Ein zweites Leben von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 33: Umstände -------------------- Zwei Wochen nach ihrer Vermählung begab sich Oscar wieder zu ihrer Majestät auf das abgelegene Schloss Trianon. Es gab einige Probleme zu lösen: Die Königin war immer noch nicht bereit, aus ihrer abgeschatteten Lebensweise nach Versailles zurückzukehren. Ihre adligen Untertanen murrten und klagten, aber es half nichts. Die Königin blieb hartnäckig und zog sich mit ihren Kindern noch mehr aus der Gesellschaft zurück. Sie gab schon lange kein Geld mehr für teure Kleider und Schmuck aus, besuchte auch keine Bälle und Konzerte. Sie wurde bescheidener seit ihre Kinder auf der Welt waren. „Trotzdem wächst die Zahl der Unzufriedenen“, teilte Andre bei einem Ausritt seiner Frau mit. Er schaute dabei zu ihr: „Sogar einige der Adligen wenden sich von ihr ab.“ „Du erzählst mir nichts Neues“, sagte Oscar abwehrend. Sie erwiderte ihm den Blick nicht. Wie immer saß sie stolz und aufrecht im Sattel und sah nur nach vorn. „Marie Antoinette will nur mit ihren Kindern zusammen sein, für sie mehr da sein und einfach ihr Mutterglück mit ihnen genießen“, sprach Oscar zu Ende und Andre entriss seinen Blick von ihr. Er sah wieder geradeaus und sagte nur das, was er darüber dachte: „Trotzdem wäre es angebracht, wenn sie nach Versailles zurückkehrt. Du weißt genau, zu was das führen würde, wenn sie weiter ihren Pflichten als Königin fernbleibt.“ Er sprach die Folgen nicht aus, aber Oscar verstand was er meinte. Von alleine entstand die Revolution vor ihrem geistigen Auge und bescherte ihr damit ein mulmiges Gefühl. „Deswegen reite ich jetzt zu ihr“, meinte Oscar knapp und verstummte. Die Königin bestellte sie sofort auf ihre Privatgemächer, als ihr gemeldet wurde, dass Kommandant Oscar sie besuchte. Marie Antoinette spielte mit ihrer kleinen Kichererbse von Tochter, während Oscar vor ihr huldvoll das Knie beugte. Außer ihnen befand sich niemand mehr in dem sonnengefüllten Gemach. „Ich freue mich Euch zu sehen, Oscar. Ihr habt mich schon lange nicht mehr besucht. Um genau zu sein, seit dem Tag, an dem ich Euch eine gewisse Erlaubnis gab.“ „Ich bitte um Verzeihung, Majestät. Es ist mir immer wieder etwas dazwischen gekommen.“ Oscar verspürte einen unangenehmen Druck in ihrem Körper. Das war sehr eigenartig. Es war das erste Mal, dass ihr das Kniebeugen nicht gut bekam. „Ich verzeihe Euch, Oscar. Ihr seid doch meine Freundin. Die einzige, der ich noch vertraue.“ Marie Antoinette ließ ihre Tochter alleine spielen und sah Oscar gütig an. „Bitte erhebt Euch. Vor mir braucht Ihr nicht zu knien. Wir sind doch unter uns.“ „Ich danke Euch, Majestät.“ Oscar erhob sich und stand gleich stramm wie ein Soldat. Marie Antoinette lud sie sogleich zu einem kleinen Tisch ein: „Kommt, wir setzen uns lieber und Ihr erzählt mir, ob alles Euren Wünschen entsprechend abgelaufen ist. Und ob Ihr mit Eurem... sagen wir diskret, Gefährten, glücklich seid?“ „Ich kann mich nicht beklagen. Und ja, es ist alles gut verlaufen.“ Oscar musste schmunzeln. Der Ausdruck gefiel ihr. So konnte niemand darauf kommen, über wen und was sie sprachen. Sie ging der Königin bis zum besagten Tischlein nach. An ihm stand ein Liegesofa. Die Prinzessin hüpfte selig neben ihre Mutter und bei dieser Betrachtung musste Oscar noch mehr schmunzeln. Wie glücklich sahen die zwei doch aus! Als ihr bewusst wurde, dass sie ihren Gefühlen verfiel, rief sie sich zu Ordnung. Dabei wurde ihr unerwartet schwindlig und etwas Verborgenes, Warmes umhüllte ihr Herz. Marie Antoinette drehte sich um und bekam gerade noch mit, wie Oscar schwankte. Ihre Augen wurden größer und sie eilte ruckartig zu ihr. Instinktiv griff sie ihr unter den Arm und half ihr das Gleichgewicht zu wahren. „Ihr müsst Euch hinsetzen, Oscar! Warum habt Ihr mir nicht gleich gesagt, dass es Euch nicht gut geht?!“ Oscar protestierte heftig. Sie musste die Königin stützen und nicht andersherum! Und es fehlte noch, dass sie sich hinsetzte, während die Königin stehenblieb! Was für eine bodenlose Unverschämtheit! Das war skandalös und unschicklich! „Mir geht es gut, Majestät...“, versicherte sie ihr mit einer abwehrenden Bewegung. „Wollt Ihr etwa Eurer Königin widersprechen, Oscar?“ Marie Antoinette zog streng ihre Augenbrauen zusammen. Sie duldete keine Ausreden dieser Art. Und ganz besonders nicht von einer loyalen und treueren Freundin wie Oscar. „Nein... ich...“ Oscar geriet ins Stottern. Und entgegen ihres wehrenden Verstandes, gab ihr Körper nach. „Na, also!“, schmunzelte die Königin und führte sie am Arm den letzten Stück bis zum Sofa. Wenigstens setzte sie sich gleichzeitig hin, so dass Oscar nicht ganz von ihrem Gewissen geplagt wurde. „Und jetzt möchte ich wissen, seit wann und warum es Euch nicht gut geht?!“, verlangte Marie Antoinette mit einem bestimmenden Gesichtsausdruck von ihr zu wissen. Oscar saß in der Falle! Aber was hatte sie bitteschön zu verheimlichen? Es könnte jedem Menschen urplötzlich schwindlig werden - durch die Wärme oder eine Verletzung, durch Erschöpfung oder sonst was noch! „Majestät, ich versichere Euch, mit mir ist alles in Ordnung“, begann Oscar so glaubwürdig wie möglich und ehrlich zu erzählen: „Es stimmt nur etwas mit meinem Magen nicht. Seit einigen Tagen verträgt er kein Abendessen mehr und am frühen Morgen ist mir etwas übel. Aber das vergeht im Lauf des Tages.“ „Seid Ihr Euch sicher, dass es am Essen liegt?“ Marie Antoinette schweifte mit ihrem Blick von Oscar zu ihrer Tochter, die jetzt am anderen Ende des Tisches mit einem kleinen Püppchen spielte. Sie bekam urplötzlich so eine Vorahnung, die sie gleich besorgt und stutzig machte. Oscar dachte sich nichts dabei. „Das vermute ich zumindest, Eure Majestät. Eine andere Erklärung habe ich dafür nicht.“ „Ward Ihr schon bei einem Arzt, Oscar?“ Marie Antoinettes Vorahnung festigte sich. Noch immer hatte Oscar keinen blassen Schimmer, weshalb die Königin ihr solche Fragen stellte. Sie wunderte sich nur etwas darüber, mehr aber nicht. „Wegen so einer Nichtigkeit suche ich doch keinen Arzt auf.“ „Und wie steht es mit Eurem Monatsfluss?“ Während Marie Antoinette mit Oscar sprach, ließ sie ihre Tochter nicht aus den Augen. „Wann habt Ihr ihn das letzte Mal gehabt?“ Nun wurde die Verwunderung größer. „Ich verstehe nicht, Majestät...“ Oscar verstand in der Tat nicht. Was hatte bitteschön ihr Monatsfluss mit dem Abendessen und der Übelkeit zu tun?! Und warum interessierte das die Königin?! Marie Antoinette entriss ihren Blick von der spielenden Prinzessin und richtete ihn auf Oscar. Die Königin hielt ihre Haltung gerade, die Hände aufeinander im Schoss gefaltet - ihre eingepuderten Gesichtslinien wirkten noch weicher und milder. Ihre Mundwinkel zogen sich leicht nach oben und ihre Augen glänzten wissend, mitfühlend. Ihre Vorahnung war bestätigt und sie war sich mehr als sicher, warum es ihrer Freundin nicht gut ging. „Oscar, ich hatte das Gleiche wie Ihr. Das hat, glaube ich, jede Frau. Mein Monatsfluss blieb aus, jeden Morgen war mir übel und ich hatte dabei oft mein Abendessen ausgespuckt. Das war nicht gerade angenehm, aber es hat sich dann später wieder gelegt.“ „Also wird es bei mir auch so sein.“ Oscar atmete tief ein und aus. „Ich wusste, dass mit mir alles in Ordnung ist.“ Sie hatte keine Ahnung, was jetzt auf sie zukommen würde. „Ihr habt mich falsch verstanden, Oscar.“ Marie Antoinette warf wieder einen kurzen Blick auf ihre Tochter und dann sah sie Oscar noch eindringlicher an. Ihre Stimme senkte sie dabei zu einem Flüstern: „Ich hatte das alles gehabt, weil ich schwanger wurde.“ Oscar traf das wie ein geißelnder Blitz! Ihre Hand legte sich mechanisch auf ihren Bauch, ohne dass es ihr bewusst war. Hieß das etwa, dass sie womöglich ein Kind in sich trug? Sie, die wie ein Mann erzogen wurde? Sie war nicht weltfremd aufgewachsen und wusste wie ein Kind zu Stande kam. Sie hätte nur nie gedacht, dass es auch sie jemals treffen könnte! In diesem Leben war doch ihr Bestreben die Königin näher an das Volk zu bringen und Andre ihre Liebe zu gestehen! Andre! Was er wohl dazu sagen würde? Und wie sollte es überhaupt weitergehen? Die standesungemäße Liebe und die heimliche Heirat konnte man noch verbergen. Aber ein Kind? Spätestens wenn ihr Bauch wachsen würde, würde der ganze Schwindel auffliegen! Und dann? Sie würde alles verlieren! Man würde sie verstoßen, wenn nicht gar töten - um die Ehre der Familie wiederherzustellen! Und Andre würde als erster seinen Kopf verlieren! Nein, das durfte niemals passieren! Oscars Augen wurden ungewollt glasig, ihre langen Wimpern schimmerten feucht und ein dicker Kloß sammelte sich in ihrer Kehle. Marie Antoinette fasste umsorgt ihre auf dem Oberschenkel ruhende Hand und drückte sie leicht. „Bitte weint nicht, Oscar. Glaubt mir, ein Kind ist das größte Geschenk, was einer Frau passieren kann!“ „Ich weine nicht... Ich doch nicht...“, widersprach Oscar leise und fuhr sich mit der anderen Hand beschämend über die Augen. „Ich überlege nur, wie es weitergeht... Ich darf nicht riskieren, dass es bekannt wird... Ihm darf nichts geschehen!“ „Ihm...“ Marie Antoinette begriff, dass das Kind auch eine Gefahr für Oscar darstellte. Wenn es bekannt würde, könnte das gravierende Folgen auf sich ziehen! Oscar würde kein Kommandant der königlichen Garde mehr sein können! Man würde sie ihrem Rang entheben und ihr den Titel aberkennen, sie als Verräterin brandmarken - ihr Schicksal wäre ungewiss! Von dem des Mannes und besonders des Kindes, ganz zu schweigen! Arme Oscar! Sie tat Marie Antoinette von ganzem Herzen leid. Aber wie konnte sie ihr helfen? Es musste doch einen Ausweg geben! „Liebste Oscar...“, sprach Marie Antoinette beruhigend auf sie ein: „...mir wird schon etwas einfallen, das verspreche ich Euch. Ich bin doch schließlich die Königin von Frankreich. Ich kann alles für Euch tun!“ „Ich danke Euch, Majestät. Aber ich möchte nicht, dass Ihr in diese Sache verwickelt werdet.“ Oscar hatte sich wieder in der Gewalt und sah der Königin direkt in ihr Antlitz. Sie wollte das wirklich nicht. Sie würde das schon alleine durchstehen und hinkriegen. „Was redet Ihr, Oscar? Für Euch mache ich das doch gerne!“ Marie Antoinette ließ sich nicht abbringen: „Bitte vertraut mir. Wir sind doch Freunde.“ „Das schon, Majestät, aber...“ „Kein aber! Geht nach Hause und ruht Euch aus. Spätestens morgen oder übermorgen, werde ich Euch meine Entscheidung mitteilen lassen.“ „Wie Ihr es wünscht, Majestät...“ Oscar bewahrte ihre aufrechte Haltung solange sie bei der Königin war. Draußen im Hof blieb sie kurz stehen. Sie legte ihren Kopf in den Nacken, sah zu dem blauen Himmel empor und saugte die laue Nachmittagsluft tief in ihre Lungen. Sie ließ sie in sich wirken, schloss ihre Augen und atmete durch die Nase wieder aus. Ein Kind! Egal was die Königin sich für sie ausdenken würde, ihr neues Leben würde so oder so auf Kopf gestellt! Sie spürte und fühlte nichts, weder Freude noch Bedauern. Sie wusste nur, sie würde alles daran setzten, um das ungeborene Wesen in sich zu beschützen! Ihr Kampfgeist war nach wie vor stark ausgeprägt. Aber vorerst würde sie abwarten, was die Königin sagen würde und dann entscheiden! Unüberlegtes Handeln führte meistens in den Abgrund. Und es gab noch immer die Hoffnung und die starb bekanntlich zuletzt. Oscar machte ihre Augen auf und schaute wieder vor sich. Irgendwo am Tor wartete auf sie ihr Mann mit den Pferden. Ihr Mann, ihr Geliebter und demnächst der Vater ihres Kindes! Oscar setzte ihre Füße in Bewegung. Darauf bedacht, ihre Arme locker an den Seiten hängen zu lassen und nicht erneut ihre Hand auf den Bauch zu legen. Das musste sie sich wieder abgewöhnen, sonst würde es jedermann auffallen und ihr würden unangenehme Fragen gestellt! In Kürze erreichte sie das Haupttor. Sie passierte es, ohne auf die dort stehenden Wachen zu achten. Ihr Blick konzentrierte sich nur auf das eine Ziel: Außerhalb der hohen Mauern stand Andre und wartete geduldig auf sie. „Das hat aber lange gedauert“, sagte er und reichte ihr die Zügel ihres Pferdes. Ihre Fingerknöchel berührten sich und beide hielten für einen Wimpernschlag inne. Es knisterte zwischen ihnen - lautlos und wohlig. Seit der Nacht ihrer Heirat hatten sie keine Zweisamkeit mehr genießen können. Das war ihnen zu riskant und zu gefährlich. In ihren Blicken entflammte kurzzeitig das Feuer der Leidenschaft. Oscar brach als erste den stummen Kontakt und stieg seufzend auf ihr Pferd. Sie würde Andre von seinem Vaterglück später unterrichten. An einem passenderen Ort und zu einem besseren Zeitpunkt. Sie ließ ihren Schimmel in einem gemütlichen Schritt antraben ohne auf Andre zu warten. Das war normal. Er holte sie auf seinem Brauen gleich ein. „Du sagst gar nichts, Oscar?“ Er ritt gewohnheitsgemäß neben ihr und trug eine ausdruckslose Miene zur Schau. „Wie war das Gespräch? Hast du die Königin überreden können, nach Versailles zurückzukehren?“ Das hatte sie völlig vergessen! Das Gespräch war in eine andere Richtung gegangen! Dennoch hatte sie die Unterhaltung klüger gemacht und wichtige Sachen ins Licht gerückt, die sie sonst viel zu spät oder gar nicht bemerkt hätte! Dann wären die Folgen noch gravierender! Jetzt hatte sie wenigstens die Möglichkeit darüber nachzudenken, eine Lösung zu finden und eine gut überlegte Entscheidung zu treffen! Oscar zuckte beiläufig mit ihren Schultern und kam auf Andres Frage zurück. „Das Gespräch war erträglich. Ihre Majestät wird mir morgen oder übermorgen ihre Antwort mitteilen lassen.“ „Also hat es so gut wie gar nichts gebracht...“, stellte Andre fest. „So würde ich es nicht sagen.“ Oscar sah zu ihm flüchtig hinüber. „Diesmal nicht. Es hat zumindest etwas für mich gebracht.“ „Und was genau?“, hakte Andre nach: „Du sprichst schon wieder in Rätseln. Du weißt doch, ich mag das nicht sonderlich.“ „Mein Ärmster!“, neckte ihn Oscar, um vom Thema abzulenken: „Alles zu seiner Zeit. Spätestens nach ihrer Antwort wirst du alles erfahren und verstehen.“ Andre gab es auf. Es würde nichts bringen, sie weiter zu löchern. Er musste also bis morgen oder übermorgen abwarten. „Wie du meinst, Oscar...“, sagte er wehmütig. „Zieh nicht so ein langes Gesicht, Andre“, munterte ihn Oscar auf: „Der heutige Tag ist so gut wie zu Ende. Wir reiten jetzt nach Hause. Heute gibt es übrigens dein Lieblingsabendbrot. Und nachdem wir gegessen haben, spiele ich am Klavier. Dein Lieblingsstück und nur für dich.“ „Das hört sich gut an!“ Andres Gesicht erhellte sich. Ihre Worte heiterten ihn auf. Noch schöner würde es sein, wenn sie mit ihrer Musik alle im Haus zum Schlafen brächte und er dadurch wenigstens die halbe Nacht bei ihr bleiben könnte. Doch daraus würde nichts werden. Das wurde ihm gleich nach dem Abendessen deutlich klar. Oscar spielte in ihrem Salon zwar für ihn, aber sie bekam noch weitere Zuhörer: Madame Emilie de Jarjayes machte es sich in einem der Sessel gemütlich und lauschte ihr entspannt zu. Auch seine Großmutter blieb am Sessel stehen, nachdem sie den Wein für die Hausherrin gebracht hatte. Andre war daher gezwungen, einen noch größeren Abstand zu Oscar zu wahren und sich mit dem Platz neben seiner Großmutter zu begnügen. Mitten in der Vorführung flog plötzlich die Tür im Salon auf und ein über alle Maßen verärgerter General Reynier de Jarjayes platzte unverhofft herein. Sofort verklang das Klavierspiel und alle Augenpaare richteten sich überrascht auf ihn. Eigentlich müsste er noch in Versailles sein, an der Seite des Königs. Aber wenn er überstürzt und noch dazu zu dieser späten Abendstunde zuhause hereinplatzte, dann war etwas geschehen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)