorsichtig öffnete er seine Augen, blickte in die ihren. Sie lächelte, sprach Worte des Glücks über seine Heimkehr, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Er lächelte sie an, streckte eine Hand nach ihr aus, zog sie nahe an sich, sog ihren Duft ein. Er fühlte ihren bebenden Körper an dem seinen und strich ihr beruhigend über ihr langes Haar. Kaum merklich hob sie ihren Kopf, sah ihn lange schweigend an. Schloss schließlich ihre Augen und nährte sich seinem Gesicht. Zärtlich berührten ihre Lippen seine, küssten ihn mit Erleichterung und Liebe. Zuhause, schoss es ihm durch den Kopf, ich bin zuhause... Schwer atmend schreckte Katlar aus seinem Schlaf. Sein wirres Haar klebte ihm an seiner schweißnassen Stirn. Heftig schlug sein Herz gegen seinen Brustkorb, sein Blut rauschte hastig durch seine Adern. Verklärt war sein Blick, sein Geist immer noch in diesen längst vergangenen Empfindungen. "Nur ein Traum", flüsterte er leise und enttäuscht zu sich selbst. "Es war nur ein Traum." Seufzend ließ er sich zurück in die Kissen sinken, starrte in die Dunkelheit der Nacht, welche ihn umfing wie ein alter Freund. Immer noch entrann sein Atem keuchend seiner Kehle. Sein Herz wollte sich nicht beruhigen, er spürte Schmerz in jeder Faser seines Körpers und er lächelte bitter. "Seltsam, ich hatte immer geglaubt, tote Körper könnten nichts mehr fühlen. Dennoch fühle ich diesen Schmerz, aber auch nur ihn." Wie oft hatte er diesen Traum bereits gehabt? Warum quälte ihn sein Geist mit vergangenen Träumen und Wünschen? Sie würden doch niemals zurückkehren, sie waren tot, begraben unter einer dicken Schicht aus Schmerz und Hass. Er wollte sich nicht an diese Stunden erinnern, er wollte es nicht... Mit einer schnellen Bewegung schlug Katlar die Bettdecke von seinem Körper und stand auf. Sein Körper zitterte im kalten Wind. Wie lange versteckte er sich nun schon hier an der Grenze zum Eismeer? Er war nicht gewillt gewesen Barolon gänzlich zu verlassen, er wollte wenigstens in Reichweite für Nachrichten sein. Immer noch empfand Katlar dieses Versteck als gut gewählt, wer würde ihn schon direkt an der Grenze vermuten? Seufzend umfingen seine Finger den aus Stein gehauenen Fensterrahmen, suchten einen Halt. Nachdenklich starrten seine schlaftrunkenen Augen in die Dunkelheit. "Maris", flüsterte er leise. "Schickst du mir diese Träume? Soll ich mich erinnern? Ich erinnere mich doch. Es vergeht kein Tag, an welchem ich nicht an euch beide denke. Ihr seid immer bei mir, jeden Augenblick, doch gleichzeitig seid ihr soweit entfernt..." Fest umklammerten seine Finger das Gestein, leise knackten seine Fingernägel auf. Blut sickerte lautlos an der Wand hinunter. "Ich verstecke mich wie ein Tier", zischte Katlar wütend, sein Körper zitterte nun noch stärker, doch nicht mehr länger vor Kälte. Wut wärmte seine kalte Haut, ließ seine Gedanken schneller durch seinen Geist schießen. "Wie merkwürdig", wisperte Katlar und sein Blick verlor sich im gestirnten Himmel. "Wer hätte gedacht, dass sich die Zeit der Herrschaft dem Ende zu neigt? Wer hätte gedacht, dass du es sein wirst, Gerin? Ich spüre es, du wirst der Anfang vom Ende sein." Ein kaum sichtbares, spöttisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Niemand wusste so gut wie er, was nun folgen würde. Was womöglich einst vorherbestimmt gewesen war. "Alles muss irgendwann enden", flüsterte Katlar zu sich selbst und schloss für einen Augenblick seine brennenden Augen. Plötzlich zuckte er zusammen. Da waren sie wieder, diese fremdartigen Augen, die ihn schon so viele Jahre lang verfolgten. Ihn nicht zur Ruhe kommen ließen. Ihm jedes Mal verdeutlichten, dass er noch etwas zu tun hatte, bevor er diese Welt stolz und frei verlassen konnte. Wie die glühenden Augen einer Katze schienen sie ihn anzufunkeln. Kampflustig, wissend, lauernd, überlegen, siegesgewiss. "Wie lange willst du bei ihr Unterschlupf suchen, Ryan?" fragte er und lächelte kalt. "Glaubst du etwa, ich würde zu lassen, dass du glücklich wirst? Meinst du, ich wüsste nicht, wo du dich befindest? Welche Schwachstelle du nun besitzt. Naives, dummes Kind." Verächtlich spukte er die letzten Worte aus. Sein Körper zitterte im kalten Nachtwind, doch nun spürte er keine Kälte mehr. Hass und Wut wärmten seine Glieder, sein alter Geist erwachte. Langsam keimte er empor. Wie die Saat im Frühling reckte er sich der Sonne entgegen. "Ryan, Ryan. Wie dumm von dir. Du glaubst doch wirklich, dass du nun Frieden finden kannst. Du bist wahrlich noch sehr jung. Für dich gibt es keinen Frieden, genauso wenig wie es ihn für mich gibt. Wir sind uns zu ähnlich, viel zu ähnlich. Ich weiß, was du nun träumst, welche Angst tief in dir steckt. Sie ist der meinigen nicht unähnlich. Kleines Waldkind, ich schenke dir den Winter. Nutze ihn gut, der Frühling kommt schneller als du glauben magst. Im Frühling sehen wir uns wieder." Scheu öffnete Katlar seine Augen. Sterne funkelten hell am schwarzen Firmament, erfüllten seinen kalten Blick mit ein bisschen Wärme und Zuversicht. Seufzend lösten sich seine verkrampften Finger um den kalten Stein. Warmes Blut klebte an seinen Fingerspitzen. "Bis zum Frühling", flüsterte er abermals und lächelte. "Ich freue mich auf unser Wiedersehen. Bis zum Frühling, Ryan..." Die Luft brannte in ihren Augen. Als wäre es flüssiges Feuer, legte sie sich über das verletzliche Gewebe, stach wie mit tausenden von Messern immer wieder und wieder in ihr Fleisch hinein. Tränen glitten über ihre Wangen, legten die braune Haut unter der dicken Schicht aus Schmutz und Russ wieder frei. Schleppend war ihr Gang. Sie fühlte die starke Hand, welche sich um ihr Handgelenk gelegt hatte und sie festhielt. Tief inhalierte sie die Luft, doch sie schmeckte seltsam. Nach Rauch, Blut und Verzweifelung. Ja, die Luft schmeckte nach alledem. Machte ihr deutlich, dass sie verloren hatte. Alles hatte sie verloren, einfach alles, was sie geglaubt hatte zu besitzen. Sie weinte, schrie ihren Schmerz laut hinaus. Wollte der Welt zeigen, wie groß ihre Pein war. Ihre kraftlosen Beine brachen unter ihr weg, bewegungslos lag sie in der von Blut aufgeweichten Erde. Sie fühlte, wie man sie immer weiter zog. Unermüdlich, immer weiter und weiter. "Steh auf", zischte eine Stimme über ihr. Sie kannte sie, doch sie wollte diese Stimme jetzt nicht hören. Sie wollte vergessen, alles einfach vergessen. Ausblenden, als wären diese Ereignisse nur ein schrecklicher Traum gewesen. "Törichtes Kind", schrie die Stimme nun lauter. Ein harter Schlag traf sie im Gesicht, doch sie fühlte ihn nicht. Sie konnte keinen Schmerz mehr fühlen. "Steh endlich auf, kleines Waldkind, oder ich lasse dich hier verrecken. Erbärmlich bist du. Dafür ist Sera bestimmt nicht in den Tod gegangen." Fest presste sie ihre Augen zusammen, biss sich auf die Unterlippe, bis sie Blut schmeckte. Keuchend erhob sie sich, blickte in kalte grüne Augen. Ein weiterer Schlag traf ihr Gesicht und ihr Kopf wurde zur Seite geschleudert. "Ich hasse dich", schrie sie mit Tränenerstickter Stimme. "Ich hasse dich." Ein leises Lachen drang an ihre Ohren. Irritiert hob sie ihren Kopf, erwiderte den abschätzenden Blick stolz. Jede Faser ihres Körper spannte sich, ihre kleinen Hände ballten sich zu Fäusten. "Ich hasse dich", schrie sie so laut, dass sich ihre kindliche Stimme überschlug. Zitternd stand sie da. In Blut, Zerstörung und Verlust. Kurz schloss sie ihre schmerzenden Augen. Tränen bahnten sich ihren Weg durch ihre fest verschlossenen Augenlider. Höhnisch schallte das kalte Lachen der Frau zu ihr hinüber. Immer näher kam sie, Äste knackten unter ihren Stiefeln. Je packte sie eine Hand, drückte sie gen Boden, riss an ihrem Haar. Verzweifelt kämpfte sie darum, diesen Feind abzuschütteln, sich frei zu machen. Es war vergeblich, sie war zu schwach. Immer stärker wurde der Druck, bis sie ihr Gesicht in das feuchte Erdreich gepresst wieder fand. Sie hustete, versuchte zu atmen. Tief inhalierte sie den würzigen Geruch, Wasser glitt ihre Kehle hinab. "Du hasst mich?" hörte sie die Stimme über sich sprechen. "Du weißt doch noch gar nicht, was wirklicher Hass bedeutet, Närrin." Noch einmal verstärkte sich der Druck, hielt sie für einen kurzen Moment gefangen. Doch schließlich wurde ihr schwacher Körper nach oben gerissen. Sie würgte, hustete und starrte hasserfüllt ihre Peinigerin an. "Aber, meine Kleine", sagte diese und lächelte spöttisch. "Du wirst es bald wissen. Ich schwöre es dir, bald wirst du genauso hassen wie ich..." Hastig schlug Ryan ihre Augen auf. Blickte sich verstört um. Ihr keuchender Atem hallte durch den kleinen Raum. Dunkelheit hielt sie umfangen, tröstlich und ruhig. Vorsichtig tastete eine ihrer Hände über das verschwitzte Bettlaken. Ein erleichtertes Lächeln ließ ihre verspannten Gesichtszüge weich werden, als sie die Wärme des anderen Körpers spürte. Tief atmete Ryan die schwere Luft in ihre Lungen ein, langsam beruhigte sich ihr laut schlagendes Herz. Lange hatte sie nicht mehr solch einen Traum gehabt. Jedoch, es war kein normaler, fiktiver Traum. Es war etwas, dass zu ihrer Geschichte gehörte. Alte Geister, die sie immer noch jagten und die sie nicht abschütteln konnte. "Du hattest recht, Markos", flüsterte sie und strich sich zitternd einige Haarsträhnen aus der Stirn. "Ich werde wahrhaft lange kämpfen müssen bis sie endlich verschwindet." Unruhig wanderte ihr Blick umher, doch plötzlich hielt sie inne, drehte sich vorsichtig auf die Seite und lächelte. Friedlich und ruhig schlief Ayesha neben ihr. Fasziniert beobachtete Ryan, wie sich ihr Brustkorb in einem gleichmäßigen Takt anhob und senkte. Sie erinnerte sich, dass sie Ayesha schon damals, während ihrer Reise, um ihren friedlichen Schlaf beneidet hatte. Sie selbst schlief nie so tief, dass sie in der Lage war zu träumen. Zu groß war die Angst, so etwas immer wieder und wieder zu erleben. Zaghaft streckte Ryan eine Hand aus, berührte das Gesicht Ayeshas zärtlich mit ihren Fingern. Sanft strich sie die Konturen nach, verlor sich in der Ruhe, welche Ayesha ausstrahlte. Sie lächelte glücklich und rückte ein Stück näher an den anderen Körper heran, schlang die Arme um ihn und legte ihren Kopf auf die Brust Ayeshas. Müde schloss sie ihre Augen, lauschte dem gleichmäßigen Herzschlag, als würde er ihr eine Geschichte erzählen. Ryan fühlte, wie die Anspannung aus ihren Gliedern wich, sie dieser süßen Ruhe erlag. Hatte Ayesha überhaupt eine Ahnung, wie dankbar sie ihr war? Wie viel Macht sie über Ryan hatte? Sie hielt sie in ihrer Hand, jedoch nicht besitzend, sondern beschützend und für diesen Schutz war Ryan unendlich dankbar. "Ich liebe dich", wisperte sie leise und umfing den warmen Körper noch fester mit ihren Armen. "Ich sage diese Worte viel zu selten. Ich liebe dich, Ayesha." "Und ich dich." Irritiert hob Ryan ihren Kopf an. Ihre Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, doch dann erblickte sie, dass Ayesha ihre Augen geöffnet hatte und sie anlächelte. "Ich dachte du würdest schlafen", erwiderte Ryan leise und küsste sie flüchtig auf ihre Stirn. "Da siehst du wieder", flüsterte Ayesha ebenso leise und streichelte sanft über Ryans Haar. "Auch eine Kriegerin kann dem erliegen was sie sehen will. Du hast mich aufgeweckt." "Verzeih, dass war nicht meine Absicht." Ein leises Lachen entfuhr Ayesha, sie schüttelte sacht ihren Kopf. Manchmal erschien ihr Ryan nicht als junge Frau, sondern als kleines Mädchen. Insbesondere, wenn Ryan sie mit solch einem Blick ansah. Es hatte etwas Kindliches und unschuldiges. "Warum musstest du nur so früh erwachsen werden?" dachte Ayesha wehmütig, zog Ryan sanft zu sich und streichelte über ihr Haar. "Von was hast du geträumt?" fragte sie nach einer Weile und spürte, dass sich Ryan in ihren Armen versteifte. "Ist das wichtig?" entgegnete diese ausweichend. "Nein, ich dachte nur, du würdest es mir gerne erzählen." Ein leiser Seufzer drang an Ayeshas Ohren und sie hielt Ryan fester umschlungen. Diese legte ihren Kopf erneut auf ihre Brust und atmete tief durch. "Ich habe von Resa geträumt, von dem Tag, an welchem alles begann. Es war seltsam, ich konnte sogar das Blut riechen, das über allem lag. Es war so real..." Ein kurzes Zittern durchfuhr Ryans Körper und sie presste ihre Augen fest zusammen. "Verstehst du, Ayesha?" fragte sie leise und wandte ihr das Gesicht zu. "Es war zu real, zu greifbar. Es war nicht einfach nur ein Traum." Sacht nickte Ayesha verstehend, umfing das Gesicht Ryans mit ihren Händen. Hielt es liebevoll umfangen. "Irgendwann wird sie verschwinden", versicherte sie zuversichtlich und lächelte aufmunternd. "Irgendwann..." "Nein", unterbrach sie Ryan unruhig. "Ich weiß, dass sie nicht gehen wird. Nicht bevor ich es selbst zulasse." "Dann lass es doch endlich zu", bedauernd blickte Ayesha Ryan in ihre Augen. Ihre Gesichter waren nur noch eine Fingerlänge von einander entfernt. "Warum quälst du dich jedes Mal von neuem? Lass es doch endlich ruhen." Ein scheues Lächeln bildete sich um Ryans Mundwinkel und sie senkte ihren Blick. "Du hast Recht, jedoch, ich habe es versucht. So oft habe ich versucht zu vergessen. Ich schaffe es einfach nicht. Ich schaffe es nicht, verzeih." Schweigend sah Ayesha Ryan an. Sanft, aber bestimmt, zog sie ihr Gesicht an das ihre. Küsste ihre zitternden Lippen. Verstehend, liebend, vertrauend. Sie wollte nicht mehr reden. Alles was sie wollte, war die Wärme Ryans zu spüren. Ihre Liebe fühlen. Zögernd erwiderte Ryan den Kuss, verbannte die dunklen Erinnerungen. Welches Gewicht besaß die Vergangenheit jetzt in diesem Moment? Sie sollte verschwinden, aus ihrem Denken und Fühlen, sie sollte bedeutungslos werden. Jedenfalls für einen winzigen Moment. Sie würde früh genug zurückkehren. Zärtlich küsste sie dieses wunderschöne Mädchen. Hatte sie überhaupt eine Ahnung, was sie durch dieses Handeln in ihr auslöste? Wie sehr sich Ryan nach ihr verzehrte? Sie hatte gewartet, bei den Göttern, sie hatte lange gewartet, um Ayesha so nahe sein zu können wie in diesem Moment. Nur der, dieser eine Gedanke, hatte sie ihre Gefangenschaft überstehen lassen. Nur dieser eine Gedanke, nur dieser eine Wunsch. Vielleicht war es darum manchmal so unwirklich, so als würde sie nur träumen. Langsam wanderten die zierlichen Hände Ayeshas ihren Rücken hinunter, suchten sich ihren Weg unter den Stoff des Gewandes, welches Ryan trug. Schienen die Haut unter ihm zu verbrennen. Mit jeder Berührung steigerte sich die Anspannung in Ryans Muskeln. Sie fühlte die sanften Hände, wie sie ihren Rücken entlang strichen, bis sie zwischen ihren Schulterblättern ruhten. Ein schwaches Zittern ließ Ayesha erbeben, widerwillig löste sie den Kuss, sah Ryan lange schweigend an. Suchte in ihren Augen eine stumme Zustimmung, ein Zeichen, doch sie waren leer. Schüchtern erwiderten Ryans Hände das sanfte Streicheln, vorsichtig, darauf bedacht nichts falsch zu machen, glitten sie Ayeshas Körper hinab und wanderten zurück zu ihren Händen. Verbanden sich mit ihnen zu einem beschützenden Halt. Eine leichte Röte zierte Ayeshas Wangen und ihr Atem wurde mit jedem Zug schneller. Warum spürte es Ryan nicht? Warum ignorierte sie ihre Zeichen so beharrlich? Musste sie noch deutlicher werden, ihre Wünsch einklagen, wie ein bittendes Kind? Immer noch schweigend führte sie Ryans Hände an ihre Lippen, küsste ihre Fingerspitzen und sah sie eindringlich an. Plötzlich veränderte sich der Ausdruck in Ryans hellen Augen. Sie glühten auf, und ihre Lippen trafen sich erneut zu einem Kuss. Ein leiser Seufzer entglitt Ayeshas Kehle, fest umfing sie den andern Körper. Spürte dessen Wärme. Die Haut, welche sie berührte glühte auf. Ihr Denken war im Fieber, tausende von Empfindungen durchfluteten ihren Körper. Je unterbrach Ryan den Kuss, drehte ihren Kopf zur Seite und atmete schwer durch. "Was hast du?" fragte Ayesha und versuchte ihre Stimme fest und sicher klingen zu lassen. "Ich, ich", stotterte Ryan und ihre Blicke streiften sich kurz. "Ich will, ich möchte..." "Ryan, was ist los?" Sanft strich Ayesha Ryan über ihre Wange, drehte ihren Kopf in ihre Richtung, zwang Ryan ihr in die Augen zu sehen. "Ich will alles richtig machen", bekannte Ryan leise. "Ich will nicht, dass alles so schnell geht. Ich will, dass es dieses Mal perfekt ist. Verstehst du? Ich kann warten, ich will warten. Ich..." Bestimmt legte Ayesha ihr einen Finger auf die Lippen, brachte sie auf diese Weise zum verstummen und lächelte schief. "Du willst warten?" Hastig richtete sich Ayesha auf. Sie sah im fahlen Licht, dass Ryan sacht nickte. Sie seufzte leise, legte Ryan ihre Arme um den Nacken, zog sie mit sich hinunter in die weichen Decken. "Aber was ist?" raunte sie Ryan zu. "Wenn ich nicht mehr warten will?" Verstört blickte Ryan sie an, erkannte, was in ihren Augen lag. Das ihr Wunsch der dem ihren entsprach. Ergeben strich Ayesha über Ryans Gesicht, sah sie eindringlich an. "Ich will nicht mehr warten", sagte sie fest und küsste Ryan innig... Schwache Sonnenstrahlen fielen durch das winzige Fenster. Leuchteten in unregelmäßigen Abstanden in der Dunkelheit, welche in dem kleinen Raum herrschte, auf. Zärtlich streichelten sie das entspannte Gesicht von Markos. Tief atmete er die frische Morgenluft in seine Lungen ein, lächelte schief, als er ihm nicht unbekannte Empfindungen verspürte. Der weiße Stein glühte hell über seinem Herzen. Fein prickelte das helle Licht auf seiner Haut und er verstand. "Ich wollte nur sehen, wie es dir geht", flüsterte er in seinen Gedanken entschuldigend und zog sich langsam aus dem anderen Geist zurück. Stück für Stück glitt sein Bewusstsein zurück in seinen Körper, er hörte sein Herz lauter schlagen, als je zuvor. Feine Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn, sein Atem beschleunigte sich für eine kurze Zeit, während sein Geist wieder vollständig mit seinem Körper verschmolz. Benommen schlug Markos seine Augen auf, blickte auf seinen Anhänger hinab. Das Licht war erloschen. Konzentriert atmete Markos mit kräftigen Zügen ein und aus, entspannte seinen Geist, doch das Lächeln war immer noch nicht von seinen Lippen verschwunden. Ein leiser Seufzer entstieg seiner Kehle. Regelmäßig pulsierte sein Blut nun wieder durch seine Adern, sein Herzschlag war ruhig und gleichmäßig. Müde fuhr sich Markos über sein Gesicht, warf einen flüchtigen Blick zur Seite und fixierte dann liebevoll den schlafenden Körper neben sich. Zärtlich wanderten seine Fingerspitzen über das wunderschöne Gesicht seiner Frau. Sanft, darauf bedacht sie nicht zu wecken, strich er ihr einige verirrten Haarsträhnen hinter ihr Ohr, legte dann seine Hand auf ihre Wang und küsste flüchtig ihre Stirn. Wie lange hatte er solch einen Anblick entbehrt? Er hatte wahrlich vergessen, wie schön es war, neben ihr aufzuwachen. Sie in ihrem friedlichen Schlaf zu beobachten, ihre Nähe zu spüren, ihre Stimme zu hören und ihre Liebe zu erfahren. Es war wahrlich lange her, zu lange. "Verzeih mir", raunte Markos ihr zu und küsste sie sacht auf die Wange. "Verzeih mir, Nima. Wie oft ich diese Worte zu dir sagen muss, ist in der Tat bedauernswert. Ich weiß, ich bin ein Schuft...Verzeih mir, meine Liebe, verzeih mir." Zaghaft erhob sich Markos, deckte seine Frau fürsorglich zu und schlich leise aus dem kleinen Zimmer. Friedliche Stille umfang ihn. Wie wunderschön war es, nicht mehr diese Angst zu spüren. Die Sorgen und Zweifel ruhen zu lassen, sie würden früh genug zu ihm zurückkehren. Auf leisen Sohlen schlich Markos weiter, kurz hielt er vor einer Tür inne und öffnete sie vorsichtig. Erneut lächelte er, als sein Blick auf die schlafenden Körper seiner Töchter fiel. Er erinnerte sich schmerzlich, dass es Tage gedauert hatte, bis sie mit ihm gesprochen hatten. Ihre Augen hatten jede seiner Bewegungen stumm und strafend verfolgt, und Markos wusste, dass er diese Art von Strafe verdient hatte. Die Tür knarrte und fiel leise ins Schloss. Seufzend lief Markos weiter. In seinem Haus hatte sich viel verändert, seit er zum letzten Mal durch die Zimmer gegangen war. Was konnte er auch anderes erwarten? Jedes Jahr von neuem verschwand er, sobald der Schnee zu tauen begann. "Zeit verändert alles", dachte er bitter und hüllte sich in seinen schweren Umhang ein. "Sie verändert einfach alles..." Kalter Wind empfing ihn und er fröstelte. Majestätisch erhob sich die Sonne hinter den Hügeln. Der Schnee glitzerte rötlich, fast wie Blut. Fester zog Markos den Umhang um sich, verschränkte seine Arme vor der Brust und wohnte diesem Schauspiel stumm bei. Nur selten war es ihm vergönnt, solchen Dingen beizuwohnen. Sie einfach auszukosten. Zu viele Sorgen belasteten sein Denken, zu viele Empfindungen rasten durch seinen Geist. Das war die Strafe seines Stammes von jeher gewesen. Fast schon zu klein war sein Geist für all die Gefühle, welche er verspürte. Fast schon zu schwach war er selbst durch diese zerrenden Reisen geworden. "Kara", flüsterte Markos und schloss seine Augen. Leise heulte der Wind in seinen Ohren, wirbelte einige Schneeböen auf. "Sei unbesorgt, es geht ihr gut. Sehr gut sogar. Ich hab sie gespürt, Schwester." Leise streifte der Wind über seine Haare, streichelten sanft seinen Kopf. Markos lächelte zärtlich. "Du bist früh auf den Beinen, mein Freund." Hastig wandte Markos seinen Kopf zur Seite, blickte in die müden Augen seines Freundes und nickte sacht. "Ich konnte nicht mehr schlafen. Was treibt dich so früh aus der Wärme deines Hauses, Ragan?" Der Schnee ächzte unter Ragans Stiefeln während er näher auf Markos zuging. Sein Haar hing im strähnig in die Stirn und unter den müden Augen zeigten sich dunklen Schleier. "Ich habe schlecht geschlafen", sagte er leise und fuhr sich seufzend über sein Gesicht. "Onone schenkte mir böse Träume." Ein scheues Lächeln zierte Markos Gesicht, während er seinem Vertrauten verstehend zu nickte. "Ich weiß", sagte er schließlich und ließ seinen Kopf hängen. "Mir geht es nicht anders. Unsere Göttin segnet uns dieses Mal nicht mit ihrer Güte." "Wahrlich nicht, Markos", bestätigte Ragan und blickte zu den Hügel. "Sag, hast du deiner Nichte einen Besuch beschert?" Ein leises Lachen drang an Ragans Ohren und er wandte Markos sein Gesicht zu. In seinen Augen blitzte es schelmisch. "Ja, dass habe ich getan. Aber ich glaube, mein Besuch war zu einem schlecht gewählten Zeitpunkt." "Wie meinst du das?" fragte Ragan und runzelte argwöhnisch seine Stirn. Stumm blickte Markos in Ragans Augen, zwinkerte ihm kurz zu und lachte laut auf, als er die Erkenntnis in Ragans dunklen Augen aufkeimen sah. Leise pfiff dieser durch die Zähne und grinste. "In Ordnung, ich habe schon verstanden. Dann war es wirklich besser, dass sie dich nicht bemerkt hat." "In der Tat, so wie ich Ryan kenne, wäre sie darüber wenig erfreut gewesen." "Ich glaube viel eher, sie wurde bei eurem nächsten Zusammentreffen ihre Krallen an dir wetzen", erwiderte Ragan und schlug Markos leicht auf den Rücken. Schweigend standen beide Männer neben einander, blickten dem Sonnenaufgang zu. Spürten, wie das Licht immer wärmer wurde und ihre dunklen Vorahnungen zerstreute. "Weißt du Ragen", sprach Markos mit Bedauern in der Stimme. "Es ist seltsam. Ich habe dieses Mädchen nur für eine kurze Zeit gesehen, doch ich beginne sie bereits zu vermissen." "Das ist doch nicht seltsam. Immerhin hast du fast dein ganzes Leben nach ihr gesucht. Da ist es natürlich, dass du sie jetzt vermisst." "Ich weiß", flüsterte Markos so leise, dass es fast vom Wind verschluckt wurde. "Ich hoffe nur, sie nutzt ihre Zeit gut. Ich wünsche mir, dass sie ein wenig Glück finden wird. Sie hat es verdient, sie..." Je riss Markos seine Augen auf, presste seine Hände gegen seinen Kopf und sank auf seine Knie. Krämpfe schüttelten seinen Körper und der weißte Stein glühte heiß auf. Dunkel wurde der Himmel, Wolken verhüllten die Sonne. Kalt wurde es um ihn, Blut quoll aus der Erde empor, überschwemmte die Welt wie eine gigantische Flut. Tote Körper trieben auf der roten Oberfläche, ihre Augen waren weit aufgerissen. Angst verzehrte ihre Gesichter zu garstigen Fratzen. Gellend schrie Markos auf. Dunkelheit ließ seine Augen blind werden. Er hörte Schreie von sterbenden Menschen, das Klirren von Schwertern, roch den Geruch von verbrannter Erde. Schmerz erfasste jede Faser seines Körpers, nahm ihm die Kraft um aufstehen zu können. Wie Feuer brannte sein Anhänger auf seiner Brust, der Geruch von versengtem Fleisch stieg ihm in die Nase. "Markos", weit entfernt erschien ihm die Stimme Ragans. Er spürte zwei starke Arme, die ihn festhielten, ihn aufrichteten. Jedoch waren seine Glieder zu schwach, um seinen Körper zu tragen. Kalter Schnee berührte seine Handflächen, ein schreckliches Husten durchfuhr Markos Körper. Langsam verschwanden die Bilder aus seinem Geist, er hustete und der bittere Geschmack von Blut berührte seine Zunge. "Markos", schrie Ragan und stützte seinen Freund. "Was, was ist passiert. Markos, was hast du?" Keuchend kniete Markos im Schnee, versuchte das eben gesehen zu verstehen, einzuordnen. Immer noch zitterte sein Körper unkontrolliert und er schlug seine schmerzenden Augen auf. Blickte unter sich, eine feine Spur aus Blut ließ den weißen Schnee rot aufleuchten. "Markos, red mit mir? Was hast du, Bruder?" "Der Wolf wird einen großen Fehler machen", flüsterte Markos abwesend. "Einen großen Fehler...Krieg...Tod...Blut..." Angsterfüllt packte Ragan Markos, zog ihn hinauf, hielt ihn fest. "Von was sprichst du da Markos? Was hast du gesehen, sag es mir." "Krieg, Ragan", stammelte Markos, seine Hände ballten sich zu Fäusten. "Krieg...Zerstörung...Blut. Der Wolf, er ist so dumm, so dumm. Er begeht seinen letzten Fehler. Im Frühling...Krieg...Bald...Im Frühling, ja im Frühling werden wir durch Blut waten. Im Frühling, im Frühling..." Nachwort: Hallo, an alle, die dieses Kapitel von mir gelesen haben. Ich weiß, ich habe mir sehr lange Zeit gelassen, bis ich ein neues hochlade. Ich hatte super viel privaten Stress in der letzten Zeit. Uni, sonstiges Zeug, Arbeiten. Ich hatte einfach keine Zeit um zu tippen. Ich hoffe aber, die Wartezeit war nicht all zu lang. Genauso sehr hoffe ich, dass dem einen oder anderen dieses Kapitel gefallen hat. Für Kritik bin ich ja jederzeit offen! Eigentlich wollte ich mit diesem Kapitel zeigen, dass jeder der Figuren eine Bürde mit sich herum schleppt, die er/sie einfach nicht los wird und immer wiederkehrt. Ich hoffe, dass ist mir ein bisschen gelungen. Ich kann schon mal versprechen, dass es in den letzten Kapitel noch so einiges auf euch zukommt, aber was, verrate ich nicht. Sonst ließt es ja keiner. Einen Gruß, fast wie immer, an Igel und Mondscheinelfe, meine wirklich treuen Leser! © 2004 by seen Kapitel 25: Blutiger Schnee --------------------------- Blutiger Schnee Fahles Licht flackerte in unregelmäßigen Abständen auf. Kalter Wind suchte sich seinen Weg durch die kleinen Ritze des Mauerwerks. Ließ das Feuer der Fackeln sacht erschaudern. Zusammen gesunken saß Gerin in einem großen Lehnsessel, tippte sich in einem gleichmäßigen Rhythmus mit seinem Zeigefinger gegen sein Kinn. Nachdenklich furchte er seine Stirn und fixierte das Spielbrett sorgenvoll. Während der letzten Wochen hatte er viel gespielt. Jeden Abend hatte er seine Partie fortgesetzt, hatte neue Züge und Strategien festgelegt, bis letztendlich nur noch wenige Figuren übrig geblieben waren. Sein Spiel war fast zu ende. Lange würde es nicht mehr dauern, bis er seinen letzten Zug vollführen würde. Der Sieg war ihm sicher, so sicher, dass er ihn beinahe mit seinen Finger greifen konnte. Er lächelte schief, zog einen der Schwertkämpfer zwei Felder vorwärts und sank seufzend gegen die Lehne des Sessels. Mit diesem Zug hatte er dem Boten des Generals den Weg abgeschnitten. Es war ein guter Zug gewesen, sein Vater wäre stolz auf ihn. Er war, während der letzten Jahren, wahrlich ein Meister des Thorns geworden. Er war ein beinahe unschlagbarer Spieler. Doch nicht nur in diesem fiktiven Spiel hatte er sich zu einem Meister entwickelt. Gerin wusste, seine Fähigkeiten waren in den letzten Jahren gewachsen. Er war mächtiger und stärker geworden, als es der Hohe Rat jemals für möglich gehalten hatte. "Diese Narren glauben doch wirklich, ich wäre eines ihrer Spielzeuge", dachte er bitter und stand auf. "Wie einfältig von ihnen. Sie werden schon noch sehen, welch ein Spielzeug sie geschaffen haben. Welch einen mächtigen und dunklen Strategen." Ein bösartiges Lächeln legte sich um Gerins Mundwinkel, während er mit zittrigen Fingern den kleinen Dolch aus der Scheide zog. Getrocknetes Blut klebte noch immer an der Klinge. Dunkel glitzerte es im spärlichen Licht auf. Unwillkürlich erinnerte er sich an den Ausdruck in Neroms Augen, kurz bevor er ihm die Kehle durchtrennt hatte. Angst hatte er in ihnen lesen können. Angst, Vorahnungen und Entsetzen. Wie sehr hatte er dieses Gefühl der Macht genossen. Welch eine Last war von seinen Schultern geglitten, als er seinem ehemaligen Lehrmeister das Lebenslicht gestohlen hatte. Es war ein erhabenes Gefühl gewesen, schwer sich ins Gedächtnis zurufen. Zu überwältigend hatte es sich angefühlt. Aus diesem Grund hatte es Gerin bis jetzt auch vermieden, diese Klinge zu säubern. Sorgfältig war er darauf bedacht gewesen, sie nicht berühren. Zärtlich strichen seine Fingerspitzen über das dunkle Blut. Es fühlte sich merkwürdig an. Beinahe so hart wie Stein, doch gleichzeitig so porös, dass er fürchtete es zu zerstören. "Damit hattest du nicht gerechnet, nicht wahr, alter Freund", flüsterte Gerin leise und hob den Dolch ein wenig an. "Du hattest nie damit gerechnet, dass ich es sein würde, der dir den Tod bringt." Leise lachte er auf. Es war alles zu perfekt. Still und behutsam hatte er Nerom und zwei weitere Mitglieder des Hohen Rates entfernt. Angst ging in den Reihen der Hinterbliebenen um. Jeder fragte sich, wer der nächste sein mochte. Beständig schwebte diese Gefahr über ihnen, sie begannen Fehler zu machen. Grobe Fehler. Exekutionen waren veranlasst worden, neue Gesetze, wichtige Männer waren ihrer Ämter enthoben. Unmut hatte sich unter den Kriegern breit gemacht. Einen Unmut, den Gerin gut für sich nutzen konnte. Jeden Tag mehr und mehr wuchs leise seine Macht und niemand konnte diesen Zustand aufhalten. Niemand. Es war alles perfekt... Mit einer schnellen Handbewegung ließ Gerin den Dolch zurück in den Scheide gleiten. Er durfte ihn noch nicht nutzen, er hatte seine Bestimmung noch nicht erfüllt. Genau wie er selbst. "Siehst du das, Bruder?" fragte er und trat zum Fenster. Leise fiel junger Schnee vom Himmel. Dunkle Wolken verhüllten die Sterne, die Welt schlief. "Siehe genau hin. Ich habe es dir gesagt, du wirst meinen großen Sieg miterleben. Wie töricht von dir, dass du nicht auf meiner Seite stehst. Wie töricht, Katlar. Ich hätte nie geglaubt, dass du so dumm bist." Schweigend quittierte die Welt seine Worte. Unaufhörlich fiel der Schnee, legte sich behutsam über die kahlen Baumwipfel. Ließ sie fast wie Geister wirken. Wie sehr hatte sich Gerin die Unterstützung seines Bruders gewünscht. Katlar war ein großer Krieger. Viele verehrten ihn noch, doch das schien für ihn keine Bedeutung mehr zu haben. Alles, wonach Katlar strebte, war seinen Frieden zu finden. Jedoch erschien es beinahe grotesk, dass er nur in seinem eigenen Tod oder in dem Tod des Mädchens dazu in der Lage sein würde. Um diesen Umstand wusste Gerin, nur hatte er bis jetzt gezögert von seinem Wissen gebrauch zu machen. "Eines muss ich dir lassen", flüsterte er, lehnte seinen Körper leicht gegen die kalte Wand. "Du hast dir ein gutes Versteck gesucht, keiner meiner Späher hat dich bis jetzt gefunden. Ryan ist darin nicht minder geschickt. Ich habe ihre Spur in den Wäldern verloren. Im Verstecken seid ihr wahre Meister." Zärtlich strich Gerin über das kalte Glas des Fensters. Kaum merklich begannen seine Hände zu zittern. Nervosität vibrierte in seinen Nerven. Schon seit vielen Jahren hatte er sich nicht mehr so gefühlt. Unwirklich, nervös wie ein Schüler der zum ersten Mal seinem Lehrmeister gegenüber steht. "Ihr habt mich alle unterschätzt", dachte er missmutig. "Habt geglaubt, ich wäre ein naiver Junge. Jetzt werdet ihr dafür bezahlen. Es ist ein hoher Preis, den ihr zahlen werdet. Oh ja, ein sehr hoher Preis." Laut heulte Wind in den Baumkronen auf, Äste brachen unter dem Gewicht des Neuschnees und fielen ächzend in die Tiefe. Zufrieden wandte Gerin seinen Blick vom Fenster ab. Ließ sich schnaufend zurück in den Sessel sinken und besah prüfend das Spielbrett. Zögernd streckte er seine Hand aus, vollführte für die Gegenseite einen gut durchdachten Zug und nahm zwei seiner Figuren vom Brett. Das Spiel neigte sich dem Ende. Feine Schweißperlen sammelten sich auf Gerins Stirn, während er seinen nächsten Zug plante. Nur noch zwei Mal die Figuren bewegen, nur noch zwei Mal alles abwägen, dann war es entschieden. Jahre lang hatte er gespielt. Hatte alles sorgsam geplant, hatte sich Nächte lang Gedanken gemacht. Nun war es Zeit die Früchte seiner Arbeit zuernten. Er hatte eine wahrlich gute Saat gewählt. Genüsslich umfassten seine Finger den Kopf des Magiers. Er zitterte vor Wohlgefallen. Ganz langsam zog er die hölzerne Figur über das Brett, bis sie genau drei Felder vor den hohen Generälen stand. Zufrieden nickte er, entfernte die vier besiegten Spielfiguren und legte sie sorgsam neben das Brett. Entspannt sank Gerin zurück. Den letzten, entscheidenden Zug würde er sich aufheben. Zu groß war die Süße des Sieges, als das man sie leichtfertig vergeuden durfte. Und sein Sieg würde wahrlich ein großer werden. Dessen war sich Gerin gewiss. Er wollte sich diesen Genuss bis zum Schluss aufbewahren. Es war bald soweit. Bald war das Ende seines Spiels gekommen. Schon sehr bald... Leise ächzte der Schnee unter den Pfoten Lobas auf. Aufgeregt lief die schwarze Wölfin hin und her, versuchte ihr gegenüber zu einem Spiel zu bewegen. Fest stemmte sie ihre Vorderpfoten in den Schnee, blickte das große Mädchen an. Wedelte auffordernd mit ihrem Schwanz. Scharrte etwas Schnee zu ihren Füßen, jaulte leise und sprang gleich darauf wieder auf ihre Pfoten. Doch all ihre Mühe war vergebens. Das große Mädchen reagierte nicht. Starr saß es auf einem kleinen Felsen, ihre Augen waren geschlossen und ihr Atem entwich gleichmäßig ihrem Körper. Verwirrt setzte sich Loba, legte ihren Kopf schief, fixierte ihr gegenüber fest. Forschte in dem verschlossenen Gesicht, fand jedoch nichts. Kalt schien die Mimik dieses Menschen zu sein, fast wie Eis war das junge Gesicht. Vorsichtig neigte die schwarze Wölfin ihren struppigen Kopf, kroch zaghaft auf allen vieren näher an das große Mädchen heran. Der ihr jahrelang vertraute Geruch dieses Menschen stieg ihr in die Nase. Genüsslich schloss die Wölfin ihre Augen, brummte leise und legte ergeben ihren Kopf zu den Füßen des Mädchens nieder... Konzentriert hielt Ryan ihre Augen geschlossen, versuchte alle Einflüsse aus der Außenwelt von sich abzuschirmen. Ein leichtes Prickeln auf ihrer Haut ließ sie wissen, dass sie eine Verbindung zur Traumwelt geschaffen hatte. Die Welt verschwamm langsam vor ihren Augen, schneller rauschte ihr Blut durch ihre Adern. Fester versuchte sie vorzudringen, einen Kontakt her zustellen. Wie sehr sehnte sie sich nach der liebevollen Stimme ihres Onkels. Nie hätte sie glaubt, dass sie zu einem Menschen solch eine Bindung eingehen könnte. Die kalte, unnahbare und verschlossene Ryan war durch Markos und Ayesha verschwunden. Leicht lächelte sie, war dieser Umstand doch noch so neu. So neu, dass sie sich oft fragte, ob sie träumte. Es war auch fast wie ein Traum. Sie hatte Liebe gefunden. Eine aufrichtige, tiefe Liebe, wie man sie nur einmal in einem gesamten menschlichen Leben verspüren mochte. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sich Ryan zu gehörig. Zu einer Familie, zu einem Menschen. Alles war vollkommen, und doch war diese stille Angst tief in ihr geblieben. Diese Angst, dass die dunklen Schatten ihrer Vergangenheit sie einhohlen würden. Nie waren sie gewichen. Würden sie es jemals vollständig tun? Wie gern wollte sie daran glauben. War nicht der Glauben das Werkzeug, welches die Menschen jeden Tag von neuem aufrichtete? Ihnen Kraft gab, um den neuen Tag zu bestreiten? Wie sehr wollte Ryan dieses Mal daran glauben, dass diese dunklen Schatten sie nicht finden würden. Stumm rief sie den Namen ihres Onkels, versuchte sein Bildnis sich ins Gedächtnis zu rufen. "Markos", rau war ihre Stimme, während sie diesen Namen sprach. "Markos, hörst du mich? Onkel, sprich mit mir..." Schweigen. Nichts war zu vernehmen, sie hörte die ihr vertraute Stimme nicht tief in ihrem Inneren. Konzentriert verharrte Ryan, rief sich das Gesicht ihres Onkels zurück in ihr Gedächtnis. Hielt es mit unsichtbaren Fingern fest. "Markos", flüsterte sie leise in ihren Gedanken. "Ich weiß, dass du da bist. Ich spüre dich. Warum antwortest du mir nicht?" "Du bist geschickt geworden, Nichte." Schief lächelte Ryan. Warm prickelte der weiße Stein über ihrem Herzen, erfüllte ihren Körper mit Zuneigung. "Ich habe es gespürt. Du hast schon länger stumm meinen Worten gelauscht. Wolltest du mich prüfen?" fragte sie und in ihrer Stimme schwang Ärger mit. Ein leises Lachen hallte in ihrem Kopf wider, gut konnte sie sich das lachende Gesicht Markos' vorstellen. Die kleinen Fältchen, die sich um seine Mundwinkel legten, den schelmischen Ausdruck in seinen Augen. In solchen Momenten erschien er mehr wie ein kleiner Junge, nicht wie ein Mann. "Ja, in gewisser Weise wollte ich das, Ryan. Ich muss doch sicher gehen, dass du den Umgang mit dieser neuen Welt beherrschst." Das Lächeln auf Ryans Gesicht wurde wärmer. Schon seit Jahren war es nicht mehr so ehrlich gewesen wie in diesem Augenblick. Es war wahrlich lange her, zu lange. "Ich habe dich vermisst, Markos", bekannte sie zaghaft. Zuckte im nächsten Moment zusammen. Ihre Hand begann zu zittern, die feinen Haare stellten sich auf, während unsichtbare Finger sanft über ihre Haut strichen. "Ich weiß", erwiderte ihr Onkel mit bedauern. "Ich vermisse dich auch, Ryan. Das Leben spielt seltsam mit uns, nicht wahr? Wer hätte das einst für möglich gehalten..." "Von was sprichst du?" Ein leises Seufzen erfüllte diese unnatürliche Welt, ließ ihre leuchtenden Farben dunkler werden. "Jahre lang waren wir getrennt, kannten uns nicht und nun, da sich alles verändert sehnen wir uns nacheinander. Aber sag, bist du glücklich?" "Ja", zu ihrer eigenen Überraschung musste Ryan nicht lange über diese Antwort nachdenken. Sie kam ganz selbstverständlich über ihre Lippen. Es war zum ersten Mal in ihrem Leben einfach zu sagen, dass sie glücklich war. Sie konnte das zufriedene Gesicht ihres Onkels sehen, wie er anerkennend nickte, ihr zu lächelte. Sie spürte, dass der Druck auf ihrer Haut stärker wurde. Sie erwiderte ihn... Sanft hielt sie die Hand Markos' umfangen, fühlte seine Stärke, sein Vertrauen. "Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mich diese Antwort freut", erklärte er erleichtert. Doch irgendetwas Fremdes schwang noch in seiner Stimme mit, es klang fast wie Bedauern oder Angst. Argwöhnisch furchte Ryan ihre Stirn. Konzentrierte sich durch die dünne Mauer, welche Markos um seine Sorgen gelegt hatte, zu brechen. Heftig prallte ihr Geist zurück, Ryan keuchte leise, wischte sich einige Schweißperlen von der Stirn und senkte schuldbewusst ihr Haupt. "Du bist geschickter geworden", raunte Markos ihr zu. "Aber so geschickt bist du noch nicht. Dieser Ort geht dich nichts an, Kleine. Er geht dich noch nichts an." "Verzeih..." "Hör auf damit", hallte die ärgerliche Stimme in ihrem Kopf wider. "Es gibt Dinge, von denen du noch nichts wissen musst. Sie werden euch früh genug erreichen, viel zu früh. Sei für die Sorglosigkeit, die ich dir schenke dankbar." Schweigend nickte Ryan. Sie verstand diese Worte nicht. Sie klagen bedrohlich, so als würde sich das Rad der Zeit bald weiterdrehen. Als würden neue Schatten über sie alle herein brechen. Furcht sammelte sich in ihrem Geist, sie begann zu zittern. Ob vor Kälte oder vor Angst, wusste sie nicht. "Hab keine Angst", sanft war nun Markos Stimme geworden. So, als würde er versuchen einen Albtraum zu verscheuchen. Sanft strich seine Präsenz um Ryan, versuchte ihr Kraft zu geben. "Ryan, du musst mir einen Gefallen tun." "Jeden", versicherte sie mit schwankender Stimme. "Versprich mir, dass du die Zeit mit diesem Mädchen auskostest, jeden Augenblick. So, als wäre es der letzte. Versprich es mir, bitte..." "Es gibt nichts, was ich dir lieber versprechen würde, Markos. Nichts." "Sehr gut. Ich muss jetzt gehen." "Wann sehen wir uns wieder?" fragte Ryan mit brüchiger Stimme. Ihr gefielen die Worte ihres Onkels nicht. Sie fühlte mir jeder Faser ihres Körpers, dass etwas nicht stimmte. "Bald", erklärte er zärtlich. "Aber ich hoffe, dass ich für das erste nicht all zu bald mit dir in Kontakt treten muss. Auf bald, Ryan. Ich liebe dich." Mit diesen Worten entschwand der Geist Markos' langsam. Zog sich Stück für Stück aus Ryans Körper zurück, bis sie alleine war. Zaghaft schlug sie die Augen auf. Helles Licht schien ihr ins Gesicht. Augenblicklich schloss sie ihre schmerzenden Augen, fuhr sich mit allen zehn Finger durchs Haar. Doch dieses Chaos in ihrem Kopf wollte sich nicht ordnen lassen. Immer noch spürte sie tief in sich diese Unsicherheit. Grübelte über die Worte ihres Onkels nach. Besorgt schien er gewesen zu sein. Seine Gedanken schienen bei wichtigeren Dingen zu verharren. Angst hatte sie in seinen Worten gelesen. Große Angst... Ein leises Jaulen drang an Ryans Ohren und sie schlug verwirrt ihre Augen auf. "Loba, verzeih mir, ich habe dich ganz vergessen", sanft strich sie über den Kopf der schwarzen Wölfin. Kraulte sie gedankenverloren hinter ihrem Ohr. "Oh, mein altes Mädchen", flüsterte Ryan. "Ich fürchte, dunkle Zeiten kommen auf uns zu. Ich weiß noch nicht was es ist, doch es kommt immer näher. Ich kann es fühlen, mit jeder Faser in meinem Körper. Ich kann es fühlen..." Irritiert setzte sich das Tier auf, blickte den Menschen vor sich prüfend an. Kaum merklich kräuselten sich die feinen Haare auf Lobas Schnauze, sie knurrte leicht. "Du spürst es auch, nicht wahr?" fragte Ryan und zog ihre alte Freundin an sich. Hielt sich an ihr fest. "Lass uns versuchen dieses Gefühl zu ignorieren", wisperte sie so leise, dass es nur das Tier vernehmen konnte. "Wer weiß, wie lange uns vergönnt ist es zu tun. Es kann nicht mehr lange dauern." Zitternd vergrub Ryan ihr Gesicht in dem dicken Fell der Wölfin, überließ sich ihrer schweigenden Zustimmung und ihrer tröstlichen Wärme. Nachdenklich faltete Ayesha ihre feingliedrigen Hände, furchte ihre Stirn und besah die kleine Schriftrolle vor sich genauer. Sie kannte die Handschrift sehr gut, die gleichen Hände hatten es geschrieben, die sie auch schon als kleines Kind gehalten hatten. "Mein liebes Kind, zu meiner eigenen Zufriedenheit haben sich die Dinge entwickelt. In einigen Tagen werden wir aufbrechen. Ich freue mich, dich dann wieder sehen zu können. Mir sind einige positive Dinge über dich zu Ohren gekommen, jedoch wurden mir auch einige unerfreuliche Nachrichten überbracht. Aber darüber werden wir sprechen, sobald ich wieder im Dorf bin. Ich bin sehr stolz auf dich, mein Kind. Nun habe ich die Gewissheit, dass du auch ohne mich in der Lage bist deine Pflichten zu erfüllen. Wie sehr ich darüber erfreut bin, kann ich dir in Worten kaum begreiflich machen. Auf bald, Ayesha. In wenigen Tagen bin ich wieder bei dir. In Liebe Arlon" Seufzend lehnte sich Ayesha zurück, legte ihre gefalteten Hände in den Schoß und sah zur Decke hinauf. Wie sehr hatte sie die Heimkehr ihres Vaters herbei gesehnt. Doch jetzt verspürte sie tief in sich eine merkwürdige Angst aufkeimen. Sie verstand noch nicht einmal, warum sie sich plötzlich fürchtete. Vor was? Warum ließ sie dieses Gefühl nicht mehr ruhen, seitdem sie den Brief ihres Vaters erhalten hatte. Vorsichtig strich sie die Zahlen am Fuße des Briefes nach. Vor knapp vier Wochen hatte ihr Vater diesen Brief verfasst. Er würde somit bald ihr Dorf erreichen. "Vielleicht noch ein oder zwei Tage", dachte sie sorgenvoll. Ein heftiges Zittern durchfuhr Ayeshas Körper und sie erhob sich unruhig, lief nervös in dem kleinen Arbeitszimmer auf und ab. Unruhe bemächtigte sich ihren Gedanken, was war nur los mit ihr? Sie verstand es nicht, konnte keine Erklärung für ihre Ängste finden. Leise seufzte sie auf, lehnte sich leicht gegen die Wand und sah aus dem Fenster hinaus. Neuer Schnee war gefallen, der Winter stand bereits in seiner Blüte. "Wie schnell die Zeit doch vergeht", flüsterte Ayesha leise und strich gedankenverloren über das kalte Glas. In der Tat war die Zeit schnell vergangen, vielleicht aus dem Grund, dass Ayesha nun glücklich war. Sie erinnerte sich an Worte ihres Vaters. "Glückliche Stunden vergehen so schnell wie ein Herzschlag, dunkle Stunden währen jedoch wie eine kleine Ewigkeit." Wie viel Wahrheit in diesem Satz steckte, begriff Ayesha doch erst jetzt. Die Stunden, welche sie zusammen mit Ryan verbrachte, eilten so schnell vorbei, dass es sie oftmals erschreckte. Nicht oft erinnerte sich Ayesha noch an die Tage, in welchen sie um ein Zeichen Ryans gefleht hatte. Wie lang waren ihr damals die Stunden vorgekommen? Jeder Moment war wie Tage gewesen. Endlose, dunkle Tage. Ein scheues Lächeln zierte Ayeshas Mundwinkel, fast schon erschien es grotesk, doch sie hatte noch nie einen so wunderschönen Winter erlebt. Bis jetzt hatte der Winter ihr immer nur Schmerz gebracht... Plötzlich legten sich Arme um ihre Taille, zogen sie an einen anderen Körper. Sanfte Lippen küssten ihren Nacken und Ayesha schloss ergeben ihre Augen. "Warum so nachdenklich?" flüsterte Ryan ihre leise ins Ohr und küsste ihre Wange. Tief atmete Ayesha den Geruch Ryans in ihre Lungen ein, schmiegte ihren Kopf in Ryans Halsbeuge und umfing ihre Hände mit den ihren. Streichelte sanft die raue Haut. "Ich weiß es nicht", gestand sie ebenso leise. Schweigend standen beide da, hielten sich fest, genossen die Wärme des anderen, hüllten sich in stumme Zuneigung, die keine Worte bedurfte. Für einen kurzen Moment schüttelte Ryan alle Ängste und Zweifel von sich ab, versank in dem stummen Frieden, den Ayesha ihr schenkte. Doch tief in ihr blieb etwas von der dunklen Vorahnung zurück, ein dunkler Schatten, der irgendwann an Macht gewinnen würde. Sie fühlte die sanfte Hand Ayeshas, wie sich ihre Wange entlang strich, über den Hals wanderte und letztendlich mit dem kleinen weißen Stein spielte. Kurz zuckte Ryan zusammen und umschloss Ayesha fester. "Du hast mir immer noch nicht erzählt, wo du warst, Ryan", sagte Ayesha und wandte ihr das Gesicht zu. In ihren Augen sah Ryan das Ayesha nach Antworten dürstete. Sie hatte es lange hinaus gezögert, sehr lange. Warum hatte sie ihr nicht erzählt, dass sich der Schleier um ihre Vergangenheit gelüftet hatte, dass sie nun wusste, wer sie wirklich war, zu wem sie gehörte. "Ich weiß", erwiderte sie, hauchte einen flüchtigen Kuss auf Ayeshas Stirn. "Es ist nur seltsam darüber zu sprechen, es hat sich viel verändert. Sehr viel." "Und, willst du es mir jetzt sagen, oder muss ich immer noch warten?" Warm lächelte Ryan auf Ayesha hinab, schüttelte leicht ihren Kopf, atmete tief durch. "Ich, ich", begann sie, brach ihren Satz ab, suchte in ihrem Kopf nach den richtigen Worten. "Ich weiß jetzt wer ich bin. Meine Familie hat mich gefunden, Ayesha. Ich weiß jetzt, wohin ich gehöre..." Abrupt drehte sich Ayesha in ihren Armen um, blickte sie lange schweigend an. Zeichnete die Konturen ihres Gesichtes nach und lächelte. "Wer hat dich gefunden?" harkte Ayesha nach, streichelte behutsam über Ryans Haar und zog sie in ihre Arme. "Mein Onkel, ich weiß, das klingt alles etwas seltsam. Er hat mich gefunden, viele meiner Fragen haben endlich eine Antwort erhalten. Ich weiß wer ich bin, Ayesha. Ich weiß es endlich." Zärtlich drückte Ayesha Ryans Körper an den ihren, hielt sie einfach nur stumm fest, spürte die Freude, welche den anderen Körper durchflutete. Ayesha wusste, wie lange Ryan nach diesen Antworten gesucht hatte. Wie sehr es sie belastet hatte, nicht zu wissen zu wem sie gehörte, wer ihre Familie war. Ihre Hände wanderten zu dem kleinen Anhänger über Ryans Brust. Sanft strich sie über den Stein, spürte, dass er warm wurde. "Ich schätze, dieser Anhänger hat dabei eine nicht unwesentliche Rolle gespielt, nicht wahr?" Leise lachend nickte Ryan, umfing Ayeshas Hände, spürte die Wärme. "Ich werde dir die ganze Geschichte erzählen, heute Abend, ich verspreche es." "Nun, ich habe ja lange gewartet, dann sind ein paar Stunden nicht der Rede wert", erwiderte Ayesha, legte ihren Kopf gegen Ryans Brust und lauschte dem gleichmäßigen Herzschlag. "Ayesha", flüsterte Ryan und zerbrach damit die Stille zwischen ihnen, zaghaft spielten ihre Finger mit einigen dunklen Haarsträhnen. "Was ist los mit dir? Irgendetwas stimmt doch nicht, ich fühle das." "Mein Vater", bekannte Ayesha leise und vergrub ihr Gesicht noch tiefer in Ryans Gewand, fast so, als wolle sie sich verstecken. "Er wird bald zurückkommen, ich weiß nicht, aus irgendwelchen Gründen mache ich mir Sorgen." "Ist es wegen mir?" fragte Ryan mit belegter Stimme, ihr Körper verkrampfte sich. Sie hatte, seitdem sie in diesem Dorf weilte, die seltsamen Blicke der anderen Bewohner wahrgenommen. Man beäugte sie, in einigen Augen las sie Neugier, in anderen Angst und manchmal glaubte sie sogar Abscheu in ihnen zu erkennen. Sie wusste um die Gespräche, die Ayesha mit einigen aus dem Dorf geführt hatte. Sie kannte den Inhalt, wusste, dass sie für viele einen Eindringling repräsentierte. "Nein, es ist nicht wegen dir", versuchte Ayesha Ryan zu beschwichtigen. Sie hatte die Veränderung in Ryans Augen bemerkt, sie wurden langsam dunkler, sorgenvoll. "Ich weiß es wirklich nicht, aus irgendeinem Grund sorge ich mich, aber das hat nichts mit dir zutun. Gewiss nicht, ich schwöre es dir, Ryan." Schweigend nickte Ryan, zog Ayesha erneut in ihre Arme. Sie wollte jetzt nicht an all diese Sorgen, Zweifel und Vorahnungen denken. Sie hatte lange genug ihr Leben von diesen Dingen bestimmen lassen. "Lass und einfach abwarten", flüsterte Ryan leise, küsste Ayesha auf ihr Haar, hielt sie fest. "Wir werden schon noch sehen, ob du dir zu Recht Sorgen machst. Lass uns einfach abwarten, was die Zeit uns bringen wird..." Stumm nickte Ayesha, überließ sich der Wärme und der Kraft Ryans. Lautlos fielen Schneeflocken gen Boden. Dunkle Wolken sammelten sich, um in einen Kampf gegen die Sonne zu ziehen. Die Welt wurde still, schloss ihre Augen, wusste noch nicht, was auf sie zu kommen würde. Wind strich durch die kahlen Baumkronen, scharf knackte das zugefrorene Wasser. Kleine Risse zogen sich durch Eis und Schnee. Leise seufzte Ayesha auf, schloss ihre Augen. Laut heulte der Wind, wirbelte Schnee auf, brachte morsche Äste zum erliegen und kroch durch die Ritzen und Spalten in die Häuser. Zitternd und von Sorgen geplagt hielt sie sich an Ryan fest, lauschte schweigend dem Wiegenlied des Windes und ahnte, dass etwas vor sich ging. Etwas, auf das niemand mehr Einfluss hatte. "Nordwind", dachte Ayesha und presste ihr Gesicht in Ryans Kleidung. "Der Nordwind bringt Veränderung. Veränderung und Schmerz. Ja, es ist Nordwind aus dem Eismeer..." Lautes Stimmengewirr erfüllte die kleine Halle. Fackeln tauchten die Szenerie in ein gespenstisches Licht. Wachen standen unbewegt neben den großen Flügeltüren, aus leeren Augen beobachteten sie die sechs Männer, die um einen Tisch saßen und wild durcheinander schrieen. Angst schwebte über ihnen, deutlich war sie zu spüren. In den Augen der Männer hatte Furcht Einzug gehalten. Feine Schweißperlen glitzerten im fahlen Licht auf ihren Stirnen, hektisch blickten sich einige um, als erwarteten sie einen erneuten Angriff. Die stärksten und besten Feldherren der Ogronier waren zu verängstigten und unbesonnen Jungen geworden. Man konnte förmlich zusehen, wie der Hohe Rat von Augenblick zu Augenblick an Macht und Ansehen verlor. "Schweigt", befahl einer der Männer und erhob sich langsam. Sein Gesicht war von Wetter und Zeit gegerbt, tiefe Falten hatten sich in seine Haut eingegraben und seine Augen wirkten müde und alt. "Glaubt ihr, wir kommen weiter, wenn ihr euch gegenseitig beschuldigt?" "Aber es muss einer von uns sein, Alweryn", beharrte ein anderer. "Glaubst du etwa, es ist ein Zufall der Götter, dass wir systematisch dezimiert werden?" "Nein, mit Sicherheit ist es kein Zufall, Dylura. Aber, wir müssen einen kühlen Kopf bewahren, sonst sind wir leichtere Ziele als junge Vögel, die aus dem Nest gefallen sind." Bejahendes Gemurmel machte sich unter den letzten Mitgliedern des Hohen Rates breit. Seufzend ließ sich Alweryn zurück in seinen Stuhl gleiten. Noch nie war ihm sein Alter so bewusst gewesen, wie jetzt in diesem Augenblick. Welch ein großer Feldherr war er einst gewesen, die Zeit hatte ihn altern lassen. Seinen Verstand getrübt und seine Kraft vernichtet. Nachdenklich schweifte sein Blick über die Köpfe der anderen hinweg, blieb schließlich an einem jungen Mann hängen, der lächelnd auf seinem Stuhl saß und auf ein Spielbrett blickte. "Gerin", schrie er aufgebracht. "Empfindest du es in dieser Situation als passend, dich mit einem Kinderspiel zu beschäftigen?" "Verzeiht mir, Alweryn", erwiderte der Angesprochene und sah auf. "Ich war mir nicht im Klaren darüber, dass es der Situation nicht angemessen ist." "Törichter Junge", spie einer der Männer aus, doch eine gebieterische Handbewegung Alweryns brachte ihn zum verstummen. "Lass ihn, Farial. Er ist nicht ohne Grund hier. Wir alle waren einst jung. Gerin, du weißt, warum ich dich habe rufen lassen, nicht wahr?" "Ihr wollt etwas über meinen Bruder erfahren, Herr", erklärte Gerin kalt und spielte mit einer Figur zwischen seinen Fingern. "Wo ist er?" schrie Dylura laut auf, hieb mit der Faust auf den Tisch und funkelte Gerin aus wilden Augen an. "Wo ist dieser Bastard?" "Ich würde mich an eurer Stelle lieber mit Beleidigungen zurückhalten", scharf war die Stimme Gerins geworden, fast so scharf und kalt wie der Nachtwind, welcher um das Gebäude wehte. "Ich kann leider nicht sagen, wo sich Katlar aufhält. Meine Späher haben seine Spur irgendwo bei Tyrulok (*) verloren. Er macht seinem Namen alle Ehre." Ein düsteres Lächeln breitete sich auf Gerins Gesicht aus und er senkte sein Haupt, niemand musste seine Belustigung erkennen. "Dann ist er zurück ins Eismeer gekehrt. Welche Mittel haben wir dort?" "Ruhig, Narrimar. Wollt ihr einer Ahnung hinter her jagen oder wirklich Beweisen?" fragte Alweryn in die Runde. "Bitte, fasse meine Worte nicht als Beleidigung auf", meinte Woldoran, einer der ältesten Krieger nebst Alweryn. "Unser Problem ist doch, dass wir keine Beweise haben. Bis jetzt stellten sich all unsere Spuren als nicht zutreffend heraus." "Deshalb habe ich ja auch Gerin her gebeten", kurz lächelte Alweryn dem jungen Mann zu. Er wusste wie viel Talent dieser Mann besaß. Nerom hatte es ihm oft erzählt und die Fähigkeiten Gerins gelobt. Nerom, für einen kurzen Moment schloss Alweryn seine Augen. Der Schmerz über den Verlust seines langjährigen Freundes brannte immer noch tief in ihm, so tief, dass es lange dauern würde, bis er seinen Namen wieder ohne Schmerz aussprechen konnte. "Gerin, sag mir, glaubst du, dass dein Bruder zu solchen Taten in der Lage ist?" "Mein Bruder ist kalt wie Eis, niemand bedeutet ihm etwas. Niemand", erklärte Gerin, ballte seine Hände unter seinem blauen Mantel zu Fäusten. Er wusste, wie wenig Menschen Katlar bedeuteten, wie wenig er selbst ihm bedeutete. "Allerdings glaube ich nicht, dass Katlar so große Ambitionen hat uns zu schaden. Er verfolgt seinen eigenen Weg und der hohe Rat steht ihm dabei nicht im Wege." "Bist du dir sicher, Gerin", fragte Farial skeptisch. "Wir alle kennen Katlar schon sehr lange und wissen, zu welchen Taten er fähig ist." "Ich bin mir sicher", beharrte Gerin lächelnd. "Ihr jagt den falschen Mann." Hilfloses Schweigen breitete sich unter den Männern aus. Jeder schien in seine eigenen Gedanken versunken zu sein, jeder war mit seiner eigenen Angst beschäftigt. "Dann weiß ich auch nicht weiter", seufzte Narrimar. "Wir jagen einen unsichtbaren Feind." Aus den Augenwinkeln betrachtete Gerin eine der Wachen, kaum merklich neigte er seinen Kopf. Fast wie eine zustimmende Geste wirkte es... Im nächsten Moment durchzuckte ein gellender Schrei die Stille. Fassungslos krümmte sich die zitternde Hand Dyluras um den Speer, der aus seiner Brust ragte. Dunkelrotes Blut ergoss sich über sein Wams, fest umklammerten seine Hände den hölzernen Stiel. Seine Augen wurden dunkler, Schatten legten sich über sein Antlitz. Er öffnete seinen Mund, hustete, eine feine Blutspur lief seine Mundwinkel entlang. "Du...", gurgelte er und brach zusammen, sein Körper wurde durch den Speer an seinem Stuhl festgehalten. Schreiend stürzten sich die Wachen auf die vier anderen Männer. Das Klirren von Schwertern hallte von den Wänden wider. Blut floss über den steinernen Boden, glitzerte im fahlen Licht auf. Schreiend stieß Gerin Woldoran sein Schwert in den Leib, zog seinen Kopf nahe an sich heran. Sah zu, wie das Licht in seinen Augen immer schwächer wurde. "Hier habt ihr euren Beweis, hoher Herr", kreischte er und drehte die Klinge des Schwertes im Körper seines Gegner um. Woldoran schrie vor Schmerz auf, seine Finger krallten sich in den Mantel Gerins, zerrissen den schweren Stoff. Zitternd sank der alte Krieger zu Boden... Lächelnd wandte sich Gerin um. Tote Körper lagen auf dem Boden, tief atmete Gerin den Geruch von frischem Blut ein. Schwer lag er über den Leichen. Wie lange hatte er darauf gewartet? Jahre hatte er darauf hingearbeitet, nur für diesen einen Moment. Befreit hob er die Arme, Blut floss von der Klinge seines Schwerstes hinab. Fiel, wie rote Regentropfen, gen Boden. Dankbar klopfte Gerin den Wachen auf die Schultern, sah in ihren Augen ihre eigene Genugtuung und die Hoffnung, dass nun neue Zeiten anbrechen würden. Erhaben stieg Gerin über die Leichen, der hohe Rat war Geschichte. Ein leises Röcheln drang an seine Ohren, hektisch blickte sich Gerin um. Er spürte, wie ihn etwas an seinem Mantel festhielt. Schwach, aber doch spürbar. "Alweryn", flüsterte Gerin, lächelte den blutüberströmten Mann unter sich an. "Gerin", krampfhaft kämpfte Alweryn darum nicht seine Augen zu schließen. Schmerz vibrierte in jeder Faser seines Körpers. Aus verklärten Augen betrachtete er den Mann über sich, zitternd lag er da. Rasselnd entwich sein Atem seiner Kehle, er wollte seinen linken Arm heben, doch es gelang ihm nicht. "Versuch es nicht, alter Mann", hörte er die kalte Stimme über sich. "Du kannst ihn nicht mehr gebrauchen." Panisch blickte Alweryn zu seiner linken. Sein Arm, sauber abgetrennt. Blut floss unaufhörlich aus seinen Venen. Es war vorbei. Kälte kroch vom steinernen Boden auf, erfasste seinen Körper. Er zitterte unkontrolliert. "Warum", flüsterte er leise. "Warum?" Leise lachte Gerin, zog den alten Krieger zu sich hinauf, schleifte ihn zurück zum Tisch und setzte ihn in einen der Stühle. "Ich will es dir gerne zeigen", zischte er und schob das Spielbrett näher an Alweryn heran. "Glaubtet ihr nicht, ich wäre nur eine dieser Spielfiguren?" schrie er den geschwächten Mann an. Dieser versuchte zu sprechen, doch alles was er zustande brachte war ein hilfloses Schluchzen. "Sprich, du Bastard", hart schlug Gerin zu, der Kopf des älteren wurde zur Seite geschleudert. "Bist schon so schwach? Ich bin keines eurer Spielzeuge, ihr wart meine, schon so lange und ihr habt es nicht einmal bemerkt!" Hysterisch begann Gerin zu lachen, langsam umkreiste er Alweryn. Zögernd suchten seine Finger unter seinem Mantel nach dem Griff des Dolches. Wie einen alten Freund umschloss er ihn, zog ihn knirschend aus der Scheide. "Sieh her", befahl er und hielt Alweryn den blutverschmierten Dolch vor die schwachen Augen. "Das ist Neroms Blut. Du kannst dir gar nicht vorstellen, welche Freude ich empfunden habe, als ich ihm die Kehle durchschnitten habe." "Du, du elender Verräter", krächzte Alweryn und hustete. "Du bist eine Schande für unser Volk...eine Schande..." Lachend schüttelte Gerin den Kopf, streckte seinen Arm aus und umfasste eine der Spielfiguren. "Sieh genau hin", leise schnippte Gerin die erste der Figuren mit seinem Zeigefinger um. "Eins, zwei, drei, vier", flüsterte er fast singend Alweryn ins Ohr. "Jetzt bist nur noch du übrig. Armer, alter Mann. Alle sind fort, alle." Mit sanfter Gewalt riss Gerin den Kopf Alweryns in die Höhe, blickte ihm fest in die weit aufgerissenen Augen. Der zitternde Mann spürte kaltes Metall an seiner Kehle. "Grüß mir Nerom, alter Narr. Grüße ihn von mir und meinen Vater." Mit einer schnellen Handbewegung durchtrennte das Metall die Haut Alweryns, tief schnitt der Dolch ins Fleisch, zerfetzte Gewebe und Sehnen. Ein schwaches Gurgeln drang an Gerins Ohren, angewidert stieß er den Kopf des toten noch vorne. Blut floss lautlos über das Spielbrett, bildete um den das graue Haar Alweryns eine rote Lache. Klirrend fiel der Dolch zu Boden. Stille herrschte. Schwer atmete Gerin durch, sah zum letzten Mal auf das Spielbrett hinab. Es war vorbei. Er hatte gesiegt. Es war vorbei. Zärtlich strich Gerin, mit seiner blutverschmierten Hand, über die letzte gegnerische Spielfigur auf dem Brett. Er hoffte innerlich, dass er nun Frieden mit sich schließen würde. Das er sich endlich des Stolzes seines Vaters gewiss sein konnte, wenn er ihn eines Tages wieder sehen würde. "Und fünf...", flüsterte er erleichtert und ließ die letzte noch stehende Figur sanft zu Boden gleiten... (*)Tyrulok: Stadt bei der Grenze zum Eismeer. Bei Interesse, kann ich eine Karte des Landes Barolon hochladen oder sie einzelnen per Email schicken. Ist zwar nicht gut geworden, aber man kann sich das Land und die Wege etc. vorstellen. Bin ja keine Zeichnerin *hust* Nachwort: Ein Hallo an alle, die dieses Kapitel gelesen haben. Ich habe mir wieder sehr viel Zeit gelassen, ich weiß. Aber so ist das bei mir, neigt sich eine Geschichte dem Ende zu, zögere ich sie immer unbewusst hinaus. Vielleicht, weil ich nicht will, dass die Geschichte endet. Keine Ahnung. Ich hoffe, dieses Kapitel hat einigen etwas gefallen. Auch wenn es zum Ende hin ziemlich blutig und detailliert geworden ist. Ich weiß auch nicht, was mich da geritten hatte, aber darauf liefen ja Gerins Ambitionen hinaus. Ich habe schon oft gesagt, dass er genau so gefährlich ist wie Katlar, wenn nicht sogar gefährlicher. Hoffentlich kam das nicht komisch rüber... Nun ja, ich weiß ehrlich nicht, was ich sonst schreiben kann. Ich grüße wie immer Igel und Mondscheinelfe. Alle andere die diese Geschichte vielleicht sonst noch so lesen natürlich auch. Solltet ihr Rechtschreibfehler finden, weißt mich bitte darauf hin. Hab sehr schnell getippt und da kann das schon mal passieren! Bis bald, ich hoffe man bleibt mir gewogen. ©2004 by seen/Lena Petri Kapitel 26: Heimat ------------------ Heimat Genüsslich atmete Ryan den Geruch von Ayeshas Haaren ein. Süßlich roch es nach Kräutern, betörend war dieser Duft, verwirrte ihre Sinne. Sie lächelte scheu, Erinnerungen keimten in ihr auf. Glitten Monate zurück, sie erinnerte sich an jene Nacht, die alles verändert hatte. Zitternd hatte diese Frau vor ihr gestanden, Angst war in ihren Augen aufgelodert, wie die Glut eines Feuers. Ganz deutlich erinnerte sie sich, wie schön ihr damals dieses Wesen vorgekommen war. Selbst Schmutz, Verzweifelung und Angst hatten es nicht vermocht diesen Eindruck zu trüben. Fest hatte er sich in ihrem Gedächtnis eingebrannt, würde niemals verschwinden. Wie seltsam erschien es ihr, dass ihr nun solch Glück zu teil wurde, diesen Menschen lieben zu dürfen? Wie lange hatte sie sich ihrer unwürdig gefühlt. Ayesha wusste um die dunklen Seiten ihrer Seele, wusste um den Schmerz ihrer Vergangenheit, und dennoch erwiderte diese Frau ihre Gefühle. Sie verlangte keine Rechenschaft, keine Erklärungen, und doch hätte sie diese verdient. Zum ersten Mal seit vielen Jahren wollte Ryan aufrichtig sein, wollte nicht erneut die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Sie wollte keine Geheimnisse vor der Person mehr haben, die sie liebte. Wie sehr hatte sie es gehasst Teleri immer wieder von neuem belügen zu müssen. Immer mit der Gewissheit, dass Teleri ohnehin die Wahrheit gekannt und ihre Lügen stillschweigend geduldet hatte. "Ich bin ein schlechter Mensch", dachte Ryan und lächelte bitter auf die zusammen gesunkene Person hinab. Friedlich schlief Ayesha an ihrem Schreibtisch über den Schriftrollen. Vorsichtig beugte sich Ryan hinab, beobachtete Ayesha aus traurigen Augen. "Wie viel Schmerz wäre dir erspart geblieben, wenn du mich nicht lieben würdest?" fragte sie die schlafende Frau. Sanft strich sie über die weiche Haut, vergrub ihre Hand in den langen, schwarzen Haaren. Seufzend senkte sie ihren Kopf, nachdenklich starrte sie die Spitzen ihrer Stiefel an. "Ich setze dich immer noch so großer Gefahr aus, Ayesha. Ich kann ihn spüren, er wartet, wie ich. Warum liebe ich dich nur so sehr? Ich ziehe das Unheil an, wie das Licht die Fliegen. So sehr fürchte ich mich vor dem Tag, an welchem er zurückkehrt. An jenem Tag wird sich auch in mir etwas verändern. Ich fürchte mich so sehr davor, so sehr." Bedrückt schlug Ryan ihre Augen nieder. Jeden Tag deutlicher fühlte sie die Präsenz Katlars. Wie ein gigantischer Schatten schien er sich zu erheben, ihre Sonne zu verdunkeln, all die Wärme, welche sie umgab, aufzusaugen. "Ich werde nicht zulassen, dass er dir weh tun", fest klang Ryans Stimme, doch ihre Hände begannen kaum merklich zu zittern. "Ich werde es nicht zulassen, bevor er dich auch nur berührt, werde ich ihn töten." Tief in Ryans Augen glüht etwas auf, eine Spur des alten Feuers, des alten Hasses, welchen sie so sorgfältig in sich verschlossen hatte. Fest umklammerte ihre Hand die Stuhllehne, weiß traten ihre Fingerknöchel hervor. "Ich werde es nicht zulassen", flüsterte sie und kniff ihre Augen zusammen. "Niemals, lieber würde ich sterben..." Fahrig begannen Ayeshas Augenlider zu flattern, um ihre Mundwinkel zuckte es leicht. Verschlafen öffnete sie ihre Augen, lächelte leicht, als sie Ryan gewahr wurde. "Seit wann bist du schon hier?" "Noch nicht all zu lange", versicherte Ryan und küsste flüchtig die Stirn ihres Gegenübers. Seufzend setzte sich Ayesha auf, fuhr sich durch ihr zerzaustes Haar. Nur langsam verschwanden die Schleier des Schlafes aus ihrem Denken. Wie lange sie wohl geschlafen haben mochte? Sie erinnerte sich nicht mehr daran. Sie hatte geträumt, unruhige, dunkle Träume hatte ihr Onone geschenkt. Sanft schloss sich ihre Hand um die Ryans, umfing sie liebevoll. "Was ist mir dir?" fragte Ayesha und furchte sorgenvoll ihre Stirn. "Du siehst so nachdenklich aus." Scheu lächelte ihr Ryan zu, führte ihre Hand an ihre Lippen und küsste sie. "Es ist nichts. Ich bin doch immer nachdenklich". Aufmunternd zwinkerte Ryan Ayesha zu, schloss sie in ihre Arme, vergrub ihr Gesicht in ihren Haaren. "Glaubst du wirklich, ich wäre so leichtgläubig?" hakte Ayesha nach, nahm das Gesicht Ryans zwischen ihre Hände und zwang sie ihr in die Augen zu sehen. "Wenn ich in deine Augen sehe", begann sie mit zitternder Stimme. "Dann sehe ich Dinge, die mich erschrecken. Dinge, vor denen ich mich fürchte. Ich kenne diesen Ausdruck bei dir, Ryan. Ich kenne ihn sehr gut." Schweigend starrte Ryan Ayesha an, versuchte ihrem forschenden Blick auszuweichen, doch immer wieder misslang es ihr. Wie war es möglich, dass diese Frau so tief in sie hinein blicken konnte? Verstört erwiderte sie den Blick Ayeshas, versuchte sich vor ihr zu verschließen, doch dieses Wesen vor ihr brach ihren Widerstand mit sanfter Gewalt. Zärtlich strich Ayesha über Ryans Wange, küsste flüchtig ihr Gesicht. "Oh, Ryan", flüsterte sie leise. "Du kannst mir doch vertrauen. Hast du das immer noch nicht gelernt? Ist es, weil mein Vater zurückkehrt? Was ist denn nur los mit dir?" "Ich weiß es selbst nicht. Irgendetwas stimmt nicht, aber ich kann nicht deuten, was es ist", bekannte Ryan leise. "Es ist so ein merkwürdiges Gefühl tief in mir. Ich kenne es und es erschreckt mich." "Ist er es?" Stille herrschte zwischen ihnen, alles, was zu vernehmen war, war ihrer beider Atem. Fest sahen sie sich in die Augen, versuchten zu begreifen, welche dunklen Vorahnungen über ihnen schwebten. Je senkte Ryan ihren Kopf, sie konnte es nicht länger ertragen Ayesha an zu blicken. "Ja", flüsterte sie so leise, dass es kaum mehr ein Hauchen war. "Er ist es, ich spüre ihn. Er wartet irgendwo auf mich. Irgendwo lauert er..." "Aber woher weißt du das? Du kannst dir nicht sicher sein." "Mein Gefühl hat mich noch nie betrogen, Ayesha", beharrte Ryan zornig und stand auf, wandte ihr den Rücken zu, blickte in die kalte Winterlandschaft hinaus. Wind wehte einige Schneeböen auf, Zweigen knarrten. Die Welt schlief. Tief in Ryan brauste ein Sturm aus Wut und Angst. Ayesha verstand nicht wie ernst dieser Umstand war. Vielleicht wollte sie es auch nicht verstehen. Sie hatte Katlar gesehen, erlebt zu was er fähig war. "Wido", dachte Ryan und Tränen traten ihr in die Augen. "Dein Tod ist noch immer ungesühnt. Ich lasse ihn damit nicht durch kommen. Ich schwöre es dir, mein Freund. Auch du wirst bald in Frieden ruhen..." Sanfte Hände umfingen sie plötzlich, zogen sie zaghaft an einen anderen Körper. Fest hielt Ayesha Ryan umfangen, barg ihr Gesicht an ihrem Rücken. Sie fühlte die innere Anspannung, die in Ryan herrschte. Begriff, dass sie Angst hatte. "Es tut mir leid", raunte sie ihr leise zu. "Ich weiß wie sehr du dich vor ihm fürchtest. Wie viel er dir genommen hat. Verzeih..." "Du musst dich nicht entschuldigen", seufzend lehnte sich Ryan gegen sie, kraftlos legte sie ihre Hand über die Ayeshas. "Ich mache mir keine Sorgen um mich. Es ist mir egal, was mit mir geschehen könnte. Du bist mir nicht gleichgültig. Ich will nicht, dass du erneut leiden musst. Ich könnte es niemals verkraften, wenn er dir etwas antun würde." "Shhh", bestimmt brachte Ayesha Ryan zum verstummen, küsste ihre Wange. "Er wird mir nichts antun. Glaub mir, hier bin ich sicher vor ihm. Ryan, ich bitte dich. Lass nicht zu, dass er selbst jetzt noch einen so großen Einfluss auf uns hat. Bitte." Stumm betrachtete Ryan Ayesha, forschte in ihren Augen und fand die Furcht in ihnen. Sah diesen dunklen Schleier, welcher auch immer Teleris Augen verdunkelt hatte. Sie erinnerte sich genau, nur in wenigen Augenblicken war dieser Schatten gewichen. Nur in wenigen Momenten hatte Ryan Teleri glücklich gesehen. Bitter lächelte sie, es verzerrte ihr Gesicht beinahe zu einer Fratze. Starr blickten ihre Augen um sich, sahen durch Ayesha hindurch. . Fest ballten sich ihre Hände zu Fäusten, kraftlos schlossen sich ihre Augenlider. Warum kehrten diese Erinnerungen zu ihr zurück? Jetzt, da sie glücklich war? Sanfte Berührungen ließen sie zusammen fahren, als habe ein Blitz sie getroffen. Ein süßer Schmerz brannte auf ihren Lippen, während Ayesha sie küsste. "Nein, kämpfe, kämpfe. Verdammt, Ryan. Warum bekämpfst du diese dummen Gedanken nicht einfach?" schallte sich Ryan selbst, blinzelte die Tränen fort, spürte, wie der Stein seine Wärme durch ihre Glieder schickte. Laut schrieen ihre Gedanken auf, widerstanden der Wärme des Glücks. Kalt blieb ihr inneres. Kalt, wie der Schnee, welcher unter der Last der Sonne zusammenbrach und vom Dach des Hauses rutschte. Niedergeschlagen gab Ayesha Ryan frei, schluckte hart, sah die Frau vor sich genau an. Sorgenvoll furchte sie ihre Stirn, scheu schlug Ayesha ihre Augen nieder. Irgendetwas geschah, deutlich fühlte sie es. Doch was es war, konnte ihr Geist nicht deuten. Greifbar lag es über ihnen. Etwas, das weder Ryan noch sie aufzuhalten vermochten. Schweigend standen sie sich gegenüber, keine von beiden war in der Lage die Worte zu sprechen, welche die Schatten vertreiben würden. Sie wussten sie nicht. Stumm nahm Ryan Ayeshas Hand in die ihre, schmiegte ihre Wange fest in die zitternde Handfläche. "Ich liebe dich", flüsterte sie leise, lächelte ehrlich. Um die Mundwinkel Ayeshas bildeten sich kleine Fältchen. Kaum merklich nickte sie, zog Ryans Gesicht an das ihre und küsste deren Stirn. Schnelle Schritte nährten sich der Tür, ein heftiges Klopfen ließ beide zusammen zucken. Widerstrebend löste sich Ayesha von Ryan, atmete tief durch, versuchte wenigstens etwas der Beherrschtheit auszustrahlen. "Ja, herein", erklang ihre feste Stimme, doch in ihren Ohren war es kaum mehr als ein feines Flüstern. Knarrend öffnete sich die Tür. Peryan nickte ihnen kurz wohlwollend zu und trat ein. "Verzeih, dass ich dich störe, Ayesha. Aber es wurden Reiter gesichtet. Dein Vater kehrt zurück." Für einen kurzen Moment, kaum länger als ein Herzschlag, erzitterte Ayeshas Körper. Sie fing den fragenden Blick Ryans auf, erwiderte ihn kurz und wandte sich dann wieder Peryan zu. "Danke, ich werde gleich hinaus kommen, um ihn zu begrüßen." Schelmisch zwinkerte Peryan ihr zu. "Eile dich nicht, einwenig Zeit ist noch." Mit diesen Worten schloss er die Tür hinter sich und Stille kehrte wieder ein. Seufzend fuhr sich Ayesha durch ihr Haar. "Jetzt wird alles wie früher", dachte sie, bitter lächelte Ayesha in sich hinein. "Alles wie früher..." "Komm'", hörte sie die Stimme Ryans neben sich. Eine starke Hand umfing die ihre, drückte sie unterstützend. "Du solltest die erste sein, die deinen Vater begrüßt, nicht wahr?" "Ja, das sollte ich wohl sein", stimmte Ayesha zu, erwiderte den Druck kurz mit ihren Fingern und ließ sich dann von Ryan aus dem Zimmer führen. Stimmengewirr erfüllte die kalte Luft. Das Klirren von Waffen hallte, als wären es Vorboten des Unheils, über den kleinen Platz. Pferde scharrten unruhig mit ihren Hufen, zuckten nervös mit ihren Köpfen von einer Seite zur anderen. Die Tiere spürten deutlich die Anspannung, welche über den Menschen lag, sie gen Boden drückte. Mit geübten Handgriffen verstaute Markos seine Waffen. Steif schienen seine Finger zu sein, die Kälte forderte ihren Tribut. Er hustete, sog scharf die Luft in seine Lungen, sah hinauf zum Himmel. Immer noch machte ihm seine Verletzung zu schaffen. Während den letzten Wochen wäre man fast dem Irrglauben erlegen, sie würde niemals wieder vollends heilen. "Du bist wahrlich ein bemerkenswerter Schütze, Gerin", dachte Markos zornig. Wut wärmte seine erstarrten Glieder. Wut und Hass, über das, was er im Begriff war zu tun. Aus den Augenwinkeln gewahr er seine Frau und seine Töchter. Nimas Blick war verschlossen, ihre Haare wehten sanft im Wind. Dicht standen ihre Töchter bei ihr, hielten sich an dem lagen Fellmantel ihrer Mutter fest. Die Blicke, mit welchen seine Töchter ihn bedachten, bereiteten Markos unendliche Pein. Enttäuschung las er in ihnen. Er hatte sein Versprechen gebrochen. Das Versprechen wenigstens bis zum Frühling seiner Familie zu gehören. Schuld war die schwerste Bürde eines Menschen, und Markos war sich der Tatsache bewusst, dass er sie alleine zu tragen hatte. Seufzend zog er den letzten Riemen fest, tätschelte seinem Pferd den Hals. Es würde ihn weit tragen müssen. Er spürte die Blicke seiner Kinder in seinem Rücken. Sie waren noch jung, dennoch war ihre Gabe bereits stark. Sie brauchten keinen Stein um ihren Vater zu erreichen. Langsam wandte sich Markos seiner Familie zu. Der Schnee knirschte unangenehm in seinen Ohren, erlächelte sanft, doch die Gesichter seiner Kinder blieben versteinert. Nur in den Augen seiner Frau regte sich etwas, es war so kurz, dass es kaum zu bemerken war. Doch es stach einer Klinge gleich tief in Markos Leib hinein. Tief in sich verspürte er Schmerz. Ob es der seine, oder der Schmerz seiner Frau war, vermochte er in diesem Augenblick nicht zu deuten. Traurig seufzte Markos auf, blieb einige Schritte vor seiner Familie stehen. Es war, als wäre die Zeit für diesen Moment stehen geblieben. Schweigend und anklagend begegneten ihm die Blicke seiner Töchter. Vorsichtig streckte Markos seine Arme aus, wollte ihre Häupter berühren. "Fass mich nicht an", zischte die feine Stimme Allessas zu ihm hinüber. Fassungslos starrte Markos seine älteste Tochter an. In ihren tief grünen Augen begann es zu glitzern, Tränen leuchteten in der schwachen Sonne wie Tautropfen auf. "Ich hasse dich", schrie sie laut, ihre kindliche Stimme zitterte. Schritt um Schritt wich sie vor ihrem Vater zurück, umfasste die Hand ihrer jüngeren Schwester, zog sie mit sich. Schnell flogen die kleinen Kinderfüße über die Schneebedeckte Erde, keine von beiden drehte sich noch einmal um. Niedergeschlagen ließ Markos seine Schultern hängen, er schluckte hart. "Sie hassen mich", wisperte er leise. "Ich dachte, sie würden es irgendwann verstehen." "Wie sollten sie?" entgegnete ihm Nima mit scharfer Stimme. "Sie sind noch jung, wie sollen Kinder etwas begreifen können, was nicht einmal ihre Mutter zu verstehen vermag." Bitter lächelte Markos, schüttelte ratlos seinen Kopf. "Ich habe mir das alles nicht ausgesucht, Nima", versuchte er sich zu erklären. "Das Schicksal hat mir keine Wahl gelassen." "Einst hat es dich vor die Wahl gestellt, Markos. Jedoch hast du das Werk deiner Schwester mit Freuden an dich genommen. Warum belügst du dich immer selbst? Willst du nun Karas Tochter in das gleiche Schicksal treiben, weil du nicht länger alleine damit leben willst?" Diese Worte trafen Markos härter als ein Schlag oder ein Stein jemals in der Lage wären ihn zu verletzen. Wahrheit strafte seiner Worte Lügen und er wusste es. Er alleine war nicht mehr in der Lage das Werk Karas fortzuführen, er brauchte Hilfe. Wo er diese erhalten konnte, wusste er nun. Doch er erkannte auch, was er im begriff war zu zerstören. "Ich habe recht, nicht wahr?" Zitternd drang die Stimme Nimas in seine Bewusstsein. Markos hob seinen Kopf an, blickte in ihre Augen, sah, wie sie in Tränen zu ertrinken begannen. "Du willst sie zu dir holen, sie gänzlich zu einer von uns machen. Du weißt, welche Auswirkungen deine Absichten auf sie haben werden. Karas Blut fließt in ihr, wir alle wissen, was das bedeutet." "Ja, ich ahne es. Aber willst du nicht, dass Allessa und Lia in einer Welt leben dürfen, die uns verwährt wurde? Willst du, dass auch unsere Töchter eines Tages kämpfen müssen und vielleicht ihr Leben verlieren? Das werden sie wenn ich nichts unternehme..." "Ein Leben für ein anderes, so ist es Brauch bei den Wölfen. Du bist nicht besser als die, die du so sehr jagst und verachtest. Der Krieg hat dich kalt werden lassen, Markos. Du kannst nicht ermessen, wie viele bei diesem Kampf ihr Leben geben werden. Womöglich wird es Ragan, Ryan oder gar du sein..." kurz hielt Nima inne, legte ihre Hand sanft auf Markos Wange. Ihre Augen suchten die seinen, verbanden sich mit ihnen zu einem ernsten Blick und ergänzte flüsternd: "Ist es das alles wert? Ist es das wert, dass du sie in eine Rolle drängst, vor der sie Kara einst bewahren wollte? Ist es das wert, dass du deine Familie verlässt und einige Männer sterben müssen?" "Ich weiß es nicht", gestand Markos, lehnte seine Stirn an die seiner Frau, schlang seine Arme fest um ihren zierlichen Körper, der noch immer der Leib einer Kriegerin war. "Aber, ich muss es doch wenigstens versuchen. Ich habe die Zukunft gesehen, Nima. Meere aus Blut, tote Körper, verbrannte Erde. So etwas kann ich nicht einfach ignorieren..." "Hast du gesehen, ob deine Opfer überhaupt einen Hauch von Erfolg mit sich tragen werden? Kannst du mir versichern, dass ich dich heute nicht das letzte Mal sehe?" "Nein, und würde ich dir andere Dinge versprechen, so wären es Lügen." Stumme nickte Nima, schloss den kraftlosen Körper ihres Mannes in ihre Arme. Sanftes Licht durchflutete ihre Adern, sie fühlte, wie der Stein ihrer Mutter sich leicht erwärmte. Liebe ließ ihn erglühen. Vertrieb für einen kurzen Moment die dunklen Schatten aus ihrem Denken. Sanft küsste sie Markos Stirn. Nima hatte damals gewusst, welche Entbehrungen auf sie zu kommen würden, wenn sie Markos zum Mann nahm. Ihr war bewusst gewesen, wie viel Schmerz und einsame Stunde ihr diese Entscheidung bescheren würden. Nie hatte sie bereut, selbst jetzt in diesem Augenblick nicht. Selbst wenn es das letzte Mal sein sollte, dass sie den Menschen, dem sie ihr Herz geschenkt hatte, sehen sollte. Tief gruben sich die Finger Markos in ihren Umhang, er suchte verzweifelt einen Halt, eine Bestätigung für sein Handeln, doch heute konnte ihm Nima diese nicht geben. Sacht hob sie sein Gesicht an, zeichnete die vertrauten Konturen nach. Strich sanft über sein Haar, seine Wange entlang und ließ ihre Hand letztendlich auf seinem Herzen ruhen. "Ich werde bei dir sein", versicherte sie und lächelte warm. "Ich werde immer bei dir sein, Markos. Egal was auch passiert." Schnell verschloss sie seine Lippen mit den ihren, kostete den Moment aus. Erinnerte sich an eine Zeit, in der all die dunklen Stunden weit entfernt in der Zukunft gelegen hatten. Wie schnell war diese Zeit nur verglüht... Der Winter begann bereits auszuklingen. Die Sonne wurde stärker, drängte die Schneemaßen mit sanfter Gewalt zurück. Noch einen Mondumlauf und er war gänzlich verschwinden. "Ich liebe dich", raunte Markos in ihr Ohr, ein Schauer jagte Nimas Rücken hinab. Sie zitterte sacht, schloss ihre Augen, nickte stumm. Wie töricht sie doch einst war. Ideale, Hoffnungen, Schwüre, all das war im Strudel aus Verwüstung und Leid untergegangen. Niemals würde es zurückkehren, es unwiederbringlich verloren. Beschützend hielt sie den Körper Markos' in ihren Armen, summte leise eine Melodie und in ihrem Kopf echote die zarte Stimme ihrer Mutter wider. "Sag mir was du siehst, wenn du dich umschaust. Siehst du die Flüsse, die Berge, die Wälder, das Licht. Erblickst du die unendliche Weite deiner Heimat. Den Horizont hinter dem feinen Strich aus Rot und Schwarz. Sag mir was du siehst, wenn die Nacht sich in den Tag verwandelt. Erkennst du endlich welch Geschenk uns Zert (*) und Moya (*) einst bescherten, oder bist du immer noch blind..." Klar und deutlich vernahm Nima das alte Lied, welches ihre Mutter immer zu singen gepflegt hatte, was sie selbst nun ihren Töchtern des Nachts sang. Sacht wiegte sie Markos zu dieser Melodie, spürte, dass sich sein erstarrter Körper langsam entspannte. "Hab keine Angst", flüsterte sie ihm leise zu, lächelte schief. "Ich bin bei dir, egal wohin dich dein Weg auch führen mag. Ich liebe dich, Markos. Das wird niemals vergehen." Ergeben küsste Nima Markos auf die Stirn, sah ihm für einen kurzen Moment in die gelbgrünen Augen, in denen langsam die Angst verschwand. Die Schatten krochen zurück, Hoffnung hielt Einzug und entkrampfte den kalten Blick. "Pass auf euch auf. Ich befürchte, dieses Mal werden sie selbst in solch einsame Regionen vordringen. Du weißt, was zu tun ist." "Natürlich", erklang Nimas Stimme leicht ärgerlich. "Wir werden weiter ins Hochgebirge hinauf ziehen. Und sollte es nicht anderes gehen, ich trage das Schwert meines Vaters nicht umsonst." Ein verhaltenes Lachen entfuhr Markos, er nickte, blickte sich um. Es war Zeit zu gehen. Zögernd nahm er das Gesicht seiner Frau zwischen seine Hände, küsste sie. Sein Verstand versuchte dieses Gefühl fest in sich aufzunehmen, es tief in einem geheimen Ort zu bewahren, damit er sich in dunklen Stunden daran erinnern konnte. Seufzend löste sich Markos von Nima, drückte ihre Hand und wandte sich zum gehen. Langsam rutschten ihre Hände auseinander, kurz berührten sich ihre Fingerspitzen. Je ließ Einsamkeit das Herz Markos schwer werden, doch er blickte sich nicht um. Mit unsicheren Schritten ging er auf sein Pferd zu. Unruhig tänzelte die braune Stute hin und her, blähte die Nüstern und schnaubte laut. Beruhigend tätschelte Markos den bebenden Hals des Tieres, schwang sich dann auf ihren Rücken. Unruhig wanderte sein Blick zu seinen Gefährten. Männer verabschiedeten sich von ihren Frauen, Kindern und Angehörigen. Wer konnte schon sagen, wann man sich wieder sah. Nachdenklich beobachtete Markos Ragan, wie dieser seinem kleinen Sohn die Stirn küsste und seine Frau fest in die Arme schloss. Trauer spiegelte sich in jedem Gesicht wider. Anklagend waren ihre Gesten, ängstlich ihre Mimen. Markos war sich der Tatsache wohl bewusst, dass er für jedes Opfer Rechenschaft ablegen musste. Nicht nur vor den Menschen, eines Tages womöglich auch vor den Göttern. "Vorwärts." Laut hallte die kräftige Stimme Ragans über den kleinen Platz. Sprach das Wort, für das Markos in diesem Moment die Kraft fehlte. Die Hufe der Pferde gruben sich tief in den Schnee, Schwerter klapperten und leise Stimmen schallten der Gruppe hinter her. Schweigend ritten Markos und Ragan an der Spitze, keiner von beiden war in diesem Moment in der Lage Worte zu finden. Stumm gaben sie sich Hoffnung. Verstört tastete sich Markos Hand zu seinem Stein, umschlossen ihn fest. Ein kräftiges Glühen ging von ihm aus. Durchflutete seinen Körper mit warmer vertrauter Energie. "Ich bin bei dir", flüsterte die feine Stimme Nimas in seinem Bewusstsein. "Sorge dich nicht. Es wird eine Heimat auf dich warten, unsere Heimat. Ich weiß es, wir sehen uns wieder. Wo es auch sein mag, ich werde auf dich warten, Markos. Ich werde dort auf dich warten..." Schwerfällig stieg der kräftige Mann von seinem schwarzen Hengst. Die Sonne zauberte auf seinen Brustpanzer helle Lichtreflexe. Sein Gesicht wirkte müde, doch es strahlte gleichermaßen Stärke und Weisheit aus. Fasziniert beobachtete Ryan diese Erscheinung. Schon oft hatte sie sich gefragt, wie wohl Ayeshas Vater aussehen mochte. Hatte gerätselt, wem Ayesha ihre Anmut und von welchem Elternteil sie ihre Stärke zu verdanken hatte. Nun, da ihre Augen diesen Mann erblickten, wusste sie es. Ebenso wie einst Wido, strahlte er eine besondere Art aus. Es schien das normalste der Welt zu sein, dass auch Arlon diese allgegenwärtige beschützende Aura umgab. Er würde den Tod vorziehen, wenn es dadurch möglich war, sein Kind zu retten. Seine gesamte Haltung bestätigte Ryan in dieser Vermutung. Er war ein Krieger, selbst das Rad der Zeit hatte diese Ausstrahlung nicht trüben können. Angespannt atmete Ryan durch, ihr Atem bildete kleine heiße Wolken. Sie spürte den verwirrten Blick Arlons, der nur ihr galt. Nachdenklich schien er seine Stirn in Falten zu legen, musterte sie scharf. Nervös blickte Ryan zu Ayesha hinüber, die langsam auf ihren Vater zu lief. Ihre Gesichtszüge wirkten versteinert, ihre Körperhaltung angespannt. "Was hat sie nur, Loba?" fragte Ryan ihre Weggefährtin, die neben ihr saß und ihren Kopf an Ryans Oberschenkel schmiegte. "Sie wirkt verstört, fast als würde sie vor irgendetwas Angst haben. So kenne ich sie gar nicht." Leise jaulte die Wölfin, leckte mit ihrer rauen Zunge über Ryans Handrücken. "Du weißt es also auch nicht", sanft kraulten ihre Finger die Wölfin hinter deren Ohr. "Auch wenn es uns nicht gefällt, wir werden warten müssen, bis Ayesha gewillt ist, es uns zu erzählen." Augenblicklich schüttelte Loba ihren struppigen Kopf, ihre Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. Ihr schien diese Feststellung nicht sonderlich zu gefallen. Seufzend beugte sich Ryan zu dem Tier hinab und flüsterte ihr zu: "Mir gefällt das auch nicht, altes Mädchen. Ich bin mir sicher, wir werden es früh genug erfahren." Sacht hob Loba ihr Vorderbein an, drückte ihre nasse Pfote gegen Ryans Schulter. Stumm gab die Wölfin ihr Einverständnis, sie würde ebenso warten, bis das gütige Mädchen sich ihnen aus eigenem Willen öffnete. Ryan lächelte warm, nickte Loba zu und schlang einen Arm um den Körper des Tieres. Nervös gruben sich ihre Finger in das dicke, schwarze Fell. Als lautloser Beobachter wohnte sie bei. Mehr war ihr in dieser Situation nicht zu gedacht, sie konnte Ayesha weder helfen noch ihr die Angst nehmen. Sie war dazu verdammt untätig auf ihrem Platz zu verweilen. Stumm sah sie zu, wie sich die Arme Arlons um den zierlichen Körper Ayeshas legten, sie fest an sich drückten. Zärtlich glitten kräftige Finger durch das schwarze Haar. Plötzliche Eifersucht brannte sich in Ryans Fleisch, ließ ihren Körper zusammen fahren. Was war nur los mit ihr? Woher kam dieser Unmut? Ayesha öffnete ihren Mund, ihre Lippen formten Worte, für welche Ryan zu weit fort war. Sie konnte nur ein schwaches Flüstern im Wind wahrnehmen. Je wandte Arlon ihr sein Gesicht zu. Die anfängliche Verwirrtheit in seinen Augen verwandelte sich in bittere Klarheit. Seine Mimik änderte sich nicht, sie blieb müde und ausdruckslos. Schweigend nahm er seine Tochter bei der Hand, gemeinsam liefen sie langsam auf Ryan und Loba zu. Mit jedem Schritt, den Vater und Tochter näher kamen, verkrampften sich Ryans Muskeln. Ihre Finger umklammerten den Leib der Wölfin. Ein Scharfer Windhauch jagte einen Schauder durch ihren Körper. Zitternd saß sie da, bemerkte anfangs nicht, dass Loba mit ihrer Schnauze energisch gegen ihre Schulter stupste. Irritierter setzte sich Ryan auf, blinzelte leicht. Dicht stand nun der Vater Ayeshas vor ihr. Sein Gesicht war genauso verschlossen wie das seiner Tochter. Ihre Wangen zierte eine ungesunde Blässe. "Seid willkommen in meinem Dorf", sprach Arlon und nickte Ryan zu. "Verzeiht, aber bevor ich mich mit euch befasse, müssen meine Tochter und ich einige wichtige Anliegen besprechen. Wir werden sicher noch öfter das Vergnügen haben." Bevor Ryan antworten konnte, ging Arlon weiter. Ayesha wandte ihr kurz das Gesicht zu, suchte ihre Augen, dann verschwand sie hinter der schweren Tür des Hauses. "War doch gar nicht so schlimm", brummte Ryan, ihre Stimme schwoll vor Sarkasmus beinahe über. "Komm Loba. Lass uns schauen, ob wir für dich etwas Essbares finden. Wir werden wohl warten müssen, länger als ich dachte." Drückend lag Schweigen über Ayesha. Unbeweglich wie ein Fels stand sie mitten im Raum. Tief in sich fühlte sie ein immer größer werdendes Unbehagen. Es lähmte ihre Zunge, ihr Atem presste sich zischend durch ihre geschlossenen Lippen hindurch. Ruhig folgten ihre Augen jeder Bewegung ihres Vaters. Arlon wirkte müde und ausgelaugt. Irgendetwas bereitete ihrem Vater unendliche Sorgen, deutlich nahm es Ayesha wahr. Sie vermochte allerdings nicht zu deuten, welche Gedanken Arlon in diesem Moment beschäftigten. Dumpf hallte das Geräusch seiner schweren Reitstiefel zu ihr hinüber. Als wären es kleine Schläge, die auf Ayesha niederfuhren, zuckte sie bei jedem Schritt zusammen. Seufzend wandte Arlon ihr den Rücken zu, starrte kopfschüttelnd aus dem Fenster. Unentschlossen spielte Ayesha mit ihren Fingern, musterte ihren Vater. Sie ertrug dieses Schweigen, das sie eines Steines gleich zu Boden drückte, nicht länger. "Vater", zaghaft sprach sie dieses Wort. Hatte es ihr nicht Jahre lang Trost und Zuversicht gespendet? Nun fürchtete sie sich, es zu gebrauchen. "Was ist mit dir?" Ein verhaltenes Lachen schmückte Arlons Gesicht, sacht neigte er sein Gesicht dem Boden zu. Kraftlos war sein Körper. Nicht die langen Verhandlungen oder die beschwerliche Reise war der Grund dafür, dass er sich in diesem Moment alt fühlte. Nachrichten hatten ihn erreicht, aus allen Himmelsrichtungen drangen sie an seine Ohren. Es war vergebens sich zu wehren, es zu ignorieren. Dämonen flüsterten ihre Botschaften stets leise, aber allgegenwärtig. "Willst du mich jetzt die ganze Zeit hier stehen lassen und kein Wort an mich richten?" Ärger schwang in der Stimme seiner Tochter mit, genau konnte er es hören. Schweigend drehte er sich um, blickte Ayesha lange in ihr Gesicht. Plötzlich erkannte er neue Dinge in ihm. Der Schleier der Unschuld, der Kindlichkeit, war davon geflogen. Ihre Augen waren nicht mehr die, in welche er all die Jahre geblickt hatte. Ein härterer Farbton hatte in ihnen Einzug gehalten. Genau wie es damals bei ihm selbst geschehen war, als er das Erbe seines Vaters angetreten hatte. "Nein", sprach er leise und ging einige Schritte auf sein Gegenüber zu. "Ich will dich sicherlich nicht wortlos hier stehen lassen." "Was ist mit dir?" wiederholte Ayesha ihre Frage, strich über die raue Wange des alten Gesichtes. "Du wirkst so bedrückt." Sanft umfing Arlon die Hand seiner Tochter, schwieg jedoch auf ihre Frage. Wie sollte er ihr auch schlechte Nachrichten überbringen? Nachrichten, die ihn selbst so sehr ängstigten, dass es ihm die Sprache verschlug. Heftig begannen seine Hände zu zittern, fieberhaft suchte sein Geist nach den passenden Worten. Wie ein Kind, das erst überlegen muss bevor es ein Wort spricht, stand Arlon da. Doch in seinem Verstand existierte kein Wort, das schonend in der Lage war seiner Tochter zu berichten, welche dunklen Stunden ihnen bevorstanden. "Ist es wegen ihr?" Kaum zu vernehmen war die Frage Ayeshas. Ängstlich waren diese Worte gesprochen, von einer Furcht getrieben, die so alt wie die Welt war. Augenblicklich hob Arlon seinen Blick an, seine Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. "Nein", seufzte er und ließ seine Schultern hängen. "Sie ist wahrlich nicht der Grund für meinen Unmut. Auch wenn mir zu getragen wurde, dass du deine Pflichten arg vernachlässigt hast seit sie hier weilt. Einige fürchten sich vor ihr, doch das ist es nicht. Über diesen Zustand werden wir noch sprechen, wenn die Zeit gekommen ist." Verwirrt stand Ayesha da, sie ahnte wer ihrem Vater Bericht erstattet hatte. Wut schäumte in ihr auf. "Leta", dachte sie und versuchte sich ihren Zorn nicht anmerken zu lassen. "Du alte Hexe. Dafür wirst du mir Rechenschaft ablegen müssen. Irgendwann..." "Ayesha." Die erstarkte Stimme ihres Vaters holte Ayesha zurück aus ihren Gedanken. Sie schüttelte die Wut von sich ab. "Der Hohe Rat der Wölfe wurde ausgelöscht. Alle sind tot, ermordet von einem der ihren." "Was", stieß Ayesha aus. Angst bemächtigte sich ihren Gliedern, ihre Finger verkrampften sich zu eisigen Klauen. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Blass und starr vor Schreck starrte sie ihren Vater an. "Die Stämme rotten sich zusammen. Boten reisen durch das Land, verständigen jeden fähigen Krieger. Dunkle Stunden kommen auf uns zu. Krieg wird unser Land überziehen ehe der Schnee vollends geschmolzen ist." Arlon vollführte eine hilflose Geste, fuhr sich dann ratlos mit seiner rechten über den ergrauten Bart. Der einst so stolze und kraftvolle Krieger wirkte in diesem Augenblick hilflos. "Man hat mich bereits um Unterstützung gebeten. Ein Bote überbrachte mir die Nachricht bereits vor einigen Tagen..." "Du hast diesem idiotischen Tun doch nicht etwa deine Zustimmung gegeben, oder?" unterbrach Ayesha ihren Vater barsch. "Doch", erwiderte Arlon ruhig und gefasst. "Ich habe mein Wort gegeben und dieses werde ich auch halten." "Vater, du bist wahnsinnig geworden", Zorn und Angst färbten eine zarte Röte auf Ayeshas Wangen. Fest ballte sie ihre Hände zu Fäusten. "Das kann nicht dein ernst sein. Du willst in den Krieg ziehen? Mit unseren letzten Kriegern, haben dich die Götter mit Verwirrtheit geschlagen?" "Hüte deine Zunge, Tochter", scharf durchschnitt Arlons Stimme die Luft. Für einen kurzen Moment kehrte etwas der alten Stärke in seine Glieder zurück. Bedrohlich baute er sich vor Ayesha auf. In seinen Augen funkelte Wut. "Ich habe mein Wort gegeben und zu diesem werde ich auch stehen. Du begreifst wohl nicht, dass wir es versuchen müssen. Der Untergang des Hohen Rates hat bei vielen ogronischen Fürsten Unmut und Verwirrtheit ausgelöst. Wenn wir diesen Umstand verstreichen lassen, wäre es Narretei!" Je zog Arlon seine Tochter fest in seine Arme, strich ihr verzweifelt über das schwarze Haar und flüsterte leise: "Ayesha, ich brauche nun deine Hilfe. Du hast deine Sache gut gemacht. Ich brauche dich hier, du musst die Stellung für mich halten. Bitte, Kind, hilf mir." Steif lag Ayesha in den Armen ihres Vaters. Lange brauchte ihr Verstand um all das gesagte zu ordnen. Sich den Ausmaßen dieser Ereignisse zu stellen. Krieg, Ayesha wusste was dieses Wort bedeutete. Sie war ein Kind des Krieges, ihr ganzes Leben lang war sie eine Gefangene gewesen. Wahre Freiheit war ihr so unbekannt, wie für den Winter der Sommer. Doch, was würde sich alles verändern. Welche Entbehrungen würden auf sie zu kommen. Wie viele würden womöglich ihr Leben lassen. "Wird Ryan dann auch gehen", dieser Gedanke war kaum länger als ein Augenaufschlag. Er schnitt Ayesha so tief ins Fleisch, dass sie dem Irrglauben verfiel, sie würde davon bluten. "Hilf mir, Ayesha. Ich brauche dich jetzt." Zitternd nickte Ayesha, schlag ihre Arme fest um den Körper ihres Vaters. "Ich werde hier bleiben", raunte sie ihm zu und spürte, wie er lächelte. "Ich werde hier bleiben und dafür Sorge tragen, dass niemandem etwas geschieht." Arlon lächelte seine Tochter glücklich an, nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und küsste sie auf die Stirn. "Ich bin stolz auf dich", sagte er und seine Augen verbanden sich mit Ayeshas zu einem liebevollen Blick. "Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann." Widerstrebend nickte Ayesha, nahm Arlon wortlos in den Arme. Durch ihren Geist rasten Gedankenfetzen. Nur Bruchstücke, aber für Ayesha waren sie so deutlich wie körperlicher Schmerz. "Gefangen", dachte sie und verzog ihren Mund vor Bitterkeit. "Auf die eine oder andere Weise werde ich es immer sein." Gedankenverloren schweifte ihr Blick zu dem Fenster hinüber. Weit war der Ausblick, sie erkannte die Felsen, den See, den Wald. Es war wehrt dafür zu kämpfen, doch war es auch wert, sein Leben dafür zu geben? Ayesha schluckte hart, sie konnte sich diese Frage nicht beantworten. Es würde aber nicht lang dauern und man würde ihr Antwort geben. Die Welt selbst würde es tun, genau in dem Moment, wenn das erste vergossene Blut in die Erde einsickern würde. Ja, in diesem Augenblick würde sie eine Antwort erhalten. Scharf sog der dunkle Schatten die Luft in seine Lungen ein. Sein gesamter Körper vibrierte vor Anspannung und Vorfreude. Probeweise zog er sein Schwert aus der Scheide, schwang es ein paar Mal durch die Luft. Das Gewicht der Waffe lag schwer in seiner Hand, er genoss dieses Gefühl. Es war eine Art von Macht, die man nicht kaufen konnte. Überlegenheit, das war es. Die Überlegenheit über einen Gegner, bevor man ihm das Lebenslicht aushauchte. Er lächelte. "Einfältiger Welpe", spie Katlar verächtlich aus und steckte sein Schwert wieder fort. "Gerin, ich wusste es. Du wirst alles mit dir in den Untergang reißen. Dummer Junge." Wut übermannte Katlars Körper. Wut über diesen naiven, dummen Jungen, der sein Bruder nun einmal war und immer sein würde. "Ich hätte das alles verhindern müssen", schallte er sich selbst. "Einst hatte ich dir Chance dazu, doch ich vergab sie. Es tut mir leid, Bruder. Es tut mir leid..." Seufzend wandte Katlar der untergehenden Sonne sein Gesicht zu. Die roten Strahlen streichelten seine von Narben übersäte Haut. Genüsslich wärmte er sich in dem Licht. Seit er die Nachricht vom Sturz des Hohen Rates erhalten hatte, war er auf der Reise. Die Grenze zum Eismeer lag nun schon weit hinter ihm, in einer Woche würde er Kalmas erreichen. Die Götter schenkten ihm günstiges Reisewetter, als wollten sie, dass Katlar die Hauptstadt so schnell wie möglich erreichte. Was dort auf ihn warten mochte, darüber hatte Katlar sich noch keine Gedanken gemacht. Er wusste um den Unmut, die Wut und die Rachelust einiger ogronischer Fürsten und Generäle. Sein Bruder hatte sich nicht überall Freunde gemacht, viele Feinde versteckten sich hinter lächelnden und anerkennenden Masken. Darauf lauernd, wann sie Gerin eine Klinge in den Rücken rammen konnten. Menschen dürstete es von jeher nach Macht und sie vergasen selbst Familienbande und Freunde, wenn es darum ging, eben diese zu erreichen. Es waren nur unbedeutende Opfer auf einem langen Weg zum Ruhm, wer wusste das besser als er selbst? Über seine Schulter schenkte Katlar seinem Pferd einen prüfenden Blick. Das Tier wirkte müde, doch es hatte noch eine weite Strecke vor sich. Genau wie er gab es auch für die Stute keine lange Pause. Katlar würde erst zu frieden sein, wenn er in Kalmas unbeschadet ankam und seinen Bruder zur Rede stellen konnte. Ja, erst dann würde er Ruhe geben. "Das ist dein kleiner Bruder Gerin, Katlar. Du musst immer auf ihn achten und ihn lieben. Das tun Brüder so, mein Junge. Du darfst nie zu lassen, dass ihm etwas geschieht. Nie..." Klar erinnerte sich Katlar an die Worte seines Vaters, damals, als Gerin geboren worden war. Er hatte seinen Schwur gebrochen, nicht nur einmal. Versagt, das hatte er. Schwer atmete Katlar durch, wandte sich um. Sein schwerer, schwarzer Mantel wehte wie die Schwingen eines Rabens im Wind. "Was ist nur aus uns geworden, Gerin?" fragte er sich selbst. "Zu welchen Verlons (*) sind wir nur geworden?" Mit einem heftigen Ruck schwang er sich auf das Tier, tätschelte der erschöpften Stute den Hals und gab ihr die Sporen. Das Pferd wirrte laut auf und trabte los. Kalter Wind schnitt Katlar ins Gesicht, er zog die dunkle Kapuze über den Kopf, verbarg sein Gesicht in ihrem Schatten. "Der Schatten kehrt zurück", flüsterte er in seinen Gedanken. "Es dauert nicht lange, dann sehen wir uns wieder. Früher, als ich dachte." Schnell galoppierte die kräftige Stute über die schneebedeckten Anhöhen. Unermüdlich, wie ihr Reiter, zog es das Tier zu einem bestimmten Punkt. Zu dem Zentrum des Landes. Zu dem Ort, an welchem alles im Umbruch lag und wo das Schicksal von so vielen bereits besiegelt zu sein schien... Verschwommen zeichnete sich die dunkle Silhouette gegen den rötlichen Schein der untergehenden Sonne ab. Je näher Ayesha der Gestalt kam, umso klarer wurden deren Konturen. Tränen verschleierten ihre Sicht. Ihr Körper fühlte sich leer und kalt an. Lange hatte sie mit ihrem Vater gebrochen. Seinen Ausführungen gelauscht und in ihr auf die Erkenntnis aufgekeimt, dass es kein zurück mehr gab. Für niemanden. Ihr Geist sehnte sich nun nach Wärme und Geborgenheit, nach einem tröstlichen Frieden. Zärtlich schlang sie ihre Arme um den anderen Körper, vergrub ihr Gesicht an dem starken Rücken. Tränen brannten auf ihren kalten Wangen. Eine weitere Hand legte sich auf die ihre, streichelte sie tröstend, beinahe wissend. "Dein Vater bringt schlechte Nachricht mit sich, oder?" fragte Ryan leise und wandte sich Ayesha zu. Erblickte ihre geröteten Augen, ihren zitternden Körper. "Was ist geschehen Ayesha? Sag es mir, bitte." Anstelle einer Antwort warf sich Ayesha in Ryans Arme, hielt sich an deren Körper fest. "Der Hohe Rat der Ogronier ist gefallen", wisperte sie mit erstickter Stimme. "Die Stämme wollen das ausnutzen. Es wird Krieg geben, Ryan. Krieg..." "Das war es also", murmelte Ryan leise und streichelte Ayesha beruhigend über ihren Hinterkopf. "Wie meinst du das?" "Ich habe gespürt, dass etwas in der Luft liegt. Etwas, dessen Ausmaße uns nicht bewusst ist. Jedoch hatte ich nicht im Entferntesten damit gerechnet." "Dich überrascht das alles nicht?" fragte Ayesha, sah Ryan verwirrt an. Ihr war schon aufgefallen, dass sich Ryan verändert hatte. Nur war ihr nicht bewusst gewesen, wie tief diese Veränderung zu gehen schien. "Nein, es überrascht mich nicht. Irgendwann musste es kommen. Es ist so gewollt, ich bin mir sicher." Schweigend senkte Ayesha ihren Blick. Immer noch war ihr Körper in dieser Angst gefangen. In der Angst, dass auch Ryan fortgehen könnte. Sie alleine ließ, womöglich den Tod finden würde. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte diesen Gedanken nicht verdrängen. Er kehrte immer wieder zurück, ängstigte sie bis aufs Mark und ließ ihren Körper erstarren. "Ich werde nicht gehen..." Vor Schreck zuckte Ayesha zusammen, musterte Ryan kritisch und furchte ihre Stirn. Konnte sie nun auch schon ihre Gedanken lesen? Sanft umfing Ryan Ayeshas Gesicht mit ihren Händen, zwang sie, sie anzusehen. "Ayesha, ich hab dir geschworen, dass ich nicht mehr fortgehen werde. Dieses Mal werde ich mein Versprechen halten. Mein Platz ist bei dir, wo das auch immer sein mag." Aufmunternd lächelte Ryan auf Ayesha hinab. Sie war sich im Klaren darüber, welch ein Versprechen sie eben gegeben hatte. Doch Ryan wollte es so, sie selbst wünschte sich aus tiefsten Herzen hier zu bleiben. Sie konnte diesen Menschen nicht mehr alleine lassen. Sacht zog sie Ayeshas Gesicht an das ihre und küsste sie. Die Kälte verschwand langsam aus den Gliedern ihres Gegenübers. Ein scheues Lächeln zeigte sich auf Ayeshas Lippen, für einen Moment schloss sie ihre Augen und barg ihr Gesicht an Ryans Brust. "Kannst du mich jetzt einfach einen Augenblick halten", bat sie und schlang ihre Arme noch fester um Ryans Leib. "Ich will einfach nicht mehr denken. Nur noch vergessen." Schweigend nickte Ryan, wiegte Ayesha leise hin und her. Ihr Blick verlor sich in dem Farbenspiel des Himmels. Sie presste die Lippen aufeinander, vermied es zu sprechen. Sie wollte diese tröstliche Stille zwischen ihnen nicht zerstören. Wozu auch sprechen, es war alles gesagt. Das Rad des Schicksals drehte sich unaufhörlich weiter. In welche Richtung es ausschlagen würde, dass konnte niemand sagen. Stunden des Schmerzes kamen unaufhaltsam auf sie zu, sich zu wehren war vergeblich. "Ich lasse dich nicht alleine", dachte Ryan, küsste flüchtig Ayeshas Haar. "Keine Macht der Welt wird mich dazu zwingen können. Egal was geschehen wird, ich werde bleiben. Bei allem was mir lieb und teuer ist, dieses Mal werde ich mich nicht in etwas ergeben. Die Zeit des Davonlaufens ist endgültig vorbei. Ich schwöre es dir, Ayesha. Ich werde dich nicht alleine lassen, nie wieder..." Erklärungen(*): Zert und Moya: Durch die Ehe von Zert (Nacht) und Moya (Tag) wurde am Anbeginn der Zeit das Land geschaffen. Durch die Verbindung der beiden Gegensätze entstand das Leben und die Götterwelt Barolons. So erzählen es Legenden und Lieder. Verlons: Geister der Unterwelt, Diener von Feron. Seelenlose Krieger des Schattenreichs. Sie sind es, die die rastlosen Seelen einfangen und in die Unterwelt entführen. Nachwort: So, nach langer Abstinenz, ein neues Kapitel. Wer hätte das gedacht, ich arbeite immer noch dran. Erst einmal möchte ich mich entschuldigen, dass ich mir so lange Zeit gelassen hab. Aber ich hatte leider zu viel um die Ohren, um weiter schreiben zu können, ohne das es ein Krampf wird. Und genau das soll es ja nicht werden, oder? Na ja, ich hoffe, einigen wird dieses Kapitel gefallen. Ich selbst weiß dieses Mal nicht so recht, was ich davon halten soll. Alles was ich hoffe, ist, dass das "Niveau" nicht nachgelassen hat. Kam das, was ich mit "Heimat" ausdrücken wollte ein bisschen rüber? Schade wenn nicht... Wie immer gehen Grüße raus, aber jetzt hoffe ich einfach mal drauf, dass diejenigen die ich meine, sich auch angesprochen fühlen! Ach, bevor ich es vergesse, ich hab das alles jetzt in zwei Tage abgetippt und die Uhrzeit hat mich nicht so scharf gemacht, alles noch mal nach Fehlern durch zu sehen. Deshalb, wenn ihr welche findet, sagt es mir. Werden 100 % verbessert! Danke, dass ein paar dieses Kapitel gelesen haben. Bis bald, seen. © 2004 by seen Kapitel 27: Die Boten des Frühlings ----------------------------------- Die Boten des Frühlings Sanftes Licht brach durch die graue Wolkendecke, kraftvoll schickte die Sonne ihre wärmenden Strahlen zur Erde hinab. Heftig suchten sich Eis und Schnee ihrer zu verwähren, doch mit jedem Augenblick mehr brach der Widerstand. Die weiße Decke begann sich hie und da zu lichten, flüssiges Schweigen ergoss sich aus den Baumwipfeln, floss mit leisem Klagen zu Boden. Fasziniert beobachtete Markos dieses Schauspiel, ruhig atmete er die immer noch klirrend kalte Luft ein. Ein verhaltenes Lächeln zierte seine Lippen, verändert erschien ihm diese unsichtbare Materie, welche er mit jedem Zug atmete. Sie war nicht mehr schwer und drückend, wie sie es den ganzen langen harten Winter gewesen war, etwas anderes durchtränkte sie bereits. Es war eine Art von Süße, von Unbeschwertheit in ihr, ein schwindend geringer Hauch von Frühling. "Früh schickst du uns deine erste Boten", flüsterte Markos, ließ seinen Blick über die weiße Hügellandschaft gleiten. Wie lange würde es noch dauern, bis anstatt des weißen Schweigens erneut grüne Wiesen, Blumen und Leben Einzug hielten? Grotesk wirkte diese Vorstellung auf ihn, wusste er über die grausame Fügung bescheid, die den Menschen einen roten Frühling bescherte. Jede Nacht klärten sich seine Träume und Vorahnungen, immer deutlicher wurden die Bilder des Schreckens in seinem Geist. So sehr es sich Markos auch gewünscht hatte, dieses Mal spielte ihm die von den Göttern geschenkte Fähigkeit keinen bösen Streich. Seine Visionen waren deutlich und klar. Genau wie damals, als er unentwegt von Karas Tochter geträumt hatte. Ryan, Freude und Pein spiegelte dieser Name nun für ihn wider. Zwei völlig unterschiedliche Empfindungen und dennoch waren sie mit nur einer Person verbunden. "Wirst du mich hassen, oder wirst du mich verstehen?" Leise seufzte Markos auf, fuhr sich mit seinen kalten Fingern über die Augen. Während den Wochen ihrer Reise hatte er viel über diese Frage und ihre mögliche Antwort nachgedacht. Ihm war bewusst, dass er es sein würde, der Ryan zurück in eine Rolle drängen wollte, welche sie so mühsam abgestreift hatte. Gespürt hatte er ihren Kampf, hatte die Bilder ihres neu gewonnen Glücks gesehen. War er wirklich fähig all das fort zu wischen, als hätte es nie eine Berechtigung gehabt zu entstehen? "Ich bin wirklich in den Jahren des Krieges abgestumpft..." "Nicht abgestumpft, mein Freund. Manche Menschen sind dazu verdammt immer den schwersten Weg gehen zu müssen. Du wirst das richtige tun." Erschrocken wandte sich Markos zur Seite, seine angespannten Muskeln lockerten sich augenblicklich, als er Ragan neben sich gewahr wurde. Ragan beherrschte die Kunst des lautlosen Erscheinens wahrlich meisterhaft. "Werde ich das, Ragan?" fragte Markos und ließ kraftlos seine Schultern hängen. "Ich bin nicht mehr sicher, ob ich das richtige tue. Welches Recht habe ich schon, Ryan in ihre alte Rolle zu drängen? Sag es mir, Ragan. Welches Recht besitze ich schon." Sorgenvoll musterte Ragan die nachdenkliche Gestalt neben sich. Zweifel plagten seinen Freund und das ängstigte ihn. Noch nie hatte er Markos bei seinen Entscheidungen zaudern sehen, immer hatte er gewusst was zu tun war. Der starke Fels bröckelte. Nicht verwunderlich war es, hatte er doch so viele Schläge der Gezeiten abfangen müssen. Die Zeit hatte Markos langsam ausgehöhlt, seine Substanz mit jedem Tag mehr fortgespült. Er war zu einem leeren Felsen geworden, äußerlich stark, von innen her zerbrochen. "Von mir willst du diese Antwort?" fragte Ragan leise. "Ich kann sie dir nicht geben Markos. Ich besitze deine Gabe nicht. Ich weiß nicht, was kommen wird. Ich weiß nur, dass es keinen anderen Weg gibt. Vor langer Zeit wurden unsere Wege beschlossen, auch für Ryan. Sie wird es verstehen." "Nein, sie wird es nicht verstehen. Sie wird sich fügen, aber nicht verstehen." Bitterkeit schwang in Markos Stimme mit. Bitterkeit und Bedauern. "Kara wollte sie vor genau diesem Weg schützen und ich mache sie zu dem, wogegen sie sich so beharrlich wehrt. Ich, ich fühle mich so schäbig, Ragan. So unsagbar schäbig." Langsam hob Markos seine Arme, starrte angewidert auf seine Hände. Rot und taub waren sie. "Soviel Blut", flüsterte er. "An meinen Händen klebt soviel Blut und Schmutz. Zu alt um es fort zu waschen, viel zu alt..." Sprachlos blickte Ragan zu Markos hinüber, seine Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. Er konnte es nicht glauben, sein Freund aus Kindertagen war im Begriff vor seinen Augen zu zerbrechen. "Schweig", zischte er bedrohlich, packte Markos an dessen Kragen, schüttelte ihn, als könne er ihn auf diese Weise aus seinem Selbstmitleid reißen. "Nicht nur an deinen Händen klebt Blut. Glaubst du, ich könnte es nicht jeden Tag riechen? Wenn du jetzt aufgibst, dich deinem Selbstmitleid ergibst, werden wir alle untergehen. Komm zur Vernunft, Markos." Mit zitternden Händen umfasste Markos die Hände Ragans, blickte in seine verängstigten Augen. "Markos, bitte. Lass mich in diesem Kampf nicht alleine, bitte." Deutlich vernahm er den Gedanken seines Freundes. Angst, klar konnte er sie in jeder Faser des anderen Körpers spüren. Plötzlich wurden seine verhärteten Gesichtszüge weich, die Zweifel wichen aus seinen Gliedern. "Ich lasse dich nicht alleine, mein Freund. Wir werden diesen letzten Kampf gemeinsam bestreiten. Ich schwöre es dir, du wirst nachhause zurückkehren. Verzeih mir meine Worte, Schuld ist schwer zu tragen." "Ich weiß und ich wünschte, ich könnte sie dir abnehmen, wenigstens einen Teil." "Wir werden es zu ende bringen, Ragan", sagte Markos und in seine Augen trat ein Hauch des alten Feuers. "Wir bringen es gemeinsam zu ende." Erleichtert nickte Ragan, lockerte seinen Griff und klopfte Markos beruhigend auf die Schulter. "Wir sollten aufbrechen, ansonsten erreichen wir den Katzenstein nie in zwei Tagen." Wortlos nickte Markos, schlang seinen Mantel fest um sich. "Geh zu den Männern, sie sollen sich zum Aufbruch bereit machen. Ich komme gleich nach." Kritisch musterte Ragan Markos Gesicht, doch als er seinen Freund lächeln sah, nickte er und verschwand langsam zwischen den mächtigen Baumstämmen. Kalter Wind wehte Markos durch sein Haar, streichelte seine Wangen, trocknete seine Tränen, welche sich durch seine geschlossenen Augenlider bahnten. "Ich konnte es ihm nicht sagen, Kara. Er darf nicht wissen, wie viel ich bereits gesehen habe. Es würde ihn umbringen..." Leise flüsterte der Wind, umschloss Markos mit seinen starken Armen, spendete ihm Trost. "Ich danke dir", sprach er in seinen Gedanken, der weiße Stein über seinem Herzen glühte auf. "Ich werde sie schützen, mit meinem Leben. Ich schwöre es dir, kein Leid wird Ryan zu teil werden." Mit langsamen, beinahe bedächtigen Schritten lief Markos los. Immer noch hörte er den Wind leise flüstern, nur er verstand, welche Worte er sprach, welche Botschaft ihm zu getragen wurde. Weit hinein in die Zukunft hatte er blicken können. Kristallklar lag sie vor ihm, die Zukunft. Mit all ihren Schrecken und Entbehrungen. Mit Tod und Blut, doch in gleicher weise auch mit Licht und Liebe, mit Leben und Hoffnung. "Ja, Kara, ich weiß. Wir sehen uns bald wieder. Bald, Schwester, sehr bald." Kräftige Sonnenstrahlen streichelten dürre, knorrige Äste. Die Welt war schon seit Stunden erwacht. Ein scharfer Wind wehte über die kantigen Felsen des Katzensteins, hallte in den vielen Vertiefungen des Gesteins Klagelauten gleich wider. Erschrocken fuhr Ryan zusammen, sie begann urplötzlich am ganzen Leib zu zittern. Fieberhaft versuchte sie, diese Laute aus ihrem Bewusstsein zu verdrängen, sie zu ignorieren, doch es war vergebens. Alte, längst vergessene Bilder tauchten vor ihren Augen auf. Der Geruch von altem Blut stieg ihr in die Nase, ihre Hände sehnten sich nach dem Gewicht eines Schwertes. Ihre Seele zeigte Ryan erneut auf, das die tiefen Wunden immer noch nicht verheilt waren. Schmerz befiel ihren Körper, schon seit Tagen kämpfte sie einsam mit diesen Erinnerungen. So alt sie auch sein mochten, ebenso präsent und unheilvoll lagen nun sie über ihr. Fest ballte Ryan ihre unkontrolliert zitternden Hände zu Fäusten. "Verschwindet", flehte sie erstickt. "Bitte, lasst mich doch endlich in Frieden, verschwindet." Kraftlos hob sie ihren Kopf, blickte hinauf in den von roten Streifen durchzogenen Himmel. Sie spürte die Kälte, welche erbarmungslos ihre Glieder befiel, sie lähmte und erstarrte. Ein verächtliches Lächeln legte sich auf Ryans Lippen, wusste sie doch, dass diese Kälte nicht von Außen herrührte, sondern aus ihr entsprang. "Du bist so kalt, Ryan. Willst du eigentlich nicht, dass dich jemand liebt? Warum tust du das? Warum verletzt du mich immer wieder? Du bist wirklich so kalt wie Eis..." Deutlich erinnerte sich Ryan an diese Worte, sah klar das Gesicht Teleris vor ihren Augen. Damals waren diese Worte im Zorn gesprochen worden, während einem Streit gefallen, jedoch steckte so viel Wahrheit in ihnen. Wie viel, dass begriff Ryan erst jetzt. Mit ihrer kalten, schroffen Art hatte sie schon so vielen vor den Kopf gestoßen. Sich ihrer immer auf dem leichtesten Weg entledigt. Niemand war ihr so nahe gekommen, dass diese Person all ihre Gefühle und Geheimnisse erspähen konnte. Sie hatte es nie zugelassen, nicht einmal jetzt. Jedoch geschah all dies nicht aus Bosheit oder Furcht. Ryan wusste nur zu gut, wenn sie Ayesha all ihre dunklen Vorahnungen und Träume offenbarte, dann wäre die Zeit gekommen, in welcher selbst Ayesha sich vor ihr fürchten mochte. Dieser Gedanken stach ihr tief ins Fleisch, ängstigte sie, wie Geschichten über böse Geister kleine Kinder des Nachts ängstigte. Unter allen Umständen wollte Ryan Ayesha vor dieser Seite in sich selbst schützen. Sie durfte nicht zu lassen, dass sie zurückkehrte und wohlmöglich die Oberhand über ihr Denken und Handeln erneut gewann. Diesen Entschluss hatte Ryan schon vor Wochen gefällt, auch wenn sie lügen und einsam den Kampf mit den dunklen Schatten austragen musste. Ayesha war all die Angst und den Schmerz wert. Jedoch, markierte eine Lüge nicht schon bereits den Untergang? Hatte sie nicht auch bei Teleri und ihr das Unheil eingeläutet, ein Unheil, dessen Ausmaß erst Jahre später für jedermanns Augen sichtbar geworden war. "Teleri", merkwürdig hörte sich dieser Namen für Ryan an, dabei hatte sie ihn tausende Male ausgesprochen. Die alte Vertrautheit, die dieser Namen immer hervorgerufen hatte, war verloren gegangen. Im Strudel der Zeit entschwunden. Bitter verzog Ryan ihre Miene, als sie sich das Bildnis Teleris ins Gedächtnis rief. Eine stolze Frau sah sie vor sich, doch sie war es gewesen, die diesen Stolz zum versiegen gebracht hatte. Ryan war es gewesen, die diese Frau wohlmöglich zerbrochen hatte. Schuld befiel ihre Glieder, ließ sie schwer und starr werden. Wie sehr sehnte sich Ryan danach Teleri um Vergebung zu bitten. Vergebung für all die schrecklichen und grausamen Dinge, die sie ihr angetan und die Teleri hatte erdulden müssen. Ein warmer Sonnenstrahl streichelte Ryans verkrampfte Gesichtszüge, verursachten, dass sie ihre Augen schloss und für einen kurzen Moment all diese Erinnerungen abschütteln konnte. Doch Erinnerungen wären nicht Erinnerungen, wenn sie nicht erneut in Menschen aufsteigen und ihre Seele martern könnten. Seufzend öffnete Ryan ihre Augen, blickte über den See hinweg. Die ehemals dicken Eisschichten brachen unter der Last der Sonnenstrahlen mit jedem Tag mehr zusammen. Verwandelte sich in reines Wasser. Der Winter klang ganz allmählich aus. Ruhig und lautlos stahl er sich davon. "Wie schnell die Zeit doch vergeht", wisperte Ryan und lächelte schief. All diese Geschehnisse erschienen ihr nur einen Augenaufschlag zurück zu liegen, dabei war bereits soviel Zeit vergangen. "Und ich habe davon zu wenig mit Ayesha verbracht." Bedauern schwang in Ryans Stimme mit während sie diese Worte sprach. In der Tat, sie hatten nur wenige unbeschwerte Tage zusammen gesehen und die, welche noch folgen würden, färbten sich durch ihre Träume immer mehr dunkel. Dabei wollte Ryan so gerne an das Gute glauben, fast schon krampfhaft versuchte sie sich einzureden, dass alles gut werden würde. Einfach alles, und doch wusste sie, dass nichts gut war. Es entsprang nur ihren Wünschen, ihren Sehnsüchten. Die Wahrheit lag schwer auf ihr, erdrückte sie mit jedem Augenblick der verstrich. Schweigend kämpfte sie, dabei hatte sie den Kampf längst verloren. Sanfte Arme umfingen sie, hielten sie fest. Deutlich spürte Ryan den nahen Körper, schluckte hart. "Ich habe dich schon eine ganze Weile von drinnen beobachtet", flüsterte Ayesha ihr leise zu. "Warum stehst du so lange hier draußen?" "Ich musste nur nachdenken", erwiderte Ryan ebenso leise und küsste flüchtig den Handrücken Ayeshas. "Außerdem, mir war, als würde ich deinen Vater und dich stören." Irritiert runzelte Ayesha ihre Stirn, drehte den widerstrebenden Körper Ryans in ihre Richtung und sah sie durchdringend an. "Von was redest du? Niemals würdest du mich stören, und was meinen Vater betrifft. Er hat einfach nur..." "Angst", fügte Ryan ein und lächelte scheu. "Glaubst du etwa, mir wäre entgangen, auf welche Art und Weise er mich anblickt. Mit Angst und Argwohn. Ich weiß, dass er jeden meiner Schritte misstrauisch beobachtet." Schwer seufzte Ayesha, nickte leicht. In ihrem Geist suchte sie nach den richtigen Worten, um ihren Vater zu entschuldigen, doch sie fand sie nicht. "Er möchte mich immer noch beschützen", dachte Ayesha, verzog missmutig ihr Gesicht. "Nie wird er verstehen, nie." "Er hat dich schon lange verstanden", wisperte Ryan ihr zu, schloss sie in ihre Arme. "Sei dankbar, Ayesha. Dankbar, dass sich jemand um dich sorgt, dich liebt und dich vor jedem Bösen auf der Welt schützen möchte. Glaub mir, ich besaß niemals solch einen Menschen und jeden Tag meines Lebens sehnte ich mich danach beschützt zu werden." Starr lag Ayesha in Ryans Armen, Furcht befiel ihre Glieder. Woher wusste Ryan um ihre Gedanken? Schon mehr als einmal war es Ayesha so erschienen, als könne sie tief in ihre Gedankenwelt blicken. Dinge sehen, die niemand sehen sollte. Sanft fuhr Ayesha über den hell glühenden Anhänger. "Weißt du um meine Gedanken durch ihn?" fragte sie zaghaft, fast ängstlich. "Ja", bekannte Ryan und fühlte sich einwenig ertappt. "Der Anhänger ist das Bindeglied zwischen den Welten. Der realen und der Gedanken- und Traumwelt. Er zeigt mir sehr viel. Manchmal zu viel." "Du siehst durch andere Menschen hindurch, als wären sie Glas. So tief konnte ich noch nie in dich hinein blicken." Traurig waren diese Worte, von einer Sehnsucht geprägt, die Ryan so vertraut war, dass es beinahe schmerzte. Beschämt blickte sie zur Seite, fühlte warme Hände, die ihr Gesicht umfassten, sie zwangen Ayesha anzublicken. "Ich weiß schon lange, dass etwas nicht mit dir stimmt, Ryan. Du bist so abwesend. Nachts murmelst du Worte, sie erschrecken mich. Warum willst du mir nicht erzählen, was mit dir ist?" "Ich kann es einfach nicht", niedergeschlagen wandte Ryan ihren Blick ab, durchtrennte das Band, welches ihre Augen geschmiedet hatte. "Glaube mir, ich würde es dir gerne erzählen, aber ich kann nicht. Nicht einmal ich bin doch über all das im Klaren, wie sollte ich es dann dir begreiflich machen?" Sanft lehnte Ryan ihre Stirn an die Ayeshas, lächelte scheu und strich ihr über die rot gefärbte Wange. "Ich liebe dich, und genau dieses Gefühl ist das einzige, bei dem ich keine Zweifel noch Ängste hege." Zitternd umfing Ayesha den Körper Ryans noch fester. Sie hatte sich verändert, wie sehr, dass wurde Ayesha erst in diesem Moment bewusst. Dunkle Ahnungen beschlichen ihre Geist, ängstigten sie, zeigten ihr auf, wie zerbrechlich Glück und Frieden sein mochten. "Ich werde dich beschützen", flüsterte sie zart, küsste Ryans Lippen und fügte in ihren Gedanken bei: "Und wenn ich dich vor dir selbst schützen muss..." Glücklich lächelte Ryan in diesen Kuss hinein. Aufrichtig war dieses Lächeln, das Gefühl tief in ihr. Dieses Geschöpf hatte es vermocht sie aus den dunklen Schatten ihrer selbst zu lösen. Hatte ihr Liebe und Wärme eingehaucht. Empfindungen, welche Ryan schon vor so vielen Jahren verloren geglaubt hatte. Einzig durch Ayesha schien all das nur noch ein böser Traum zu sein. Ein Traum, der schon vor langer Zeit verblasst war, seinen Schrecken mit jeder Berührung verlor. "Lass nicht zu, dass ich wieder zu dem werde, was ich einst war", flehte Ryan, blinzelte die aufsteigenden Tränen fort. "Bitte, Ayesha. Hilf mir, hilf mir..." "Ich werde dir helfen. Bei allen Göttern, ich lasse dich mit diesem Kampf nicht alleine. Ich liebe dich, Ryan." Sanfter Halt umfing Ryan. Ein Halt, den sie nie geglaubt hatte erfahren zu können. Sie klammerte sich an Ayesha, vergrub ihr Gesicht in den duftenden Haaren. "Ich liebe dich, Ryan." Zart hallten diese Worte in ihrem Geist wider, vertrieben die Angst und die Schwäche aus ihren Gliedern. Liebe, so einfach war sie und gleichermaßen so schwer. Zum ersten Mal in ihrem Leben liebte Ryan bedingungslos, selbst wenn Ayesha sie nicht lieben würde, so würde doch Ryan ihrerseits alles für diese Wesen vollbringen. "Lass mich nie wieder alleine", raunte Ryan leise, sprach den stummen Wunsch aus, den sie schon die ganze lange Zeit in sich trug. "Ich werde dich nie wieder gehen lassen. Du bist das einzige auf der Welt, was ich noch möchte", flüsterte Ayesha ebenso leise. Sie fürchtete, dass, sobald sie diese Worte laut aussprach, Ryan verschwinden mochte. Wie ein wunderschöner Traum, welchen man, sobald der Morgen graute vergaß. Zaghaft nahm sie das Gesicht Ryans zwischen ihre Hände, lehnte ihre Stirn an die ihre. "Eher muss ich diese Worte sprechen. Lass du mich nicht mehr alleine." "Ich schwöre es dir. Niemals wieder werde ich fort gehen. Niemals..." Kalt glühte der Stein über Ryans Herzen auf, straffte somit ihrer Worte lügen. Erschrocken zog sie Ayesha fester in ihre Arme, versuchte die Kälte, welche ihre Glieder befiel zu vergessen. "Nein", schrie sie laut in ihren Gedanken auf. "Ich werde sie nicht verlassen. Egal was du willst oder was du bereits ahnst. Ich werde sie nicht verlassen, möge kommen was will..." Schweigend sah Ryan über die Schulter Ayeshas hinweg, sog sinnend den Geruch ihres Körpers in ihre Lungen. Immer noch spürte sie diese Kälte in sich, und selbst der andere Körper war nicht in der Lage sie zu wärmen. Verzweifelt zog sie Ayesha an sich, streichelte ihr über das schwarze Haar. Dieser Moment war rein. So rein wie kristallklares Wasser, um nichts in der Welt wollte Ryan diesen Augenblick trüben. Mit aller Kraft schob sie die dunklen Vorahnungen und Lügen beiseite, weidete sich an der nun vor ihr liegenden Reinheit. Ryan wusste, sie alle waren nur Figuren in dem großen Spiel, welches die Götter zu spielen pflegten. Doch gleich was kommen möge, dieses Mal würde sie sich dem nächsten Zug widersetzen. Die Konsequenzen fürchtete sie nicht länger, es war ihr gleich. Alles schien sein Gewicht zu verlieren, wenn sie nur den Menschen den sie liebte nicht verlassen musste. Kaum merklich knackten die dicken Eisschichten auf, stöhnten gequält unter dem warmen Licht der Sonne. Sanfter Wind umwirbelte die beiden Gestalten am Ufer, und trug ganz leise den ersten Duft von Blumen mit sich. "Verräter", schrie Gerin laut aus, seine Hände zitterten vor Wut. Fest umkrampften weiße Finger die Schriftrolle. Er konnte fühlen, wie das feine Pergament sich seinem Zorn ergab. Krächzend zerriss es unter der Last. Schwer seufzend sank Gerin gegen die mächtige Lehne seines Sessels, starrte gedankenverloren hinauf zur hohen Decke. Stille füllte den Raum aus, gab Gerin wenige Momente der Ruhe. Schwer entwich sein Atem seiner Kehle, beinahe, als würde er eine schwere Last mit sich tragen. Er lächelte bitter, erhob sich, lehnte seinen Körper gegen den Rahmen des großen Fensters. Müdigkeit ließ seine Glieder schwer werden. Schon seit Jahren hatte sich Gerin nicht mehr so Kraftlos gefühlt. Schlechte Nachrichten, sie erreichten ihn täglich. "Verräter", wiederholte er, schüttelte seinen Kopf. Lautlos schienen sie sich um ihn zu scharren, ihn zu umkreisen. Er konnte weder einen Schritt vorwärts noch rückwärts vollziehen ohne das die Angst in auffraß, wie ein garstiges Monster. "Was soll ich nur tun", wisperte er, lehnte seine Stirn sacht gegen das kühle Glas. "Was soll ich nur tun..." Leise ächzte eine der Bodendielen auf, schwere Stiefel, ein kalter Luftzug. Gerin wagte kaum zu atmen, lauschte angestrengt, feine Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn. Angst durchfuhr seinen Körper, seine Hände begannen zu zittern. "Erbärmlich", hörte er eine Stimme. Abscheu lag in ihr. "Wie erbärmlich bist du nur, Gerin?" Zögernd wandte Gerin seinem Besucher das Gesicht zu, seine Augen weiteten sich. Düster stand die schwarze Gestalt mitten im Raum, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Sie kündete von Unheil, wie sie es schon immer getan hatte. Immer brachte sie Unheil und Zerstörung mit sich, seit Gerin denken konnte war es nie anders gewesen, nie. Leise lachte der schwarze Schatten auf, bewegte sich jedoch keinen Schritt. "Schwer ist es, wenn man niemanden mehr hat dem man vertrauen kann, nicht wahr? Ich hätte nie gedacht, dass du so töricht bist, Gerin." "Wachen!" schrie Gerin, drehte sich schwungvoll um. Zorn loderte in seinen Augen auf, brachte etwas von der alten Entschlossenheit zurück, die Gerin schon geglaubt hatte verloren zu haben. "Du schreist vergebens, die können dich nicht mehr hören", zischte es bedrohlich zurück, schwer hallten die Stiefel des Besuchers durch den Raum, langsam ging er auf Gerin zu, schlug die dunkle Kapuze zurück. "Welch eine Begrüßung, kleiner Welpe", Katlar lachte. "Ich bin doch gerade erst angekommen." "Du", erschrocken wich Gerin einige Schritte zurück. "Was willst du hier, was willst du von mir? Ich dachte du wärst tot." Schweigend betrachtete Katlar seinen Bruder, ließ sich kopfschüttelnd in dem Sessel Gerins nieder. "Ich muss sagen, deine Söldner sind mir lange gefolgt, aber ich gebe dir einen guten Rat, suche sie das nächste Mal sorgfältiger aus. Sie waren nun wirklich keine große Herausforderung für mich." Starr vor Schreck stand Gerin da, seine Hände ballten sich, ohne dass es ihm bewusst war, zu Fäusten. Schnell rauschte das Blut durch seine Adern, zitternd presste sich sein Atem zwischen seinen Zähnen hindurch. Katlar war am Leben, hier bei ihm und Gerin hatte keinen Zweifel daran, dass Katlar gekommen war um zu töten. "Du dummer, kleiner Welpe", höhnte Katlar süß. "Ich wusste wirklich nicht, dass du so naiv bist. Mich kann man nicht töten, wenn man es könnte, so hätte es der Hohe Rat schon vor langer Zeit besorgt. Gräme dich nicht, es haben schon andere vor dir versucht und sind gescheitert." "Katlar, ich, ich..." "Schweig", schrie Katlar, sprang auf und packte Gerin am Kragen. Dicht zog er das Gesicht seines Bruders an das seine. Blickte lange in die müden Augen. Kein Leben schien in ihnen zu existieren. Es waren nicht die Augen Gerins in welche Katlar blickte, es waren seine. "Oh Gerin. Was hast du nur getan?" fragte er bedauernd. "Das richtige", schmetterte ihm Gerin entgegen und befreite sich aus dem Griff Katlars. "Sie sind tot, alle. Ich habe sie getötet, ich bin Herrscher. Ja, Herrscher. Mir gehört dieses ganze Land, ich habe erreicht was du nie geschafft hättest." "Falsch du Narr. Ich habe nie begehrt etwas zu sein was ich nicht bin." Ruhig waren diese Worte gesprochen, kein Zorn lag in ihnen. Auf eine seltsame Art und Weise erschreckten sie Gerin. Noch nie hatte er seinen Bruder so ruhig und wahrhaftig sprechen hören. Krampfhaft versuchte er sich zu erinnern, wann Katlar jemals in solch einer Form zu ihm gesprochen hatte. Doch so sehr er sich auch zu erinnern versuchte, er fand keinen Moment in seinem Gedächtnis. Nie hatte er in Katlar etwas anders gesehen als eine Bedrohung, als einen Menschen vor dem ihn sein Vater stets gewarnt hatte. "Dein Bruder ist ein schlechter Mensch, Gerin. Er kennt weder Furcht noch Ehre. Hüte dich vor ihm, sonst wird er dich eines Tages mit in den Abgrund ziehen." Klar und deutlich vernahm Gerin die Worte seines Vaters, erinnerte sich an sein Gesicht, während er diese Worte zu ihm gesprochen hatte. Seit jenem Tag hatte er den Rat seines Vaters befolgt. Nie war so etwas wie Nähe zu seinem Bruder entstanden, immer nur hatte Hass, Unverständnis und Furcht seine Gefühle regiert. "Warum bist du hier?" fragte Gerin nun ebenso ruhig, doch er konnte es nicht vermeiden, dass sich seine Hand um den Knauf des Dolches unter seinem Mantel schloss. Seufzend fuhr sich Katlar über sein Kinn. Warum war er eigentlich gekommen? Eine sehr intelligente Frage. Im Grunde seines Herzens wusste er selbst keine genaue Antwort. Sorgen hatte ihn aus seinem Versteck fort getrieben. Sorge um diesen dummen kleinen Welpen der nicht wusste, mit welchen Kräften er sich angelegt hatte. "Du wirst Hilfe brauchen", brachte Katlar krächzend hervor. "Die Krieger und ihre Führer vertrauen dir nicht. Du bist für sich nichts weiter als ein kleiner Junge." "Ich habe den Hohen Rat beseitigt, alleine", erwiderte Gerin trotzig. "Das sollte Beweiß genug sein wie groß meine Macht ist." "Nein, diese Tat zeigt nur, dass dir nichts heilig ist. Wie sollen dir die Männer vertrauen, wenn du ihnen bis jetzt nichts Besseres gebracht hast? Unter dir wurden vier der mächtigsten Heerführer exekutiert. Die Stämme rotten sich im ganzen Land zusammen. Wie willst du sie ohne eine Armee, die dich als ihren Herrscher akzeptiert zurückschlagen? Deine Macht ist nur Schein Gerin, du besitzt sie nicht. So schnell du sie auch an dich gebracht haben magst, genauso schnell können sie dir andere auch wieder entreißen." Knirschend zog Gerin den Dolch aus seiner Scheide. Den gleichen Dolch, mit dem er auch Nerom sein Lebenslicht ausgehaucht hatte. Gesäubert war die Klinge, doch immer noch konnte Gerin das Blut seines ehemaligen Lehrmeisters riechen. Beißend stach es ihm in die Nase, nur mit größter Anstrengung konnte er ein Würgen unterdrücken. "Das ist nicht wahr. Niemand kann mir meine Macht mehr stehlen, nicht einmal du." "Du willst es wohl nicht verstehen", resignierend ließ Katlar seine Hände sinken. "Ich will deine verfluchte Macht nicht. Um nichts in der Welt möchte ich mit dir die Plätze tauschen. Hätte ich damals das Angebot Neroms angenommen, so wärst du nie soweit gekommen. Nur durch mich bist überhaupt noch am Leben, nur durch mich und ich möchte, dass es so bleibt. Mir vertrauen die Krieger, ich könnte dir helfen." Klirrend fiel der Dolch aus Gerins Hand, wie betäubt stand er mitten im Raum. Fieberhaft versuchte sein Geist das eben gesprochene zu verarbeiten, ihm einen Rahm und eine Form zu geben. Katlar wollte ihm helfen? Durch ihn war er noch am Leben... Wie durch einen Schleier des Schlafes nahm Gerin seinen Bruder war, näher schien er heran gerückt zu sein. Er spürte eine Hand auf seiner Schulter und zuckte kurz zusammen. Sacht drückte Katlar zu, beinahe freundschaftlich. "Was ist nur los in dich gefahren, Bruder", dachte Gerin und lächelte bitter. "So kenne ich dich überhaupt nicht." In der Tat, auf diese Art und Weise hatte Gerin Katlar noch nie erlebt. Er kannte ihn nur als den Krieger, der sich vor nichts und niemand fürchtete und der keine Skrupel verspürte. "Überlege dir mein Angebot. Wer weiß, wie lange ich in der Stimmung bin es dir zu unterbreiten." Mit schnellen Schritten eilte Katlar an Gerin vorbei, eine nie gekannte Müdigkeit befiel seine Glieder. Die Reise war lange und beschwerlich gewesen, außerdem waren Gerins Söldner doch hartnäckiger gewesen, als er es dargestellt hatte. "Katlar", flüsternd stahl sich die Stimme Gerins in sein Bewusstsein, zwang ihn kurz stehen zu bleiben. "Du bist doch nicht nur zu mir gekommen um mir zu helfen, nicht wahr?" Um die Mundwinkel Katlars bildete sich ein Lächeln, doch in ihm lag wie eh und je keine Wärme. Sie war schon vor Jahren verschwunden. "Nein", gestand Katlar, drehte sich bei seinen Worten jedoch nicht um. "Ich ahne, dass sie dort sein wird. Auf irgendeinem der Schlachtfelder werde ich Ryan gegenüberstehen. Ich bin ein Krieger, Gerin. Ich töte nicht wie du feige aus dem Hinterhalt. Ryan wird dort sein, ich spüre es. Wir werden uns wieder sehen und dann wird es kein entkommen mehr geben, für keinen von uns. Es wird damit enden, womit alles auch anfing. Mein ganzes Leben habe ich gekämpft. Es nun einmal mein Los auch in einem Kampf Erlösung zu finden." Missbilligend schnaubte Gerin, gewann langsam etwas von seiner Selbstsicherheit zurück. "Für jemanden wie dich gibt es keine Erlösung, Bruder. Für dich nicht. Wer gibt dir die Gewissheit, dass sie dort sein wird?" "Wie unwissend du doch bist", kurz wandte Katlar Gerin sein Gesicht zu. "Auch wenn es sich Ryan nie eingestehen würde. Sie ist mir zu ähnlich, als das sie nicht dort sein wird. Ich spüre es, schon den ganzen langen Winter hindurch fühle ich, dass die Zeit gekommen ist. Auf die eine oder andere Weise wird einer von uns Erlösung finden, manchmal ist selbst der Tod eine Erlösung." "Du solltest dich sprechen hören, Katlar", zurückhaltend kam Gerin einige Schritte näher. "Immerzu höre ich dich die gleichen Worte sprechen, doch noch nie kam es mir so vor, als wüsstest du, was uns erwartet." Für einen kurzen Moment schloss Katlar seine Augen, sah dann seinen Bruder lange und durchdringend an. "Uns erwartet nur das, was du gesät hast, Gerin. Wer Blut säht, wird auch Blut ernten. Niemand weiß das besser als ich, niemand..." Drückend lag die Dunkelheit über dem kleinen Zimmer, geschwängert schien die Luft durch den Geruch von Krankheit. Erschöpft ließ sich Bara auf den kleinen Stuhl neben dem Bett sinken. Ihr Blick wanderte über den von Fieberkrämpfen geplagten Körper Teleris. Sanft tupfte Bara den Schweiß von der heißen Stirn ihrer Freundin, Hilflosigkeit ließ jeden Muskel in ihrem Körper schwer und starr werden, nur noch Sorge hielt sie wach. Schon Nächte lang wachte sie am Krankbett Teleris, eine Besserung erschien Bara soweit entfernt wie der Sommer. "Was hast du nur getan, Ryan?" fragte sie leise und voller Wut. "Was hast du ihr nur angetan. Keine Widerstandkraft ist mehr in ihrem Körper um diesen Feind abzuwehren. Hat sie nicht genug gelitten?" Zärtlich umfing Bara die schlaffe Hand, drückte sie sacht, damit Teleri gewiss wurde, dass sie nicht alleine war. Schweigend saß die alte Frau da, lauschte dem flachen Atem, betete zu den Göttern ihr nicht auch noch den letzten Freund auf dieser Welt zu nehmen. Doch auch dieses Mal erhielt sie keine Antwort auf ihr Flehen. Müdigkeit beschwerte ihre Augenlider, verzweifelt kämpfte Bara darum nicht der süßen Verführung zu erliegen, aber ihr Körper verlangte seinen Tribut. Kaum, dass es ihr bewusst wurde, sackte ihr Kopf gegen die Lehne des Stuhls und sie versank in einem tiefen, traumlosen Schlaf... Teleri lächelte zaghaft, als sie die schützende Hand um die ihre spürte. Schwerfällig wandte sie Bara das Gesicht zu. So viele Nächte wachte ihre Freundin schon über ihr, versuchte unermüdlich ihre Schmerzen zu lindern. Gezeichnet war das vertraute Gesicht, es schmerzte Teleri, dass sie der Grund für Baras Sorgen war. Gleichermaßen war sie überwältigt von der Zuneigung, welche Bara ihr zu kommen ließ. So sehr Teleri sich auch versuchte zu erinnern, sie fand in ihrem Gedächtnis nichts Vergleichbares. Nur Wido hatte sich jemals so um sie gekümmert wie es jetzt seine Frau tat. "Liegt wohl in der Familie", dachte sie und das Lächeln auf ihren Lippen wurde liebevoller. Vorsichtig löste Teleri die Hand Baras, setzte sich einwenig in ihrem Kranklager auf, und ihr Blick wanderte hinauf zur Zimmerdecke. Wie viele Tage sie schon daniederlag, wusste sie nicht mehr genau. Plötzlich waren Fieber und Schmerz über sie herein gebrochen, wie ein Sturm hatte die Krankheit alle Kraft aus ihren Gliedern gesaugt, bis sie nicht mehr fähig war die Augen offen zu halten. Jedes Zeitgefühl war Teleri abhanden gekommen, sie wusste nicht einmal mehr, welcher Tag es mochte. Langsam ließ sie sich wieder in die weichen Kissen zurück sinken, atmete tief durch, versuchte die Pein des Fiebers wenigstens für eine kurze Zeit zu verdrängen. Allmählich beruhigte sich ihr wild pochendes Herz, tiefer sog Teleri die drückend Luft in ihre Lunge, ignorierte den Schmerz, welcher wie Feuer ihrer Lungen aufzufressen schien. Ein dumpfer Schmerz dröhnte hinter ihren Augen, fest presste Teleri ihre Handflächen gegen die Schläfen, doch der Schmerz wurde immer stärker. Ein merkwürdiges Gefühl mischte sich mit dem Schmerz, als würde etwas unaufhörlich näher kommen. Ganz nahe schien es bei ihr zu sein. "Was ist das?" flüsterte sie in ihren Gedanken. Sie mahnte sich selbst zur Ruhe, ihre Hände umklammerten ängstlich die Bettdecke. Kälte schlug ihr entgegen, nun spürte sie diese Präsenz noch deutlicher, klarer als zuvor. Ein merkwürdiger Duft schien den Raum zu durchdringen. Argwöhnisch runzelte Teleri die Stirn, blähte ihre Nasenflügel. Dieser Duft, er war ihr wohl vertraut. Seit Jahren kannte sie ihn, hatte sich zeitweiße sogar nach ihm verzehrt. Alle Farbe wich aus Teleris Gesicht, aschfahl wurde ihre Haut. "Das kann nicht sein", wisperte sie, sah sich hektisch nach allen Seiten um. "Ich werde verrückt, das Fieber hat mir meinen Verstand geraubt." "Teleri..." Wie aus einem Traum heraus sprach die so vertraute Stimme zu ihr. Fassungslos saß Teleri da, war nicht im Stande auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen. "Verrückt", stammelte sie. "Ich bin verrückt, oder das Fieber spielt mir einen bösen Streich." "Fürchte dich nicht, weder dein Verstand noch das Fieber spielt dir Streiche." Zögernd schloss Teleri ihre Augen, suchte tief in ihrem innern. Sie lächelte, als sich vor ihren Augen das Gesicht zu dieser Stimme aufbaute. Es waren Bilder aus glücklichen Tagen, sie hatten nichts mit den Schatten und dem Schmerz der jüngsten Erinnerungen zu tun. "Ryan?" fragte sie in ihren Gedanken und flüssiger Schmerz trat in ihre Augen. "Aber wie ist das möglich? Ich muss träumen, oder den Verstand verloren haben." "Verzeih, ich wollte dich nicht erschrecken", raunte die Stimme schuldbewusst, und Teleris zuckte kaum merklich zusammen. "Soll ich wieder gehen?" "Gehen?" fragte Teleri zynisch und hob ihre Augenbrauen. "Wie willst du gehen, wenn nicht einmal hier bist? Was rede ich eigentlich?" Ein leises Lachen hallte in ihren Ohren wider, sie lächelte ebenfalls, zum ersten Mal seit langer Zeit. "Du redest ganz normal. Wie jemand, der diese Erfahrung zum ersten Mal macht." "Bist du wirklich hier?" fragte Teleri und setzte sich ein wenig in ihrem Bett auf. "Nun, wie man es nimmt. Ich bin bei dir und doch nicht wirklich. Ich weiß, es ist schwer zu verstehen, aber auf gewisse Art und Weise bin ich es." Verwirrt schüttelte Teleri ihren Haarschopf, starrte in die Dunkelheit und versuchte sich Ryans Gesicht vorzustellen. Dieses wunderschöne doch stets verschlossene Gesicht. Nie war es ihr gelungen in sie hinein zu sehen, niemals. Traurig ließ Teleri diese Bilder an sich vorbei ziehen. Je bekannter sie wurden, um so mehr schmerzten sie. Wie eine Wunde brannten Erinnerungen in ihrem Kopf, brachen aus ihr hervor. "Bist du bei ihr?" wisperte sie fragend. "Ja..." raunte die Stimme zögerlich und schuldbewusst. Fest presste Teleri ihre Lippen aufeinander, sie hatte die Antwort bereits gewusst, doch die Erkenntnis quälte sie noch immer. Die Erkenntnis, dass jemand anderes etwas vermochte, zu dem sie nie imstande gewesen war. Dieses Wesen, das sich nie anderen vollends geöffnet hatte zu lieben und glücklich zu machen. "Teleri, vergib mir. Ich wollte nie, dass dir all diese schrecklichen Dinge widerfahren. Ich wollte dich nie verletzen." "Oh Ryan, ich habe dir schon vergeben, schon vor so langer Zeit. Du bist glücklich, hast das gefunden, was ich dir nie geben konnte", abrupt brach Teleri ab, versuchte das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Gequält lächelte sie und fügte hinzu: "Du bist jetzt zu hause, Ryan. Und ich bin es auch." "Alles was ich möchte ist, dass du dein Glück findest, Teleri. Nichts wünsche ich mir sehnlicher." Kurz blickte Teleri die schlafende Bara an, schloss ihre Augen, fühlte die Wärme dieses Zimmers. "Ich habe in gewisser Weise auch meinen Platz gefunden. Ich werde geliebt, Ryan. Sorge dich nicht um mich, ich habe immer einen Weg gefunden, dass weißt du." "Ja, dass hast du immer. Dafür liebte ich dich so sehr, du hast selbst in dunklen Stunden einen Weg gefunden, aber ich werde jetzt wieder gehen müssen. Solch eine Verbindung ist sehr anstrengend für mich." "Werden wir uns irgendwann wieder sehen?" "Ja, dass werden wir. Ich verspreche es..." Ein zarter Hauch traf Teleris Stirn, beinahe glaubte sie, einen Abschiedskuss auf ihrer Haut zu spüren. Eine Art von Kuss, welchen sie nur zu gut kannte. "Auf bald, Ryan", wisperte sie und blinzelte eine Träne fort. "Auf bald ..." Stille, plötzlich war sie Teleri unerträglich. Niedergeschlagen ließ sie sich in die Kissen sinken. Ihre Gedanken rasten immer noch eines Sturmes gleich durch ihren Kopf. Schwer atmete sie durch, versuchte sich zu beruhigen. Nie wäre es ihr in den Sinn gekommen, Ryan auf solch eine Art und Weise wieder zu sehen. "Am Ende fügt sich doch alles so, wie es gedacht war", sie lächelte stumpf bei diesem Gedanken. Ein knarren schreckte sie auf, Bara schlug langsam die Augen auf, starrte sie verstört an. "Teleri, du bist wach. Bei den Göttern, bin ich etwas eingeschlafen?" "Ja, das bist du", Teleri bedachte die alte Frau mit einem liebevollen Blick und umfing deren Hände mit den ihren. "Habe ich dir jemals gesagt, wie dankbar ich dir bin? Ohne dich wüsste ich nicht, was aus mir geworden wäre." "Teleri", die alte Frau erwiderte den Druck der jungen Hände und lächelte. "Du bist für mich wie eine Tochter, und um meine Kinder habe ich mich immer sehr gut gekümmert." Argwöhnisch runzelte Bara plötzlich die Stirn, schien in Teleris Gesicht zu forschen. "Was ist mit dir? Du siehst irgendwie glücklich aus, und zufrieden." Schweigend sah Teleri Bara an, lächelte schief. "Ich habe meinen Frieden gemacht, Bara. Einfach nur meinen Frieden", sanft zog sie die ältere in ihre Arme und genoss die mütterliche Wärme des Körpers. "Am Ende fügt sich alles so wie es gedacht war meine Freundin. Einfach alles." Schwer atmend saß die zusammen gesunkene Gestalt da, sanft beschien das Licht des Feuers ihr Gesicht, die Kälte vertrieb es jedoch nicht aus ihren starren Gliedern. Langsam kehrte ihr Geist zurück in den Körper, er war lange fort geblieben. Länger als sie es geplant hatte. Kraftlos hob Ryan ihren Kopf, leer waren ihre Augen, noch war sie nicht ganz Herr ihrer Sinne. Keuchend sah sie Loba an, die schwarze Wölfin stieß sie besorgt mit ihrer Schnauze an, winselte leise. "Schon gut, altes Mädchen", wisperte Ryan. "Es geht gleich wieder, nur einen Moment." Zaghaft hob Ryan eine Hand, berührte das Fell ihrer Freundin und streichelte ihr sanft die Seite. "Sie hat mir vergeben, Loba", sagte sie und lächelte. "Teleri hat mir vergeben." Ein heftiges Zittern ließ den geschwächten Körper erbeben, es war die gerechte Strafe, dass sie zu lange verweilt hatte. Jedoch waren Ryan die Schmerzen, welche sie nun erdulden musste gleich. Die Gewissheit, dass es Teleri gut ging, sie ihr vergeben hatte, machte alles erträglicher. Schuld, noch immer spürte sie Ryan auf ihren Schultern, nie würde sie gänzlich verschwinden, genauso wenig wie die Narben auf Terlis Haut von der Folter ihrer Peiniger. Sie hatte Vergebung gesucht und sie bei dem Menschen gefunden, von dem sie es am wenigsten erwarten konnte. "So viel habe ich ihr angetan, Loba. Sie hat soviel schreckliches wegen mir durchstehen müssen. Habe ich Vergebung überhaupt verdient?" Schweigend blickte das Tier das große Mädchen an, sie legte ihren Kopf schief. Sie kannte das Wort Vergebung nicht, doch tief in ihrem Herzen wusste Loba, dass dieser Mensch sie nie finden würde. Je zuckten die Ohren der Wölfin, sie knurrte leise, stellte sich beschützend vor ihre Herrin. Ein kalter Hauch streifte Ryans Wange, sie lächelte müde. "Tretet ruhig ein, ich weiß dass ihr da seid." Die Tür öffnete sich knarrend, schwere Schritte kamen näher und das Knurren Lobas wurde bedrohlicher. "Lass gut sein, altes Mädchen", tief atmete Ryan die Luft ein, erhob sich mühsam und blickte Arlon lange schweigend an. "Wie lange beobachtet ihr mich schon?" fragte sie, doch in ihrer Stimme war weder Ärger noch Missbilligung, sie sprach völlig ruhig. "Eine Weile", bekannte Ayeshas Vater. Langsam ging er auf und ab, Ryan ließ ihn nicht aus den Augen, bemüht sich krampfhaft auf den Beinen zu halten. Ihr Körper war noch geschwächt und sie hätte die Einsamkeit und Ruhe nun gebraucht. "Ich wusste gar nicht, dass ihr eine Zauberin seid. Das erklärt einiges, wirft neue Fragen aber genauso schnell wieder auf." "Ich bin keine Zauberin, Herr", erklärte Ryan ruhig. "Was seid ihr dann, ich kenne nun einmal nicht sehr viele Menschen, die solche Dinge praktizieren. Gewöhnlich tun so etwas nur Magier." Ein leises Seufzen entstieg Ryans Kehle, sie erinnerte sie an ihre erste Unterhaltung mit Markos. Hatte nicht auch sie zuerst gedacht, dass alles wäre Zauberei? Sie verstand selbst noch nicht, was diese Gabe war. Wie sollte sie es dann erklären, besonders jemanden, der sie schon immer mit Misstrauen beäugt hatte. "Was ich bin, kann ich euch nicht erklären. Ich weiß es selbst nicht sehr genau", bekannte sie aufrichtig. Schweigend quittierte Arlon diese Antwort, seine Augen wurden kalt. Die Gesichtszüge versteinerten mit jedem Augenblick mehr. "Ich weiß wer ihr seid", sagte er plötzlich. Ryan wich alle Farbe aus dem Gesicht, sie schwankte und blickte den alten Mann verwirrt an. "Verzeiht, aber ich verstehe euch nicht." "Ihr versteht mich sehr genau", donnerte Arlon und ging einige Schritte auf sie zu. In seinen Augen funkelte es gefährlich. "Ich kenne euer Gesicht, schon lange ist auf euren Kopf eine hohe Belohnung ausgesetzt. Habt ihr wirklich geglaubt, es würde noch einen Winkel in diesem Land geben in dem man euch nicht kennt?" Niedergeschlagen schloss Ryan ihre Augen. Ja, sie hatte daran geglaubt, dass es einen Platz auf dieser Welt geben konnte, an welchen ihre Vergangenheit nicht reichte. "Niemals werde ich frieden finden", dachte sie und schluckte hart. "Niemals..." "Ihr seid wirklich eine Närrin", seufzend wich Arlon einige Schritte zurück. Das Feuer in seinen Augen verschwand und an seine Stelle trat Sorge. "Ihr bring Ayesha nur in Gefahr. Die Wölfe werden euch auch hier finden, und wenn sie das tun werden sie niemanden verschonen. Wollt ihr, dass Ayesha etwas geschieht?" "Ayesha ist mir mehr wert als mein eigenes Leben. Ich würde für sie sterben." "Meint ihr, ich würde jedoch zu lassen, dass meine Tochter euch in den Tod folgt? Ayesha liebt euch, ich weiß das sehr wohl. Bedenkt aber euer Handeln, ihr seid eine Gefahr, für euch selbst und andere." Starr stand Ryan da, sie war nicht mehr fähig auch nur ein Wort zu sprechen. Tief brannten diese Worte in ihrem Fleisch. "Eine Gefahr, mein Leben lang bin ich nur eine Gefahr für die gewesen, die ich geliebt habe. Teleri...Wido, in den Abgrund habe ich sie gestoßen. Schuld, ich bin schuld..." Eilige Schritte drangen in ihr Bewusstsein, die Tür würde aufgestoßen. Argwöhnisch betrachtete Ayesha ihren Vater, sah Ryan wie ein Schatten ihrer selbst im Raum stehen. "Vater, einige unserer Späher sind zurück, sie bringen dringende Nachrichten. Reiter näheren sich unserem Dorf. Was ist hier los?" Arlon lächelte und wandte sich an seine Tochter: "Ich habe mich nur etwas mit Ryan unterhalten. Ich werde gehen und mit ihnen sprechen." Flüchtig berührte Arlon Ryan an der Schulter und raunte ihr zu: "Geht, bevor alles zu spät ist...Geht." Mit sanfter Gewalt schob sich Arlon an seiner Tochter vorbei und schloss die Tür hinter sich. "Ryan", sanft war die Stimme. Durchbrach die Starre, in welcher Ryan noch immer gefangen war. Verstört hob sie ihren Kopf, blickte in die wunderschönen Augen Ayeshas. Schmerzlich verzog sie ihr Gesicht. "Ryan, was ist mir dir?" besorgt umfing Ayesha den kalten Körper, drückte ihn fest an den ihren. "Was hat er dir gesagt?" "Nur die Wahrheit", flüsterte Ryan und spürte wie sich ihre Kehle zuschnürte. Dieses wundervolle Wesen hielt sie in ihren Armen, gab ihr all ihre Liebe und wusste nicht einmal, wie nahe die Gefahr doch war. Jede Nacht schlief sie neben ihr ein, wachte mit ihr auf, liebte sie... "Ayesha, du darfst mich nicht lieben. Du darfst es nicht, ich werde dich zerstören, wie ich alles Gute um mich herum bereits zerstört habe...Du darfst mich nicht lieben..." Kraftlos sank Ryan zu Boden, bedeckte vor Scham ihr Gesicht. Zischend presste sich ihr Atem durch den geschlossenen Mund. Tränen traten in ihre Augen, Schmerz befiel jede Faser in ihrem Körper. Schluchzend kniete sie vor ihrer Liebe und glaubte zu hören, wie das kostbarste in ihrem Leben in tausende von Stücken zerbarst. Zärtlich umfingen Finger die ihren, lösten das Versteck auf. Sanfte Lippen pressten sich auf ihre. Verzweifelt erwiderte Ryan den Druck und fühlte sich im nächsten Moment liebevoll gehalten. "Bei allen Göttern, was redest du da nur", schluchzte Ayesha und streichelte Ryans Haar. "Wie kannst du nur so etwas von mir verlangen? Wir allein wählen unseren Weg, mir ist gleich in welche Richtung er mich führen wird. Ryan, ich will und kann nicht mehr zurück. Ein Leben ohne dich ist gleichbedeutend mit dem Tod. Ich liebe dich..." Sacht wiegte Ayesha das zitternde Geschöpf in ihren Armen, lauschte wie sich der stockende Atem Ryans langsam wieder beruhigte. Wut loderte in ihrem Geist, und für einen kurzen Moment wich alle Sanftheit aus ihrem Gesicht. "Was hast du nur getan, Vater?" fragte sie sich selbst. "Was hast du nur getan?" Fester umfing Ayesha Ryans Körper küsste ihre Stirn und flüsterte leise: "Ryan, es ist gleich was dir mein Vater gesagt hat. Ich lasse dich nicht alleine, ich hoffe nur, du wirst es nicht tun." "Ich, ich möchte dich nicht verlassen", stammelte Ryan und schmiegte sich in Ayeshas Arme wie ein kleines, ängstliches Kind. "Ich kann den Gedanken nur nicht ertragen, dass ich dich eines Tages ebenfalls um Vergebung anflehen muss. Ich möchte nur, dass du glücklich und in Sicherheit bist." "Du bist keine Gefahr, nicht für mich. Wann wirst du das nur endlich verstehen, Ryan?" "Es ist schwer zu verstehen, wenn man es sein ganzes Leben lang gewesen ist", bekannte Ryan und blickte Ayesha an. Sanft berührte sie Ayeshas Wange und küsste sie. "Ich werde dich beschützen, Ayesha", erklärte sie und etwas von ihrer alten Stärke fand ihren Weg zurück in ihre Augen. "Ich werde bei dir bleiben, egal was auch geschehen mag." Schweigend nickte Ayesha, hielt Ryan weiterhin fest in ihren Armen. In diesem Augenblick war es nicht sie die Schutz brauchte, sondern Ryan. "Was sind das für Reiter?" fragte Ryan je und blickte zu Ayesha hinauf. "Ich weiß es nicht", gestand Ayesha und seufzte leise. "Unsere Späher sagten mir, sie würden unter einem Banner reiten von dem keine Gefahr droht. Lange werden sie nicht mehr brauchen um unser Dorf zu erreichen, bald wissen wir mehr. Sorge dich jetzt darum, es wird alles wieder gut." Ryan nickte und überließ sich ganz der Wärme Ayeshas. Ihr geschundener Körper fand Ruhe und Erlösung, ihr Geist blieb in Zweifel uns Sorge gefangen. Irgendetwas war nicht in Ordnung, sie spürte es mit all ihren Sinnen. "Markos", dachte sie und schloss gequält ihre Augen. "Bist du das? Du bringst schlechte Nachrichten mit dir. Ich fühle es, du würdest nicht hier her kommen, wenn dich nicht etwas antreiben würde." Sorgsam verschloss Ryan ihren Geist, spürte, wie die Wärme sich langsam in Kälte verwandelte. In ihren Augen begann es zu glitzern und salziges Wasser berührte ihre Lippen, als sich das Gefühl in Erkenntnis wandelte. "Warum kommst du hier her?" fragte sie und klammerte sich noch stärker an Ayesha fest. "Du wirst mich nicht von ihr fortnehmen." Kraftlos vernahm sie die Stimme Ayeshas, wie sie ihr immer wieder zuflüsterte, dass sie in Sicherheit war, das alles wieder gut werden würde. Bitter lächelte Ryan bei diesen Worten, nichts würde gut werden. Nichts... Nachwort: Tja, tja. Ich weiß gar nicht mehr, wie lange es her ist, dass ich ein neues Kapitel hochgeladen habe. Ewig kommt es mir vor, aber ich hatte irgendwie nicht die Zeit zum weiter schreiben. Erstens auf Grund von Stress in der Uni und im privaten Umfeld, und weil ich im Moment am Konzept für die Vorgeschichte von "Der Trauerweide" sitze. Da habe ich meine Geschichte etwas vernachlässigt...Sollte das hier jemand gelesen haben, so bedanke ich mich an dieser Stelle dafür. Zwei Kapitel kommen noch und dieses Mal gewiss schneller als dieses hier. Ich widme dieses Kapitel Biggi, die unermüdlich gefragt hat wann das neue Kapitel kommt (an dieser Stelle: Entschuldigung, dass ich nicht geantwortet hab). Igel, weil sie bis jetzt alles gelesen und mir immer mit Verbesserungen weitergeholfen hat. Michelle-chan, einfach dafür, dass sie bei Animexx mir wichtig ist (ich melde mich) und meinem Freund, der mich hat endlich weiter schreiben lassen. ©2005 by seen/Lena Petri Kapitel 28: Verloschene Träume ------------------------------ Verloschene Träume Jung war der Morgen, graue Nebelschwaden zogen über die eisige Oberfläche des Sees. Leise ächzten die Äste der Trauerweiden auf, bogen sich sacht im Wind wie zu einer leisen Melodie. Für einen kurzen Moment sah Ayesha zu Ryan hinüber. Unbewegt wie diese Weiden stand sie da, hinter den Kriegern, etwas im Abseits in dem sie wohl immer stehen würde. Loba hatte sich zu ihren Füßen niedergelassen und Ryan kraulte die schwarze Wölfin angespannt hinter den struppigen Ohren. Sie hatte darauf bestanden dabei zu sein, wenn die Fremden das Dorf erreichen würden. Selbst Arlon hatte ihrer Beharrlichkeit nachgeben müssen, so sehr hatte sie darauf bestanden. Leise seufzte Ayesha, als sie Ryan verloren dort stehen sah. Seit jener Nacht hatte Ryan nur wenig gesprochen, es war eine Stille die Ayesha in einem Maßen ängstigte, dass sie glaubte, ihr Herz müsse aufhören zuschlagen. "Stumm bist du wieder geworden", dachte sie bitter und die Erinnerungen an die dunkle Gestalt, als welche Ryan ihr zu Beginn erschienen war, stiegen in ihrem Geist auf. Ihr war, als würde Ryan ihr durch die Finger gleiten, wie Luft, die man versucht festzuhalten. Sie war im begriff zu fallen und Ayesha konnte sie nicht festhalten. Sie war einfach zu schwach um diese dunklen Schatten zu vertreiben, sie war nie stark genug dazu gewesen. Diese Erkenntnis marterte Ayeshas Herz, sie war nicht in der Lage den Menschen den sie liebte vor sich selbst zu retten. Gedanken verloren starrte sie in die Nebel, sanft schwangen sie im Wind und leuchteten im fahlen Licht auf. Plötzlich schien sich etwas in ihnen zu bewegen, Konturen wurden sichtbar, dunkle Umrisse in einer unwirklichen Szenerie. Ayesha vernahm das knirschende Geräusch, als ein Krieger langsam sein Schwert aus der Scheide zog und sie zuckte zusammen. Ihr Vater hob die Hand, gebot dem Krieger Einhalt und trat einen Schritt vor. Die Gestalten wurden nun klarer, drei Männer kamen auf sie zu. Ayesha sah, wie der mittlere seine Hand hob, als wolle er jemanden grüßen. "Seid gegrüßt Arlon, Sohn des Tellos", sagte der mittlere und neigte leicht seinen Kopf zum Gruß und seine Gefährten taten es ihm gleich. Sacht nickte Arlon ihnen zu und erhob seine Stimme: "Seid gegrüßt, Herr. Wer seid ihr und was führt euch mit euren Gefährten hier her?" Ein warmes Lächeln umspielte den Mund des Mannes, er strich sich einige seiner braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht und lächelte. "Mein Name ist Markos und dies sind Ragan und Bal. Mich führen wichtige Angelegenheiten in euer Dorf, aber ich bitte euch erst euren Kriegern zu befehlen die Waffen fort zu nehmen, wir führen nichts böses im Schilde." Arlon furchte seine Stirn, dieser Mann war ihm unheimlich, dennoch gebot er seinen Kriegern ihre Waffen zu senken. "Und wer garantiert mir, dass ihr uns nicht doch aus dem Hinterhalt niedermachen wollt? Immerhin seid ihr mir unbekannt." Das Lächeln auf Markos Lippen erstarb, seine Miene verfinsterte sich, er verschränkte die Arme vor seiner Brust und sah in die Runde. "Ich bin ein Mann, der sein Wort hält. Ein Krieger und kein Meuchelmörder, Herr. Außerdem würde ich gewiss nicht das Dorf angreifen in dem sich meine Nichte befindet." Bei diesen Worten glitt alle Farbe aus Ayeshas Gesicht, dieser Mann. Ihr war schon seine ungewöhnliche Augenfarbe aufgefallen, doch es war nicht nur das, was sie an Ryan erinnerte. Seine ganze Haltung und Art entsprach der ihren. "Sie kommen wegen mir", in ihrem Geist hallte Ryans wimmernde Stimme wider. Dieser Mann war ihr Onkel, ihre Familie. "Eure Nichte?" fragte Arlon und blickte Ayesha fragend an. Der Blick Markos folgte dem Arlons und blieb auf Ayesha haften. Unruhe befiel ihre Glieder während der Fremde sie lange musterte. Markos begann erneut zu lächeln, während er dieses Mädchen ansah. "Nun verstehe ich dich endlich, Ryan", dachte er. "Sie ist wunderschön". Sacht streckte er seine Hand aus und ergriff die Ayeshas. "Es freut mich euch endlich kennen zulernen, ich habe schon sehr viel von euch gehört." Sprachlos nickte Ayesha, sie suchte in ihrem Kopf nach den passenden Worten, doch sie fand sie nicht. Markos nickte ihr stattdessen zu und ließ ihre Hand los. Suchend glitt sein Blick durch die Reihen, bis er fand wonach er gesucht hatte. Langsam glitt Ryan durch die Reihen der Männer und Markos Blick wurde weich. Sanft zog er seine Nichte in seine Arme und drückte sie fest an sich. "Es tut gut dich zusehen, Ryan", flüsterte er ihr zu. "Es freut mich auch dich wieder zusehen, Markos", sagte Ryan, doch ihre Stimme klang erstickt. Sie löste sich aus der Umarmung ihres Onkels, reichte Ragan die Hand und nickte Bal leicht zu. Aus sicherer Entfernung hatte sie alles beobachtet, sie wusste, dass sie sich nicht vor Markos verstecken konnte, es war sinnlos sich zu verstecken. Sanft suchte ihre Hand nach der Ayeshas und hielt sich letztendlich sacht in der ihren. Markos beobachtet diese Geste und senkte sein Haupt. Schuld lag bereits jetzt auf seinen Schultern, schwer war sie, doch er musste sie bis ans Ende tragen. "Mein Herr", ergriff nun wieder Arlon das Wort und fixierte Markos mit seinen Augen. "Dürfte ich euch fragen, was ihr mit mir zu besprechen habt?" "Natürlich dürft ihr, Arlon", antwortet Markos. "Aber wenn es möglich ist, möchte ich zu erst mir meiner Nichte alleine sprechen, es gibt sehr viel, was ich ihr mitteilen möchte." Ryan nickte leicht, zog Ayesha etwas weiter fort und schloss sie kurz in ihre Arme. "Ich werde mit ihm gehen, Ayesha." "Ryan", wisperte Ayesha und klammerte sich fest an sie. Irgendetwas ängstigte sie, doch Ayesha konnte nicht deuten, was es genau war. Einfach nur ein Gefühl oder bereits eine Tatsache? Sie wusste es nicht. "Sorge dich nicht", erwiderte Ryan und küsste Ayeshas Haar. "Ich komme bald wieder, was ich ihm zu sagen habe wird nicht lange Zeit in Anspruch nehmen." Aufmunternd lächelte sie Ayesha zu und diese gab ihr das Lächeln zurück. Es war ein ehrliches Lächeln und Ryan hatte es lange nicht mehr Ayeshas Lippen schmücken gesehen. Sie wusste, dass sie der Grund für Ayeshas Sorgen war. Doch sie hatte diese Zeit und Stille gebraucht um Klarheit zu gewinnen. So viele Vorahnungen hatten sie gefangen gehalten, dunkle und grausamen Träume ihr den Schlaf geraubt, doch sie wusste nun, was sie zutun hatte. "Ich bin bald zurück", versicherte sie erneut und löste sich aus der Umarmung. Tief atmete Ryan durch und trat zwischen Ragan und Markos. Sacht nickte Markos ihr zu und wandte sich dann an Arlon. "Ich werde mit euch morgen sprechen. So fern es euch möglich ist." "Jederzeit", antworte Arlon und neigte leicht den Kopf. Stumm erwiderte Markos den Gruß. Bestimmt legte er Ryan eine Hand auf die Schulter und zog sie mit sich, die Nebel schlossen sich um sie, bis die vier Gestalten völlig in den dunklen Schwaden verschwunden waren. Aus trüben Augen betrachtete Gerin seinen Bruder. Stumm lauschte er dessen Worten, befehlend sprach er, als wüsste Katlar genau was zu tun war. Generäle und Soldaten scharrten sich um die schwarze Gestalt, saugten jedes seiner Worte begierig auf, sie schienen ihnen Zuversicht und Kraft zu geben. Katlar strahlte, trotz seiner schwärze etwas aus, dass die Männer ihm vertrauten und gehorchten. "Ganz der Krieger, welcher er immer war", dachte Gerin und löste sich aus der Erstarrung. Immer noch nicht wusste er warum er Katlars Angebot angenommen hatte. Vielleicht aus Hoffnung, vielleicht aus Verzweifelung. Er fand keine Erklärung. Nie war es Gerin in den Sinn gekommen, dass er eines Tages die Hilfe seines Bruders brauchen würde. Von jeher hatten sie niemals etwas gemeinsam durchgeführt, waren immer in Abstand zueinander geblieben. Brüderliche Nähe, wie sie doch bei den meisten der Fall war, hatten sie nie besessen. In respektvollem Abstand blickte Gerin auf die große Karte des Landes, sah zu, wie sein Bruder Strategien festlegte. Das Hehr in Divisionen unterteilte. Zum Schluss seiner Ansprache hatte jeder seinen festen Platz, und wusste was zu tun war. Gerin lächelte in sich hinein, gemeinsam hatten sie in der letzten Nacht die einzelnen Strategien besprochen und optimiert. "Ich hätte nicht gedacht, dass du doch zu etwas nütze bist, Gerin", hatte Katlar gesprochen. Doch in seiner Stimme hatte sich etwas verändert. Sie war nicht wie sonst angefüllt mit Missachtung und Hohn. Dieses Mal waren seine Worte ehrlich und anerkennend gewesen. Gerin erinnerte sich, dass sein Bruder sogar gelächelt hatte. Ja, Katlar hatte gelächelt und Gerin fragte sich insgeheim, was aus seinem Bruder hätte werden können, wenn das Schicksal ihm nicht all diese grauenvollen Dinge angetan hätte. Ihm war wohl bewusst, dass Katlar kein Unschuldiger war. Ein Krieger von Geburt her zu sein entschuldigte nichts, jedoch hatte Katlar nie etwas entschuldigt noch es von jemandem erwartet ihm zu verzeihen. All diese Dinge gingen Gerin durch den Kopf und letztendlich fand er heraus, dass er seinen Bruder nie gekannt hatte. Er war ein Fremder für ihn, wie jemand, dem man zum ersten Mal in seinem Leben begegnet und ihn genauso schnell auch wieder vergaß. Doch da war noch etwas anderes tief in ihm, es nagte unaufhörlich an seinen Nerven und ängstigte ihn. "Nur durch mich bist überhaupt noch am Leben..." Kristallklar hallte die Stimme Katlars in Gerins Geist wider. Er brachte einfach nicht den Mut auf, seinen Bruder nach Antworten zu fragen. Antworten, wollte er sie überhaupt wissen, oder waren sie zu schrecklich? Ein leichter Druck auf seiner Schulter riss Gerin aus seiner Gedankewelt zurück in die Realität. Verwirrt blickte er in die eisblauen Augen Katlars und zuckte kurz zusammen. Die plötzliche Vertrautheit in ihnen erschreckte ihn. "Was hast du, Gerin?" fragte Katlar und ließ sich müde in einen der Sessel am Feuer sinken. "Die Sitzung ist vorbei, nur für den Fall, dass dir das entgangen sein sollte." "Ja, dass ist es mir in der Tat", bekannte Gerin und setzte sich seinem Bruder gegenüber. Das sanfte Licht des Feuers beschien Katlars Gesicht, ließ die geschundene Haut jünger wirken. Beinahe so, als hätte weder Zeit noch Stahl sie je berührt. Erst jetzt bemerkte Gerin, wie sehr Katlar in diesem Moment ihrer Mutter ähnlich sah. Langsam faltete Gerin seine zitternden Hände, jede Faser in seinem Körper war zum zerreißen gespannt. Katlar betrachtete Gerin stumm, ihm war nicht entgangen, dass etwas mit seinem Bruder nicht stimmte. Irgendetwas beschäftigte den jüngeren und Katlar wusste, zu seinem eigenen Verdruss, sehr genau was es ihm auf dem Herzen lag. Auch für ihn war diese Situation völlig neu. All die vielen Jahren hatte er zwar einen Bruder gehabt, doch nie hatte es da etwas zwischen ihnen gegeben, das über die Bezeichnung hinausgegangen wäre. Und nun? Plötzlich hatte er wieder einen Bruder und zum ersten Mal seit langer Zeit wollte Katlar ihn beschützen. Genauso, wie er es vor so vielen, vielen Jahren schon einmal getan hatte. Welch hohen Preis er gezahlt hatte, wusste nur er selbst. Kaum, das dieser Gedanke durch seinen Geist gerauscht war, verzog sich Katlars Gesicht vor Bitterkeit. Erschöpft sank er gegen die Lehne des Sessels, genoss die Ruhe vor dem Sturm. Oh ja, einen gigantischen Sturm würde er entfesseln, schrecklicher und dunkler als alles was je geschehen war. Ängstlich verschloss er seinen Geist vor den forschenden Blicken seines Bruders, mit jedem Augenblick mehr wurde er unruhig, versuchte sich zu verstecken, doch er wusste, die Zeit des Versteckens war worüber. "Katlar", undeutlich vernahm Katlar die Stimme seines Bruders. Tief drang sie in seine Gedankenwelt ein. "Was willst du?" fragte Katlar unwirsch und sah wie Gerin zusammen zuckte, als wäre er ein junger Hund, den man geschlagen hatte. "Ich muss wissen, was du in jener Nacht gemeint hast", erklärte der jüngere bestimmt und hielt dem kalten Blick seines Bruders stand. "Was hast du getan, ohne dass ich nicht mehr am Leben wäre." Seufzend beugte sich Katlar vor, blickte Gerin lange schweigend an. Er erkannte in dem Gesicht seines Bruders den Durst nach Wahrheit. Doch dieser Junge wusste nicht, nach welchem Trank er dürstete, er hatte keine Ahnung wie schrecklich die Wahrheit sein konnte. Er wusste nicht wie schrecklich und boshaft die Vergangenheit sein würde. "Du willst die Wahrheit nicht wissen, Gerin", raunte Katlar und schlug seinen Blick nieder. "Es wäre besser für dich, wenn es so bleibt wie es jetzt ist." "Woher willst du wissen, was besser für mich ist", schrie Gerin und in seinen Augen blitzte es gefährlich auf. Zorn rötete seine Wangen und seine Finger verkrampften sich zu Fäusten. "Mein ganzes Leben lang bin ich nur belogen worden. Von Nerom, dir und allen anderen auch. Ich habe ein Recht darauf endlich einmal die Wahrheit zu hören. Hörst du Katlar, ich habe in Recht auf die Wahrheit." "Es ist nicht die Frage des Rechts, Gerin", erwiderte Katlar und blickte Gerin aus gequälten Augen an. "Es ist eine Frage der Stärke und ich glaube nicht, dass du stark genug für sie bist." Sprachlos starrte Gerin seinen Bruder an, er sah plötzlich etwas in Katlars Augen, was er nie für möglich gehalten hatte. In den Augen Katlars lag Sorge, Sorge um ihn. Sorge darum, ob er verkraften könnte, was er ihm vielleicht erzählen würde. Vorsichtig streckte Gerin seine Hand aus und legte sie auf die seines Bruders. Zu seiner eigenen Überraschung schlug Katlar diese Hand nicht fort, er ließ es einfach geschehen. "Katlar, bitte. Erzähl mir, was das alles zu bedeuten hat. Erzähl es mir, damit ich endlich verstehen kann." Schweigend sah Katlar seinen Bruder an, er seufzte leise und spürte, wie alte Schuld sich von neuem auf seine Schultern legte. Eine Schuld die nicht die seine war. Tief atmete er durch, nickte leicht Gerin zu. "Wie du willst, Gerin. Ich werde es dir erzählen, alles werde ich dir erzählen, aber sage niemals ich hätte dich nicht gewarnt..." "Es tut gut dich zusehen, Ryan." Markos lächelte seine Nichte an. Ehrlichkeit lag in seinen Worten und ließen in gleichem Maß sein Herz schwer werden. Ihm war nicht entgangen, mit welchem Blick Ryan das Mädchen angesehen hatte. Tief atmete er die kalte Luft in seine Lunge, bis er ein schmerzendes Stechen wahrnahm. Seine Hände begannen zu zittern, er verbarg sie vor Ryans Augen tief in seinen Taschen. Jetzt war nicht die Zeit für Schwäche. Für einen kurzen Moment furchte Ryan ihre Stirn, sie spürte Empfindungen, und sie wusste, das Markos innerlich fast zerriss. Hin und her wurde er gezogen, wie ein Blatt im Wind ohne jeglichen halt tanzte er im Sturm seiner eigenen Gefühle. Fest hüllte sich Ryan in ihren Umhang, doch die bittere Kälte hielt sie immer noch in ihren Klauen. Schwer würde dieses Gespräch werden, vielleicht schwerer als alles, was sie bis her erduldet hatte. "Was führt dich hier her, Markos?" Ryan hatte versucht ihre Stimme selbstsicher und stark klingen zu lassen, doch alles was sie zustande brachte war kaum mehr als ein Hauchen. Das Lächeln um Markos Lippen wurde eisig, so eisig wie der Wind, welcher durch die knorrigen Äste der Weiden fuhr. "Dunkle Zeiten treiben mich hier her, Ryan. Womöglich werden sie noch dunkler und schrecklicher werden, als alles was dieses Land bereits erduldet hat." In seinem Geiste erblickte Markos erneut die schrecklich Bilder, roch das Blut und hörte die Schreie der sterbenden. "Ryan, es wird Krieg geben. Ich weiß sehr genau, dass du es schon länger ahnst. All diese schrecklich Träume und Gefühle gründen sich nur in dieser Tatsache. Im Frühling wird es nicht Tau sein, welcher die Wiesen benetzt sondern Blut." "Ja, du hast Recht", bekannte Ryan, blickte Markos jedoch nicht an sondern ließ ihren Blick über die Hügel schweifen. "Ich weiß es schon lange, und dennoch verstehe ich nicht warum du gekommen bist." "Oh doch, du weißt es. Du weißt es sehr wohl, Ryan. Ich brauche deine Hilfe, ohne dich kann ich das nicht schaffen. Nur aus diesem Grund störe ich deinen Frieden und bin den weiten Weg hier her gekommen." Schweigend stand Ryan da, ihr Atem bildete hektische Wolken. Sie hatte geahnt, warum Markos hier war, aber die Gewissheit zu besitzen, dass er wirklich nur aus diesem Grund zu ihr gekommen war, verwandelte sich von Trauer in Zorn. Kaum merklich schüttelte sie ihren Kopf, schloss gequält ihre Augen. "Dann bist du den weiten Weg umsonst gekommen, Onkel", rau und erstickt klang ihr ihre Stimme in den Ohren, sie vernahm, wie Markos scharf die Luft einsog und wagte sich nicht umzudrehen. Seinen Zorn verspürte sie bereits, sie wollte nicht auch noch die Enttäuschung in seinen Augen sehen. "Es ist deinen Pflicht", entgegnete Markos und seine Stimme verlor alle Freundlichkeit. "Ich bin nicht als dein Freund hier, Ryan. Sondern als Oberhaupt deiner Familie und als solcher musst du mir gehorchen." Wütend wandte sich Ryan Markos zu, blickte ihm direkt in die Augen. Sie erschrak, als sie sah was sich in ihnen offenbarte. Sie blickte nicht mehr in die Augen des Mannes, welcher der Schlüssel zu allem war was sie je gesucht hatte. Er hatte sich verändert, die Liebe und Sorge in seinen Augen war verschwunden. "Meine Pflicht?" wiederholte sie entsetzt, als wolle sie Markos vor Augen führen, wie grotesk alles war was er bis jetzt gesprochen hatte. "Ich stehe in keiner Pflicht und noch weniger habe ich dir zu gehorchen. Markos, höre dich doch sprechen. Das kann nicht dein ernst sein." "Es ist mein ernst, du bist die Tochter meiner Schwester. Nach mir bist du die einzige welche meinen Platz einnehmen kann, wenn mir etwas zu stoßen sollte. Du wirst mit mir kommen, ob du willst oder nicht." Hilflos hob Ryan ihre Hände, Tränen glitzerten in ihren Augen auf. "Nein", wisperte sie und wich einige Schritte von Markos zurück. "Ich komme nicht mir dir. Ich habe einen Schwur geleistet und ich werde ihn nicht brechen. Ich werde ihn nicht brechen..." Niedergeschlagen lief Ryan einige Schritte vorwärts, nur das leise stöhne des Schnees unter ihren Stiefeln zerriss die drückende Stille. "Warum", schrieen ihre Gedanken. "Warum tust du mir das an?" Mit einer schnellen Handbewegung wischte sie sich die Tränen aus den Augen, zurück blieben nur ihre nassen Bahnen, die sich über Ryans Wagen zogen. Schwer atmend stand Markos da, der Stein über seinem Herzen glühte heiß auf, er wollte seinen Schmerz hinaus schreien, doch seine Lippen blieben stumm. "Vergib mir", dachte er bitter und schluckte hart. "Vergib mir, Ryan." Starr richtete er seinen Blick hinauf in den grauen Himmel, als würde er dort Kraft für das nun folgende finden, dann drehte er leicht sein Gesicht zu der sich davon schleppenden Gestalt. "Ryan, sie wird sterben wenn du hier bleibst." Jede Bewegung in Ryans Körper erstarb, wie angewurzelt blieb sie stehen. In ihren Ohren hallten die Worte ihres Onkels wider. Sie spürte, wie sich eine Hand auf ihre Schulter legte, mit einer heftigen Bewegung schlug Ryan sie fort. "Niemals hätte ich gedacht, dass du so grausam sein kannst", schrie sie Markos ins Gesicht. Zorn rötete ihre Wangen, fest ballten sich die kalten Hände zu Fäusten. "Du bist ein Lügner, Markos. Ein billiger Lügner. Du weißt ganz genau, dass ich sie mit meinem Leben schützen würde. Nichts wird ihr passieren, solange ich an ihrer Seite bin. Nichts." "Du irrst", erwiderte Markos kalt und teilnahmslos. "Er wird dich hier finden und alles dem Erdboden gleich machen. Ayesha wird sterben, du wirst sie nicht beschützen können..." "Du lügst", schrie Ryan mit tränenerstickter Stimme und sank auf ihre Knie hinab. Schmerz und Angst befielen ihre Glieder, lähmten sie, machten sie wehrlos für alles folgende. "Das ist nicht die Wahrheit, nur eine deiner Narreteien. Du lügst, du lügst." Langsam kniete sich Markos vor sie, umfasste ihre kalte Hand mit eisernem Griff. "Du willst Beweise?" fragte er, kämpfte darum seine Tränen zurück zuhalten. "Die kann ich dir gerne geben." Angespannt schloss er seine Augen, hielt die sich windende Hand Ryans mit der seinen fest. Lautlos formten seine Lippen alte, längst vergessene Worte. Rot begann sein Stein zu glühen, versengte seine Haut mit der Hitze seiner Schuld. "Verzeih mir", dachte er und schmeckte Salz auf seinen Lippen. Er hörte, wie Ryan schrie, zog und zerrte, doch es war vergebens. Der Schein des Steins wurde größer, heißer, Zeit rauschte wie ein Bach durch ihre Adern. Markos keuchte, sackte nach vorne, hielt Ryans Hand jedoch immer noch fest in der seinen. Dann senkte sich Dunkelheit über beide. Dunkelheit und Stille... Sanft beschien das Licht des Feuers das verschlossene Gesicht Katlars. Trüb waren seine Augen, gerichtet auf etwas, was schon so viele Jahre zurück lag und dennoch in diesem Moment in einem Maße präsent war, dass es schmerzte. Ein leises Seufzen stahl sich über die zusammen gebissenen Lippen, kurz musterte Katlar Gerin, versuchte abzuschätzen, ob sein Bruder ihm überhaupt glauben würde, was er im Begriff war ihm zu erzählen. Sacht faltet Katlar seine Hände, nahm seinen Blick von Gerin und richtete ihn erneut in die kleinen Flammen. "Weißt du Gerin", begann er zu erzählen. "Es ist nicht von Bedeutung, was dir je jemand erzählt hat. Als du damals geboren wurdest, war ich im höchsten Maße erfreut einen Bruder zu haben. Nicht nur aus dem Grund heraus einen Bruder zu haben, sondern auch, weil es jetzt plötzlich jemanden gab mit dem ich die Bürde der Sohn Evanus zu sein teilen konnte. Doch es war niemals so, wie ich es damals hoffte. Ich war der erstgeborne, ich hatte Pflichten und hohe Erwartungen lagen auf meinen Schultern", tief atmete Katlar durch, blickte Gerin jedoch nicht an, würde er es tun, so würde der Mut des Erzählens so schnell versiegen wie ein Rinnsal in der Wüste. Er schluckte hart, Erinnerungen stiegen in seinem Geist auf, verdunkelten seine Augen wie ein mächtiger Wintersturm. Er hörte die antreibenden, stets unzufriedenen Rufe seines Vaters. Sah dessen Gesicht mit den kalten Augen, Katlar schauderte es bei diesen Bildern. "Ich kann nicht leugnen, dass alles was ich in der Kunst des Krieges gelernt habe von unserem Vater vermittelt bekam, jedoch strengte ich mich immer mehr an, um dir dieses Schicksal zu ersparen. Ich wollte nie, dass du durch mein Versagen das durchstehen müsstest, was der Großteil meiner Jugend war..." "War das so?" fragte Gerin und schüttelte ungläubig seinen Kopf. "Warst du nicht immer sein Liebling? Hat Vater nicht mit dir seine Zeit verbracht und mich nicht wahrgenommen? Du solltest dich reden hören, Bruder. Einfach köstlich." "War ich sein Liebling oder war ich einfach ersetzbar?" entgegnete Katlar leise. "Unser Vater war immer sehr stolz darauf zwei Söhne zu haben, zwei Menschen die er nach seinem Bilde formen konnte. Erinnerst du dich noch an den Tag, als Vater und ich aufbrachen zur Schlacht in diesem verdammten Land?" "Ja", Gerins Miene wurde bei dieser Erinnerung traurig. Er erinnerte sich an das traurige Gesicht seiner Mutter, an seinen stolzen Bruder und wie sehr er dieses Trugbild verehrt hatte. "Ich erinnre mich sehr gut, Katlar. Es war kurz vor der Wende von Winter und Frühling." "Ich habe kaum noch Erinnerungen an diesen Tag, an dich oder unsere Mutter. Alles, an was ich mich erinnere ist der eigentliche Tag der Schlacht. Es war ein wunderschöner Frühlingsmorgen, die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen, rotes Licht überflutete die Hügel. Tau bedeckte die Wiesen, nur das Knarren der Waffen und das Dröhnen der Kriegshörner zerrissen diese Idylle. Ich weiß es noch genau, mein Herz schlug so laut, dass ich fürchtete jemand könne es hören, meine Angst riechen. Meine Reiter und ich bildeten die Vorhut, hunderte gegen zehntausende. Ein Witz, sieht wenn ich es heute betrachte." "Warum hast du dich dann bitte darauf eingelassen?" fragte Gerin und lehnte seinen Oberkörper leicht vor. Er versuchte einen kurzen Blick in die Augen seines Bruders zu erhaschen, doch sie schienen nicht im hier und jetzt zu weilen. Es war, als wäre Katlar völlig in der Vergangenheit versunken. "Weil mir Evanus zugesichert hatte, wir würden nicht all zu lange alleine kämpfen. Wir sollten die Aufmerksamkeit auf uns lenken, dann würden die zwei Flanken des Heeres unseren Feinden in die Seiten fallen. Ich hatte Angst, meine erste große Schlacht, meine Bewährungsprobe wenn du es so sehen willst. Unser Vater sah es gewiss auf diese Weise..." gequält schloss Katlar seine Augen, die Stimme versagte ihm plötzlich. Sacht legte Gerin seine rechte auf die seines Bruders. "Was ist geschehen?" fragte er und Katlar wandte Gerin das Gesicht zu. "Wir ritten los, prallten auf das feindliche Heer. Ich...ich musste mit ansehen, wie einer nachdem anderen niedergemacht wurde. Ich schrie so laut ich konnte, doch niemand kam. Keiner half uns, sie standen einfach nur da und guckten zu wie wir starben. Niemand half uns...niemand... Als ich wieder zu mir kam roch es nach Blut, diesen Gestank bemerke ich selbst heute noch. Niemals konnte ich ihn völlig von mir abwaschen. Meine Finger fuhren über das Gras, ich weiß noch dass es ganz nass war. Nass und rot. Die Sonne leuchtete über mir und ich hörte die Schreie der sterbenden Menschen. Doch das war es nicht, was mich diesen Tag niemals vergessen lässt." Fest blickte Katlar seinem Bruder in die Augen, dieser wich zurück, als er den Schmerz in den eisblauen Augen seines Gegenübers bemerkte. "Die Sonne verdunkelte sich", erzählte Katlar weiter und lächelte bitter. "Jemand beugte sich über mich. Ich erkannte unseren Vater sofort, der Schmuck an seinem Helm war unverwechselbar. Ich streckte meine Hand aus, doch er schlug sie fort, dann legte er seine linke auf meine Wange und flüsterte mir nur ein Wort zu. Versager, Versager. Ich konnte nicht antworten, ich war zu schwer verwundet, dem Tod näher als dem Leben. Noch genau sehe ich seine kalten Augen und fühle, wie er mir seinen Dolch in die Seite stößt. Noch heute Gerin spüre ich es. Noch heute." Erstarrt saß Gerin da, versuchte das gesagt zu arbeiten. Ihm eine Empfindung zu geben, doch Verwirrung hielt seinen Geist gefangen. Kaum merklich schüttelte er seinen Kopf. Nahm seine Hand fort und seine Finger verkrampften sich zu Fäusten. Heftig pochte das Blut gegen seine Schläfen, tief in sich schrie eine ängstige Stimme immer wieder und wieder laut auf. "Das ist nicht wahr", wisperte er und starrte Katlar angewidert an. "Du lügst, du musst lügen. Wie kannst du dann heute noch am Leben sein? Lügner, elender Lügner!" "Ich bin nur noch am Leben, weil einige Menschen auf dieser Welt keinen Unterschied zwischen Freund oder Feind machten. Eine wunderschöne Chiya(*) rette mir mein unwürdiges Leben und ich nahm sie zu meiner Frau..." "Maris", fiel ihm Gerin aufgebracht ins Wort. "Maris ist keine von uns, sie gehört du diesen Barbaren?" "Hüte deine Zunge wenn du über sie sprichst", erwiderte Katlar ungerührt, lächelte versonnen als das Bildnis seiner Frau sein Herz berührte. "Sie war das einzige Wesen in meinem Leben, das mir jemals etwas gab ohne mit der Absicht dafür im Gegenzug etwas zu erhalten." Stille legte sich über die Brüder, während Katlar in den Erinnerungen an die glücklichen Stunden mit seiner Frau schwelgte, versuchte Gerin immer noch zu begreifen. Er begann an seinem Verstand zu zweifeln, als der Samen der Erkenntnis in ihm aufkeimte. Wie ein Blitz traf ihn die schmerzliche Wahrheit, welche Katlar gesprochen hatte. Sein Bruder hatte ihn dieses Mal nicht belogen... Beharrlich sträubte sich Gerin, er wollte nicht glauben was seine Ohren berührt hatte und was sein Herz akzeptieren zu schien. Das strahlende Bildnis seines Vaters zerbarst vor seinen Augen in tausende von kleinen Scherben. Sein Atem entwich stockend seiner Kehle, vorsichtig berührte er Katlar an dessen Unterarm. "Sag mir", sprach Gerin mit brüchiger Stimme. "Hast du ihn deshalb getötet?" "Nein, aus diesem Grund tötete ich Evanus gewiss nicht. Auch wenn es wohl für dich der Grund ist, welchen du verstehen könntest. Maris und ich lebten zusammen in Kalmas, ich diente der Garde als Befehlshaber. Eines Tages rief mich ein Mitglied des Hohen Rates zu sich um mir etwas von großer Wichtigkeit mitzuteilen." "Nerom." "Ja", Katlars Miene wurde bei der Erwähnung des Namens finster. "Es war Nerom. Merkwürdig, soviel verblasst im Strudel der Zeit, aber an seine Worte erinnere ich mich ganz deutlich. Er sprach über unseren Vater als wäre er die größte Bedrohung für unser neues Reich und ich in meiner Naivität schenkte im Glauben. Alles was er sagte hörte sich so plausibel, so richtig an. Nicht einen Augenblick wollte ich ihm widersprechen." Ein resigniertes Schnaufen entfuhr Katlar, dann wurden seine Gesichtszüge weich. Er nahm Gerins Hand in die seine und drückte sie kurz. "Gerin, ich wollte dich davor bewahren, dass man dich zu meinem Abbild erzieht, das du genauso wirst wie ich es bin. Doch auch hier habe ich versagt, denn ich glaubte Nerom würde sein Versprechen einhalten das er mir gab, doch auch er hat mich betrogen." "Warum, du hast doch bekommen was du wolltest." Argwöhnisch runzelte Katlar seine Stirn. "Ja und Nein. Er bot mir den Posten als Berater des Hohen Rates an, doch diesen lehnte ich gleich ab. Ich wollte für meine Tat, dass man von dir die Finger lässt und dich nicht zum Krieger ausbildet. Jedoch hat dich Nerom unter seine Fittiche genommen, dich erzogen, dir Privilegien und einen hohen Posten zuteil werden lassen. Als er das tat, brach er sein Versprechen denn er machte etwas weit schlimmeres aus dir, als es unsere Vater aus mir machte." Schweigend starrte Katlar auf die Hand Gerins in der seinen, Tränen glitzerten in seinen Augen und er senkte schuldbewusst sein Haupt. "Ich rettete dein Leben vor dem einem Dämon und stieß dich in die Arme eines noch schlimmeren. Ich habe versagt. Unser Vater hatte recht, ich bin ein Versager..." Gerin blickte die zusammen gesunkene Gestalt an, wie merkwürdig war es, dass diese gebrochene Person sein Bruder war vor dem er sich all die vielen Jahren gefürchtet hatte. Jetzt begriff er, jetzt da schon soviel Zeit mit Hass vergeudet war. Nun verstand er Katlars Zorn gegenüber dem Hohen Rat und sogar die Art von Wut, welche Gerin immer in der Gegenwart seines Bruder verspürt hatte. Wie die Stücke eines zerrissenen Bildes setze sich alles vor seinen Augen zusammen, ein bitteres Lächeln huschte über sein Antlitz. Ungewohnt sanft strich Gerin seinem Bruder über das Haar. Der Berührte blickte auf. Die Wangen des großen Kriegers aschfahl und seine Augen bettelten nach Vergebung. Abrupt sprang Gerin auf, zog Katlar in seine Arme und hielt seinen bebenden Bruder fest an die Brust gedrückt. "Du bist kein Versager", raunte er ihm zu und fühlte wie Katlar die brüderliche Umarmung erwiderte. "Denn jetzt werden wir Seite an Seite kämpfen, nicht länger gegeneinander sondern miteinander. Lange genug waren wir Spielbälle von anderen, wir werden über dieses Land herrschen. Als Brüder." Starr lag Katlar in den Armen Gerins und schloss vor Gram die Augen. "Du hast keines meiner Worte verstanden wie ich sie meinte, kleiner Welpe. Wir werden beide in diesem Krieg sterben. Ein Krieg den du hättest verhindern können. So fügt sich alles, wie es begonnen hat. Ich habe wahrlich versagt." Gewaltige Mächte zerrten Ryans Geist hin und her. Schon lange trieb sie alleine in dieser tiefen Schwärze aus Nichts. Die Verbindung mit Markos hatte sie schon seit geraumer Zeit eingebüßt, er war verschwunden. Leer fühlte sich Ryans Geist, leer wie ein ausgetrockneter See. Warum tat ihr Markos das an? Warum? Jede Faser ihres Körpers schrie nach einer Antwort auf diese Frage. Hatte sie nicht geglaubt, Markos wäre ihr Freund ihre Familie? Schmerzend war die Erkenntnis, dass ihr Onkel sie nun benutzte. Für welche Zwecke wusste sie nicht, und sie würde sie auch nie erfahren. "Ayesha", schrieen Ryans Gedanken laut auf. "Hilf mir, wo bin ich? Zurück, ich muss zurück." Plötzliche Kälte umhüllte Ryans Körper, sie fröstelte und Schrecken lähmte ihre Glieder. Sie kannte diese Art von Kälte nur zu gut. Doch wie lange hatte sie sich ihrer nicht mehr bemächtigt. Panisch blickte sie sich um, doch nichts war zu sehen, nur schwarzer Nebel und Stille. "Er hat mich in Dunkelheit gestoßen", dachte Ryan zornig und versuchte sich auf die reale Welt zu konzentrieren, doch der weiße Stein über ihrem Herzen blieb kalt. Je durchzuckte die Stille ein gehässiges Lachen. Aus geweiteten Augen erspähte Ryan, wie sich etwas aus dem schwarzen Nebel schälte, eine Gestalt. Für den Bruchteil eines Augenblicks setzte Ryans Herzschlag aus, sie kannte diese Augen, diese Gestalt mit dem schlaff herabhängenden Arm. "Nein", schrie sie laut und gequält. "Das, kann nicht sein, das darf nicht sein." Mit kalten Klauen griff die Gestalt nach ihr, starr vor Schreck war Ryan nicht in der Lage auch nur ein Glied zu ihrer Verteidigung zu heben. Hilflos sah sie zu, wie die Gestalt kichernd um sie herum schlich. "Du bist nicht echt", wisperte Ryan und schloss ihre Augen, sie konnte nicht ertragen, was sie ihrem Blick bot. "Oh, ich bin echt, kleines Waldkind", kicherte Resa und strich Ryan über ihr Haar. "Wie ich sehe hast du es dir gut gehen lassen. Du warst doch nicht etwas glücklich? Nein wie schade aber auch, lasse ich dich nur für eine kurze Zeit aus den Augen und das Waldkind glaubt, alles wäre Gut. Nein wie töricht von dir. Dumm und Naiv wie eh und je." "Nur ein Trugbild", keuchte Ryan und presste ihre Augen noch fester zusammen. "Du entspringst nur meiner Phantasie, du bist seit Jahren tot." "Ja, tot mag ich sein", pflichtete Resa ihr bei, griff mit der intakten Hand in Ryans Kinn und hob es an. "Aber das heißt ja nicht, dass ich verschwinde. Du hast doch nicht geglaubt ich würde dich so einfach ziehen lassen, oder? Ryan, Ryan, es heißt doch mit den Jahren kommt die Weisheit, bei dir scheint diese auf sich warten zu lassen. Wenn ich nur deiner Phantasie entspringe, dann sieh mich doch an. Ich bin nur gekommen um dir etwas zu zeigen..." "Ayesha", flüsterte Ryan mit tränenerstickter Stimme. "Ein Alptraum." "Das Mädchen", kicherte Resa boshaft und küsste Ryan auf die Stirn, angewidert drehte diese das Gesicht fort. "Sie ist wirklich hübsch, zu schade, dass der Tod auch vor Schönheit und Güte kein Erbarmen kennt. Wirklich schade." "Schweig", schrie Ryan, blind vor Wut öffnete sie ihre Augen. Zwei kalte, schwarze Augen blickten sie an, das Gesicht Resas war zu einer Fratze verzerrt und das Lächeln auf ihren Lippen war von einer Bösartigkeit, dass es Ryan schwindelte. Furcht schnürte ihre Kehle zu, alles was Ryan noch zustande brachte war ein ersticktes Krächzen. Ein leises Heulen drang an ihre Ohren und sie blickte sich verwirrt um. Der schwarze Nebel teile sich an einer Stelle, gab den Blick auf eine sommerliche Landschaft frei. Blumenduft stieg ihr in die Nase, sie glaubte selbst die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren. "Ja, komm, komm", lockte Resa und zog Ryan mit sich. "Dich wird interessieren, was es zu sehen gibt." Die Sonne blendete Ryans Augen, der Blumenduft wurde plötzlich schwächer. Der Geruch von verbrannter Erde lag wie ein lautloses Gift über allem. Mit festem Griff zog Resa Ryan weiter, so sehr sie sich auch zur wehr setzte, es half nichts. Unermüdlich ließ sie sich von dem Trugbild weiterführen. Je stockte Ryan der Atem, der See, die Weiden. Sie befand sich immer noch am Katzenstein, in Ayeshas Dorf, doch es wirkte wie ausgestorben. Niemand lief wie sonst geschäftig hin und her, kein Vieh war weit und breit zu sehen und auch das Gefühl der Zuflucht, welches Ryan seit dem Tag ihrer Ankunft begleitet hatte, war verschwunden. "Ja, alle weg, alle ausgestorben. Alle weg", erklärte Resa in einem merkwürdigen Singsang. Sie waren mittlerweile am Seeufer angekommen. Ryan erinnerte sich wie oft sie an diesem Ufer gestanden hatte um nachzudenken, und sie entschied, dass es in den letzten Wochen zu oft vorgekommen war. Plötzlich hielt Resa an, schupste Ryan einige Schritte vorwärts zu den Wurzeln der mächtigen Trauerweide, die dicht am Ufer bei den großen Steinen ihre Heimat gefunden hatte. Langsam ging Ryan auf die Steine zu, blickte sich kurz um, doch Resa blieb stehen, das Lächeln auf ihren Lippen schien nur noch boshafter geworden zu sein und in den schwarzen Augen glühte es merkwürdig auf. Vorsichtig lugte Ryan über den Rand eines großen Steins hinweg. Keuchend entstieg im nächsten Moment ihr heißer Atem ihrer Kehle, ihre Hände verkrampften sich zu Fäusten und sie sank hinter dem Stein auf die Knie. Der Stoff ihrer Hose sog begierig das noch warme rote Wasser auf, flüssiger Schmerz floss klagend Ryans Wangen hinab. Sie stieß einen gellenden, gequälten Laut aus, ihr ganzer Körper zitterte vor Schmerz. Innerlich zerriss die Quäl ihren Körper in zwei Hälften und das Bild vor ihren Augen verschwamm hinter einem Schleier aus Tränen. Mit starren Augen schaute Ayesha hinauf in den blauen Sommerhimmel. Der ausdruckslose Schleier auf ihrem Gesicht unterschied den kalten grausamen Tod von dem des einfachen Schlafes. Das schwarze Haar klebte ihr blutverschmiert an der Stirn und ihr ehemals weißes Gewand starrte vor Schmutz und Blut. In ihrer Seite steckte der Rest einer abgebrochenen dunklen Klinge. Wie ein erlegtes Tier lag sie da, vor Schmerz krümmte sich Ryan, nahm Ayeshas Gesicht zwischen die zitternden Hände und küsste sie auf die kalten Lippen. Der fahle Geschmack von Qual und Tod berührte ihre Zunge und der letzte Rest ihrer Kraft entschwand. "Der schwarze Schatten hat sie gefunden", erklärte Resa und musterte den toten Körper Ayeshas mit einem beiläufigen Blick. "Nun ist sie auch dahin. Eigentlich schade um sie, ein schönes Geschöpf. Der Schatten hat sich viel Zeit für sie genommen. Oh ja, sehr viel Zeit." Stumm sank Ryan neben den Körper Ayeshas, betete deren Kopf in ihren Schoß und streichelte das geschundene Gesicht. "Das reicht mir, Onkel", sie spie das letzte Wort aus, als wäre es Gift. "Bring mich zurück. Hast du mich gehört, Markos? Bei Onones Macht, hol mich zurück..." Kaum das sie diese Worte ausgesprochen hatte, bekam die Traumwelt rissen. Wie ein Spiegel, in den ein Stein geworfen wurde zerbarst das Trugbild. Keuchend lag Ryan im kalten Schnee, heiße Tränen liefen ihr die Wangen hinab. Sie keuchte, versuchte aufzustehen, doch ihre Beine wollte sie nicht tragen. Immer noch roch sie das alte Blut, schmeckte auf ihrer Zunge den kalten Tod. Ihr Herz war schwer vor Schmerz und Schuld. Aus trüben Augen erspähte sie ihren Onkel. Hass wärmte ihre erstarrten Glieder. Mit der Kraft des Zorn kämpfte sie sich auf die Füße, schleppte sich einige Schritte vorwärts und schlug mit ganzer Kraft dem sich umdrehenden ins Gesicht. Die Kraft des Schlags riss Markos von den Füßen, über sich sah er seine zitternde Nichte stehen. "Warum", schrie diese und weinte immer noch Tränen des Verlustes. "Warum hast du mir das angetan. Warum? Sprich endlich!" Mit dem Ärmel seines Gewandes wischte sich Markos das Blut aus dem Mundwinkel. "Du wolltest mir ja nicht glauben. Du wolltest Beweise", erklärte er und schaute hinauf in den dunklen Himmel. Er konnte Ryan nicht ansehen, zu deutlich fühlte er ihre Wut und ihren Schmerz. Er hatte ihn bereits bei ihrem Wiedereintritt beinahe übermannt. "Das ist nicht die Zukunft", erklärte Ryan und taumelte einige Schritte rückwärts. "Es wird die Zukunft sein, wenn du hier bleibst, Ryan", erwiderte Markos und stand auf. "Ich glaube dir nicht", schrie sie so laut, dass sich ihre Stimme beinahe überschlug. "Ich werde sie nicht verlassen, nur weil du mir ein weiteres Mal einen Alptraum beschert hast, Onkel." Mit diesen Worten schleppte sich Ryan fort, die bitteren Tränen wollten nicht versiegen, ebenso wenig wie der Schmerz in ihrem Körper. "Ich werde dich in zwei Tagen erneut aufsuchen, Ryan. Dann wirst du mit mir kommen." Die Angesprochene blickte sich nicht mehr um, immer kleiner wurde Ryan, bis sie von dem grauen Nebel verschluckt wurde. Markos fiel auf die Knie, keuchend blickte er hinauf in den Himmel. Tränen sammelten sich in seinen Augen. Laut heulte der Wind auf, ließ eisige Kristalle auf ihn herabfallen. "Ich habe deinen Zorn verdient, Schwester", flüsterte er und seine Stimme versagte ihm beinahe. "Es war nicht meine Absicht sie zu quälen. Ich wünschte es gäbe einen anderen Weg. Ich werde nur nicht mehr lange genug auf dieser Welt wandeln um alles beenden zu können. Sie muss meinen Platz einnehmen bevor ich zu dir komme, Kara. Sie ist die letzte unserer Familie. Sie weiß es nicht, aber sie wird noch großes vollbringen. Ich hoffe sie wird mir irgendwann verzeihen...Irgendwann..." Sanft wiegte sich Ayesha selbst hin und her, sie hatte ihre Arme um den Oberkörper geschlungen und starrte Gedanken verloren in den sich langsam schwärzenden Himmel. Die Nacht breitete sich in diesen Tagen schnell über das Land aus, wie ein gigantischer schwarzer Schleier legte sie sich über alles existierende. Nervös blies sich Ayesha eine Haarsträhne aus der Stirn, faltet - als wolle sie beten- ihre feingliedrigen Hände. "Wo bist du nur?" fragte sie sich selbst, jedoch verließ kaum mehr als ein zartes Hauchen ihre Lippen. Der Wind heulte außerhalb ihres Zimmers gequält auf, kleine Schneeverwehungen trübten den Blick hinaus in die Dämmerung. Seufzend erhob sich Ayesha, legte ihre Hände an den Rahmen des Fensters und blickte schweigend hinaus. Nebel stieg vom Seeufer zu den Häusern hinauf. Deutlich bemerkte Ayesha die graue Luft, welche den Blick noch mehr trübte. Eines der weiteren Anzeichen, dass der Winter langsam ausklang und bald der Frühling die düsteren Stunden erhellen sollte. "Krieg", erinnerte sie eine mahnende Stimme in ihrem Kopf, das diesen Frühling kein Sonnenstrahl, keine gute Ernte noch diese sonderbare Beschwingtheit irgendeinem Menschen in diesem Land Freude bringen konnte. Sollten sich all diese bösen Omen bewahrheiten so stand ihnen allen ein dunkler und harter Frühling bevor. Augenblicklich fühlte sich Ayesha an ihre Kindheit erinnert. Die ständige Angst, der immer wiederkehrende Abschied von ihrem Vater, die vielen Tränen der Menschen, die jemanden an die Göttin des Krieges verloren hatten. Angst lähmte ihre Glieder, sie war für solche Zeiten nicht gerüstet, sie besaß nicht die Stärke ihres Vaters, wie sollte sie diese Menschen nur schützen? Sie wusste es nicht, und wie sooft in ihrem Leben wünschte sich Ayesha in diesem Moment einfach zu verschwinden, mit Ryan fort zugehen und nicht mehr zurück zu blicken. Bitter war der Gedanke daran, dass sie auch hier an diesem Ort sterben würde, wenn ihre Zeit gekommen war. Ihr Kopf begann bei diesen Gedanken leicht zu schmerzen, soviel lag bereits auf ihren jungen Schultern, dass sie oftmals glaubte es alleine nicht tragen zu können. Es schnürte ihr die Luft ab, vernichtete ihren letzten Funken Freiheit mit einem einzigen Hauch. Das Lächeln auf Ayeshas Lippen war traurig, sie verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich leicht gegen die Wand. "Niemand hat mich je gefragt, was ich möchte", dachte sie und schüttelte sacht ihren Kopf. "Was würde ich darum geben nicht die Tochter Arsons zu sein, sondern ein einfacher Jemand..." Erschrocken hielt Ayesha inne, noch nie in ihrem ganzen Leben hatte sie auf solche eine Art und Weise gedacht. Es war ihr, als bestrafte sie ihren Vater für etwas, worauf auch er nie einen Einfluss gehabt hatte. "Man kann sich nicht aussuchen was man ist", hörte sie die freundliche Stimme Widos in ihren Ohren. "Wir sind nun einmal, wie es die Götter vor langer Zeit entschieden haben. Und auch wenn es uns zuwider ist, so werden wir irgendwann den Grund vor unser Dasein erfahren. Vielleicht an einem Tag, an dem wir nicht damit rechnen. Wer weiß schon, was die Götter vorhaben?" Missmutig strich sich Ayesha ihr schwarzes Haar nach hinten, sie entschied, dass sie es lieber jetzt wüsste, als auf den Tag der Enthüllung zu warten. Doch der alte Mann hatte Recht gehabt, man konnte nicht ändern was man war. Selbst wenn man es versuchte blieb man im inneren das, was schon immer an diesem Ort weilte. Ein kalter Wind streifte Ayeshas Rücken, sie fröstelte und wandte sich um. Ihre Augen weiteten sich, als sie Ryan anblickte. Deren Gesicht war so weiß wie der Schnee, welcher immer noch auf den Baumkronen lag, sie zitterte am ganzen Leib und in ihren Augen lag eine merkwürdige Trübheit. "Ryan?" fragte sie leise und umfasste die kalte zur Faust verkrampfte Hand. "Was ist mit dir?" Sie erhielt keine Antwort, anstelle zog Ryan sie in ihre Arme, hielt sie fest. Eine eigenartige Kälte ging von dem anderen Körper aus, Ayesha nahm das verstörte Gesicht zwischen ihre Hände und blickte Ryan schweigend an. Fest drückte Ryan Ayesha an sich. Versuchte die aufsteigenden Tränen krampfhaft zu unterdrücken, sie zitterte immer noch am ganzen Leib, ob vor der Kälte, die sie mit eisigen Fingern gefangen hielt oder dem, was sie vor nur wenigen Augenblicken mit ansehen hatte müssen, wusste sie nicht mehr. Abrupt wich sie vor Ayesha einen Schritt zurück, ließ ihre Hände sinken, während ihre Nase den Gestank von totem Fleisch einsog. Sie schloss ihre Augen, hörte die besorgte Stimme Ayeshas in ihren Ohren und wimmerte leise. Verstört öffnete sie ihre Augen und taumelte einige Schritte zur Seite. Rotes Blut verschmierte das Gesicht ihrer Liebe, das schwarze Haar hing ihr strähnig und nass ins Gesicht. Die trüben, leblosen Augen verfolgten jede ihrer Bewegungen. "Geh weg", stammelte Ryan und schüttelte ihren Kopf, blickte erneut auf und erkannte, dass alles was sie zu sehen geglaubt hatte ein Trugbild war. Markos hatte ganze Arbeit geleistet. Selbst jetzt, da sie in Sicherheit vor ihm war, konnte er seine Macht demonstrieren. "Ryan?" fragte Ayesha mit vor Angst bebender Stimme, sanft berührte sie Ryan an der Schulter. "Was hast du?" "Es geht schon wieder", versicherte Ryan und zwang sich zu einem Lächeln, doch in diesem Moment wusste sie, dass es mehr als unglaubwürdig wirken musste. "Es war anstrengend mit meinem Onkel zu sprechen und er hat das, was ich ihm zu sagen hatte nicht gerne gehört." Besorgt kniete sich Ayesha zu Ryan hinunter, schlag ihre Arme um den zitternden Körper und hielt sie fest. Wie eine Mutter, die ihr verängstigtes Kind tröstete, das einen schrecklichen Traum gehabt hatte. Behutsam streichelte sie über Ryans Rücken und fühlte, wie sich ihr Gegenüber beruhigte, das Zittern verebbte langsam und auch die Verwirrtheit in den wunderschönen Augen lichtete sich. Nur einmal hatte Ayesha Ryan in solch einem Zustand gesehen, damals, als Wido starb und während der Nacht in der Ryan ihr alles erzählt hatte. Diese Erinnerungen ließen die Glieder Ayeshas erstarren. Jedes Mal waren es schreckliche Vorboten gewesen und jedes Mal war einem von beidem großes Leid zuteil geworden. "Was ist denn passiert?" Vorsichtig lockerte Ayesha ihre Umarmung und blickte Ryan forschend in die Augen, doch wie schon seit Tagen war dieser Ort ein verbotener Platz für sie, schmerzlich erinnerte sie sich, dass das einst anders gewesen war. Nun sperrte Ryan selbst sie aus, niemand durfte mehr hinter ihre Fassade sehen. Keiner konnte erahnen, was sich hinter diesen traurigen Augen verbarg. "Das ist unwichtig", erklärte Ryan und wich dem fragenden Blick Ayeshas aus. Sie wollte nicht mehr darüber sprechen, sie wollte diese Bilder und diesen Mann vergessen. Trauer stieg in ihr auf, verließ ihren Körper als flüssiger Schmerz. Warum hatte er das nur getan? Warum? Niemals zuvor hatte sie sich auf eine solch schäbige Art betrogen gefühlt. Nicht einmal an jenem Tag, an welchem Resa ihr mit boshafter Freude erzählt hatte, dass ihre Mutter nie ihre wahre gewesen war. Zärtliche Hände umfingen Ryans Schultern, brachen die Gegenwehr des Körpers mit sanfter Gewalt. Widerstrebend ließ es Ryan geschehen, schlang ihre Arme fest um Ayesha und vergrub ihr Gesicht in deren Gewand. Feinfühlig strich Ayesha Ryan durchs Haar, summte leise eine Melodie. Sie erinnerte sich, dass ihr Vater ihr des Nachts oft dieses Lied gesungen hatte, wenn Onone ihr einen bösen Träum beschert hatte. Innerlich hoffte, dass diese Melodie Ryan nun genauso viel Trost spenden mochte, wie ihr, als sie noch ein Kind gewesen war. "Möchtest du mir wirklich nicht erzählen, was geschehen ist?" fragte sie erneut und zwang Ryan ihr ins Gesicht zu blicken. "Ich kann es dir nicht erzählen", wisperte Ryan leise und strich Ayesha entschuldigend über die Wange. "Ich wünschte, ich könnte es. Verzeih..." "Ich wüsste nicht, was es zu verzeihen gäbe", flüchtig streiften Ayeshas Lippen die Ryans. Sehnsüchtig erwiderten Ryan den Kuss, verbannte all die schrecklichen Eindrücke aus ihrem Geist, überließ sich völlig den liebevollen Berührungen Ayeshas. Ihre geschundene Seele verzehrte sich nach Erlösung, und Ryan wusste, dass sie diese Art Erlösung, wenn auch nur für die Dauer jener Berührungen in den Armen Ayeshas finden würde. Fröstelnd hüllte sich Ragan tief in den schweren Umhang ein. Selbst das prasselnde Feuer war nicht in der Lage die zehrende Kälte aus seinen Gliedern zu vertreiben. Seufzend verschränkte er die Arme vor der Brust, nachdenklich suchten seine Augen in den Flammen nach Antworten. Sorge hielt in wach, deutlich hatte er gespürt, dass etwas geschehen war. Ein Missbrauch ihrer Magie, jemand hatte das Verbot gebrochen und etwas offenbart, zu was niemand außer den Göttern berufen war. Und zu seinem eigenen Bedauern wusste Ragan sehr wohl, wer der Schuldige zu sein schien. "Markos", dachte er und blickte hinauf in den gestirnten Himmel. "Was hast du nur getan?" Wie unbeherrscht sein Freund werden konnte, darum wusste Ragan, jedoch hatte er niemals geglaubt, dass Markos so weit gehen würde. Er begab sich auf Pfade, auf welche ihm niemand zur Seite stehen konnte. Schon oft hatte sich Ragan gefragt, wie wohl ihr beider Leben verlaufen wäre, wenn Markos vor so vielen Jahren nicht das Erbe seiner Schwester an sich genommen hätte. Was wäre aus ihnen geworden? Vielleicht wäre so vieles einfacher gewesen. Ein Leben ohne Entbehrungen und ohne Kampf... Leise knirschte der Schnee hinter Ragans Rücken, augenblicklich sprang er mit gezücktem Schwert auf. "Du bist einfach zu schreckhaft", seufzte Markos und trat aus der Dunkelheit in den Schein des Feuers. Argwöhnisch furchte Ragan die Stirn, steckte sein Schwert weg und besah Markos kritisch. Müde wirkte sein Gesicht, müde und abgekämpft. "Wo warst du so lange", richtete Ragan das Wort an sein Gegenüber und setzte sich. "Ich habe mir Sorgen gemacht." Ein Schnaufen entfuhr Markos und er wischte sich einige Haarsträhnen aus den Augen. "Ich wollte noch einen Augenblick alleine sein", erklärte er und wich dem forschenden Blick seines Freundes aus. "Du hättest dir keine Sorgen machen müssen. Ich bin doch immer wieder aufgetaucht." Schweigend nickte Ragan, doch er wurde das Gefühl nicht los, dass irgendetwas nicht stimmte. Sanft beschien das Feuer Markos Gesicht, eine dunkle Färbung der Haut an Markos Wange zog die Aufmerksamkeit Ragans auf sich. "Was ist das? Bist du gegen einen Baum gelaufen?" Vorsichtig legte Markos seine Hand auf die schmerzende Stelle und lächelte bitter. "Nein, gegen einen Baum nicht. Das war Ryan." "Euer Gespräch lief also so ausgezeichnet, dass sie dich geschlagen hat?" Ragan lachte leise, doch er wurde sogleich wieder ernst, als er die Trauer in Markos Augen bemerkte. "Was hast du ihr gesagt, Markos?" Beschämte schlug Markos seinen Blick nieder, jeder Muskel in seinem Körper verspannte sich. Schuld ließ seine Seele schwer werden. Er wusste, für das, was er getan hatte würde er weder entschuldigende Worte noch Verständnis finden. "Ich habe ihr gesagt, dass ich ihre Hilfe brauche. Das sie mit mir kommen muss, doch Ryan ist ein Sturkopf wie ihre Mutter. Sie weigerte sich, ich habe versucht sie umzustimmen, doch sie ließ nicht mit sich reden. Ragan, ich habe meine Macht missbraucht. Ich, ich zeigte ihr eine mögliche Zukunft, was geschehen könnte, wenn sie nicht mit uns kommen würde. Allerdings sagte ich ihr nicht, dass es nur eine der vielen Möglichkeiten der Zukunft war..." "Bist du wahnsinnig geworden", zischte Ragan und Zorn rötete seine Wangen. "Markos, was ist in dich gefahren? Du weißt genau, dass es uns verboten ist solche Dinge zu tun. Die Zukunft darf niemals einer anderen Person enthüllt werden, du kannst die Konsequenzen für dein leichtfertiges Handeln nicht einmal absehen. Ich wünschte Ryan hätte dich richtig verprügelt, womöglich wärst du dann wieder bei Sinnen." "Ich hatte doch keine andere Wahl", verteidigte sich Markos, doch der Blick mit welchem Ragan ihn bedachte, ließ ihn seine Worte sogleich wieder bereuen. "Man hat immer eine Wahl. Ich kann es einfach nicht glauben, der allwissende Markos begeht solch eine Dummheit. Ist dir klar, was du deiner Nicht damit angetan hast?" Niedergeschlagen nickte Markos. Ryan hasste ihn, und sie hatte wahrlich jedes Recht zu solchen Gefühlen. "Ich weiß was ich verloren habe, Ragan", flüsterte er leise und voller Schuld. "Ryan wird mir das niemals verzeihen. Aber ich musste es tun. Versteh mich doch, sie ist dazu bestimmt alles zu beenden. Schon bei ihrer Geburt wurde es vorhergesehen. Sie kann sich nicht gegen ihr Schicksal stehlen, ebenso wenig wie wir es konnten. Was ich getan habe entschuldigt nichts, aber sie hätte auch ohne mich nicht hier bleiben können. Ich habe ihr nur einen Grund gegeben." Urplötzlich erhob sich Ragan, schlug die dunkle Kapuze über sein Haupt und sah Markos lange schweigend an. "Du solltest dich reden hören", sagte er und seine Stimme schwoll an vor Zorn und Unverständnis. "Was würde Kara oder Nima nur dazu sagen? Wenn du solche Gedanken hegst, dann hast du deine Nichte zu Recht verloren." "Irgendwann wirst du mich verstehen." Müde erhob sich Markos, doch er war immer noch nicht in der Lage Ragan in die Augen zu blicken. Nur er selbst wusste, warum er in der Lage gewesen war Ryan zu belügen. Und selbst wenn Ragan ihn jetzt noch dafür verdammte, so würde er bald verstehen, sehr bald. Langsam entfernte sich Ragan, sein Blut pochte heftig gegen seine Schläfen und Wut loderte in seinen Augen. Kurz blieb er stehen, wandte Markos halb sein Gesicht zu. "In deinem Zelt wartet der Vater des Mädchens, du wolltest ihn wohl sprechen. Halte dich aber dieses Mal an die Spielregeln." "Wo gehst du hin?" fragte Markos leise. "Nun bin ich es der nachdenken muss", erwiderte Ragan und verschwand mit eiligen Schritten in der Dunkelheit. Schweißgebadet schrak Ryan aus ihrem Schlaf. Zitternd strich sie sich ihre nassen Haare aus der Stirn, vorsichtig streckte sie ihre Hand aus, doch als sie die warme Haut neben sich spürte beruhigte sie sich etwas. "Nur ein Traum", dachte sie und zog die Hand wieder fort. "Nur ein Traum." Ein leises Murmeln drang an ihre Ohren, sanft strich sie über Ayeshas Haar, spürte die Wärme des anderen Körpers, doch sie fand keinen Frieden. Zu präsent waren die Bilder in ihrem Geist und marterten ihren Verstand. Vorsichtig, darauf bedacht Ayesha nicht zu wecken, setzte sie sich auf, griff nach ihren Kleidern und zog sich in der Dunkelheit an. Sorgsam deckte sie Ayesha zu, küsste sie auf die Stirn und kam sich im gleichen Moment unsagbar schäbig vor, dass sie sich einfach wie ein Schatten leise davon stahl. Doch sie konnte die Nähe Ayeshas nicht ertragen, nicht wenn so viele Zweifel und Ängste ihren Geist gefangen hielten. Ein leises Knurren ließ Ryan zusammenfahren, die glühenden Augen Lobas beobachteten jede ihrer Bewegungen. "Ich muss nachdenken, altes Mädchen", flüsterte Ryan dem Tier zu und kniete sich zu ihr auf den Boden. "Wachst du bitte über sie, bis ich wieder da bin?" Gähnend erhob sich die schwarze Wölfin, leckte Ryan die Hand, als wolle sie auf diese Weise ihrer Zustimmung geben und tapste neben das Bett, rollte sich zusammen und schlief friedlich weiter. Auf leisen Sohlen schlich sich Ryan aus dem Zimmer, als sie die Tür des Hauses öffnete, schlug ihr bittere Kälte entgegen. Tief atmete Ryan die kalte Luft in ihre Lungen ein, merkwürdiger Weise fühlt sie sich plötzlich befreit. Als wäre eine gigantische Last von ihren Schultern genommen worden. Über ihr glitzerten Sterne am schwarzen Firmament, ein trauriges Lächeln huschte über Ryans Gesicht. Wie schrecklich und doch so wunderschön diese Nacht doch war, sanft wehte ihr der Wind durchs Haar. Es war beinahe wie eine tröstliche Umarmung, jedoch trieb er Ryan immer weiter fort. Schon längst kannte sie ihr Ziel, ihre Schritte führte sie direkt zum See. Zu der mächtigen Trauerweide und zu dem Ort, an welchem sie all die schrecklichen Bilder hatte erblicken müssen. Leise rauschte die Äste der Weide im Wind. "Was soll ich nur tun?" fragte sie sich selbst und Tränen stiegen in ihren Augen auf, glitten lautlos ihre Wangen entlang. "Was soll ich nur tun?" In ihren Ohren hallte das boshafte Lachen Resas wider, sie hörte ihre Stimme und sank kraftlos zu Boden. Wimmernd saß sie im kalten Schnee, doch in diesem Augenblick fühlte Ryan keine Kälte. Sie fühlte nichts, nichts außer ihrer eigenen Hilflosigkeit. "Wido", flüsterte Ryan leise und wischte sich die Tränen fort. "Wenn du nur hier wärst, du wüsstest bestimmt einen Rat. Ich weiß nicht was ich tun soll. Warum bist du nicht hier? Ich brauche dich, ich brauche dich so sehr..." Ein schwaches Geräusch riss Ryan aus ihren Gedanken, sie versuchte in der Dunkelheit auszumachen, aus welcher Richtung das Geräusch herrührte, doch die Dunkelheit trübte ihren Blick bis auf wenige Meter. "Heda", rief eine Stimme und Ryan setzte sich auf. "Wer ist da?" fragte sie ihrerseits und aus der Dunkelheit schälte sich eine hoch gewachsene Gestalt. "Ryan? Bist du das?" fragte die vertraute Stimme Ragans leise und kam auf sie zu. "Ragan, was machst du hier draußen?" "Das gleiche könnte ich dich fragen", entgegnete Ragan und schlug die dunkle Kapuze zurück. "Ich kann nicht schlafen", wisperte Ryan und wandte ihr Gesicht von Ragan ab. Das letzte nachdem sie gesucht hatte, war die rechte Hand ihres Onkels. "Nun, ich möchte meinen, da sind wir zu zweit." Ragan lächelte und rieb sich seine kalten Hände. Ziellos war er umher gelaufen, immer weiter fort von ihrem Lager. Mit der Zeit hatte sich sein Zorn gelegt, doch er schrieb diesen Umstand eher der Kälte als einer Spur des Verstehens zu. Schweigend musterte er die zusammen gesunkene Gestalt. Selbst wenn er nicht viel sehen konnte, so erkannte er sofort die Hilflosigkeit an Ryans ganzer Körperhaltung. Er erinnerte sich, wie sie ihm damals gegenüber gestanden hatte. Unverwüstlich, unbeugsam. "Was hast du nur getan, Markos?" dachte er und die verrauchte Wut loderte erneut in ihm auf. "Hat dich mein Onkel geschickt?" fragte Ryan ohne Ragan bei ihren Worte anzusehen. "Nein", erwiderte der Angesprochene und lächelte bitter. "Nein, Markos hat mich gewiss nicht geschickt. Es muss wohl eine Fügung der Götter sein, dass wir uns treffen, Kleine." "Erspar mir das, Ragan", zischte Ryan böse und blickte ihn an. "Ich habe für heute genug von den Fügungen der Götter und auch von euch allen." "Du hast ein Recht auf deine Wut, und dennoch bin ich die falsche Person, an der du sie auslassen solltest", erklärte Ragan und zog den schweren Umhang fester um sich. "Ich weiß nicht, was Markos dir gezeigt hat, ich will es auch nicht wissen. Aber ich möchte dir eine Sache erklären..." "Was gibt es da zu erklären?" unterbrach ihn Ryan aufgebracht. Ihre Stimme zitterte vor Wut. "Er hatte kein Recht dazu. Erst schickt er mich weg, dann soll ich wieder zurückkommen, ich bin nicht sein Spielzeug. So kann er doch nicht mit mir umgehen, ich dachte ich würde ihm etwas bedeuten." Schluchzend vergrub Ryan ihr Gesicht in den kalten Händen. Unschlüssig hob Ragan eine Hand, atmete tief durch und zog das weinende Mädchen in seine Arme. Er spürte, wie warme Tränen seinen Umhang durchweichten. "Ryan, er liebt dich, ich weiß es sehr genau. Es ist gleich was er dir zeigte, die Zukunft bietet immer mehrere Möglichkeiten. Warum er das getan hat, darauf kann ich dir keine Antwort geben. Ich weiß nur, dass Markos etwas weiß, was er niemanden anvertrauen kann. Wenn er dich gebeten hat mit ihm zukommen, dann weil es ihm wirklich wichtig und von großer Bedeutung ist." "Aber er hat doch recht", schluchzte Ryan und barg ihr Gesicht an Ragans Schulter. "Ich bringe allen Menschen die ich liebe nur Unglück und Schmerz. Ich dachte es hätte sich etwas in mir verändert, doch ich werde mich nie ändern. Dabei habe ich es versucht, ich liebe sie, ich liebe sie so sehr." Beschützend hielt Ragan Ryan fest in seinen Armen, strich ihr beruhigend übers Haar. Plötzlich verspürte er einen Wunsch diesem zerrissenen Wesen alle Antworten auf ihre Fragen zu geben, jedoch wusste er sie nicht. Er wollte sie beschütze, doch es war nicht seine Aufgabe. Vorsichtig umfasste er Ryans Kinn und sah sie lange schweigend an. "Du wirst dich entscheiden müssen, Ryan", sagte er und lächelte sie aufmunternd an. "Es gibt Dinge, die wir nicht ändern können. Dinge, die unser ganzes Wesen ausmachen und uns zu dem machen, was wir nun einmal sind. Glaubst du etwas Markos oder ich verlassen unsere Familien mit Freuden? Wir tun es, weil wir uns vor langer Zeit für einen Weg entschieden haben, und du musst dich nun ebenso entscheiden. Entweder glaubst du sie beschützen zu können in dem du bleibst oder gehst, aber du musst eine Entscheidung treffen. Du kannst nicht ändern was du bist. Du bist die Tochter Karas, Ryan. Als solche wirst du irgendwann den Platz von Markos einnehmen und dazu musst du noch sehr viel lernen. Es nützt nichts vordem, was in dir existiert wegzulaufen, du musst dich dem stellen. Womöglich findest du nur auf diesem Wege frieden." "Ich weiß nur nicht was ich tun soll", benommen wischte sie Ryan über die Augen, sah das lächelnde Gesicht Ragans dankbar an. "Ich habe so sehr darum gekämpft nicht mehr wie früher zu sein." "Wer sagt, dass du wie früher bist? Menschen verändern sich, dass ist der Lauf der Dinge. Rede mit dem Mädchen und triff dann deine Entscheidung. Ich schätze, wir werden noch zwei Tage hier lagern, dann brechen wir mit unseren Männern und den Kriegern dieses Dorfes auf." Schweigend nickte Ryan, löste sich aus Ragans Armen und brachte für ihn ein winziges Lächeln zustande. "Danke", sagte sie und es klang ehrlich in Ragans Ohren. "Gern geschehen, aber geh jetzt lieber wieder hinein, der Morgen graut schon und ich denke, du brauchst eine Menge Kraft für das, was noch auf dich zukommt." Sacht drückte Ryan die mächtige Hand Ragans, lächelte ihm noch einmal zu und wandte sich zu gehen. Befreit atmete Ryan durch, sie wüsste, ein ehrliches Gespräch mit Ayesha war richtig. Und doch verspürte sie einen Hauch von Angst. Jedoch wusste sie ebenso, dass Ayesha Aufrichtigkeit verdient hatte. Sie hatte ein Recht auf die Wahrheit. Kurz blickte Ryan über ihre Schulter, wollte Ragan noch einmal zu winken, derweil hatte die Dunkelheit den Freund ihres Onkels so schnell wieder in sich aufgenommen, wie sie ihn freigegeben hatte. "Ich muss mich entscheiden", flüsterte Ryan leise, als könne Ragan es hören. "Ich muss es für sie tun..." Stimmengewirr schwängerte die Luft, nervös schlugen Pferde aus, blähten verwirrt ihre Nüstern, als wüssten sie genau was auf sie mit stetiger Geschwindigkeit zukam. Schwerter wurden geschmiedet, das Ächzen des Stahls schmerzte in Ayeshas Ohren. Sorgenvoll betrachtete sie das Treiben, ihr gefiel nicht was sie sah. Immer noch hieß sie die Entscheidung ihres Vater nicht gut und während sie den Männern zu sah, wie sie Proviant heranschafften und Waffen schärften, wer womöglich von ihnen niemals wieder zurückkehren mochte. Einige Meter von ihr weg jagte Loba hin und her, immer noch auf der Suche nach der Fährte eines Schneehasen, die sie vor einigen Tagen aufgespürt hatte. "Loba", rief Ayesha und die Wölfin hob ihren Kopf. "Den findest du nicht mehr wieder, komme her." "Bist du dir sicher?" fragte Ryan und legte ihr das Kinn auf die Schulter. "Loba findet alles was sie möchte." Laut kläffte die Wölfin und vergrub die Schnauze tief im dünnen Schnee. "Du untergräbst meine Autorität bei dem Tier", scherzte Ayesha und spielte Gedanken verloren mit Ryans Umhang. Sacht lehnte sie sich gegen Ryans Oberkörper und blickte zu ihr hinauf. Irgendetwas hatte sich in Ryans Augen verändert, jedoch war Ayesha nicht in der Lage es zu deuten. Sie beobachtete die Aufbruchsstimmung teilnahmslos, beinahe als würden sie Dinge von größerer Wichtigkeit beschäftigen. "Ayesha", flüsterte Ryan ihr ins Ohr. "Hättest du einen Augenblick Zeit? Ich muss dringend mit dir reden, aber nicht hier, könnten wir vielleicht hinein gehen?" "Natürlich, ich glaube, Loba wird uns nicht sonderlich vermissen", sanft nahm Ayesha Ryans Hand in die ihre und öffnete die Tür. Still war es in dem kleinen Haus und das Herz Ryans schlug so laut und wild, dass sie fürchtete Ayesha könne es hören. Erst als Ayesha die Tür zu ihrem Zimmer schloss, beruhigte sich Ryan etwas. "Nun, was gibt es denn so wichtiges und geheimnisvolles, dass du es mir nur hier erzählen willst?" Nervös fuhr sich Ryan durchs Haar, lief getrieben langsam auf und ab, wie ein wildes Tier im Käfig. "Ich, ich weiß nicht wie ich anfangen soll", flüsterte sie und atmete tief durch. "Als du mich gefragt hast, was mein Onkel von mir wollte und ich sagte, es sei unwichtig. So ist es ganz und gar nicht." "Wie meinst du das?" fragte Ayesha und setzte sich auf die Kante des Bettes. Sie spürte deutlich, dass etwas in der Luft lag, sie konnte es förmlich festhalten. "Er wird morgen zusammen mit deinem Vater aufbrechen. Ayesha, er hat, er will, dass ich mit ihm komme. Ich weiß nicht was ich tun soll, ich weiß es nicht." Drückende Stille legte sich über sie, ängstlich blickte Ryan in das Gesicht Ayeshas, versuchte krampfhaft irgendeine Regung in der versteinerten Miene zu erkennen, doch Ayeshas Gesicht blieb verschlossen. Steif saß sie da, entwand Ryan ihre Hand, welche sie vor wenigen Augenblicken noch gehalten hatte. "Du weißt nicht was du tun sollst?" wiederholte sie die Frage und lachte leise. Doch es war ein enttäuschtes Lachen. Deutlich begannen ihr Lippen zu zittern und Ayesha schluckte schwer, rang fieberhaft um ihre Fassung. "Du erwartest nun nicht ernstlich eine Antwort auf diese Frage, oder?" "Verstehst du mich nicht? Ich muss mich entscheiden, aber ich, ich will mich nicht entscheiden." Hilflos hob Ryan ihre Hände und ließ sie sofort wieder sinken. Noch nie zuvor hatte sie Ayesha so gesehen. Wie eine Statur saß sie da, blickte starr geradeaus, als würde sie durch Glas blicken. "Ayesha", flüsterte Ryan und ihre Stimme zitterte. "Bitte, sag doch was, bitte..." "Du weißt es also nicht", bemerkte Ayesha und erhob sich. "Warum hast du dich dann schon längst entschieden?" flüsterte sie als spräche sie mit sich selbst und wandte Ryan den Rücken zu. Unerträglich erschien ihr je der Anblick Ryans, dabei hatte sie sich Monate lang nach ihm verzehrt, nun ertrug sie ihn nicht mehr. Tränen bannten sich unaufhaltsam ihren Weg durch Ayeshas geschlossene Augenlider, brannten auf ihren Lippen. Fest verschränkte sie die Arme vor der Brust, ihr sonst so weiches, liebevolles Gesicht versteinerte sich. Eine kalte Maske ohne Gefühl legte sich über ihr Antlitz. Ihr Herz kämpfte verzweifelt darum die gesagten Worte zu ignorieren, doch ihr Verstand sträubte sich. All zu deutlich hallten sie immer wieder und wieder durch ihren Geist, und Ayesha war nicht in der Lage dieses Echo zum schweigen zu bringen. "War denn alles, was du oder ich jemals sagten eine Lüge, Ryan?" Eine ungewohnte Härte durchzog Ayeshas Worte und Ryan sank schwach auf die Kante des Bettes. Beschämt vergrub sie ihr Gesicht in den Händen, doch ihre Lippen waren wie versiegelt. Die schneidende Klinge der Schuld hieb ihren Körper in zwei Teile, versengte ihr innerstes. Ihr Geist war leer, und so sehr sie auch nach den erlösenden Worten suchte, sie fand nichts außer dem Gefühl, dass sich Ayesha immer weiter von ihr entfernte. Mit jedem Augenblick der schweigend verging strafte sie ihrer eigenen oft gesagten Worte lügen. Hatte sie gelogen? War sie vielleicht niemals mehr gewesen, als sie es gehofft hatte? "Ayesha", wisperte Ryan und ihre eigene Stimme klang in ihren Ohren verbraucht und rau. "Ich will dich nicht verlieren..." Ein erstickter Laut entrann Ayeshas Kehle, gequält verzehrten sich ihre Gesichtszüge. Sie fühlte sich, als wäre ihr der Boden unter den Füßen fortgezogen worden. Sie fiel, doch dieses Mal fand sie keinen Halt. "So oft hast du mir versprochen, dass du nicht gehen würdest. Ich wollte dich gewiss niemals an diesen Ort ketten, doch du hast es von dir selbst aus immer wieder und wieder zu mir gesagt. Aus welchem Grund habe ich dann das Gefühl, dass du schon lange fort bist?" Kurz flackerte die Erinnerung an den toten Körper Ayeshas in Ryan auf, sie wollte Ayesha erklären warum sie ihre Frage formuliert hatte, wie sie Ayesha vernommen hatte. Doch sie konnte es nicht, wie sollte sie Ayesha erklären, dass sie in die Zukunft geblickt hatte, welche grausamen Bilder sie seit jener Stunde verfolgten. Sobald sie Ayesha berührte glaubte sie totes Fleisch zu berühren, roch das alte Blut, hörte die klagende Melodie in den rauschenden Weidenzweigen... "Ich kann dir nicht sagen was es ist. Es geht nicht, es würde dir zu vieles offenbaren, was noch nicht geschrieben ist. Warum verstehst du das nicht?" Plötzliche Wut loderte in Ayeshas Adern, schwungvoll drehte sie sich Ryan zu, die Umrisse der zusammen gesunkenen Gestalt verschwanden hinter einem dichten Schleier aus Tränen. "Es gibt immer Dinge die du mir nicht erzählen kannst oder willst. Deine Augen sind schon seit Tagen so leer und verschlossen, nicht einmal mehr mich lässt du in dich hinein sehen. Ich kann und will nicht mehr verstehen. Ich kann nicht mehr." Unsicher erhob sich Ryan, vorsichtig streckte sie eine Hand nach Ayesha aus, umfasste die sich heftig währende Frau mit festem Griff und zog sie an sich. Mit ihren kleinen Fäusten trommelte Ayesha gegen Ryans Brustkorb, währte sich gegen die Geborgenheit der Umarmung und schluchzte abermals: "Warum, tust du das? Warum?" Eisern hielt Ryan Ayesha in ihren Armen, nun stiegen auch in ihr Tränen auf. Kleine glitzernde Perlen rannen ihren Wangen hinab, tropften lautlos auf Ayeshas Haar hinab. Immer dumpfer wurden die Schläge Ayeshas, bis sie schließlich verebbten. Wimmernd, wie ein verwundetes Tier, lag Ayesha in ihren Armen. Ryan fühlte, wie Tränen ihr Hemd durchweichten. Das Gefühl von Schuld schlug so heftig in ihr, dass es sie schwindelte. Beruhigend strich sie über das schwarze Haar ihrer Liebe, flüsterte liebevolle Worte und doch schämte sie sich ihrer selbst. "Ayesha", raunte sie ihr schließlich zu. "Du kannst mich auf ewig hassen, doch ich werde dieses Mal nicht fortlaufen können. Ich muss tun was meine Familie von mir verlangt, wie auch du tun wirst, was dein Vater dich bat. Ich kann niemals der Mensch sein, den du verdienst, wenn ich hier bleibe und dich in Gefahr bringe." "Ich habe niemals etwas in dir begehrt, was du nicht bist", erwiderte Ayesha, konnte bei ihren Worten jedoch nicht aufblicken. Sie schluckte und barg ihr Gesicht an Ryans Hals. "Ich muss gehen." Wie ein blankes Schwert stellte sich diese Erklärung zwischen sie, erschrocken umklammerte Ayesha Ryan umso fester. Für den Bruchteil eines Augenblickes glaubte sie zu fühlen, wie etwas zwischen ihnen verlosch. Ein Band? Eine Verbindung? Ein Traum? Sie war nicht in der Lage es genau zu deuten, dieser Empfindung einen passenden Rahmen zu geben, zu grotesk war es für sie. Kaum merklich nickte sie, sah zu Ryan hinauf und lockerte ihre Umarmung. "Ich werde aber zurückkommen", setzte Ryan nach, versuchte Ayesha erneut in ihre Arme zu ziehen, doch nun wich sie einen Schritt von ihr zurück. "Ich könnte es aber nicht ertragen, wenn du es irgendwann einmal nicht mehr tust", erklärte Ayesha und holte zitternd Luft. "Wenn du gehen willst, dann tue es. Aber ich bin nicht Teleri, Ryan." "Ja", flüsterte Ryan und schlug ihren Blick gen Boden. "Ich weiß..." Erneut legte sich Schweigen wie ein gigantischer Mantel über sie. Stille um schloss sie auf eine merkwürdige tröstliche Art. Es war jene Art von Stille, welche nur dann eintritt, wenn alle Worte verbraucht und sie langsam aber stetig ihr Gewicht verloren. "Ryan, lass mich bitte alleine." Klar und deutlich waren diese Worte, ohne es zu wollen ließ Ryan die Hand Ayeshas los, schob sich an ihr vorbei aus dem Zimmer. Während sie die schwere Tür hinter sich schloss, hörte sie, wie Ayesha laut wimmernd auf die Knie fiel und jämmerliche Laute ausstieß. Entkräftet rutschte Ryan an der kalten Steinwand hinunter, ballte ihre erstarrten Hände zu Fäusten und hieb immer wieder und wieder auf den steinernen Boden. Heiße Tränen flossen unkontrolliert über ihr Gesicht, wirr hing ihr das Haar in die Stirn. Sie hatte die Worte Ayeshas nur zu gut verstanden, ein Abschied würde womöglich für immer sein. "Ich werde sie verlieren", dachte sie und japste nach Luft. "Auf die eine oder andere Weise werde ich sie verlieren." Immer schneller trommelten ihre Fäuste auf den Boden, sie hielt erst inne, als sie bemerkte, dass ihre Hände bluteten. Rötlich ergoss sich die Dämmerung über das Land, ließ die dünnen Schneespuren blutrot aufleuchten. Die trügerische Schönheit dieses Momentes ließ den gigantischen Schwarzen Schatten der über die Ebene Schritt nicht inne halten. Mit jedem Schritt mehr zog das gewaltige Heer einem bestimmten Augenblick entgegen. Das Klirren der Waffen und ein merkwürdiger Singsang aus tausenden von Kehlen durchschnitten die abendliche Stille. Still und in sich gekehrt ritt Katlar an der Spitze des Heeres, seine weiße Stute ächzte unter der Last seiner schweren schwarzen Rüstung und dem Gewicht des Proviants. Sanft tätschelte Katlar den Hals des Tieres, er wusste wie nervös das Pferd war. Tief in ihm tobte selbst dieser Sturm aus Ungewissheit und Vorfreude. In diesen verwirrenden Gedanken erinnerte er sich plötzlich an einen alten Spruch aus seiner Heimat: "Das der Mensch sich steigert; Schritt für Schritt. Sein totes Selbst schleppt er wandelt mit..." Ein bitteres Lächeln schmückte das ausdruckslose Gesicht, wie froh war er, dass Gerin in Kalmas geblieben war. Zusammen mit all seinen Instruktionen und Plänen. Vielleicht würde dieser Junge irgendwann bemerken, was er zu tun hatte. Ja, vielleicht eines fernen Tages, wenn ihm sonst nichts mehr geblieben war, würde er erkennen. Tief atmete Katlar durch, ein eigentümlicher Geschmack berührte seine Zunge und das Lächeln auf seinen Lippen verwandelte sich in Zufriedenheit. "Frühling", dachte er und blickte kurz über die Schulter. All die tausend Krieger, nur ein Bruchteil würde zurückkehren, einige noch nicht einmal alt genug um überhaupt als Mann betitelt zu werden. Kaum merklich schüttelte Katlar seinen Kopf, löste vorsichtig eine Hand von den Zügeln und zog das Medaillon hervor. Sanft berührten seine Lippen die Oberseite. "Du wirst da sein", rauschte es durch Katlars Geist und Genugtuung befreite seine Seele. "Wir werden uns gegenüber stehen und mir wird auf die eine oder andere Art Erlösung zu teil werden. Ich freue mich auf dich Ryan...Bald...Bald..." Verstört scharrte der schwarze Hengst mit seinen Hufen im dünnen Schnee. Er blähte leicht die Nüstern und tänzelte nervös auf der Stelle. Bestimmt zog Ryan das Tier wieder an ihre Seite, zärtlich berührte sie die weiße Blässe und lehnte ihre Stirn gegen den Hals des Hengstes. Immer noch schmerzten ihre Hände, jedoch sah Ryan diese Schmerzen als natürliche Strafe für alles Leid, was sie Ayesha vor Stunden zugefügt hatte. Ayesha, kummervolle Erinnerungen verband sie nun mit diesem Namen. Die Liebe in ihr war ebenso stark wie sie es immer gewesen war, und dennoch erschienen Ryan all die wunderschönen Erinnerungen an sie als verhöhnendes Urteil für ihre ureigensten Schwächen. "Was bin ich nur für ein Monster?" fragte sie den schwarzen Hengst, doch dieser sah sie nur aus trüben Augen an. Geistesabwesend blies Ryan die Luft aus den Lungen und begann den kärglichen Proviant in der Satteltasche zu verstauen. Mit geübten Griffen zog sie die Riemen und Schnüre fest. Kaum merklich tastete sich Ryans Rechte zu der Stelle, an welcher sonst immer der weiße Stein geruht hatte. Nun lag er neben Ayesha auf der leeren Seite des Bettes. Wie ein Schatten hatte Ryan lautlos einige Stunden neben Ayeshas Bett gesessen, sie betrachtet und merkwürdiger Weise war Ayesha in diesem Moment reiner und schöner gewesen, als es Ryan je für möglich gehalten hätte. Hart schluckte sie, kämpfte die Tränen die seit dem gestrigen Tag nie gänzlich versiegt waren nieder. Aus diesem Grund, und um Ayesha nicht noch mehr Leid zu zufügen, hatte sich Ryan entschlossen mit in der Nacht aufzubrechen. Sie wollte zu dem Lager ihres Onkels, versuchte auf diese Weise Ayesha die Schmach zu ersparen sie mit ihrem Vater fort reiten zu sehen. Keuchend lehnte sie sich gegen das Tier, der eigentümliche Geruch der Haare stieg ihr in die Nase und Ryan wischte sich einige nasse Spuren aus dem Gesicht. "Wolltest du einfach so verschwinden, ohne ein Wort?" fragte eine feine Stimme hinter ihrem Rücken. Abrupt drehte sich Ryan um, sah in die von Tränen geröteten Augen Ayeshas. Zitternd hüllte sie sich in einen schweren Umhang ein und beobachtete Ryan lange schweigend. "Wolltest du wirklich so gehen?" "Nein, ich, ich wollte. Ach, ich weiß überhaupt nicht was ich eigentlich wollte", stotterte Ryan und ließ unglücklich ihre Hände sinken. Langsam ging Ayesha auf Ryan zu, nahm ihre Hand in die ihre und sah stumm auf ihre ineinander verflochtenen Finger hinab. "Ryan, du musst nicht fort", sprach sie schließlich das aus, was ihr schon so lange durch den Kopf ging. "Wir würden eine Lösung finden. Bitte, du musst nicht gehen." Im nächsten Moment fand sich Ryan in einer wärmenden und beschützenden Umarmung wieder. Kurz presste sie den anderen Körper an den ihren, sog den Geruch von Ayeshas Haaren tief ein. Bewahrte ihn in sich, bis sie ihn womöglich in ferner Zukunft wieder wahrnehmen durfte. "Ich muss", flüsterte Ryan. "Du magst mich jetzt nicht verstehen, irgendwann wirst du es. Ich fühle das, und dann werden wir auch einen Weg finden. Ich liebe dich..." Leise schluchzte Ayesha, doch sie hatte alle Tränen bereits vergossen. Sie spürte nichts in sich, nichts außer einen gigantischen Leere. Eine sanfte Hand hob ihr Kinn und dann sah sie wieder diese wunderschönen Augen und fragte sich: "Noch nie habe ich solche Augen gesehen. Augen, welche die Farbe von Bernstein besitzen." Zärtliche Lippen legten sich über ihre, verbanden beide Menschen für den Bruchteil eines Momentes miteinander, und offenbarte, dass ein Band nie völlig zertrennt werden konnte. "Ich kann dich nicht gehen lassen." Behutsam lehnte Ayesha ihre Stirn gegen die Ryans und umfasste das kalte Gesicht mit ihren Händen. "Ich will auch nicht, dass du mich gehen lässt", erwiderte Ryan und küsste erneut flüchtig Ayeshas Lippen. Widerstrebend löste Ayesha die Umarmung, dann griff sie in die Tasche ihres Gewandes. Hell glühend ruhte der weiße Stein mitten in ihrer Handfläche. "Warum hast du ihn bei mir gelassen?" fragte Ayesha und hielt ihn Ryan auffordernd entgegen. Diese lächelte, faltete die Finger Ayeshas über die Kette. "Er gehört jetzt dir, solange, bis ich zurückkomme und ihn wieder abhole. Durch ihn werde ich immer wissen, wie es dir geht und ob du etwas brauchst. Auf diese Art werde ich über dich wachen und immer bei dir sein." Tränen glitzerten im fahlen Licht des grauenden Morgens, Nebel stieg langsam vom Seeufer empor zu der kleinen Anhöhe und hüllte die Weide am Ufer des Sees völlig ein. Stürmisch zog Ryan Ayesha erneut in ihre Arme, bedeckte das tränennasse Gesicht mit küssen. "Ich liebe dich", hörte sie Ayesha wispern und hielt sie fest umschlossen. Nur dieser Moment war für sie noch von Bedeutung, es war ihr gleich was folgen mochte. Sie wusste, dass sie liebte und es jemanden gab der auf die gleiche Art und Weise empfand. Tief atmete Ryan die feuchte Luft ein und aus, dann löste sie sich aus der Umarmung und bestieg den schwarzen Hengst. "Ich werde zurückkommen", erklärte sie, beugte sich zu Ayesha hinunter und küsste sie sacht. "Ich schwöre es dir, ich werde zurückkommen." "Versprich nichts, was du nicht halten kannst", erwiderte Ayesha und umfing die Hand Ryans mit der ihren. "Nein", sacht führte Ryan die Fingerspitzen Ayeshas an ihre Lippen und küsste sie. "Ich komme zurück ehe der Sommer völlig Einzug gehalten hat..." Langsam trabte der Hengst an, für eine kurze Weile lief Ayesha neben dem Tier her, bis sie den Schritt nicht mehr halten konnte und still stehen blieb. Heftig hob und senkte sich ihr Brustkorb, bestimmt wischte sie sich die Tränen aus den Augen, verknotete das Band der Kette in ihrem Nacken und ließ den weißen Stein in ihrem Gewand verschwinden. Noch einmal hielt Ryan das Tier an, blickte über ihre Schultern hinweg auf die langsam im Nebel verschwindende Gestalt Ayeshas. "Mögen dich die Götter schützen, ich liebe dich..." Warm glühte der Stein über Ayeshas Herzen auf, sie spürte wie jede Faser ihres Körpers von dieser besonderen Wärme durchzogen wurde. Sie wusste, dass es Ryan war. " Auf bald...im Sommer", flüsterte sie und sah ihrer Liebe nach, bis sie im Nebel völlig verschwunden war... (*)Chiya: Es gibt zwei Bedeutungen für dieses Wort. Im Eismeer ist es die Bezeichnung für die Winterfee. Im Lande Barolon bedeutet dieser Ausdruck "die Botin Onones". Nachwort: Ok, wer hasst mich jetzt für dieses "Ende"? Es tut mir wirklich leid, aber ich konnte die Geschichte nicht anders an diesem Punkt enden lassen. Es wäre sowohl für Ryan als auch für Ayesha unglaubwürdig gewesen, wenn sie gänzlich in eine andere Richtung ausgeschwenkt wären. Ich muss dazu sagen, dieses Kapitel zu schreiben war verdammt schwer. Ich hatte noch soviel zu erzählen und wollte nicht, dass es endet, was sich auch in der Anzahl der Seiten widerspiegelt. Ach, wegen Fehlern im Text. Habt Nachsicht mit mir, jetzt gerade ist es genau 4:20 Uhr Morgens. Noch dazu hoffe ich, dass es nicht zu kitschig geworden ist. Ich habe mich sehr darum bemüht das einzuschränken. Ich befürchte, total in die Hose gegangen. In gleicher Weise hoffe ich, dass ich bei einigen Figuren auch andere Seiten noch einmal zeigen konnte und es dabei auch glaubwürdig geblieben ist. Tja, es gibt ja noch einige offene Fragen. Deshalb werde ich noch einen Epilog schreiben, keine Panik, der wird nicht so lang wie das da ^^. Ich bedanke mich an dieser Stelle wie so oft bei Igel für ihr Durchhaltevermögen und die tollen Tipps und auch bei Biggi für die wöchentliche Ermahnung, wann das nächste Kapitel kommt. Vielen Dank fürs lesen. ©2006 by seen/Lena Petri Epilog: Das Lied der Trauerweide -------------------------------- Das Lied der Trauerweide Kleine Sonnenstrahlen brachen durch die dichte schwarze Front aus Wolken. Glitten auf die Erde hinab und wärmten die jungen Blätter mit ihrem sanften Licht. Die Luft roch noch schwer und dennoch frisch. Es hatte seit Tagen geregnet und das Wasser sammelte sich in winzigen Seen. Sanft tanzten die kleinen Lichtreflexe auf den trüben Oberflächen und verliehen dem brackigen Wasser einen Moment der Schönheit. Vielleicht hatte die Welt während der letzten Jahre zu viel Schreckliches erdulden müssen, hatte zuviel Blut der Menschen in sich aufgenommen, um etwas wahrhaft schönes hervor bringen zu können. Manch einem erschienen deshalb die Blumen weniger farbenprächtig, der Gesang der Vögel weniger melodisch und für viele hatte sich die Sonne auf ewig verdunkelt, da ihr eigenes Licht in der Schwärze aus Krieg und Verlust verglüht war... Mit eiligen Schritten lief der kleine Junge der schwarzen Wölfin hinterher. Vergrub seine winzigen Fingerchen tief im schwarzen Fell. Gutmütig lies das alte Tier es geschehen, stupste ihr Anhängsel leicht mit der ergrauten Schnauze an und trottete dann schwerfällig weiter. Lächelnd beobachtete Ayesha das Schauspiel. Loba war alt geworden, doch das hatte an ihrem sanften Wesen nichts verändert. "Wir sind alle älter geworden", dachte sie und spielte mit einigen Haarsträhnen, durch die sich bereits jetzt schon einige graue Schleier zogen. Es waren die vielen dunklen Stunden gewesen, die ihre Jugend schneller vergehen hatte lassen, als ein Herzschlag. Es war soviel geschehen. Ihr Vater hatte den Tod in der Schlacht gefunden, das erste Opfer von vielen in diesem Krieg über den so viele weinten. Sie erinnerte sich noch genau, wie Krieger den geschundenen Leichnam ihres Vaters in das Dorf gebracht hatten. Deutlich vernahm sie die klagenden Gesänge der Alten, sie selbst war in diesem Moment nicht fähig gewesen auch nur eine Träne zu vergießen. Alles war seit jenem Tag nun Gewissheit, sie war die Nachfolgerin und schützte die Menschen nach all ihren Kräften. Doch nicht nur Arlon war von ihnen gegangen. Auch Markos hatte in die trüben Augen Ferons geblickt, ebenso wie der schwarze Schatten... Eine leichte Gänsehaut ließ Ayeshas Nackenhaare erzittern. In ihrem Geist hörte sie die fassungslose Stimme Ryans, gezittert hatte sie und geweint, damals, als sie nach der Überbringung der Nachricht an Nima, die ihr drittes Kind unter dem Herzen getragen hatte, zu ihr gekommen war. "Jetzt verstehe ich ihn", hatte sie gesagt und ihre Augen waren wie aus Glas. "Jetzt, da er nicht mehr ist..." Immer zu, wenn Ayesha sich an Ryan erinnerte, sah sie das abgekämpfte, geschundene Gesicht, das nun eine breite Narbe über die rechte Wange zierte. Der Kampf mit dem schwarzen Schatten hatte nicht nur äußerliche Spuren hinterlassen. Manchmal erschreckte es Ayesha, dass Ryan seit jenen Tagen noch ernster geworden war. Sie war oft nachdenklich, in sich gekehrt und nicht wirklich im Hier und Jetzt sonder weit fort. Wie sie selbst trug Ryan nun Verantwortung, eine gigantische Last auf ihren Schultern. "Zu wenig Zeit", flüsterte Ayesha und setzte sich zu den Füßen der großen Trauerweide und blickte nachdenklich über den See hinweg. An diesem Ort fühlte sie sich Ryan nahe, der weiße Stein glühte dann stets auf und ließ sie wissen, dass sie nicht alleine war. Und doch war sie es, ihrer Begegnungen waren so wechselhaft wie das Wetter und doch war Ayesha auf eine merkwürdige Art und Weise zufrieden. "Mutter", winselte eine trotzige Stimme hinter ihrem Rücken und die zuvor nachdenklichen Gesichtszüge Ayeshas wurden weich. "Was hast du denn, mein Schatz?" Missmutig stampfte der kleine Junge mit seinem Fuß auf, wischte sich über die Nase und sein schwarzes Haar hing ihm in die Stirn. "Loba läuft immer vor mir weg. Dabei will ich ihr doch gar nichts tun, ich möchte doch nur mit ihr spielen." Sanft lächelte Ayesha, zog den Jungen in ihre Arme und strich ihm mit der flachen Hand die Tränen aus den Augen. "Du musst geduldig sein. Loba ist alt geworden, geh noch einmal zu ihr aber dieses Mal nicht ganz so laut und stürmisch, in Ordnung?" Stumm nickte ihr Sohn und lief so schnelle er gekommen war auch wieder von dannen. Erst, als er einige Meter vor der Wölfin stand wurde er langsamer, nährte sich Loba mit Vorsicht und diese wedelte auffordernd zum Spiel mit ihrer Rute. Seufzend blickte Ayesha ihrem Sohn nach, und wie so oft dankte sie den Göttern, dass er kaum etwas von seinem Vater besaß, sondern rein äußerlich eher in ihre Richtung schlug. Es verging kein Tag, an welchem sie in das Gesicht ihres Kindes blickte, dass sie sich nicht fragte, warum sie dem Drängen Torats nachgegeben hatte. Er war wenige Monate nach Kriegsausbruch in ihr Dorf gekommen und hatte sich darauf berufen, dass es der Wille ihrer Väter gewesen war einander zu ehelichen. Es hatte Ayesha einige Tage Überredung gekostet um diesem Mann klar zu machen, dass sowohl er als auch sie keine tiefere Verbindung wollten und es einzig und alleine darauf ankam die Nachfolge ihrer beider Stämme zu sichern. Selbst jetzt empfand es Ayesha immer noch als das unrühmlichste Motiv ein Kind zu zeugen, aber man sagt ja zu recht, dass auch unrühmliche Motive einen guten Zweck herbeiführen mögen und so war es auch. Nur ein einziges Mal zuvor hatte Ayesha solch eine tiefe und reine Liebe empfunden, wie jetzt zu ihrem Sohn. Jedoch im gleichen Atemzug schlug ihr schlechtes Gewissen heftig und greifbar, denn nur sie selbst wusste, dass sie damals womöglich, als sie Torat nachgab, auch Ryan verletzten wollte. Und Ryan war in der Tat verletzt gewesen, sie hatte es nie in Worte gefasst, wohl auch nicht fassen können, aber es hatte sich etwas in ihren Augen verändert. Die Selbstverständlichkeit war gewichen und hatte bitterer Erkenntnis platz gemacht. Erkenntnis, dass auch alles anders hätte sein können. Vielleicht besser oder schlechter, aber anders. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln erhellte Ayeshas Antlitz, wie sehr sie Ryan vermisste wusste nur sie. Es verging kein Tag der Hoffnung, der Erwartung oder der Enttäuschung wenn sie keine Nachricht erreichte. Sie beide waren älter, rationaler geworden, und doch fühlte sich Ayesha in jenen Momenten, wenn sie einander nahe waren wie in dieser Nacht, als sie Ryan in ihren Armen gehalten und in den Schlaf gesungen hatte. Sie fühlte die Liebe und Geborgenheit, welche nie verschwunden war. Selbst das Rad der Zeit hatte sie weder mildern noch vernichten können. Jeden Augenblick war sie für Ayesha präsent. Sacht stützte sie sich mit der linken an dem mächtigen Stamm der Trauerweide ab. Ein lauer Wind fuhr durch das Geäst, und die Weide sang leise ihr Lied von Klage und Demut. Sanft glühte der weißte Stein auf, kündete von dem Besuch eines geliebten Menschen. Kleine durchsichtige Perlen rannen Ayeshas Wangen hinab, doch dieses Mal waren es keine Tränen der Verzweifelung, sondern Tränen der Vorfreude. Sie hatte nun gelernt, die Zeichen zu lesen, welche ihr die kleine Kostbarkeit zusendete. Ryan war nicht mehr weit von ihr entfernt. Durch einen leichten Tränenschleier hindurch sah Ayesha wie die langen Äste der Trauerweide über den Boden kleine Kreise zogen und letztendlich bei ihren eigenen Wurzeln zur Ruhe kamen. Sie lächelte und flüsterte leise: "Wie diese Weide kraft in ihren Wurzeln findet, so findest auch die sie. Selbst wenn du es immer noch nicht begreifen kannst, Ryan. Hier sind deine Wurzeln und ich werde immer auf dich warten. Immer..." Ende Nachwort: So, jetzt ist diese Geschichte doch wirklich zu ende *schnief* Ja, ich behandle sie mit großer Liebe, sie ist meine erste wirklich abgeschlossene, lange Geschichte. Und ich hab auch gar nicht lang für gebraucht, nein, wie komme ich nur auf diese Idee?! Für diejenigen, die evtl. die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen haben, sei gesagt, das hat alles schon so seine Richtigkeit. Nicht nur im Anbetracht auf eine baldige "Fortsetzung" sondern auch, weil ich irgendwie Ayesha noch mehr eine Art Eigenständigkeit geben wollte. Es sollte nicht nur so aussehen, als würde sie ein Abbild von Teleri werden, was ich nie beabsichtigt hatte. Das Markos den Tod gefunden hat war vorhersehbar, jedenfalls sehe ich das so. Dies war auch seine Motivation dafür Ryan mit allen Mitteln mit sich zunehmen. Dass es keinen öffentlichen Showdown gab möchte ich ebenfalls erklären. Ich persönlich habe mir lange überlegt ob es mit einfließen soll, doch dann dachte ich, dieser Epilog soll Ayesha gehören, wie auch der Anfang der Geschichte fast nur ihr gehört hat. Ein leises Versterben Katlars sollte ihm den Frieden geben, der dieser Charakter irgendwie verdient hat. An dieser Stelle möchte ich mich wie so oft bedanken. Igel, du warst wirklich unglaublich, mit wie viel Verständnis du diese Geschichte gelesen und verbessert hast, geht über - für mich - über vieles bekannte hinaus. Danke. Auch Biggi möchte ich an dieser Stelle danken, weil sie einfach wahnsinnig gut motivieren kann. Danke, dass auch du bis zum Schluss durchgehalten hast. Danke auch an die vielen anderen, die diese Geschichte gelesen haben und hoffentlich gut unterhalten wurden. Aber das war bei weitem noch nicht alles, ich melde mich bald zurück und hoffe, es gelingt mir dieser Geschichte treu zu bleiben. Bis bald, seen. © 2006 by seen Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)