Ein zweites Leben von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 16: Fünftes Wiedersehen ------------------------------- Oscar und Andre ließen das Anwesen ein gutes Stück hinter sich. Schwärzliche Dunkelheit der Nacht erschwerte ihnen die Sicht. Aber ihre Augen gewöhnten sich schnell daran und sie erkannten bald Umrisse der Bäume von beiden Seiten der verlaufenden Straße. Der weiße Mond und die leuchtenden Sterne auf dem kaum bewölkten Himmelsgrund halfen ihnen bisschen den Weg zuerkennen. „Oscar, biege hier ab und folge dem breiten Pfad durch den Wald.“ Die Stimme wies sie an, wo sie hin reiten sollten. Oscar entdeckte links von ihr eine Art Allee und dirigierte ihr Pferd dorthin. „Dieser Weg ist mir unbekannt, Oscar“, meldete sich Andre verwundert. Er ritt neben ihr her im gemächlichen Trab. „Wir nehmen eine Abkürzung“, speiste ihn Oscar mit einer knappen Ausrede ab. „Wollen wir uns nicht ein wenig beeilen?“ „Das brauchen wir nicht, Andre. Wir nehmen doch eine Abkürzung.“ Oscar sprach gelassen und beherrscht, aber jede Sehne ihres Körpers war angespannt. Ihre Augen und Ohren waren gleichfalls überall auf der Hut, wie bei einem Jäger, der seine Beute unauffällig verfolgte. Andre merkte nichts davon. Wenn Oscar es so sagte, dann würde es auch so stimmen. „Was meinst du, was die Königin um diese Zeit von dir will?“ „Sei bitte still!“ Oscar dämpfte auf einmal ihre Stimme: „Hörst du das denn nicht?“ „Was?“, wollte Andre nachfragen und hörte schließlich selber fremdartige Geräusche und das leises Schnaufen von Pferden irgendwo vor ihnen. Er verstummte und spannte seine Muskeln an. Oscar schien zu wissen, was da vor sich ging. Aber woher? Das war ihm ein Rätsel. Bald tauchte der Umriss einer Kutsche vor ihren Augen auf. Zwei Laternen am Kutschbock beleuchteten schwach die Umgebung. Oscar zügelte unvermittelt ihr Pferd. „Das ist die Kutsche, die mich zu Marie Antoinette bringen sollte!“ Andre bewog sein Pferd direkt neben Oscars Schimmel stehen zu bleiben. Er sah sich die Kutsche genauer an und musste ihr Recht geben. Aber was war da los? Finstere Gestalten in Umhängen mit hohen Kragen standen bei dem Gefährt und unterhielten sich angestrengt mit dem Kutscher. Es sah nach einem Überfall aus und doch irgendwie nicht. Die Männer schienen einander zu kennen. „Sie wollten mich in eine Falle locken, wie es aussieht“, knurrte Oscar halblaut. Andre bewunderte ihren Scharfsinn und hätte gerne gewusst, wie sie das erkannt hatte. Denn an dem Lakai, der sie zur Königin fahren sollte, war nichts auffällig gewesen! Er spitzte seine Ohren und hörte dessen laute Aussage vom Kutschbock: „...ich sagte euch doch schon: Sie bestand darauf, zu Pferd zu der Königin zu reiten! Wenn ich versucht hätte, sie umzustimmen mit der Kutsche zu fahren, dann hätte sie Verdacht geschöpft!“ „Und was machen wir jetzt?“, fragte einer der Männer ratlos. „Das wird Madame nicht gefallen...“, erläuterte ein Zweiter. Oscar zog leise ihren Degen. „Andre, mir nach!“, beschied sie kaum hörbar und trieb ihr Pferd an. Andre war vorerst irritiert. Sie wollte doch nicht etwa mit dieser Horde von Männern kämpfen?! Etwa ein Dutzend, mehr oder weniger, gegen zwei? Aber was konnte er schon dagegen tun? Oscar ritt schon vor und er würde sie nie im Leben im Stich lassen! Er seufzte schwer, zog auch sein Schwert und holte sie im leichten Galopp ein. Die Männer an der Kutsche horchten auf und sahen achtsam um. „Da kommt jemand!“, stieß einer zischend von sich aus: „Ich höre Pferde!“ „Ganz ruhig!“, befahl ein anderer: „Wir schauen erst mal wer das ist!“ Zwei Pferde kamen auf sie zu - ein weißes und ein dunkelbraunes. „Habt ihr nicht zufällig auf mich gewartet?“, sagte der blonde Reiter in roter Uniform hämisch: „Ergebt euch, ihr seid verhaftet!“ „Da habt ihr sie!“, rief der Kutscher und gab seinen Pferden heftig die Peitsche. Die Tiere preschten mit einem lauten Schnauben davon und beraubten die Verbliebenen des wenigen Lichtes der Laternen. Die Kutsche war fort und die Männer zogen augenblicklich ihre Schwerter. „Schweigt und kämpft!“, rief einer abfällig und stürzte sich auf den Reiter mit dem blonden Haar. „Wie ihr wollt!“, sagte dieser mit hoher Stimme und parierte gekonnt den ersten Schlag. „Oscar! Du bist verrückt!“, rief Andre seiner langjährigen Freundin zu und stürzte sich selbst in das Gefecht mit der anderen Hälfte der Männer. Ja, Oscar dürfte nicht bei Sinnen sein, sich mitten in der Nacht und mit dieser Horde von Finsterlingen anzulegen! Aber das war eben Oscar - ihr hitziges Temperament und ihr unerschütterter Kampfeswille. Zum Glück waren sie auf ihren Pferden etwas im Vorteil. Sie schlugen sich wacker und gaben nicht nach. Mitten im Lärm von aufeinanderprallenden Klingen drang unverhofft das Rollen einer Kutsche und Hufschläge mehrerer Pferde durch die Umgebung. Sie wurden lauter und schlugen den ein oder anderen Schurken in die Flucht. Die Kutsche kam rasend auf die Kämpfenden zu und ein Mann lugte aus dem Türfenster. „Oscar!“, rief er lauthals von sich. „Kutscher halte sofort an!“ „Graf von Fersen!“, bemerkte erfreut die Stimme in Oscar: „Er kam uns damals auch zur Hilfe!“ „Gott sei Dank!“ Oscar streckte einen der Angreifer nieder und wendete ihr Pferd, um den Grafen entgegen zu reiten. Aber da tauchten weitere Männer um sie herum auf und hinderten sie daran. Sie griffen nach ihrem Schimmel und wollten sie aus dem Sattel zerren. Oscar stieß ihrem Pferd immer wieder in die Seiten, zog an den Zügeln und fuchtelte dabei mit ihren Degen in beide Richtungen. Der Schimmel unter ihr schnaubte, tänzelte und stieg auf die Hinterbeine. Oscar war mit ihren Angreifern zu beschäftigt, um sich im Sattel festzuhalten und fiel nach unten. Sie prallte rücklings gegen den harten Erdboden und das lähmte sie für einen kurzen Augenblick. „Oscar!“, schrie Andre vor Entsetzen und schlug noch heftiger auf seine Angreifer ein, die ihn noch umzingelten. Er gab seinem Braunen ununterbrochen die Sporen, um an Oscar zu gelangen. Die Kutsche mit dem Grafen kam an und die restlichen Banditen bei Andre ergriffen die Flucht. „Oscar!“ Andre war endlich frei und trieb sein Pferd zu ihr, ungeachtet der Fliehenden. Im Gegensatz zu ihm, konnte Oscar ihre Angreifer nicht so leicht loswerden. Nach ihrem Sturz vom Pferd musste sie noch drei von ihnen abwehren. Obwohl ihr die Gelenke und Knochen schmerzten handelte sie rasch, kaum dass die Lähmung nachließ. Liegend war das nicht gerade einfach. Sie schwang ihren Degen, wehrte auf sie niedersausende Klinge ab und stieß einem von ihnen mit ihrem Stiefel in die Weichteile. Während dieser sich krümmte, versuchte sie sich aufzusetzen. Seine zwei Mittäter ergriffen doch noch die Flucht, als die Kutsche nicht weit von ihnen anhielt. Daraus stieg ein Mann und von der anderen Richtung preschte auch noch ein Pferd. Da war es besser, Reißaus zu nehmen. Oscar legte ihren Degen neben sich, stützte sich auf ihre Arme ab und saß ächzend auf. Der Verkrümmte stand aber noch über ihr. Er richtete sich auf und zu spät bemerkte sie, dass er mit seinem Schwert ausholte. Sie griff rasch nach ihrer Waffe und fing mit ihrer Klinge den Hieb ab. Aber der Schlag war zu stark. Ihre abstützende Hand am Boden rutschte weg und Oscar fiel nach hinten. Die Spitze des Schwertes von ihrem Angreifer bohrte sich, wie ein Messer durch weiche Butter, in ihre rechte Schulter. „Oscar!“ Andre erreichte sie und streckte den Mann in vollem Galopp nieder. Dieser schwankte zur Seite und fiel tot um. Graf von Fersen kam gerade rechtzeitig bei Oscar an und fing sie in seinen Armen auf. Er war entsetzt. „Oh, mein Gott, Oscar! Ich werde Euch nach Hause bringen!“ Oscar nahm ihn kaum wahr. Sie kämpfte verbissen mit dem heftigen Schmerz in ihrer Schulter und glitt in die Düsternis einer tiefen Ohnmacht. „Oscar! Ich bin getroffen!“, hörte sie die Stimme in ihr schmerzverzerrt und schrill aufschreien. „Ich auch...“ Es war nicht mal der Hauch eines Gedankens. - - - Die Welt um Oscar verdunkelte sich und sie sah die blondgelockte Frau - ihr Abbild, ihr eigenes Ich. Sie saß kniend am Boden und umklammerte ihre rechte Schulter. Durch ihre Finger sickerte dunkelrot das Blut. Vereinzelte Tropfen durchdrängten den weißen Stoff ihres Hemdes und bildeten grässliche Flecken. Der Schmerz war unerträglich. Aber warum spürte sie ihn? Sie beugte ihren Körper nach vorne, ihr blondes Haar fiel ihr ins Gesicht und ihr wurde einiges klar: In ihrem früheren Leben hatte sie diese Verletzung nicht. Bei diesen Attentat wurde sie zwar auch getroffen, aber nicht vorne, sondern von hinten am Schulterblatt. Die neue Wunde, die ihr wiedergeborener Körper abbekam, übertrug sich auch auf sie. Die Finsternis um sie herum verblasste direkt vor ihren Augen, nahm einen grauen Ton an und wurde heller, bis sie sich in dem weißen Nebel fand. Der Nebel lichtete sich, aber löste sich nicht auf. Dennoch erkannte sie das sanfte Grün unter sich und die endlose Wiese um sie herum. Sie richtete sich im Sitzen auf, blendete den schneidenden Schmerz in der rechten Schulter aus und schaute sich suchend um. „Andre, wo bist du?“ „Oscar?“, ertönte seine Stimme irgendwo vor ihr aus dem Nebel. Das aufkeimende Glücksgefühl dämpfte sogar ihren körperlichen Schmerz und ihre Augen glitzerten freudig, als seine Silhouette sich im milchigen Vorhang des Nebels abzeichnete. „Andre, ich bin hier!“ Andre fand sie im Handumdrehen. Oscar wollte aufstehen und ihm entgegen laufen, aber ihre Beine gehorchten ihr nicht. Sie war gezwungen, kniend auszuharren, bis er sie erreichte. Seine Vorfreude verwandelte sich in Besorgnis, als er sie erreichte und sie in einer erbärmlichen Verfassung erblickte. „Was ist geschehen, Oscar?“ Sofort warf er sich zu ihr auf Knie, erfasste vorsichtig ihre Hand und entfernte sie, Finger um Finger von der blutenden Wunde. Oscar ließ es ohne Proteste zu und berichtete ihm derweilen stockend über das Attentat - wie ihr wiedergeborener Körper die Schurken überlistete und am Ende des Kampfes doch noch getroffen wurde. Andre hörte ihr mit Besorgnis zu. Seine Finger arbeiteten sich weiter vor und sein Blick fixierte die freigelegte Wunde: Ein großer Blutfleck hatte sich unter ihrem Schlüsselbein und bis zur Achselhöhe auf dem Hemd ausgebreitet. Er erinnerte sich noch genau an das besagte Attentat in dem früheren Leben. Oscar war nicht vorne an der rechten Schulter, sondern von hinten getroffen worden. Also stimmte es doch. Sie war so sehr mit ihrem wiedergeborenen Körper verbunden, dass sie sogar an den gleichen Verletzungen litt. „Oscar, hast du etwas dagegen, wenn ich mir deine Schulter näher ansehe?“, unterbrach er sie höflich und sah ihr dabei direkt in die Augen: „Ich schwöre, ich möchte mir nur deine Wunde ansehen und sie verbinden, mehr nicht.“ „Ich habe nichts dagegen. Ich vertraue dir, mein Andre“, sagte ihr Mund mit einem übersehbaren Lächeln. Andre strich ihr das Haar nach hinten über die unverletzte Schulter und sie hielt ihre Haarpracht an der linken Seite zusammen, damit diese nicht zurück rutschte und ihn bei der Arbeit hinderte. Seine feinfühligen Finger knöpften ihr das Hemd auf, vertieften den Ausschnitt und streiften ihr vorsichtig das Hemd von der rechten Schulter - penibel darauf bedacht, ihr nicht die Oberweite zu entblößen. Die Stichwunde sah schlimm aus, war aber nicht tief. Wie kann man nur so einen zarten Körper verunstalten? Andre knöpfte einen Ärmel seines Hemdes auf und riss ihn mit einem heftigen Ruck ab. Die Nähte gaben schnell nach und er zerrte ihn von seinem Arm. Er riss den Stoff sogleich entzwei, machte daraus Streifen und tat das gleiche mit seinem zweiten Ärmel. Wie kräftig doch seine entblößten Arme aussahen! Die straffen Muskeln seiner Oberarme, die leicht gebräunte Haut! Oscar schauerte es wollig. Wie gerne würde sie in diesen Armen liegen, sich in seiner Leidenschaft verlieren und ihn spüren! Sich dabei geborgen und geliebt fühlen, wie bei dem einzigen Mal ihrer Zusammenkunft, bevor sie beide der Tod mit gerissen hatte... Für so einen Moment der Liebe war aber jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Wenn sie überhaupt jemals wieder so einen Moment genießen können! Ihr wiedergeborener Körper konnte jederzeit aus der Ohnmacht erwachen und sie würde dann wieder von ihrem Geliebten getrennt sein. Andre faltete einen der weißen Streifen zusammen und drückte ihn ihr vorsichtig an die Wunde. „Halte das hier fest, Oscar. Ich werde dir darauf einen Verband anlegen.“ „In Ordnung.“ Oscar drückte wie geheißen die weiße Auflage an ihre Wunde und betrachtete Andre weiter verträumt bei seiner Arbeit. Andre war bemüht, sich nur auf ihre Wunde zu konzentrieren. Um die Wunde jedoch richtig zu verbinden damit es hielt, musste sie ihren Arm vollends aus dem Hemd befreien. Entschuldigend und verlegen half er ihr ganz aus dem Ärmel und verband ihre Schulter soweit die Streifen reichten. Oscar war es eigentlich gleichgültig, dass sie fast halbnackt vor ihm saß. Sie verspürte keine Scham oder Unbehagen. Sie gehörte doch schon ihm! Sie hatte sich mit ihm vereint, wurde dadurch seine Frau und daher gab es nichts, wofür sie sich schämen bräuchte! Andre beendete sein Werk. Der Verband saß fest und er half ihr in das Hemd zurück. „Danke, mein geliebter Andre.“ Oscar knöpfte ihr Hemd zu, schüttelte ihre Haarpracht und richtete ihren Kragen ordentlich. „Und wie geht es mit deiner Wunde weiter? Wird sie ohne ärztliche Behandlung verheilen?“, überschüttete Andre sie mit besorgten Fragen. „Ich vermute, so wie die Verletzung bei meinem wiedergeborenen Körper verheilt, so wird es auch bei mir sein“, beruhigte ihn Oscar nachdenklich. Sie berührte zart seine Wange, strich ihm das Haar von der erblindeten Seite und zog sich zu ihm, mit ihrem ganzen Körper. „Ach, meine liebste Oscar...“ Andre schloss sie in seine Arme, strich ihr das Haar am Rücken entlang und erwiderte ihr den sehnsuchtsvollen Kuss mit all seiner Liebe und Zärtlichkeit. „Oscar, hört Ihr mich?“ Die tiefe Stimme eines Mannes, erfüllte wie ein leises Echo die Umgebung. Oscar und Andre beendeten ruckartig ihren Kuss und schauten gleichzeitig nach Oben, in den grauweißen Nebel. „Die Stimme kenne ich doch...“, murmelte Oscar vor ihrer Nase. „Ich auch...“, flüsterte Andre halblaut: „Das ist Graf von Fersen! Aber was macht er da?“ „Ich vermute, er bringt meinen bewusstlosen Körper in seiner Kutsche nach Hause...“ Kaum hatte Oscar das geäußert, erklang wieder seine besorgte Stimme: „Bitte, Oscar, wacht auf! Ihr dürft nicht ohnmächtig bleiben!“ „Andre...“, hauchte die schwache Stimme der bewusstlosen Oscar: „Verlass mich nicht... mein An... Aua!“ schrie sie urplötzlich vom heftigen Schmerz in ihrer Wunde auf und verstummte gleich darauf wieder. Ihr Atem war flach und entwich ihr stückweise. „Euer Freund ist vor geritten, Oscar.“ Zu der Sorge des Grafen schloss sich Erstauen an: „Er wird alles zu Eurem Empfang vorbereiten und einen Arzt holen. Also haltet durch! Ihr seid gleich daheim! Es ist nicht mehr weit!“ „Sie wird es überleben, so wie du es überlebt hast“, sagte Andre mit einem verschmitzten Blick auf seine Oscar. „Ja, das wird sie. Sie will uns nur etwas mehr Zeit geben.“ Oscar schaute ihn auch an und musste schmunzeln. Ihr anderes Ich hatte gerade in ihrer Bewusstlosigkeit und das auch noch vor dem Grafen von Fersen, nach Andre gerufen. Nicht nach ihrem Freund Andre, sondern nach ihrem geliebten Andre. Das bedeutete, dass sie sich ihrer Liebe mehr als bewusst war. Sie würde sich nicht fälschlicherweise in von Fersen verlieben - das war ein befreiendes Gefühl. „Das ist sehr nett von ihr.“ Auch Andre begriff das und fühlte sich viel unbeschwerter. Er erhob sich und zog seine Oscar vorsichtig in die Höhe. „Und wir machen einen kleinen Spaziergang. Oder was meinst du?“ „Das können wir durchaus machen.“ Oscar lächelte ihn verschmitzt an. Vergessen war der Schulterschmerz und ihr blutbeflecktes Hemd. „Lass uns gehen, Andre. Vielleicht finden wir ein Ausgang oder etwas was uns nie mehr trennt.“ Hand in Hand und mit aufkeimender Hoffnung, gingen sie gemeinsam los. Das sanfte Grün unter ihren Stiefeln und der milchige Nebel um sie herum schienen aber endlos zu sein. Es kam ihnen vor, als würden sie im Kreis laufen. Sie blieben dennoch kein einziges Mal stehen, bis weitere Stimmen sie dazu bewogen: „Wer konnte unserer geliebten Lady Oscar nur so etwas antun?“, klagte die weinerliche Stimme einer alten Frau:„Wenn ich ihn in die Finger kriege, bringe ich ihn um!“ „Großmutter!“ Andre schmunzelte etwas gequält: „Ich erinnere mich noch genau, wie sehr sie aufgebracht war!“ „Ja...“, gestand Oscar und lehnte sich an ihren Geliebten: „Sie hat dir oft die Löffel langgezogen und mit dir geschimpft, obwohl ich meistens die Schuldige von uns beiden war.“ „Das stimmt.“ Andre legte zärtlich seine Arme um sie und genoss ihre Nähe. Da oben, außerhalb ihrer Existenz im Nebel, entfachte ein kleiner Streit. Sophie hatte ihren Enkel gekniffen, weil dieser sie auf ein Zeichen des Generals aus dem Zimmer schieben wollte. „Ich denke, das reicht! Ihr solltet Euch hinlegen!“, beschied der General und bekam von ihr nun ebenfalls einiges zu hören: „...ich war von Anfang an dagegen, sie wie einen Jungen zu erziehen. Aber auf mich hört ja keiner! Irgendwann musste so etwas ja passieren...“ „Ja, ja, ich bin an allem Schuld... Wenn ich auf Euch gehört hätte, wäre sie schon längst verheiratet! So und jetzt gehen wir nach draußen!“ Dem General schien es gelungen zu sein, die alte Dame aus dem Zimmer zu führen, denn es kehrte kurzfristig Stille ein. „Sie braucht jetzt vierzehn Tage Bettruhe“, sprach die fachmännische Stimme des Arztes in die herrschende Stille hinein: „Sollte sie sich nicht daran halten, besteht die Gefahr, dass sie ihren Arm nie mehr bewegen kann.“ „Ich werde achtgeben“, meinte darauf die Stimme eines jungen Mannes. Der Arzt versprach noch zusätzlich, morgen die Medizin vorbeizubringen und der junge Mann geleitete ihn zur Tür: „Habt vielen Dank, Herr Doktor...“ Oscar regte sich in der tiefen Umarmung ihres Geliebten. „Das war dein wiedergeborener Körper, Andre. Das heißt, dass mein zweites Ich bald aus der Ohnmacht aufwachen wird...“ „Dann sollten wir uns langsam verabschieden...“ Andre seufzte schwermütig und gab seiner Geliebten einen letzten Kuss. Die Trennung fiel beiden schwer, aber es war besser so. Und als der Nebel Andres kräftige Statur umhüllte und Oscar ihn nicht mehr sah, öffnete ihr wiedergeborener Körper die Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)