Just be Friends von Chocoberry ================================================================================ Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- Den Sonntag über hatte ich Collin gemieden, er war nicht zum Frühstück und zum Mittagessen erschienen, den Tee hatte ihm wahrscheinlich Loretta gebracht und das Abendessen hatte ich wieder ausfallen lassen. Durch das Fenster drang nur wenig Licht in mein Zimmer, es war noch sehr früh und es wurde jetzt, Anfang September schon wieder später hell. Im Licht meiner Deckenlampe stand ich vor dem Spiegel und betrachtete mich. Meine neue Schule hatte eine unglaublich tolle Uniform. Sie war blau und bestand aus einem Faltenrock und einem dunkelblauen Pullover mit V-Ausschnitt. Unter dem Pulli trug ich ein weißes T-Shirt, weil mir der Ausschnitt etwas zu tief war und außerdem trug ich dunkle Overkneestrümpfe. Normalerweise bin ich mit meinem Aussehen nicht so zufrieden, aber heute gefiel ich mir echt gut. Meine braunen Haare lies ich offen , sie fielen mir bis knapp unter die Brust. Mir war gar nicht aufgefallen, dass meine Haare in den letzten Wochen so lang geworden waren. Noch ein letzter Blick in den Spiegel, dann schnappte ich mir meinen Rucksack und verließ mein Zimmer. Im Esszimmer wartete schon ein Frühstück auf mich, nicht so ausladend wie in den letzten Tagen, aber immer noch sehr üppig. Cecille leistete mir Gesellschaft. Sie wollte mich heute zur Schule fahren, normalerweise müsste ich den Bus nehmen, aber weil heute mein erster Tag war, machte sie eine Ausnahme. Dann klingelte ihr Telefon. Ich verstand nicht worum es ging, aber sie sprach hektisch in den Hörer und wirkte etwas gereizt. „Es tut mir Leid, ich muss sofort zur Arbeit und kann dich nicht fahren, soll ich Collin bitten dich zu fahren?“ fragte sie mich, als sie aufgelegt hatte. Collin? Mich zur Schule fahren? Niemals! „Nein, nein nicht nötig, ich kann auch heute schon den Bus nehmen.“ winkte ich ab. „Aber du kennst doch den Weg gar nicht. Du wirst dich noch verlaufen.“ sie wirkte besorgt. „Ach das ist wirklich kein Problem, so schwer wird der Weg schon nicht sein. Und Collin schläft doch bestimmt noch.“ Verstand sie den nicht, dass ich wirklich nicht von ihrem Sohn zur Schule gebracht werden wollte. „Collin schläft nicht mehr, er schläft nur sehr wenig, Schlafprobleme glaube ich. Und du würdest mir wirklich ein ruhiges Gewissen verschaffen, wenn du dich fahren lassen würdest. Ich würde ja auch Butler Bescheid geben, aber den habe ich vorhin schon weggeschickt, er musste los etwas besorgen.“ Sie stand auf und verließ den Raum. Als ich fünf Minuten später fertig mit dem essen war und in die Eingangshalle trat stand dort Collin. „Mutter hat gesagt du brauchst eine Fahrt zur Schule.“ sagte er. Er hielt einen Autoschlüssel in der Hand. „Ich habe ihr eigentlich gesagt, dass ich auch laufen kann. Es sind ja nur 10 Minuten.“ Ich schaute ihn nicht an, sondern starrte auf meine Füße. „Ja , 10 Minuten auf einem Waldweg mit einigen Abzweigungen. Jetzt stell dich nicht so an. Zieh deine Schuhe an und komm, ich muss heute auch noch arbeiten.“ er klang genervt. Super, genau deswegen war ich ihm doch gestern aus dem Weg gegangen. Weil mich seine Launen nervten. Aber weil ich ihm nicht noch weiter nerven wollte zog ich meine Chucks an und folgte ihm dann nach draußen zur Garage. Sein Auto, und ich war mir sicher, dass es ihm gehörte, war anthrazitfarben, die hinteren Scheiben waren getönt, ebenso wie bei dem, mit dem ich vom Flughafen abgeholt worden war. Neben diesem standen hier noch zwei weitere Wagen, ein dunkelblauer Sportwagen und ein senfgelber. Im Auto schwiegen wir zunächst. Dann erklärte mir Collin den Weg, den ich in der nächsten Zeit zum Bus würde nehmen müssen. „Und hier ist die Bushaltestelle.“ Er deutete mit dem Kopf auf ein weißes Schild mit einem roten Kreis, der noch einen roten Balken in der Mitte hatte. „Du kannst mich auch hier raus lassen, der Bus kommt ja gleich“ versuchte ich noch mal mein Glück. Er schaute mich an. „So langsam bekomme ich das Gefühl, als könntest du mich nicht leiden. Vergraule ich dich?“ Ich wurde rot, er erinnerte sich also noch an meinen genauen Wortlaut unserer Unterhaltung. „Weil du mir nicht zutraust, dass ich dich schlagen würde?“ Warum musste ich nur immer so schüchtern klingen? „Ja, dass würde ich dir im Moment wirklich nicht zutrauen. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet.“ erinnerte er mich. „Was würdest du den tun, wenn ich dir sagen würde, dass ich dich nicht leiden kann?“ fragte ich herausfordernd. Inzwischen achtete ich nicht mehr auf die Umgebung, sondern schaffte es endlich Collin anzusehen. Er hatte Schatten unter den Augen, anscheinend schlief er wirklich nicht besonders gut. „Was sollte ich dann schon tun. Dich im Wald aussetzen? Wahrscheinlich würde ich mir eine nette Aufgabe für dich ausdenken, zum Beispiel könntest du den Keller putzen und dann dürftest du darüber nachdenken.“ „Weil das meine Meinung ganz sicher ändern würde.“ „Nicht?“ er schmunzelte. Allerdings nur ganz kurz, wie schon beim letzten Mal. Als ob es ihn erschrecken würde, dass er grinsen musste. „Was starrst du mich eigentlich die ganze Zeit so an?“ Ich wurde wieder rot. Er hatte es bemerkt, wie ich ihn gemustert hatte. Wie peinlich! „Ähmmm....“ stotterte ich. „Deine Mutter hatte vorhin nur erwähnt, dass du wenig schläfst und dann ist mir aufgefallen, dass du tatsächlich sehr übermüdet aussiehst.“ Er nickte. „Ja , ich schlafe tatsächlich nicht sonderlich viel. Man kann seine Zeit immerhin auch effektiver nutzen.“ „Mit effektiver meinst du, man kann in der Zeit ein paar hunderte mehr verdienen?“ fragte ich. So langsam verstand ich, wie ich dachte. „Ja so ungefähr.“ „Aber was nutzen einem so viel Geld, wenn man zusammenbricht, weil man erschöpft ist?“ fragte ich ihn. „So weit wird es nicht kommen, es ist ja nicht so als ob ich überhaupt nicht schlafen würde. Außerdem ist es mir auch einfach nicht möglich, mehr als 4 Stunden zu schlafen.“ erklärte er mir. Hmm. Jetzt unterhielt ich mich mit einem Jungen, den ich seid grade mal 3 Tagen kannte über seine Schlafprobleme. Das hätte mir mal jemand vor einer Woche erzählen sollen. Aber irgendwie hatte ich keine Angst mehr vor Collin. Er war anders als alle anderen Menschen die ich kannte. Er war nicht normal. Aber vor normalen Menschen hatte ich Angst, vielleicht war es gut, auch mal unnormale Menschen kennen zu lernen. Aber was war eigentlich unnormal? Collin schreckte mich aus meinen sehr philosophischen Gedanken. „Du hast noch 10 Minuten bis es zum Unterrichtsbeginn klingelt. Vielleicht solltest du endlich mal aussteigen?“ fragte er mich. Ich blickte auf, tatsächlich standen wir vor einem eindrucksvollem Gebäude, dass überhaupt nicht an die Schulen erinnerte, die ich bisher kennengelernt habe. „Wie lange stehen wir den schon hier?“ fragte ich überrascht. „So etwa 5 Minuten.“ er klang belustigt. „So jetzt aber raus.“ Ich nahm meinen Rucksack vom Rücksitz und machte die Autotür auf. „Die Bushaltestelle, von der du zurückfährst, ist gleich dort drüben auf der anderen Straßenseite.“ er deutete auf das Haltestellenschild.“ „Danke Collin.“ ich schenkte ihm mein wärmstes Lächeln. Ich glaube, er sah viel zu selten ein Lächeln, wenn ihn sein eigenes immer so verschreckte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es mir einbildete oder nicht, aber die Wangen meines Gastbruders wurden ein wenig rot. Das Auto fuhr erst weg, nachdem ich das Schulgelände betreten hatte. Das Schulgebäude war schon sehr alt. zumindest sah es so aus. Vor der Eingangstür drängten sich viele Schüler, die alle in das Gebäude wollten. Viele hatten die gleiche blaue Uniform an, wie ich, aber manche hatten auch eine schwarze Uniform. Die Schüler in schwarz waren sahen allesamt älter aus, sicherlich der Abschlussjahrgang. Auch in der Schule war es voll. An der einen Seite der Fluren standen Schließfächer, an der anderen Wand hingen Plakate, Bilder und Fotos. Dazwischen waren immer wieder Türen. Im Sekretariat hatte man mir meinen Stundenplan gegeben. In der ersten Stunde hatte ich Englisch. In der Mittagspause saß ich zusammen mit zwei Mädchen an einem Tisch. Mit der einen hatte ich in der letzten Stunde zusammen Biologie gehabt. Sie hieß Olivia, war klein und ihre kurzen roten Haare standen ihr lustig vom Kopf ab. Ihre Freundin, sie hatte sich als Lucy vorgestellt, hatte braune lockige Haare, deren Spitzen blau gefärbt waren. Das Angebot der Cafeteria war auch großartig. Es gab eine Auswahl an verschiedenen warmen Speisen, Obst, Salat und Dessert, dass man sich aussuchte und dann an einer Kasse bezahlte. Trotz, dass hier mehr Schüler essen gingen, als in meiner alten Schule, ging es viel schneller mit dem kassieren. Und das Essen schmeckte auch besser. Kauend hörte ich Olivia und Lucy zu, wie sie sich über den neuesten Tratsch austauschten. „Sag mal, wie heißt eigentlich deine Gastfamilie?“ fragte mich Lucy. Ich nannte ihr den Namen, worauf die beiden überrascht die Augen aufschlugen. „Da hast du ja eine sehr wohlhabende Familie erwischt.“ Olivia klang begeistert. Ich hatte den Vormittag über bereits gelernt, dass auf diese Schule fast nur Wohlhabende gingen, dass es aber auch nicht verachtet wurde, wenn jemand weniger Geld hatte. Und anscheinend kosteten die Schulgebühren eine Menge. „Dann ist dein Gastbruder Collin Portcher, oder?“ fragten sie mich weiter neugierig. „Ja warum?“ ich war etwas verwirrt. „Kennt ihr ihn?“ „Ja, ich war mal ein halbes Jahr in seiner Klasse, in der ersten Klasse, aber dann wurde er das erste Mal hochgestuft. Und als ich an dieser Schule im ersten Jahr war, war er im letzten, da bekommt man ja manches mit.“ erklärte Lucy. „Was meinst du damit?“ Jetzt verstand ich gar nichts mehr. „Hat er dir das nicht erzählt? Naja er spricht bestimmt eh nicht mit dir. Er hat nie mit jemandem gesprochen. Aber er wurde zumindest von seiner Klasse immer ziemlich fertig gemacht. Sie haben ihn regelmäßig verprügelt und ihm Streiche gespielt und ausgelacht. Seine Hausaufgaben wurden ihm weggenommen. Aber er war auch immer sehr arrogant, hat sich nicht gewährt und die weniger Intelligenten im Unterricht lächerlich gemacht. Niemand konnte ihn leiden. Er wollte aber auch nicht gemocht werden, dass hat man gemerkt.“ erklärte sie mir. Ich musste wieder an Collin und mein erstes Gespräch denken. „Du hast verprügeln und auslachen vergessen.“ hatte er zu mir gesagt. Er hatte mir die Wahrheit erzählt und er hatte dabei gegrinst, wie verschlossen musste man dafür eigentlich sein? „ich glaube nicht, dass es ihn kalt gelassen hat, aber was hätte er den machen sollen? Zu mir war er jedenfalls freundlich, er hat mich zur Schule gefahren.“ verteidigte ich meinen Gastbruder. Wobei das ein wenig übertrieben war, er hatte mich auch zum weinen gebracht. „Wirklich? Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Vielleicht hat deine Gastmutter gesagt, er soll dich fahren?“ mutmaßte Olivia. Haha ertappt. Aber bevor ich etwas sagen konnte, klingelte es. Im Bus nach Hause saß ich am Fenster, den Rucksack auf dem Platz neben mir. So hatte ich meine Ruhe. Ich schaute aus dem Fenster. Inzwischen schien die Sonne, es war richtig warm geworden. An meiner Haltestelle stieg ich aus. Die Straße war im Wald. Wenn man ihr in die eine Richtung folgte kam man in die Stadt, in der auch meine Schule war, man konnte von der Haltestelle sogar die ersten kleinen Häuschen sehen, wenn man in die andere Richtung schaute, so sah man nur den Wald, und irgendwo 10 Fußminuten entfernt war das Haus meiner Gastfamilie und auch noch einige andere Häuser, die ebenso eindrucksvoll aussahen. Zum Glück schien heute die Sonne, sonst hätte mir der Wald womöglich angst gemacht. Munter ging ich los, ich achtete nicht auf die Leute , die mit mir ausgestiegen waren. Doch das erste Problem ergab sich schon, als die erste Abzweigung kam. Welche musste ich nehmen? Ich stand bestimmte eine geschlagene Minute vor der Abzweigung und Überlegte. Ich schaute nach hinten. Ein Junge lief in meine Richtung. Es würde sicher komisch wirken, wenn ich hier noch weiter rumstand. Also nahm ich spontan die eine Abzweigung und hoffte, dass es die richtige war. Es kam mir nichts bekannt vor. Das ist in einem Wald natürlich schwierig und außerdem hatte ich nicht wirklich gut aufgepasst, als Collin mir den Weg erklärt hatte. Trotzdem ging ich weiter. War ich nicht schon länger als 10 Minuten unterwegs? Langsam wurde mir etwas mulmig und vor mir wartete eine weitere Abzweigung. Ich weiß, dass Collin zwei Mal abgebogen war, aber an einigen Abbiegungen war er auch grade aus gefahren. Was sollte ich nur tun? Ich hatte nicht mal Collins oder Cecilles Telefonnummer, geschweige den wusste ich die vom Haus meiner Gastfamilie. „Alles okay?“ sprach mich eine Stimme an. Erschrocken drehte ich mich um. Es war der Junge, der vorhin schon hinter mir gewesen war. Er war die Art Junge, mit der ich noch nie im Leben gesprochen habe. Groß, selbstbewusst und nicht hässlich. Seine blonden Haare leuchteten golden im Sonnenlicht, dass durch die Blätter schien. Ich konnte doch nicht mit ihm reden, ich kannte ihn doch gar nicht. Ich starrte an ihm vorbei, um ihn auch nicht anschauen zu müssen. „Du brauchst vor mir keine Angst zu haben.“ sagte er freundlich. „I-ich bin auf dem Weg nach Hause.“ stammelte ich. „Aber du kennst den Weg nicht?“ riet er. Ich schaute ihn überrascht an. „Du siehst so verloren aus. Wo wohnst du den?“ fragte er mich. Konnte ich einem wildfremden einfach meine Adresse nennen? Das war doch total verantwortungslos. Ich überlegte kurz, dann nannte ich im den Namen der Straße, aber nicht die Hausnummer. „Dann musst du hier abbiegen“ er zeigte nach rechts. „Dann gehst du immer grade aus, und dann lichtet sich der Wald und du siehst die ersten Häuser. „ erklärte er. „Danke“ nuschelte ich. Ich hasste es wirklich mit fremden Menschen zu reden. Vor allem wenn es Jungs waren. Deswegen setzte ich mich schnell in Bewegung, bevor er es sich noch mal überlegen konnte und ein Gespräch mit mir anfing. Aber andererseits, warum sollte so jemand mit mir reden wollen? Als ich die Häuser erreichte hätte ich vor Erleichterung am liebsten geweint und ich zitterte regelrecht, als ich zuhause ankam. Das war einfach zu viel für mich. Auch als ich an der Tür zu Collins Zimmer anklopfte zitterte ich noch immer. Aber er hatte mir ja eine Aufgabe übertragen, und besonders nachdem, was ich heute in der Schule erfahren hatte, wollte ich freundlich zu ihm sein. Vielleicht war er dann ja auch immer nett zu mir und hatte nicht solche Stimmungsschwankungen. Wie schon beim letzten Mal schaute er nicht auf, als ich hereinkam. „Wie war es in der Schule?“ fragte er. „Sehr gut.“ antwortete ich wahrheitsgemäß. Meine Stimme zitterte total. Mist. Er schaute auf. Besorgt. „Alles in Ordnung?“ ich erzählte ihm, dass ich mich nicht an den Weg zurück hatte erinnern können. Er schien darüber erleichtert. „Ach so, ich dachte schon, sie wären in der Schule gemein zu dir gewesen.“ Wieder dachte ich daran, was Lucy und Olivia mir heute Mittag erzählt hatten. „Wo ist eigentlich mein Tee?“ fragte er dann und schaute auf meine leeren Hände. „Draußen.“ Verwirrt schaute er mich an. „Ich dachte mir frische Luft würde dir gut tun. Deswegen habe ich mir von der Köchin eine Decke geben lassen und den Tee draußen auf einem Tablett angerichtet. Sie fand es eine gute Idee.“ Er seufzte gequält auf. „Ich bin wirklich nicht gerne draußen.“ „Ach komm schon.“ Ich packte ihn an der Schulter, woraufhin er zusammenzuckte. Doch dann stand er auf. „Na gut, aber maximal eine halbe Stunde, länger habe ich nicht Zeit.“ Nachdem er seinen Tee ausgetrunken hatte, hatte sich Collin auf der Decke hingelegt und nachdenklich in den Himmel geschaut. Das war vor etwa fünf Minuten gewesen. Als ich jetzt wieder zu ihm schaute, war er eingeschlafen. Er sah so friedlich und jung aus, zum ersten Mal konnte ich wirklich glauben, dass er nur ein paar Wochen älter sein konnte, als ich. Um ihn nicht zu stören stand ich leise auf. Da sah ich eine Bewegung im Gras, unweit von mir entfernt. Es war ein Tier, ein Kaninchen. Ganz langsam und vorsichtig ging ich darauf zu, es hatte mich bemerkt, blieb aber dort wo es war, es schaute nur neugierig. Als ich mich noch weiter näherte, hoppelte es ein paar mal Richtung Zaun. Dann blickte es sich um, stellte sich auf die Hinterläufe und schaute zu mir. Ich bewegte mich nicht. Erst als es wieder auf allen Vieren stand, ging ich zwei Schritte auf es zu. Es schaute noch immer zu mir. Sein Näschen zuckte. Dann hoppelte es zwei weitere Male zum Zaun. Ich folgte ihm weiter, auch als es stehen blieb. Inzwischen war ich so nahe, dass ich es betrachten konnte. Ich ging in die Hocke. Das Tier war wunderschön, es hatte rostrotes Fell mit dunkleren winzigen Flecken, die auf dem dem Rücken verteilt waren. Ich streckte die Hand nach ihm aus. Zögernd kam es einen Schritt näher, es war offensichtlich an Menschen gewöhnt, da es keine Scheu zeigte. Kurz bevor ich es berühren konnte überlegte es sich es jedoch anders. Mit großen Sprüngen hoppelte es weg, durch die grüne Hecke aufs andere Grundstück. Von der anderen Seite dieser hörte ich ein überraschenden Ausruf. „Wer bist du den?“ fragte eine Stimme, die mir bekannt vorkam, die ich jedoch nicht zuordnen konnte. Dann tauchte oben auf der Hecke eine Hand auf, und dann ein ganzer Körper. Ein Junge hockte auf der hohen Hecke. Ein Junge, der mir sehr bekannt vorkam, ich hatte ihn vorhin im Wald „getroffen“ . „Ist das deiner?“ fragte er von oben herunter und hielt das Kaninchen am Nackenfell gepackt in die Höhe. Wie hatte er mit dem Tier in der Hand die Hecke hochklettern können? „Nein, der ist hier nur so rumgehoppelt.“ erwiderte ich ohne hochzuschauen. „Aber könntest du ihn oder sie nicht so halten?“ „Hast du Angst das ich es fallen lasse? Schau es zappelt nicht mal.“ Ich schaute wirklich hoch. „Doch nur aus Angst.“ gab ich zurück. „Dann nimm.“ er hielt es so, dass ich es ihm abnehmen konnte. „Ich bin übrigens Jonathan, vorhin konnte ich mich ja nicht vorstellen.“ Ich wurde rot. Warum wurde ich eigentlich ständig rot? „Du bist ja schon wieder stumm.“ er lachte. „Aber wie ich vorhin schon sagte, du brauchst vor mit keine Angst zu haben, bisher habe ich noch niemanden gebissen.“ Noch immer nicht überzeugt, schaute ich nach oben. „Zumindest deinen Namen kannst du mir doch verraten, oder?“ „E-emma.“ „Ein sehr schöner Name.“ wieder grinste er. „Danke, aber du musst so etwas nicht sagen.“ „Nein, natürlich muss ich nicht, aber ich meine es ernst. Übrigens, wenn du möchtest können wir morgen zusammen zum Bus gehen, damit du nicht wieder Gefahr läufst dich zu verlaufen. Außerdem würde ich mich gerne in Ruhe mit dir Unterhalten.“ Was? Ich war doch nicht dafür geeignet, mich mit jemanden zu Unterhalten. „Ein nein lasse ich nicht zu, ich warte morgen früh vor am Waldrand, komme bloß nicht zu spät.“ Mit diesen Worten sprang er von der Hecke runter und war verschwunden. Kopfschüttelnd ging ich zurück zu Collin, das Kaninchen noch immer auf dem Arm. Es war ganz ruhig und wirkte auch sehr entspannt. Auf der Decke ließ ich es runter Es hoppelte in winzigen Schritten umher, entfernte sich aber nicht von der Hecke, sondern kam immer wieder zu mir und stupste meine Hand an, bis ich es kurz streichelte. Irgendwann wachte dann auch Collin auf. „Oh Gott, warum hast du mich nicht geweckt?“ blaffte er mich an. „Ich habe doch gesagt, ich habe keine Zeit.“ Ich schluckte schwer und spürte wie ich wieder anfing zu zittern. Ich durfte jetzt bloß nicht weinen. Aber Collin war abgelenkt von meinem neuen kleinen Freund, der nun auch ihn anstupste. „Was ist das denn? Oder lass es mich anders formulieren. Wo hast du dieses Vieh aufgetrieben?“ „Das ist kein Vieh!“ rief ich empört aus.“Das ist ein Kaninchen und es ist auf eurem Rasen rumgehopst. Und es ist zutraulich.“ „Zutraulich? Ja das sieht man. Willst du es etwa behalten?“ „Darf ich das den?“ fragte ich überrascht. Das Haus erschien mir nicht als Ort, an dem Tiere geduldet wurden. „Wenn du dich darum kümmerst, soll es mir egal sein. Meinen Eltern ist es grundsätzlich sowieso egal, was in den Zimmern passiert, solange sie nicht dafür verantwortlich sind. Also nimm das Ding mit in dein Zimmer, aber pass auf das es nichts kaputt macht.“ sein Ton war harsch . Er stand auf. „Und du hättest mich wirklich wecken sollen, dir ist wohl klar, dass ich mich in Zukunft nicht mehr auf Dinge wie diese“ er deutete wütend auf die Decke „ einlassen werde.“ Mit diesen Worten ging er zum Haus zurück. Der Kloß in meinem Hals wurde noch stärker und meine Augen brannten vor Anstrengung nicht zu weinen. Als ich schließlich in meinem Zimmer war, konnte ich die Tränen nicht mehr halten. Warum endete meine Zeit mit Collin immer damit, dass ich weinen musste. Aber wenn er es so wollte, dann würde ich ihn eben wieder meiden. Mit verweinten Augen konnte ich jedenfalls nicht beim Abendessen erscheinen. Hunger hatte ich eh keinen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)