Ein zweites Leben von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 27: Unerfüllbarer Wunsch -------------------------------- Wenige Meter ihres Heimweges herrschte eine gelassene Stille zwischen ihnen. Nur das Hufklappern der beiden Pferde unterbrach sie, mit einem leisen und leicht hallenden „klock, klock, klock“ auf dem gepflasterten Steinboden. Die abendliche Mailuft brachte eine kühle Frische über warmen Tag. Kein einziges Wölkchen zog am dunkelblauen Himmel vorbei. Er erinnerte deshalb an einen endlosen Ozean. Der silberne Vollmond und die klaren Sterne leuchteten wie grelle Lichtpunkte von oben herab und vermittelten eine Nachdenklichkeit. Zumindest für Oscar. Sie wollte nicht, dass Andre sie den ganzen Weg auf seinen Armen trug. Aber andererseits fand sie irgendwie Gefallen daran. Es war das erste Mal, dass er das tat und es war das erste Mal, dass sie sich zu schwach fühlte, um dagegen protestieren zu können. Wie es wohl wäre, eine richtige Frau zu sein? Nein, kein Mannsweib wie sie, sondert eine ganz normale Frau mit diesen sensiblen Gefühlen und Empfindungen? Eine ganz gewöhnliche Frau, die mit ihrem geliebten Mann bis ans Ende ihrer Tage überglücklich lebt. Bedauernd musste sich Oscar sogleich eingestehen, dass sie dafür nicht geschaffen war. Sie seufzte und bekam plötzlich einen außergewöhnlichen Einfall. „Andre?“ „Ja, Oscar?“ „Ich will nicht nach Hause...“ „Wohin willst du dann?“ „In die Kirche.“ „Was willst du dort?“ Andre überraschte ihr Verhalten. Entweder verfiel sie durch den Alkohol in Melancholie oder sie schwebte in Erinnerungen aus dem früheren Leben. „Heiraten“, hauchte Oscar murmelnd: „Die Pfaffen sind doch bestechlich. Sie werden mehr auf Goldmünzen schauen als auf unseren Standesunterschied...“ „Ach, Oscar...“ Andre rührte ihre Bereitschaft zutiefst. Sie hatten sich zwar ein Eheversprechen abgegeben, aber gesetzlich waren sie noch immer nicht miteinander vermählt. „Ich würde dich gerne heiraten, aber erst wenn du wieder in Ordnung bist...“ „Ich bin nicht betrunken, falls du das meinst“, unterbrach ihn Oscar und zog ihn am Zopf. Andre nahm das kaum wahr. Er schmunzelte nur vor sich hin. „Doch, Oscar, das bist du. Die drei Bier sind dir zu Kopf gestiegen. Das hat dir nicht gut getan.“ „Andre hat recht, Oberst. Seht das ein“, mischte sich Alain in deren Zwiegespräch unverfroren ein. Innerlich war er auch gerührt, mal aus dem kühlen Kommandanten zarte Worte zu hören. Zwar waren sie für Andre bestimmt, aber umso mehr erfreute ihn das. „Willst du unser Trauzeuge werden, Alain?“ Oscar lallte schon fast, aber sie setzte sich stur durch. „Ich fühle mich geehrt, Oberst, aber...“ „Dann ist es entschieden!“ Oscar ließ ihn den Satz nicht zu Ende aussprechen. „Also los, Andre! Wir gehen in die nächst gelegene Kirche!“ „Oscar...“, setzte Andre an, aber auch ihn ließ sie kaum zu Wort kommen: „Ja, Andre, lass uns fortgehen und Mann und Frau werden! Das ist mein innigster Wunsch. Wenn das alles eines Tages vorbei ist und die neue Zeit anbricht, werden wir feiern... Wir beide werden glücklich miteinander sein... und du wirst mir dann sagen, wie sehr du mich liebst und dass du mein Mann bist... Wir gründen eine Familie und werden Kinder haben... Du magst doch Kinder, oder?“ „Ja, Oscar...“ Andre schluckte hart. Sein Körper erschauerte leicht und seine Kehle schnürte sich zu. Unbewusst verstärkte er den Druck seiner Finger an ihrem Körper und seine Füße trugen ihn von alleine weiter. Oscar sprach fast das Gleiche aus, wie an seinem Sterbebett in ihrem früheren Leben. Was kommt noch als nächstes? „Das ist gut... Ich mag auch Kinder... Wir ziehen nach Arras und beobachten täglich den Sonnenaufgang... Das hat dir doch so sehr gefallen, als wir dorthin auf den Weg waren... Weißt du das noch? Lass uns diesen Augenblick noch einmal genießen... Nur wir beide - du und ich, ganz alleine... hörst du?“ „Ja, Oscar, aber bitte hör auf damit...“, flehte sie Andre beinahe erstickt an. Ihre Worte schmeichelten ihm und sein Herz füllte sich mit Freude, aber gleichzeitig lag ihm ein flaues Gefühl im Magen. Oscar verstand bestimmt selber nicht was sie da redete! Hatten ihr das Bier und die Schlägerei wirklich so sehr zugesetzt, dass sie jetzt wirres Zeug redete? Oder waren das ihre letzten Worte an ihn aus dem früheren Leben gewesen, die er nicht mehr gehört hatte, weil er verstarb? „Das sind die Nachwirkungen“, meinte Alain nebenbei, als hätte er seine Gedanken gelesen. Als Oscar ihn reden hörte, regte sie schwach in Andres Armen. Sie hob ihren Kopf von Andres Schulter und blinzelte suchend in seine Richtung. „Alain?“ „Ja, Oberst?“ Alain beugte sich etwas nach vorne, damit sie ihn in ihrem Blickfeld hatte. Oscar sah zum Teil verschwommen. In ihrem Kopf drehte sich alles und ihre Zunge klebte beinahe an ihrem Gaumen fest. „Wenn das alles erledigt ist, können wir dann die Bastille einnehmen... Wir haben doch Kanonen.... Und jeder wird auf meinen Befehl hören...“ „Die Bastille? Kanonen? Was für ein Befehl?“ Alain sah verdattert von ihr zu Andre. Er verstand gar nichts. „Wovon redet sie?“ Armer Alain! Er fürchtete bestimmt um ihren Verstand! Andre versuchte die Sache gerade zu biegen und lachte freudlos auf. „Hör nicht auf sie. Sie ist betrunken. Oder was erwartest du von ihr in diesem Zustand?“ „Das haut natürlich hin!“ Alain holte erleichtert tiefe Luft und schwelgte seine Brust. Er grinste dabei breit und schaute wieder gerade aus. „An ihr sieht man es gleich, wie sich der Überfluss an Bier mit zierlichen Frauen verträgt. Wohingegen echte Männer wie wir, alles beides gut vertragen!“ „Andre...“, hauchte Oscar ermattet von sich und ihr Kopf fiel schlaff auf seine Schulter zurück. Ihre schweren Augenlider klappten zu und ihr Gesicht verzog sich. Dann entspannte sie sich und von ihr erklang ein leises Schnaufen. Ihr Arm, der um seinen Nacken lag, glitt nach unten und baumelte anschließend in der Luft. „Sie scheint eingeschlafen zu sein“, stellte Andre fest und atmete innerlich auf. Er streifte unauffällig mit seinen Lippen und seinem Kinn über ihre blonden Locken, als wolle er sich noch vorsichtshalber davon überzeugen. Von Oscar kam keine Reaktion und sie bestätigte ihm damit, dass sie tief und fest schlief. „Sie wird morgen einen dicken Brummschädel haben, das kannst du mir glauben, mein Freund!“, prophezeite Alain und gleich darauf warf er Andre einen ernsten Blick von der Seite zu. „Aber findest du es klug, sie jetzt nach Hause zu bringen?“ „Was kann da schon passieren?“ „Überlege doch mal, Andre! Du bringst sie Heim in einem völlig betrunkenen und verprügelten Zustand! Stell dir vor, euch sieht jemand und Oscar beginnt in ihrem Rausch über unverständliches Zeug zu reden! Verstehst du jetzt, was ich meine?“ Andre verstand ihn selbstverständlich. Oscar war nicht mehr ganz bei Sinnen und so durfte sie kein Mensch zu Gesicht bekommen! Besonders nicht seine Großmutter oder ihre Eltern! „Aber wo soll ich sie dann hinbringen?“ Alain überlegte nicht lange. „Ihr beide übernachtet heute bei mir! Meine Mutter und meine Schwester kennst du ja bereits. Sie würden sich freuen, auch mal deine Flamme kennenzulernen!“ „Oscar ist aber nicht gerade in bester Verfassung! Und wir wollen euch keine Umstände bereiten, Alain!“ „Das macht nichts, mein Freund! Ihr bleibt diese Nacht bei uns und basta!“ Es war noch nicht allzu spät am Abend, als Andre seine Oscar in Alains Wohnung trug. Um diese Zeit schlief noch keiner. Immer, wenn Andre nicht mit Alain in einem Gasthof verabredet war, besuchte er ihn zu Hause. Nun traten sie zu dritt herein und Alain rief schon von der Türschwelle aus, nachdem er Andre mit Oscar auf den Armen vorgelassen hatte: „Mutter! Diane! Ich bringe für heute Gäste!“ Es war eine kleine und ärmliche Wohnung. Sie standen gleich in einem großen Raum, der mit einem Tisch, Stühlen, einem Ofen und einem Regal ausgestattet war. Drei Schlafräume befanden sich auf der anderen Seite und anstatt mit Türen, waren sie nur mit groben Leinenstoffen abgetrennt. In dem mittleren Zimmer von ihnen brannte ein Kerzenlicht. Der Vorhang wurde zur Seite geschoben und zwei Frauen kamen zum Vorschein. „Was schreist du das ganze Haus zusammen, mein Sohn?“, sagte die ältere Dame mit zum Teil ergrautem Haar, das aber noch in guter Form lag. Sie trug eine Kerze. Vor ihr lief ihre Tochter. Ein junges, hübsches Mädchen, etwa an die vierzehn Jahre, mit hellbraunem Haar und gleichfarbigen Augen. „Was bringst du uns da, Alain?“ Diane grüßte ihren Bruder mit einem Nicken und schaute neugierig zu den Gästen an seiner Seite. Ihre Mutter gesellte sich zu ihr und brachte mehr Licht. „Andre! Das ist eine Überraschung!“ Ihr fiel sogleich der blondgelockte Offizier in seinen Armen auf. „Und wer ist das?“ „Das ist Oscar...“, stellte Andre seine Geliebte verlegen vor: „Sie ist etwas... sagen wir mal so... erschöpft.“ „Wieso erschöpft?“ Diane musterte die schlafende Frau neugierig. Andre hatte bei jedem seiner Besuche über sie erzählt. Meistens waren das seine Schwärmereien. Nun konnte sie die feinen, hübschen Gesichtszüge der Frau seines Herzens auch betrachten. Ihre Freude schwand. „Warum sieht sie aber so geschlagen aus?“ Andre suchte nach einer passenden Antwort: „Nun... ähm...“ Alain stemmte sich eine Hand in die Seite und mit der anderen kratzte er sich am Hinterkopf. Er fand gleich eine plausible Ausrede: „Wir haben in einem Gasthof ein Bierchen getrunken. Dann kamen ein paar finstere Gestalten und wir haben uns nur verteidigt.“ „Genau so ist es gewesen“, bekräftigte Andre, der seine Sprache wieder gefunden hatte. „Aber das war zu viel für Oscar und deswegen ist sie erschöpft.“ „Komm mit, Andre“, entschied Diane mitfühlend und ging ihm voraus. „Leg sie auf meinem Bett ab und erzähle, was wirklich passiert ist!“ „Das hat doch Alain schon gesagt“, wich ihr Andre aus. Er wollte nicht in die Einzelheiten eingehen. Ihm war schon unbehaglich genug. Diane schob den Vorhang ihres Schlafraums zur Seite, richtete die Bettwäsche gerade und Andre legte Oscar vorsichtig auf die Matratze ab. Er zog ihr die Stiefel aus und stellte sie am Fuße des Bettes ab. Oscar stöhnte schmerzverzerrt und drehte sich mit angezogenen Knien auf die Seite. „Die Arme!“, seufzte Diane mitleidig und warf Andre einen schiefen Blick zu. „Und ihr zwei habt zugelassen, dass sie sich mit den Männern schlägt?“ „Wir konnten nichts dagegen tun.“ Alain kam hinter ihnen an, begleitet von seiner Mutter. „Die waren zu viele. Wir mussten uns selbst mit einigen Kerlen herumschlagen. Und zudem kann Oscar auch gut kämpfen.“ „Sie ist aber eine Frau!“ Madame de Soisson schüttelte verständnislos den Kopf und schob sich näher an das Bett. „Diane! Hol Wasser und ein paar Tücher! Alain, Andre, ihr verlasst den Raum! Ich ziehe ihr die Uniform aus, sonst erstickt sie darin!“ „Ich kann Euch dabei helfen“, erbot sich Andre selbstsicher. „Sie ist schließlich meine Geliebte.“ „Nun gut. Du kannst bleiben.“ Madame de Soisson war einverstanden. Sie kannte sich mit diesen Uniformen ohnehin nicht aus. „Ich bin im Vorraum, falls ihr mich braucht“, sagte Alain, warf einen kurzen Blick auf Oscar und verschwand mit Diane hinter dem Vorhang. Andre drehte Oscar sachte auf den Rücken, legte ihre Beine gerade und knöpfte ihr die Uniformjacke auf. Madame de Soisson stellte die Kerze auf einem Hocker am Kopf des Bettes ab und half ihm die rote Uniformjacke gänzlich auszuziehen. Sie legte sie auf dem nahestehenden Stuhl ab und kehrte an das Bett zurück. Andre hatte Oscar schon das Hemd vorsichtig aus der Hose gezogen und knöpfte dieses von unten nach oben bis zum Brustkorb auf. Er erinnerte sich, dass sie ihren Arm den ganzen Weg bis hierher um ihre Mitte gehalten hatte. Da musste was dran sein. Seine Finger zitterten leicht. Er kannte jede Stelle und jede Narbe ihren Körpers, aber das, was er da gerade freilegte, ließ ihm kalte Schauer über den Rücken laufen: Auf einer Seite, zwischen ihrer Hüfte und den Rippen, breitete sich ein grässlicher Bluterguss aus. „Womöglich ist ihr eine Rippe gebrochen.“ Abermals schüttelte Madame de Soisson ihren Kopf. „Ich verstehe die Welt der Adligen nicht. So eine gutaussehende Frau steckt man doch nicht in eine Uniform und lässt sie wie einen Mann erziehen?!“ Diane kam mit einer Schüssel frischem Wasser und Tüchern herein. Als sie den Bluterguss auf der hellen, zarten Haut von Oscar entdeckte, zog sie erschrocken die Luft ein. „Arme Lady Oscar...“ „Tja, Kind, sie ist wirklich zu bedauern.“ Madame de Soisson nahm eines der Tücher, tauchte dieses in das kühle Wasser und wrang ihn kräftig aus. „Diese Adligen müssen verrückte Menschen sein, wenn sie schon aus ihren Töchtern Soldaten machen.“ Sie faltete das feuchte Tuch zusammen und legte es vorsichtig auf den Bluterguss. „Das kühlt ab.“ Oscar stöhnte, ihr Gesicht verzog sich. Ihr Körper bäumte sich etwas auf und dann lag er wieder still. Andre nahm das andere angefeuchtete Tuch von Diane und setzte sich auf die freie Seite des Bettes. Er tupfte damit vorsichtig das Gesicht von Oscar ab und flüsterte ihr sanft zu: „Ist ja gut, Oscar. Es ist gleich vorbei.“ Ihre trockenen, schrumpligen Lippen formten seinen Namen als wäre sie am verdursten: „Andre...“ „Ich bin bei dir, Oscar.“ Sie hörte seinen Namen irgendwo in ihrem Unterbewusstsein und drehte ihren Kopf zu ihm. Ihre Augen blieben geschlossen, ihre Hand aber tastete kaum merklich nach der seinen. Andre legte das Tuch beiseite und umfasste zart ihre Finger. Sie fühlten sich leicht warm und trocken an. Madame de Soisson kühlte ihr noch paar Mal den Bluterguss ab und ließ das Tuch dann in der Schüssel liegen. „Schütte das Wasser weg, Diane, und bereite einen Tee gegen Übelkeit und Kopfschmerzen für Lady Oscar.“ „Mache ich gerne, Mutter.“ Diane tat alles wie geheißen und ihre Mutter kehrte an das Bett zurück. Andre hatte derweilen Oscar das Hemd zugeknöpft und deckte sie mit einer Decke zu. Madame de Soisson beobachtete ihn dabei gütig. „Du liebst sie wirklich sehr. Das sehe ich dir an.“ „Ja, Madame“, gestand Andre aufrichtig. Er setzte sich wieder an die Bettkante und ließ Oscar nicht aus den Augen. „Oscar ist mein Leben. Wenn ich adlig wäre, dann wären wir schon längst miteinander verheiratet. Nach dem man uns heute aus dem Gasthaus rausgeworfen hat, wollte sie mit mir in die Kirche gehen und einen Priester bestechen, damit er uns traut. Und Alain wollte sie als unseren Trauzeugen haben. Ich habe zu ihr gesagt, dass das nicht geht, weil sie betrunken ist. Morgen wird sie sich ohnehin nicht an ihre Worte erinnern. Aber ich gebe zu, der Gedanke mit der Kirche war sehr verlockend. Doch ich wollte, dass sie dabei einen klaren Kopf behält und weiß, was sie tut.“ „Aus dir wäre ein guter Ehemann geworden, Andre.“ „Danke, Madame.“ „Ich lasse dich jetzt bei ihr und schaue was meine Kinder machen.“ Andre nahm kaum wahr, wie Madame de Soisson ging. Sein ganzes Denken und seine Aufmerksamkeit galten Oscar. Sie im Schlaf zu betrachten hatte er schon lange nicht mehr gemacht. Ein schwacher, gelbbräunlicher Lichtschein der Kerze umgab ihr feines Gesicht und ihren ruhenden Körper unter der Decke. Ihr Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig, kaum merklich. Ihr Kopf lag noch immer in seine Richtung gewandt und er konnte deutlich sehen, wie das Blut durch ihre Halsschlagader pulsierte. Er wagte sie nicht zu berühren, um sie nicht zu wecken. Sie sah so unschuldig und zerbrechlich aus. Andre dachte immer wieder an ihre Worte auf dem Weg hierher. Seine Lippen umspielten ein kleines Lächeln. Jedoch lag in seinen grünen Augen Wehmut. Er hätte sie liebend gerne geheiratet und mit ihr eine Familie gegründet, aber das war nicht so einfach wie sie sich das vorstellten. Es gab ganz bestimmt bestechliche Kirchenmänner, aber ob sie auch vertrauenswürdig waren, war eine andere Sache. Der Name de Jarjayes war allzu bekannt und wenn Oscar im Verborgenen und noch dazu unter ihrem Stand einen Ehebund eingehen würde, würde sie sich dadurch verwundbar und angreifbar machen. Man würde sie ausspielen, mit Hinterlist erpressen und somit unter Druck setzen können. Wie lange sie das dank ihrer Erziehung durchhalten würde, stand in den Sternen geschrieben. Irgendwann würden auch ihre gestählten Nerven und ihre aufrechte, stolze Erscheinung gebrochen sein. Nein, das dürfte niemals geschehen! Andre wagte doch noch, ihr eine Haarsträhne aus der Schläfe zu streichen. Seit fast drei Jahren waren sie nun ein Paar und so würde es auch weiterhin bleiben, bis die neue Zeit einbricht. Wie war das noch mal? Es würde eine Dreiständekammer einberufen werden und die Vertreter des Volkes würden auf die gleichen Rechte aller Menschen bestehen. Sie würden die Senkung der Steuern und vieles mehr verlangen. Andre zog seine Hand zurück. Die besagte neue Zeit hatte er mit Oscar in ihrem früheren Leben nicht mehr erleben können. Das war ihnen beiden nicht mehr vergönnt. Aber vielleicht würde es in diesem Leben anders kommen? Vielleicht würden sie dann in der Tat heiraten und eine Familie gründen können? Das klang einfach zu wunderbar, um wahr zu sein. Nein, diese neue Zeit schien noch weit fern zu sein. Und vielleicht würde sie auch gar nicht erst kommen, wenn Oscar und er es schaffen würden, die Revolution zu verhindern. Das hieß auch, dass zwischen ihnen weiterhin alles so bleiben würde, wie es bisher gewesen war. Und, dass ihrer beider innigster Wunsch somit für immer unerfüllbar bleiben würde. Für ihn ebenso, wie auch für sie. Das war anscheinend ihr Schicksal und es gab nichts, was man daran noch ändern könnte. Aber wenigstens hatten sie ihr Liebesglück zueinander gefunden und das war momentan der einzige Trost, der jetzt für sie beide zählte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)