Ein zweites Leben von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 28: Vorhaben -------------------- Andre saß noch eine Weile bei Oscar und betrachtete sie gedankenverloren beim Schlafen. Sie zeigte von sich keine Regung, aber ihr Brustkorb hob und senkte sich kaum merklich. Auch Andre verharrte still und atmete lautlos durch die Nase. Er wusste nicht, wie viel Zeit schon verstrichen war und das war ihm nicht einmal von Bedeutung. Über Oscars Schlaf zu wachen und sich sicher zu sein, dass ihr nichts fehlte, war ihm in dem Moment das Wichtigste. So merkte er auch nicht, wie der Vorhang zur Seite geschoben wurde und sich der rabenschwarze Kopf von Alain durch die Spaltöffnung schob. „Kann ich reinkommen?“ Erst seine raue und gedämpfte Stimme brachte Andre dazu, sich von Oscar zu entreißen. Er sah in seine Richtung. „Aber sei leise!“, ermahnte er ihn halblaut. Alain trat an das Bett wie geheißen heran und blieb neben ihm stehen. Nun betrachtete er auch Oscars ruhende Gesichtszüge. „Sie ist wirklich schön und gibt einen guten Kommandanten ab. Aber solche Frauen zu lieben, muss schön anstrengend sein.“ Andre musste insgeheim schmunzeln. Er hatte diese Worte von Alain auch in seinem früheren Leben gehört. Nur waren das andere Umstände und er durfte ihn zu diesem Zeitpunkt normalerweise noch nicht kennen. „Sie zu lieben ist keineswegs anstrengend, Alain, solange sie mich auch liebt. Viel anstrengender für uns ist, unsere Liebe vor Ihresgleichen geheim zu halten.“ „Da könntest du recht behalten, Kumpel.“ Alain sah von Oscar auf Andre herab. „Ich habe nach euren Pferden geschaut, ihnen die Sattel abgenommen und sie mit Wasser versorgt. Bei uns im Hinterhof sind sie gut untergebracht.“ „Ich danke dir, Alain.“ „Keine Ursache, Andre. Du bist doch mein Freund.“ Alain legte ihm seine kräftige Hand grinsend auf die Schulter und Andre kam nicht umhin, ihm das Grinsen zu erwidern. In diesem Augenblick kam Diane mit einer Tasse in den Händen und ihrer Mutter an ihrer Seite herein. „Der Tee für Lady Oscar ist fertig“, sagte sie leise zu Andre und reichte ihm die Tasse. Andre nahm sie entgegen und bedankte sich. Die Tasse war sehr warm und daraus strömte ein starker Geruch nach irgendwelchen Kräutern. Er stellte den dampfenden Tee auf dem Hocker neben der brennenden Kerze ab. „Ich reiche es Oscar später, wenn sie aufwacht.“ Ob durch seine Stimme oder dem betörenden Geruch des Tees: Oscar entrann ein schwacher Laut von den Lippen. Ihr Gesicht bewegte sich, sie rümpfte ihre Nase und öffnete ihre schweren Augenlider. „Jetzt kannst du ihr den Tee gleich geben, Andre“, meinte Madame de Soisson, bei ihrer Tochter und ihrem Sohn stehend. Oscar hörte ihre unbekannte Stimme wie aus weiterer Ferne. Sie brauchte Zeit um zu realisieren, wo sie sich gerade befand. Auf jeden Fall nicht in ihrem Zimmer und nicht in ihrem Haus. Das erste, der ihr ins Blickfeld fiel, war der milde Gesichtsausdruck von Andre. „Wo bin ich?“, krächzte sie verwirrt. Ihre Kehle fühlte sich wie ein Reibeisen an und ihre Zunge war bleischwer. Ihr Kopf dröhnte und hämmerte an den Schläfen wie verrückt, als wäre ihr nicht genug Platz im Schädel. Sie schälte ihre Hände aus der Decke hervor und fasste sich bei den Schläfen. „Wir sind bei Alain zuhause“, hörte sie Andres Stimme aus der Nähe: „Du warst nicht imstande, es bis nach Hause zu schaffen, Oscar. Deswegen sind wir jetzt bei ihm und du liegst im Bett seiner Schwester.“ „Mein Kopf...“, japste Oscar und kniff die Augen strenger zusammen. „Deshalb musst du jetzt das trinken“, vernahm sie wieder seine Stimme und die Bewegung. Oscar entfernte ihre Hände von dem Kopf. Allen Schmerzen zum Trotz, richtete sie sich mit Hilfe ihrer Ellbogen und quälend langsam auf, um zu sehen was Andre ihr da vor die Nase setzen wollte. Sie erblickte die schäbige Tasse in seinen Händen und irgendein dunkles Gebräu darin. Noch stärker stieg ihr der Geruch nach undefinierbaren Kräutern in die Nase. „Was ist das?“ „Ein Tee, Madame Oscar“, sagte eine mädchenhafte Stimme von dem anderen Ende des Bettes: „Das hilft gegen Kopfschmerzen und Übelkeit.“ Oscar folgte der Stimme mit ihren Augen und entdeckte zwei Frauen und Alain am Fußende des Bettes. Die junge Stimme stellte sich und die ältere Frau an ihrer Seite höflich vor: „Ich bin Diane, Alains jüngere Schwester und das ist unsere Mutter. Wir heißen Euch sehr willkommen bei uns.“ „Danke“, hauchte Oscar kaum hörbar. Ihr nachdenklicher Blick fixierte sich nur auf Diane. Das arme Mädchen! Sie wusste nichts über ihre grausame Zukunft! Von ihrem Bräutigam verraten und betrogen, würde sie sich aufhängen. Gänsehaut entstand bei Oscar, als sie sich ungewollt an die grauenvollen Bilder aus dem früheren Leben erinnerte: Die alte Frau in ihrem Stuhl, verweint und aufgelöst. Alain vor dem Bett seiner Schwester kniend, verloren und verbittert, wünschte sich, er wäre mit ihr gestorben. Auf dem Bett lag der Leichnam von Diane - angezogen in ihr Brautkleid und bedeckt mit welken Blütenblättern. Den stechenden Geruch nach Verwesung glaubte Oscar jetzt schon zu riechen. Das war entsetzlich und leidvoll. Ihre Kehle schnürte sich zusammen und bittere Galle stieg in ihr hinauf, begleitet von Übelkeit. „Oscar, dein Tee!“ Andre stupste sie leicht an und brachte sie in die Wirklichkeit zurück. „Ich brauche kein Kindermädchen“, faselte Oscar unverständlich und richtete ihr Augenmerk wieder auf ihn. Dennoch nahm sie ihm die Tasse ab, setzte sie brav an die Lippen und trank langsam einige Schlucke. Warm rann das Gebräu ihr den Hals herunter und schmeckte wie eine bittere Medizin. „Ich danke euch“, sagte sie danach zu den beiden Frauen und verzog ein mattes Lächeln. „Eure Tee scheint zu helfen. Wir brechen gleich auf, denn wir wollen euch keine Umstände bereiten.“ „Das macht Ihr ganz und gar nicht, Lady Oscar“, widersprach Madame de Soisson freundlich: „Bitte bleibt heute Nacht unser Gast.“ „Das würde uns sehr freuen“, fügte Diane aufrichtig hinzu. „Das ist sehr nett von euch...“ Wie nett war doch diese Familie... „Sagt, wie ich mich dafür erkenntlich zeigen kann“, sprach sie, um sich auch von ihrer guten Seite zu zeigen. „Macht Euch deswegen keinen Kopf, Oberst. Wir brauchen nichts“, meldete sich Alain bei den beiden Frauen zum Wort. „Erholt Euch erst einmal“, meinte gleich zustimmend seine Mutter: „Ihr seht erschöpft aus. Und wir gehen auch ins Bett. Diane schläft heute bei mir, Alain bei sich und Andre hier, bei Euch.“ „Aber...“, wand Oscar verstockt ein. Damit hatte sie nicht gerechnet. Selbst hatte diese Familie kaum etwas und dennoch teilten sie es mit den anderen. Es schien so, als ob viele der einfachen Menschen mehr Herz besaßen, als die meisten der Adligen. Warum nur war diese Welt so ungerecht? Oscar fand darauf keine Antwort. „Kein aber, Oberst!“, mischte sich Alain wieder ein. Er hatte ihre Verwunderung anders verstanden, als sie es eigentlich gemeint hatte: „Ihr und Andre gehört doch zusammen, oder nicht?“ „Das schon, aber es übersteigt die Grenzen der Schicklichkeit“, sprang Andre für sie ein. Er hatte sowohl Oscar, als auch Alain gut verstanden. „Nun...“ Alain rieb sich am Kinn und zwinkerte Andre anzüglich zu: „So lange ihr zwei nicht allzu laut miteinander seid...“ „Alain!“ Bei Oscar weiteten sich die Augen. Obwohl sie mittlerweile seine derben Scherze schon gewohnt war, konnte sie sich manchmal trotzdem nicht damit abfinden. Und Andre auch nicht. Nicht, wenn Alains Witze in diese Richtung gingen. Er sah ihn pikiert an: „Also sage mal, was erlaubst du dir?!“ „War nur ein Spaß!“ Alain lachte herzhaft und wandte sich zum Gehen ab: „Also dann, gute Nacht.“ „Nehmt ihn bitte nicht ernst“, entschuldigte sich Madame de Soisson für ihn: „Er hat nur Unsinn im Kopf.“ „Schon gut.“ Oscar hatte sich wieder gefangen und zeigte ein mildes Lächeln. Im Grunde genommen kannte sie Alain und sein Verhalten schon zur Genüge. „Ich bin ihm nicht böse.“ „Ruht Euch dann aus.“ Madame de Soisson erwiderte ihr das Lächeln und verabschiedete sich mit ihrer Tochter von ihr und Andre. Oscar erwachte wie gewöhnlich, kaum dass der Morgen graute. Sie lag auf der Seite, fast auf der Kante des Bettes. Dicht hinter sich spürte sie einen warmen Körper, um ihre Mitte das Gewicht eines Armes und auf ihrem Scheitel den Atem eines Menschen. Sie wollte sich auf den Rücken drehen und ihren Andre ansehen, aber in diesem engen Bett war das praktisch unmöglich. Also blieb ihr nur eine Möglichkeit: Vorsichtig löste sie seinen Arm von ihrer Hüfte und legte ihn ihm auf das Becken. Dann schlug sie die Decke hoch, ließ ihre Füße von der Bettkante herabbaumeln und saß auf. In dem kleinen Raum wurde es noch heller. Sie erkannte einen Stuhl, auf dessen Rücklehne ihre rote Uniform hing. Dann Umrisse von dem Vorhang; den kleinen Hocker, auf dem die ausgebrannte Kerze und die ausgetrunkene Tasse standen. Sie erhob sich auf die Beine und drehte sich halbwegs um. Das Fenster hinter ihr zeigte die voranschreitende Helligkeit des anbrechenden Tages. Ihr Körper fühlte sich noch etwas ermattet und durch ihre Knochen zog sich ein leichter Schmerz, aber wenigstens ihr Kopf war wieder in Ordnung. Und auch ihr Geist fühlte sich wohler. Der grässliche Tee von gestern hatte seine Wirkung gezeigt und ihr in der Tat geholfen. Aus dem Fenster schauend, erinnerte sie sich an die Ereignisse des gestrigen Abends: Es hatte eine Schlägerei gegeben. Andre musste sie danach in seinen Armen tragen und sie wollte mit ihm in die Kirche. Stattdessen brachte er sie zu Alain in die Wohnung und sie fand sich später in Dianes Bett. So sturzbetrunken war sie keineswegs, wie Alain und Andre es angenommen hatten. Sie erinnerte sich an alles. Deutlich und klar! Ihr Blick schweifte von dem Fenster auf das Bett und sie musste schmunzeln. Andre hatte versucht, nach dem sie gestern unter sich waren, zu ihr eine geordnete Distanz zu wahren. Die anzügliche Bemerkung von Alain hatte ihn verlegen gemacht und er wollte sogar auf dem Boden schlafen, aber Oscar hatte ihm das ausgeredet. Er sei ihr Mann, hatte sie zu ihm gesagt und er sollte sich deshalb nicht so zieren. Sie hatte ihm neben sich Platz gemacht, sich umgedreht und so getan, als würde sie einschlafen. Nach kurzer Wartezeit zog er seine Reitstiefel aus und legte sich vollkommen angekleidet zu ihr - darauf bedacht, sie nicht zu berühren oder gar zu bedrängen. Es musste spät nachts und als sie beide tief schliefen passiert sein, dass er seinen Arm um sie gelegt und sie enger an sich gezogen hatte. Oscar betrachtete ihn noch etwas, dann sammelte sie ihre Stiefel und die Uniform zusammen. Jemand hatte ihre Sachen ausgebürstet und vorzeigbar gemacht. Oscar entdeckte keine Verschmutzung mehr auf ihnen. Das hatte sie bestimmt den Frauen des Hauses zu verdanken. Oscar hatte gerade vor, ihre Sachen anzuziehen, als sie leise Schritte und Rascheln in ihrem Gehör vernahm. Das kam außerhalb des dichten Vorhangs. Schnell schlüpfte sie in ihre Uniform, zog ihre Stiefel an und trat vorsichtig hinaus. Diane deckte gerade fleißig den Tisch. Fünf Tassen standen schon und eine Kanne mit Tee war bereits auch angerichtet. Mehr gab es aber auch nicht. „Das brauchst du für uns nicht zu tun“, entfuhr es Oscar halblaut. Diane sah auf. Sie wollte gerade den Tee in die Tassen eingießen. „Guten Morgen, Madame Oscar. Habt Ihr gut geschlafen? Wie geht es Euch heute?“ Sie lächelte freundlich und stellte die Kanne zurück - in die Mitte des Tisches. Im wachen und etwas besseren Zustand als gestern, sah Lady Oscar schöner und anmutiger aus. So wie Andre seine Oscar meistens bei seinen Besuchen beschrieben hatte. Auch die Stimme von ihr klang hell und klar. „Mir geht es ausgezeichnet. Ich habe bestens geschlafen und möchte mich für eure Gastfreundschaft bedanken.“ Oscar erwiderte ihr das Lächeln und trat näher an den Tisch heran. „Und für die Uniform bedanke ich mich auch.“ „Das habe ich gerne gemacht.“ Diane errötete verlegen. Lady Oscar strahlte eine Aura aus, die sie anziehend und unvergleichbar machte. „Möchtet Ihr Euch hinsetzen?“, bot sie an, um nicht ganz in Verlegenheit zu versinken. „Wenn du mir Gesellschaft leistest.“ Oscar kam nicht umhin, dieses Mädchen zu bewundern. Diane besaß die gleiche Unbefangenheit wie ihr großer Bruder, aber diese reine und unschuldige Ausstrahlung unterschied sie gewaltig von ihm. Unwillkürlich musste Oscar an die kurzen Begegnungen mit dem Mädchen aus ihrem früheren Leben denken. Das waren zwar sehr kurze, aber angenehme Augenblicke. Oscar wurde es gleich unwohl zumute, als sie auch an die bittere Zukunft von Diane denken musste. Sie würde auch das versuchen zu verhindern. Sie wusste zwar noch nicht wie, aber ein Einfall kam ihr schon in den Sinn. Zwar hatte es nicht viel mit Diane selbst zu tun, aber vielleicht würde eine nähere Bekanntschaft mit ihr etwas daran ändern können. „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.“ „Ich bin ganz Ohr, Madame Oscar.“ Diane wartete, bis Oscar sich hinsetzte und nahm dann selbst ihr gegenüber am Tisch Platz. Sie war zwar wirklich neugierig, aber wirkte auch gleichzeitig etwas schüchtern. Nicht wegen Lady Oscar selbst, sondern wegen ihrem hohen Stand und ihrer Position. Das war das erste Mal, dass sie mit einer Adligen sprach, die sie weder herablassend ansah noch sich selbstgefällig aufplusterte. Mit ihr konnte sie sich auf eine ungezwungene Art unterhalten. Sie verstand Andre daher mehr und mehr; und auch, warum er sich ausgerechnet in diese Frau unsterblich verliebt hatte. Oscar wählte einen sanften Tonfall, um das Mädchen nicht zu verschrecken. „Keine Angst, es ist nichts Schlimmes. Ich wollte dich nur fragen, ob du eine verschwiegene Schneiderin kennst, die ein gewöhnliches Kleid für mich anfertigen könnte? Ich beabsichtige Andre zu heiraten und in Uniform geht das schlecht. Das soll eine Überraschung für ihn werden.“ Diane saugte jedes einzelne Wort in sich auf. Das würde für Andre wahrhaft eine Überraschung werden! „Ich kann Euch leider keine Schneiderin empfehlen, Madame Oscar. Aber meine Mutter und ich können auch Kleider schneidern. Wenn das Euch nichts ausmacht, werden wir es gerne für Euch in Auftrag nehmen.“ „Das ist noch besser!“ Oscar freute sich sichtlich. „Ich gebe dir eine Adresse von einem Mädchen Namens Rosalie Lamorielle. Sie ist mit Bernard Chatelet verheiratet und hatte früher bei mir gewohnt...“ „Ach, sie kenne ich doch bereits! Wir begegnen uns ab und zu auf dem großen Marktplatz. Und Alain erzählt öfters über ihren Mann“, unterbrach sie Diane im schnellem Redefluss. Sie hatte schon fast vergessen, wen sie eigentlich vor sich hatte und als ihr das auffiel, senkte sie entschuldigend ihren Blick. „Verzeiht mir, ich durfte Euch nicht unterbrechen.“ „Das macht nichts.“ Oscar sah leichthin darüber hinweg. „Es ist gut zu erfahren, dass ihr euch schon kennt. Rosalie ist ein gutes Mädchen und ich vertraue ihr. Sie kann dir in allem was mich betrifft und was du brauchst, behilflich sein. Für euch könnt ihr auch Kleider schneidern. Immerhin brauchen Andre und ich Trauzeugen. Ich spreche heute noch darüber mit Rosalie und Bernard. Und natürlich übernehme ich für alles die Kosten.“ Diane fühlte sich sehr geehrt. „Gibt es ein bestimmtes Datum, wann das alles fertig sein sollte, Madame Oscar?“ „Nicht direkt, aber noch in diesem Jahr. Es wird eine diskrete, schlichte Heirat im Verborgenen sein.“ Beseelt von ihrem neuen Vorhaben fieberte Oscar innerlich dem Tag entgegen, an dem sie mit Andre gesetzlich vermählt sein würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)