Ein zweites Leben von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 12: Enttäuschung ------------------------ Spätabends, als die Sonne schon längst untergegangen war, spielte Oscar an ihrem Klavier. Sie trug ihre bequeme Hose und ein Hemd. Ihre Uniform hing auf einem Gestell in ihrem Bettzimmer. Andre stand am großen Fenster, lauschte dem lieblichen Klang der Musik und betrachtete ihr Profil aus geringerer Entfernung. Wie gut sie doch spielte und wie schön sie dabei aussah! Die Tür in ihrem Salon ging auf und seine Großmutter trat herein. In ihren Händen, ein versiegelter Brief. Andre bekam ein ungutes Gefühl. Seine Stirn legte sich in Falten, seine Brauen zogen sich zusammen. Der Brief war an Oscar adressiert, denn seine Großmutter ging unverzüglich zu ihr. Aber wer schrieb ihr denn Briefe? Oscar unterbrach ihr Klavierspiel als Sophie sie ansprach: „Ein Bote übergab mir gerade einen Brief für Euch. Er ist vom Graf Hans Axel von Fersen.“ Von Fersen? Aber was wollte er von ihr? Das mulmige Gefühl in Andre wuchs. Oscar schaute nicht zu ihm, als wäre er nicht da. Ihre Aufmerksamkeit galt alleine dem Brief, den sie gerade in ihre Hände nahm, ihn öffnete und flüchtig die Zeilen überflog, bevor sie richtig las. Was dort stand, konnte Andre von seinem Platz nicht definieren. Aber er merkte sofort, dass es keine erfreulichen Neuigkeiten waren. Zumindest für Oscar nicht. Sie runzelte mit der Stirn und ihre Hände zitterten leicht, während sie für sich las. Die fließende Handschrift des Grafen ließ sich gut lesen, aber das Geschriebene selbst, legte sich wie ein schwerer Stein in ihr. In den ersten Zeilen stand die formelle Begrüßung und dann das Wesentliche: „...Ich habe lange über unser Gespräch nachgedacht. Es fällt mir nicht leicht und versteht mich bitte nicht falsch, aber ich muss Frankreich verlassen: Zum Wohle der Königin und ihren guten Ruf. Ich will sie damit schützen, so wie Ihr Euren Freund auf eine andere Art schützt. Wenn ich jedoch Eurer Bitte nachkomme und in ihre Dienste trete, dann werde ich nicht minder so sein, wie die machthungrigen und selbstsüchtigen Günstlinge, die ihre Großherzigkeit ausnutzen. Ihr zählt natürlich nicht dazu, Oscar, aber ich kann es nicht übers Herz bringen, sie zu beeinflussen - sei es auch zum Wohle Frankreichs und des Volkes. Vergebt mir, wenn Ihr könnt, aber es wird besser für alle sein. Ich kehre mit traurigen Herzen in mein Heimatland Schweden zurück. Ich bleibe dort bis man mich am Hofe vergessen hat. Wenn Ihr diesen Brief lest, bin schon längst fort. Irgendwann komme ich wieder - das verspreche ich Euch. Bis dahin wünsche ich Euch und Eurem Freund alles Gute. Euer treuer Kamerad, Graf Hans Axel von Fersen.“ „Nein!“ rief Oscar entsetzt, zerknüllte den Brief in ihrer Faust und sprang aufgebracht auf ihre Beine. „Das kann er mir nicht antun!“ „Was ist passiert, Oscar?“ Andre eilte umsorgt zu ihr. Was hatte denn von Fersen ihr angetan? Er wollte umgehend wissen, was in dem Brief stand! „Er hat Frankreich verlassen! Es ist alles aus!“ Enttäuschung zeichnete sich auf ihrem Antlitz ab. Und bitterer Schmerz, welchen Andre noch nie in ihren wunderschönen Augen gesehen hatte. Er streckte nach dem Brief seine Hand aus, wollte ihn aus ihrer Faust nehmen, aber sie blockte ab. „Nein, Andre!“, beschied sie ihn schnaufend, schob ihn rüde zur Seite und stürmte in ihr Kaminzimmer. „Oscar!“ Andre brach das Herz. Was um Himmelswillen war zwischen ihr und von Fersen vorgefallen?! Was hatte sie ihm verschwiegen? War es das was er vermutete? Ihm war es gleich, wie sie reagieren würde, er musste es erfahren! Und so setzte er ihr nach. „Du bleibst, wo du bist!“ Seine Großmutter, die er völlig vergessen hatte, versperrte ihm den Weg. Sie hob mahnend ihren Zeigefinger und drückte ihn gegen seine Brust. „Es wird besser sein, wenn wir Lady Oscar jetzt alleine lassen!“ „Aber Großmutter...“ „Kein aber!“ Sophie umklammerte schon fest sein Handgelenk und zerrte ihn wie ein unbändiges Kind mit sich. Andre blieb keine andere Wahl als mitzugehen. In ihm herrschte ein Chaos, aber das konnte er doch nicht seiner Großmutter offenbaren! Beim Vorbeilaufen am Kaminzimmer sah er, wie Oscar den zerknüllten Brief mit Wucht ins Feuer warf. Sie hatte nun den Beweis vernichtet und er würde nie erfahren, was darin stand! Warum hatte sie das nur getan? Was bedeutete von Fersen für sie? Als Oscar ihm aus der Sicht entschwand und er mit seiner Großmutter die Tür erreichte, hörte er einen kläglichen Ausruf von ihr: „Ist ihm die Liebe etwa nichts Wert? War alle meine Mühe etwa umsonst?“ Andre zuckte merklich zusammen. Ihr Ausruf sauste wie heftige Peitschenhiebe auf ihn nieder. Seine Reaktion darauf verspürte auch Sophie, aber sie ließ sich nichts anmerken. Sie schob ihn unsanft durch die Tür, schloss sie hinter sich und zerrte ihren Enkel weiter mit sich durch den langen Gang. „Es ist ihre Entscheidung, Andre. Du darfst dich nicht einmischen.“ „Wovon sprecht Ihr?“ Andre tat wunderlich, wobei ihm noch elender zumute wurde. Es fehlte noch, dass seine Großmutter etwas von seinen Gefühlen zu Oscar mitbekam! „Ich habe deinen entsetzten Gesichtsausdruck gesehen, als Lady Oscar den Brief las!“ „Ach das...“ Andre lachte freudlos auf. Sein Herz blutete qualvoller. „Ich mache mir nur um Oscar Sorgen. Sie ist schließlich meine Freundin, mehr nicht!“ „Nur eine Freundin?“ Sophie blieb plötzlich stehen und musterte ihren Enkel ausgiebig. „Ist das wahr, mein Junge?“ „Aber klar doch!“ Andre grinste breit. Insgeheim wünschte er aber zu sterben, um diese unsagbare Qual in ihm nicht mehr ertragen zu müssen. Sophie beäugte ihn misstrauisch. Sie entspannte sich, obwohl ihr Gefühl ihr sagte, dass er sie anlog. „Nun gut, mein Junge, ich glaube dir. Ich bereite für Lady Oscar einen Tee zur Beruhigung und du bringst ihn ihr aufs Zimmer.“ Oscar hatte sich derweilen schon gefangen. Verbittert saß sie in ihrem Sessel vor dem Kamin. Ihren Oberkörper hatte sie nach vorne gebeugt, die Ellbogen auf die Knie gestützt und ihren Kopf in den Händen vergraben. „Warum scheitere ich schon wieder, Oscar? Erkläre mir das bitte! Und sage nicht, dass du keine Antwort weißt!“ Die Stimme in ihr schwieg eine Weile betroffen. „Es tut mir leid, ich weiß es wirklich nicht“, sprach sie danach bedauernd: „Vielleicht ist es sein Schicksal: Marie Antoinette zu lieben, sie zu verlassen und immer wieder zu ihr zurückzukehren. Vielleicht kannst du deswegen daran nichts ändern - so wie ich es nicht ändern kann, dass ich immer wieder meinen Andre verliere.“ Oscar seufzte tief. Sie war es langsam leid zu versagen, aber aufgeben konnte und wollte sie nicht. Nicht jetzt. Von Fersen würde in vier Jahren zurückkehren, hatte ihr die andere Oscar offenbart und dann würde sie ihn sich vornehmen. Sie hörte wie im Salon die Tür aufging, leise Schritte und die Stimme ihres Freundes hinter sich: „Ich bringe dir deinen Tee, Oscar.“ Oscar richtete sich gerade auf, fiel in den Sessel zurück und beobachtete ihn sorgsam, wie er das beladene Tablett auf Tisch neben ihr abstellte. „Es war nicht nötig, Andre. Aber trotzdem danke.“ „Großmutter wollte es so.“ Andre sah sie kein einziges Mal an. Er wirkte bedrückt. Er wandte sich nach verrichteter Aufgabe gleich zum Gehen ab. „Ich gehe dann mal.“ Was war mit ihm los? „Andre, warte!“, bat ihn Oscar zurück: „Bitte setze dich zu mir.“ „Wie du wünschst.“ Seine Muskeln verkrampften sich. Warum quälte sie ihn? Was wollte sie noch von ihm? Sie liebte doch nicht ihn! Trotzdem schleppte er sich zu dem freien Sessel. Wenigstens stand zwischen ihr und ihm der kleine Tisch. Oscar beobachtete jeden seiner Schritte. Er nahm auf der Kante des Sessels Platz und stierte in das prasselnde Feuer im Kamin. „Geht es dir nicht gut, Andre?“ „Wie kommst du darauf?“, brummte er verstimmt. Oscar war sich sicher, dass ihn etwas plagte, sonst wäre er nicht so abweisend! „Seit Sophie mir den Brief gebracht hat, bist du wie ausgewechselt, Andre.“ Andre durchfuhr ein Stich im Herzen, aber er zeigte keine Regung. Wie kann das sein, dass Oscar merkte, was in ihm vorging? Sie war doch vollkommen mit dem Brief beschäftigt! „Ich dachte, wir sind Freunde...“ platzte es aus ihm verstockt heraus: „...von mir verlangst du, dass ich ehrlich zu dir bin, dir alles erzähle was mich beschäftigt, aber selber verheimlichst du mir einiges. Ich weiß, du wolltest Zeit haben, um es selbst zu verstehen, aber ich halte es nicht mehr aus. Ich habe deinen Ausruf gehört und will wissen, was mit dir los ist. Ich möchte dir helfen, dein Leid zu mindern...“ Es war gesagt. Andre wagte immer noch nicht Oscar anzusehen. Sein Inneres stand in Flammen, wie das knisternde Feuer im Kamin, welches er trübsinnig anstarrte. Es brannte alles nieder - wie den Brief, den Oscar vor Wut zerknüllt und hineingeworfen hatte. Andre sah nicht die weit aufgerissenen Augen von Oscar. Ihr Brustkorb zog sich zusammen. Sein Leid war auch ihres. Sie litt, weil sie in ihrem Vorhaben scheiterte. Und er, weil er dachte, dass sie von Fersen liebte. Oscar fiel tiefer in den Sessel zurück, legte ihre Arme lose über die Lehne und richtete ihr Augenmerk auf die rötliche Flammen im Kamin. „Es tut mir leid, wenn ich dich irgendwie verletzt habe, Andre. Das wollte ich nicht! Ich habe von Fersen angeboten, bei Marie Antoinette in Dienste zu treten. Ich wollte damit erreichen, dass er sie auf den richtigen Pfad lenkt; dass sie ihre Audienzen wieder aufnimmt und für ihr Volk da ist. Sie hätte auf ihn gehört, da bin ich mir sicher, aber stattdessen hat er Frankreich verlassen. In dem Brief schrieb er, er wolle damit sie und ihren Ruf schützen, denn es wird bereits am Hofe über sie beide geredet. Graf von Fersen und Marie Antoinette lieben sich - das hat er mir auch zugegeben und trotzdem hat er sie verlassen. Deswegen habe ich mich gefragt, ob ihm die Liebe nichts wert ist! Ich weiß, dass es eine verbotene Liebe ist. Aber man kann doch eigene Gefühle verbergen und nicht zur Schau tragen! Oder etwa nicht? Sage mir, Andre, was denkst du darüber?!“ Andre richtete sich wie gestochen auf. Jetzt starrte er sie unfassbar an und schluckte gebannt. Oscar hatte ihm endlich offenbart, was sie bewegte und nach seiner Meinung gefragt! Und er hatte sie falsch eingeschätzt! Sie liebte den Grafen von Fersen nicht! Sie sorgte sich lediglich um Marie Antoinette und das Volk! Wie dumm von ihm etwas anderes geglaubt zu haben! Er schämte sich für sein vorschnelles Urteil und gleichzeitig breitete sich eine Erleichterung in seinem Herzen aus. „Bitte vergib mir, Oscar...“, dachte er bei sich mit aufkeimenden Gewissensbissen. „Andre, du sagst nichts?“ Oscar entriss ihren Blick von dem Feuer und sah ihren Freund eindringlich an. „Ich habe nur eine Antwort auf deine Frage überlegt“, redete sich Andre schnell raus. Er hielt ihrem Blick stand, ohne den seinen abzuwenden. „Und?“, wollte Oscar wissen. Es kam ihr vor, als müsste sie ihm alles aus der Nase ziehen. „Hmpf...“ Andre überlegte schnell, um sie nicht noch länger warten zu lassen. Er überflog im Geiste alles was Oscar erzählt hatte und gab ihr die nötige Antwort darauf: „An deiner Stelle würde ich mich auch fragen, ob ihm die Liebe nichts bedeutet und gebe dir recht, dass man eigene Gefühle gut verbergen kann. Aber andererseits kann ich von Fersen gut verstehen. Marie Antoinette ist mit dem König von Frankreich verheiratet - somit ist seine Liebe aussichtslos.“ „Du meinst, er ist vor der Liebe geflohen?“, hakte Oscar nach. „So würde ich das nicht sagen.“ Andre fühlte sich irgendwie auf die Probe gestellt. „Ich finde, von Fersen hat um der Liebe wegen, Frankreich verlassen.“ „Das wäre denkbar.“ Oscar schmunzelte insgeheim. Sie hatte Andre indirekt eine Falle gestellt: Sie wollte sehen, ob er seine Gefühle zu ihr preisgeben würde, aber er verstellte sich gekonnt. Ja, man kann Liebe verbergen, ohne dass jemand etwas davon mitbekam. Andre war dafür das beste Beispiel. Auch sich selbst zählte sie zu denjenigen, bei denen man nicht wusste, was sie fühlte oder empfand. „Danke für deine Antwort, Andre.“ Sie stand ermattet aus dem Sessel auf und gähnte provisorisch in ihre Handfläche. „Ich bin müde. Ich gehe lieber zu Bett.“ „In Ordnung.“ Andre machte ihr es gleich und verabschiedete sich von ihr mit einem freundlichen Lächeln um seine Mundwinkel: „Gute Nacht, Oscar.“ „Gute Nacht, Andre.“ Sie ging in ihr Bettzimmer und sah nicht mehr, wie sein Lächeln breiter wurde. Er nahm das Tablett mit dem unberührten Tee und brachte es in die Küche. Dann räumte er alles weg und ging anschließend auf sein bescheidenes Zimmer. Sein Herz jubelte die ganze Zeit vor Freude. Er hatte Oscar genau angemerkt, dass sie keinerlei Gefühle für von Fersen empfand. Er fühlte sich unbeschreiblich leicht und selig. Zwar hoffte er selber nicht auf ihre Liebe, aber es tat gut zu wissen, dass sie ihr Herz weder an von Fersen, noch an sonst einen anderen Mann verloren hatte! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)