Die Prinzessin aus dem Turm von Flordelis ================================================================================ Kapitel 2: So läuft es ---------------------- Enttäuschung war einem wie dem Meisterdieb Russel gänzlich unbekannt, aber als er da so stand vor dem Turm in dem die Prinzessin sein sollte, ganz allein, abgesehen von seinem Schimmel Falada, da ward ihm doch das Herz schwer. Ein Loch prangte in der Mauer, die Prinzessin war fort und er konnte es sich nicht erklären. Wo war sie nur hinverschwunden? Prinzessinnen..., dachte er. Da warten sie sieben Jahre und dann geht’s ihnen noch nicht schnell genug, wenn man ihnen zur Hilfe kommen mag. Nun war guter Rat teuer. In welche der vier Himmelsrichtungen sollte er sich wenden? Wohin gingen Prinzessinnen nach jahrelanger Gefangenschaft? Ach könnte er nur jemanden fragen. Wie schade wäre es um das viele versprochene Geld, wenn er sie nicht finden würde. Um jemanden zu entdecken, der ihm helfen könnte, führte er Falada einen der Wege entlang, ohne zu wissen, wohin er ihn bringen würde. Doch schon bald, als hätte der liebe Gott die Hand ausgestreckt, fand er einen Mann unter einem Baum sitzend vor. Er wirkte blass, das kurze, schwarze Haar unterstrich das nur noch. Er hatte die Augen geschlossen, deswegen musste Russel ihn erst mehrmals anrufen, ehe er sie wieder aufschlug und ihn gelangweilt ansah. „Was willst du?“, fragte er mit müder Stimme, als hätte er bereits alles auf der Welt gesehen und es gäbe nichts mehr, was ihn erstaunen könnte. Doch über ein solch trauriges Thema wollte Russel nicht nachdenken. „Sitzt du schon lange hier, Gevatter?“ „Was ist schon lang?“, erwiderte er. „Sag mir einfach, was du wissen willst.“ Um sich nicht in philosophischen Fragen zu ergehen, fragte Russel ihn, ob er wüsste, wohin die Prinzessin aus dem Turm gegangen sei. Weit könne sie ja nicht sein, mutmaßte er, da sie bis vor kurzem noch eingesperrt gewesen sei, dies war immerhin gewiss. Der Mann deutete in die Richtung aus der Russel soeben gekommen war. „Dort entlang, die Straße hinab, ins nächste Dorf, ist sie gelaufen.“ „Ganz allein?“, fragte der Dieb. Es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, dass sie allein geflohen und dann einen solch anstrengenden Weg gewählt haben mochte. Wäre es nicht viel wahrscheinlicher gewesen, ins Nachbarreich, zu ihrem angedachten Verlobten, zu wandern? Aber wenn dieser Mann es sagte... „Sie befreite sich aus eigener Kraft“, fuhr er fort, „dabei bin ich extra wegen ihr hierher gekommen.“ Russel überkam ein ungutes Gefühl bei diesen so unbedacht gesprochenen Worten, ein Schauer gar, deswegen wollte er nicht weiter darauf eingehen. „Warum hast du sie nicht aufgehalten, Gevatter?“ „Das steht mir nicht zu“, lautete die knappe Antwort. Russel bedankte sich und entfernte sich rasch wieder von dem Mann. Als er sich nach wenigen Metern wieder nach ihm umdrehte, war der Fremde verschwunden. Was für ein seltsamer Kauz, dachte er und setzte seinen Weg fort. Seline bemerkte bald, dass die Hexe – deren Name Angra lautete, während der ihrer Tochter Mainu war – die Wahrheit gesprochen hatte. Nachdem sie den beiden ein einfaches Frühstück bereitet hatte, versuchte sie, das Haus zu verlassen und scheiterte doch an der Tür. Sie war nicht versperrt, niemand stand davor und doch konnte sie nicht hindurchgehen. Ihre Füße bewegten sich einfach nicht mehr, es sei denn sie strebte in die entgegensetzte Richtung. Also ergab sie sich vorerst ihrem Schicksal und erledigte den Haushalt der beiden Hexen. Sie fegte den Boden, sie wischte ihn, dann machte sie sich ans Mittagessen, das ihr schwerfiel. Saubermachen mochte noch machbar sein, doch kochen hatte sie in den letzten sieben Jahren nicht müssen und so verbrannte ihr die Suppe im Kessel und zur Strafe musste sie nicht nur diesen, sondern auch alle anderen im Haus befindliche Töpfe schrubben. Seline beklagte sich nicht, auch nicht als ihre Finger wund waren und sie bei jeder Bewegung schmerzten. Nach sieben Jahren im Turm war sie nur froh, zumindest Sonnenlicht zu sehen, selbst wenn sie lediglich ihr Gefängnis getauscht hatte. Zum Abendessen gab es Braten, der auch misslang, so dass Seline alsbald das ganze Häuschen putzen mussten, von oben bis nach unten, bis kein Staubkorn mehr übrig blieb. Dies erforderte fast die ganze Nacht, in der sie keine Ruhe fand. Kaum ein paar Sekunden, so schien es ihr, hatte sie geschlafen, da wurde sie wieder geweckt, um erneut Frühstück zu machen. Obwohl es dieser Suppe an nichts mangelte, endete es erneut in einer Bestrafung, diesmal waren es die Fenster, die nach Säuberung verlangten. Mit leisem Seufzen ging sie dieser Tätigkeit nach, blickte dabei in den Himmel und obwohl sie sich des Sonnenlichts freute, so bedrückte sie es an diesem Tag doch, dass die Freiheit noch immer unerreichbar fern schien. Wie wäre das schön, wenn dies ein Märchen wäre, dachte sie bei sich. Dann würde jemand kommen und mich retten. Aus eigener Kraft, so glaubte sie, würde ihr jedenfalls keine Flucht gelingen, nicht solange noch dieser Zauber auf ihr lag und sie nicht wusste, wie er zu brechen war. Auch verstand sie nicht, weswegen sie überhaupt gefangen gehalten wurde. Was hatte sie den beiden Bewohnerinnen getan? Es war am Abend dieses Tages, als sie, nach dem misslungenen Abendessen, ein Gespräch zwischen Angra und Mainu mitbekam, das sich eindeutig um sie drehte. „Mutter, wie lange sollen wir sie eigentlich durchfüttern?“ Sie verstand nicht, weswegen derart viel Verachtung in der Stimme der Tochter lag, was immer sie dieser getan haben sollte, sie konnte sich keiner solchen Tat entsinnen. „Geduld, mein Kind. Du weißt – oder besser – du erinnerst dich doch hoffentlich, dass ich erst etwas prüfen muss, bevor wir sie töten können.“ „Ob sie etwa eine Prinzessin sei? Oh Mutter, sei nicht dumm. Wie kann ein so lumpiges Kind von Adel, gar eines Königs Tochter sein?“ Seline blickte an sich herab und stellte auch fest, dass es nichts gab, was darauf hinwies, dass es sich bei ihr um eine Prinzessin handeln mochte. Wie war Angra nur auf diesen Gedanken gekommen? Aber vor allem: Was wollte sie dann von ihr? Sie war immerhin nicht umsonst in dieses Haus gekommen, es gab keine Königsfamilie mehr, der an ihr lag. „Wer weiß?“, erwiderte Angra darauf nur. „Geduld ist eine Tugend und sie zahlt sich nicht selten aus. Lass dir das von mir gesagt sein.“ Seline hatte genug gehört. Sie wich von der Tür zurück, widmete sich weiter ihrer undankbaren Aufgabe, Staub zu wischen und dachte sich ihren Teil, der hauptsächlich aus der Frage bestand, ob sie es schaffen könnte, diesem Hexenhaus zu entkommen oder ob sie hier verenden müsste. Ein bitteres Lachen entkam dabei ihrer Kehle. Sollte sie so lange überlebt haben, nur um nun an einer bösartigen Hexe zu scheitern und ihr Leben zu verlieren? Welch grausames Schicksal hatte Gott ihr damit nur auferlegt? Doch ich hab es nicht anders verdient, dachte sie bei sich. Was rebellierte ich auch gegen meinen Vater? Das musste Gott erzürnen. Umso bitterer war die Erkenntnis, dass sie sich nicht einmal mehr erinnerte, weswegen sie rebelliert hatte. Da war ein Grund gewesen, ein wichtiger sogar, aber er entglitt ihr, wann immer sie daran zu denken versuchte. Also gab sie es auf und konzentrierte sich wieder auf ihre momentane Situation, die ihr noch immer so auswegslos und traurig erschien. Sie glaubte nicht, an ein Märchen hoffen zu können, aber sie wusste ja auch nicht, dass es bereits jemanden gab, der nach ihr suchte und der sich ihr unaufhaltsam näherte. Im Dorf angekommen, durch das Seline erst zwei Tage zuvor gewandert war, blickte Russel sich nach der Prinzessin um. Er wusste nicht, wie sie aussah, aber er hatte die Erfahrung gemacht, dass man es adeligen Menschen immer ansah, selbst wenn sie lange von ihren Wurzeln getrennt worden waren. Doch zwischen all den Bauern, die ihn an seine Eltern erinnerten, die er vor langer Zeit verlassen hatte, um ein Dieb zu werden, fand er keine Spur der Prinzessin. Fast schon fürchtete er, sie wäre Räubern zum Opfer gefallen, möglicherweise gar bereits von diesen verspeist worden, wie man es ihnen allgemein nachsagte. Aber bevor er diesem Gedanken zu lange nachhängen konnte, fragte er einige der Leute im Dorf und tatsächlich war sie hier gesehen und und von jedem Ruheplatz verscheucht worden, da man sie für eine Streunerin gehalten hatte. Von da an wurde die Spur unklarer, doch ein alter Mann konnte ihm verraten, dass sie schließlich in den angrenzenden, düsteren Wald weitergegangen war. Gleichzeitig wurde er vor diesem gewarnt, da sich darin eine Hexe aufhalten sollte – dies war aber nur ein Grund mehr, dass Russel ebenfalls dort hinein musste. Hexen waren fast so schlimm wie Räuber, da durfte er keine Zeit mehr verlieren und konnte nur hoffen, dass er nicht zu spät kommen würde. Angst verspürte er keine, diese Emotion war ihm fremd, anders als seinem Pferd. Aufmunternd klopfte er Falada den Hals. „Mein Freund, es gibt keinen Grund, sich zu fürchten. Lauf tapfer voraus, damit wir bald wieder heimkehren können.“ Diese Worte schienen das Pferd zu beruhigen, denn es setzte sich in Bewegung, um den finsteren Wald zu betreten und sich der Hexe zu stellen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)