Ein zweites Leben von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 21: Ungehobelte Gesellen -------------------------------- Andre und Oscar erreichten den Tisch, zu dem sie Alain eingeladen hatte. Dort saßen weitere zwei Männer und spielten Karten. Und wie Alain trugen sie ganz gewöhnliche, bürgerliche Kleidung. Kein Anzeichen dafür, dass sie einer Söldnertruppe angehörten. Vielleicht war das noch nicht die Zeit für den Beitritt in die Kaserne. Weder Oscar, noch Andre kamen die zwei bekannt vor. Alain stellte die drei Krüge Bier in der Mitte des Tisches ab. „Freunde! Ich habe noch zwei Gäste mitgebracht! Sie warten auf einen Bekannten und bis dieser erscheint, habe ich sie zu uns eingeladen.“ Er legte jeden von ihnen die Hand auf die Schulter. „Das ist Oscar und das ist Andre.“ „Seid uns willkommen!“, meinten die beide Männer am Tisch heiter und im gleichen Ton. Sie stellten sich auch vor, während Alain zwischen ihnen Platz nahm. Der eine hieß Claude und der andrer, Jean. Andre stellte sein Bier auf die Tischkante und setzte sich neben Oscar. Diese saß schon auf einem Stuhl und nahm gerade ihren Hut vom Kopf. Jeder der Anwesenden nahm seinen Krug, hob ihn in die Höhe und trank einen kräftigen Schluck für die neue Bekanntschaft, so, wie es in so einer Gesellschaft üblich war. „Wer ist euer Bekannter, auf den ihr wartet?“, fragte Claude interessiert. Er war etwas älter, als seine beiden Kumpane. „Bernard Chatelet“, erwiderte Oscar knapp: „Er ist ein Gerichtsschreiber.“ „Nie gehört“, sagte Claude und fragte seinen jüngeren Nachbar: „Und du, Jean?“ „Nein, ich auch nicht.“ Der Angesprochene hob und senkte seine Schultern. Er richtete sein Augenmerk auf die Neuankömmlinge. „Wollt ihr mit uns Karten spielen?“ Andre und Oscar schüttelten ablehnend mit ihren Köpfen. „Wir spielen grundsätzlich keine Karten“, sagte Oscar dabei ausweichend. „Aber wir schauen gerne zu“, fügte Andre höflichkeitshalber hinzu. In dem Moment flog in der Gaststube die Tür auf. Ein untersetzter, kleiner Mann mit sommersprossigem Gesicht rannte herein und blieb mitten in der Gaststube stehen. Unter seiner Achsel klemmte eine Papierrolle. Als er den Tisch mit Alain und den anderen entdeckte, erhellte sich sein rundes Gesicht. „Da seid ihr!“ Er setzte sich wieder in Bewegung. „Ich habe nach euch schon überall gesucht!“ Er meinte eigentlich nur die drei Männer, Oscar und Andre ausgeschlossen. Er kannte sie nicht. Diese erstarrten innerlich. Noch einer, den sie aus ihrem früheren Leben kannten! Vielleicht würde es noch dazu kommen, dass hier schon bald die ganze Söldnertruppe aufkreuzt?! „Was gibt es Lassalle?“, hörten sie Alain unbeeindruckt sagen: „Erzähle schon was los ist!“ Anstatt zu erzählen nahm Lassalle die Rolle, faltete sie auf und präsentierte allen was dort abgebildet war. „Schaut was ich erstanden habe!“ Auf dem Bild war ein Paar gemalt - in einer tiefen Umarmung und halbnackt. „Die Königin und ihr schwedischer Liebhaber!“ Oscar und Andre gefror das Blut vor Entsetzen. Die anderen dagegen amüsierten sich köstlich. Einzig Alain zeigte sich gleichgültig. „Was interessiert mich die Königin und ihr Liebhaber?! Du solltest dein Geld lieber für etwas Nützliches einsetzen und nicht für solche Karikaturen! Sie machen dich weder satt, noch stillen sie deinen Durst, Lassalle!“ „Höchstens stillen solche Bilder die Lust!“, bemerkte der älterer Claude anzüglich und zwinkerte Lassalle zweideutig zu: „Man hat ja dafür zwei gesunde Hände. Nicht wahr?“ „Ihr seid Kunstbanausen!“ Lassalle rollte das Bild wieder zusammen und konnte sich aber selber nicht das Lachen verkneifen. „Ich muss wieder los! Also, man sieht sich!“ So stürmisch wie er hereinkam, so schnell war er wieder davon. „Lassalle ist eigentlich ein netter Kerl“, erklärte Alain den neuen Gästen nebenbei: „Er sucht uns manchmal in Gasthöfen auf und berichtet die Neuigkeiten dieser Stadt.“ „Er ist unvorsichtig“, entfuhr es Andre. Ihm kam wieder eine Erinnerung aus seinem früheren Leben: Lassalle hatte sein Gewehr verkauft und wurde dafür von der Militärpolizei verhaftet. Oscar hatte sich für ihn eingesetzt und ihm das Leben gerettet. Andre schüttelte die Erinnerung ab und führte seine Rede zu Ende: „Mit solchen Bildern muss er vorsichtig sein. Die Polizei kann ihn dafür verhaften und an den königlichen Gerichtshof übergeben.“ „Mache dir darüber keinen Kopf, Andre“, wehrte der jüngere Jean gelassen ab: „Lassalle zeigt es ohnehin nur uns.“ Andre nickte beruhigt, wobei in ihm eine ganz andere Sorge herumging. Er warf einen Seitenblick auf Oscar. Sie wirkte beherrscht. Aber er ahnte, was für ein Sturm gerade in ihr herrschte und dass sie nur dank ihrer Disziplin die Ruhe bewahrte. Sie umkrallte ihren Krug mit beiden Händen, aber trank nichts. Oscar schäumte innerlich noch immer vor Entsetzen. So dachte bereits das Volk über die Königin! Man verpönte und verhöhnte sie - man zeichnete schon solche anstößigen Karikaturen! Das durfte doch nicht wahr sein! Wozu wurde sie denn wiedergeboren, wenn alle ihre Mühen und Anstrengungen nichts nützten? Außer die Liebe zu Andre, hatte sie bisher nur Kleinigkeiten erreichen und verwirklichen können! Die drei Männer am Tisch merkten nichts von ihrem aufgewühlten Gemüt. Sie ließen derbe Scherze auf Kosten der Königin verlauten und spielten dabei Karten. Bis Alain rein zufällig auffiel, dass Oscar und Andre unbeteiligt da saßen und in ihr Bier stierten ohne es zu trinken. „Was ist denn mit euch beiden los?“ „Nichts, Alain.“ Andre sah zu ihm auf: „Es ist alles in Ordnung.“ „Danach seht ihr mir aber nicht aus!“, konterte Alain witzelnd. „Na los, macht doch mit!“, spornte Claude alle beide gleich leutselig an: „Wir raten gerade, ob die Königin ohne Kleid genauso aussieht wie auf dem Bild! Besonders, was ihre Oberweite angeht.“ „Ich glaube eher nicht“, fügte Jean spöttisch hinzu: „Sie hat bestimmt andere Körperformen als auf dem Bild...“ „Hört sofort auf damit!“, knurrte Oscar urplötzlich außer sich und erdolchte alle drei Männer mit ihrem eisigen Blick: „Habt ihr keinen Funken Anstand? Marie Antoinette ist eine gutherzige Persönlichkeit und ihr zieht sie in den Dreck! Sie kann nichts dafür, dass sie von falschen Günstlingen umgeben ist! Die sind für alles verantwortlich und nicht die Königin!“ „Es ist genug, Oscar!“, mischte sich Andre unbeabsichtigt schroff ein. Das wollte er nicht, aber er musste sie irgendwie aufhalten, bevor sie in ihrer Rage unüberlegt handelte und sich womöglich damit verriet. Oscar verstummte abrupt. Sie begriff schnell, dass sie gerade dabei war, einen Fehler zu begehen. Alain und seine zwei Kumpanen vergaßen augenblicklich das Kartenspiel und gafften sie entgeistert an. Claude runzelte gar missbilligend mit der Stirn. „Du scheinst mir ein Freund der Königin zu sein?“ „Denke, was du willst.“ Oscar senkte ihre Stimme und trank hastig ihr Bier, bis der Krug halbleer war. Ihr Gesicht lief purpurrot an, ohne dass sie es merkte. „Nehmt es ihm nicht übel...“, setzte Andre zu ihrer Verteidigung an, um die angespannte Stimmung zu lockern: „Wir hatten die Königin bei ihrer Krönung gesehen und da hat sie es ihm angetan. Nicht wahr, Oscar?! So war das doch, oder?“ Oscar stellte ihren halbwegs geleerten Krug auf den Tisch ab und fuhr sich mit ihren Ärmel über den Mund. Sie schnappte nach dem Köder, den Andre ihr gereicht hatte. „Kann schon sein“, murmelte sie in seine Richtung. „Ah, jetzt wird mir einiges klar!“ Dem jüngeren Jean leuchtete etwas ein: „Du bist ein wenig in sie verknallt! Nun, man sagt, sie sei schön und in dieser Hinsicht kann ich dich verstehen. Aber man darf niemals nach dem Äußeren beurteilen!“ „Das werde ich mir merken.“ Auch nach diesem Köder schnappte Oscar bereitwillig und schnitt eine verstellte Grimasse. „Wir reden lieber über andere Frauen!“, schlug Alain unvermittelt vor, um die Stimmung ganz aufzuheitern. „Mir behagt die Königin auch nicht.“ „Eine gute Idee.“ Oscar warf Alain einen dankbaren Blick zu und nahm noch einen kräftigen Schluck Bier. Andre beobachtete sie mit einer gewissen Besorgnis von der Seite. Wenn sie weiter so trinken würde, dann würde ihr das Bier noch zu Kopf steigen und dann könnte wirklich etwas passieren. Besonders wenn herauskommt, wer sie wirklich ist. „Oscar, bitte übertreibe es nicht...“, flehte er sie in Gedanken an und nippte selbst an seinem Bier. Die Männer widmeten sich wieder dem Kartenspiel und erzählten ausschweifend über die Körperformen einer Bekannten aus dem Nachbarhaus, oder einer Gemüseverkäuferin mit ausladenden Hinterteil, oder einem hübschen Blumenmädchen mit verzückender Figur und all diejenige, die sie schon mal erobert hatten. Bis Jean eine ganz besondere Frau, oder besser gesagt eine außergewöhnliche Frau einfiel: „Hat einer von euch schon mal den Kommandanten der königlichen Garde gesehen?“ Oscar verschluckte sich beinahe und trank wieder ihr Bier, um nicht hüsteln zu müssen. Andre bat sie mit flehenden Blicken, sich nicht zu verraten, egal was jetzt erzählt werden würde. Gleichzeitig wappnete er sich selbst davor. Ihm gefiel es erst recht nicht, wenn über Oscar gesprochen wurde, aber ihr zuliebe würde er versuchen, ruhig auszuharren. Er nahm sich vor, nur einzuschreiten, wenn die Gespräche über alle Grenzen der Schicklichkeit gingen. „Du bist aber witzig!“, wand Claude amüsiert ein: „Wir sprechen über Frauen, mein Freund! Was sollen wir mit dem Kommandanten? Oder stehst du neuerdings auf Männer?“ Oscar und Andre atmeten innerlich auf. Niemand erkannte sie hier. Das war gut. Und andererseits nahmen sie sich weiterhin in Acht. „Der Kommandant der königlichen Garde ist aber eine Frau, du Torf!“, behauptete Jean besserwissend: „Halb Frankreich weiß das, nur du wiederum nicht! Sie steht schon seit fast zehn Jahren in den Diensten der Königin und ist so uneinnehmbar wie eine Festung!“ „Uii, dann kennst du dich mit ihr schon aus?!“, stichelte Claude breit grinsend: „Hast du sie womöglich gar eingenommen? Wie ist sie denn so?“ „Ruhig, Freunde, das reicht!“, befahl Alain den beiden barsch, bevor es noch zum Streit kam: „Eine kleine Auseinandersetzung gehört zwar zu unserem Amüsement, aber wir wollen doch unsere neuen Freunde nicht gleich vergraulen!“ „Ganz recht, Alain!“, schloss sich ihm Andre zustimmend an. Er war ihm innerlich dankbar für die Einmischung. Ein weiteres Wort von den beiden über Oscar hätte ihn noch mehr zur Weißglut getrieben und er wollte nicht wissen, was dann passiert wäre. Er zählte zwar zu einem der besonnensten und ruhigsten Menschen, also das ganze Gegenteil von Oscar, aber auch er hatte seine Grenzen. Verstohlen schielte er zu ihr. Oscar saß ruhig und unbeteiligt neben ihm. Aber der Schein täuschte. Andre bemerkte ganz genau ihren scharfen Blick, den sie zwischen den beiden Kontrahenten wechselte. Und wenn Blicke töten könnten, dann wären die zwei schon längst tot umgefallen. „Und was den kühlen Kommandanten angeht, soll sie dort bleiben, wo sie ist! Das geht uns nichts an!“, hörte er Alain noch hinzufügen und Oscars Blick senkte sich auf das Bier in ihrem Krug. „Mag sein, Alain, aber ich würde schon gerne mehr über sie erfahren!“ Claude lehnte sich etwas entspannt zurück und musterte seinen Gegenüber: „Unser junger Freund hat mich gerade neugierig gemacht. Eine Frau in Uniform und noch dazu ein Kommandant, wo gibt es denn so was?!“ „Im Versailles!“, konterte Jean schulterzuckend: „Ich habe sie zwar noch nie gesehen und kenne nicht einmal ihren Namen, aber ich habe schon oft über sie gehört. Man sagt, sie ist stolz, selbstgerecht, lässt sich von keinem Mann oder keiner Frau kleinkriegen und ist sehr schön. Noch schöner als die Königin sogar. Um ehrlich zu sein, hätte ich gerne auf sie einen Blick geworfen.“ Claude lachte derb und drehte ihm das Wort im Munde um: „Sage lieber, du hättest einen Blick unter ihre Uniform geworfen! Bestimmt träumst du nachts von ihr und auch davon, wie du sie reitest!“ „Das geht dich nichts an!“, kommentierte Jean grummelnd: „Spiele lieber weiter! Du bist nämlich dran!“ Oscar war derweilen am Platzen. Aber diesmal bemühte sie sich krampfhaft, sich nichts anmerken zu lassen. Was für schmutzige Gedanken besaßen diese unverschämten Unholde! Am liebsten hätte sie ihnen die Mäuler gestopft, aber da hätte sie sich endgültig verraten und das wollte sie auf keinen Fall! So war eben die Männerwelt im Hintergrund. Nun gut, Andre träumte bestimmt auch nachts in seinem Bett von ihr, aber das war etwas anderes. Sie schielte unauffällig zu ihm hinüber und ihre Blicke trafen sich für einen kurzen Wimpernschlag. Ihm war auch nichts anzusehen, aber sie ahnte, dass ihm solche Reden über sie nicht geheuer waren. Andre verging innerlich vor Zorn, aber wieder einmal hielt er sich in der Gewalt, der Liebe zu Oscar wegen. „Ich habe nicht mehr die Lust, Karten zu spielen!“, hörten sie beide Claude sagen und wendeten ihre Blicke von einander ab. Claude rieb sich das Kinn und grinste geheimnisvoll über beide Ohren: „Mir ist gerade danach, ein paar gewissen Damen einen Besuch abzustatten, um wieder einmal etwas Weiches unter mir zu spüren!“ „Keine übler Gedanke!“, frohlockte Jean mit begierigem Augenleuchten und zwinkerte den neuen Gästen zweideutig zu: „Ich kenne da ein hübsches Freudenhaus und die Mädchen dort sind allererste Sahne! Wollt ihr zwei mitkommen?“ Oscar und Andre schüttelten resigniert ihre Köpfe. Das würde ihnen noch fehlen, in solchen Häusern zu verkehren! Besonders Oscar war nicht erpicht darauf. Schon der Gedanke daran, verursachte ihr eine Gänsehaut. Und Andre bedurfte solcher Abwechslung nicht! Er interessierte sich nur für Oscar! Sie war die einzige Frau in seinem Leben und würde es auch bis ans Ende seiner Tage bleiben! „Kommt schon mit, ihr beiden!“, versuchte Claude sie zu überzeugen: „Das wird euch einen Heidenspaß machen! Ich kenne diese Damen! Und was soll ich sagen? Sie beherrschen ihr Handwerk ausgezeichnet!“ „Nein, danke!“, sagten Oscar und Andre in bestimmenden Ton: „Wir verzichten!“ „Lasst sie in Frieden und geht alleine hin!“, empfahl Alain seinen Kumpanen zu Gunsten von Oscar und Andre. „Eure Damen sind vielleicht die erste Sahne, aber nicht gut für den Geldbeutel. Und deswegen bleibe ich auch lieber hier und amüsiere mich weiter mit unseren neuen Freunden!“ „Wie du willst, Alain.“ Claude und Jean hakten nicht weiter nach. Es war ihnen eilig. Draußen herrschte schon Dunkelheit und das genannte Freudenhaus machte um diese Zeit auf. Wer erster sein wollte, sollte schon etwas früher da sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)