Ein zweites Leben von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 14: Wieder am Hofe -------------------------- Wieder zu Hause angekommen, wurde Oscar unverzüglich in das Arbeitszimmer ihres Vaters bestellt. Sie zeigte keine Gefühlsregung, trug eine gefasste Miene zur Schau und ging erhobenen Hauptes zu ihm. „Ich bin zurück, Vater!“, grüßte sie ihn nach dem Betreten des Zimmers. „Was fällt dir ein das Haus zu verlassen!“, schimpfte General de Jarjayes auf sie los und verpasste ihr eine schallende Ohrfeige, die sie tapfer ertrug. „Ich wollte wissen, wir unsere Bauern leben!“, rechtfertigte sich Oscar, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, seinen Tadel weiterzuführen. Sie schilderte ihm, wie die Bauern litten und hungerten, während Adlige auf ihre Kosten lebten. „Warum muss das so sein, Vater? Haben Adlige etwa kein Herz?“, beendete sie ihren Bericht verbittert und fügte noch wissentlich hinzu: „Wir müssen etwas dagegen unternehmen, sonst werden schreckliche Dinge geschehen!“ Der General knirschte verständnislos mit seinen Zähnen. Was war bloß in seine Tochter gefahren? Sie war doch sonst so gehorsam! Der halbe Hofstaat war stolz auf sie und sie missachtet stattdessen die Anordnungen Ihrer Majestät! Wusste Oscar denn nicht, dass sie dafür ihres Postens als Kommandant enthoben werden konnte? Oder war ihr das nicht von Bedeutung? Und warum interessierte sie sich mehr für die Bauern, anstelle für ihren Rang und Titel? Er musste ihr das unbedingt ausreden! „Das braucht dich nicht zu kümmern!“, beschied er grimmig und zeigte mit seinem Finger auf sie: „Du bist eine Adlige, merke dir das! Solche Leute gehören nicht zu dir! Und wenn du nicht ausgelastet bist, verbessere lieber deine Fechtkünste!“ Mit den Worten marschierte er an ihr vorbei und ließ sie mit ihrem Zorn alleine. „Nimm es ihm nicht übel, Oscar...“, beschwichtigte sie die Stimme im mitfühlenden Tonfall: „Zu meinen Lebzeiten habe ich Vater das Gleiche erklärt und er hatte genauso reagiert. Vater steht mit Leib und Seele treu in Diensten seiner Majestät. Er wünscht sich nichts anderes, als das du in seine Fußstapfen trittst.“ „Das ist mir egal!“, knurrte Oscar für sich aufgebracht und ballte jähzornig ihre Hände zu Fäusten: „Eine Adlige? Na und, zur Hölle damit!“ Ohne dass sie es in ihrer Rage bemerkte, lief Andre an dem Arbeitszimmer ihres Vaters zufällig vorbei. Die Tür stand breit offen und er entdeckte Oscar sofort mitten im Raum. Er blieb an der Türschwelle stehen und der Anblick seiner Freundin gefiel ihm nicht. Der General hatte sie anscheinend zur Strafe geohrfeigt und ihr eine Predigt gehalten. Oscar hatte bestimmt alles tapfer über sich ergehen lassen und nun, wo er weg war, ließ sie ihrer Wut und Verzweiflung freien Lauf. Krampfhaft versuchte sie ihre Emotionen zu bändigen und erzitterte dabei. Andre schmerzte es zutiefst, sie in solcher Verfassung sehen zu müssen. Er machte einen Schritt über die Türschwelle, um Oscar in seinen Armen zu trösten, aber blieb sogleich wieder wie angewurzelt stehen. General de Jarjayes oder sonst jemand, konnte das Arbeitszimmer aufsuchen und es wäre besser, wenn sie nicht in einer Umarmung gesehen werden würden - egal wie freundschaftlich sie gemeint sein würde. „Ist ja gut, Oscar...“, sagte er stattdessen beruhigend in ihre Richtung. Oscar hörte ihn und schaute blitzschnell zu ihm hinüber. Er wollte sie mit seinen Worten nur trösten. In ihrem Kopf wirbelten aber andere Gedanken: „Nein, Andre, es ist nichts gut! Das Volk wird sich gegen den Adel erheben, wenn nichts unternommen wird! Ich habe das schon genug in meinen Träumen gesehen! Du und ich werden zu den ersten Opfern zählen!“ „So darfst du nicht denken, Oscar!“, meinte die Stimme in ihr beschwichtigend: „Du kannst vielleicht nicht alles verhindern, aber seinen und auch deinen Tod ganz bestimmt!“ Oscar gab ihr insgeheim recht. Sie schloss die Augen, atmete tief durch und entspannte sich. Von einem Moment auf dem anderen, strahlte sie wieder ihre Anmut und Würde aus. Es war noch nicht alles verloren. Zwischen allen Zweifeln und der Bitterkeit bestand immer noch Hoffnung. Oscar verbrachte den restlichen Tag auf ihrem Zimmer. Sie spielte Klavier, trank mit Andre gemeinsam Tee und ihr Gemüt kühlte sich ab. Die Stimme in ihr offenbarte noch zusätzlich, dass das Mädchen Rosalie demnächst vor ihrem Anwesen erscheinen sollte. Oscar sollte sich darauf vorbereiten. Das geschah spätnachts, als sie ihre Mutter von Versailles abholte. Madame Emilie de Jarjayes brach im Palast zusammen, woraufhin die Königin sie gleich nach Hause schickte. Oscar begegnete im Vorhof von Versailles Ihrer Majestät, während Andre ihre Mutter aus dem Palastgebäude holte. Marie Antoinette freute sich, Oscar zu sehen. „Gut, dass Ihr da seid! Euer Mutter soll sich zuhause ausruhen und wir sehen uns dann morgen!“ „Danke, Majestät.“ Oscar schmunzelte in sich hinein. Die drei Monate ihres Hausarrestes waren noch lange nicht vorbei. Marie Antoinette hatte mit einem Augenzwinkern die Strafe auf einen Monat reduziert und nach ihrem königlichen Kalender, war diese Frist heute abgelaufen. „Verzeiht, Majestät, aber wir müssen weiter fahren, sonst kommen wir zu spät zum Ball.“ Eine Frau in der Kutsche beugte sich nach vorne zu der Königin und geriet in Oscars Sicht. „Das ist die Madame de Polignac!“, zischte aufgebracht die Stimme in Oscar: „Sie ist also schon am Hofe! Du musst etwas unternehmen, Oscar, bevor sie das Vertrauen der Königin gewinnt!“ „Ich werde mich ab morgen darum kümmern“, versprach sich Oscar selbst und begleitete die wegfahrende Kutsche mit finsteren Blicken. Die genannte Madame verursachte in ihr sogleich ein ungutes Gefühl. Sie würde im Verborgenen etwas gegen sie unternehmen, aber zuerst war Rosalie an der Reihe! Bei dem Mädchen, würde sie alles genauso machen, wie die andere Oscar in ihrem früheren Leben. Andre kam schon bald mit Madame de Jarjayes an und half ihr mit Oscar in die Kutsche. Und als sie etwas später auf ihren Anwesen ankamen, begegneten sie Rosalie. Das junge Mädchen verwechselte in der nächtlichen Dunkelheit Madame de Jarjayes mit der Mörderin ihrer Mutter und wollte sie aus Rache mit ihrem Messer umbringen. Aber Oscar gelang es, das Attentat zu vereiteln. Normalerweise nahm man die Täter fest und stellte sie vor Gericht, aber nicht so Oscar. Sie kannte die Beweggründe von Rosalie und überredete ihre Mutter nichts davon ihrem Vater zu erzählen. „Sie hat unüberlegt und aus Verzweiflung gehandelt. Das war nicht ihre Absicht und ich werde mich um sie kümmern. Bitte habt Einsehen, Mutter.“ Emilie de Jarjayes war im Grunde genommen ein weichherziger Mensch und Oscar war die einzige Tochter, die ihr übrig geblieben war. Alle anderen verließen schon vor Jahrzehnten das Elternhaus und hatten sich seitdem kaum gemeldet. Oscar wurde aus diesem Grund zu ihrem Liebling: Weil sie genau so ein gutes und für Gerechtigkeit schlagendes Herz besaß – auch wenn sie das nicht zeigte. Durch ihre Erziehung, durfte sie das nicht einmal. Reynier de Jarjayes hatte aus ihr einen Soldaten gemacht und da hatten weiche Frauengefühle keinen Platz. Emilie zeigte Oscar ihr mütterliches Lächeln. „Für dich habe ich immer Einsehen, meine Tochter. Rosalie kann meinetwegen hier bleiben und deinem Vater sagen wir, du hast sie in deine Dienste aufgenommen, weil du ein persönliches Dienstmädchen suchst.“ „Ich danke Euch, Mutter.“ Oscar nahm sich zufrieden Rosalie an, nachdem sie vorerst ihre Wehklagen angehört hatte. Sie wusste zwar schon alles über sie, aber sie wollte es so und beließ daher alles wie es sein sollte. Aber nur bei Rosalie. Auf Oscars Rückkehr am Hofe freute sich besonders Graf Victor Clemont de Girodel. Kein Wunder, denn er schwärmte insgeheim für sie. Oscar mochte seine Gesellschaft und er war ihr stets ein treuer Kamerad. Aber ihr Herz würde er nie gewinnen können. Eine Kutsche mit einer Frau raste an ihnen vorbei. „Madame de Polignac!“, zischte die Stimme in Oscar aufgewühlt. „Sie hat es aber eilig!“, murmelte Oscar halblaut und zog ihre Augenbrauen missmutig zusammen. Graf de Girodel hatte ihr Murmeln gehört und verzog genauso wie Oscar sein Gesicht. „Madame de Polignac“, erklärte er ihr: „So wie ihre Kutsche rasant ist, so rasend ist auch ihr Aufstieg zur Macht. Während Euer Abwesenheit muss es ihr irgendwie gelungen sein, das Vertrauen der Königin zu gewinnen...“ „Wie bitte?“, brauste die Stimme in Oscar beinahe wutentbrannt auf: „Du musst die Königin sofort warnen, Oscar! De Polignac ist die habgierigste und gefährlichste Frau die ich je gesehen habe! Sie wird Marie Antoinette schaden! Und auch dir!“ „Ich weiß“, unterbrach sie Oscar in Gedanken: „Dank dir, weiß ich was geschieht, wenn ich nicht einschreite.“ Sofort begab sich Oscar zu der Königin und bat sie um ein vertrauliches Gespräch. In dem Salon ihrer Majestät und nachdem die Königin alle ihre Hofdamen weggeschickt hatte, trug Oscar direkt ihr Anliegen vor. Sie saßen an einem Tisch bei Tee und Konfekts - wie damals, bei ihrer allerersten Unterredung, als Marie Antoinette noch Kronprinzessin war. „Euer Majestät, ich ersuche Euch mit einer Bitte.“ Und wie damals, rührte Oscar ihren Tee nicht an. „Aus einer sicheren Quelle habe ich einiges über Madame de Polignac erfahren und das Meiste war nichts Gutes. Darum bitte ich Euch inständig, seid vorsichtig und hört nicht auf sie...“ „Aber Oscar...“, Marie Antoinette setzte ihre Tasse von den Lippen ab und stellte sie auf die Untertasse. Sie lächelte wie immer gütig, wobei in ihren Augen eine Note von Traurigkeit lag. Ob sie den Grafen von Fersen noch vermisste oder weil sie immer noch keinen Erben zur Welt gebracht hatte, konnte Oscar nicht deuten. Vielleicht von beidem etwas. Marie Antoinette sprach schon würdevoll weiter: „Madame de Polignac ist eine ganz nette Dame. Ich mag sie. Sie hilft mir in vielen Sachen. Sie ist meine Freundin geworden. Und ich versichere Euch, Oscar, Eure Sorgen sind unbegründet. Ihr wisst doch selbst, dass falsche Gerüchte überall lauern können.“ Das war es also! Die Königin vertraute de Polignac schon vom ganzen Herzen. Oscar setzte dennoch erneut an und sah dabei eindringlich in die Augen von Marie Antoinette: „Die Gerüchte, die über Madame de Polignac im Laufe sind, entsprechen aber der Wahrheit, Eure Majestät...“ „Nein, nein, Oscar, Ihr übertreibt!“, Marie Antoinette ließ sie nicht weiter sprechen: „Ihr seid doch erst seit heute wieder in Versailles, da könnt Ihr schon nicht alles gesehen und gehört haben! Meine liebe Oscar, Ihr werdet vom Gegenteil überzeugt sein, wenn Ihr sie richtig kennengelernt habt.“ „Verzeiht mir, Majestät, aber darauf lege ich keinen Wert.“ Oscar erhob sich von ihrem Stuhl und verbeugte sich knapp vor der Königin. „Entschuldigt mich bitte, aber ich muss zu meinen Pflichten als Kommandant zurück.“ „Ich trage Euch nichts nach, Oscar.“ Marie Antoinette verabschiedete sie mit ihrem typischen, freundlichen Gesichtsausdruck. „Geht nur, ich will Euch keineswegs von Euren Pflichten abhalten.“ Oscar verließ die Königin mit dem miserablen Gefühl im Magen, dass das Gespräch nichts gebracht hatte. Marie Antoinette war einfach zu leichtgläubig. Und Oscar kam nicht mehr an sie heran. Madame de Polignac hatte sie vollends in ihrer Hand, ohne dass diese es wahr haben wollte. Dann begann Marie Antoinette auch noch mit dem Glücksspiel, das nur dem Bann des Königs unterlag. Sie geriet in Unsummen von astronomischen Schulden. Das hielt Oscar irgendwann nicht mehr aus und erstürmte ungebeten die Gemächer der Königin. Sie zog vor ihr das Schwert und richtete es vor sich in die Höhe. „Eure Majestät, ich bitte Euch inständig: Hört mit dem Glücksspiel auf! Wenn Ihr mir aber diese Bitte nicht erfüllt, dann möchte ich nicht mehr leben!“ Die Königin starrte sie vorerst schreckensbleich an, dann entspannte sie sich und senkte beschämt ihren Blick. „Ihr könnt Euer Schwert einstecken, Oscar. Ich habe mit dem Glücksspiel bereits aufgehört. Es tut mir leid, dass Ihr Euch um mich so viel sorgen musstet...“ Madame de Polignac befand sich auch im Salon und lachte Oscar insgeheim aus. Diese unterdrückte ihre aufkeimende Wut. Die beiden Frauen waren sich gegenseitig ein Dorn im Auge. „Sei auf der Hut, Oscar, mein eigenes Ich. Sie hegt gegen dich einen großen Groll“, warnte Oscar die altbekannte Stimme: „Sie wird versuchen, dich auszuspielen. Ich weiß das genau, denn ich habe das erlebt.“ „Ich bin auf alles gefasst“, dachte Oscar selbstbewusst bei sich: „Alle Ränke, die sie gegen mich schmieden wird, werden ihr nichts nützen. Leider habe ich noch keine Beweise, um sie zu überführen...“ „Die hatte ich auch nicht gehabt...“, seufzte die Stimme in ihr bedauernd. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)