Utopia von Inzestprodukt (NaNoWriMo-Arbeit) ================================================================================ Kapitel 1: 1 ------------ Prinzipiell war seine große Gestalt von weitreichendem Nutzen, doch manchmal verfluchte Uriel sich selber – insbesondere, wenn er wie eine Insel für Schiffsbrüchige von einer Ecke zur nächsten pendelte und dabei mehr Aufmerksamkeit erregte als ein Leuchtturm mit Discokugel und Stroboskoplichtern. Wobei man hier ganz klar sagen musste: Größe war nicht unbedingt ein Problem, wenn man sich denn annähernd sicher bewegen konnte und genau das war ihm in aller Gnade noch gegeben. Trotzdem: Er fühlte sich einfach nicht wohl bei der ganzen Sache – was nicht verwunderlich war aber das Wunschkonzert „Leben“ hatte sich schon vor Monaten verabschiedet – und das erhöhte die Chancen, letzten Endes doch noch bemerkt zu werden. „Ach verdammte Drecksbiester.“ Und das war der Teil der Zivilisation, denen man noch den Rücken zudrehen konnte. Wobei hier an zwei Punkten gelogen wurde: Erstens würde er diesen Haufen Abschaum unter keinen Umständen als zivilisiert bezeichnen und zweitens traute er ihnen fast genau so wenig wie der dauerhaft unterernährten Plage außerhalb des Sperrgebietes. Um Problemen und einer Kugel im Gesicht zu entgehen hob er die Hände bis zur Höhe seiner Brust, ließ aus dieser sicheren Entfernung ein abfälliges Schnauben hören und zeigte dem auf ihn gerichteten Lauf des Gewehrs, dass er besten Falls noch denken konnte und bitte keinen Wert auf Blei im Hirn legte. Sie nahmen die Waffe weg, blickten ihn aus Alleweltgesichtern an und drehten dann ab, was Uriel stumm zur Kenntnis nahm und dann wieder abdrehte. „Lange können wir hier nicht mehr bleiben“, erklang eine Stimme von etwas weiter unten, gefolgt vom ewigen Dauerschleifen des abgewetzten Baseballschlägers. „Zieh das Ding nicht so umher, er geht kaputt und du gewöhnst dir das an, wenn wir es nicht gebrauchen können.“ Das Geräusch stoppte und im Blickfeld des großen Mannes tauchte ein abgenutzter Baseballschläger auf, welchen sein Begleiter sich über die Schulter geworfen hatte. „Ich hab kein Bock mehr auf dieses Umherirren, lass uns endlich einen vernünftigen Unterschlupf suchen und ein paar Tage dort bleiben.“ „Super Idee“, kommentierte er bissig, verzog dabei die Mundwinkel. „Sag Bescheid, wenn dir jemand eine Hotelkarte zusteckt und bestell mir gleich was vom Zimmerservice, ich würde dann erst einmal die Sauna austesten.“ „Du musst nicht fies werden“, grollte Setsuna zurück und strich durch sein verklebtes Haar; Tage ohne Wasser oder gar Seife hatten einen unwiderstehlichen Schmierfilm gebildet und dem Juckreiz nachgehend fühlte er sich wie ein von Flöhen zerfressener Straßenköter. „Dann bleib realistisch“, antwortete Uriel und blieb letzten Endes nahe einer campierenden Gruppe stehen. Feindseligkeit schlug ihnen entgegen, die fremden Menschen wollten nichts und niemanden in ihrer inzwischen eingeschworenen kleinen Gemeinschaft und notfalls würden sie diesem Wunsch auf Ruhe und Verschwiegenheit mit Waffengewalt nachkommen. „Ob es dir passt oder nicht“, hörte er dann Setsunas Stimme und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf diesen, welcher sich bedacht locker auf den Baseballschläger stützte „wir haben nichts zu essen, nichts zu trinken und bald auch keine Munition. Wir müssen in die Stadt oder die da hinten um ein paar Dinge erleichtern.“ Dabei ruckte er mit dem Kopf in Richtung Trüppchen und ernte gleich einen alles sagenden Blick von seinem zwei-Meter-to-go Gefährten, welcher ohne ein weiteres Wort die Richtung wechselte und nun scheinbar wirklich die Stadt anstrebte. Das war ein Selbstmordkommando und ohne Munition könnten sie sich direkt einäschern, aber die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt. Oder zuerst, Setsuna verwechselte das Bürschchen immer mit dem Glauben; der eine dankte zumindest direkt zu Beginn ab. „Ich hab mir überlegt“, fing er wieder an und holte Uriel ein, dessen lange Haare von Dreck und Schweiß ebenso verklebt wirkten wie die seinen „dass wir uns mit jemandem zusammentun sollten. Ich meine es läuft doch ganz gut. Wir zwei, die Straße und vor uns die unbegrenzten Möglichkeiten Japans!“ „Unbegrenzt bis dir einfällt, dass wir uns auf einer verdammten Insel befinden oder von den Zähnen einer alten Frau zerkaut werden könnten.“ „Ach du alter Pessimist. Ich bin froh, dass wir uns gefunden haben“, unterstützte er seine Aussage mit einem Schulterklopfer und legte sich den Schläger über den Nacken, hielt ihn mit beiden Händen fest. „Klingt wie eine schlechte Romanze“, murmelte Uriel und schob sich eine Hand in die Hosentasche, lief unentwegt weiter. Sie würden es nicht schaffen, in den wenigen, verbleibenden Stunden eine nennenswerte Stadt zu erreichen, das bedeutete für diesen Tag zwar weiteren Hunger, aber vor allem auch einen sicheren Unterschlupf. Man sollte meinen, dass das in Teilen Japans kein Problem sein sollte, aber hinter jedem sicheren Versteck konnten sie schon lauern. Je dunkler und unscheinbarer, desto dramatischer und tödlicher. Um das Wachehalten kamen sie ohnehin nicht herum und oft vergingen Nächte, in denen sie beide wach blieben. Dafür holten sich ihre Körper den Tribut, wenn der Adrenalinspiegel wieder sank; Tageslicht zu verschwenden wäre allerdings dumm und von diesem Zustand hatte er sich verabschiedet. „Was haben wir denn noch so zu essen?“, holte Setsunas Stimme ihn aus den Gedanken heraus und mehr funktionierend als denkend griff er in seinen Rucksack hinein, zog zwei Äpfel und eine Tüte diverser Süßigkeiten hervor. Die braunen Augen huschten über die karge Auswahl, dann seufzte er übertrieben laut auf und zuckte die Schultern, winkte ab. „Dann morgen.“ „Wieso denkst du, werden wir dieses Mal was finden? Wir sind nicht die Einzigen, die Hunger haben. Es wird alles vergriffen sein und wir rennen in unseren Tod.“ „Was willst du sonst machen? Kinder schlachten? Vergiss es einer von denen werde ich nicht. Wenn du jagen kannst, beweis es und schieß uns irgendein Tier.“ Die Frage war rhetorischer Natur denn das war die wohl einzige Alternative, die ihnen blieb; jagen. Eichhörnchen? Insekten? Klar, im Endeffekt und ohne funktionierende Landwirtschaft würde das zwangsläufig der Fall sein aber die vorhandenen Lebensmittel der Welt sollten doch schon genutzt werden, solange sie verpackt in staubigen Regalen lagen und keinen Abnehmer fanden, da in den Straßen der Städten mehr von ihnen umherstreiften; hier war das Futterpotenzial höher – für beide Seiten. „Ich hätte gerne einen stinknormalen Hamburger von einer Fastfoodkette, eine labbrige Pommes dabei und klebrige Softdrinks – ich steck mir auch Brokkoli in den Mund aber bitte lass es gekocht sein“, drang wieder einmal die Stimme des blonden Jungen an Uriels Ohren, doch mehr als ein müdes Lächeln konnte er nicht erübrigen; das war eigentlich schon absurd genug. - Stumm liefen sie von Häuserecke zu Häuserecke, passierten ausgebrannte Autos und Reste von dem, was einmal menschlich war. Oh sie waren keine von diesen Horrofilmopfern; sie wussten, wie die Dinger hießen, die hier umherliefen. Bisher machte es nämlich jedes Mal den Anschein, als hätte nie jemand dieses Wort je gehört, aber ihre Realität sah anders aus. Zombies. Ein fieses Wort, weil es im Laufe der Jahre durch Spiele, Comics und Festivitäten seinen eigentlich durch und durch schaurigen Reiz verloren hatte, aber sie mussten sich keine andere Bezeichnung ausdenken; Untote, Wanderer, Schlurfer, Schleicher. Es lief doch alles im Endeffekt auf dasselbe hinaus: Offene Brüche, Fleischwunden, fehlende Unterkörper – nichts hinderte diese Viecher, sich genüsslich im nächsten Muskelfleisch zu verbeißen. Dabei lief es in etwa ab wie mit der Tollwut: Nach dem Biss blieb eine kurze Zeitspanne, dann setzten die ersten Symptome ein; Fieber, Krampfanfälle, teilweise Organversagen. Egal wie, der Mensch wurde dahingerafft und auf möglichst effektive Art schnell in den Tod geschickt. Und dann standen sie wieder auf und der Kreislauf setzte sich fort. Nun, Uriel hatte nicht vor, eines dieser Opfer zu werden und so unbedarft sein Begleiter auch sein konnte – ein gezielter Schlag schickte einen u die Ecke hinkenden auf den Boden. Das Problem an ihren leider sehr realen Zombies war, dass sie verdammt schnell laufen konnten und als wirkliches Fastfood zu enden… nein, danke. „Ist frei“, murmelte Uriel und glitt um die nächste Ecke, ließ die Augen schnell über die verschiedenen Schaufenster schweifen. Kleidung, Schmuck, Elektronik und geplünderte Imbissbuden säumten einen Großteil dieser Straße und in der nächsten war es nur noch schlimmer: Bürogebäude. Die Hoffnung auf ein vergessenes Mittagessen hatten sie schon lange aufgegeben, daher konnten sie sich den Weg dorthin direkt ersparen. „Scheiße, echt!“ Setsuna fluchte zwar leise, aber einem Impuls nachgebend trat er den nächstbesten Mülleimer und verursachte damit ein übertrieben lautes Scheppern, auf welches Uriel mit einem schnellen Schlag auf den Hinterkopf reagierte und ihm schließlich mit dem Finger andeutete, dass er nicht mehr ganz gar im Kopf war. „Zieh dich doch gleich aus und leg dich auf die Straße, wenn du‘s ihnen leichter machen willst!“ „Ich hab Hunger, Mann!“ „Ja die auch, vergiss das nicht!“ Setsuna verzog den Mund zu einer Grimasse, neigte den Kopf dann auf die Seite und schaute in ein zerfleddertes, einsames Gesicht. Kein Unterkiefer, die Augen in ein unnatürliches Gelb getaucht – das war fast schon hübsch, wenn an das ganze verwesende Fleisch und die losen Zähne denn ausblenden konnte. Oh lecker, ein abgerissenes Stück Haut, ja ganz hübsch. „Man warum müssen wir uns anpassen? Wir können den Spieß einfach umdrehen und die jagen!“ „Klar, sie haben tierisch Angst vor uns weil… oh warte, stimmt. Haben sie nicht!“ Uriel widerstand dem Drang, ihm wieder gegen den Kopf zu schlagen und zog einige Häuser weiter, ehe er ein paar Schritte nach hinten stolperte und sich flach an die Wand drückte, die Augen schloss und genervt von zehn rückwärts zählte; zumindest in Gedanken, aber die Masche kannte Setsuna inzwischen zu Genüge und so schulterte er wieder den Baseballschläger, erhaschte die Augen des etwas Dunkelhäutigeren und blieb erst beim Schütteln seines Kopfes stehen. Ein vorsichtiger Blick um die Ecke zeigte zwei Gestalten, die sich beide gemeinsam in der Hocke am Boden hielten und in etwas herumzustochern schienen; einem Arm, um ganz genau zu sein. Es war schwer zu sagen, aber Setsuna fühlte sich ertappt, als sich einer der beiden Köpfe dort bewegte und in ihre Richtung schunkelte, dann erhob sich der Dunkelhaarige und wischte sich die Hände an der Hose ab, bekam vom Blonden jedoch schnell ein Tuch entgegen gestreckt, was er kommentarlos annahm. „Na, na, na…“, erklang die Stimme und nun kam auch Uriel wieder hervor, allerdings die Hände schon gehoben. „Wir sind keine von denen“, sprach er, erntete dabei vom Blonden ein fahles Schmunzeln. Zu einer anderen Zeit könnte das vermutlich ein sehr attraktiver Mann sein, seine Gesichtszüge waren – nicht unähnlich denen Uriels und Setsunas, wenngleich sein Name von hier stammte – eher europäisch und auch die blonden Haare und blauen Augen sprachen für sich, Natürlich sah auch er ungepflegt aus, was jedoch nichts am Gesicht änderte. Der Schwarzhaarige neben ihm hatte kinnlanges Haar und trug erstaunlich traditionelle Kleidung, zumindest den Kimono betreffend. Unpraktisch aber es war nicht ihr Leben, welches im schweren Stoff enden würde. „Nein, sie streiten für gewöhnlich nicht so laut wie ihr, Oder würden es überhaupt in Erwägung ziehen.“ Das sprach der Blonde und erntete damit direkt Setsunas Antipathie, was dieser mit bösen Blicken zu unterstützen versuchte, aber durch Missachtung scheiterte. „Wie viele seid ihr?“, fragte dann der dunkle Kontrast und fixierte dabei ganz offensichtlich Uriel, weil er diesen für den kompetenteren Gesprächspartner hielt. „Nur wir zwei und bei uns ist nichts zu holen, wenn ich dich direkt enttäuschen darf.“ „Das hatten wir nicht vor. Ich bin aber der Meinung, dass wir Überlebenden uns nicht noch gegenseitig an die Kehle müssen und deshalb besser in Gruppen reisen sollten. Ja, Raphael, ich bleib dabei.“ Den genervten Blick quittierte er mit Gelassenheit, denn auch hier schien es schon öfter zu genau dem Thema gekommen sein. „Und ich denke weiterhin, dass wir so viel zu viel Aufmerksamkeit erregen und besser in kleinen Grüppchen reisen sollten.“ „Vier Leute sind ja nun kein Verein – vorausgesetzt, ihr wärt einverstanden.“ „Natürlich“, kam es vom Größten im kleinen Trupp, doch sein Gesichtsausdruck verriet etwas vollkommen anderes. „Tut mir Leid aber ihr müsst euch wen anderes suchen, ich sammle keine Invaliden aus Seitenstraßen auf und vertraue ihnen mein Leben an. Außerdem bist du mir suspekt“, richtete er den letzten Satz an den Mann mit Namen Raphael, welcher dadurch irgendwie belustigt schien. „Was hast du zu verlieren außer deinem Leben?“ „Nichts und deswegen häng ich auch ziemlich dran, wenn ihr uns jetzt entschuldigen würdet, wir sind auf der Suche nach- “, brach er den Satz dann an, indem ein plötzlicher Ruck ihn direkt nach hinten beförderte. Al er unsanft auf Vollkontakt mit dem Asphalt gegangen war, sah Uriel Setsuna neben sich sitzen, während ihre beiden neuen, kurzfristigen Freunde zu Zombiefutter verarbeitet wurden; zumindest anfänglich, aber das herangeschossene Wesen wurde dann mit erstaunlichem Teamwork zu einer Art Kunstwerk verwandelt. Kopf adé. „Wo kam der denn her“, murmelte der Hüne und kam wieder auf die Beine, zog auch Setsuna wieder auf die Füße und sammelte all seinen heruntergeschluckten Stolz, um ein „Danke“, auf die Zunge zu legen, doch darauf mussten die anderen zwei wohl warten. „Ich hasse dieses Geräusch“, hörte er den bisher noch Unbekannten fluchen und konnte dies nur bestätigen; das Röcheln war prägnant und hatte sie alle zur Angst konditioniert. „Lauft!“, zischte der Blonde und schon schlugen ihre Füße auf den trockenen, verdreckten Asphalt, als hinter ihnen die Hölle losbrach. Kapitel 2: 2 ------------ „Scheiße, wie viele sind das?!“ „Bleib doch stehen und frag nach!“ Blind durch die Stadt zu laufen war eines jener besagten Selbstmordkommandos, aber eine andere Wahl hatten sie nicht, wenn die geschätzte Zahl gut und gerne 50 Infizierte betrug. Mehr oder weniger zumindest; eher mehr, wenn der Blick über die Schulter denn genug erhaschte. „Wenn einer von euch dramatisch auf die Fresse fällt, sich was bricht und dann heldenhaft zerfleischt wird, bring ich den Rest um!“, fauchte der Schwarzhaarige unter ihnen, ehe sie endlich einen vielversprechenden Unterschlupf fanden; dass auch dort genug hocken konnten, war klar aber was hatten sie schon sonst für eine Alternative. Uriel stemmte sich gegen das schwere Holzbrett, rückte es dann mit der Schulter auf die Seite und ließ die anderen drei hineinlaufen, ehe er selber durchschlüpfte und schnell den Eingang verbarrikadierte. „Wenn hier auch welche sind, sind wir tot“, murrte Setsuna und hielt sich die Seite, atmete gepresst ein und aus. „Da draußen aber auch“, murmelte Uriel und rückte ein Stück weiter in den Gang hinein; es war dunkel, stickig und es ließ sich keines Falls vermuten, wie wenig oder viel Platz sie hier hatten. Oder was sonst noch lauerte. „Klingt wie ein idealer Auftakt zu unserer kleinen Reisegruppe“, vernahm man dann die Stimme des Schwarzhaarigen, welcher im matten Licht nahe bei Raphael stand. Dieser bedachte ihn mit einem schnellen Blick, ehe er – erneut – nur Wert auf Uriels Meinung zu legen schien. „Wenn es dir nicht passt, gehen wir eben alleine weiter. Wir sind keine Helden, die sich schnelle Sympathie erschleichen können. Es war nur eine fixe Idee und wir hätten uns jedem angeschlossen, der nicht direkt mit einer Waffe auf uns zielt.“ „Das Problem werden wir bald eh nicht mehr haben, wenn wir hier heile rauskommen wollen“, antwortete der Mann mit dem langen Haar entnervt und schob dann mit einer Hand Raphael zur Seite. Warum ausgerechnet er selber in diese unfreiwillige Rolle eines Anführers gerutscht war, konnte Uriel nicht einmal sagen aber vielleicht war das wieder so eine Körpergrößen-Sache. Zumal fühlte er sich mindestens für Setsuna verantwortlich . „Ich bin kein Babysitter, wenn ihr Probleme bekommt, löst ihr die gefälligst selber. was hab ihr für Ausrüstung dabei?“ „Zaphikel“, erklang Raphaels Stimme und Uriel schaute wieder zu ihnen, bis er das ausgesprochene Wort als Namen erkennen konnte. Bisher war dieser nicht gefallen, doch der Angesprochene ließ seinen Rucksack von der Schulter gleiten und kramte im Halbdunkeln umher, ehe er zwei simple Handfeuerwaffen hervorholte, eine an den Blonden reichte. Sowohl Uriel als auch Setsuna versteiften sich in ihrer Körperhaltung und aus einer Art Reflex heraus glitt die Hand des Größten zur eigenen Hüfte, wo seine eigene Pistole verweilte. Von Raphael beobachtet sah er, wie dessen Hände langsam nach oben glitten, dann drehte er den Lauf seiner Waffe auf sich selber und hielt sie dem anderen hin. „Nimm, wenn du dich dann besser fühlst. Die beiden, irgendwo eine Taschenlampe ohne Batterien und etwas Proviant. Uns ist viel abhandengekommen, als wir das letzte Mal laufen mussten.“ „Was hast du mit dem Arm gemacht? In der Gasse?“ Die Hand wurde nach der Waffe ausgestreckt und selbst als er sie hielt, konnte er ihm noch nicht wirklich vertrauen. Leute wie Raphael waren selten teamfähig und schienen mehr auf ihren eigenen Vorteil aus. Was diesen Zaphikel betraf… zu dem hatte er noch keine eigene Meinung, aber auch er schien eigentlich niemand zu sein, der sich von Hübschlingen herumkommandieren ließ. „Reine Neugierde. So nah komme ich ihnen selten, ohne dass man nach mir greift.“ „Laufen viele kranke Typen rum heutzutage. Der ist einer davon, war aber vorher schon so“, kam die stichelnde Stimme des Schwarzhaarigen, woraufhin Raphaels Kopf in dessen Richtung ruckte. Auch ohne seine Augen erkennen zu können wusste Uriel, dass er ihn böse anstarrte. „Ich bin Mediziner das ist rein berufliches Interesse.“ „Du bist kein ausgebildeter Arzt.“ „Aber fast“, schnappte er und in seiner Stimme schwang verletzter Stolz mit. „Wegen deinem Plastikköfferchen aus Kindertagen?“ „Wollt ihr euch ein Zimmer mieten? Wir gehen dann weiter…“ Das war nun Setsuna, der sich schon an Uriel vorbeigeschoben und vorangetastet hatte, jedoch schnell von den anderen verfolgt und eingeholt wurde. Schweigen kehrte ein, was die Nerven bis zum Zerreißen spannte. Jedes Geräusch war eine potenzielle Gefahr und ohne nennenswertes Licht waren sie ziemlich aufgeschmissen. „Was ist das hier für ein Gebäude?“ „Keine Ahnung, irgendein Bürokomplex vielleicht. Scheint der Hintereingang gewesen zu sein.“ „Wir gehen grad nach oben, oder? Schon mal überlegt, wie wir wieder Parterre erreichen? Ich mein, wenn ihr fliegen könnt super, herzlichen Glückwunsch und so aber…“ „Wollen wir uns darüber Sorgen machen, wenn es soweit ist? Wieso ist es hier so dunkel? Haben die keine Fenster oder was?“ „Schnauze jetzt! Da war was.“ Wenigstens blieb niemand stehen, doch die Atmosphäre zwischen ihnen veränderte sich wieder. Keiner sprach ein Wort und die Bewegungen schienen zögerlicher; niemand war scharf drauf, einen malmenden Kiefer am Arm zu spüren. „Hier ist was“, murmelte Setsuna. Leises Quietschen ertönte, als er sich gegen eine Tür stemmte und sie dann doch leichter aufschwang, als man hätte vermuten sollen. Immerhin sahen sie etwas, doch viel half ihnen das nicht. Unter ihren Füßen dünner Teppich, einige Rollläden waren heruntergelassen und verdeckten einen Teil der bodenlangen Fenster. Anders als erwartet waren sie nicht kaputt, das war aber auch schwer bei einer Außenanlage. Schreibtische reihten sich in kleinen Boxen an einem langen Gang aneinander, verlassene Arbeitsplätze. Papiere säumten einen großen Teil des Bodens, hier und da hatte jemand seine Tasse nicht weggeräumt. „Schämt euch, ihr überstürzten Opfer“, murmelte Zaphikel und nahm eine der Tassen in die Hand, spähte in den angetrockneten Rest und zog dann rasch seinen Rucksack auf, wickelte sie in einigen Tüchern und verstaute so ein paar Trinkbecher. Ein Luxusproblem, sicherlich aber nicht unnütz. Setsuna tat es ihm gleich und durchsuchte mehrere Abteile nach Brauchbarem, mehr als ein paar Kugelschreiber und zwei Scheren fand er jedoch nicht. „Sind sie eigentlich reingekommen?“, ließ sich Raphael vernehmen und auch er spähte um die Ecken, schien aber eher nach Gefahren Ausschau zu halten. Eine Rolle, die ihm irgendwie nicht stand. „Sieht nicht so aus“, antwortete Zaphikel und spähte aus einem Fenster heraus, welches ihre Startposition gut im Blick hatte. „Frage mich nur, wo die alle hergekommen sind… es war doch recht ruhig. Hat so gewirkt, als wären sie aufgehetzt worden.“ „Kann man die überhaupt aufhetzen?“, fragte Setsuna und setzte sich auf einen der Schreibtische, zog ein Stück von dem Brot hervor, welches sie vor einem Tag gefunden hatten. Ohne die beiden Neuankömmlinge auch nur eines Blickes zu würdigen teilte er mit Uriel, kaute dann nachdenklich. „Stelle ich mir schwierig vor, das Einzige was geblieben ist, ist ein reiner Fresstrieb. Du kannst ihnen eine Waffe ins Nasenloch stecken und sie würden nicht auf die Idee kommen, abzurücken.“ Raphael tat es dem anderen Blonden gleich und ließ sich auf einem der Tische nieder, fuhr sich mit einer Hand über den Unterarm und ließ dann den Nacken knacken. „Was haltet ihr von einer Pause? Da unten kommen wir nun eh nicht weiter und hier scheint es relativ leer zu sein. Außerdem hab ich Hunger.“ „Schade, dass wir hier kein Feuer zünden können.“ „Wenn dich Kohlenmonoxyd nicht stört, könnten wir das schon machen. Ich hänge allerdings am Sauerstoff, tut mir Leid.“ „Verzichte, vielen Dank auch.“ Vertrauen würde Uriel ihnen dennoch anfangs nicht, das war in ihrer Zeit ein wahres Luxusgut geworden und da er stets sparsam gelebt hatte, erwartete er auch von sich selber nicht allzu viel in diesem Bereich. „Wieso rennt ihr eigentlich alleine herum, wenn ihr unbedingt zu einer Gruppe dazugehören wollt?“, schlug dann auch sein Misstrauen wieder zu, was Setsuna die Augen rollen ließ, doch das wurde einfach ignoriert. Die beiden Angesprochenen wechselten einen Blick, dann erbarmte sich dieses Mal Zaphikel, der an etwas klobigem Reis kaute: „Wir waren ja nicht alleine. Eigentlich zu fünft, aber als wir losgegangen sind um Proviant zu finden, waren die anderen weg. Sah alles schwer nach einem Angriff aus.“ „Sie leben aber noch“, schoss Raphael direkt dazwischen und starrte auf seine Hände hinunter und Uriel war sich auf einmal sicher, dass weiteres Nachfragen zu sehr viel Problemen führen konnte. Dennoch schien Zaphikel seine Meinung zu teilen, denn auch er bedachte den Blonden mit einem schweigsamen, wenngleich auch vielsagendem Blick: Blut und verschwundene Gruppenmitglieder waren eigentlich ziemlich eindeutig. „Wir suchen sie“, wurde dann weiter erklärt, allerdings wieder von Raphael. „Bevor du fragst: Wir haben keinen Anhaltspunkt, wo sie sein könnten… nur, dass unser alter Unterschlupf gestürmt wurde, sonst würden wir uns nicht durch die Stadt schlagen.“ Bitterkeit lag in seiner Stimme, das schienen mehr als nur zufällige Mitreisende gewesen zu sein. „Nach wem halten wir denn Ausschau? Vielleicht haben wir sie ja gesehen“, murmelte Setsuna, wirkte aber tödlich desinteressiert, was ihm keine Sympathiepunkte einbrachte. „Drei Typen. Ein dürrer Blonder, ein hübscher Schwarzhaariger und sein kleiner Bruder, rote Haare. Yue, Sakuya und Michael.“ „Wenn wenigstens eine Frau dabei wäre“, seufzte Setsuna, fing sich damit einen kurzen Moment Hass ein. Abwehrend hob er die Hände, kam dann vom Tisch herunter und streckte sich. „Ist ja gut, so war das gar nicht gemeint. Ist schlimm, Leute zu verlieren. Hab aber auch keine Gruppe gesehen, bei denen das passt. Na ja Einzelne, nur Haarfarben sind keine so coole Beschreibung.“ Raphael schaute ihn noch einige Augenblicke aus gefährlich funkelnden Augen an, ehe er sich demonstrativ wieder Uriel zuwandte und dann vor den Bruchteil eines Atemzuges den Blick senkte. „Yue ist schwer zu beschreiben, weil er ein ziemliches Jedermanns-Gesicht hat. Seine Haare sind gefärbt, bis etwa zum Kinn. Wenn sie ihm nicht ausgegangen sind, raucht er wie ein Schlot.“ „Idiot“, murrte Zaphikel und lehnte mit dem Rücken an eine der Pappwände. „Schon paar Mal wegen ihm entdeckt worden. Na ja, Sakuya ist auch nicht besser.“ „Richtig, aber an jemanden wie Sakuya erinnert man sich eigentlich. Auffallend attraktives Gesicht und eine ziemlich autoritäre Ausstrahlung.“ „Muss nicht viel sagen, um die Leute um den Finger zu wickeln“, bestätigte Zaphikel und kramte wieder in der Tasche herum, rückte alles etwas dichter zusammen. „Anführer-Charakter.“ „Und Michael“, fuhr Raphael fort, ignorierte das Gewühle neben ihm „ist… nun ja.“ „Klein“, kam es wieder von der Seite, woraufhin Raphael ihm einmal gegens Bein trat, dafür aber nur einen schiefen Blick erntete. „Ist doch so.“ „Ja, ist ja gut… er ist ziemlich klein, hat tomatenrotes Haar mit einem langen Zopf… man würde sich an sie erinnern, glaub mir. Besonders die beiden Brüder.“ „Luzifer und sein Stellvertreter.“ „Zaphikel halt jetzt die Backen!“ „Was man kriegt ja nichts aus dir raus! Ich würde die immer noch nicht erkennen, wenn ich nicht schon Kilometer vorher Gänsehaut bei deren Anwesenheit kriegen würde! Also passt auf: Yue ist ein kleiner Trottel, klebt aber dauerhaft an Sakuyas Seite. Beide rauchen wie ein Schlot und wenn‘s geht kifft sich der Blonde gerne mal die Birne dicht. Ich weiß nicht, wie Konfliktfähig er bisher ist, aber er kann Kritik scheiße verarbeiten. kriegt nichts auf die Reihe. Sakuya dagegen ist der geborene Anführer. Sagt nicht viel und wenn, immer nur übertrieben intelligentes Zeugs. Sein kleiner Bruder, Michael, ist der Teufel auf zwei halben Beinen: Frag nicht wie, aber wo er ist, brennt die Erde.“ „Aha“, brachte Uriel nach der Informationsflut hervor und versuchte, in seinen Erinnerungen nach passenden Gesichtern zu suchen. „Nicht ‚aha‘, das mein ich ernst: Es brennt. Gib ihm einen Bindfaden und genug Zeit dann legt der dir diesen Gebäude in Schutt und Asche.“ „Es reicht“, zischte Raphael, der bei den Ausführungen immer düsterer geschaut hatte. Anscheinend schien er es besten Falls wirklich auf einen Streit anzulegen, doch entweder war Zaphikel damit vertraut oder aber klug genug, er schenkte ihm nur eine Grimasse und winkte dann ab. „Also“, unterbrach dann Setsuna die Spannung zwischen ihnen „wir sind immer noch auf der Suche nach Proviant. Ich würde ja auch hier schlafen wollen, aber…“ „Da gibt es kein Aber“, mischte Uriel sich ein und streckte sich nun ausgiebig. „So sicher waren wir seit Tagen nicht und zu viert haben wir eine mehr als ausreichende Wache. Immer zwei, dann muss im Fall der Fälle nicht immer der geweckt werden, der gerade schläft. Oder etwa nicht?“ Das war weniger eine Frage als ein Entschluss, aber auch die beiden „Neuen“ schienen ähnlicher Ansicht zu sein, denn mehr als ein müdes Nicken folgte nicht von ihnen. „Es wird eh bald dunkel und draußen stromern noch genug herum“, meinte Zaphikel, fuhr sich durch das dunkle Haar. „Wir sollten trotzdem noch einmal schauen, ob wir auch wirklich alleine sind… wir hatten schon einige unangenehme Momente, in denen wir uns sicher gefühlt haben. Und weil wir klüger sind als jeder Horrorfilmregisseur auf dieser verdammten Welt werden wir uns nicht aufteilen oder fragen, ob da jemand um die Ecke lauert.“ „Klingt vernünftig, bin dabei.“ - „War das Zufall, dass wir uns getroffen haben?“ Raphael schaute bei der Frage auf, spielte dann jedoch wieder mit dem Messer herum, welches Uriel ihm nach einigem Zögern überlassen hatte. „Wir haben nach niemandem Ausschau gehalten, wenn du das meinst. Ich war froh, eure Stimmen gehört zu haben und du hast nicht gerade wie jemand reagiert, der einem sofort das Hirn wegpustet. Eher so, als habe man dir das schon öfter angedroht.“ „Verrückte Zeiten.“ Ein bestätigendes Nicken, sie hatten ein paar der Pappwände abgerissen und vor die Fenster gestellt, sodass immerhin das Licht einiger Kerzen zwischen ihnen flackern konnte, ohne dass man von der Straße aus sofort Verdacht schöpfte. „Ist doch komisch“, begann dann der Blonde dieses Mal und legte das Messer neben sich, faltete die Hände im Schoß. „Ich meine… sie waren so dicht hinter uns und wir haben ja nun kein festes Eisentor verriegelt. Hast du nicht auch damit gerechnet, dass sie zumindest versuchen, den Eingang zu durchbrechen? So kenne ich sie gar nicht… Das macht mich nervös, ich hatte mir gerade wieder Sicherheiten aufgebaut.“ Uriel schaute zu ihm, lehnte dann den Kopf an die Wand hinter sich und schloss die Augen, seufzte leise. Es war mitten in der Nacht, die Sonne war vor Stunden untergegangen und die Uhr an seinem Handgelenk ließ eine vage Vier erahnen. Sie hatten sich bereits abgewechselt, nachdem Setsuna und Zaphikel die erste Schicht übernommen hatten was bedeutete, dass er ab jetzt bis zum nächsten Abend durchgehend wach bleiben würde. „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, mir kam das auch alles viel zu einfach vor. Wenn ich es ihnen intellektuell zutrauen würde, könnte man das hier für eine Falle halten aber dazu scheinen sie mir ehrlich zu hirnlos.“ „Trotzdem sollten wir morgen wieder aufbrechen. Ich fühle mich zu unsicher, wenn etwas nicht Verdächtig ist.“ Er konnte das nur nickend bestätigen und wie er befürchtet hatte stellte Raphael sich im Laufe der Nacht als ziemlich intelligent heraus. Kaum zwanzig Jahre alt, mitten im Medizinstudium und mit einer gesunden Portion Selbstbewusstsein bestückt. Er schien einen ziemlichen Komplex gegenüber dem verschwundenen Rothaarigen entwickelt zu haben, was sich in übertriebenem Beschützerinstinkt äußerte. Der Einzige, der ihm dabei im Weg gestanden zu haben schien war der ältere Bruder, an dessen Seite der Jüngste wohl klebte. Wie auch er schloss Uriel nach all den Beschreibungen aus, dass die drei voneinander getrennt wurden und eine wirklich nennenswerte Spur konnte er leider auch nicht beitragen. „Tut mir Leid, dass eure Freunde verschwunden sind“, brachte er dann hervor und schaute hin und wieder zur Tür, die sie die ganze Nacht im Visier behielten. Neben ihm zuckte der andere mit den Schultern. „Wir finden sie schon, das sind verdammt zähe Burschen.“ „Und du? Bist du auch so zäh?“ Er wollte ihn nicht verspotten, doch scheinbar fasste es sein Gesprächspartner vorerst so auf, weswegen er kurz die Nase rümpfte, dann den Kopf von einer Seite auf die nächste abwog. „Ich würde mich nicht als lang ersehnten Helden bezeichnen. Wenn ich muss, kann ich mich zur Wehr setzen aber eigentlich muss ich es nicht haben, an vorderster Front zu stehen und alle Kampfbereitschaft auf mich zu ziehen. Ich hab kein Problem damit mir die Hände schmutzig zu machen aber der toughe Part sollte doch bei denen bleiben, die ihn ausfüllen können.“ Er streckte ein Bein und drückte den Rücken durch, schnalzte dann mit der Zunge. „Mein Auftreten würde niemanden in Angst versetzen. Es gibt Menschen, denen ist diese Rolle ins Gesicht geschneidert. Ein einziger Blick und ihr Gegenspieler bekommt weiche Knie. Eine Bewegung in seine Richtung und besagte Knie lassen nach. So bin ich nicht. Zaphikel schon eher, ich nicht.“ „Der?“ Uriel konnte sich nicht helfen aber er musste amüsiert klingen. Nicht, weil er es Zaphikel nicht zutrauen würde, aber… okay, doch. Das tat er wirklich nicht. Raphael lachte leise, was jedoch nicht sehr ehrlich klang und richtete einen Blick auf die beiden schlafenden Personen etwas weiter hinten, in zwei alte Decken eingeschlagen und den Kopf in den Armen. „Warte ab, wenn die Zeit kommt. Er hat uns schon öfter gerettet.“ „Gibt es über ihn auch was zu erfahren?“ „Nicht viel, nichts Großes. Frag ihn bei Gelegenheit selber. Normales Leben bis hierhin, sehr traditionelles, altes Familienleben.“ „Daher der Kimono?“ „Ja und weil er nichts anderes gefunden hat bisher.“ - Die Enttäuschung war gelinde gesagt groß: Nach einem erfolgreichen Start in die Stadt – entgegengesetzt Uriels Meinung war das Gebäude nicht über ihnen zusammengebrochen – hatten sie eine beachtliche Menge von Konserven und abgepacktem Fertigessen gefunden. Frisches Obst war natürlich keines dabei, aber in einem Geschäft hatte die Tiefkühltruhe noch funktioniert und so hatten sie zumindest für diesen Tag Fleisch und Gemüse gefunden, was sie bis spätestens zum Mittag verwenden wollten. Dann jedoch viel der Rest ihrer Ausbeute ziemlich kläglich aus, immerhin hatten sie eine Hose und ein schlichtes Shirt für Zaphikel gefunden, welcher den Kimono dankbar weggesteckt hatte. Begegnungen mit Zombies gab es wenige, vereinzelte. Wenigstens schienen ihre neuen Partner – man wurde sie ja nicht los, wenn man sie einmal an den Hacken hatte – ebenso deutlichen Respekt vor den Untoten zu haben, denn auch sie liefen lieber, statt sich idiotisch in den Kampf zu stürzen. Was nicht bedeutete, dass sie es nicht doch schafften; Raphael traf sehr zielsicher mit seinem Messer unter den Kiefer eines Zombies und schob es bis nach oben durch und Zaphikel erledigte einen weiteren mit einem gezielten Schuss. Setsunas Baseballschläger war ebenso vom Blut benetzt und Uriel büßte ebenso zwei Patronen ein, aber immerhin ließen sie so allmählich die Stadt hinter sich. „Ein Auto wäre eine gute Lösung, meint ihr nicht auch?“, ächzte Zaphikel, der das Gewicht der gefundenen Nahrungsmittel geschultert hatte und nunmehr seit vier Tagen vehement Hilfe ausschlug. „Ich meine… hat wer einen Führerschein? Braucht doch eh keiner mehr. Es liegen so viele rum und Benzin ziehen wir uns einfach wo raus.“ „Klingt ganz gut, laufen nervt ziemlich und mit einem Auto wären wir zudem auch sicherer.“ „Keine schlechte Idee“, räumte auch Uriel ein, aber er kannte die Realität: Gute Autos waren längst weg. Natürlich half jeder schnell zurückgelegte Kilometer aber wenn sie in einen Schwarm gerieten und ausgerechnet dann die Kiste versagte… na, danke auch. „Wenn wir wirklich was Gutes finden. Wir nehmen aber nicht die nächste Schrottkarre.“ Ein kleiner Hieb in die Seite und Setsuna hatte seine Aufmerksamkeit gewonnen. „Aber Uriel. Du bist ein Autonarr? Sag das doch gleich. Wir finden sicher was Cooles. Mit Bodenbeleuchtung?“ „Genau, Essen auf Rädern“, maulte er zurück und schüttelte den Kopf, ließ dann seine Hand über den gespannten Maschendrahtzaun gleiten. Als er sie ausstreckte, legte Setsuna einen Seitenschneider hinein und so arbeitete er sich durch das Geflecht. „Hoffentlich kommen wir bald zu irgendetwas, das annähernd an einen Fluss erinnert. Ich muss mich dringend waschen“, seufzte Raphael von der Seite und rieb sich über die Augen, schaute einmal die Straße hinab, die sich schier endlos vor ihnen erstreckte. „Sieht schlecht aus. Ich hab eine ungefähre Ahnung, wo wir sind und ehrlich gesagt meine ich, dass wir mindestens zwanzig Kilometer freie Straße vor uns haben. Kein Unterschlupf, nichts zum Übernachten – deswegen: Auto. Stehen doch genug rum, wir können immer noch wechseln. Guck, da.“ Natürlich gab es davon genug und wenn er mit seiner Sorge alleine war, würde Uriel eben nachgeben und sie besten Falls in der Hölle für die Ewigkeit mit „Ich hab’s euch ja gesagt“ belehren. Er nickte also, zuckte danach jedoch mit den Schultern. Zaphikel rollte mit den Augen, spazierte dann zu den verwaisten Fahrzeugen und inspizierte sie von innen: Einmal fiel ein Schuss, von dort entfernte er sich jedoch schnell wieder. „Wenn du weiter rumballerst, kommen die anderen auch bald angerannt.“ Raphael folgte ihm langsam, machte sich aber nicht die Mühe, dort hineinzuschauen. „Bin ja schon fündig geworden. Hey, Knirps. Hilf mal mit.“ „Wer? Ich?!“ „Klar du, bis Michael wieder da ist, bist du der Knirps. Raphael, wenn du mich erschießt hören die anderen das und kommen bald angerannt.“ „Dann halts Maul.“ Setsuna schnaufte, kam der frechen Aufforderung aber nach und nahm den dünnen Schlauch entgegen, schaute dabei höhnisch auf den Schwarzhaarigen. „Was hast du eigentlich nicht in deiner Tasche, hm?“ „Was zum Vögeln. Gib her jetzt.“ Es dauerte nicht lange, dann hatten sie einige der Tanks geleert und einen recht beträchtlichen Vorrat an Benzin gewonnen – Kanister waren das geringste Problem, wenn überall Autos herumstanden. „Da. Stabil, geräumig und nicht so sperrig. Sonst noch Wünsche, oh mein Kapitän?“ „Warum ein Minivan? Ich find den nicht sehr wendig.“ „Lass mich fahren, dann siehst du es ja.“ Das schien eh schon geklärt zu sein, denn in Zaphikels Hand lag der Schlüssel. Bereit, diesen wieder abzugeben, schien er keines Falls zu sein und so ergab Uriel sich seinem Schicksal und nahm im inneren des Wagens Platz, streckte die Füße aus. Raphael gesellte sich zu ihm, woraufhin Setsuna den vorderen Platz mit einnahm und unerwartet Pflichtbewusst den Sicherheitsgurt anlegte – immer noch besser als aus der Scheibe zu fliegen. - „Glaubt ihr den Mist von der sicheren Zone in Tokyo?“ Das war Raphaels Stimme, die nach über einer halben Stunde die Stille wieder durchbrach. Sie hatten sich an einer Art Baggersee niedergelassen und die gewünschte Körperpflege betrieben und spätestens jetzt war Uriel sich sicher, dass Raphael ein wirklich attraktiver Mann war – so ganz ohne Dreck und frisch gewaschen. „Ich glaube, gerade Tokyo ist eine Todesfalle.“ Setsuna hatte sich in die Sonne gesetzt und sein kurzes Haar war bereits jetzt wieder trocken – ein Zustand, von dem Uriel in den nächsten Stunden träumen durfte. „Denke ich auch“, bestätigte Raphael dann die eigene Frage und schien froh, dass nicht nur er es so sah. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo wir nun hinsollen“, meinte Uriel und setzte sich neben Setsuna, band sich die Stiefel wieder fest. „Eine Aufgabe ist ganz schön und gut aber ich wäre gerne an einem sicheren Ort, von wo aus wir auch etwas leben können ohne Gefahr zu laufen, in Stücke gerissen zu werden.“ „In den Filmen gibt es immer eine sichere Stadt“, murmelte Setsuna und blickte auf seine eigenen Füße, als ein verächtliches Schnauben ertönte. „In den Filmen erinnert sich die Protagonistin auch trotz Gedächtnisverlust an ihre Kung-Fu Fähigkeiten. In den Filmen überleben Freunde und Familie. Wir haben ja nicht einmal einen Bösewicht, gegen den wir kämpfen. Nur diese sabbernden Mistviecher.“ „Das waren mal Menschen.“ Zaphikel blickte verträumt in den Himmel, dann wieder zum Rest. „Ich meine… wie krass ist das? Richtige Menschen und wir töten sie, wenn wir nicht anders können… oder sie fressen uns. Ich hätte nie gedacht, zu was ein Kiefer in der Lage ist.“ „Das kann ich dir gerne erklären aber mehr als siebzig Kilo kannst du damit locker reißen. Knochen sind da wirklich kein Hindernis, Haut und Fleisch schon gar nicht… wenn du wolltest, könntest du dir selber die Finger abbeißen.“ Einen Moment lang blickte er Raphael mit einer Mischung aus Ekel und Abneigung an, rümpfte dann die Nase. „Ich verzichte, mag meine Finger.“ Ein Schulterzucken, dann wandte der Blonde sich wieder ab und bohrte seinen Finger in den feuchten Boden, an dem sie sich gerade befanden; dann horchte er auf und auch Uriel war sich sicher, sich nicht verhört zu haben: Stimmen. Und zwar solche, die gerade an ihrem Auto plünderten! „Hey!“ Zaphikel sprang auf und rannte den kurzen Hang hinauf, dicht gefolgt von den anderen drei, als sie zwei Männer erblickten, die sich schon an ihren Rucksäcken zu schaffen gemacht hatten und jetzt gefährlich auffällig Blickkontakt mit dem Schlüssel im Zündschloss gefunden hatten. Mit einem bedeutungsschwangeren Klicken legte Zaphikel den Bügel seiner Waffe zurück und zielte dem ersten auf die Stirn, als auch der Rest ankam. Uriel baute sich unbewusst zu seiner vollen Größe auf und trat an die Seite des Schwarzhaarigen, blickte auf den Älteren mit den weißen Haaren, über dessen Gesicht ein fahles Grinsen huschte. „Nett von euch, für uns zu sammeln.“ „Katan, die haben Knarren… komm jetzt.“ „Schnauze, Voice! Das ist ein Jackpot, den lass ich mir nicht entgehen!“ „Die haben Knarren!“ „Hör auf deinen kleinen Kumpel, Missgeburt.“ Zaphikel hatte scheinbar etwas wie persönlichen Besitz an diesen Dingen angemeldet und schien nicht bereit, dieser so schnell wieder abzugeben - nur gern, Uriel hatte sich auch an den Gedanken gewöhnt, ein Abendbrot zu bekommen. Ob er wirklich schießen würde? „Ihr würdet echt auf Überlebende schießen?“ Dann ging es ziemlich schnell, denn der andere Dieb nahm plötzlich die Beine in die Hand und rannte die offene Straße hinab , als der Mann mit Namen Katan nach hinten schaute und einen unsicheren Schritt zurück tat, als sich schon die ersten Zähne in seinen Arm gruben. „Scheiße!“ Uriel trat einen Schritt zurück und verfluchte die Felswand, die die weitere Sicht versperrt hatte – wo kamen die denn plötzlich her? Schreie drangen durch die Luft, ein zweiter Untoter, ein weiterer… ein schneller Blick um die Ecke verriet mehr als beide Hände voll und ihr Auto war leider vollkommen umzingelt. In Fluchtrichtung des Jungen mit Namen Voice sah man auch jemanden heraneilen, was ihre Chancen gerade deutlich verschlechterte; auch, wenn Zaphikel schnell schaltete und zwei von ihnen anschoss, traf er leider nicht ihren Kopf und so blieb ihnen fast nur die Flucht ins Wasser. Und dann lachte jemand; höhnisch, eigentlich nicht sehr laut und unter den Schreien von Katan schnell zu überhören. Es war allerdings ein so absurdes Geräusch zu dieser wirklich grauenhaften Szenerie, dass es herausstach wie mit Neonfarben gemalt. „Ihr seid ja ganz schön am Arsch, was?“ Kapitel 3: 3 ------------ Viel erkannte man nicht da nun einmal auch die Sonne blendete, wie es sich für solche Momente gehörte, aber die Stimme veranlasste Raphael dazu, Setsuna an der Schulter zu packen und nach hinten zu drücken, um sich dann schnell an ihm vorbeizuschieben und einen gefährlich unüberlegten Schritt nach vorne zu tun, bis Uriel ihn noch geistesgegenwärtig packte und festhielt. Ein paar schnelle Schüsse ertönten, dann fiel ein Großteil der fressenden Menge zu Boden. Der letzte verlor seinen Kopf mit einem sauberen Hieb, was scheinbar von der Stimme auf dem Vorsprung ausgeführt worden war. Dort stand… ein Kind. Nicht ganz Kind, aber doch zu jung um als Erwachsener durchzugehen. Ob die Pubertät schon zugeschlagen hatte, war ebenso fraglich aber Raphael riss sich nun endgültig vor und lief schnellen Schrittes auf den Jungen zu – rote Haare, klein… das kam Uriel doch ziemlich bekannt vor. Gegenwehr zwecklos, er zog den Kleineren zu sich heran und schloss die Arme um ihn, was mit einem entnervten Grollen gegen Raphaels Brust beantwortet wurde. Er wehrte sich nicht, erwiderte aber auch nichts und ließ sich etwas sentimental durch die roten Haare streicheln, als auch die anderen beiden Gestalten auftauchten; aha. Das waren also die Freunde von Zaphikel und Raphael. Sie hatten ihre Beschreibungen ziemlich genau getroffen: Der Blonde hatte eine Zigarette in der Hand, über der Schulter ein Gewehr und wirkte nicht wirklich wohl genährt. Der andere hatte ein verboten hübsches Gesicht, schaute scheinbar desinteressiert auf die Szene zwischen seinem kleinen Bruder und Raphael, der inzwischen mit dem Ellenbogen weggeschoben worden war. „Das sind eure Kumpel?“ Setsuna blickte zu Zaphikel, der sich wieder etwas entspannte und seine Waffe sicherte. „Kennst du sonst noch wen, der wie die Village People aussieht?“ „Wie kam der da oben drauf?“, überging Set die Aussage zu seiner eigenen Sicherheit, denn die Augen des Rothaarigen durchbohrten ihn gerade. Entweder lag es am Lichteinfall oder aber er hatte wirklich diese goldene Farbe in der Iris, wie sie auch die Untoten trugen. „Ist vermutlich hochgeklettert. Sei froh, dass er nicht auf deinen Schultern stand.“ „Aber…“ „Vergiss es, da steigt keiner hinter. Ey Kira. Wo wart ihr? Wer ist verblutet?“ Der Dunkelhaarige nahm seine Zigarette aus dem Mundwinkel und schaute zu Zaphikel. Entweder hielt sich seine Wiedersehensfreude in Grenzen oder aber er feierte dies innerlich. Ganz tief versteckt. „Keiner, mussten aber weiter. Riesiger Angriff und ich wollte den Zombies ersparen, Michael von der Leine zu lassen.“ „Schnauze“, fauchte der Kleine, schüttelte dann Raphaels bemutternde Hand ab und wischte seine dreckige Klinge am Hosenbein ab. Ein schmales Lächeln umspielte die Züge des Älteren, welcher schließlich einige Schritte auf die für ihn Fremden zuging und dann die Hand ausstreckte. „Sakuya Kira.“ Trotz der sich überschlagenden Gedanken erfasste Uriel dessen Hand und schaute in braune, kühle Augen hinein. Er hatte sich mit dem Gedanken abgefunden, Zaphikel und Raphael in ihre kleine Gruppe aufzunehmen und würde vermutlich auch mit den anderen Dreien auskommen, aber wollten die das überhaupt? „Haut ihr nun etwa ab?“ Das war Setsuna und innerlich dankte er ihm gerade für sein vorlautes Mundwerk, dann blieb ihm diese Fragerei zumindest erspart. Raphael löste seinen Blick von dem Jungen neben sich und schaute zwischen den Personen umher, ehe er letzten Endes bei Sakuya hängen blieb. Dieser nahm seine Zigarette aus dem Mund, warf den letzten Rest zu Boden und lächelte entwaffnend, hob dann nur sachte die Schultern an. „Ich lade mich nirgendwo selber ein.“ „Aber wir euch. Ist doch so?“ Setsuna blickte zu Uriel, der wieder die Nase rümpfte und versuchte, hinter die Köpfe der drei zu schauen, dabei jedoch kläglich scheiterte. „Die wollen uns nicht, Mann.“ Auch der letzte der Fremden – Yue, richtig? – warf nun seine Zigarette zu Boden und trat drauf herum, überwand dann die letzten paar Meter zu diesem Sakuya und legte ihm einen Arm um die Schultern. „Komm, Kira. Lass uns abhauen. War eh dagegen, extra nach denen zu suchen.“ „Warum hast du es dann getan?“, kam die überraschend bissige Antwort von Raphael, der nun auch einige Schritte auf sie zugegangen war, sodass nun alle – außer dem Kleinsten – recht nah beieinander standen. „Weil ich den nächsten Tag sonst nicht erlebt hätte.“ Dabei glitten Yues Augen zu Michael, der übertrieben interessiert um die abgeschlachtete Menge herumtigerte. „Was stimmt nicht mit ihm?“, wollte Uriel dann wissen, weil einen potenziellen Psychopathen er in ihrer kleinen, heimeligen Familie nun wirklich nicht gebrauchen konnte. „Nichts, was soll sein?“ Okay und dieser Sakuya gefiel ihm auch nicht, er mochte zwar eine ruhige Art haben, aber eine unterschwellige Drohung meinte er schon erkennen zu können. Oder er wollte es einfach, darüber ließ sich nun sicherlich streiten. „Mika-Chan.“ Raphaels Stimme wurde nicht erhoben, er schaute auch nicht extra zu dem Angesprochenen, doch der zuckelte nun gelangweilt rüber, schob die Hände in die Hosentasche und wenn es die Situation zugelassen hätte, würde er gelangweilt auf einem Kaugummi kauen. Uriel widerstand dem Drang nun das Gesicht zu packen und ihm zuzuwenden, damit er noch einmal in diese Augen sehen konnte aber bisher schien ja alles in Ordnung zu sein. Und sollte sich rausstellen, dass der Junge infiziert war, würde er ihn mit Vorliebe erschießen. Ein kurzer Seitenblick an Setsuna, er war kein Anführer und eigentlich roch das alles ziemlich nach einer Falle. Zu verlieren hatten sie nur ihr Leben und was war das schon noch wert? Die Hoffnung auf einen Sieg über alles was keuchte und fraß war nur bedingt vorhanden, also… „Wenn ihr wollt, kommt halt mit. Aber ich behalt euch im Auge.“ „Ja, großer Häuptling.“ Das war der Blonde, welchen Uriel mit bösen Blicken strafte, sich aber nur eine Grimasse einhandelte. „Yue, oder?“ „Nur Kato. Reicht vollkommen.“ „Aha. Na dann… und du Kira?“ Ein Anflug eines neuen Lächelns bestätigte diese Aussage, dann wandte er sich wieder dem Rothaarigen zu, der noch immer gelangweilt in die Gegend starrte. „Ich denke, Mika-Chan darf ich dich nicht nennen.“ „Wenn du deine Eier behalten willst, nicht.“ Er fing sich einen ziemlich lauten Klaps von seinem großen Bruder an, strafte diesen mit einem Blick, bei dem Uriel sich gerne freiwillig in die nächste Horde gestürzt und gelacht hätte, sobald sie ihn zerrissen. Das konnte ja noch sehr spannend werden, hoffentlich kamen nicht noch mehr Leute. Wie zu erwarten war ihr Auto nämlich jetzt schon reichlich gefüllt, immerhin trugen ihre neuen Familienmitglieder auch Rucksäcke und anderweitige Taschen mit sich herum, die verstaut werden wollte. Sitzplätze waren da ein anderes Thema aber wie zu erwarten wurde Uriel mit seiner „Masse“ nach vorne verdonnert, ebenso wie dieser Saku- Kira, der sich das Steuer ergatterte. Setsuna schien weniger Probleme damit zu haben, sich mit dieser Situation abzufinden und so war er derjenige, der sich auf die zweite Rückbank setzte und dem Streit, wer denn den unliebsamen Platz in der Mitte bekam, entzog. Ein beliebtes Opfer war natürlich der Kleinste aber entgegengesetzt Uriels erstem Eindruck schien das „Kind“ sich ziemlich gut durchsetzen zu können – was an dem Messer liegen mochte, dessen Spitze sich rein zur Interessenvertretung in Raphaels Hals bohrte. Der gab dann auch auf und rutschte in die Mitte, was vielleicht auch ganz gut war denn Zaphikel schien spontan entschieden zu haben, zum Mörder zu werden und irgendwie den zierlichen Hals dort umzudrehen. „Wenn nicht gleich Ruhe ist, kriegt ihr alle was aufs Maul. Kato, schwing dich in die Karre.“ „Was, nach ganz hinten etwa? Vergiss es, Kira!“ „Ich kann dich auch an die Stoßstange anbinden, wenn dir das lieber ist.“ „Das kriegst du wieder, Mann! Rück mal.“ Es hatte nun auch kaum fünf Minuten gedauert, eine halbwegs vertretbare Sitzordnung zu schaffen, einige schmollten dennoch aber wie gesagt… das Wunschkonzert war vorbei. „Beschwert euch nicht und seid froh, dass wir mitdürfen.“ Kira startete den Wagen, fuhr dann mit einem Ruck an und ließ sie über den Asphalt sausen, was allmählich Ruhe reinbrachte. Zumindest ganz hinten, in der Mitte brodelten noch immer zwei Kriegsfronten, zwischen denen Raphael neutral wie die Schweiz als Aggressionspuffer diente. Uriel warf einen Blick zurück, wandte sich dann aber an ihren Fahrer und ließ es sich nicht nehmen, auch den zu mustern, wie er es bei jedem Neuen tat. Bisher schien nur dieser Kato halbwegs lesbar, vermutlich war bei ihm intellektuell nicht viel zu erreichen aber das war nur ein Vorurteil basierend auf der Information, dass er gerne mal an illegalen Substanzen zu ziehen schien. Und sein Auftreten, aber so reagierten die Meisten heute. Michael war in seinen Augen eine Gefahr – ob für sie oder die Zombies sei dahingestellt, aber gerade diesen würde er besonders unter Beobachtung stellen. Das Messer sollten sie ihm vielleicht wegnehmen – immer noch fraglich, wie damit ein menschliches Genick überwunden werden konnte – und irgendwelche Substanzen besorgen, um ihn ruhig zu stellen aber irgendwas war da zwischen ihm und Raphael. Oder ging das nur von Raphael aus? Vielleicht interpretierte Uriel auch zu viel in die Umarmung vom Anfang hinein, der Spitzname könnte auch dazu da sein, ihn zu ärgern. Der ältere Bruder war ein Buch mit sieben Siegeln und fünfzehn dazugehörigen Schlüsseln, verteilt auf alle Kontinente dieser Welt. Es war ziemlich deutlich, dass er die Gruppe lenkte und zur Not auch die Oberhand gewinnen würde, aber genau das störte Uriel; undurchsichtige Personen, in deren Verhaltensweisen er nichts lesen konnte. Er wollte ihn durchschauen und besten Falls in der Hand haben, aber das würde wohl mehr Arbeit werden als gedacht. „Wo fahren wir eigentlich hin?“, holte ihn dann die Stimme seiner Fundgrube aus Kuriositäten zurück ins Hier und Jetzt, woraufhin er sich ertappt fühlte und wieder nach vorne schaute; ja, er hatte ihn angestarrt und nein, Uriel hegte keine tieferen Gefühle für Männer. „Wir haben kein Ziel… Wenn du einen Vorschlag hast, wo wir vorerst sicher sind… Nach Möglichkeit sollten wir aber nicht zu abgeschnitten sein, Proviant ist immer eine knappe Sache.“ „Wie viel Benzin habt ihr? Dann sollte die Nahrungsmittelbeschaffung nicht das größte Problem sein.“ „Vorerst genug. Ideen?“ „Hm…“ Scheinbar nicht, das war schade aber zu erwarten, er wusste es ja selber nicht und so lehnte er sich geschlagen zurück in den Sitz, zuckte aber wieder nach vorne, als etwas gegen seinen Rücken prallte. Ein Blick nach hinten verriet, dass es Füße waren – wem sie gehörten, musste ja nicht extra erläutert werden. Oh nein, er würde sich nicht auf diesen Streit einlassen und blieb dann eben gerade sitzen. Das Kind würde er schon noch erziehen. Kapitel 4: 4 ------------ „Sieht ganz gut aus. Jemand dagegen, wenn wir umziehen?“ Sie hatten keinen Unterschlupf, dafür aber genug Autos gefunden, an denen sie ihren ohnehin ansehnlichen Benzinvorrat erweitern konnten. Letzten Endes war dann dort ein Wohnmobil, in dem wenigstens ausreichend Platz war. Außerdem konnten sie sich beim Fahren abwechseln und etwas Schlaf finden, während sie dennoch weiter fuhren. Wobei Uriel noch Setsuna greifen würde, damit sie eines regeln konnten: Einer von ihnen würde stets wach bleiben. „Lass mich fahren.“ „Nur über meine vermoderte Leiche“, fasste er dann Gesprächsfetzen der beiden Geschwister auf und beobachtete, wie der Schwarzhaarige den Kleineren nachdrücklich in das Wohnmobil schubste, selber die Schlüssel in der Hand behielt und mit der anderen einen Rucksack hineinwarf. Raphael und Zaphikel kamen mit dem letzten Rest ihres Proviants und der Blonde unterdrückte nur mühsam ein Gähnen. „Was dagegen, wenn ich eines der Betten belege? Uriel, du auch? Bist doch auch schon länger wach.“ „Aber nicht müde, danke. Mir egal, geh doch.“ Raphael zuckte mit den Schultern, trat dann ebenfalls ein. „Mika-Chan? Willst du mit mir schlafen? In einem Bett! Nicht, was du denkst pack das Messer weg!“ Kato sprang hinterher und Uriel warf einen entgeisterten Blick auf Sakuya, bei dem man nun nicht sagen konnte ob er sich amüsierte oder zu Tode langweilte. „Was läuft zwischen den beiden?“ „Eine ziemlich einseitige, von Raphael ausgehende Beziehung. Find es selber raus, ist nicht sonderlich schwer.“ Ermutigend klopfte er ihm auf die Schulter und stieg dann ebenfalls ein, während Uriel das Schlusslicht bildete und die Tür hinter sich zuzog. Platz hatten sie ausreichend – insofern sieben Personen gerne zusammenrückten, doch eine andere Wahl hatten sie nun einmal nicht. Der Platz neben Sakuya wurde von dessen Blondine belagert, Raphael hatte sich eines der Betten über der Fahrerkabine zu Eigen gemacht. Setsuna und Zaphikel schienen sich aneinander gewöhnt zu haben und saßen zusammen an einem Tisch, wobei sie die auffallende Beinfreiheit zu genießen schienen. Michael indes hatte sich wohl doch für die Variante Schlaf entschieden und auch wenn Uriel das Bedürfnis hatte ihm dort hinauf zu helfen, hielt er sich doch zurück und konnte dann beobachten, wie der Junge erschreckend schnell zu Raphael kroch, dessen ausgestreckten Arm aber mit einem Tritt begegnete und sich stumm auf die Seite legte und Uriel damit den Rücken zudrehte. Für Raphael kein Problem, denn dieser hatte ein ziemlich breites Spektrum positiver Gefühle durchlebt, seit er Michael wieder zu Gesicht bekommen hatte. Von Erleichterung über Freude, positiver Sorge, eine geweckten Beschützerinstinkt und nun auch Erregung war alles dabei – letztes wäre ganz gut, wenn es dem Rotschopf verborgen blieb, denn Körpernähe war so gar nicht sein Ding. Das wurde auch deutlich, als er nach vorne griff und eine von Michaels Haarsträhnen zwischen den Fingern gleiten ließ, dieser ihn dabei automatisch ansah als würde er ihm sämtliche Darminfektionen dieser Welt wünschen und schließlich den Kopf wegbewegte. Auch das Lächeln erwiderte er nicht, schaute nur umso bissiger. „Ich bin froh, dass du lebst“, murmelte der Blonde etwas sentimental und fing sich gleich den nächsten Tritt Richtung Magengrube ein, musste aber leise lachen. „Wer soll mich denn bitte gekillt haben?“ „Stimmt, war dumm von mir.“ Er kapitulierte ja nur zu gern, wenn er ihn damit wieder ruhig bekam, rutschte dann aber insgesamt etwas näher. Michael grollte, schloss dann aber die Augen und ließ sich – ungern – ganz an ihn heranziehen. Natürlich ohne nennenswerten Körpermittekontakt. - „Wenn die uns erwischen, schmeiß ich dich raus damit wir Vorsprung haben!“ Das war Katos Stimme, die einen unnatürlich schrillen Ton angenommen hatte, als sie um eine Kurve rasten und kurzfristig den Kontakt mit allen vier Reifen am Boden verloren. Zwei waren es ja noch aber das Gefühl sprach gegen eine Wiederholung; die anderen klammerten sich an alles, was ihnen in die Finger kam und wurden von einer in die nächste Ecke geschleudert. Nun hatten sie bei einer kurzen Pause einmal nicht aufgepasst und schon strömten sie aus allen Richtungen heran, was mehr oder weniger Sackgasse bedeutete. Aber damit war auch zu rechnen, sie hatten unüberlegter Weise nahe der nächsten Stadt gerastet und wurden dann wie Schafe hineingetrieben; es war auch wieder Zaphikel, der das Steuer übernommen hatte und nun mit scharfen Kurven viel zu enge Pässe meisterte. „Links!“, rief Setsuna und grub seine Finger an der Tischplatte fest, ehe sein Kopf gegen Uriels Arm prallte. „Da kommen wir nie wieder raus!“ Trotzdem bog er ab und jagte in die Tiefgarage hinein, ließ just in dem Moment ein „Fuck!“ hören und blickte in den Seitenspiegel, presste die Lippen aufeinander. „Okay“, ertönte es plötzlich unpassend sachlich von Kira, welcher das Magazin seiner Waffe prüfte und sie dann wieder entsicherte. „Das wird unser vorläufiges Zuhause. Freiwillige vor, das Gitter muss runter.“ Ohne weiter Zeit zu verschwenden stand der Rothaarige auf, schlenderte sichtlich gelangweilt zur Tür und trat diese dann mit einem gezielten Tritt auf. Vermutlich wäre er auch so herausgesprungen, aber Zaphikel bremste ab und Michael verließ das Wohnmobil mit zum Abschied erhobener Hand, in welcher sein Messer lag. Dramaturgisch wäre es wohl besser gekommen, wenn ein dramatischer Glanzstreifen die Schärfe betonte und an der Spitze zu einem funkelnden Punkt verschmolz, aber all das getrocknete Blut machte diesen Umstand ziemlich schwer. Sakuya folgte diesem Beispiel, direkt nach ihm Kato und weil er ihnen wie gesagt nicht vertraute, machte auch Uriel sich auf den Weg, wobei er sich an die beiden Älteren hielt – hauptsächlich deswegen, weil Michael spurlos verschwunden war. „Okay Etage für Etage. Ich will keine Nachlässigkeiten und sichere Gebiete müssen wir irgendwie sperren, auf Katz und Maus hab ich keine Lust.“ Und dann war da dieser Moment, in dem der Aberglaube zuschlug: War es nur der Glaube, dass er den Luftzug der Patrone an seiner Wange spüren konnte oder war dies tatsächlich so? Zumindest blickte Uriel fast direkt in den Lauf des Revolvers, als hinter ihm ein Körper zusammenbrach. Mit einem schnellen Blick über die Schulter konnte er den Untote – die Untote – zwar nun sehen, aber bemerkt hatte er sie zuvor nicht. War er etwa so unvorsichtig geworden? Vielleicht sollte er nicht seine ganze Aufmerksamkeit auf Sakuya und dessen Anhänger werfen, das könnte ihm letzten Endes wirklich noch das Leben kosten. „Du willst alle töten?“, kreidete er dessen Idee nun auch direkt an und beobachtete, wie Kato eine Axt in den Händen hielt, diese locker bewegte. Nun… er hatte diese Leute wirklich unterschätzt. „Ist es dir lieber, wenn wir an ihre Stelle treten?“ Auch Sakuya schien sich nach einer anderen Waffe umzusehen, dann trat er ein paar Schritte vor und wühlte in einem der zahllosen Schutthaufen überall in diesem Land; hier hatten also auch schon Menschen ihr gescheitertes Glück versucht. Eine Eisenstange kam zum Vorschein, leider nicht spitz aber durchaus zu gebrauchen. Klar, Munition war Mangelware und ausgerechnet in einem Parkhaus sollten sie nicht zu viel davon finden können. „Ich bin kein Fan von denen“, murmelte Kato auch beim nächsten Infizierten und zog seine Axt mit einem unappetitlichen Geräusch aus der gespaltenen Schädelplatte, klopfte kleine Reste am Boden ab. Problematisch waren einfach all die noch hier stehenden Autos; hin und wieder saß nun einmal jemand in diesen oder kam erst aus dem Verborgenen hinaus, wenn sie den Wagen passierten. Ansonsten hielt sich die Dichte der Zombies in Grenzen und bald ging auch das kalte Licht der Neonröhren flackernd an. Michael hatte also den Kontrollraum erreicht – Kammer, Kabuff, wie nannte man es an so einem Ort? – und endlich für etwas Erleuchtung gesorgt. „Wurd auch Zeit“, grollte Kato wieder und ging nun schon das zweite Mal die letzte Reihe der Autos ab, aber diese Etage schien gesichert zu sein – auf welcher Zaphikel mit dem Wagen stand war unklar, aber ein Bisschen fühlte es sich ja an wie in einem Videospiel: Man kämpfte sich Ebene für Ebene weiter nach oben. Dabei war kämpfen wirklich nichts, bei dem Uriel Erfahrungen vorbringen könnte; er lebte eher als aktiver Pazifist, was ihm bisher im Leben eigentlich gereicht hatte. Gewalt war in seinen Augen das Argument desjenigen, bei dem Worte nicht formuliert werden konnten: Die Sprache der Dummen. Aber nun hatte er keine Wahl, Mitleid brauchte er ohnehin nicht haben – das würde ihn vermutlich eine gute Portion Eigenfleisch und seinen klaren Verstand kosten. Auch Sakuya zog seine Eisenstange aus einem eigentlich menschlichen Kopf heraus und ging dann ohne einen letzten Blick zu verschwenden weiter, entlang des Fahrtweges in die nächste Etage. „He!“ Uriel schloss zu ihm auf – inzwischen auch mit einer Eisenstange bewaffnet, die entfernt an einen Industriebesenstiel erinnerte – und tippte den Schwarzhaarigen an, erhaschte so einen kurzen Moment dessen Aufmerksamkeit. „Dein kleiner Bruder rennt da unten rum willst du nicht nach ihm sehen?“ Ein Schulterzucken, was ihn beinahe auf die Palme brachte; das Kind mochte vielleicht manchmal zu fest gewickelt worden sein und überschätzte sich scheinbar gerne, aber ihn alleine mit der Masse zu lassen? Sicher waren einige noch hier eingedrungen. „Mach dir Sorgen, wenn es passiert ist. Der passt auf sich alleine auf. Wirst schon sehen.“ „Und wenn nicht?!“ „Dann werden mich die Vorwürfe und Selbstzweifel quälen und bla, bla, bla. Willst du länger quatschen oder können wir das auf später verschieben?“ Von Kato bekam er einen weiteren Schubser, ehe dieser ihn überholte und mit schwingender Axt um die Ecke rannte. Ja, ihm traute er dies hier ja eigentlich auch nicht zu aber er schlug sich eigentlich ganz gut. Das waren einfach verdammt merkwürdige Leute, mit denen sie es hier zu tun bekamen. Kapitel 5: 5 ------------ „Auf welcher Etage sind wir hier eigentlich?“ Setsuna trat gegen ein halbes Bein und schaute sich bei dem kalten Licht misstrauisch um; nun war er doch alleine mit zwei von den Neuen; genau der Umstand, den er und Uriel umgehen wollten. Allerdings waren es genau die, die auch schon vorher drei Tage mit ihnen verbracht hatten. Da wären die anderen schlimmer. „Dritte Etage. Vielleicht sollten wir einfach die Zugänge nach oben dicht machen, was wollen wir mit so viel Platz?“ Raphael hatte sich auf den Boden des Türeingangs ihres Wohnmobils gesetzt, tastete in seiner Jeans und zog dann eine zerknitterte Schachtel Zigaretten hervor, steckte sich eine davon an. Dafür empfing er weitestgehend Missbilligung von Setsuna, zuckte bei dessen finsterem Blick jedoch nur mit den Schultern. „Hast du dich nicht beschwert, dass die anderen auch rauchen?“ „Bin einer davon“, kam es frech von seinen Lippen, zwischen denen der bläuliche Dunst ausgeblasen wurde. Wirklich entspannt schien er nicht, aber die Gründe dafür häuften sich vermutlich. „Wenn sie alle erledigt haben, sollten wir die Leichen zusammentragen… vielleicht kann man ja wirklich erst hier bleiben und haltet mich für verrückt aber ich finde es etwas ekelhaft.“ Setsuna nickte Zaphikel zu, ließ sich dann aber auf den Boden nieder und begann, den Baseballschläger etwas zu säubern – insofern der Müll am Boden es zuließ, an seiner Kleidung würde er ihn entschieden nicht abwischen, das wäre ja noch schöner. „Mal eine bescheidene Frage“, setzte er dabei an, ohne aufzusehen und vergewisserte sich nicht einmal, ob man ihm überhaupt Gehör schenkte. „Wie haben eure Freunde uns so ganz plötzlich gefunden? Und was stimmt nicht mit denen? ich meine… kein Mensch benimmt sich so, auch zu dieser Zeit nicht.“ „Was soll mit ihnen sein? Sind doch ganz nette Jungs“, meinte Zaphikel, doch sein Tonfall verriet auch anderes. Es schien ihm zu missfallen, dass… dass… ja, was eigentlich genau? Direkte Antworten bekamen sie ja kaum. „Ich lass deinen Freund jetzt mal außen vor“, meinte der Jüngste und warf Raphael einen schiefen Blick zu, der das mit einem weiteren Ausatmen des Tabaks beantwortete. „Aber irgendwie… was ist mit diesem Kato? Tickt der noch ganz gerade? Kira wirkt einfach wie das unberechenbare Genie mit Hang zur Psychose. Eigentlich will ich deinen Freund auch nicht außen vor lassen“, schloss er plötzlich auf und schaute noch einmal zu Raphael, dessen Gesichtszüge sich um eine Nuancen verdunkelten. „Schwere Kindheit gehabt oder was soll das alles?“ „Ich bin immer dafür, dass man Menschen selber kennenlernen sollte. Sie sind in Ordnung und haben und beide unabhängig voneinander aus der Scheiße gezogen, mehr musst du nicht wissen, wenn sie nicht dabei sind.“ „Ja, aber…“ Schritte, bei denen er schnell wieder verstummte und dann ihre kleine Sondertruppe ins Auge fasste, kaum dass diese um die Kurve bogen. Kato entließ ein dankbares Stöhnen und eilte auf Raphael zu, der ihm deutlich missgestimmt eine der Zigaretten überließ. Dann stand der ehemalige Student jedoch auf und spähte auf einen Punkt hinter den Dreien, ehe er Kira ins Auge fasste. „Wo ist Mika-Chan?“ Ein Schulterzucken, dann ging alles plötzlich ganz schnell: Mit einem schnellen Ruck zog der blonde Schönling den anderen… äh… Schönling an sich heran und wenn er gekonnt hätte, würde er ihn mit seinen Augen aufspießen. „Du hast ihn ALLEINE gelassen?! Er ist noch…“ „…ein Kind? Dann solltest du deine sexuelle Neigung überdenken.“ Den Streit schien es nicht das erste Mal zwischen ihnen zu geben, doch Raphael stieß den anderen einfach von sich und lief dann einige Schritte auf der „Straße“ herunter, rief nach dem Rotschopf. Zaphikel folgte ihm ein Stück, sprach dann aber in ruhigem Ton mit ihm und appellierte an den letzten Rest Vernunft. „Der tobt sich nur unten aus und steht gleich hier, um was zu futtern wirst schon sehen. Da gab es weitaus schlimmere Momente, meinst du nicht?“ Ein vorsichtiges Nicken, dann fuhr sich der Blonde durchs Haar und kehrte zum Rest zurück, stierte den großen Bruder unter ihnen allerdings noch einmal bitterböse an. Dieser ignorierte eine neue Anfeindung seiner Person und ließ sich ebenfalls auf den Boden nieder, streckte dann die Beine aus und schien recht zufrieden mit ihrer momentanen Situation zu sein – oder aber er war krank vor Sorge, Uriel konnte es wirklich nicht deuten. „Lasst uns was essen“, kam es diesem deswegen auch unüberlegt über die Lippen und ehe noch Proteste aufflammen konnten, stieg er mit einem Bein in das Wohnmobil und zog einen Rucksack hervor, in dem ein Teil des Proviants gelagert war. „Viel haben wir ja nicht“, gab Setsuna zu bedenken, denn trotz der scheinbaren Masse an Nahrungsmitteln waren sie auch immerhin sieben Leute und die wollten alle für sich etwas zu essen bekommen, da neigte sich ein für heutige Zeiten beachtlicher Anteil schnell dem Ende entgegen. „Zu holen gibt es immer was, wir können morgen in die Stadt aufbrechen und uns wieder eindecken.“ Zaphikel streckte eine Hand aus und ließ sich von Uriel etwas Brot geben, was dann an die anderen verteilt wurde und schließlich auch ein letzter Rest für den fehlenden Michael. Dazu etwas Wasser – es war mehr eine Henkersmahlzeit, doch sie würden vorerst satt werden und ein Feuer ohne entsprechende Utensilien war leider auch nicht machbar; die Gasflaschen im Wohnmobil waren leer. „Wie habt ihr uns gefunden?“, brach es plötzlich aus Uriel hervor, den diese simple Frage einfach nicht loslassen wollte; es war so unwahrscheinlich, ausgerechnet von den drei Personen gefunden zu werden, die sie mehr oder weniger auch gesucht hatten. Und dann gerade rechtzeitig, das hier war kein Actionfilm, in dem in letzter Sekunde die Bombe entschärft und die Menschheit gerettet wurde. Da sich Kato weitestgehend aus dem Gespräch zurückgezogen hatte – und mit Setsuna um ein weiteres Stück Brot rang, so wenig schien er also doch nicht zu essen – fasste er wieder Kira ins Auge, der einen Schluck Wasser trank und den Blick dann ruhig erwiderte. „Wir haben nach euch gesucht. Na ja, nach den anderen beiden aber das hat uns zwangsläufig wieder in diese Richtung verschlagen. Dass ihr die Horde nicht bemerkt hat, kann ich immer noch kaum fassen. Außerdem hat dieser miese Dieb uns einen Großteil unseres Proviants abgenommen, das konnten zwei von uns nicht auf sich sitzen lassen. Dankt ihm.“ Er prostete Uriel mit erhobener Flasche zu, lehnte sich dann nach hinten und stützte sich auf dem Ellenbogen ab. „Kaktus oder wie der hieß? Knast? Katana… irgendwie so…“ „Ja der mit dem weißen Haarschopf.“ „Soll vorerst genügen“, schloss Uriel dennoch unzufrieden und schraubte seine Flasche wieder zu. „Nächste Frage… dein Bruder…“ „Ne…“ Ui, da entwich ihm ein leises, genervtes Stöhnen und Sakuya setzte sich wieder auf. „Lass es doch einfach mal…“ „Es geht um die Augen.“ Man konnte ja viel von ihm verlangen – Fremden vertrauen, die einfach in ihr kleines Duett reinrutschten und dann so viele Dachschäden hatten wie er Blasen an den Füßen, mit einem Wohnmobil durch die Gegend fahren, dessen Gardinen aus Blümchen bestanden – aber garantiert nicht, diese auffallende Tatsache zu ignorieren. „Was soll schon damit sein? Er sieht halt etwas… anders aus, das hat nichts zu bedeuten. Frag ihn selber.“ „Ist ja nun mal nicht da, oder?“ „Dann geh doch suchen“, seufzte er auf und schraubte nun ebenfalls seine Wasserflasche zu, erhob sich und kramte nach einem Stift; die waren in der Tat nützlicher, als man in so einer Situation meinen sollte. Ein Permanentmaker, mit dem er seinen Namen auf die Flasche schrieb und dann einfach ganz ungefragt auch nach denen der anderen griff, diese bekritzelte. „Mich hätte es nun nicht übermäßig gestört“, kam es vom erfolglosen Setsuna, der auch seine Portion mit Kato teilen musste, als dieser ihm mit einem erschrockenen bis angeekeltem Ausruf ein paar Brotstückchen ins Gesicht spuckte: „Mich aber!“ „Meinst du nicht, wir haben größere Probleme?“ „Bäh Bazillen von anderen! Eher verdurste ich!“ „Ist ja gut, man kann sich auch anstellen, oder nicht?“ Es schüttelte den anderen Blonden regelrecht und wie ein Ertrinkender klammerte er sich an die Flasche, die in diesem Ozean aus Sonderheiten seinen rettenden Pol bildete. Setsuna rollte mit den Augen, doch ließ ihn mit sich und seiner Speichelphobie alleine, denn auch ein Streit über beschriftete Wasserflaschen gehörte zur Kategorie „Wir haben größere Probleme.“ - Als Michael dann auch nach geschätzt zwei Stunden nicht zurückkam, lief Raphael beinahe Amok. Wie ein eingesperrter Tiger lief er in einer Spanne von drei Metern immer die gleiche Strecke auf und ab, hatte die Hände in seinen Gesäßtaschen sitzen und setzte sich nur manchmal hin, weil Zaphikel ihm sonst die Knieschreiben rausgetreten hatte; so zumindest dessen Ausführung, was ebenfalls mit einem gereizten Blick beantwortet wurde. Uriel beobachtete das Schauspiel mit gemischten Gefühlen und war sich wieder einmal mehr sicher, dass der angeblich pazifistische Raphael zu einem sehr gefährlichen Mann werden konnte, wenn er es denn wollte. Er hatte bisher nichts unternommen und man könnte nun darüber diskutieren, ob seine sorgenvolle Reaktion nicht eher „verweichlicht“ auszufassen war, aber entweder lag es an seinem allseits beliebtem Misstrauen oder etwas in der Körpersprache des Studenten verriet es Uriel: Dieser Mann war zu vielem fähig, wenn die Entlohnung dahinter stimmte. Und momentan bestand diese aus nichts Geringerem als dem seltsamen, rothaarigen Jungen. „Raphael, setzt dich endlich hin. Davon kommt er auch nicht schneller zurück.“ Schon durchbohrten die kühlen, blauen Augen Zaphikel wie ein Diamantbohrer, was diesen dann letzten Endes seufzen und die Schultern zucken ließ. Im Begriff sich zu erheben stoppte er jedoch, denn nun erhob Sakuya sich, griff nach seinem Eisenrohr und schulterte es wortlos. Der erste Gedanke, der sich in Uriels Kopf Platz schaffen konnte, war: Damit stellt er Raphael nun ruhig. Doch in ihm lebte der Wunsch nach einem sich sorgenden, großen Bruder. Familie war doch so wichtig, gerade in diesen Zeiten und wie es aussah, würde er sich wirklich auf den Weg machen und nach ihm suchen, schaute allerdings noch immer schrecklich neutral, wenn nicht sogar gelangweilt „Freiwillige?“, erklang dann auch schon die Stimme seinerseits und sowohl Raphael wie auch Uriel waren die ersten, die einen entschiedenen Schritt nach vorne taten. Nicht, weil sich der Mann mit der langen Haarpracht um den in seinen Augen psychisch nicht ganz richtigen sorgen würde, aber Kira erschien ihm eine Spur zu desinteressiert und… das war doch noch ein Kind, meine Güte. Setsuna winkte ab, auch Zaphikel und Kato würden sich nicht erheben. Jemand musste schließlich beim Wohnmobil bleiben, doch so untereinander aufgeteilt wuchs das Misstrauen gegenüber dem Rest der Welt wieder; auch sie hatten ihre improvisierten Waffen nahe bei sich liegen. „Wir machen das nur, damit ihr Ruhe gebt“, hörte man dann auch schon Kira einige Meter weiter sagen und in Uriel zerbröckelte die neu gewonnene, positive Kraft, dass die Familienbande etwas zu bedeuten schien. Als er den Mund aufmachen und sich wieder darüber beschweren sollte, drehte sich der andere plötzlich um und schaute ihn an, lächelte auf eine entwaffnende Art und Weise. „Versteh mich nicht falsch. Es ist mir nicht egal. Ich bin mir nur ganz sicher, dass nichts passiert.“ „Und wie kannst du das sein? Überall Untote, kein Lebenszeichen von ihm.“ Eine Antwort blieb er ihm schuldig und drehte sich wieder um, rief dann vermutlich einfach, weil Raphael ihm sonst bald den Hals umdrehen würde, den Namen des begehrten Objektes. Keine Antwort, dabei war die Kabine, in der Strom und Tor geregelt wurden, nur eine Etage unter ihnen. Das Parkhaus war still wie ein Friedhof. Streng genommen hatten sie es auch zu einem gemacht; Leichen türmten sich in Ecken, Körper an Körper. Sicher war auch, dass einige von ihnen nicht die Handschrift der Neuankömmlinge trugen, sondern schon zuvor ihr Leben gelassen hatten. Meine Güte, sie waren eben keine Helden, das ging zumindest Uriel ziemlich an die Substanz. Konnte man hier noch von Mord sprechen? Raphael mobilisierte sich und lief durch einige der Reihen geparkter Autos; zog man die Zombiequote ab, wäre dies hier wohl einer der Orte, an dem noch etwas wie Ordnung bestand. Es sah einfach nicht nach Armageddon aus und wenn sie sich lange genug belogen, würden sie es sicherlich noch selber glauben. Wieder hörte Uriel den Blonden diesen Spitznamen rufen, aber selbst darauf folgte keine Antwort – was ihn in Alarmbereitschaft versetzte, denn nachdem im Auto ein paar Mal diese Bezeichnung gefallen war, hatte Michael ernsthafte Absichten bezogen, Raphael mit dem Sicherheitsgurt zu strangulieren, von seinem tobenden Geschrei mal ganz zu schweigen. „Ruhig jetzt“, erklang Kiras Stimme, als sie sich dem Erdgeschoss näherten. Aus der Ferne sah man bereits den oberen Teil des herabgelassenen Gitters, wobei es einige Schwierigkeiten gegeben zu haben schien; grob geschätzt zwanzig Untote türmten sich vor und hinter dem Gitter, unbeweglich und zu erschreckend hohen Anteilen kopflos. Das konnte er doch nicht alleine geschafft haben, oder? Zumindest musste er noch drinnen sein, er hatte sie wohl kaum von außen erledigt und da dies die letzte Etage war, konnten sie gar nicht anders als fündig werden. Zu ihrem Glück standen dort keine geifernden Gestalten mehr, die schienen sich bei der Aussicht auf leere Bäuche verzogen zu haben – nachdem eben ein nicht unwesentlicher Teil ihrer Kontrahenten abgestochen worden waren. Kira schlich näher und spähte noch einmal in die Ferne, doch niemand war zu sehen. „Michael!“ Damit hatte Uriel nicht gerechnet, denn auch die Stimme des jungen Mannes hatte nun einen gereizten bis minder besorgten Tonfall angenommen; war er sich nun also doch nicht mehr so sicher, ja? „Hör auf mit uns zu spielen und komm raus!“ Wie Raphael zuvor machte Uriel sich daran, die verschiedenen Reihen an Autos zu durchkämmen und vorerst nur darauf zu achten, ob unter ihnen jemand lag. Raphael war in die kleine Kontrollkabine gestürzt, schien aber auch dort nicht fündig geworden zu sein und trat dann in einem kurzen Wutanfall gegen den hiesigen Drehstuhl. Sakuya – Entschuldigung, Kira – suchte nun wie auch Uriel in den Autoreihen und wenn nicht alles täuschte, war der ewig desinteressierte Ausdruck auf seinem Gesicht verschwunden und machte tiefster Anspannung Platz; malmte er mit seinen Kiefern oder lag das am kalten Halogenlicht? „Hier“, hörte Uriel sich plötzlich selber sagen und war selbst erschrocken, wie gedankenlos er durch diese Gänge schlich; es wäre nicht das erste Mal, dass ein Infizierter scheinbar tot herumsaß und plötzlich aufstand, weil die Aussicht auf Futter an ihm vorbeilief. Schnelle Schritte, das war Raphael, der an seine Seite prang und dann in das Fahrzeug blickte; auf einem Sitz eingerollt war der rote Haarschopf das Erste, was von dem Jungen zu erkennen war. Auch Sakuya trat an sie heran, öffnete dann mit einem entschiedenen Ruck die Tür und fasste nach dem Bein des Jungen, um ihn wach zu rütteln. Keine Reaktion und in Uriel leuchtete diese kleine, rote Alarmleuchte auf, die ihn auf etwas Dramatisches vorbereiten wollte. Kapitel 6: 5 ------------ In Raphael scheinbar auch, denn mit einem Mal wurde er kalkweiß und wenn nicht alles täuschte, machte sich ein unverkennbares Zittern in seiner geballten Faust bemerkbar. Auch befeuchtete er seine Lippen schnell, starrte dann auf das kleine Stück, was er über Kiras Schulter vom Kleinsten erkennen konnte. „Michael!“ Wieder ein gereizter Tonfall, die Eisenstange in der anderen Hand wurde fester gepackt – er wollte doch wohl nicht etwa…? „Halt mal“, kam es dann in Richtung Uriel und ehe er sich versah, bekam er besagte Waffe in die Hände gedrückt, damit der andere seinen kleinen Bruder mit einem Ruck aus dem Auto ziehen und nach dessen Vitalfunktionen suchen konnte. Doch viel zu suchen war da nicht, er atmete ganz klar und deutlich und wenn nicht alles täuschte, schien er zu schlafen. Blut klebte überall an ihm und eine letzte Hoffnung blieb, dass es nicht sein eigenes war. Uriel war sich nicht sicher, wie die Beziehung der beiden Brüder untereinander war aber er selber hätte Michael nun getragen – so nicht Kira, der ihn einmal kräftig schüttelte und damit bewirkte, dass der Junge wirklich die Augen öffnete . Da war noch immer dieser stechende, goldene Farbton, der dem Größten unter ihnen einen kalten Schauer bereitete. Eine erste Orientierungslosigkeit verschwand schnell aus seinem Gesicht und machte tiefem Trotz Platz und schon wurde nach den helfenden Händen geschlagen. „Was willst du?“ „Was fällt dir ein, nicht zu uns zu kommen?“ „Nerv mich nicht!“ Mit einem Ruck zog Kira den Jüngeren auf die Beine und umklammerte dessen Handgelenk, was bei Michael latente Aggressionen auslöste; wie ein sich windendes Tier setzte er sich mit aller Kraft zur Wehr, wurde nun aber vom scheinbar nicht minder sturerem Bruder quer durch die Etage geschleift, alle Segel in Richtung „höher“ gesetzt. Raphael atmete vermutlich die Anspannung eines Kriegsgefangenen aus und fuhr sich durch das Haar, ehe er schnellen Schrittes folgte; um nicht alleine doch vor einem eventuell untotem Problem zu stehen, folgte auch Uriel ihnen möglichst schnell und holte die kleine Truppe schon auf den ersten zwanzig Metern ein. Ob sich das angebliche Desinteresse nun in Sorge und letzten Endes Wut verwandelt hatte war schwer zu sagen; Kiras Gesicht nahm wieder diesen eintönigen Ausdruck an, während seine Hand erbarmungslos fest das dünne Gelenk des Rothaarigen umschloss. Die körperliche Unterlegenheit war hier ganz deutlich zu sehen, wobei Uriel sich selber noch weit hinter Michael einstufte – unberechenbare Personen konnten gefährlicher werden als die meisten Straßenkämpfer. „Du lebst also“, hörte man Zaphikels Stimme letzten Endes und endlich ließ auch Kira den Kleineren los, setzte sich kommentarlos wieder auf den zuvor eingenommenen Platz am Boden, ehe er neben sich griff und auch den Rothaarigen nach unten zwang, ihm dann Brot und Wasser in die Hände drückte. „Nerv nicht, iss.“ „Du hast mir gar nichts zu sagen!“ Sah noch jemand die Funken fliegen oder lag das nun an Setsuna, dessen Blick ungläubig auf die beiden Parteien gerichtet war; sah es so aus, wenn Himmel und Hölle sich den Krieg erklärten? „Iss.“ Die Stimmung schien ihm egal zu sein, denn Raphael setzte sich direkt neben den kleinen Rotschopf und dieses eine Wort schien ihn dann doch zu erreichen – wobei er bei jedem Bissen Brot den Eindruck machte, als müsste er eine ganz persönliche Rechnung mit genau diesem begleichen und nutzte seine Zähne als tödliche Waffen. Ein geschlagenes Seufzen von Kato, der ein Steinchen gegen den Kopf des Sorgenkindes schnipste; innerlich hatte er schon lange mit seinem Leben abgeschlossen, warum also nicht? „Dass man immer wegen dir Probleme hat. Wo warst du so lange?“ Ein glühender Blick in seine Richtung, was jedoch wenig Reaktion auslöste – es sei denn, Kato starb gerade wie Uriel innerlich tausend Tode der Angst. „Er hat in einem Auto geschlafen“, informierte Raphael die Runde nun, was für die beiden alten Hasen der sonderbaren gruppe kein Problem darzustellen schien; dann schlief er halt genau dort, wo er gerade noch zig Untote gemeuchelt hatte, wo war schon das Problem? Es war ja nicht so, dass ihre heutige Zeit Gefahren barg, die man sonst nur aus Hollywood kannte, keines Wegs. „Wie, geschlafen?“ Immerhin war Setsuna noch Uriels Ansicht und stellte in Frage, sich einfach mal auf einen Rücksitz zu legen und den Tag ausklingen zu lassen. Fassungslosigkeit stand im Blick des blonden Jungen, welcher sich dann doch nicht ganz traute, nun auch noch am scheinbar sehr dünnen Nervenkostüm des kleinen Terroristen zu rütteln und stattdessen eine Antwort bei demjenigen suchte, der auch mit der Information herausgerückt war. Raphael jedoch zuckte nur die Schultern und schaute noch einmal zum genervt kauenden Michael, der jedoch einen guten Teil von seinem Brot übrig ließ, dann von Kira am Bein angestoßen wurde. Genervtes Augenrollen, dann biss er wieder hinein, kaute allerdings weniger hasserfüllt als zuvor. Ehrlich gesagt wirkte er noch immer schrecklich müde; blass und etwas in sich zusammengesackt. Hatte er nicht zuvor bei Raphael oben gelegen und geschlafen? Wobei, das konnte niemand wirklich sagen, er hatte ihnen ja den Rücken zugekehrt und selbst Raphael war wohl zwischenzeitlich eingeschlafen. Aber man lag doch nicht bei jemandem, wenn selber kein Auge schließen wollte, oder? „Ich geh pennen“, hörte man ihn dann auch schon etwas gedämpft sagen; mit beiden Händen stützte er sich beim Aufstehen am Arztstudenten ab, rieb sich mit dem Handrücken über die Augen und ging dann langsamen Schrittes zum Wohnmobil; entweder war er wirklich müde, oder aber er spielte dies übertrieben aus, um nicht weiter im Mittelpunkt zu stehen. Fast würde Uriel auf die zweite Vermutung wetten, denn er hatte noch nie jemanden gesehen, der innerhalb von nicht einmal zehn Minuten von einer tobenden Ansammlung aus Wut und Gegenwehr zu einem fast im Stehen schlafendem Kind wurde. Er meinte es aber scheinbar ernst, zumindest kam er nicht heraus und auch Raphael folgte ihm wieder, trat in ihre kleine Wohneinheit hinein. Es war auch mehr Neugierde als Sorge oder sonst was, weshalb auch Uriel ihnen folgte, dabei stets Kiras Blick im Rücken spürte; hoffentlich wurde der nicht durch die Eisenstange ersetzt, denn mit jeder Aktion vertraute er ihm weniger. Irgendwas stimmte hier einfach nicht. Drinnen angekommen sah er dabei zu, wie Raphael dem kleinen Poltergeist wieder nach oben auf einen der Schlafplätze half und dann auch dafür sorgte, dass die Schuhe nicht alles verdreckten; schnell ausgezogen band er die Schnürsenkel in einer Schleife zusammen und ließ sie behutsam nieder. Generell verhielt er sich sehr leise, schob dann die blassen Füße auf den Liegeplatz und setzte sich zumindest halb aufrecht zu ihm. Sie hatten keine Schlafdecken hier, dennoch wärmte er ihn mit seiner eigenen Jacke, breitete diese erst über dem Körper aus und schob sie ihm dann behutsam unter die Seiten. Auch konnte Uriel hören, wie er leise mit ihm sprach, dabei aber auf weitere Vorwürfe verzichtete und ihm scheinbar einfach nur gut zureden wollte; es sei in Ordnung, jetzt zu schlafen. Sie seien hier sicher, die beiden Neuen würden ihnen auch nichts tun. Witzig, hielt doch eigentlich Uriel die anderen für die Gefahr. Sie hatten also Angst vor ihnen? Zumindest misstrauten sie sich gegenseitig, das war doch schon einmal eine Basis, mit der man arbeiten konnte. Die ganze Zeit kam keine Antwort für den hübschen Blonden, doch er redete weiter, flüsterte gegen Ende und wenn man richtig hinsah, konnte man seine Hand erkennen, wie sie durch das feurige Haar strich und immer wieder über die blasse Wange des ohnehin nicht wirklich gebräunten Jungen berührte. Es folgte ein wirklich behutsamer Kuss auf die Stirn, ein letztes Streicheln über die Brust und dann kam er wieder von dort oben herunter, nahm sich wortlos die zusammengebundenen Schuhe und stellte sie auf die Seite. Uriels Anwesenheit schien er bemerkt, sich aber nicht weiter dran gestört zu haben. „Ist das richtig?“, fragte dieser dann, wurde aber mit einem an die Lippen gelegtem Zeigefinger zum Schweigen angehalten. Raphael deutete stumm Richtung Tür, was für Uriel wirklich keinen Sinn ergab; im Auto hatte der Kurze doch auch geschlafen wie ein Stein, trotz rufen und schütteln. Dennoch kam er diesem Wunsch nach und verließ das Wohnmobil. direkt gefolgt von Raphael, der einige Meter Abstand zum Rest einnahm und auf ihn zu warten schien; wenn er denn meinte. Also folgte man dem Blonden, der sich um eine Zigarette bemühte und diese letzten Endes aus der zerknitterten Schachtel zog, die ohnehin in seiner Hose ruhte. Erst, als er die ersten paar Züge einatmen durfte, widmete er sich wieder dem Fragenden: „Was meinst du?“ Uriel zuckte hilflos mit einer Schulter, schob sich dann die Hände in die Hosentaschen. „Du und er.“ „Hast du ein Problem mit Homosexualität?“ Es klang jedoch nicht gereizt, nein. Raphael schien ich eher an dem Gedanken zu amüsieren, ein Lächeln kräuselte sich auf den schmalen Lippen und er lehnte sich an die Betonsäule hinter sich, blies abermals den bläulichen Rauch aus. „Nein, gar nicht. Ich meine den Altersunterschied. Wie alt ist er? Zwölf, dreizehn?“ Jetzt war es Unglaube, der sich im Gesicht des Rauchenden widerspiegelte; das ging schnell, das Gefühlsspektrum hatte sich also innerhalb weniger Sekunden vollkommen verändert. „Ernsthaft? Das glaubst du? Hältst du mich für einen Pädophilen?“ „Nein, das… also… so wollte ich es nicht ausdrücken, läuft aber wahrscheinlich auf den Gedanken hinaus, ja.“ Oh Gott, so sollte es wirklich nicht klingen aber letzten Endes war es das, was er dachte; konnte man ihm deswegen nun Vorwürfe machen? Auch, wenn der Kurze sich nicht wie ein Kind benahm – sah man von den Trotzattacken und Wutausbrüchen ab, wenn etwas nicht nach seiner Nase lief – war es dann doch irgendwie falsch, oder? Raphael blies noch einmal eine Ladung Rauch aus, schüttelte dann aber sachte den Kopf. „Er ist sechzehn. Man kann drüber streiten, ob ich mit meinen zweiundzwanzig Jahren wirklich an einen Teenager gehen sollte, aber er ist wie gesagt sechzehn. Sprich ihn nicht auf seine Körpergröße an, das überlebst du nicht.“ Er grinste nun sogar etwas, aber Uriel kaufte ihm jedes Wort vorbehaltlos ab und nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Gut, in Asien waren viele Männer klein. Sie bildeten eine irgendwie geartete Ausnahme, da er jeden von ihnen auf den ersten Blick auf über 1,70m schätzte – mit einer gerade schlafenden Ausnahme. „Ihr wirkt nicht sehr asiatisch. Du genauso wenig wie der Kurze.“ Der erhobene Zeigefinger ließ ihn misstrauisch die Augenbrauen nach unten ziehen, doch noch immer grinste Raphael, als er mit diesem wedelte. „Pass mit solchen Aussagen auf. Du bist auch nicht gerade das, was ich mir unter Japan vorstelle, oder?“ Ja, der Typ war verdammt schlau – nicht wegen dieser nun nicht gerade wahnsinnigen Entdeckung, aber sein ganzes Wesen schrie „Streber“ – und genau das machte ihn noch etwas gefährlicher, wobei man ja eher vor der unerwarteten Kraft der Dummen zurückschreckte. „Belassen wir es dabei“, schloss Uriel und war sich gleichzeitig darüber im Klaren, dass er vermutlich bald selber am Pranger stehen würde; immerhin ließen sie ihn in Ruhe, wohingegen er gar nicht genug erfahren konnte. Selbstreflexion war so eine Sache und fand oft erst dann statt, wenn es oft schon zu spät war, etwas Gesagtes wieder ins richtige Licht zu rücken. Ein Schuss durchschnitt ihre ruhige Geräuschkulisse und ein Körper am Wohnmobil sackte zu Boden, was den erzwungen entspannten Moment zwischen ihm und Raphael unterbrach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)