Wenn man vom Teufel spricht... von Anemia (Fortsetzung zu "Der Teufel soll dich holen...") ================================================================================ Prolog: 6:66 ------------ 6:55 Uhr. Jetzt, wo mir diese Zahlen ins Auge fielen, spürte ich umso deutlicher, wie sehr mir die Müdigkeit noch in den Knochen lag. Sie machte meine Lider schwer und schien sogar die Muskeln meines Armes so sehr zu lähmen, dass ich noch nicht einmal dazu in der Lage war, das Radio anzuschalten. Ich konnte wirklich von Glück reden, dass Dad der gleiche Einfall gekommen war und das Gerät für mich betätigte. Manchmal erwiesen sich solche Gedankenübertragungen als äußerst hilfreich. Meist allerdings nervte es, sich mit Menschen zu umgeben, die einen zu gut kannten.   Der äußerst altmodisch wirkende Beat irgendeines Liedes schmetterte aus den Boxen und obwohl ich mit Oldies wirklich nichts anfangen konnte, so war ich im Moment doch ganz dankbar dafür, dass er die ekelhafte Stille durchbrach. Außerdem glaubte ich, so nicht mehr fürchten zu müssen, dass irgendjemand von mir verlangte, in ein Gespräch einzusteigen. Sprechen um diese Uhrzeit, das war wahrlich zu viel des Guten. Leider Gottes sah meine liebe Familie das ganz anders.   "Was bist du denn so still, Lenny?" Die Stimme meiner Schwester. Direkt in meinem Nacken. Irgendein schweres Gefühl ballte sich in meiner Magengegend zusammen. Während ich aus der Frontscheibe starrte, pressten sich meine Backenzähne aufeinander. Sie nervte. Ihre bloße Anwesenheit hätte mich um diese Uhrzeit zum Mörder machen können.   "Lenny ist noch verschlafen", erklärte ihr unser Vater an meiner Stelle, doch die Art, wie er diese Worte aussprach, machte mich noch rasender. Als würde er mich belächeln. Ich hasste es. Ich hasste sie. Nein, nicht wirklich. Aber sie sollten mich in Ruhe lassen. 6:56 Uhr. "Kein Wunder, es ist ja noch mitten in der Nacht", grummelte ich mittlerweile tatsächlich schlecht gelaunt vor mich hin und versuchte, alle möglichen Gefühle aus meinem Körper zu verbannen und mich auf die vereinzelt auftauchenden Autos zu konzentrieren, die uns mit ihren gleißend hellen Scheinwerfern allesamt überholten. Das war immer so. Die anderen waren immer schneller als man selbst. Ein Blick auf den Tacho verriet mir, dass mein Vater einmal mehr im Schneckentempo unterwegs war. Aber wahrscheinlich pennte die Karre noch, genau wie ich.   Mein Gemurmel hatte natürlich niemand auf Anhieb verstanden und ich wäre am liebsten aus dem Korsett gesprungen, als man mich zum zweiten Mal aufforderte, es zu wiederholen. Ohnehin wäre es besser gewesen, ich hätte Stillschweigen bewahrt, denn selbstverständlich setzten drei Stimmen augenblicklich den belehrenden Ton auf. Grr. Hass. Aber ich war nun munterer geworden. Doch meiner lieben Familie dafür danken, nein, das wollte ich nicht.   "Es ist schon fast sieben", merkte Thessi an. Ich konnte ihre Stirn im Frontspiegel erkennen. Ein paar ihrer blonde Haare waren zu kurz, um dass der Haargummi sie am Hinterkopf fassen konnte und so standen sie merkwürdig in alle Himmelsrichtungen ab. Irgendwie erinnerte mich das an ein kleines Kind. "Ja und? Sieben Uhr. Jeder normale Mensch schläft um die Zeit noch." Wahrscheinlich hatte sie mich wieder nicht verstanden, denn ich hielt mir die Hand vor den Mund. Mit dem Pinzettengriff zupfte ich an einem Hautfetzen, der sich von meiner Lippe löste. Ein leichtes Gefühl der Befriedigung floss durch mich hindurch, als ich spürte, wie ich ihn unter einem kleinen, piekenden Schmerz abzog. "Warum hätten wir nicht wenigstens eine Stunde später fahren können?" "Weil es sich dann gar nicht mehr gelohnt hätte, um zu Oma und Opa zu fahren?" Nun mischte sich also auch noch Mom ein. Und sie tat mal wieder das, was sie am liebsten tat: Sie setzte hinter einen stinknormalen Aussagesatz ein Fragezeichen. Das sprengte nicht nur jegliche grammatikalischen Gesetze, sondern auch meine Nerven. Sie stand tierisch auf diese Sache, und sie merkte noch nicht einmal, dass ich immer ganz unruhig wurde vor Wut, wenn sie das machte.   Oma und Opa. Ja. Natürlich. Oh, was würde das für ein traumhafter Tag werden. Kaffeekränzchen samt eklig süßem Kuchen und endlosen Gesprächen über Dinge, die mich nicht die Bohne interessierten. Ich konnte mir einen wahrlich besseren Zeitvertreib am Wochenende vorstellen, aber zum Glück gab es ja Handys. Marko langweilte sich sicherlich auch und er würde mir bestimmt zurückschreiben, wenn ich den ersten Schritt machte. Sexting beim Kaffeeklatsch, das würde mal etwas ganz anderes sein. Dreckiges Grinsen inklusive. Ich übte dieses schon mal, denn ich musste an das letzte Mal denken, als wir in Dirty Talking abgerutscht waren. Es war in der Uni und keine Sau hatte bemerkt, dass ich mich am liebsten hingelegt hätte vor lauter Lachen. Marko war ein begnadeter Gott, was das zweideutige Denken anging. Man durfte nicht etwa annehmen, dass es mich heiß machte, wenn er mir befahl, ich sollte lieber mit seinen Eiern spielen als mit denen des Osterhasen (der Hasi war nämlich vor ein paar Tagen gekommen, pardon, erschienen). Nein, ich fand es lediglich irre witzig. Ob Marko das genauso sah - ich konnte nur spekulieren. Eigentlich war er gar nicht schwul. Nur wenn er einen im Tank hatte, dann kamen ihm schon hin und wieder ein paar hübsche Männer in den Mund. Und bei hübschen Männern meinte ich natürlich vor allen Dingen mich...   6:59 Uhr. "Sieben Uhr ist eine komplett unchristliche Zeit", beharrte ich auf meiner Meinung, allerdings weitaus weniger schlecht gelaunt und einigermaßen aus meiner Trägheit erwacht. "Pff!", schnitt mir meine Schwester das Wort ab und schnaufte empört. "Ich sitze im Gegensatz zu dir faulem Studenten bereits um Sieben in der Schule und schreibe Arbeiten oder halte Vorträge, stell dir vor." Sie redete mit einem hörbaren Lächeln auf den Lippen weiter, welches vor Hohn triefte. "Und dann denke ich an dich, Brüderchen, wie du in deinem Bettchen liegst und feuchte Träume von Marko hast. Und wie dein Arsch immer fetter wird vom Nichtstun." "Mein Arsch wird nicht-" Wenn sie einmal in Rage war, dann konnte sie nichts mehr stoppen. "Dein Arsch wird", beharrte sie bockig auf ihrer Meinung. Meine Eltern hielten sich aus der ganzen Sache heraus. Partei zu ergreifen, das erwies sich bei Geschwistern stets als kontraproduktiv, das hatten sie früh bemerkt. "Und übrigens: Hör auf, von unchristlich zu sprechen. Wir hatten erst letztens das Thema Satanismus und ich sag dir: Das ist ziemlich krank." "Du bist krank", muffte ich lediglich vor mich hin. Aufregen, pah - das brachte ohnehin nichts. "Nee, das ist echt krank. Wirklich." Das war einer der Momente, in denen sie nicht nur wie ein kleines Mädchen aussah, sondern sich auch wie eines benahm. Altklug. Wichtigtuerisch. Meine Mundwinkel zuckten ganz leicht. Vor Mitleid und Amüsement. "Die machen Messen auf Friedhöfen und metzeln Tiere ab. Und sie opfern ihrem ach so großen Herrn Satan Jungfrauen!" "Da hab ich aber Glück, dass ich keine mehr bin", setzte ich gelassen seufzend hinzu und drehte mir ein paar meiner Haarsträhnen um meinen Zeigefinger. Auf meiner Lippe kaute ich jedoch noch immer. Es schmeckte metallisch, wenn ich mit der Zunge über die zerbissene Oberfläche fuhr. "Aber du solltest aufpassen, Thessilein. Sonst kommt er dich holen, der Herr und Meister..." Ich schnaufte und drehte mich verheißungsvoll grinsend zu ihr um. Unsere Blicke trafen sich, und ihre waren so unschuldig, wie die einer Fünfzehnjährigen nur sein konnten. Süß. "Du bist doch noch Jungfrau, Schwesterherz, oder?" Sie kniff nur die Augenbrauen zusammen und schaute aus dem Fenster. Ich hatte sie in Verlegenheit gebracht, eindeutig. Wer mochte es schon, dass solche Gespräche vor den Eltern ausgetragen wurden? Ich konnte ihr nicht verübeln, dass sie nun eingeschnappt war. Aber das war nun mal die Rache für die Sache mit dem feuchten Traum.   Irgendwie fühlte ich mich nun ganz gut. Nachdem ich mein Werk vollendet hatte (Thessi schwieg endlich und hörte auf, mir irgendeinen Mist zu erzählen, Triumph!) drehte ich mich wieder um. Dabei fiel mein Blick rein zufällig auf die Digitalanzeige der Uhrzeit.   Man kannte ja diese Sache, die man auch freud'schen Versprecher nannte und ich glaubte, dass man sich auch auf diese Art verlesen konnte, und deswegen schüttelte ich verwundert über mich selbst den Kopf und schaute noch einmal hin, dieses Mal jedoch genauer. Aber da stand es immer noch. Diese drei gleichen Zahlen, die doch überhaupt nicht existieren durften... Etwas verunsichert blickte ich aus dem Fenster. Angespannt kaute ich auf meiner Unterlippe herum und schielte noch ein paar weitere Male hin zu der Uhr, die jedoch unverändert ein und dieselbe unmögliche Uhrzeit anzeigte. Sie schien mich förmlich anzuschreien, klang schrill in meinen Ohren und die neongrünen Zahlen schossen mir kreischend ins Gesicht. Mir war, als würde ich in einen Abgrund fallen, so sehr erschreckte mich dieses seltsame Hirngespinst. Ich wollte es nicht mehr sehen, wollte mich nicht davon beunruhigen lassen, doch irgendetwas sagte mir, dass das ein Zeichen war. Doch ein Zeichen für was? Dafür, dass Thessi mich mit ihrem blöden Satanismusgequatsche ganz wirr gemacht hatte? Denn auf dem Display stand im Grunde nichts anderes als die Zahl. Die Zahl des Tieres. Die Zahl, die jeder Normalsterbliche mit dem Teufel in Verbindung brachte. 6:66 Uhr.   Mit einem Mal sprang mir das grüne Licht entgegen und ich fühlte nur noch, wie alles seine Dimension zu verlieren schien. Ein Schmerz, der sich durch meinen Rücken biss zerriss mich jäh und irgendwo ganz weit weg vernahm ich einen panischen Schrei.   Und das war auch das Letzte, was mir signalisierte, dass ich unter den Lebenden weilte.     *     "...und möglichst jung sollte sie sein. Sonst taugt sie womöglich nicht lange für den Job." Er widerholte sich. Aber ich ließ mir selbstverständlich nicht anmerken, dass es mich nervte, wie er mich behandelte. Dass er alles fünfmal runterbetete, nur weil er zu dem Eindruck gelangt war, ich wäre ein minderbemittelter Vollidiot gewesen. Deswegen nickte ich brav seine Worte ab und wagte es mir allenfalls ihn anzublinzeln. Doch mir war es lieber, wieder schnell den Kopf zu senken und den Boden zu mustern.   "Ältere Damen haben häufig schon ein Rückenleiden, und außerdem...", er machte eine kurze Pause und auch ohne ihn anzusehen erahnte ich ein Schmunzeln, "bezahle ich lieber junge Mädchen als reife Frauen." Ich sah seine Hand fast vor meiner Nase über den Tisch huschen. "Obwohl das eigentlich auch einen gewissen Reiz innehätte, wenn ich es mir so recht überlege..." Wenn er auf diese Art und Weise sprach, dann fühlte ich mich noch beschissener in seiner Gegenwart. Denn ich hatte keine Ahnung, was ich darauf erwidern sollte. Sicher wäre es ihm sauer aufgestoßen, hätte ich ihm beigepflichtet und seine Worte bestätigt. Ja, natürlich, auch ich empfing hin und wieder diese ganz besondere Bezahlung für meine Arbeit in Form einer seiner Damen. Doch es war auf keinen Fall so, dass wir uns wie alte Kumpels an einem schönen Abend bei Kerzenlicht zusammensetzten und über die Vorzüge der Frauen sprachen. Das hätte mir um ehrlich zu sein auch nicht sonderlich gefallen. Denn ich hatte zu großen Respekt vor meinem Meister, um Privates mit ihm auszutauschen. Und er war sicher auch nicht daran interessiert. Schließlich hielt er mich offenbar für einen Vollidioten. Und der Grund dessen war mein eigenes Versagen. Mein Ungehorsam. Mein eigener Kopf, den ich hatte durchsetzen wollen. Um ehrlich zu sein war dies auch der wichtigste Grund, weswegen ich es nicht mehr wagte, ihm in die Augen zu sehen. Ich hatte mich über den Willen des Meisters hinweggesetzt. Ich hatte ihm André gebracht anstatt des gewünschten Mädchens. Und das nur, weil er mir gefallen hat. Dabei stand es mir nicht zu, die Schönheit eines anderen Mannes oder einer Frau zu schätzen. Ich war sein Diener, und ich war nur sein Diener. Der stumme Ausführer seiner Befehle. Manchmal, ja, manchmal da packte mich so ein gewisses Gefühl, wenn ich mich erneut wie ein hirnloser Soldat behandelt fühlte. Doch ich verbarg es besser in einer tiefen, dunklen Ecke meines Hirns. Es wäre mich nur teuer zu stehen gekommen, hätte ich ihm freien Lauf gelassen. Und doch balancierte ich heute einmal mehr am Abgrund. Hätte ich es gewagt und ihm in die Augen gesehen, womöglich hätte er sehen können, wie dunkel die meinen vor Wut und brodelnder Verachtung schimmerten.   "Also, du hast mich verstanden?" Angespannt rieb ich meine Schneidezähne aufeinander. Es machte ein ekelhaftes, schabendes Geräusch, welches er sicher nicht hören konnte, aber es passte nur zu gut zu meiner derzeitigen Stimmung. Doch ich war ein Mann. Und ein Mann wusste, wie man sich beherrschte. In jeder Lebenslage. Deswegen nickte ich wieder artig, was dazu führte, dass ich mich noch mieser fühlte.   Der Meister schien zum Glück nicht zu bemerken, was sich gerade hinter meinen eisblauen Augen abspielte. Vielleicht wollte er es auch schlichtweg nicht bemerken. Denn er sah in mir keinen Mensch. Hatte noch nie einen in mir gesehen. Ein Stück Vieh, das war ich in Wirklichkeit für ihn. Das waren wir alle. Ja, sogar André. "Gut." Ich blickte ihm scheu ins Gesicht und verfluchte mich selbst dafür, dass ich zu so einem unterwürfigen Würstchen in seiner Gegenwart geworden war. Er musste nicht auf die Uhr sehen, um zu wissen, dass die Zeit reif war. Und er musste auch nichts sagen, ich spürte es in der Luft, dass ich nun gehen sollte. Deswegen erhob ich mich, noch ehe er mich weiterhin wie ein dummes Kind behandeln konnte. Doch ich hatte mich zu früh gefreut. "Und denk daran: Dieses Mal bringst du ein Mädchen und keinen Jungen. Hast du verstanden?" Ich konnte nicht mehr anders. Ich hielt gerade die Türklinke in der Hand, die eiserne Türklinke, aber ich musste nur die Finger ganz fest um sie schließen, damit sie aus der Tür brach. Doch bereits als ich sie lose auf der Handfläche liegen hatte bereute ich es, dass ich mich nicht hatte wie die vielen anderen Male auch beherrschen hatte können. Der Meister sagte nichts. Mein Mundwinkel zuckte. Ob er mich bestrafen würde? Er war mächtig, doch ich war ihm körperlich kein Bisschen unterlegen. Ich würde mich zur Wehr setzen, wenn er irgendetwas mit mir vorhatte. Denn ich war nicht Satans Lämmchen. Physisch vielleicht. Doch im Kopf, da war ich es schon längst nicht mehr.   Mit der Faust stieß ich die Tür auf und hastete durch die Gänge, bis ich den Ausgang des Schlosses erreicht hatte. Über mir erstreckte sich der schwarze Himmel und die roten Schlieren blühten kräftiger als jemals zuvor in ihm. Noch einmal holte ich tief Luft und dann machte ich mich mit großen Schritten auf.   Um den Wunsch des Meisters zu erfüllen. Kapitel 1: Kratzbürste ---------------------- 1. Kapitel - Kratzbürste       Ich hätte der Letzte sein sollen, der an Engel glaubte. Doch ab diesem einen Augenblick, da wusste ich, dass es nicht nur Schwärze gab, die die Menschen einhüllte, sie hässlich und starr machte.   Es gab eine Hölle, ich hatte sie selbst gesehen. Doch ohne Schwarz konnte kein Weiß existieren. Deswegen musste es auch einen Himmel geben. Und ich war mir so sicher, dass er ihn mit eigenen Augen gesehen haben musste.     Ich benötigte keine Karte. Ich brauchte keine Straßennamen oder sonstige markante Anhaltspunkte, um mich orientieren zu können. Lediglich meine Sinne führten mich an jenen Ort, an dem der Meister mich haben wollte. Es berührte mich schon längst nicht mehr, zu sehen, wie ein Auto in ein anderes krachte und die beiden Fahrzeuge augenblicklich in Flammen aufgingen. Nicht mal der Knall vermochte mich zu erschrecken oder die Schreie der Menschen, von Todesangst erfüllt. Die Zeit hatte mich zu einem zähen Tier verkommen lassen, vielleicht sogar zu einem Mann ohne jegliches Mitgefühl, wie ich immer dann glaubte, wenn ich überhaupt nichts fühlte, selbst dann nicht, wenn ich das Leid der Menschen förmlich in ihren Augen sehen konnte. Keine einzige Welle wusste mein Herz zu erweichen. Trauer und Schmerz, das kannte ich nicht. Lediglich Wut und Lust, Dominanz und Unterwürfigkeit, das waren für mich geläufige Dinge, Sachen, mit denen ich es jeden Tag konfrontiert wurde. Es erschien mir so unwirklich, das Feuerinferno, in welches sich die Straße verwandelt hatte. Und genauso wenig, wie mir Mitgefühl bekannt war, so war ich auch frei jeglicher Angst. Denn ich hatte den Tod überwunden. Für mich gab es keine Gefahren mehr. Wer einmal in der Hölle war, dem war ein ewiges Leben geschenkt. Ein Leben in Schlichtheit, ein Leben, welches lediglich die Grundbedürfnisse zu erfüllen vermochte. Doch ich hatte mich längst daran gewöhnt. Ich benötigte nichts anderes. Oh, nein, das stimmte nicht ganz; eine Sache gab es da, an der es mir fehlte. Macht. Sie war mir abhandengekommen. Denn er hatte sie. Er, der Meister. Er hatte sie in sich aufgesogen und zehrte nun triumphierend von ihr. Er benutzte meine eigene Kraft, um mich immer kleiner zu machen. Er schlug mich mit meinen eigenen Waffen. Und ich gehorchte ihm auch noch. Irgendeine Stimme in meinem Hinterkopf riet mir, nicht das brennende Auto anzusteuern und nach einem Mädchen getreu seinen Vorstellungen zu suchen. Doch der Teufelskreis schien undurchdringbar, hatte sich längst durch mein Unterbewusstsein gefressen.   Und deshalb lief ich unbeirrt auf den Wagen zu, mir den Weg durch die beißenden Flammen bahnend. Nichts und niemand konnte mich von meiner Mission abhalten, mich, den treuen Diener Satans, den Mann aus Stahl. Nicht die Menschen, die den Unfall aus sicherer Entfernung betrachteten und mit Schreckensmiene das Geschehene zu verarbeiten versuchten. Nicht die Hitze und nicht die Explosionsgefahr, die drohte, wenn sich Feuer und Benzin miteinander vermählten. Ich tat das, was ich tat, seitdem ich denken konnte. Seitdem mir der Meister das Leben geraubt und mir im Gegenzug die Unendlichkeit geschenkt hatte.   Durch die lodernden Flammen hindurch konnte ich bald ein Gesicht sehen. Einen Mund, eine Nase, geschlossene Augen. Weiche, jugendliche Züge. Ein Mädchen. Ich beugte mich zu ihm hinab und hob es kurzerhand hoch, doch noch während ich das tat fiel mein Blick auf ein weiteres Gesicht. Ein Gesicht, welches mir nicht erlaubte, dass ich mich einfach umdrehte und ging, ohne es genauer betrachtet zu haben. Es ähnelte dem des Mädchens auf meinem Arm, doch war es ein klein wenig kantiger, rauer, doch noch lange nicht so grob geformt wie das eines Mannes. Obwohl es absurd klang, aber es waren die langen, dunklen Wimpern, die mich viel zu viele Sekunden in Atem hielten. Sie und die blonden Haare, die in die bleiche, flache Stirn fielen. Mein Körper handelte von ganz allein. Ich brauchte gar nicht erst meinen Gedanken zuzuhören, damit ich den Arm des Wesens ergriff, welches nicht von dieser Welt zu sein schien. Hastig zog ich es an meine Brust und eilte mit ihm und dem Mädchen aus den Flammen.   Sie husteten. Sie husten und rangen nach Atem. Sie alle beide. Das Leben kehrte in sie zurück, sobald wir die Flammen verlassen hatten und eine angenehme Kühle uns umhüllte. Sie schienen immer schwerer in meinen Armen zu wiegen, zogen mich wie Gewichte nach unten, doch um nichts auf der Welt hätte ich sie losgelassen. Ich war schließlich mehr gewohnt. Häufig wehrten sich meine Opfer, schlugen und traten nach mir, bespuckten und beschimpften mich. Die heutige Mission stellte keine Ausnahme dar. Der Engel war aus seiner Benommenheit erwacht und sein verrußtes Gesicht starrte zunächst noch etwas verwirrt zu mir auf, doch dann entstellte urplötzlich eine Maske aus purem Zorn seine schönen Züge. War es ihm zu verübeln? Nein. Überhaupt nicht.   "Ey, was soll das?", regte er sich auf und windete sich in meinen Armen, doch er merkte schon sehr bald, wer von uns beiden der Stärkere war (meine Hand konnte fest zupacken, wenn ich das wollte, sehr fest) und gab es auf. Jedenfalls bewegte er sich kaum noch, als ich mit den beiden um die Ecke bog (zum Glück war das Mädchen weitaus pflegeleichter, wahrscheinlich hatte der Schock ihre Glieder gelähmt), aber er schien sich dazu entschieden haben, schlichtweg mit Worten weiterzukämpfen, wenn seine Muskelkraft nicht genügte. "Thessi!" Er versuchte das Mädchen an der Schulter zu berühren, doch es gelang mir, die beiden in genügendem Abstand voneinander zu halten. Als sein harter, dünner Körper sich hart gegen meinen Unterarm presste, fackelte ich nicht lange und schulterte die blasse Gestalt mit den brandbefleckten Kleidern, woraufhin ihre Gegenwehr noch ein zweites Mal aufblühte. "Lass uns runter!", schrie der Kleine mir direkt ins Ohr. Sein Atem war ganz warm. Und etwas leiser, aber nicht weniger aufgebracht setzte er hinzu: "Du Schwein. Du Verbrecher!" Ich hatte jedoch keine Zeit, ihm irgendeine Erklärung zu liefern. Denn der Abstieg stand uns bevor. Der Abstieg in eine andere Welt. In die Unterwelt, aus der es kein Entrinnen mehr gab. Hätten sie das gewusst, sie hätten wahrscheinliche eine richtige Panikattacke erlitten. Aber noch glaubten sie, ich wäre nur ein durchgeknallter Entführer, ein Kidnapper, ja vielleicht sogar ein Vergewaltiger. Und wahrscheinlich war ich das sogar. Zumindest ersteres und zweiteres.   Es fiel mir äußerst schwer, an dem Knauf der sich im Boden befindlichen Metallplatte zu ziehen, schließlich musste ich große Vorsicht walten lassen. Die beiden oder zumindest der Junge hätten wahrscheinlich jede unachtsame Sekunde meinerseits genutzt, um die Flucht zu ergreifen, und das hätte fatale Auswirkungen mit sich gezogen, an die ich lieber nicht denken wollte.   Nadelstiche bohrten sich in meinen Oberarm. Nadelstiche gefolgt von etwas Dumpferem, nicht weniger Schmerzhaftem. Es durchzuckte mich, und ich ahnte, dass das kleine widerspenstige Biest es tatsächlich gewagt hatte, mich wie eine Katze zu kratzen und zu beißen. Es war ein verdammter Fehler gewesen, ihn nicht liegen zu lassen, erkannte ich nun. Viel Freude würde ich mit ihm wahrscheinlich nicht haben. Doch nun war es zu spät, um es rückgängig zu machen. Ich hatte es vollbracht, die Metallplatte mit dem Fuß wegzuschieben und stieg bereits in den Keller hinab, in den Armen tapfer die beiden haltend, die wahrscheinlich noch Kinder waren. Das Mädchen, so klein und lieb, seine Wange gegen meine Brust schmiegend, und der Junge, das komplette Gegenstück zu ihr. So schön wie ein Engel, aber so rabiat wie der Teufel. Und doch hielt ich ihn ganz fest an mich gedrückt, während ich die letzte Stufe hinter mich brachte und den düsteren Gang entlanglief, der sich vor uns erstreckte. Ich hielt ihn, bis ihn die Strapazen ausgelaugt hatten und er ganz schlaff hinunterhing. Jetzt glich er wieder dem zarten Engel, der meine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Ich stellte mir vor, wie sein Gesicht aussah, die langen Wimpern, die Sanftheit in seinen Zügen. Doch ich wusste, dass ich noch genügend Gelegenheit haben würde, um mich an seiner Schönheit zu weiden.   Denn er würde bei mir bleiben. Ich würde ihn behalten. Ohne, dass der Meister davon erfahren würde.   *   Ich übertrieb keineswegs, wenn ich behauptete, etwas erleichtert gewesen zu sein, als ich endlich das Schloss erreichte. Aber wirklich froh war ich nicht. Denn ich war gerade dabei, etwas Verbotenes zu tun und ich fürchtete, man könnte mich dabei erwischen. Ich konnte es spätestens jetzt nicht mehr durchgehen lassen, dass der Junge aufmüpfig reagierte. Sonst hätte ich riskiert, dass der Meister ihn hörte und dann wäre mein gesamter Plan ins Wasser gefallen.   "Wo...was ist das hier?" Zu meinem Glück sprach er in gemäßigter Tonlage und ich musste ihm keine Gewalt androhen, was mir äußert widerstrebt hätte. Denn Schläge hätten den letzten Funken Vertrauen, den er hoffentlich noch in mich setzte, endgültig zerstört. Und dabei wollte ich doch, dass er mich mochte. Dass er sich bei mir gut aufgehoben fühlte. Denn so würde es sein. Ich würde auf ihn aufpassen, so gut ich konnte. "Ich erkläre dir später alles", zischte ich ihm zu, woraufhin er den Eingang zum Schloss ziemlich verunsichert von oben bis unten musterte. Ich konnte nur zu gut verstehen, dass er alles wissen wollte, und er würde seine Antwort bekommen. Doch nicht jetzt. Bestimmt kreisten hunderte von Fragen durch seinen Kopf, aber noch ehe er nicht in meinem Zimmer war, sicher und behütet, würde ich nichts sagen. Es hätte ihn nur wieder unnötig aufgebracht.   Hätte ich nur nicht diese verflucht schweren Stiefel getragen. Doch ich besaß kein anderes Paar, also erübrigte sich eine Alternative. Für gewöhnlich klangen meine Schritte auf den knarrenden Dielen des Ganges laut und deutlich an alle Ohren, die sich hinter den Türen befanden, und meist war es mir egal gewesen. Doch heute nicht. Heute wollte ich unentdeckt bleiben. Ich musste unentdeckt bleiben. Ungesehen erreichte ich mein Schlafgemach und dankte Satan dafür, dass nur ich es war, der seinen eigenen, dumpf pochenden Herzschlag vernehmen konnte. Nicht der Junge und auch nicht das Mädchen sollten wissen, mit welcher Nervosität ich im Moment zu kämpfen hatte. Vielleicht stand mir jedoch der Schweiß auf der Stirn, aber im Grunde spielte das nun auch keine Rolle mehr. Ich hatte es geschafft, den Jungen in meinen Räumlichkeiten unterzubringen. Niemand würde ihn hier finden. Dafür würde ich sorgen. Dafür hätte ich mein Leben gegeben, wenn ich denn noch eines besessen hätte.   Wenn man ihn hier so sitzen sah, den Kleinen mit den blonden Haaren und den großen Kulleraugen, die mich anstarrten, während ich vor ihm neben dem Bett kniete und ihm das Knie zur Beruhigung tätschelte, dann wäre man nie auf die Idee gekommen, dass er so ungehorsam sein konnte. Einmal mehr schien die ganze Welt für einen Moment stillzustehen, als ich ihn fassungslos betrachtete, seine Züge, seine so makellose Haut. Fassungslos war ich aufgrund seiner reinen Schönheit. Nicht einmal André war so engelsgleich wie er. Wahrscheinlich war das niemand. Das Mädchen, bestimmt seine Schwester glich ihm zwar beinahe bis auf das Haar, aber sie besaß bei Weitem nicht diese Ausstrahlung. Diese helle, leuchtende Aura. Oh, was ich mit diesem schönen Bengel hätte alles anstellen wollen. Am besten gleich alles auf einmal... Doch ich musste erwachen aus meinem Tagtraum. Dass sich das Mädchen regte, welches ich noch immer in meinem Arm hielt, erleichterte es mir. Ich hatte einen Auftrag, den ich besser zu Ende führen sollte. Gleich. Erst hatte ich noch etwas anderes zu erledigen.   "Du musst keine Angst haben", säuselte ich und nickte dem Jungen mit einem Lächeln auf den Lippen zu. Der aber schaute mich noch immer mit einem Blick an, welchen ich beim besten Willen nicht hätte deuten können. "Ich tu dir nichts. Du bist hier in Sicherheit. Vertrau mir..." "Vertrauen?" Das Spöttische war zurückgekehrt, schneller, als ich damit gerechnet hatte. Der keck verzogene Mund und der Blick auf mich hinab zauberten irgendetwas in sein Gesicht, was ich als hässlich empfand. Hässlich und schwarz. Ich wollte nicht, dass meine Hand noch länger auf seinem Knie ruhte. Deswegen zog ich sie zurück und erhob mich. Doch ich entzog ihm für keine einzige Sekunde meine Aufmerksamkeit. Der Junge warf sein Haar in den Nacken und grinste. Grinste und grinste, und irgendwann gluckste er sogar belustigt auf. "Ich soll einem vertrauen, der mich und meine Schwester entführt hat...", überlegte er laut und schüttelte dann den Kopf. Unsere Blicke trafen sich. Er scheute sich nicht davor, mir in die Augen zu sehen. "Ja. Das sollst du." Ich stellte seine Schwester auf dem Boden ab und schlang den Arm um ihre Hüfte. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie verunsichert sie zu mir aufschaute. "Ich bin ein Freund. Und nur ich. Merk dir das. Alle anderen sind unsere Feinde." "Pah, der ist ja krank", amüsierte der Junge sich und senkte den Kopf, um mit geschlossenen Augen vor sich hinzulachen. "Der ist ja voll verrückt. Gott. Wenn unsere Eltern dich in die Finger bekommen, sie reißen dir eigenhändig die Eier ab..." Ich schoss vor. Ließ das Mädchen stehen. Das war genug. Ich schaltete alle wohlwollenden Gefühle aus, die ich für den Jungen hegte. Ich ignorierte sein schönes Gesicht. Ich griff grob nach seinem Kinn und zwang ihn dazu, mich anzuschauen. Und dann schlug ich ihm mit der flachen Hand auf die Wange, so schnell, dass man es kaum hatte sehen können. Doch es hatte laut genug geklatscht. So laut, dass seine Schwester kurz aufgeschrien hatte, aber zum Glück blitzartig verstummt war. Wahrscheinlich fürchtete sie, dass ihr dasselbe widerfahren würde, wenn sie nicht den Mund hielt.   Geschockt verharrte der Kleine in seiner Position, den Kopf zur Seite gewandt und fuhr sich mit den Fingerspitzen über die gerötete Haut. Doch schon kurz darauf schaute er mich wieder an. So eindringlich, dass ich mit mir haderte, damit mir keine Entschuldigung herausrutschte. Bitter lächelte er und in seine Züge kehrte etwas Rebellisches ein. "Ah, und ich soll keine Angst vor dir haben?", hakte er nach, seine Stimme war voll von sarkastischer Verachtung. "Tja, und das habe ich tatsächlich nicht. Nur weil ich klein und süß bin heißt das noch lange nicht, dass ich mich nicht wehren könnte." Ganz schmal waren seine Augen geworden. Und seine Mundwinkel zuckten nervös. "Wir reden später weiter", meinte ich nur kalt, ohne auf seine Worte einzugehen. Ich griff mir das verdattert dastehende Mädchen und schob es aus der Tür. Dabei warf ich dem Jungen noch einen letzten, prüfenden Blick zu. Trotzig saß er auf meinem Bett und ich entschied, dass es wahrscheinlich das Beste sein würde, ich schlösse ihn ein. Eigentlich wollte ich vermeiden, dass er sich wie in einem Knast fühlte, aber die Wahrscheinlichkeit, dass er die Flucht ergreifen würde, war einfach zu groß. Deswegen drehte ich kurzerhand den Schlüssel im Schloss herum, ehe ich mit seiner Schwester den Gang entlanglief, um sie beim Meister abzuliefern. Doch ich hatte ein Anliegen. Etwas, das sie schwören musste. Und ich wusste genau, wie ich Leute zum Schweigen bewegte. "Du sagst niemandem, dass dein Bruder bei mir ist. Haben wir uns verstanden?" Im Gegensatz zu ihrem Bruder war sie so wunderbar handzahm. Sicherlich hätte ich mit ihr wesentlich größeres Vergnügen gehabt. Aber das Schicksal hatte es anders gewollt. Nein, ich allein hatte es anders gewollt. Das Mädchen nickte eifrig und das Weiß in ihren Augen schien immer mehr an Größe zu gewinnen. "Sonst...", zischte ich knapp und zog den Zeigefinger hastig an meinem Hals vorbei. Das hatte sie verstanden. Natürlich hatte sie das. Ich hörte sie vor Angst schlucken. Gut so. Ich tat es nicht gern, aber es musste sein. Die Menschen wollten gebrochen werden. Anders gehorchten sie meist nicht.   *   "Meister!" Ich fühlte, wie das Mädchen in meinen Armen zusammenzuckte, als ich nach dem Herrn rief. Doch sie beruhigte sich schnell wieder und hielt ganz still, bis der Meister im Raum erschien, sie an sich nahm und kritischen Blickes begutachtete wie einen Gaul. Es war ihr anzusehen, dass es ihr missfiel, was er mit ihr machte, wie er prüfte, ob sie gesund und einsatzfähig war. Aber was kümmerte mich das. Ich hatte endlich meinen Auftrag erledigt, und nur das zählte. Eine ganze Weile schien der Meister meine Anwesenheit zu ignorieren, doch schließlich schaute er mich an. Ich allerdings konnte dieses Mal erst recht nicht seinem Blick standhalten. "Gute Arbeit, Weston", nickte er mir zu und musterte erneut das zitternd vor ihm stehende Mädchen von allen Seiten. "Sie scheint perfekt zu sein. Gut. Dann darfst du nun abtreten." Mit einer angedeuteten Verbeugung tat ich, wie mir befohlen wurde. Als ich jedoch die Tür hinter mir geschlossen hatte, konnte ich nicht mehr. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Ich hatte das wahrscheinlich höchste Lob des Meisters in Empfang genommen, und sicherlich würde er mich für meine Arbeit schon bald belohnen in Form einer Frau. Doch im Grunde interessierte mich das alles im Moment überhaupt nicht. Denn nun wurde mir erst richtig bewusst, in was für einer verzwickten Lage ich mich befand. Ich musste etwas verheimlichen, und es würde für immer sein. Für immer. Nicht ein ganzes Leben lang. Nein. So lange die Hölle existierte (und sie würde mit großer Wahrscheinlichkeit nie versiegen, denn gesündigt wurde immer) würde ich damit leben müssen. Mit meinem Geheimnis. Scheiße. Wieso hatte ich das nur getan?   Kapitel 2: Gegensätze --------------------- 2. Kapitel - Gegensätze     Er war noch da. Natürlich war er das. Ich hatte schließlich dafür gesorgt, dass ihm die Flucht verwehrt geblieben war. Ich hatte es bereut. Doch jetzt, wo ich ihn erblickte, einer aus Alabaster gefertigten Engelsstatue gleichend noch immer ganz fehl am Platz wirkend auf meinem Bett sitzend, da wusste ich, wieso ich nicht anders gekonnt hatte. Unsere Blicke trafen sich prompt. Seine schienen mir anklagend in das Gesicht springen zu wollen, doch fast sofort kehrte etwas Ruhe in sie ein. War das Kapitulation? Hatte er eingesehen, dass es zwecklos war, sich gegen mich aufzulehnen? Ich hatte keine Ahnung. Vielleicht. Womöglich war aber auch etwas anderes Schuld an der Tatsache, dass er mich nicht weiterhin beschimpfte und verfluchte. Er zitterte leicht. Rieb sich die Oberarme fest, um etwas Wärme zu erzeugen.   "Ist dir kalt?" Ich wollte so tun, als hätte diese Ohrfeige nie existiert. Und ich hoffte, er würde das Spiel mitspielen. Er nickte nicht. Er dachte überhaupt nicht daran, meine Frage zu beantworten. Denn es gab weitaus wichtigere Dinge für ihn, die ihn offenbar schon lange zu quälen schienen. "Wo bin ich hier?" Nun passte seine Stimme perfekt zu seinem äußeren Erscheinungsbild. Leise, zerbrechlich und verunsichert drang sie an mein Ohr. Ich schmunzelte vor mich hin. "Du wirst mir ohnehin nicht glauben", begann ich zu einer Erklärung anzusetzen und stellte mich vor das Fenster, von dem aus ich seine Rückseite betrachte, was ihm nicht zu gefallen schien, denn er drehte sich halb zu mir herum. "Aber es stimmt. Du bist in der Hölle." "In der Hölle. Ah." Es klang skeptisch. Natürlich tat es das. Ich hatte nicht erwartet, dass er mir diese Tatsache abnahm. Für gewöhnlich tat das niemand. "Du willst mich wohl verarschen, du Verrückt-" Er biss sich auf die Zunge und schwieg. Wahrscheinlich ahnte er, ich würde ihm erneut wehtun, wenn er mich einen Verrückten nannte. Darauf reagierte ich nämlich äußert allergisch bei inflationärem Gebrauch. "Nein, ich will dich nicht verarschen." Ich verschränkte meine Arme vor der Brust. Der Junge musterte mich ganz genau. Was er wohl von mir dachte, außer, dass ich ein Verrückter war, der Kinder entführte? "Aha. Na ja", setzte er schulternzuckend an. "Ich hätte sowieso nicht erwartet, dass ich irgendwann einmal in den Himmel komme. Schön." Er machte eine kurze Pause. Dann schaute er mich fragend an. "Und was macht man hier so den ganzen Tag? In deiner Hölle? Wohin hast du eigentlich Thessi gebracht?" Seine Stimme verfinsterte sich, war fast nur noch ein Knurren. "Wenn du ihr irgendetwas antust, dann..." "Hier wird niemandem etwas angetan", erklärte ich gelassen. "Jedenfalls nichts Schlimmes." "Aber etwas Schönes, oder wie?" Ich schürzte meine Lippen und nickte, während ich meine Kreise um das Bett zog. "Schon möglich..." Anscheinend wollte er nicht wissen, was dieses Schöne war, denn er schwieg und kratzte sich anstelle mit dem Zeigefinger etwas ratlos die Augenbraue und knabberte an seiner Unterlippe herum. "Und wie lange muss ich hierbleiben?" "Lass uns nicht darüber reden", schüttelte ich den Kopf; mit der Tatsache, dass es für immer sein würde, wollte ich ihn jetzt noch nicht konfrontieren. Dafür war es zu früh. "Sag mir lieber, wie du heißt." "Sag du mir doch erst, wie du heißt." Mittlerweile saß er im Schatten meines Körpers und schaute sich immer wieder mit leicht verunsicherter Miene im Raum um. "Ich bin Weston", gab ich ihm bereitwillig Auskunft. "Weston...", wiederholte er nachdenklich und wiegte kaum sichtbar den Kopf. "Lenny." Mh. Das passte zu ihm. Frech und süß. Wie die Faust aufs Auge. "Wie alt?" Er grinste. Wieder auf diese schiefe, kecke Art und Weise, die mich insgeheim ein wenig verunsicherte. "Wieso interessiert dich das, mh?" Ich sagte nichts. Grinste lediglich zurück. "Sag schon", forderte ich ihn auf und blickte geduldig auf ihn hinab. "Ich bin neunzehn", rückte er schließlich mit der Sprache heraus. Neunzehn. Oh. Ein leises Glücksgefühl erfasste mich. Ich hatte schon Angst gehabt, dass ich ein Auge auf einen Minderjährigen geworfen hatte. Dass dem nicht so war, gefiel mir natürlich sehr. Ich würde mit ihm Dinge tun dürfen...schöne Dinge...mhh...der Meister hatte André und ich hatte Lenny. Gleiches Recht für alle. Aber da fehlte noch etwas. Etwas, das mich immer daran erinnern würde, dass Lenny mein Lustknabe war.   "Warte kurz", verlangte ich von meinem Kleinen und näherte mich der Tür. Ich dachte daran, sie erneut abzuschließen, aber ich zögerte noch. "Wenn du mir versprichst, dass du nicht abhaust, dann schließe ich dich nicht wieder ein." "Okay..." "Das klingt aber nicht sehr überzeugend." "Ich verspreche es..." "Gut." Ich nickte. "Es würde dir ohnehin nichts nützen, die Flucht zu ergreifen. Aus der Hölle gibt es kein Entrinnen." Da erschien doch schon wieder der Anflug eines Grinsens in seinem Gesicht. "Ach, denk doch, was du willst", murrte ich und verzog mich. Mit dem unguten Gefühl in der Brust, dass er vielleicht schon nicht mehr da sein würde, wenn ich zurückkehrte. Und so schien es tatsächlich zu sein. Lenny war wie vom Erdboden verschluckt, als ich wieder mein Schlafzimmer betrat, mit dem Gegenstand in der Hand, den ich hatte ohne große Mühe auftreiben können. Ich hatte schließlich auch unzählige Jahre lang Zeit gehabt, um jeden Winkel, jede Mauer des Schlosses persönlich kennenzulernen. Das hier, das war mehr als mein zu Hause. Das hier war meine Welt. Mein Universum. Und auch wenn ich es manchmal wünschte, ich konnte nicht ausbrechen. Niemand konnte das. Auch nicht Lenny. Doch wahrscheinlich hatte der dumme Junge nicht auf mich hören wollen. Er hatte mir die Sache mit der Hölle ohnehin nicht abgenommen und wahrscheinlich irrte er inzwischen durch das Schloss - und wenn ich Pech hatte, dann hatte der Meister ihn bereits entdeckt. "Scheiße", grummelte ich vor mich hin. Wie konnte ich auch nur so dumm sein und die Tür unverschlossen lassen? "Lenny, verdammte Scheiße!" "Ich bin keine verdammte Scheiße." Sofort spitzte ich meine Ohren. Das war unverkennbar seine Stimme. Und sie drang aus der Richtung des Badezimmers.   "Was machst du denn hier? Ich dachte schon, dass du fort bist." Ich war zuerst ziemlich sauer, als ich in der Badtür stand, aber ich wusste nicht, ob es wegen meiner eigenen Idiotie war oder wegen Lenny, der mir so einen Schrecken eingejagt hatte. Der Junge stand seelenruhig vor dem Waschbecken und - schminkte sich die Augen. Mit meinem Kajal. Er schien kein bisschen meiner eigenen Aufregung zu teilen. "Wenn ich mich verpissen würde, würdest du mir doch den Hals umdrehen", meinte er ungerührt und ließ den Stift sinken, dachte allerdings noch immer nicht daran, den Blick für einen Moment von seinem schönen Spiegelbild zu wenden, was ich ihm nicht verübeln konnte. "Ach, du schätzt mich also als so rabiat ein." Ich wollte sehen, was er sah. Wollte mich an der reinen Schönheit seines Antlitzes laben. Und ich wollte sehen, wie sich der Gegensatz zwischen uns beiden offenbarte. Der Schöne und das Biest. Der Engel und der Teufel. Das Lämmchen und der große, böse Wolf. Deswegen schob ich mich kurzerhand hinter ihn, was er stumm geschehen ließ. Seine großen Augen waren auf sich selbst gerichtet und zuckten auch nicht hinüber zu mir, als ich einen Blick über seine Schulter hinweg in den Spiegel richtete und uns ansah. Und doch war ich mir sicher, dass er Notiz von mir genommen hatte. Mir mehr Beachtung schenkte, als er zuzugeben bereit war.   "Na, guck dich doch an", meinte er. "Du bist beinahe doppelt so breit wie ich. Verflucht muskulös. Und einen ganzen Kopf größer." Er atmete ganz ruhig. Ein gutes Zeichen. Und ein weiterer Gegensatz, welcher sich aufgetan hatte. Seine Worte suggerierten, dass er mich fürchtete. Doch sein Körper sprach eine ganz andere Sprache. "Und mit diesen Pranken könntest du so einem wie mir mühelos die Kehle zudrücken. Bis er jämmerlich verreckt ist. Du musst es nur wollen..." "Aber ich will es nicht." Ich dachte nicht darüber nach. Ich tat es einfach. Fuhr ganz sacht mit dem Daumen über seinen bloßen Unterarm, der so dünn und zerbrechlich wirkte, dass ich es kaum wagte, ihn zu berühren. "Diese Pranken können auch streicheln. Zärtlich sein. Ich muss es nur wollen..." Ich flüsterte es leise in sein Haar und ich hatte beinahe angefangen zu glauben, dass er mich gewähren ließ. Dass er ihn auch ein wenig genoss, diesen Hauch von einem Körperkontakt. Doch kaum dass ich spürte, wie sich diese gewisse Wärme in mir ausbreitete wich er mir aus. Ohne ein Wort. Ohne irgendeine Geste, dass es ihm unangenehm war. Er tat es einfach. Genau wie ich es einfach getan hatte. Für manche Dinge brauchte es keinen Grund. Es benötigte lediglich einen vagen Auslöser.   "Du bist ein Goth, nicht wahr?" Abrupter Themawechsel. Mir blieb nichts anderes übrig, als darauf einzugehen. "Eigentlich bin ich Metaller. Schwarzmetaller, um genau zu sein." "Schwarzmetaller?" Endlich kam wieder Leben in seine Gesichtszüge. Ein Stirnrunzeln begleitet von einem irgendwie skeptischen Blick. "Black Metal. Ach, das ist doch diese krude Musikrichtung, wo nur rumgegrunzt wird..." "Rumgegrunzt?" Ich konnte mir ein Schmunzeln beim besten Willen nicht verkneifen. Doch Lenny ging nicht darauf ein. "Absolut nicht mein Geschmack", fuhr er unbeirrt fort und wendete sich nun von seinem Spiegelbild ab; wahrscheinlich hatte er sich an sich sattgesehen. Im Gegensatz zu mir. Ich hätte ihn noch wesentlich länger betrachten können. Die dunklen Augen, die so unbedarft dreinblickten, von langen Wimpern umsäumt und nun auch noch so tiefschwarz umrandet. Ein reizvoller Mix. Genauso reizvoll wie das geschwungene Paar Lippen, dessen noch so kleine Bewegungen ich gebannt verfolgt hatte. "Was ist denn dein Geschmack?", wollte ich von ihm wissen, während er sich an mir vorbeischob, das kleine Badezimmer verließ. Kaum dass ich meine Frage gestellt hatte, blieb er allerdings stehen und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. "Ist das denn wirklich wichtig?" "Ja. Es interessiert mich." "Sag mir lieber, was das da ist." Sein Zeigefinger deutete vage auf den schwarzen Stoff, den ich noch immer in der Hand hielt. Ich hätte ihn beinahe vergessen. Doch jetzt trat er in den Vordergrund. Und ich wusste nicht, ob ich es überhaupt noch wollte, dass er ihn trug. Denn es würde einer Offenbarung gleichkommen. Er würde ihn tief in mich hineinsehen lassen. In meinen Kopf. In den Ort, wo meine Triebe zu Hause waren. Zögerlich hielt ich ihn in die Höhe und betrachtete ihn etwas ratlos. Nein, es gab kein Zurück mehr. Es gab generell niemals ein Zurück. Nichts im Leben ließ sich ausradieren. Man stand lediglich vor der Entscheidung, weitere Bleistiftstriche hinzuzufügen oder es bleiben zu lassen.   "Ich möchte, dass du das trägst", brachte ich mein Anliegen schließlich hervor und breitete das lange, schwarze Gewand vor seinen Augen aus. So wie er es erblickte stand ihm die Verwirrung in sein hübsches Antlitz geschrieben. Er schwieg. Und ich verspürte den Drang, noch irgendetwas hinzuzufügen. Auch wenn ich nicht wusste, ob es richtig war. "Das haben alle hier an." "Alle außer dir, oder wie?" Dieses kleine Biest. So unschuldig schaute er mich an, während er diese beinahe hämischen Worte formulierte. Er brachte mich allmählich in Erklärungsnot. "Ja, alle außer mir", log ich unbeirrt und unterdrückte somit alle Skrupel, die ich davor hatte, Lenny den Umhang zu überreichen. Dieser griff tatsächlich in den schwarzen Stoff und beäugte ihn ausgiebig von allen Richtungen, obwohl er keine einzige Besonderheit aufwies. Aus bloßer Dunkelheit war er geschneidert. Um sich mit den noch schwärzeren Gedanken seines Trägers zu duellieren.   "Na gut, wenn es dich glücklich macht", seufzte Lenny letztlich gequält, und man sah ihm auch deutlich an, dass er nicht sonderlich erfreut über meinen Wunsch war, obwohl seine eigenen Klamotten ziemlich durch den Unfall gelitten hatten und er sich eigentlich hätte darüber freuen müssen, dass er neu eingekleidet werden sollte. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er all jenes regelrecht hasste, in das man ihn hineinzudrängen versuchte. Jegliche Regeln, jegliche Dinge, die nicht seinen eigenen Vorstellungen entsprachen. Aber er würde genau das lernen müssen. Hier unten, da kniete man vor seinen Herren nieder, ob man wollte oder nicht. Und da ich es darauf angelegt hatte, zu Lennys Herr zu werden, tat sich die Frage gar nicht erst auf, wer von uns beiden zu zucken hatte, wenn der andere Anforderungen stellte. Erziehen würde ich ihn mir, zwar nicht mit Gewalt, aber auch nicht mit lascher Hand. Und wenn es hart auf hart kam, dann müsste ich auch ihn brechen. Ich fand ihn wunderschön, aber das hinderte mich nicht daran, streng mit ihm umzugehen. In jedem Menschen schlummerte auch etwas Böses, und wenn man einmal den Schalter gefunden hatte, um das Nette abzustellen, dann konnte dieser Mensch zu einer unberechenbaren Bestie werden. So glaubte ich. Ich glaubte, ich wäre ein Mensch ohne Gefühl. Doch so war es nicht. Nein. Und der Tag, an dem ich den Schalter nicht mehr fand, sollte früh genug ins Land ziehen.   "Ähm...eigentlich trägt man da nichts drunter." Lenny hielt inne. Er war gerade dabei, sich den Weg durch das Wirrwarr aus Stoff zu bahnen, als ich sein Tun jäh unterbrach. Sein Kopf steckte noch in den dicken Bahnen, aber es dauerte nicht lange, bis er wieder auftauchte und mich ansah, mit einer Härte im Blick, die ich einfach nur verabscheuen konnte. Die Verwunderung, die zum Glück in der nächsten Sekunde in ihm Einzug hielt, war mir im Gegensatz dazu deutlich lieber. "Nichts drunter?" Er schmunzelte. Ganz sacht nur, aber trotzdem unheimlich süffisant. "So was dachte ich mir schon fast..." "Was?" Er beantwortete meine Frage nicht gleich. Er ließ sich Zeit. Mit allem ließ er sich endlos Zeit. Ob er so intelligent war und es genau darauf abgesehen hatte, mich mit seiner Ruhe in den Wahnsinn zu treiben? Falls ja, dann würde ich noch ein ganzes Stück Arbeit mit ihm haben. Intelligente Menschen waren schwerer in ihren Ansichten zu manipulieren. Sie spürten instinktiv, wenn einer es auf ihre Psyche abgesehen hatte, sie verändern wollte.   Er schaute mich an. Den Kopf leicht gesenkt. Den Blick zu mir emporgewandt. Provokation. Purer Trotz. "Dass ich deine Nutte sein soll." Fast amüsiert spuckte er mir diese Worte entgegen und ich fürchtete bereits, dass sich die konträre Lage zwischen uns verschlimmern würde, der Abgrund, der zwischen uns lag vergrößern, aber so war es nicht. Lennys Verhalten und seine Absichten waren äußerst schwer zu deuten und noch schwerer nachzuvollziehen, wie ich einmal mehr feststellen musste. Schon im nächsten Moment fand ich mich in der unlogischen Situation wieder, ihm dabei zuzusehen, wie er sich sein weißes Shirt über den Kopf streifte. Ich kämpfte gegen den Drang an, unverhohlen auf seinen schlanken, seinem Gesicht ebenbürtigen Oberkörper zu starren, als er seine helle Haut vor meinen Augen offenlegte. Lediglich weiche Schatten hüllten diesen Leib noch ein, jenen, den ich unbedingt haben wollte. Den ich begehrte und der mich bereits auf den ersten Blick in einen Abgrund gesogen hatte. Wenn ich ihn anschaute, dann schien ich nur noch Gier zu sein. Und dann wusste ich, dass kein Teufel so ein grausamer Herrscher zu sein vermochte wie diese schwere Kette, die sich um mich schlang und mich niederwarf.   Diese mich ergreifenden Momente wussten mich gar in eine Art Trance zu versetzen. Irgendwann bemerkte ich, dass ich mich auf dem Bett niedergelassen haben musste; ich spürte das Bettlaken unter meinen rauen, etwas feuchten Fingerspitzen und das Mehr an Haut - wenige Zentimeter von mir entfernt - wie es mein tiefstes Inneres berührte. Heiß huschte dieser Wahnsinn in mich, so heiß und so tief, dass es sich zunächst nur als feines Schwelen in der Bauchgegend bemerkbar machte. Das wenige Licht, welches durch das Fenster in den Raum fiel, zeichnete die fein definierten Beckenknochen Lennys nach und verschmolz mit dem sanften Grau, das seine Hüften liebkoste. Schatten sammelten sich in der Linie, die zwischen seiner Brust hindurchführte. Kontraste. Harte Kontraste. Kontraste, die alles noch reizvoller gestalteten. Doch das war erst der Anfang. Lenny war, wie ich bereits vermutet hatte, ein Junge, der keinerlei Scheu zeigte. Er schob sich ohne zu Zögern die schwarze Jeans über seinen schmalen Po, ließ sie ungeniert bis zu seinen Fesseln hinabgleiten. Ein kleiner Funken explodierte in mir, als ich erkannte, dass die Unterhose ebenfalls ihren Weg nach unten gefunden hatte und die Gier zerrte wie ein wildes Tier an mir, sobald ich das erblickte, was mich am allermeisten an einem schönen Knaben interessierte. Es schien nicht sonderlich groß zu sein, sein Glied, welches in seiner Vorhaut schlummerte, aber es harmonierte schlichtweg perfekt mit Lennys Erscheinungsbild. Zart. Süß. Von Schatten gestreichelt. Er hätte nur herzukommen brauchen, damit ich ohne Umschweife von seinem womöglich sogar noch ungeküssten Fleisch gekostet hätte. Vor meinem geistigen Auge tauchten Bilder davon auf, wie ich es in meinen Mund sog, wie ich ihm zeigte, dass ich genau wusste, wie hart und gleichzeitig zart er es brauchte. Ich wollte ihm im Moment alles gegeben, von dem er sonst nur in der Nacht zu träumen wagte, denn ich erkannte, dass auch ich nur ein ergebener Untertan war, wenn er sich mir auf diese Art und Weise präsentierte. Dann war ich sein Untertan. Denn er besaß den Schlüssel zu dem, auf das ich es abgesehen hatte. Er ganz allein. In Momenten wie diesem wusste ich, dass ich auf ihn angewiesen war. Alles hing nur von ihm ab. Von seinem Willen. Er dominierte die ganze Szene. Und er schien sich nicht einmal zu fragen, ob mir das gefiel oder nicht.   Dann fiel der Vorhang. Schwärze bedeckte seine reine Haut, was mir einen jähen Stich in der Brust versetzte. Er hatte sich den Umhang übergestreift. Aber bereits der Gedanke daran, dass es das Einzige war, was seine nackte Schönheit verhüllte, genügte mir, um übermütig zu werden. Die Triebe ließen das Biest ausbrechen, welches nicht denken konnte, sondern nur von seinen Instinkten gesteuert wurde. Ich tat das, was meinem inneren Drängen entsprach. Ich wollte mich an ihm rächen für das, was er mir so unverblümt dargeboten hatte. Er sollte das sehen, was ihm gebührte. Was er nahezu provoziert hatte.   Ich entledigte mich meines ledernen Shirts und warf es einfach auf den Boden. Lenny hatte natürlich mitbekommen, was ich da tat und war selbstverständlich auch nicht zu schüchtern, um mich mit zu vielen Fragen zu löchern, die eigentlich keine Existenzberechtigung besaßen. "Ach, und jetzt glaubst du, ich spiel das brave Lämmchen und setz mich auf deinen Schoß, oder was?" "Ich glaube gar nichts", gab ich mich bedeckt und setzte eine Sache hintenan, die noch nicht einmal gelogen war. "Ich mache mich lediglich fertig für die Nacht." Ein verheißungsvolles Surren durchbrach die Stille, als ich den Reißverschluss meiner Hose aufzog. Es fühlte sich verdammt gut an, mich vor dem Objekt meiner Begierde zum ersten Mal zu entblößen, ihm alles zu zeigen, all das, was ihm in Zukunft großes Vergnügen bescheren würde. "Fertig für die Nacht?" Lenny schnaubte. "Mein Gefühl sagt mir, dass es gerade mal Mittag ist." "Mein Gefühl sagt mir auch so vieles", deutete ich mit einem leichten Grinsen auf den Lippen etwas ganz Gewisses an, jedoch verkniff ich mir schon im nächsten Augenblick wieder. "In der Hölle vergeht die Zeit schneller als da oben. Wir haben schon fast Mitternacht." Er nahm es mir nicht ab. Mir war es gleich. Und ihm würde es ebenfalls egal werden, wenn ich erst einmal mein Werk vollendet hatte. Oh ja, noch nie hatte ich mir so genüsslich meine Hose abgestreift. Und auch wenn Lenny versuchte, nicht zu genau hinzuschauen, so ließ er es sich doch nicht nehmen, mehrmals ganz beiläufig seinen Blick über mich schweifen zu lassen. Als ich komplett nackt war, da zuckten sogar für den Bruchteil einer Sekunde seine Augenbrauen in die Höhe. Sehr schön. Na, wer hatte nun gut lachen?   "Beeindruckend, was?" Er reagierte abweisend. Tat so, als würde ihn das alles, was er gesehen hatte, absolut kalt lassen. Doch so war es nicht. Sein Gesicht hatte es mir verraten. "Du stehst doch auf Männer, mh?" Sein Mund wurde breiter. Ein erbärmliches Lächeln wuchs daraus. Bitter und eiskalt. "Wer weiß..." "Alles, was kein Nein ist, deute ich als ein Ja", verkündete ich gelassen. Er widersprach nicht. Natürlich tat er es nicht. Lenny war schwul. Das hatte ich bereits in der ersten Sekunde unserers Zusammentreffens gespürt. Die Frage stellte lediglich eine Provokation dar. Ich lehnte mich genüsslich schnaubend zurück und öffnete meine Beine ein wenig, um ihn durch die Lücke hindurch besser ansehen zu können. Ihn zu mustern, wie er da stand und wie er es verabscheute, das untrügerische Gefühl der Enge, das ihm verriet, dass die Falle langsam um ihn herum zuschnappte. Die Ketten der Gier lagen längst nicht mehr nur auf mir in diesem Augenblick. Nur hatte ich mich ihm Gegensatz zu ihm dazu entschieden, sie nicht mehr zu verbergen. Er sollte sehen, dass er mich hart machte, und er sollte wissen, dass ich bereit war, um mit ihm zu schlafen.   "Komm ruhig her zu mir." Ich machte keinen Hehl mehr daraus. Aus nichts. Lange genug hatte ich mich von ihm an der Nase herumführen lassen. Jetzt war Schluss damit. Ich war hier der Boss. Und ich genoss es unheimlich, meine Dominanz zur Schau zu stellen und zu sehen, wie Lenny sich auf meinen Befehl hin tatsächlich in Bewegung setzte. Braver Junge. Geht doch.   Er schob sein Gewicht zaghaft auf die freie Seite des Bettes. Kniete schließlich erwartungsvoll neben mir. Wie hypnotisiert. Und er schaute mich an. Eine schöne Maske, hinter der er sein Verlangen versteckte. Wusste er denn nicht, dass man die Gier mit ihren glühenden Augen äußerst schwer mit einem gelangweilten Ausdruck im Gesicht zu kaschieren vermochte? "Hier, fass mal an." Er sollte erfahren, dass auch der stärkste Charakter brach, wenn man ihn an der richtigen Stelle berührte. Und ich glaubte, die richtige Stelle gefunden zu haben. Seine Blicke hatten mir verraten, dass er mit richtigen Männern Sex haben wollte. Mit Männern, die ihn hart durchnahmen und es ihm schneller als er zu glauben vermochte zum Höhepunkt fickten. Aus diesem Grunde formte ich mit dem Arm einen Winkel und spannte den Bizeps an, so fest ich nur konnte. Er sollte alles sehen, was ich ihm bieten konnte. In Lennys Augen erkannte ich zunächst eine große Ratlosigkeit, als ich meine Hand zu einer Faust ballte, allerdings siegte schließlich doch das, was er mit aller Macht hatte unter Verschluss halten wollen, denn er legte zögerlich seine Hände um meinen Oberarm und befühlte zunächst etwas zaghaft meine harten Muskeln. In seinem Gesicht schwelte etwas. Seine Augen hatten sich verengt. Und um seinen Mund zuckte in einem Fort die Erregung, während er mich zum ersten Mal berührte, mit seinen kleinen, zarten Händen. "Wie viel Männlichkeit willst du denn noch?", raunte ich bereits recht lüstern, denn ich spürte genau, dass der Junge wollte. Dass er es immer stärker brauchte, umso länger er sich in meiner Nähe aufhielt. "Ist es dir noch nicht genug?", hakte ich nach, wartete allerdings gar nicht erst ab, bis er von selbst auf die Idee kam, sondern schloss einfach meine Finger um sein Handgelenk und legte mir seine Hand auf den Bauch. Ich sorgte dafür, dass seine Fingerspitzen meine Muskeln ertasteten und sah mit Wohlwollen, wie die Sehnen seiner Hand bald schon etwas hervortraten und diese sich verkrampfte. Ein leichtes Vibrieren ging von seinen kühlen Fingern aus.   "Du stehst darauf, oder? Macht dich das scharf?" Er sagte nichts. Starrte erst nur auf meinen nackten Körper. Doch dann riss er sich von dem ihn fesselnden Anblick los und sah mir ins Gesicht. Schlug voller Unschuld die Augen auf und presste die Lippen fest aufeinander. Er wollte mir keine Antwort liefern. Und das musste er auch nicht. Ich hatte längst erfahren, was ich wissen wollte. Zur Belohnung griff ich nach meinem Schwanz und rieb ihn sacht in meiner Faust. Auf und ab. Auf und ab. "Du machst mich auch scharf", gurrte ich mit tiefer Stimme und fuhr Lenny mit der freien Hand großzügig über die Wange und durch das Haar, woraufhin er die Augen unwillig zusammenkniff. Wie eine Katze. So süß und dabei so sündig. Er machte mich schwach. Mit allem, was er tat. "Lass es mich dir besorgen..." "Ganz sicher nicht." Damit hätte ich eigentlich nicht mehr gerechnet, so angetan, wie er sich noch kurz zuvor von mir gezeigt hatte. Doch seine Worte waren eindeutig. Ein vielsagendes Funkeln huschte durch seine Augen. Er kämpfte wieder gegen sich selbst. Und noch schien er tatsächlich als Sieger hervorzugehen. "Ich will schlafen." Murrend verließ dieser Wunsch seine Lippen und ich sah ihm dabei zu, wie er all das zerstörte, was sich zwischen uns aufgebaut hatte. Dieses ganz gewisse Flimmern in der Luft. Die Spannung. Dunkelrot und unwiderstehlich. Die Anziehungskraft. Schwer und herb hatte sie sich gegen unsere Körper gepresst. Gegen meinen wie auch gegen seinen. Doch er erhob sich einfach und stand dann ziemlich ratlos in seinem weiten Umhang, der wie ein großer Schatten wirkte, neben dem Bett. "Wo kann ich pennen?" "Ich dachte, du schläfst bei mir..." Er strich sich stumm die Haare im Nacken glatt. Ich wusste ganz genau, dass ihm diese Aussage nicht gefiel. Oder besser gesagt dass er nicht zugeben wollte, dass es ihn zu mir hinzog. Dass er mehr wollte. Dass er meine Hand, die noch immer mein Glied behutsam pumpte mit seiner eigenen ersetzen wollte. Mit ihr sowie seinen kleinen, süßen Lippen. Oh, ich konnte regelrecht erahnen, welch wundervolle Orgasmen er mir hätte schenken können. Und im Gegenzug ich ihm...   Doch dazu sollte es nicht kommen. Zumindest nicht heute. Er hatte sich dazu entschieden, den Platz neben mir im Bett freizulassen. Anstelle ließ er sich trotzig hinter diesem nieder, direkt auf dem Boden, genau so, dass ich ihn nicht mehr sehen konnte. Und dann verließ kein Wort mehr seinen hübschen Mund. Dieses Schweigen, welches nun den Raum erfüllte, war so eisern, dass ich nicht umhin kam und es tatsächlich putzig fand, wie der Kleine sich zierte. Wie bockig er auf sein eigenes Verlangen reagierte. Wusste er denn nicht, dass man Gelüste nicht verschweigen konnte? Nicht einmal sich selbst?   "Gut, gut, es ist allein deine Sache", meinte ich und zuckte die Schultern, obwohl das wohl eher eine unnütze Geste darstellte. "Ich kann dich zu nichts zwingen. Aber beschwere dich nicht bei mir, wenn dir morgen der Rücken weh tut." Ich warf einen Blick in die Richtung, in der ich ihn vermutete. "Bei mir hättest du es jedenfalls warm und kuschlig..." "Lieber friere ich mir den Arsch ab als mir von dir warm und kuschlig geben zu lassen." Ha. Er redete ja doch noch mit mir. Wunder gab es immer wieder. "Wer sagt denn, dass ich dir warm und kuschlig geben will?" "Ich weiß, dass es so ist. Punkt." "Na gut, dann viel Spaß da unten. Stört es dich, wenn ich mir noch schnell einen runterhole?" "Ja." "In Ordnung, dann darfst du jetzt nicht hingucken."   Tja. Nicht nur er beherrschte die hohe Kunst der Provokation perfekt. Nun wusste er endlich, dass ich ihm in nichts nachstand. Dass er sich einen zähen Gegner in seinem Kampf um die Macht ausgesucht hatte. Er würde noch früh genug bemerken, mit wem er es zu tun hatte. Seine Mitmenschen mochten vor diesem Engel aufgrund seiner Schönheit auf die Knie gefallen sein, ihn angebetet haben wie einen Gott und ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen haben. Und ich konnte das nur zu gut verstehen. Bestimmt hatte man ihn verwöhnt, den hübschen Bengel, ihn bedient und stets um seine Gunst gebuhlt, aber genau das war es, was ihm das Genick gebrochen hatte. Jungs wie er benötigten eine strenge Hand, um wieder den Boden unter den Füßen zu gewinnen. Auch mich bezirzte der Kleine mit seiner makellosen Perfektion. Aber ich unterschied mich grundlegend von seinen Mitmenschen. Ich war ein Kind der Hölle. Wer mit meinem Feuer spielte, der sollte die Flammen zu spüren bekommen.   Kapitel 3: Schwaches Fleisch ---------------------------- 3. Kapitel - Schwaches Fleisch     Ich litt am Stockholmsyndrom. Dessen war ich mir ziemlich sicher. Nein; das war sogar so sicher wie das Amen in der Kirche. Wirklich witzig, wenn man bedachte, dass die nächste Kirche sich ziemlich weit weg von mir befand, wenn man Westons Worten Glauben schenkte. Doch das tat ich ohnehin nicht. Dieser Typ, der mich und meine Schwester entführt hatte, war nichts weiter als ein armer Irrer, der sich vom herkömmlichen Kinderschänder nur dadurch entschied, dass er die Haare lang trug - und damit meine ich richtig lang, bis zur Mitte seines Rückens - sich die Augen schminkte und sich in Lederklamotten hüllte. Dass diese Mischung in meinem verwirrten Kopf das Stockholmsyndrom auslöste war reiner Zufall. Er glaubte wahrscheinlich, dass ich es nicht hören konnte, wie er in meiner Gegenwart masturbierte. Es genügte bei Weitem nicht, die Augen davor zu verschließen, denn die Reibung verursachte hastige, rubbelnde Geräusche. Doch was kümmerte mich das. Sollte er sich doch einen runterholen. Im Grunde war es ohnehin genau das, zu dem ich ihn hatte treiben wollen. Ihn, dieses verdammte Vieh, muskulös und so übertrieben heiß, dass mich bereits diese Gedanken in einen merkwürdigen Zustand versetzten. In einen Zustand der Erregung. Verdammte Scheiße, ja, er hatte mich gekidnappt, mich und Thessi, aber wer träumte des Nachts nicht genau davon? In der Realität glich das selbstverständlich eher einem Albtraum, zumindest meist, und deswegen glaubte ich noch immer hin und wieder, das Ganze nur zu träumen. Denn das hier, das war kein Albtraum. Es war ein durch und durch feuchter Traum. Ein feuchter Traum, aus dem ich nicht so einfach erwachen konnte. Obwohl ich genau das wollte. Nein. Ich wollte es nicht. Aber die ganzen Begebenheiten und Westons Verhalten sorgten dafür, dass ich ihm nicht das zu geben bereit war, nach dem er dürstete. Er hätte es am liebsten gehabt, dass ich brav zu ihm ins Bettchen huschte und mich dort durchvögeln ließe, wann immer er es brauchte. Er hatte gehofft, ich wäre ein williges Bückstück, eine kleine Schlampe, die nur dazu da war, um seine Triebe zu befriedigen. Unterschwellig hatte er es mir dies sogar mitgeteilt. Und das genügte. Wenn man dann auch noch die Tatsache betrachtete, dass er mit aller Macht versuchte, mich zur Unterwürfigkeit zu bewegen, dann spielte ich nur mit zu großem Genuss mein Spielchen, reizte ihn auf und sah zu, wie wenig er gegen mich und meinen starken Charakter ankam. Doch vorhin hätte ich mich beinahe vergessen. Vorhin, als er sich vor mir entkleidet hatte. Mir seine verdammten Muskeln präsentiert hatte. Verflucht, ich wurde gleich wieder hart, wenn ich mir nur in Erinnerung rief, was für ein Kerl Weston war. Er war pures Testosteron, so männlich und stark, dass es mir kurz den Atem geraubt hatte, als ich ihn berührt hatte. Sein Duft nach Aftershave war mir in die Nase gestiegen und ich hatte kurz davor gestanden, seinen Schwanz anzupacken. Scheiße, er besaß ein wahres Monster! Am liebsten hätte ich die ganzen Eindrücke, die ich an diesem Tag gesammelt hatte Marko mitgeteilt, doch mein Handy empfing kein Signal mehr. Bestimmt wäre mein werter Kumpel mächtig neidisch auf mich und mein vorläufiges zu Hause gewesen; ich wohnte in einer dunklen Höhle, die ich mir mit einem Metaltypen teilte, der mich dringend vögeln wollte und der zudem sicherlich fast zwanzig Zentimeter zwischen den Beinen mit sich rumtrug. War das das Paradies? Ja, das war es. Und gleichzeitig war es die Hölle. Das hatte Weston sogar behauptet. Doch egal, wo ich mich gerade befand, dieser Ort verdiente tatsächlich die Bezeichnung Unterwelt. Für mich, aber insbesondere für Weston. Für ihn sollte es die Hölle werden. Denn ich würde dafür sorgen, dass sein Jagdtrieb erwachte. Dass er beinahe wahnsinnig wurde, weil er mich wollte, mich jedoch nicht bekommen konnte. So mein Plan. Doch ob ich ihn würde umsetzen können? Noch lag ich hier, auf dem kalten, nackten Fußboden und wusste nicht mehr, auf welche Seite ich mich drehen sollte, weil es so unbequem war. Aber auch ich hatte meine Triebe. Und ich sah die Kontrolle über mich schwinden, wann immer er in meiner unmittelbaren Nähe war. Weston machte mich schwach. Und als ich irgendwann sein moderat lautes Schnarchen vernahm, da ließ ich zu, dass ich verdammt heiß auf ihn war. Schließlich schlief er - wahrscheinlich ziemlich fest, solche Männer hatten doch einen tiefen Schlaf - und so würde er gar nichts von dem mitbekommen, was ich als nächstes tat.   Dennoch war ich darauf bedacht, so leise wie nur möglich um das Bett herumzutappen. Dabei wendete ich nicht einmal den Blick von dem Mann, von dem man lediglich die schwarzen Haare unter der Zudecke hervorgucken sah. Doch das sollte sich schnell ändern. Ich mochte zwar aussehen wie ein kleiner, braver Engel, man bemerkte jedoch spätestens wenn man mich näher kennengelernt hatte, dass meinem Wesen dieses Kostüm überhaupt nicht stand. Womöglich kokettierte ich hin und wieder mit meinem optischen Erscheinungsbild und spielte das hilflose Lämmchen - was mir zugegeben ziemlich viel Spaß bereitete - aber wenn ich überhaupt ein Schäfchen war, dann eines mit der Seele eines Wolfes. Meine Fangzähne hielt ich stets einsatzbereit, und ich riss mir meine Beute, wie es mir beliebte. Das wusste das ganze Dorf, in dem ich bis gestern gelebt hatte. Wenn mir ein Mann gefiel, dann bekam ich diesen auch. Doch mich, mich bekam niemand so einfach. Deswegen war es für mich auch ein Leichtes, nach Westons Bettdecke zu greifen und sie von seiner Blöße zu ziehen. Ich schmunzelte genüsslich ob dieses prachtvollen Anblicks, der sich mir daraufhin bot. Weston besaß einen Körper, an dem man sich einfach nicht sattsehen konnte. Jedes 0815-Unterwäschemodel hätte gegen ihn einpacken können. Es waren jedoch nicht nur seine Muskeln, die mich ziemlich weich in der Birne machten, nein - seine gesamte Ausstrahlung wusste mich in ihren Bann zu ziehen. Eine finstere Aura lag auf ihm, doch wann immer ich ihm in seine unglaublich hellen Augen gesehen hatte fiel mir ein beinahe pink leuchtendes Fünkchen auf, das ihn mit einem Mal überhaupt nicht mehr böse wirken ließ. Dann erkannte ich einmal mehr, dass es nicht nur schwarze oder weiße Farbe gab, mit der die ganze Welt gezeichnet worden war; im Grunde waren Weston und ich uns auf gewisse Weise ziemlich ähnlich. Er, der große, böse Wolf mit dem Herzen eines zahmen Lämmchen, welches er vor mir mit Ohrfeigen und Dominanzgesten zu verbergen versuchte. Und ich, der Engel mit dem wilden Funkeln eines Wolfes im Blick. Wahrscheinlich schwelte eben dieses just in diesem Moment einmal mehr in meinen Augen, denn ich fühlte, wie es mich ergriff. Dieses große, schwere, erbarmungslose Drücken in der Bauchgegend, welches sich bis auf die Lenden hin ausbreitete. Es genügte mir, Weston anzusehen, um ihm gewissermaßen zum Opfer zu fallen. Der halb in Schatten gehüllte Körper, das ruhige und doch so kraftvolle Heben und Senken seiner strammen Brust. Und dann noch die Sache ein paar Etagen tiefer... Er hatte mich. Doch er wusste es nicht. Er sollte es nicht erfahren. Im Geiste war ich längst seine kleine Nutte und ich verfloss ihm immer mehr, ihm, meinem Entführer. Aber ich hätte nie zugegeben, dass ich mich nach Berührungen sehnte, ausgeführt von seinen großen, starken Händen. Hunderte von verschiedenen Fantasien schienen gleichzeitig auf mich einzuprasseln, und ich verkrampfte mich mit jedem Bild, das mir mein Hirn schenkte, ein wenig mehr. Schließlich war ich nur noch ein heißes Pulsieren, starrte mit spürbar verschleierten Augen auf diesen verfluchten Prügel und leckte mir angespannt über meine zerbissene Unterlippe. Sollte ich es tatsächlich durchziehen? Es gab ein Wider, doch ihm standen so viele Fürs gegenüber. Und wäre diese Sache, die passieren könnte, tatsächlich ein Wider? Wäre es denn so schlimm gewesen, hätte er mich dabei erwischt, wie ich am Fensterbrett lehnte und mir einen runterholte, während ich ihn anschaute? Ich zog den Saum meines Umhanges nach oben, bis ich meinen zu wachsen beginnenden Penis zu fassen bekam. Meinen halben Arsch schob ich auf das Fensterbrett und dann legte ich los. Lange würde ich nicht brauchen, vermutete ich. Vor meinen Augen spielte sich der geruhsamste und gleichzeitig geilste Porno ab, den ich je gesehen hatte. Es genügte mir, mich an dieser geballten Männlichkeit zu ergötzen, dieses Glied zu sehen, welches vorhin nur aufgrund meiner bescheidenen Nacktheit zu einem riesengroßen Monster angeschwollen war. Jetzt ruhte es in moderater Größe an Westons Oberschenkel und wartete wahrscheinlich nur auf seinen nächsten Einsatz. Ich hätte meine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass dieser verdammte Typ ein guter Ficker war. Dass er mit seinem Prügel nur zu gern mein Arschloch aufgebrochen hätte, mir dieses massive Ding einjagen wollte und dann von mir verlangte, dass ich es ritt, bis es feucht und glitschig in mir wurde. Dass Weston mich dabei triumphierend angrinste, während er seinen Orgasmus erlebte, in meinem Hintern. Und dass ich ihm dafür meine Zähne hätte spüren lassen. In seine Schulter hätte ich sie geschlagen, zur Strafe dafür, dass er mich herumgekriegt hatte. Dass er es schaffte, mich willenlos zu machen mit seiner unendlichen Geilheit. Boah, wie ich ihn wollte! Ich hatte keine Ahnung, ob ich überhaupt schon einmal in meinem ganzen Leben so heftig auf einen Typen abgefahren war. Immer verzweifelter rubbelte ich meinen Schwanz, presste die Lippen fest aufeinander, doch meinen schweren Atem konnte man trotzdem vernehmen. Und das war wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass Westons Körper sich urplötzlich zu regen begann. Scheiße. Doch das Verlangen nach meinem Höhepunkt war zu stark, um nun inne zu halten. Deswegen machte ich einfach weiter. Starrte Weston mit verkniffener Miene an. Als ich sah, wie sich das wenige Licht genau dort spiegelte, wo ich seine Augen vermutete, wusste ich, dass er tatsächlich erwacht war. Scheiß Körper, jetzt komm endlich, feuerte ich mich verzweifelt an, aber dieses dumme Miststück gehorchte nicht. Die ganze Situation trieb mich lediglich in immer absurdere Höhen, doch wann immer ich vermutete zu explodieren stieg meine Begierde weiter an. So erbarmungslos ritt mich die verdammte Lust auf diesen Kerl und ich glaubte, mich in Donnern und Kribbeln aufzulösen, als ich bemerkte, wie Weston sich von der Matratze erhob und direkt auf mich zulief. Sekunden später ging er vor mir in die Knie und ich hätte mich am liebsten gehängt dafür, dass ich, wenn auch nur ganz kurz, beherrschungslos und herzzerreißend wimmerte und fiepte. In seinen Ohren klang das sicherlich wie 'Erlöse mich, Herr', denn er schaute mir mit einem erfreuten Schmunzeln in die Augen und erhob dann seine tiefe, mir in meinem Zustand durch Mark und Bein gehende Stimme. "Lass mich das machen", meinte er, doch ich dachte gar nicht daran. Außerdem war dies auch der Augenblick, in dem ich mich vor seinen Augen vergaß. In dem ich mich windete, als wäre der Teufel in mich gefahren, um mein Innerstes zu quälen. Ich kam hart vor ihm, und ich kam hart für ihn. In diesem Moment war ich wehrlos, all meine Sinne konzentrierten sich auf dieses sensationelle Hochgefühl und Weston hätte es schamlos ausnutzen können, dass ich nicht mehr ich selbst war. Doch er tat es nicht. Er besah meinen Genuss lediglich mit einem gefälligen Brummen, was es mir noch schwerer machte, von meinem Trip herunterzukommen, aber irgendwann hatte ich mich doch wieder von meinem Orgasmus erholt und kehrte langsam zur Normalität zurück.   Tief atmend verharrte ich in meiner Position, bemerkte die leicht vibrierende Haarsträhne, die sich in meine Stirn verirrt hatte und mir unverschämt vor den Augen herumbaumelte. Doch sie kotzte mich nicht an. Nicht heute. Schließlich hockte noch immer dieser große, stattliche Mann vor mir und guckte, als wäre er schon wieder voll auf Zack aufgrund meiner kleinen Showeinlage. Wahrscheinlich glaubte er, dass er mich nun in der Hand hatte. Dass ich mich ihm willenlos ergeben würde, nur weil ich so durch war und vor einem beinahe Fremden onanierte. Doch das entsprach einfach meinem Wesen. Sex war etwas ganz Normales für mich. Selten bestand ein Vertrauensverhältnis zwischen mir und meinen Partnern, und das interessierte mich nicht. Mir ging es meist nur um die Befriedigung meiner Triebe, nicht um das Erleben von Intimität. Ich fand, dass diese nur etwas für sentimentale Schmalzbacken war. Die große Liebe, die gab es ohnehin nicht. Anfangs hatte ich mich auf die Suche nach ihr begeben, doch ich hatte sie nicht gefunden. In keinem einzigen Jungen. Sie alle waren lediglich scharf auf mich. Und genau das war auch Weston. Ich sah es in seinen Augen. In seinen Augen, die so viel verrieten. Doch es war mir gleich. Er sollte hungern, bis er dieses dominante Grinsen ablegte. Genau dieses zeigte sich nun wieder; ich konnte die Schatten, die um seine Mundpartie huschten selbst im Halbdunkel deutlich erkennen. Und dann kroch auf einmal eine warme Hand über meinen Oberschenkel. Ich ließ ihn gewähren, aber ich hoffte, dass mein eigenes, verführerisches und zugleich bitterböses Schmunzeln ihm sagte, was ich davon hielt. Doch im Grunde wollte ich mehr. Nein, damit meinte ich keinen Sex. Mir war, als würde sich tief in meiner Seele ein Tor auftun, ein Tor, welches den schwarzen Untergrund meines Selbst offenbarte. Und es sog mich ein. Es lauerte wie ein Raubtier in mir, bereit dazu, etwas komplett Ekelhaftes zu tun. Wahrscheinlich das Ekelhafteste, was man einem Menschen schenken konnte. Mit einer warmströmenden Genugtuung in meinem Bauch setzte ich meine nackten Zehen wie eine Pistole auf Westons Brust. Er hielt inne in seiner sanften Streicheleinheit, schaute erst zu mir auf, senkte aber schnell den Blick, um mit anzusehen, was ich da getan hatte. Ob er dieses Symbol zu deuten wusste? Einen Menschen mit Füßen zu treten, das war das Niederste, mit was man jemanden besehen konnte. Aber es markierte unmissverständlich, wer von uns beiden das Spielzeug des anderen war. Er wollte mich an seiner Stelle sehen, das wusste ich. Doch ich hatte den Spieß jäh herumgedreht. Ich kleines Biest. Er würde mich hassen dafür. So sehr...und ich hatte so viel Spaß dabei, dieses gefährliche Gefühl aus ihm herauszukitzeln. Es kribbelte so verführerisch in meinem Körper, ich wollte es um jeden Preis noch weiter auf die Spitze zu treiben. Und gleichzeitig genoss ich das Gefühl seiner erhitzten Haut unter meinem Fuß so sehr. Behutsam führte ich meine große Zehe empor zu seinem Hals, streichelte ihn sanft an dieser sensiblen Stelle und biss mir auf die Unterlippe. Leider konnte ich nicht verhindern, dass die Glut des Verlangens bereits in diesem Augenblick erneut aufloderte, denn meine Füße waren nach meinem Intimbereich die wahrscheinlich erogensten Teile meines Körpers und ich empfand entsprechende Lust, als ich begehrlich mit der Zehenspitze über Westons Kinnpartie fuhr. Gleichzeitig versetzte es mich in Erstaunen, wie beharrlich der andere das Ganze über sich ergehen ließ; mit keinem einzigen bösen Blick besah er mich, kein einziges Wort des Widerwillens verließ seine Lippen. Hatte ich gewonnen? Falls dem so war hätte ich meine Zehe gar nicht über seine Unterlippe gleiten lassen müssen. Aber man konnte sich schließlich nicht sicher sein...   Weich war sie. Weich und etwas feucht. Das Gefühl des puren Wahnsinns riss an mir, als ich spürte, wie ich mir selbst diesen unwiderstehlichen Cocktail einflößte. Wie ich versuchte, meine große Zehe ganz sanft zwischen seine Lippen zu schieben. Und auch wenn Weston womöglich dieses andere Symbol nicht zu deuten gewusst hatte, dieses Mal ahnte er, auf was ich anspielte. Dass ich einen Weg in die Hitze suchte. In die süße, köstliche Feuchtigkeit. Dass ich das Monster erwecken wollte. Nicht das zwischen seinen Bein, nein; das in seinem Mund. Das unberechenbare Monster, welches mich in unwahrscheinliche Höhen zu katapultieren vermochte, wenn es meine empfindlichsten Stellen liebkoste. Und er tat es. Belohnte seinen bösen Jungen auch noch für seinen Ungehorsam, der dumme aber so unglaublich geile Hengst. Er öffnete seinen Mund und ließ zu, dass meine große Zehe in die warme Höhle hineinschlüpfte. Ich verurteilte mich nicht dafür, dass ich ihm währenddessen in die Augen schaute, denn ich sah meine Gedanken regelrecht dünner werden, so schwerelos, dass ich sie nicht mehr halten konnte. Sie verließen meinen Kopf und machten Platz für etwas, das ich nicht beherrschen konnte. Selbst in meinem kleinen Finger fühlte ich ein Prickeln, als Weston begann, mich abzulecken. Meine kleinen, süßen Zehen, die ich provokant auf und ab bewegte, während sie in seinem Mund steckten. Doch von dort aus sollten sie nicht lange meinen ganzen Körper in Spannung versetzen. Weston hatte sofort reagiert, als er bemerkte, wie ich in eine Welt der Lust entschwand, in der keine Hemmungen mehr existierten. Seine großen, rauen Hände legten sich um meinen Fuß und ihnen folgte seine Zunge, die einmal über die gesamte Sohle fuhr. Ich fletschte die Zähne, so geil machte mich das. Ich konnte nicht mehr kämpfen, und ich wollte es nicht mehr. Ich hatte verloren. Die Beherrschung in diesem unendlichen Augenblick.   Das Spiel nahm seinen Lauf. Weston schien ganz genau zu wissen, wie er mich um den Verstand bringen konnte. Dass ich zum Tier wurde, wenn er an jeder einzelnen meiner Zehen lutschte, sie fest in seinen Mund sog und den Kopf dabei auf und ab bewegte, so, als würde er einen Schwanz blasen. Ich kämpfte gegen die Fantasie an, wie es tatsächlich mein Glied war, welches er so gekonnt bearbeitete. Und wieder triumphierte ein anderer. Ich gab mich allem hin, was er mir gab, und wenn es Hirngespinste waren. Denn Weston stand es so gut zu Gesicht, das, was er gerade mit mir machte. Er war sexy, wenn er mich oral befriedigte. Es zerriss mich förmlich, mit anzusehen, wie so ein mächtiger Typ sich nicht zu schade dafür war, die Füße eines Jungen zu küssen. Manchmal verabscheute ich sie, die androgynen, klischeehaften Schwulen. Ich hatte sie satt. Und nun erkannte ich, dass ich nicht auf die angewiesen war. Ich hatte Weston. Endlich wusste ich, wie der gesichtslose Mann aussah, von dem ich des Nachts immer heimlich geträumt hatte. Er hatte lange, schwarze Haare, eine Körperbau wie die Krieger aus historischen Filmen und leckte dazu auch noch wie der Teufel höchstpersönlich. Er ließ mich mit der großen Zehe über seine heraustreckte Zunge fahren und penetrierte schließlich den Zwischenraum zwischen dieser und der zweitgrößten, und ich wusste, dass ich noch Tage später an dieses umwerfend sinnliche Erlebnis zurückdenken würde. Beinahe hätte ich mir gewünscht, dass der Moment ewig währen würde, doch andererseits sagte man doch immer, dass man aufhören sollte, wenn es am schönsten war. Weston verstand, dass ich meinen Fuß auf dem Boden absetzen wollte und weigerte sich nicht, meinem Willen nachzukommen. Mit einem Mal war alles vorbei und ich fühlte, wie die Mauer wieder in mir Einzug hielt. Die unüberwindliche Mauer, hinter der ich mich vor meinem Verlangen verstecken wollte. Doch Weston war ein großer, starker Mann, welcher genau wusste, wie man die Backsteinwand nur mit einem winzigen Fingerschnipsen zum Einsturz brachte. Gierig drängte er sich gegen mich und ich glaubte, mich noch nie in meinem Leben so klein und zerbrechlich gefühlt zu haben. Seine ganze, geballte Wärme hüllte mich ein wie eine schwere Decke und machte mich so perplex, dass ich nicht einmal reagierte, als Weston mir einen Kuss raubte. Keinen leidenschaftlichen oder zärtlichen, nein; dieser Kuss war eine Markierung. Ein Zeichen des Sieges. Ich war sein. Er hatte mich. Ich und meine ganze Lust gehörten ihm. Er war der Herrscher über meinen Körper, spielte ihn wie ein Instrument. Und ich realisierte atemlos, dass ich seinen Schwanz spüren konnte, der sich gegen meinen Bauch presste. Sein Fleisch. Wie ein Stock stach es mir in die Haut. Nein. Mit einem Mal kam die Gewissheit über mich, dass wir schon beinahe miteinander schliefen. Dass er meine Arschbacken gepackt hatte und sie voll Wollust knetete. Und ich hörte mich Keuchen. Einmal. Zweimal. Mein Atem flatterte ungehalten in meiner trockenen Kehle, während er mich so hielt und ich ihn spüren konnte, ihn riechen und auch schmecken, wenn ich denn gewollt hätte. Doch die Rolle seines Lustknaben stand mir nicht. Leider gefiel sie mir. Aber mein Willen war noch immer stark. Und so fand alles sein jähes Ende. Ich erlaubte mir gerade noch, den Platz neben ihm im Bett in Anspruch zu nehmen. Aber es war ein Fehler. Das alles war lediglich ein verdammt grober Fehler. Denn wer sollte noch an Schlaf denken können, wenn er am liebsten auf den Schoß der Person geklettert wäre, die neben einem lag und sie angefleht hätte, dass sie einen nahm, und das möglichst hart?   Noch war mein Geist allerdings willig. Doch mein Fleisch, es wurde immer schwächer...   Kapitel 4: Neid --------------- 4. Kapitel - Neid     Der Mensch war ein Wesen, welches dazu fähig war, die unterschiedlichsten Gefühle zu empfinden. Von Natur aus besaß er ein farbenreiches Innenleben, bunt wie ein strahlender Regenbogen und so rein und klar wie ein Gebirgssee. Das Spektrum reichte von hellgelber Güte bis hin zu der Farbe, die kein Regen auf der ganzen Welt auszulöschen vermochte, weil sie so dunkel und bitter in uns allen strahlte. Ich kannte die Schwärze an meinem Himmel, nur zu häufig hatte sie meine Seele verfinstert. Doch ich erkannte plötzlich, dass ich bisher immer nur schwarzweiß geblieben war. Ein Scherenschnitt auf einer unbedarft weißen Leinwand. Eindimensional. Aber zufrieden damit. Doch es existierten Empfindungen, gegen die man sich wehren wollte. Gegen die man anzukämpfen bereit war, von denen man jedoch wusste, dass sie im Herzen schwelen würden, bis dieses endlich Befriedigung finden würde. Ich hatte nie gewusst, was wahren Neid und Eifersucht ausmachte. Ich war der Meinung, dass dies nur ein dummes, sentimentales Gefühl war, zu welchem lediglich übertrieben romantische Menschen in der Lage waren, doch so war es nicht. Nein, es war ein Messer, welches sich hart gegen deine Kehle presste und dir die Luft zum Atmen abschnürte. Wut und Angst gepaart mit einem zarten Drücken unter den Augenlidern. Ich durfte dieses Empfinden kennenlernen. Ich wurde gegen meinen Willen in diesen verhängnisvollen, bösen Strudel hineingesogen, und ich hätte mir am liebsten tatsächlich mit einem Messer das Leben geraubt. Denn ich fühlte mich so dumm. Ich war so dumm, und man hatte mir all meine Waffen aus der Hand genommen. Anscheinend war Weston doch mächtiger, als ich geglaubt hatte. Vielleicht war dem auch nur so, weil er mir zu nahe gekommen war. Stück für Stück fraß er sich in mich, suggerierte mir die boshaftesten Dinge, allerdings ohne irgendein Wort zu sagen. Und dann zog er an den Fäden seines kleinen Püppchens. Er legte es darauf an. Ich sollte leiden. Und gleichzeitig sollte ich einmal mehr vergehen in einer Sache, die kein Gefühl darstellte, sondern lediglich den primitivsten Trieb des Menschen.   Lange war es noch nicht her, dass ich aus dem Schlaf erwacht war und auch Weston hatte sich gerade erst aus dem Bett geschält, überlies jedoch mir den Vortritt im Badezimmer. Ich war recht dankbar dafür, denn am Tag zuvor hatte ich kein fließendes Wasser gesehen und fühlte mich dementsprechend schmutzig. Eine Dusche war also angebracht. Und das warme Nass ließ mich für einen Augenblick vergessen, dass ich einen Kampf auszutragen hatte. Ja, er erschien mir kurz sogar absurd und unsinnig. Insgeheim hatte ich begonnen, Weston Krieger zu nennen, denn das stand ihm so gut. War es nicht so, dass Krieger eine gewisse Macht ausstrahlen mussten? Und war es nicht so gewesen, dass ich für einen Moment genossen hatte, wie er mir jegliche Verantwortung für mein Denken und Handeln abgenommen hatte? Ich gab mir darauf selbst keine Antwort, jedenfalls sprach ich sie in Gedanken nicht aus. Denn Weston sollte mir beweisen, dass er es respektieren konnte, wenn nicht alle sprangen, sobald er einmal in die Hände klatschte. Doch das tat er nicht. Er nutzte es aus, dass ich immer schwächer wurde. Dass ich wie ein verwundetes Tier zu seinen Füßen lag und um Gnade bettelte. Kaum dass ich das Wasser abgestellt hatte und mich in ein bereitgelegtes Handtuch hüllte, hörte ich dumpfes Gelächter aus dem Schlafzimmer dringen. Verwirrt hielt ich inne, runzelte die Stirn und biss mir auf die Unterlippe. Weston schien Besuch zu haben. Doch wollte er nicht um jeden Preis vermeiden, dass mich jemand bei ihm fand? War er tatsächlich so ein Idiot und verbündete sich tatsächlich mit den Menschen, die er vor kurzem noch als seine Feinde ausgewiesen hatte? Zugetraut hätte ich es ihm. Und es war mir gleich. Im Grunde war mir alles egal geworden. Weston hätte mich genauso gut umbringen oder brutal foltern können hier unten in diesem Rattenloch, und ich hatte lediglich Glück gehabt, dass er daran kein Interesse hatte.   Meine Neugierde war geweckt. Ich wollte wissen, was da drin vor sich ging. Deswegen beeilte ich mich damit, meinen Körper und mein Haar halbwegs zu trocknen, warf mir dann meinen Umhang über und öffnete dann doch mit einem leicht mulmigen Gefühl in der Bauchgegend die Tür. Und was ich sah, das verwirrte mich zutiefst. Weston hatte tatsächlich Besuch und, wie ich anhand der Stimme längst festgestellt hatte, von einer Frau. Der Kerl hockte im Schneidersitz auf seinem Bett, die Frau stand daneben und schien das Grinsen gar nicht mehr aus der zugegeben äußerst hübschen Fresse zu bekommen. Wahrscheinlich lag dies an Westons Hand, die ich auf ihrem Po entdeckte. Der Metaller stieß ein gefälliges Knurren aus und zog die Dame kurzerhand zu sich auf das Bett, auf dessen Kante sie zum Sitzen kam und ihn mit erwartungsvoll funkelnden Augen musterte. Das konnte doch nicht wahr sein. Es war eindeutig, was mein werter Herr Entführer geplant hatte. Ein kleines Rachespielchen, nur für mich, da ich mich weigerte, sein Betthäschen zu mimen. Unmissverständlich teilte er mir mit, dass er auf mich nicht angewiesen war. Dass es andere Personen gab, die sich nicht so krampfhaft zierten, sondern ihn und seine Künste zu schätzen wussten. Im Gesicht der Frau hatte sich nämlich alle teuflische Gier auf der ganzen Welt zusammengeballt. Ganz offensichtlich freute sie sich schon sehr auf das, was Weston mit ihr veranstalten würde. Und auch dieser trug dieses vielsagende Lächeln auf den Lippen, lüstern und verdorben; sicherlich plante er schon ganz genau, was er mit seiner Dame vollführen wollte. Was ihm am meisten Spaß machen könnte. Dass ich geglaubt hatte, Weston sei schwul, erwies sich als Missverständnis. Weston war nicht schwul. Er hatte nur noch Augen für diese Frau. Augen und Hände. Ich vermutete, dass er noch nicht einmal Notiz von mir genommen hatte, doch das stimmte so nicht. Die Frau und er waren mittlerweile näher aneinander gerückt und Weston brauchte nur noch leise zu raunen. Etwas ganz Ekelhaftes schwelte in seinen Zügen. Gestern, als er mich so voller Verlangen angeschaut hatte, da hätte ich vergeblich danach suchen können. Das Blitzen in seinen schmaler gewordenen Augen widerte mich so an, dass ich am liebsten gekotzt hätte. Ihm mitten in sein Antlitz. Ich wollte es nicht mehr sehen. Und beinahe hätte ich es auch nicht länger zu sehen brauchen. Doch nur beinahe.   "Stört es dich, wenn der Kleine dabei ist oder soll ich ihn ins Bad sperren?" Vor Schock öffneten sich meine Lippen. Am liebsten hätte ich etwas gesagt, etwas Böses, doch in meinem Hirn herrschte eine konfuse Leere, die gleichzeitig meinen ganzen Kopf auszufüllen vermochte. Ich sah, wie die Frau den Kopf schüttelte und sich dann Weston ungeduldig entgegendrängte. Dieser schmunzelte hörbar in den Kuss, den sie daraufhin austauschten und ich überlegte mit krampfhaft zusammengeballten, von kaltem Schweiß benetzten Händen, was ich als nächstes tun sollte. Ich kam mir so fehl am Platz vor, so überflüssig und ich überlegte, ob ich nicht von mir aus so lange im Bad blieb, bis es vorbei sein würde, das, was mir ein stetes, flaues Kitzeln die Speiseröhre emporschickte. Doch urplötzlich traf Westons Blick in meine Augen. Er hielt sie noch immer, diese mir unbekannte Frau, die ich dennoch irgendwie zu hassen begonnen hatte, aber er blickte mich über ihre Schulter hinweg an. Und es war bei Weitem kein Blick, den ich sonderlich zu schätzen wusste. Er war herausfordernd. Und stigmatisierend. Eine Markierung. Er nagelte mich an die Wand. "Guck ruhig zu, vielleicht kannst du da noch was lernen." Ich hoffte, dass ich seinen Blick einigermaßen gut spiegeln konnte. Doch wahrscheinlich verschwammen mein Zorn und die ganze Abscheu mit meiner Hilflosigkeit, die mir die Kehle zuschnürte. Ich war nackt, meine Emotionen lagen offen. Sicher war es so. Auch wenn er es mir nicht sagte, ich ahnte es. Ich verfluchte mich für das ekelhafte Übelkeitsgefühl, und am allermeisten von allen Personen in diesem Raum hasste ich momentan mich selbst. So sehr, dass ich dagegen ankämpfen wollte. Gegen meine Gefühle. Ich war stur. Ich wollte sie aus mir verbannen. Und aus diesem Grunde setzte ich mich tapfer auf einen Stuhl direkt neben dem Fenster, von dem ich das ganze Geschehen ohne große Mühe mitansehen konnte. Nun gab es kein Zurück mehr. Spätestens in jenem Augenblick, in dem die Frau auf dem Bett lag und Weston über ihr kniete, während er ihre Kleider genüsslich abstreifte, wusste ich, dass ich durchhalten musste. Dass ich sehen würde, wie sich der Mann, der nur mich begehren sollte, seine Befriedigung anderweitig holte.   Am liebsten hätte ich weggesehen. Doch das hier, was sich vor meinen Augen abspielte, war vergleichbar mit einem Unfall; schockierend, aber gleichzeitig so merkwürdig fesselnd, dass es mich vollkommen in seinen Bann zu ziehen wusste. Weston lieferte mir den Beweis dafür, dass er ein verdammt guter Liebhaber war. Dass er nicht nur wusste, was Jungs mochten, sondern auch Frauen um den Verstand brachte. Dies hier war das erste Mal, dass ich eine Frau in der Realität nackt sah, und ich konnte nicht einmal behaupten, dass mich dieser Anblick sonderlich störte. Ganz im Gegenteil. Sie besaß wunderbar weiche Formen und mittelgroße Brüste; ich scheute mich lediglich etwas davor, ihren Venushügel zu begutachten, tat es aber doch für den Bruchteil einer Sekunde und wusste gleichzeitig nicht, ob es schade war oder ob ich mich glücklich schätzen sollte, dass ich nicht auch den Rest ihrer Vagina erblicken konnte. Das konnte nur Weston. Und Weston erfreute sich eindeutig an seinem willigen Opfer. Dennoch war ich mir sicher, dass das, was er als nächstes tat, nicht nur seiner eigenen Begierde entsprang. Nein, das hier, das sollte eine Show für mich sein. Eine Demonstration dessen, was ich verpasste, wenn ich ihn ständig abwies.   Ich spürte, wie etwas in mir aufblühte. Ein ebenso gefährliches Biest, mit welchem ich es unmöglich aufnehmen konnte. Wut und Erregung lagen so nah beieinander, wie ich erkannte, als diese beiden Dinge sich in meiner Brust zu vermischen drohten. Doch war es nicht zu verständlich, dass der Trieb das Gefühl in den Hintergrund drängte, wenn man dabei zuschaute, wie ein so wahnsinnig attraktiver Mann seine Hände fest auf die Brüste einer Frau legte, um sich dann über sie zu beugen und die Brustwarzen verspielt mit der Zunge zu liebkosen? Die Frau räkelte sich in leichter Anspannung unter ihrem Liebhaber, und während sie das tat, da streiften Westons Blicke niemand geringeren als mich. Hab ich es dir nicht gesagt?, schienen sie zu flüstern. Dir könnte es in diesem Augenblick ebenso ergehen wie ihr. Aber du willst ja nicht, dass ich dir den Sex deines Lebens schenke. Du bist selbst Schuld. Jetzt schau dir an, wie gut ich im Bett bin. Und spar dir deinen Neid. Er besitzt keine Existenzberechtigung. So lange du mir nicht gehörst, gehöre ich auch nicht dir. Du solltest keinerlei Ansprüche stellen. Du bist schuld daran, dass du jetzt leidest und gleichzeitig danach dürstest, an ihrer Stelle zu sein.   Er sog sie beinahe gierig in seinen Mund, ihre leicht aufgerichteten Nippel und ich sah, wie seine Wangen hol wurden, während er geräuschvoll an ihnen lutschte. In mir bebte es. Und doch konnte ich allenfalls erahnen, wie die Frau sich fühlen musste. Von Weston so heiß gemacht zu werden, ausgerechnet von Weston, das musste der Himmel auf Erden sein. Als der mächtige Kerl seine Haare zurückwarf und sich dann seinen Weg an ihrem Körper hinabküsste, stand ich tatsächlich ganz kurz davor, meine Stimme zu erheben und ihn anzuflehen, dass er mit mir genau dasselbe machte. Ich wollte der sein, der nun so unter ihm lag, entblößt und willig, den seine Hände an den Hüften packten und leicht anhoben, damit er viel besser an das herankam, was meine Geilheit mit noch größerer Gnadenlosigkeit zu provozieren gewusst hätte. Ich hatte mich gestern Nacht in seine Zunge verliebt, und ich wusste, dass sie mich widerliebte. Doch ihre Gefühle galten nicht nur mir, sondern auch der Frau und insbesondere ihrer sicherlich schon vor Lust auf diesen Mann überlaufenden Spalte. Sie bekam, nach was sie lechzte. Weston hätte sich theoretisch nur ausziehen müssen und sich nehmen brauchen, was ihm gebührte. Aber das tat er nicht. Er spielte nur zu gern mit der Erregung seiner Partnerin, und ich hätte am liebsten voll Sehnsucht mitgestöhnt, als er mit der Zunge durch ihr empfindliches Fleisch fuhr. Anstelle aber presste ich meine Lippen aufeinander und verzog wie unter Schmerzen mein Gesicht. Oh, die Glückliche. Sie war die glücklichste Frau auf der ganzen Welt. Und ihr Glück schien anzuhalten. Denn Weston ging tatsächlich dazu über, sie hart mit dem Mund zu befriedigen. Er presste seine Lippen zwischen ihre sich willig spreizenden Blütenblätter und bewegte beharrlich seinen Mund, was der Frau sichtlich großes Vergnügen bescherte, wie die Anspannung ihres Körpers verdeutlichte. Süßlich schmatzte es, wann immer Feuchtigkeit auf Feuchtigkeit traf und jedes Mal, wenn Weston seine lange Zunge in ihrer Scham flattern ließ, sie erbarmungslos durchwühlte und aussaugte, dann trafen sich auch unsere Blicke und spätestens jetzt konnte und wollte ich nicht mehr verbergen, wie scharf mich das machte, was er da vollführte. Ich stand nicht wirklich auf Frauen, doch es war im Allgemeinen einfach nur schön zu sehen, wie ein Mensch, egal welchen Geschlechtes, immer mehr die Beherrschung verlor und in einem Meer aus Lust badete. Noch schöner allerdings war es natürlich, selbst derjenige zu sein, der empfangen durfte. Ich musste daran denken, dass Weston mir sicherlich ohne zu zögern einen Rimjob gegeben hätte und ich verging beinahe bei der Vorstellung, wie er meinen Anus genauso liebkoste wie die Vagina der Frau. Oh ja, das war genau das, was ich mir wünschte. Und jetzt, wo Weston auch noch dazu überging, sich selbst auszukleiden, da klinkte bei mir alles aus. In diesem Zustand Westons Muskeln sehen zu müssen, das ließ mich ganz unruhig werden. Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her, im Kopf winselnd wie ein Hund. Mir war es egal, ob Weston es genoss, was er mit mir tat. Ich hatte ohnehin nur noch Augen für seinen Körper, für seinen Schwanz, der bereits voller Erwartungsfreude leicht emporragte. Ich ging in einen Zustand über, in dem ich nur noch in Interjektionen denken konnte. Mein Hirn verweigerte mir einen vernünftigen Denkprozess, seitdem ich Westons pure Sexyness bewundern durfte. Ich wollte derjenige sein, den dieses Monster aufspießte, ganz, ganz dringend. Doch ich war es lediglich in meiner Vorstellung. In Wahrheit bekam nun die Frau sein hartes Glied zu spüren. Es zerriss mich beinahe vor Neid. Es war nur zu verständlich, dass sie bereits von sich aus die Beine für ihn spreizte und es wahrscheinlich ziemlich genoss, wie sich seine großen, starken Pranken auf ihren Rücken legten und er sie ganz fest an sich zog. Es dauerte nicht lange, bis ich meinte, dass sie ihn sicherlich in sich spüren konnte. Und dann ging alles ganz schnell. Sie fanden einen Rhythmus und ließen sich immer heftiger von diesem tragen. Weston drängte sich dicht gegen seine Partnerin, von der ich kaum noch etwas sehen, dafür aber umso mehr hören konnte. Sie wurde lauter, bei jedem Stoß in ihr Innerstes entwich ihr erst ein moderater Schrei, doch irgendwann schien sie komplett die Beherrschung zu verlieren und auch Weston war nicht mehr er selbst. Er hatte etwas beinahe erschreckend Animalisches angenommen, bewegte seine Hüften immer gröber, sodass das Bett zu knarren und quietschen begann und er selbst keuchte und schnaufte in einem Fort, bis ich sah, wie er inne hielt und sein Unterleib wie unter einem Stromschlag zu zucken begann. Er kam, und ich wäre am liebsten mit ihm gekommen. Doch ich wagte es mir ja noch nicht einmal, mich selbst zu berühren. Gewissermaßen stand ich unter Schock, denn ich hatte Dinge gesehen, die mich ganz tief in meinem Innersten gekitzelt hatten. Dinge, die mich ergriffen hatten und die ich wahrscheinlich nie mehr aus meinem Kopf bekommen würde. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, auch wenn ich es gewollt hätte, ich blieb auf meinem Stuhl sitzen und spürte nur noch, wie sich alles in meinen Gedanken zu drehen begann. Erst als die Normalität wieder Einzug in diesem Zimmer hielt, erwachte ich aus meiner Starre. Noch immer schien Westons Stimme wie aus weiter Ferne an mein Ohr zu dringen, doch als er sich vor mich kniete, noch immer nackt, und mein Kinn packte, um mich dazu zu zwingen, ihm ins Gesicht zu schauen, da kam ich endgültig zu mir. Ich erkannte das mir mittlerweile beinahe schon vertraute, überlegene Grinsen, aber es löste nichts in mir aus. Es war eben, was es war. Und es war mir egal. Seine Nähe, die tangierte mich weitaus stärker. Westons Nähe war alles, was ich im Moment spüren wollte. Doch dazu kam es nicht. Weil es Weston war, der die Fäden in der Hand hielt und darauf erpicht war, mich mit meinen eigenen Waffen zu schlagen.   "So, ich muss jetzt noch ein wenig arbeiten", erklärte er mir mit ruhiger Stimme, doch ich erwiderte seine Worte nur, indem ich ihn fragend musterte. "Das war aber ganz schön fies von dir", meinte ich. "Ist die Frau überhaupt gekommen?" Weston gluckste lediglich amüsiert vor sich hin. "Nö." Wahrscheinlich guckte ich weiterhin ziemlich skeptisch, denn er fügte noch etwas hinzu. "Es ging ja schließlich auch nur um mich. Um meine Befriedigung." Was für ein Egoist. Pah. In Zukunft würde ich wohl noch mehr dafür sorgen müssen, dass nur ich meinen Spaß hatte. Er hielt mir schließlich ständig einen Spiegel vor, dann durfte ich das selbstverständlich ebenfalls. Weston würde sich noch blendend in die Haut der Frau versetzen können. Der bloße Gedanke daran zauberte ein süßliches Lächeln auf meine Lippen. "Wenn dich Feministinnen in die Finger bekommen, die bringen dich um." "Das sollen sie mal versuchen." Weston zog vollkommen unbekümmert eine Schnute. Er zeigte nicht einmal Reue für sein Verhalten. Ihn interessierte in Wirklichkeit etwas anderes viel brennender. Und er war bekanntlich nicht der Typ, der ein Blatt vor den Mund nahm. "Ich hoffe, meine kleine Show hat dir gefallen", brummte er süffisant und tätschelte mir die Wange, was ich widerwillig über mich ergehen ließ. "Für dich hab ich mir besonders viel Mühe gegeben. Schätze es. Lass es dir durch den Kopf gehen, während ich weg bin." Er legte das Haupt schief und schaute mich prüfend an. Ich hoffte allerdings nur, dass er sich endlich verpisste. Ich brauchte ganz dringend ein wenig Zeit für mich allein. "Und verlass bitte das Zimmer nicht. Du weißt schon...ich will dich nur beschützen." "Ach, du glaubst also, ich bräuchte einen großen, starken Mann, der auf mich aufpasst..." Ein Schmunzeln huschte über Westons Mund. Und auf einmal, da spürte ich fast so etwas wie Zärtlichkeit von ihm ausgehen. Aber nur kurz. Denn es folgte etwas, das mir ziemlich sauer aufstieß. "Ach komm, da stehst du doch drauf." Was für eine fiese Suggestion. Ich hätte ihn am liebsten angeknurrt. Doch ich beschränkte es auf einen giftigen Blick aus zusammengekniffenen Augen. "Eigentlich könnte es dir doch ganz egal sein, ob der ach so große, böse Wolf mich fängt", keifte ich. "Ist es aber nicht." "Und warum?" Weston schob sein Gesicht ganz dicht vor das meine. Sein Atem streifte meine Lippen. Und dann gab er mir einen dicken Kuss auf den Mund, was mich so perplex machte, dass ich mich nicht einmal zur Wehr setzen konnte. "Weil du mein Lover bist. Ganz einfach." Sein Lover. Ja klar. Und deswegen vögelte er vor meinen Augen eine andere Frau. "Vielleicht will ich aber gar nicht, dass du mein Lover bist", gab ich trotzig zurück. "Ach, Lennylein, tu nicht so, als wärst du schwer durchschaubar." Er strich mir eine Haarsträhne nach hinten. Er sollte es nicht noch einmal wagen, mich anzufassen. "Gestern Nacht, da warst du ganz schön angetan von mir." Doch natürlich berührte er mich erneut. Mit dem Zeigefinger tippte er mir gegen die Stirn. "Aber dort oben, da bist du nicht locker. Das ist das Problem." Er erhob sich, schnappte sich seine Klamotten und zog sie sich über. Ob ich ihm nun dabei zuschaute oder nicht, das spielte nun auch keine Rolle mehr. "Aber du wirst sehen", meinte er, während er in seine Lederhose schlüpfte, "bald schon wirst du es nicht mehr aushalten, hard to get zu spielen." Seine Augen musterten mich eindringlich. "Ich finds ja schön, dass du nicht so leicht zu haben sein willst, aber du bist es leider doch. Ich muss mich nur vor dir ausziehen und dir etwas Schönes zuflüstern, schon sitzt du in Gedanken auf meinem Schoß." Was? "Aber ich mag das. Ich mag das wirklich", fuhr er unbeirrt fort. "Mach dir keine Sorgen deswegen. Lass es einfach zu. So ein bisschen slutty, das macht mich an. Und du willst mich doch anmachen, mh?" Fassungslos schüttelte ich den Kopf und schnaubte. Zur Hölle sollte der Typ von mir gehen. So ein Arschloch.   Slutty. Ha. Tja, das konnte er haben. Aber er sollte nicht glauben, dass er auf seine Kosten kommen würde. Ich würde mir nehmen, was ich wollte und brauchte, das hatte ich in diesem Moment so beschlossen. Doch Weston würde seine eigene Medizin zu schmecken bekommen. Ich wollte unbedingt sein Gesicht sehen, wenn ich ihm zeigte, dass sich die ganze Welt nicht nur um ihn drehte. Dass sie in Wahrheit nur um mich kreiste. Er wollte mich devot. Das bedeutete aber, dass er mich nach Strich und Faden verwöhnen musste. Ob er das wusste? Man konnte auch vor einem Menschen auf die Knie gehen und ihn trotzdem beherrschen. Das war alles nur eine Kopfsache.   Zu einem Spielzeug wurde nur der, der auch mit sich spielen ließ. Und Weston würde in seiner Gier nach meiner Pfeifen, ohne dass er es auch nur ansatzweise bemerkte...   Kapitel 5: Langeweile --------------------- 5. Kapitel - Langeweile     Ich hatte stets angenommen, dass eine Vorlesung das Langweiligste auf der ganzen Welt war. Doch ich sollte bald eines besseren belehrt werden. Während Westons Abwesenheit erfuhr ich, wie lang eine Stunde sein konnte, wenn einem nichts zur Verfügung stand, mit dem man sich hätte die Zeit vertreiben können. Zum ersten Mal fühlte ich mich tatsächlich gefangen in diesem düsteren Kämmerlein. Nie im Leben hätte ich geglaubt, dass Langweile einen derart zu zerdrücken vermochte. Ich duschte, weil ich nichts Besseres zu tun hatte, ich schminkte und frisierte mich auf ungewöhnliche Weise (dramatische Katzenaugen gepaart mit einer Frisur, die mich wie einen blonden Emo aussehen ließ, was mir zu meinem Erstaunen auch noch gut stand) und schließlich ließ ich mich seufzend auf das Bett fallen und dachte darüber nach, mir aus lauter Spaß an der Freude einen runterzuholen. Meine Lust war zwar abgeflaut, jedoch hätte ich mir wahrscheinlich nur in Erinnerung rufen müssen, welche Geräusche Weston von sich gegeben hatte, während er die Frau vögelte. Aber so weit kam ich gar nicht. Ich vernahm ein Klopfen an der Tür und bedeckte alarmiert mein bestes Stück. Man musste sich den Anblick dessen schließlich erst verdienen. Und ich konnte mir an allen zehn Fingern abzählen, dass es nicht Weston war, der von seiner Arbeit zurückgekehrt war. Das hier, das war Westons Zimmer. Er hätte einfach eintreten können. Doch wer wollte mir sonst einen Besuch abstatten? Etwa die bösen Wölfe, vor denen er mich so heldenhaft zu beschützen versuchte? Der Gedanke daran ließ mich schmunzeln. Schließlich stand ich spätestens seit Weston auf böse Typen und um ehrlich zu sein vermutete ich nicht, dass es irgendjemanden gab, der böser als mein starker Krieger war.   Doch auf mich wartete eine Überraschung. Nicht etwa in Form eines hungrigen Wolfes, der es auf mich zartes Lämmchen abgesehen hatte. Nein, ganz im Gegenteil. Die Tür tat sich mit einem lauten Knarren auf und - Thessi kam herein. Thessi, mein kleines Schwesterchen! Sie trug einen Eimer Wasser und einen Wischmob mit sich herum, und es dauerte nicht lange, bis sie mich aus ihren großen Kulleraugen anschaute. So wie sie mich sah hellte sich ihre eher düstere Miene auf und sofort wurde ihr das Putzzeug gleichgültig. Das Wasser schwappte beinahe über, als sie den Eimer unsanft auf dem Boden abstellte, um die Arme frei für eine Umarmung zu haben. "Schwesterchen!" Ich strahlte wahrscheinlich über das ganze Gesicht, und sie drückte mich nur noch fester an sich. So sehr sie mich häufig genervt hatte, so froh ich oft gewesen war, wenn sie mal einen Nachmittag bei einer Freundin verbrachte - heute war ich furchtbar erleichtert darüber, sie zu sehen. Um ehrlich zu sein hatte ich tatsächlich Angst um sie gehabt, seit dem Moment, in dem Weston sie von mir getrennt hatte. Ich hatte das Gefühl lediglich verdrängt, denn ich hätte ohnehin nichts tun können, um ihr zu helfen. Zum Glück schien sie in Ordnung zu sein, wie ich feststellte, als wir uns nach einer halben Ewigkeit voneinander losreißen konnten und nebeneinander auf der Bettkante Platz genommen hatten. Man hatte ihr allen Anscheins nach erlaubt, sich zu waschen und auch ihr Haar sah gut gepflegt aus. Genau wie meines. Und trotzdem begann Thessi urplötzlich zu kichern, nachdem sie mich eine ganze Weile gemustert hatte. "Du siehst ja aus", gluckste sie amüsiert und hielt sich leicht verschämt die Hand vor den Mund. "Als würdest du in einen dieser Schwulenclubs gehen." "Tu ich aber nicht, Thessilein." Nein, das tat ich in der Tat nicht. Und trotzdem war ich aufgedonnert. Sie ahnte ja nicht, dass dieses Kunstwerk aus lauter Langeweile entstanden war. Wenn ich es mir so recht überlegte, wirkte ich auf andere sicher wirklich wie eine Nutte. Die Kissenjungen in der Antike trugen auch stets dunkel geschminkte Augen, um ihren Herren zu gefallen, meinte ich einmal gelesen zu haben. Und es war nicht von der Hand zu weisen, dass ich es auch mochte, Weston ein wenig zu überraschen... Apropos Weston. In den wenigen Tagen war einiges vorgefallen und dementsprechend viel hatten sich Thessi und ich zu erzählen. Meine Schwester berichtete mir, dass sie die Zimmer und Gänge sauber halten sollte, und sie jammerte über die harte Arbeit. "Da wäre ich sogar lieber wieder in der Schule", seufzte sie und schaute dann zu mir auf. "Und du? Haben sie dich auch zum Putzen verdonnert?" Ich schüttelte den Kopf und zog eine Schnute. "Nö. Eigentlich habe ich gar nichts zu tun." Stimmte sogar, wenn man das Eigentlich nicht außer Acht ließ. "Du Glücklicher. Jetzt bin ich neidisch." Ich grinste. Ja, wahrscheinlich hatte ich es mit Weston gar nicht so schlecht getroffen. Er behandelte mich gut und zum Dank sollte ich lediglich mit ihm ficken. Was ich natürlich nicht tat, oh Wunder.   "Bist du eigentlich immer noch bei diesem Typen, der uns hergebracht hat?" "Ja." "Also ich hätte total Schiss vor dem", vertraute mir meine Schwester an. "Der ist genauso unheimlich wie Mister Steele..." "Wie wer?" Sie machte ein fragendes Gesicht. "Mister Steele...kennst du den nicht?" "Nö." "Na dann sei froh." Sie senkte den Blick und dann färbten sich ihre Wangen ein kleines bisschen rot. "Was ist denn los, Schwesterchen?" Feixend stupste ich meinen Zeigefinger in ihre Seite, woraufhin sie kurz auflachte, dann aber wieder ernst wurde. Das Lächeln auf ihren Lippen schwand allerdings nicht. "Bei Mister Steele ist ganz oft ein Junge..." Sie machte eine Pause. Sie zierte sich. Eindeutig. Sie wollte etwas am liebsten vor mir geheim halten. Doch dann rückte sie doch noch mit der Sprache heraus. "Und der ist total süß..." "Nein! Mein Schwesterchen ist verliebt!", rief ich aus und klatschte übermütig in die Hände, was sie puterrot anlaufen ließ, und das fand ich total niedlich. Wahrscheinlich hatte sie schon damit gerechnet, dass ich auf diese Art und Weise reagieren würde. Aber da musste sie nun durch.   "Sag", forderte ich sie eindringlich auf. "Wie sieht er aus? Wie heißt er? Ich will alles wissen." "Ich glaube, er heißt André oder Andreas oder so", begann Thessi zögerlich zu sprechen, wagte es allerdings nicht mehr, meinen Blick zu erwidern, so sehr schämte sie sich für die Sache. "Er hat total schöne Augen und ist ein kleines bisschen pummlig. Und er hat schwarze Haare." Nun schaute sie doch auf, allerdings nur kurz. "Ein wenig länger als deine. Und er schminkt sich." Noch einmal musterte sie mich. "Und er trägt genauso einen Umhang wie du." "Ach?" Ich blickte an mir hinab und zupfte an dem locker fallenden Stoff herum. Soweit ich mitbekommen hatte, war dies das Nuttenoutfit in diesem merkwürdigen Schloss, in welchem niemals die Sonne schien. Aber das sagte ich Thessi natürlich nicht. Doch wenn dieser Junge, den sie toll fand, ebenso einen Umhang trug, dann musste auch er ein Lustknabe sein. Und das war gar nicht gut. Meine kleine Schwester sollte sich nicht in einen Stricher verlieben! Das ging gar nicht. Obwohl ich ihr es nicht verübeln konnte laut ihrer Beschreibung. Am liebsten hätte ich ihn mir mit eigenen Augen angesehen, nur um sicherzugehen, dass Thessi einen guten Geschmack besaß. Natürlich nicht, um ihn ihr wegzuschnappen. Wenn er allerdings tatsächlich eine kleine Nutte war, dann würde ich dafür sorgen, dass er meiner Schwester fernblieb. Eventuell würde ich mich dann mit ihm auseinandersetzen. Selbstverständlich mit der Voraussetzung, dass er hübsch war. Aber war es denn überhaupt möglich, besser auszusehen als Weston? Daran wollte ich nicht so recht glauben. Weston war schließlich der Mann, von dem ich so lange geträumt hatte. Ich hätte ihn jedem vorgezogen. Da mochte der andere noch so süß und putzig sein.   Lange wehrte unser Plausch allerdings nicht mehr, denn Thessi meinte, dass der Meister böse werden würde, wenn sie sich zu lange von der Arbeit abhalten ließe. Wir versprachen uns jedoch, uns bald wiederzusehen, auch wenn ich in Wahrheit Zweifel hegte, ob das sich so einfach bewerkstelligen lassen würde. Weston würde es nicht gern gesehen, wenn ich ständig Besuch von meiner Schwester empfing. Schließlich wollte er mit mir allein sein. Und ich eigentlich auch mit ihm. Doch wenn er ausgeflogen war, dann würde er gar nicht erfahren müssen, wie ich mir die Langweile vertrieb. Die quälende, nervenzerreißende Langweile, die sofort wieder einsetzte, als Thessi ihren Weg fortgesetzt hatte. Was wollte ich gleich tun, bevor meine Schwester erschienen war? Richtig: Ich wollte onanieren. Und das tat ich auch. Aber nicht auf x-beliebige Weise. Nein. Ich hoffte, dass mich in nächster Zeit niemand mehr stören würde und schlüpfte aus meinem Umhang, um mich daraufhin nackt auf das Bett zu legen. So ließ es sich aushalten. Nun noch ein paar feuchte Gedanken und ich würde im siebten Himmel schweben. Doch so einfach war es nicht. Denn das Zimmer wurde erneut aufgesucht. Nicht etwa wieder von Thessi oder gar von irgendeinem Gruselmonster, sondern von niemand Geringerem als Weston höchstpersönlich.   "Ach, schon zurück?", ärgerte ich ihn und dachte gar nicht daran, mit dem aufzuhören, was ich erst begonnen hatte. Anstellte räkelte ich mich genüsslich auf meinem Laken und erhaschte einen Blick auf Weston, dessen sonst so schwere Schritte auf dem Parkett heute nicht dem Öffnen der Tür gefolgt waren. Ich durfte feststellen, dass er noch immer im Türrahmen stand und mich mit einem Ausdruck im Gesicht musterte, als hätte er einen Geist gesehen. Die Zigarre, die er im Mundwinkel hielt, qualmte vor sich hin und um ehrlich zu sein hätte es mich nicht gewundert, wenn sie im nächsten Augenblick auf den Boden gefallen wäre, denn Westons Kinnlade klappte sicherlich hinunter; wenn nicht tatsächlich, dann zumindest im Geiste. Doch er beherrschte sich. Seine Augen waren lediglich starr auf mich gerichtet, fuhren hastig über meinen Körper und ich hätte es ihm nicht verübeln können, wenn er die Fassung verloren hätte und seinem Urinstinkt ohne groß das Für und Wider abzuwägen nachgegangen wäre. Denn im Grunde präsentierte ich mich ihm auf dem Silbertablett, nackt wie ich war, die Hand um mein Glied gelegt und meinen Blick konnte man sicherlich als eine stumm ausgesprochene Einladung deuten.   Endlich schien Weston aus seiner Trance zu erwachen. Er zog sich die Zigarre aus dem Mund und kniff schmunzelnd die Lippen aufeinander. "So stellt man sich eine angemessene Begrüßung vor", brummte er gefällig und machte endlich ein paar Schritte auf mich zu, was mein Herz vor lauter Erwartungsfreude in die Höhe hüpfen ließ. Ich wusste darum, dass das, was ich gerade vollzog, komplett billig war und der andere mich nun bestimmt in einem ganz anderen Licht sehen würde, doch es gab ja noch immer die hohe Kunst der Ignoranz. Die Ignoranz gegenüber meinem Gewissen. Das Ganze war ein Spiel, nichts weiter, und ich freute mich unheimlich darüber, als Weston sich zu mir auf die Bettkante gesellte und somit in dieses einstieg. Wie hätte er mir auch widerstehen können, wo er mich doch so wollte? Sicher glaubte er, mich nun ganz zu haben, doch er würde noch früh genug realisieren, dass er sich zu früh gefreut hatte. Ich hatte ihn. Es war nicht umgekehrt. Ich hatte sein Verlangen in der Hand. Mit meinem bloßen Anblick vermochte ich ihn zu reizen. Und wenn ich mich dann auch noch ungeduldig windete und ganz unverschämt mein bestes, recht hartes Stück zur Schau stellte, dann konnte ich regelrecht spüren, wie er in meine Falle tappte.   Wie erwartet fiel es ihm sichtlich schwer, seine Blicke von mir abzuwenden. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Unterlippe um mein Grinsen zu kaschieren, als ich ganz genau sah, wie dieses Wilde in seinen Augen Einzug hielt. So sexy machte ihn dieses. Es stand ihm so gut. Ich hatte seine Libido wachgekitzelt. Nun gab es kein Zurück mehr. Für ihn, allerdings auch für mich.   "Hübsch hast du dich gemacht..." Ein verheißungsvolles Schmunzeln huschte über meine Lippen. "Dir gefällt also, was du siehst." "Mhhh..." Er nickte bedächtig und schaute mir erst ins Gesicht, doch dann ließ er sich so weit gehen, dass er mir kurz darauf nur noch unverhohlen zwischen die Beine glotzte. Mir entging dies natürlich nicht. Es war gut, dass er wie immer keinen Hehl daraus machte, was er von mir wollte. Denn so würde es mir noch leichter fallen, an mein Ziel zu gelangen. "Wenn das so ist, dann fass mich an." Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass er ein wenig Erstaunen zeigen würde und ich war deswegen beinahe enttäuscht, als er überhaupt nicht überrascht über mein eindeutiges Angebot zu sein schien. Andererseits gab er sich noch ein wenig zögerlich. Man sah regelrecht, wie es in seinem Kopf arbeitete. Würde ich es wirklich zulassen, dass er mich berührte? Und wenn ja, wo würde er überhaupt seine Hand ansetzen? Ich beschloss, ihm die Entscheidung abzunehmen. Genau auf dieselbe Art und Weise, mit der er mir gestern geholfen hatte, meinen heimlichen Wunsch in die Tat umzusetzen. Meine Hand war zwar im Gegensatz zu seiner recht klein und mit einem zarten Gelenk ausgestattet, doch sie konnte zupacken, wenn sie wollte. Meine Finger legten sich entschlossen um Westons kräftiges Handgelenk. Es fiel mir im Folgenden noch nicht einmal schwer, es zu führen, denn der Weg bis hin zu der Stelle, wo ich seine Hand spüren wollte, war nicht sonderlich weit. Ganz sacht sorgte ich dafür, dass sich sein Handteller direkt auf meinen Schwanz legte, ihn mit seinem Gewicht gegen meinen Bauch drückte. Für einen Moment kämpfte ich gegen den Drang an, mein Wohlgefallen irgendwie mitzuteilen, denn Westons Wärme und bereits die Gewissheit, dass er mich anfasste machten es mir unmöglich, ruhig zu bleiben. In mir begann es wieder zu rasen. So sehr, dass ich gar nicht mehr daran dachte, Weston ins Gesicht zu schauen, nur um den glasigen Blick einzufangen, mit dem er wahrscheinlich das Tun seiner Hand betrachtete. Als diese mich ganz fest umschloss, fühlte es sich an, als würde ich zerfließen müssen. Als wäre ich eine Sektflasche, die man zu lange geschüttelt und deren Inhalt dadurch eine Unmenge an Kohlensäure ausgebildet hatte. Es zog in mir, und ich vermochte den Ort nicht einmal zu lokalisieren. Es schien überall zu sein. Und als ich mir für einen kurzen Augenblick erlaubte, die Augen zu schließen und Weston in dem, was er tat, zu vertrauen, da wollte ich sie überhaupt nicht mehr öffnen. Ich wollte nur noch fühlen. Und er erlaubte mir, alle Lust auf der ganzen Welt in mir aufzusaugen, bis sie mich schlichtweg wahnsinnig zu machen schien. Mit jedem Stoß, den er mir schenkte, mit jedem kraftvollen Pumpen prickelte es stärker in meinen Lenden. Und als ich den Schatten vor meinen geschlossenen Lidern vorbeihuschen sah, da ahnte ich bereits, was als nächstes folgen würde. Dass ich mit meiner Vermutung richtig lag, zeigte sich auch sofort. Es war schlimm. Es war so schlimm, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, wie ich das aushalten sollte, ohne durchzudrehen. Lange, viel zu lange hatte mich niemand mehr auf diese Art und Weise verwöhnt. Ich brodelte, während ich Feuchtigkeit, Wärme und ein herausforderndes Kitzeln an meiner Spitze spürte. Verzweifelt versuchte ich einen Ausgleich zu finden, indem ich meine Finger im Laken verkrallte. Doch der Druck war so groß. Dieses unermüdliche Auf und ab, dieser Rhythmus, von dem selbstverständlich hin und wieder abgewichen wurde, um mich erst richtig durcheinander zu bringen, raubte mir buchstäblich die Sinne. Die Beherrschung. Alles schien sich nur noch da unten abzuspielen, zwischen meinen Beinen. Die Lust begann in meinen Lenden zu schmerzen und ich war drauf und dran, Weston anzuflehen, dass er so schnell machte, wie er konnte. Dieser Mann wusste ganz offensichtlich nicht nur, was Frauen auf oraler Basis glücklich machte. Nein, dieser Mann war ein Allroundtalent, was den Umgang mit Zunge und Lippen anging. Ich glaubte, dass es mir noch nie jemand so gut gemacht hatte. Denn kurz darauf, als ich spürte, wie er den Mund um meine Spitze schloss und sie regelrecht zusammendrückte, wurde das Wummern und Pulsieren in meinem Leib prompt überlebensgroß. Mein Atem vibrierte stimmlos in meiner Kehle und auch wenn ich noch gewollt hätte, ich wäre nicht gegen diese natürliche Reaktion meines Körpers angekommen. Zu heftig quälte mich die heiße, süße Lust, die er aus mir heraussaugte, doch genauso schnell, wie der Orgasmus über mich hereingebrochen war, flaute er wieder ab und ich betrachtete aus noch immer halb geschlossenen Augen die graue Decke über mir. Nun war ich ganz ruhig, und ich nahm es deswegen so gelassen zur Kenntnis, dass Weston sich, nachdem er sich kurzerhand seines Shirts entledigt hatte, neben mich legte. Lediglich, dass seine Hand sacht über meinen Bauch fuhr, störte mich ein wenig, denn sie jagte doch tatsächlich schon wieder einen neuen Stromschlag durch mich hindurch. Wieso machte mich dieser Kerl so verrückt? Er war doch auch nur ein Mann wie jeder andere. Wieso ausgerechnet er und nicht etwa Marko oder sonst jemand? Doch meine Gefühle verrieten mir die Gründe nicht. Sie waren einfach da. Und sie schnitten sich unberechenbar durch mein Fleisch hindurch.   Er hielt wieder seine Zigarre zwischen den Lippen. Sie war noch nicht heruntergebrannt. Ich hatte anscheinend wirklich nicht lange gebraucht. Da Weston mir so nah gekommen war, dass sich unsere Wangen fast berührten, biss mir der Rauch ganz ungeniert in die Nase; ich fand es nicht wirklich eklig, aber doch ungewöhnlich. Herkömmliche Zigaretten rochen ganz anders, und ich hatte bisher niemanden kennengelernt, der solche dicken Wummen konsumierte. Doch sie passten zu Weston. Und Weston schien darum zu wissen, so selbstgefällig wie er mir mitten ins Gesicht grinste. Wahrscheinlich hatte dies aber auch andere Ursachen. Schließlich war ich nackt, und er war sicher ziemlich spitz nach der Nummer, die er gerade mit mir abgezogen hatte.   "Auch mal?" Die Zigarre tauchte vor meinen Augen auf. Ich hätte nur den Hals länger machen müssen, um das Mundstück ergreifen zu können. Da ich aber keine Anstalten machte, auch nur die geringste Reaktion zu zeigen, stellte Weston noch eine Frage. "Hast du schon mal geraucht?" "Ja, aber nur ein, zweimal oder so...", erwiderte ich, verschwieg ihm allerdings, dass ich diese Versuche als nicht sonderlich berauschend empfunden hatte. Ehrlich gesagt wusste ich nicht, was den Reiz am Rauchen ausmachte. Es schmeckte rau und bitter und brannte ekelhaft in der Kehle. Vielleicht hatte ich auch nur irgendetwas falsch gemacht. Keine Ahnung. "Koste ruhig mal, es wird dir gefallen", beharrte Weston auf seinem Angebot und da ich im Grunde keine Argumente vorbringen konnte, wieso ich es hätte ausschlagen sollen, nickte ich schulternzuckend und ließ mir das Teil in den Mund stecken. Der dicke Qualm biss mir zugleich in die Schleimhäute und ich holte gar nicht erst Atem, sondern verzog nur angeekelt das Gesicht, bis Weston die Zigarre amüsiert glucksend wieder von mir entfernte. Ich wollte gerade irgendetwas sagen, kam allerdings nicht dazu und hatte es ohnehin vergessen, denn urplötzlich hatte er den fiesen Glimmstängel mit seinen warmen, leicht rauchig schmeckenden Lippen ersetzt. Um ehrlich zu sein fiel mir kein Grund ein, weswegen ich hätte den Mund öffnen sollen, doch auch dieses Mal sprach genauso gut nichts dagegen. Deswegen tat ich es einfach. Grob drängte mir Weston daraufhin seine Zunge in den Mund und da man es eben so machte, begann ich meine eigene ebenfalls zu bewegen, obwohl ich nie im Leben gegen das Vieh angekommen wäre, was mich regelrecht zu bedrängen wusste. Man konnte sie in diesen fordernden Bewegungen schmecken, die ungestillte Lust des Mannes, der mir mit allem was er tat einmal kräftig das Hirn wegblies. So war es auch heute, so war es auch jetzt. Meine Hand, die ich ursprünglich auf seinen Rücken legen wollte, hing erstarrt in der Luft, während die seine meinen Körper regelrecht erkundete, und durch seine großen Finger, die begehrlich an mir hinab- und dann wieder emporglitten, fühlte ich mich winzig klein. Und ich war es auch, im Gegensatz zu ihm. Ich war es, und im Moment wollte ich es auch gar nicht anders. Es fühlte sich gut an, genauso, wie es war. Und von mir aus hätte es gern ewig währen dürfen.   Doch Weston löste sich von mir. Sein Gesicht war mir ganz nahe und sein Atem strömte mir warm über die Kinnpartie. Zum ersten Mal konnte ich die recht groben Poren sehen, die sich in seiner Haut befanden, die dezenten Bartstoppeln an seinem Hals und dann waren da seine Augen, groß und so umwerfend hell, dass ich erneut alles vergaß, an das ich gerade gedacht hatte. Sein Blick war so fest und sein Körper, der sich leicht an mich geschmiegt hatte, so heiß. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, und ich hörte mich in Gedanken seinen Namen flüstern, als seine Pranke den Weg auf meine Wange fand und sie eine Weile umschmiegte. "Ich habe mit dir geteilt", sprach der große, schöne Mann. Die Bewegungen seiner Lippen kitzelten die feinen Härchen nahe meinem Ohr. Ich vernahm meinen Atem. Seinen Atem. Seiner ging bedeutend schneller als meiner. "Ich habe dir das gegeben, was du gebraucht hast. Jetzt teilst du auch mit mir. Und gibst mir auch, was ich brauche. Oder?" Auf diese Sache war ich natürlich gefasst gewesen. Allerdings war ich nicht dazu gekommen, mir eine Ausrede auszudenken. Mein Kopf war eingehüllt in feuchte Träume, ich konnte gar keine fiesen Pläne mehr aushecken. Und doch tat ich etwas recht fieses. Ich tat es nicht einmal, weil ich Weston ärgern oder hinhalten wollte. Nein. Ich tat es, weil ich in diesem Moment das Gefühl hätte, dass die eine Sache nicht richtig wäre. Irgendwie wäre es zu viel gewesen. Zu viel Nähe. Zu große Überwältigung. Alles konnte Gift sein, es kam lediglich auf die Dosis an.   "Ich...du willst mich. Meinen Arsch. Richtig?" Zum ersten Mal stotterte ich in seiner Gegenwart. Ich wünschte, das Teufelchen in meinem Ohr stünde nun neben mir und schlüge mir mitten auf die Nase für diese elende Schwäche. Westons Mundwinkel zuckten leicht. Er brauchte nichts zu sagen. Ich wusste selbstverständlich, dass es so war. "Sorry, aber ich habe nicht sonderlich viel Erfahrung mit Analsex...", Ich log. Denn um ehrlich zu sein hatte ich schon beinahe zu viel Sex für mein Alter gehabt. Diese Erkenntnis prasselte so heftig auf mich ein, dass ich mich ganz kurz selbst verurteilte für meine Notgeilheit. Doch dann sagte ich mir, es wäre in Ordnung. Schließlich machte es Spaß und man lebte nur einmal.   "Keine Angst, ich bin auch ganz vorsichtig." Er nahm es mir ab. Und es war beinahe niedlich, wie er um mein Wohl besorgt war. Aber eben nur beinahe. "Wie willst du denn mit diesem...Monstrum vorsichtig sein?", hakte ich skeptisch nach. "Das sprengt mir doch den Arsch auf." "Das fasse ich als Kompliment auf", schmunzelte er und drückte mir zum Dank einen dicken Kuss auf die Nasenspitze. "Doch ja, mein Monstrum würde perfekt in dich passen. Glaub es mir." "Ach, hast du mich vermessen, als ich geschlafen habe?" "Höhö, na klar." Er schüttelte belustigt den Kopf und gluckste auf. Aber nicht lange und er wurde wieder ernst. Ich hatte ihm keine eindeutige Antwort geliefert. Es hing noch in der Schwebe, ob ich ihn heranlassen wollte oder nicht. Und um ehrlich zu sein wusste ich selbst nicht, was ich tun sollte. Fiese Vorsätze über Board werfen, einfach das Denken einstellen und ihn machen lassen? Nein. Nein, nein. Ich gab es ihm mit einem stummen Kopfschütteln zu verstehen. Und Weston ließ sichtlich die Schultern hängen. Tja, zu früh gefreut. Man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben. Zum Glück kannte ich Weston und sein Wesen mittlerweile ein wenig. Im Grunde hätte er sich schlichtweg nur zu nehmen brauchen, was er wollte. Körperlich war ich ihm deutlich unterlegen und es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, mich einfach... Aber so war er nicht. Er war zwar ein Spinner und ein Verrückter, der sich einbildete, in der Hölle zu wohnen und dazu gern den Macho heraushängen ließ. Er entführte zwar Menschen, doch er würde ansonsten wahrscheinlich nichts tun, dem ich nicht zustimmte. Unter der Fassade des Kriegers schlummerte eben ein süßes, warmes Herz.   "Na gut. Was machen wir dann?" Er klang nicht einmal sonderlich enttäuscht. Wahrscheinlich war das aber nur fake. Mit einer ziemlichen Sicherheit wurmte es ihn, dass ich ihn nicht heranließ. Ich konnte das nur zu gut nachvollziehen. "Ich könnte dir die Haare flechten oder eine Hochsteckfrisur verpassen", schlug ich trocken vor, fing mir dafür aber eine Kitzelattacke ein, die mich laut auflachen und zusammenzucken ließ, doch ich durfte schnell wieder aufatmen, denn Weston schien es nicht darauf abgesehen zu haben, mich zu foltern. "Nee, sag mal. Würdest du mir einen blasen? Oder wenigstens einen runterholen?" Wie zaghaft er war. Man konnte gar nicht anders, als ihn zu lieben... Hä? Was? Dieses Stockholmsyndrom schlug Kapriolen. Nicht nur Weston war ein Verrückter. Ich stand ihm eindeutig in nichts nach. Schnell wieder den Kopf zumachen. Da schwirrte eh nur noch Gülle herum.   Dass Weston unbedingt noch auf seine Kosten kommen wollte, zeigte sich im nächsten Augenblick bereits unmissverständlich. Unter meinen im Grunde wenig erstaunten Blicken fummelte er leicht hektisch an seinem Hosenstall herum, bis er schließlich seine Hand hineingleiten ließ und seinen doch recht harten Schwanz herausholte. Ich musste ohnehin jedes Mal schlucken, wenn sich mir wie aus dem Nichts ein Glied präsentierte, welches nicht mein eigenes war. Und bei Weston war es nicht anders. Bei Weston war es sogar noch schlimmer. Bei Weston fing sich in meinem Kopf alles an zu drehen vor lauter Aufregung und Faszination von seinem Fleisch. Er hielt es in der Hand. Und es gelang mir einfach nicht, den Blick davon abzuwenden. In seiner beinahe dunkelroten Farbe deutete es direkt auf mich; es hätte nicht mehr viel gefehlt und die glatte Eichel hätte meine Haut berührt.   "Willst du?" Westons Stimme war nicht mehr als ein verheißungsvolles Wispern; es war nur zu offensichtlich, wie sehr er sich nach meinen Berührungen und insbesondere nach meinen Lippen sehnte. Doch mein Entschluss stand. Ich wollte ihm nicht noch näher kommen. Die Intimität, die sich zwischen uns in diesen wenigen, aber dafür umso intensiveren Momenten aufgebaut hatte überforderte mich bereits jetzt schon ein wenig. Es lag nicht etwa daran, dass wir uns erst seit gestern kannten; es lag daran, dass Weston kein herkömmlicher One Night Stand war. Das Schicksal hatte uns aneinandergekettet, mich regelrecht in die Rolle als sein Partner hineingedrängt und irgendwie...ja, da war noch etwas. Etwas, das ich kaum beschreiben, kaum zu greifen vermochte. Das mit Weston, das war irgendwie größer. Bedeutend größer. Es war nicht nur der Sex, der uns zusammenschweißte. Ich konnte ihn auf einer tieferen Ebene in mir spüren. In mir drin. In meinem Kopf. Wenn er mich anschaute, dann ging darin irgendetwas auf. Dann erblühte ein Gefühl vergleichbar mit einer Überwältigung.   Dass Weston auch dieses Mal mein Nein akzeptierte, brachte dieses einmal mehr zum Vorschein. Trotzdem wollte er mich in sein kleines Spielchen involvieren. Es kribbelte unter meiner Haut, als er seine Spitze langsam über meine Magengrube fahren ließ, mich mit einer regelrechten Sanftheit streichelte und sich dabei begann zu rubbeln. Erst eher bedächtig, doch schon bald sehr viel schneller durch die wachsende Erregung. Ich beobachtete jede kraftvolle Bewegung, ausgeführt durch seine große, mit recht deutlich hervortretenden Sehnen durchzogene Hand, bis er bereits nach recht kurzer Zeit abspritzte. Der warme Samen troff auf meinen Bauch und ich tat nichts, außer zu lächeln. Ja, ich lächelte tatsächlich. Oft hatte ich mich davor geekelt, mit dem Sperma meines Partners in Berührung zu kommen und stets versucht, dies zu vermeiden. Bei Weston war auch das anders. Es war in Ordnung, das Relikt seiner Lust auf mir zu wissen. Alles war in Ordnung. Dieser recht ereignisreiche Tag hatte ein mich rundum zufriedenstellendes Ende genommen. Mir war ganz warm, von innen heraus. Ich wollte nur noch die Augen schließen und alles in meinen Gedanken Revue passieren lassen. Denn Erinnerungen konnten so wunderbar intensiv sein.   "Machst du das morgen wieder?" Weston schlief noch nicht gleich. Genau wie ich. Wahrscheinlich ging ihm ebenfalls zu viel durch den Kopf, um sich augenblicklich fallen zu lassen. "Was soll ich morgen wieder machen?" "Na..." Er lag dicht hinter mir, das fühlte ich ganz deutlich anhand der molligen Wärme, die von seinem Körper ausging. Und dann war da auch seine Stimme, ganz nah an meinem Ohr. "Mich so begrüßen, wenn ich von der Arbeit komme." "Ach so." Ich presste die Lippen aufeinander und schmunzelte süßlich vor mich hin, was er natürlich nicht sehen konnte. "Lässt du mich morgen etwa wieder so lang allein?" "Nur, weil es sein muss. Tut mir leid, Kleiner." Resignierend seufzte ich. Nein. Ich wollte mich nicht noch einmal so langweilen müssen. Ich hasste beinahe nichts so sehr wie Langweile. Ich empfand sie als unerträglich. Sie trieb mich in den Wahnsinn. Bevor ich an diesem Tag einschlief, dachte ich darüber nach, wie ich mir morgen die Zeit vertreiben würde. Lange fiel mir nichts ein, doch dann dachte ich an Thessi und mein Interesse an diesem Kerl, den mein Schwesterlein so gut fand. Und plötzlich wusste ich, was ich tun würde. Bis Weston von der Arbeit zurück war, würde auch ich wieder im Zimmer sein. Er würde gar nichts bemerken. Und an den großen, bösen Wolf, vor dem er mich mehrfach gewarnt hatte glaubte ich ohnehin nicht.   Kapitel 6: André ---------------- 6. Kapitel - André     Dieses Mal war er einfach gegangen. Hatte mir nichts vorgepredigt von einem gruseligen Monster, welches es darauf abgesehen hatte, kleine, unschuldige Jungs zu verschlingen. Wahrscheinlich glaubte er, dass ich langsam begriffen haben müsste, dass da draußen Gefahr lauerte und ich mich aus lauter Angst lieber von der Langeweile auffressen lassen würde. Doch da kannte er mich schlecht. Ich war ganz und gar nicht gewillt, den Tag in diesem Gefängnis zu verbringen. Mein Plan stand. Ich hatte mir alles gut überlegt. Und ich würde vorsichtig sein, nur zur Sicherheit. Wie immer hatte er auch heute die Tür nicht abgeschlossen als Zeichen dafür, dass er mir vertraute. Zugegeben, sonderlich wohl war mir letztendlich nicht dabei, mich einfach rauszuschleichen und ihn gewissermaßen zu hintergehen. Doch nachdem ich einmal tief Luft geholt hatte, waren auch meine letzten Zweifel in den Hintergrund gerückt. Ich zwang mich schlichtweg dazu, nicht mehr nachzudenken. Und ging zur Tür.   Der ebenso wie das Zimmer recht düstere Gang lag vor mir. Ich fühlte mich mit einem Mal ganz groß und ganz frei. Die Vorfreude flimmerte in meinem Magen. Nein, jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich war viel zu neugierig auf das, was mich auf meiner kleinen Erkundungstour durch das Schloss erwarten würde. Bestimmt gab es irgendwo einen großen Ballsaal mit einem prunkvollen Kronleuchter wie aus alten Filmen. Vielleicht fand sich sogar im Keller eine Folterkammer. Schon immer mal wollte ich diese beeindruckenden Instrumente mit eigenen Augen sehen, aber natürlich nicht zu spüren bekommen. Na ja, außer sie ließen sich dazu verwenden, um Sex zu haben. Mh, das hätte Weston bestimmt auch gefallen. Wenn er heimkommt von der Arbeit lag ich in einem Folterstuhl, gefesselt und geknebelt... Diese Gedanken verdrängte ich allerdings schnell wieder. Nein, so wollte ich dann doch nicht enden. Von keinen Typen auf der Welt hätte ich mich fesseln lassen. Eher würde ich einen Typen fesseln. Bei der Vorstellung musste ich ernsthaft ziemlich dreckig grinsen.   Da stand ich nun. Außerhalb des Zimmers, ich kleiner Rebell. Ich schaute erst nach links und dann nach rechts, doch beide Richtungen schienen vollkommen identisch auszusehen. Wo also würde ich damit anfangen, mich genauer umzusehen? Wo war vermutlich dieser André am ehesten zu finden? Ich entschied mich dafür, nach rechts zu laufen. Einfach deshalb, weil ich eine Wahl treffen musste. Nicht etwa, weil mir der karge Gang irgendein Geheimnis zugeflüstert hatte. Nein. Obwohl nicht von der Hand zu weisen war, dass eindeutig etwas Magisches in der Luft lag. Ich wusste nicht, woran das lag, aber ich spürte es, gleich neben der Kälte unter meinen nackten, auf den Boden patschenden Füßen. Doch auch wenn ich bei jedem Schritt etwas mehr fror, ich würde nicht mehr umkehren. Ich war so weit gekommen, und es kribbelte vor Spannung in meinem Körper, als ich mich traute, die erste Tür zu öffnen. Sie tat sich mit einem Knarren auf und als ich den Kopf in das Zimmer steckte erkannte ich, dass es ganz ähnlich eingerichtet war wie das von Weston. Ein großes Bett und ein abgehendes Badezimmer. Viel mehr fand sich nicht. Ich fragte mich, ob hierin jemand wohnte, und ich erhielt einen Hinweis. Auf dem Nachtschränkchen lagen eine Cremetube und ein Rasierapparat. Dinge, die eigentlich in einem Bad besser ausgehoben waren. Anscheinend hauste hier ein ziemlicher Liederfleck. Zum Glück war Weston in der Beziehung wesentlich ordentlicher. Er räumte mir sogar ohne mich zu tadeln meinen Dreck hinterher, den ich im Badezimmer hinterließ. Ja, Weston war schon ein guter Fang. Ich hätte ihn nicht tauschen wol-   Ich erschrak. Ich erschrak so heftig, dass sogar meine Zunge zu kribbeln begann und ich am liebsten aufgeschrien hätte. Jemand hatte mir auf die Schulter getippt, genau in dem Moment, in dem ich am wenigsten damit gerechnet hätte. Diese zaghafte Berührung hatte ausgereicht, um mich vollkommen aus dem Konzept zu bringen. Wieso hatte ich nicht gehört, wie sich mir jemand genähert hatte? War ich tatsächlich so schwerhörig? Doch nun spürte ich nur zu deutlich die Anwesenheit der anderen Person. Sie stand direkt hinter mir und sagte kein Wort. Wahrscheinlich wartete sie darauf, dass ich mich umdrehte. Ich musste an Westons Worte denken. An den großen, bösen Wolf. Was, wenn er doch existierte und sich gerade darüber freute, eine geeignete Beute aufgestöbert zu haben? Aber würden Wölfe einem auf die Schulter tippen? Würden sie einen nicht getötet haben, ehe man überhaupt erschrecken konnte? Ein mulmiges Gefühl saß in meinem Magen. Es musste sein. Ich musste mich umdrehen, es half alles nichts. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und versuchte einen Blick nach hinten zu erhaschen. Und da war jemand. Schwarze Haare. Schwarze Kleidung. Ich fasste Mut und fuhr schnell herum. Und dann stand ich ihm gegenüber. Einem Jungen, in etwa so groß wie ich, mit großen, tiefschwarz geschminkten Augen und einem wunderschön femininen Gesicht. Ich konnte gar nichts sagen, denn sein Anblick machte mich ganz perplex. Mehrmals öffnete ich meinen Mund, doch mir lag kein einziges Wort auf der Zunge. Das musste er sein. Das musste André sein. Die Beschreibung meiner Schwester passte haargenau auf ihn. Thessi, du hast Geschmack, sprach es in meinem Kopf. Thessi, Thessi, wie gut kann ich dich verstehen...   *   Lenny würde sich freuen. Der heutige Auftrag war bereits nach wenigen Minuten als erledigt abzustempeln. Meist bestand meine Arbeit nämlich nur darin, potenzielle Opfer auszukundschaften, Sünden zu identifizieren und eine Strichliste über ihre bösen Taten zu führen. Wer zehn Punkte besaß, der wurde ohne Umschweife in die Unterwelt geholt, auch wenn der Meister keine Aufgabe für ihn hatte. Natürlich war es ihm demzufolge auch nicht gestattet, im Schloss zu wohnen. Aber die Stadt war groß. Sie war sogar unendlich. In der Hölle, da fand sich ein Platz für jeden. Ich fragte mich, wie viele Sündenpunkte wohl Lenny gehabt hätte. Doch da er nicht auffällig geworden war vermutete ich, dass er viel lieber und braver war, als er vorgab zu sein. Außerdem hatte er noch nicht einmal vollständig seine Unschuld verloren. Ich musste schmunzeln, als ich darüber nachdachte. Sie würde schon bald mir gehören, die Unschuld meines kleinen Lennys. Vielleicht würde er sie mir sogar heute schon schenken? Bestimmt erwartete er bereits sehnsüchtig meine Rückkehr. Es würde ein schöner Nachmittag werden. Ein Nachmittag, der nur uns gehörte. Ich lief sogar einen Schritt schneller, um noch eher bei meinem Kleinen sein zu können. Wie schön es war, dass er sich endlich nicht mehr mit aller Macht gegen seine Gelüste und Gefühle auflehnte. Ich hatte ihn gut erzogen. Es hatte nicht einmal eine strenge Hand gebraucht. Keine Schläge, kein harsches Wort. Ich wusste nun, dass er nicht nur aussah wie der schönste Engel, der je erschaffen wurde. Im Herzen, da war er ebenfalls einer. Man musste nur wissen, wie man ihn erweckte.   Voller Erwartungsfreude hastete ich die Treppen hinauf und näherte mich meinem Zimmer. Doch kurz davor hielt ich erschrocken inne. Was war hier los? Das war eindeutig mein Wohnraum, aber die Tür stand offen! Mich erfasste ein Anflug von Panik. Ich musste erst die Beherrschung zurückzugewinnen, um auf mein Schlafzimmer zustürmen zu können und einen hektischen Blick hineinzuwerfen. Mir war egal, ob mich jemand hörte. Ich hatte alles um mich herum vergessen. Nur noch eine einzige Sache zählte. "Lenny?" So sehr hoffte ich, dass er wie beim ersten Mal lediglich im Badezimmer war. Doch im Grunde glaubte ich daran schon längst nicht mehr. Wieso sollte in diesem Falle die Tür sperrangelweit offen stehen? Wie erwartet erhielt ich keine Antwort. Zur Sicherheit warf ich noch einen Blick in das Bad, doch Lenny blieb wie vom Erdboden verschluckt. Er war weg. Man hatte ihn mir genommen. Ob der Meister hier gewesen war? Wenn er ihn erblickt hätte, er hätte ihn sofort an sich genommen, das wusste ich ganz genau. So schön wie er war, so rein und zart, er hätte ihn haben wollen, so wie er André hatte. Trotz allem war es effektiver, nun ruhig zu bleiben. Schließlich bestand noch immer die Möglichkeit, dass niemand gekommen war und mir Lenny gestohlen hatte. Womöglich war er doch nicht so ein Engel, wie ich angefangen hatte zu glauben. Vielleicht war ihm wieder langweilig gewesen und er hatte meine Warnungen vergessen. Oder vergessen wollen. Wenn es tatsächlich so war, dass er sich rausgeschlichen hatte, dann bestand Hoffnung. Dann hätte ich ihn eventuell noch retten können. Uns retten können. Denn auch mir wäre es an den Kragen gegangen, hätte der Meister von unserem Geheimnis gewusst...   Ich fackelte nicht lange. Ich musste Lenny suchen gehen, und wenn ich dafür das ganze Schloss auf den Kopf stellen musste. Und wenn es bedeutete, meine Muskelkraft unter Beweis zu stellen. Ich war darauf gefasst, es mit jedem aufzunehmen. Und wenn es der Meister höchstpersönlich war.   *   Sie war mir nicht verborgen geblieben, die Skepsis in seinen Augen. Er hatte mich zögerlich, beinahe ein wenig schüchtern angesehen, so, als wüsste er nicht so recht, was er von mir und meinem unerwarteten Besuch halten sollte. Lange hatten wir uns schweigend auf der Schwelle zu seinem Zimmer gegenübergestanden, doch irgendwann schien er sich dazu entschieden zu haben, mich hineinzubitten und sogar mit mir zu reden. Auch wenn ich das Gefühl nicht loswurde, dass er nicht sonderlich erfreut war, dass er mich aufgegabelt hatte. Ich erkannte es an seiner Wortkargheit und seiner unnahbaren Ausstrahlung. Er blickte mich nicht einmal an, als ich neben ihm auf seinem Bett saß. Seinen Kopf hielt er gesenkt und seine Stimme war leise. "Was suchst du hier?" Augenblicklich spürte ich, wie sich etwas in mir zusammenkrampfte. Die Art und Weise, wie er diese Frage gestellt hatte - absolut unfreundlich und kalt. Wahrscheinlich war das zwischen uns Antipathie auf den ersten Blick, aber trotzdem kam ich nicht umhin, ihn schön zu finden.   "Mir war langweilig", erklärte ich gelassen und zuckte die Schultern. Das stimmte sogar. Dass mir Thessi von ihm vorgeschwärmt und somit meine Neugierde auf ihn geweckt hatte, das verriet ich ihm natürlich nicht. Nicht nur, weil man Geschwister nicht verpetzte. Sondern auch, weil ich fand, dass es keine Rolle spielte. So fies es auch klang, aber so ein Typ wie er würde sich niemals für meine kleine Schwester interessieren. So ein Typ wie er stand auf Männer. Ich hatte keine Beweise dafür, ich wusste es einfach.   Ganz kurz huschten seine Blicke über mich hinweg. Dann schaute er allerdings wieder in die entgegengesetzte Richtung. An die Wand. "Wer bist du eigentlich? Ich hab dich hier noch nie gesehen." "Ich bin auch noch nicht lange hier. Erst seit ein paar Tagen. Und um auf deine erste Frage zu sprechen zu kommen: Ich bin Lenny. Du?" Freilich wusste ich, wer er war, ich fragte ihn aber trotzdem nach seinem Namen. "André." "Schöner Name. Passt." Seine Mundwinkel zuckten daraufhin kaum merklich. Und das war auch die einzige Erwiderung auf mein zugegeben ziemlich langweiliges Kompliment. Niemand suchte sich schließlich seinen Vornamen aus. Es war reiner Zufall, wenn man wie ein Lenny oder ein André aussah. Aber seine Eltern schienen die richtige Wahl getroffen zu haben. André klang elegant und distanziert, edel und vornehm. Und ja, man konnte es bestimmt auch schön stöhnen...genau wie Weston. Das waren Dinge, über die ich häufig nachdachte. Sie waren reine Zeitverschwendung, aber was sollte man denn schon gegen seine Gedanken tun? Wenn man sie zu verdrängen versuchte, dann bekam man sie erst recht nicht mehr aus dem Kopf. In Sachen Weston war dies auch so gewesen. Auf keinen Fall wollte ich ihn heiß finden, und nun tat ich es doch. Und das nicht zu knapp. Doch auch André gefiel mir optisch ganz gut. Man hätte diese beiden aber niemals miteinander vergleichen können, denn sie ähnelten sich ungefähr so stark wie Äpfel und Birnen. Sie waren von einem komplett anderen Typ. Und das machte es mir nicht gerade einfach.   "Arbeitest du auch für Mister Steele?" Mister Steele. Diesen Namen hatte ich zuerst aus Thessis Mund gehört, daran erinnerte ich mich noch. "Nein", erwiderte ich und knaupelte an meiner Unterlippe herum. "Ich wohne bei Weston." "Bei Weston?" "Ja." Was war daran so verwunderlich? "Ich arbeite für ihn", fügte ich noch ziemlich unbeholfen hinzu, da ich den Drang verspürte, noch irgendetwas zu ergänzen. Und ja, wenn man es sich recht überlegte, dann stimmte das sogar. Ich sah ganz genau, wie André daraufhin die Stirn runzelte. Auf einmal war mir gar nicht mehr so wohl in meiner Haut. Es fühlte sich an, als hätte ich längst zu viel verraten. Weston wollte mich schließlich von allen Menschen, die hier im Schloss lebten oder arbeiteten fernhalten. Ob das einen bestimmten Grund hatte, außer, dass er sein Spielzeug stets bei sich haben wollte? "Du hilfst ihm beim Kidnappen?" Ich lachte prompt etwas überrascht auf. "Haha, nein. Ich bin Westons..." Ja, was war ich denn? Sein Betthäschen? Sein Gesellschafter? Sein Bespaßer? Ich weigerte mich, eines von diesen Worten in den Mund zu nehmen. Ich wollte gar nicht wissen, wie sie klangen, wenn ich sie ausgesprochen hätte. Und ich wäre sowieso nicht mehr dazu gekommen, den Mund aufzumachen. Jemand war an der Tür und betätigte ohne anzuklopfen die Klinke. Ich hatte gar keine Zeit, zu erschrecken oder mich zu fragen, wer uns nun einen Besuch abstattete, denn noch im selben Augenblick rauschte Weston hinein und blieb abrupt stehen, als er mich erblickte.   "Weston..." Etwas Besseres war mir nicht eingefallen. Ich war zu überrascht und als er mich so anschaute, voller Vorwurf und auch Wut, da empfand ich sogar so etwas wie Reue. Ich hatte nicht gewollt, dass er mich bei meiner kleinen Erkundungstour erwischte. Warum war er schon zurück? Hatte ich mich so lange aufhalten lassen? Ohne ein Wort zu sagen kam er auf mich zu. Er wirkte noch größer als sonst, so wie er vor mir stand und auf mich hinabschaute. Ich fühlte mich immer unwohler in meiner Haut. Und dann zischte ein lauter Schmerz durch meine Wange, begleitet von einem klatschenden Geräusch. Die zweite Ohrfeige, die er mir verpasst hatte. Und ich glaubte tatsächlich, dass ich sie mir verdient hatte. Aber es zugeben? Niemals. Der Schlag hatte meinen Kampfgeist wachgerüttelt, der so hoch in mir loderte wie selten zuvor. Ich erblindete vor Wut. Und ich war wirklich kurz davor, Weston an die Kehle zu springen und mich mit ihm anzulegen. Mir war es auf einmal komplett egal, dass er kräftiger war als ich. Speziell vor André wollte ich nicht zeigen, dass Weston mich im Griff hatte. Gern hätte ich ihm ein wenig imponiert. Doch meine körperliche Unterlegenheit wurde mir einmal mehr zum Verhängnis. Weston drückte mir seine eiserne Hand in den Nacken und zog mich ohne Gnade mit sich. Alles Wehren und Fluchen hatte keinen Sinn. Ich musste mich fügen. Und das machte mich schier rasend.   "Pisser. Arschloch." Ich versuchte, ihm ins Gesicht zu spucken, doch es misslang mir kläglich. Anstelle presste er mich für diese Geste der Respektlosigkeit gegen die raue Wand und umfasste mit einer Hand mein Gesicht. Seines schob er ganz dicht davor. Und seine hellblauen Augen, die mich gestern noch voller Zuneigung gemustert hatten, blitzen nun böse auf mich herab. "Wieso hast du das gemacht?" "Was?" Ich ahnte natürlich, was er meinte. Dass er nicht darauf abzielte, dass ich ihm erklärte, wieso ich ihn anspucken wollte. "Du weißt genau, um was es geht." Ich wagte kaum noch, einen Atemzug zu tun. Ich hatte keine wirkliche Angst vor Weston, aber trotzdem flackerte ein ungutes Gefühl in meiner Brust. Ein falsches Wort, und er würde mir noch eine verpassen. Oder er würde mich sogar richtig verprügeln. Mir seine flache Hand auf den nackten Arsch knallen. Weston war eindeutig der Typ, der ungehorsame Knaben auf diese Art züchtigte. Ich musste an die Folterinstrumente denken. Und dann fuhr ein Zucken durch meine Lenden.   "Mir war langweilig", erklärte ich, was ich auch André vorhin erklärt hatte. Und beinahe schon mit flehender Stimme fügte ich hinzu: "Ich habe es da drin nicht mehr ausgehalten! Verstehst du das denn nicht?" "Das verstehe ich", sagte Weston, aber seine Stimme blieb kalt. "Doch es geht nun mal nicht anders. Das habe ich dir doch erklärt." Endlich ließ er von mir ab und stand nur noch mit vor der Brust verschränkten Armen vor mir. "Ich dachte, ich kann dir vertrauen. Dass du langsam mal kapiert hast, dass ich dich nicht einsperre, um dich zu ärgern, sondern nur, um dich zu schützen." "Schützen vor was? Sag es mir endlich." "Vor ihm..." "Wem?" Er holte gerade Luft, doch noch im selben Augenblick fuhr er herum und blickte sich hektisch um. "Ich glaube, ich habe Schritte gehört", zischte er mir zu und packte mein Handgelenk. "Komm." Zusammen eilten wir den Gang entlang, bis wir schließlich sein Zimmer erreichten. Die Erleichterung stand Weston in das Gesicht geschrieben, als er die Tür hinter sich schloss. Und nein, er klinkte sie heute nicht nur ein. Er sperrte sie zu. Wahrscheinlich hatte er wirklich Angst. Große Angst. Aber...vor was? Obwohl ich es wissen wollte hakte ich nicht mehr nach. Lediglich meine indirekten Andeutungen konnte ich mir nicht verkneifen.   "Also André war eigentlich ganz lieb", erzählte ich deswegen. "Der scheint jedenfalls nicht das große, böse Monster zu sein, vor dem ich mich in Acht nehmen soll." Weston ließ sich neben mir auf dem Bett nieder. Nachdenklich stützte er seine Ellenbogen auf die Knie und fuhr sich dann mit beiden Händen über den Mund. "Nein." Er schaute mich an. "Aber André ist sein Lustknabe." So etwas hatte ich mir schon gedacht. André war der Typ für einen solchen Job. Männer standen auf solche wie ihn. Sie waren ganz verrückt nach solchen kleinen, zarten. Nicht nur Weston war einer von diesem Schlag. Schon im Dorf war es so gewesen. Deswegen hatte ich auch schon so oft Sex gehabt...   "Hast du ihm irgendetwas erzählt?" Mein Gesicht wurde mit einem Mal ganz heiß und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. "Nein." Das war die wahrscheinlich größte Lüge, die ich jemals ausgesprochen hatte. Und ich hatte noch nicht einmal Skrupel dabei, sie ihm mitten ins Antlitz zu werfen. "Gut." Er nahm es mir ab. Ich fühlte mich schrecklich. Ich wollte das alles gar nicht. Ich wollte Weston nicht anlügen. Denn im Grunde mochte ich ihn doch. Man schwindelte die Menschen nicht an, die einem in irgendeiner Art und Weise nahe waren.   "Gut, gut." Er seufzte tief. Mehrmals wiederholte er dieses eine Wort. Er lief im Zimmer auf sich ab. Es war eindeutig, dass er versuchte, sich selbst zu beruhigen. "Mach das nie wieder, ja?" "Es ist doch nichts passiert." "Aber es hätte etwas passieren können." Angespannt biss ich auf meinem Daumennagel herum. Weston stand an die Wand gelehnt ein Stück weit von mir entfernt. Er schaute sorgenvoll an die Decke. "Er darf dich niemals kriegen...", murmelte er und warf mir einen flüchtigen Blick zu. "Ich glaube, er würde dir wehtun. Dagegen sind meine Ohrfeigen noch harmlos." "Ich kann aber auch ganz gut auf mich selbst aufpassen." Weston zeigte sich davon wenig beeindruckt und lächelte lediglich bitter. "Kannst du nicht. Man hat ja gesehen, dass du nicht einmal gegen mich ankommst. Gegen ihn hättest du keine Chance, glaub mir das." "Hätte ich wohl." Es gefiel mir ganz und gar nicht, so in die Rolle des kleinen, hilflosen Wesens gedrängt zu werden. Das war ich nicht. Das wollte ich nicht sein. Deswegen keimte erneut die Wut in mir auf. "Lenny, hör mal", versuchte Weston mich zu beschwichtigen. Nun kniete er wieder vor mir und legte seine Hände auf meine Knie. "Du überschätzt dich manchmal ziemlich. Es ist nicht böse gemeint, aber es stimmt eben." Er blinzelte. "Du brauchst mich, damit ich auf dich aufpasse." "André darf auch frei herumlaufen. Und ich bin wie so ein verdammtes Huhn in einer verdammten Legebatterie." "Du hast nichts verstanden." Resigniert schüttelte Weston den Kopf und erhob sich wieder, um seinen ruhelosen Gang durch das Zimmer fortzusetzen. "Ich habe dich verstanden", beharrte ich stur auf meiner Meinung. Und dann purzelten Dinge aus meinem Mund, die ich eigentlich gar nicht hatte sagen wollen. "Weißt du was? Um ehrlich zu sein würde ich lieber bei André und dem bösen Wolf mitmachen. Die lassen mir wenigstens Freiheiten. Und André gefällt mir sowieso viel besser als du." Warum tat ich das? Ich hatte keine Ahnung. Doch nun musste ich meine Rolle spielen. Es gab kein Zurück. Und mir tat noch nicht einmal Westons Blick weh, der mich wie ein Nadelstich traf und starr an mir haften blieb. Er ließ mich sogar ziemlich kalt. Und deswegen setzte ich sogar noch einen drauf. "Wenn du André aber morgen zu mir bringst, damit ich mit ihm schlafen kann, dann bleibe ich bei dir. Und dann schlafe ich auch mit dir." Ganz kurz erschütterten mich meine eigenen Worte. Doch ich verdrängte dieses Gefühl ganz schnell wieder. Nur an Westons Blick würde ich mich wahrscheinlich noch ewig erinnern. So voller Wut und Enttäuschung. Aber vor allen Dingen spiegelte sich der Schmerz in seinen Augen. Ich hatte es tatsächlich verdient, in der Hölle zu schmoren. Er hätte mich ohrfeigen sollen, mich schlagen, mich züchtigen. Doch er tat es nicht. Weil er es hasste, mich so zu behandeln. Und ich hasste mich für mein Verhalten.   Warum war ich nur...so?   Kapitel 7: Wunscherfüllung -------------------------- 7. Kapitel - Wunscherfüllung     "Lenny will dich." Manchmal war es besser, gleich mit seinem Anliegen herauszurücken. Besonders dann, wenn sich das Gegenüber ohnehin leicht verstört ob seines Besuches zeigte. In Andrés Falle hatte dies nämlich genau so begonnen. Er schien mich noch immer zu fürchten, das hatten mir seine Augen verraten, die mich kullerrund angeschaut hatten, voller Angst. Wahrscheinlich hatte die Ohrfeige, die ich Lenny gestern verpasst hatte ihr Übriges getan. Aber es war gut. Ich war eine Respektsperson. Und ich zögerte nicht, dies zur Schau zu stellen, wann immer es vonnöten war. Begründet durch die Stille, die sich zwischen uns aufgetan hatte, hörte ich den Kleinen sogar hart schlucken. Vollkommen irritiert wanderten seine Blicke über mein Gesicht, so, als würde er gar nicht glauben können, was ich da gesagt hatte. Doch mir war es ernst. Ich wäre niemals zum Spaß hierhergekommen. Und nun wollte ich auch bitte irgendein Wort aus seinem Mund dringen hören.   "Lenny möchte mit dir schlafen", erklärte ich präziser, aber vollkommen trocken. Und ich blieb vor ihm stehen. Machte mich noch extra groß, in dem ich das Kinn in die Höhe reckte und ihn von oben herab anschaute. Das erwies sich stets als sehr wirkungsvoll. So kam man für gewöhnlich bei den meisten Menschen an sein Ziel. Man musste sie nur so weit einschüchtern, dass sie es nicht mehr wagten, ein Nein verlauten zu lassen. Und heute brauchte ich ein Ja. Unbedingt. Weil ich ein Idiot war. Auf Andrés Gesicht hatte sich doch tatsächlich ein dezenter Rotschimmer eingeschlichen. Auch seine Körpersprache verriet mir, dass er sich schämte ob meiner Tatsachenschilderung. "A-aber..." Seine Worte waren nicht mehr als ein hilfloses Stammeln. "Das geht nicht..." Er wagte es tatsächlich, ein vages Nein zu äußern. Gut. Dann musste ich eben deutlicher werden. "Hör mal", begann ich leise, aber nicht wenig bedrohlich und fuhr mit den Fingerspitzen ganz sacht über seinen Oberarm, bis sie am Halsausschnitt seines Umhanges zum Liegen kamen. Sofort wurden seine Augen wieder ganz groß und erinnerten mich an die eines Kaninchens. "Lenny soll alles bekommen, was ihn glücklich macht. Was er braucht. Und wenn du das bist..." Ich beendete den Satz nicht. Das war nicht nötig. Diese Worte auszusprechen hatte mich ohnehin schon an meine Grenzen getrieben. Im Grunde hätte ich niemals hierherkommen dürfen. Im Grunde hätte ich Lenny den Arsch versohlen sollen für die Dreistigkeit, die er besessen hatte. Doch was hätte es mir genutzt? Ich hätte ihn hundertmal verprügeln können, es hätte mir nur noch größere Verachtung seinerseits eingebracht, aber keine Zuneigung. Dabei waren wir auf so einem guten Weg gewesen. Ich hatte geglaubt, dass Lenny begonnen hatte, mich zu mögen. Doch nun fühlte es sich so an, als hätte ich mich geirrt. Er hatte nur mit mir gespielt, um seine Befriedigung zu bekommen. Er war ein kleines, hinterhältiges Biest. Nicht nur einmal hatte ich mit dem Gedanken gespielt, ihn tatsächlich dem Meister auszuliefern, so, wie er es am liebsten wollte. Dann hätte er wenigstens am eigenen Leib spüren dürfen, was für einen Fehler er begangen hatte. Doch anstelle stand ich nun hier und bekniete André regelrecht, Lennys Wunsch zu erfüllen. Warum ich das tat? Ich wusste es selbst nicht. Aber unterem anderen war es, weil ich Lenny nicht verlieren wollte, trotz allem. So bescheuert wie es klang. Das zwischen uns, das schien längst zerrüttet. Und auch ein André würde es nicht mehr kitten können. Trotzdem kämpfte ich darum, ihn zu überzeugen. Der Kleine war doch schwach und um einiges folgsamer als Lenny. Ich musste lediglich hartnäckig bleiben.   "Mister Steele wird nicht wollen, dass ich mit Lenny...", krächzte er unbeholfen, doch mir imponierte das überhaupt nicht. Ich legte meinen Kopf schief und grinste ihn gehässig an. Und dann fuhr ich ihm über seinen Kopf, wie einem kleinen Kind. Wenn er gewusst hätte, wie sehr mich dies anwiderte. Die Gewissheit, dass Lenny ihn mir vorzog hinterließ ein schmutziges Gefühl unter meinen Fingerspitzen. Diese kleine Ratte. Wahrscheinlich hatte er Lenny schamlos angemacht, als sie allein waren. Er erzählte mir ja nichts Genaues über den Vorfall. Im Grunde erzählte er mir gar nichts. Wer weiß, was geschehen war. Aber wollte ich das wirklich wissen? "Mister Steele?" Ich brummte genüsslich und gluckste dann amüsiert auf. "Er wird es natürlich nicht erfahren." Mein Finger legte sich bestimmt auf seine Lippen. "Vorausgesetzt, du hältst deinen kleinen, süßen Mund..." Leichte Falten des Zorns umspielten seine Stirn. Das, was ich sagte, missfiel ihm ganz und gar. Und mir ging es nicht anders. Trotzdem benötigte ich sein Ja. Und ich sah in seinen Augen, dass er scharf darüber nachdachte. "Komm, gibs schon zu", versuchte ich ihm seine Entscheidung zu erleichtern, auch wenn ich einen großen Widerwillen verspürte, diese Worte auszusprechen. "Du würdest Lenny doch ganz gern mal vögeln. Und deswegen sagst du jetzt auch Ja." Mit solchen suggerierenden Sätzen kam man stets am Weitesten. Und wenn man ohnehin schon wusste, dass das Gegenüber zu einer Zustimmung tendierte, dann stellte dies womöglich den letzten Zweifel in den Schatten. So war es auch heute. Plötzlich nickte André. Kaum sichtbar, aber es genügte, um mich wissen zu lassen, dass ich gewonnen hatte. Ich verlor keine Zeit. Packte den Kleinen am Handgelenk und zog ihn mit mir. Ihm würde keine Gelegenheit bleiben, sich umzuentscheiden. Denn Lenny sollte ihn sofort bekommen. Ich wollte sein Gesicht sehen, wenn ich mit André in der Tür stand. Und ich wollte das Gefühl in mir aufsteigen spüren, ihn wissen zu lassen, dass ich um ihn kämpfte. Dass er mir etwas bedeutete. Ja, wahrscheinlich hatte er mehr Macht über mich, als ich ihm hatte zugestehen wollen. Doch solche Empfindungen taten das eben mit den Menschen. Sie waren so stark, dass man ganz schwach wurde. Und wenn Lenny noch so stark war, um mich zu kontrollieren können, mich zu manipulieren, dann war er die ganze Müh eigentlich nicht wert. Ich hatte ihn verloren. Dabei wollte ich doch mit ihm die Ewigkeit verbringen. Das Für Immer sollte uns gehören. Doch es war weg. Es würde keine Ewigkeit geben. Und kein Für Immer. Zumindest nicht für uns beide.   *   Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass er es wirklich zu tun bereit war. Denn es passte so gar nicht zu Weston. Weston, dem großen, starken Krieger, der genau wie ich einen ausgeprägten, eigenen Willen besaß, den man kaum zu brechen vermochte. Doch es hatte sich bewahrheitet. Er hatte mir André gebracht. Obwohl das überhaupt nicht nötig gewesen wäre. Schließlich hatte ich jene fiesen Worte lediglich in meinem Wutrausch ausgesprochen und sie nicht so gemeint. Das jedoch zugeben konnte ich nicht. Im Entschuldigen war ich schon immer eine Niete gewesen. Es war mir schlichtweg unangenehm. Und so hatte ich auch dieses Mal meine Klappe gehalten. Und ich hielt sie noch immer. Jetzt, wo Weston André in das Zimmer schob. Ich fühlte prompt, dass das, was er hiermit getan hatte, etwas ganz Großes war. Ein Beweis, wie wichtig ich ihm sein musste. So wichtig, dass er mich kleines Arschloch nicht verlieren wollte. Ich konnte sein Handeln kaum nachvollziehen. Alles hätte ich verdient, aber nicht die Erfüllung dieses komplett bescheuerten Wunsches.   Was sollte ich nun tun? Wie reagieren? Ich hatte keine Ahnung. Deswegen blieb ich recht verdruckst auf dem Bett sitzen und begrüßte André mit Handschlag und einem zaghaft gelächelten Hallo. Und so wie ich ihm ins Gesicht schaute, wusste ich, dass ich gar nicht mit ihm ins Bett wollte. Natürlich, André war von ausnehmender Schönheit, doch ich hatte mich bereits längst für einen anderen entschieden. Für den Mann, der etwas abseits stand und versuchte, sein Pokerface hochzuhalten, was ihm allerdings nicht so recht gelang, oder ich bildete es mir nur ein, weil ich ahnte, wie er sich fühlen musste. Das berühmte fünfte Rad am Wagen. Er tat mir so leid. So sehr.   "Ich geh dann mal. Arbeiten", brummte er vor sich hin und griff hastig nach der Türklinke, fast so, als könnte er gar nicht erwarten, der Szene zu entkommen. So war es sicher auch. Doch ich wollte nicht, dass er ging. Ich wollte ihn bei mir haben. André interessierte mich eher weniger. Nein, er interessierte mich gar nicht. Nie im Leben hätte ich mit ihm geschlafen, wenn Weston uns den Rücken zugekehrt hätte. Aber nun spürte ich, dass ich genau das tun musste. Doch ich brauchte ihn bei mir. Weston. Er sollte bei mir sein. Ich konnte ihm nicht sagen, dass es mir leid tat, zumindest noch nicht jetzt. Aber ich würde es ihm zeigen können.   "Musst du wirklich arbeiten?", fragte ich deswegen etwas unsicher, woraufhin Weston inne hielt, sich allerdings noch nicht zu mir umdrehte. "Ich möchte, dass du mit uns...mitmachst. Schließlich hab ich dir doch versprochen, dass ich mit dir schlafe..." Nun entschied er sich doch dazu, mir seine Vorderseite zu präsentieren. Er schaute mich an, mit einer Mischung aus Skepsis und Überraschung. Ich versuchte mich an einem Lächeln, doch ich hatte keine Ahnung, ob es mir gelang. Dafür nickte ich ihm leicht zu, um zu bestätigen, dass ich es ernst meinte. Und er kam tatsächlich, nachdem er ein paar Sekunden lang gezögert hatte. Wortlos nahm er neben mir auf der Bettkante Platz, und ich konnte es mir einfach nicht verkneifen, meine Hand auf sein Knie zu legen und mich um ein richtiges, echtes Lächeln zu bemühen, das alle Reue und Zuneigung auf der ganzen Welt zeigen sollte. Ob er es lesen konnte? Ich wusste es nicht. Er gab sich noch bedeckt. Doch nicht mehr lange sollte es dauern, bis er nach und nach auftaute. Wir zogen uns aus, André und ich. Und auch wenn ich es nicht unbedingt wollte, ich drängte mich aufreizend gegen den anderen Lustknaben und verwickelte ihn in einen leidenschaftlichen Kuss, direkt vor Westons Augen. Immer wieder wanderten dabei meine Blicke zu ihm hin, um zu überprüfen, ob er mochte, was er sah. Es war nicht eindeutig zu identifizieren, ob es ihn erregte oder ob es die Wut und der blanke Neid waren, die in seinen Augen schwelten. Vielleicht war es eine Mischung aus beidem. Doch ich wollte, dass er nur noch ersteres empfand. Pure Erregung. Lust. Geilheit. Auf mich, nicht auf André. Deswegen hielt mich gar nicht lange mit meinem Gespielen auf (der ohnehin nicht so recht zu wissen schien, ob er sich auf mich einlassen sollte, so zögerlich, wie er die ganze Zeit blieb), sondern schob meinen Hintern lasziv auf Westons Oberschenkel, von wo aus ich meine Hand wunderbar über seinen Oberkörper gleiten lassen konnte, bis ich den Saum seines Shirts erreichte und diesen kurzerhand anhob, als Zeichen, dass er sich ausziehen sollte. Er tat es, sogar ohne, dass ich ihn groß bitten musste. Präsentierte mir seine schönen Muskeln. Angetan ließ ich meine Blicke über ihn wandern, es dauerte auch gar nicht lange, bis ich wieder meine Hand zu Hilfe nahm und seine feste, etwas grobe Haut berührte. "Wow...", hauchte ich bereits ziemlich erregt, denn die Aussicht darauf, dass ich ihn heute ganz bekommen würde, ließ meinen ganzen Körper in berauschendem Flimmern aufgehen. Meine Finger fuhren bis hin zu seiner Gürtelschnalle, die ich geschickt zu öffnen vermochte, und genau dasselbe machte ich mit dem Knopf und dem Reißverschluss seiner Lederhose. In meiner Ungeduld wartete ich gar nicht erst, dass er sich untenrum entblößte. Ich holte mir einfach das heraus, was ich haben wollte. Schließlich hielt ich es zum ersten Mal in der Hand und wollte am liebsten sofort meinen Mund darüberstülpen. Oder mich sogar gleich darauf setzen. André hatte ich spätestens jetzt komplett vergessen. Der Typ hatte einfach nichts, was mich so faszinierte wie Weston es konnte. Freilich hatte er am Anfang euphorische Gefühle in mir wachgekitztelt, aber diese waren schnell verflogen. André war ästhetisch, hübsch und schön, aber in meinen Augen nicht unbedingt sexy. Und in Westons Augen? Wie empfand er es? Scheinbar begann er sich auf einmal für den anderen zu interessieren, was ich daran merkte, dass er nicht mehr mich anschaute, sondern nur noch André. Und das mit einem wirklich vielsagenden Blick. Das gefiel mir nicht so recht. Er sollte ihn vergessen, ebenso, wie ich ihn vergessen hatte. Doch er dachte gar nicht daran. Seine Augen sprachen eine stumme Einladung aus, die André zu verstehen schien. Zwar setzte er sich noch etwas unsicher in Bewegung, doch bereits wenig später nahm er auf dem noch freien Oberschenkel Westons Platz. Sofort wurde er mit Berührungen und sogar Küssen überschüttet, die an so ziemlich jeder Körperstelle ihren Platz fanden. Ein altbekanntes Gefühl schwelte in mir, als ich dabei zuschaute, was Weston mit dem im Grunde fremden Jungen tat. Ein Gemisch aus Erregung und Verlangen, Eifersucht und kleiner, kitzelnder Wut. Ich wollte nicht, dass er André genau das zukommen ließ, nach dem ich mich sehnte. Und ich ließ es ihn wissen, indem ich seinen Kopf zu mir herumzog und seine Lippen ohne zu Zögern mit meinen verschloss. Er erwiderte den Kuss. Nicht heiß und wild, sondern anstelle etwas lahm, vielleicht sogar lustlos. Ich gab mir wirklich viel Mühe, um etwas in ihm auszulösen, doch es schien nicht so recht zu fruchten. Immer wieder löste er sich sogar von mir und zog André näher zu sich heran, um ihn mit jener Intensität zu küssen, die ich vermisst hatte. Es missfiel mir. Es missfiel mir so sehr. Ich wollte Weston nicht teilen müssen. Die ganze Szene war ins absurde abgerutscht. Denn anfangs war es noch Weston gewesen, der unfreiwillig in einen Dreier involviert worden war. Und nun sah ich meine Felle wegschwimmen. Beinahe verzweifelt drängte ich mein Gesicht gegen seinen Hals, drückte mir meine Nase daran platt. Sein Duft. Ich konnte kaum genug davon bekommen. Scharf und erfrischend biss er mir in die Schleimhäute, und als hätte ich geglaubt, ihn schmecken zu können, fuhr ich mit der Zunge über seine Haut. Direkt über die Härchen nahe seinem Ohr. Dort, wo auch ich es liebte, sanft gestreichelt und geleckt zu werden. Und es zeigte die erwünschte Wirkung. Weston erinnerte sich wieder an mich. Hörte auf, sich mit André zu beschäftigen und musterte mich aus nächster Nähe. Und dann stürzte er sich auf mich. Presste mir schnaufend seine Lippen auf und fuhr mir grob durch das Haar. So wollte ich das. So wollte ich ihn. Doch wieder währte der Moment nicht lange. Es war, als würde er sich selbst dazu überwinden, mir immer nur eine geringe Dosis seiner Lust zukommen zu lassen. André wurde wieder herangezogen. Und dieses Mal war er auch mir sehr nahe. Seine Wange berührte die meine. Und schließlich fand ich mich in einem Kuss wieder, den wir drei uns teilten. Ich gab zu, dass ich nicht nur einmal versuchte, meinen Konkurrenten zu verdrängen, was mir allerdings nicht so recht gelang. Trotzdem schreckte André auf einmal zurück. Ich war mir ziemlich sicher, dass es an Westons Hand lag, die sich um seinen Schwanz gelegt hatte. "Sorry, aber ich...ich kann nicht...", stammelte André und schüttelte bestimmt den Kopf. Im selben Zug entfernte er sich von uns. Unterbrach alle Aktivitäten. Weston schaute ihm etwas perplex zu, wie er sich seinen Umhang überwarf und dann ohne ein weiteres Wort die Tür ansteuerte. Und dann schaute er auf eben diese Art und Weise mich an. Hunderte Fragen schienen in seinem Blick zu liegen. Und nur einige davon würde ich ihm beantworten können.   "Jetzt ist er weg", raunte ich mit dem Gefühl des Triumphes in meinem Magen. "Wahrscheinlich hatte er Schiss vor deinem Monster." "Oder vor der Reaktion seines Meisters auf seinen Fremdgang..." "Ich bin jedenfalls ganz froh darüber", begann ich und dann sprudelte alles nur so aus mir heraus. "Eigentlich wollte ich ihn gar nicht haben. Das gestern, das hab ich nur in meiner Wut gesagt. Ich würde dich niemals eintauschen, und ich kann mir keinen Ort vorstellen, an dem ich gerade lieber sein würde. Ich hab mich komplett vergessen, weil du mir eine geklatscht hast. Aber ich habs mir ja verdient..." Mein Finger beschrieb kleine Kreise auf seiner breiten Brust, doch mein Blick war auf den Boden gesenkt. "Dass du mir André aber trotzdem geholt hast, obwohl ich so ein Arschloch bin, das ist..." Ich hatte keine Ahnung, wie ich diesen Satz vollenden sollte. Irgendwie schien kein einziges Wort, mit welchem ich die Lücke ausfüllen wollte, dem gerecht zu werden, was ich gegenüber ihm und seiner Tat empfand. Doch es war gar nicht vonnöten, mir solche Gedanken zu machen. Bereits im nächsten Augenblick fand ich mich auf der Matratze liegend wieder, und über mich schob sich Weston, um mir zu beweisen, dass er an einem Gespräch nicht interessiert war. Zumindest nicht jetzt. Jetzt zählten erst einmal andere Dinge. Wie zum Beispiel die zahllosen Küsse, die er mir schenkte, viel mehr noch als André sie vorhin bekommen hatte. Die Lust, das Verlangen. Die wundervolle Wärme, die von seinem Körper ausging. Hände. Blicke. Berührungen. Physisch sowie psychisch. Ich glaubte, dass kein Gefühl auf der ganzen Welt schöner sein konnte als dieses, welches ich gerade durchlebte. Zusammen mit Weston. Ob es für ihn auch so schön ist?, fragte ich mich. Doch ich war mir ziemlich sicher, dass es ihm nicht viel anders erging als mir. Das, was wir teilten, das war bei Weitem nicht nur Sex. Das war mehr. Das war größer, als ich es jemals erlebt hatte. Es ging schon längst nicht mehr um die bloße Befriedung eines niederen Triebes. Es ging um uns, es ging um die Nähe des anderen, die wir beinahe schon verzweifelt suchten und immer wieder aufs Neue fanden. Aneinandergepresste Körper. Hitze. Reibung. Meine leisen, doch immer lauter werdenden, entzückten und begierigen Aufschreie. Sein Knurren, ebenso von Lust erfüllt, seine Hände, die jeden Zentimeter meines Rückens ertasten wollten. Und dann die Vereinigung. Ich hatte mit keiner Silbe verloren, dass ich doch keine halbe Jungfrau mehr war, denn ich wünschte zu sehr, es noch zu sein. Für ihn. Nur er hätte es sich verdient gehabt, mir meine Unschuld zu rauben. Nicht dieser betrunkene Mittzwanziger, der schon gar nicht mehr Herr über seine Sinne war. Nicht die Männer, die auf ihn folgten. Sondern nur Weston. Noch nie hatte sich etwas so gut und so richtig angefühlt wie er in mir. Ich stellte mir mit jedem Stoß, den er ausführte, vor, er wäre mein Erster. Jedenfalls so lange ich noch denken konnte. Denn schon bald war ich überschwemmt von all dem, was er mit mir machte, von dem hellen Wahnsinn, den er mir bereitete. Wir schienen nur noch ein Rhythmus zu sein, ein Pulsieren, abhängig voneinander und uns gegenseitig treu ergeben. Es gab keine Dominanz und keine Unterwerfung mehr zwischen uns. Keiner musste sich dem fügen, was der andere wollte. Wir erfüllten uns gegenseitig all unsere Wünsche. Denn das, was Weston wollte, war auch das, was mich an meine Grenzen trieb. So sehr, dass schon sehr bald der Höhepunkt mit einer heißen Wucht durch meinen Körper rauschte und Weston mich auffangen musste, weil ich nicht mehr Herr über mich selbst war. Doch kurz darauf erwischte es auch ihn und ich fühlte, wie er mein tiefstes Inneres ausfüllte, während er mir wenig sanft in die Schulter biss, ganz wie ein wildes Raubtier. Ich verliebte mich in diese Facette, genau, wie ich mich in die vielen anderen längst verliebt hatte. Es gab nichts mehr, was mir an Weston nicht gefiel. Alles an ihm war so schön, so schön und mit einem Gefühl von Heimat verbunden. Seine kleinen Makel, selbst seine dunkleren Emotionen - sie gehörten zu ihm und sie machten ihn komplett. Es hätte ihn nicht ohne sie gegeben. Und das hätte meinem Leben eine ganz andere Wendung gegeben. Ohne Weston hätte ich womöglich noch immer jeden Tag in der Uni gesessen, perverse Textchen mit Marko ausgetauscht und wildfremde Typen gevögelt. Aber ich hätte wahrscheinlich niemals kennengelernt, was es bedeutete, jemandem wirklich nahe zu sein. Eine Verbindung zu jemandem zu fühlen, die man unbedingt verkörperlichen wollte.   Das mit Weston, das kannte keine Worte. Das kannte nur Gefühle. Und für diese Gefühle fielen mir keine Worte ein, die nicht schon tausendmal in den Mündern aller Menschen gelegen hatten. Deswegen nannte ich keine Namen. Manche Dinge waren einfach intensiver, wenn man nicht wusste, wie sie hießen. Ich meinte sogar, dass es sie konservierte. Sie in die Unendlichkeit zu tragen vermochte.   Das Schicksal hatte uns zusammengeführt. Doch es war auch das Schicksal, das es nicht ertrug, wie sich die ganze Sache entwickelt hatte. Es wollte uns so nicht sehen. Das Spiegelbild vom Wolf mit seinem Lämmchen an der Seite. Es versuchte, es mit aller Macht zu zerschlagen.   Und dann, dann waren da nur noch Scherben, wo einst das Band war, welches uns aneinander kettete.     Wir wollten uns nicht mehr voneinander lösen. Die Nähe, die große, schöne Nähe, ich kam nicht umhin, sie festhalten zu wollen. Deswegen hatte ich meinen Kopf an Westons Brust geschmiegt, während er mir auf eine so beruhigende Weise über den Rücken und auch mal über den Kopf streichelte. Ich genoss es, wollte eigentlich gar nichts sagen, doch es gab Dinge, die mir mit einem Mal auf der Zunge lagen und die ich nicht mehr aus dem Kopf bekam. Dinge, die nicht nur mit uns beiden zu tun hatten, sondern auch mit anderen Personen, die mir sehr wichtig waren.   "Wie lange willst du mich eigentlich behalten?" Es war nur eine Frage, doch sie fühlte sich fremd an. Fremd und irgendwie bedrohlich. Aber sie musste endlich gestellt werden. Obwohl ich mir schon gedacht hatte, dass Weston sich mit der Antwort schwer tun würde. "Weißt du, ich vermisse meine Eltern", fuhr ich deswegen ruhig fort. "Bestimmt vermissen die mich und Thessi schon ganz schön...hoffentlich geht es ihnen gut..." "Mach dir keine Sorgen, sie sind wohlauf." Sacht kraulte Weston mich am Hinterkopf. Ich aber schaute ihn nur an. "Woher willst du das wissen?" "Weil sie den Unfall überlebt haben." "Welchen Unfall?" Er erwiderte meinen Blick. Ganz fest. Ohne auch nur einmal zu blinzeln. "Der, bei dem du und deine Schwester gestorben seid." Noch immer weigerte ich mich, diesen Worten Glauben zu schenken. Dennoch hatten sie mich wie der Blitz getroffen. Trotzdem...es konnte nicht sein. Ich atmete schließlich, ich hatte einen Herzschlag, meine Haut war ganz warm...und Westons war es auch... Ich schwieg, und Weston tat es mir gleich. Doch es gab noch eine Antwort, die er mir schuldig geblieben war. "Wie lange soll ich bei dir bleiben?" Bevor er etwas sagte drückte er mir einen kleinen Kuss auf die Wange. Und dann nahm er meine Hand. Es fühlte sich an wie ein Versprechen. "Der Tod ist unendlich", wisperten mir seine Lippen ins Ohr. "Niemand wird uns je trennen können..."   Gefühle stiegen in mir auf wie die Flut, die einen Strand von sich einnahm. Zwei Gefühle, die überhaupt nicht zueinander passen wollten. Einerseits hatte ich gerade Worte gehört, zu schön, um sie überhaupt begreifen zu können. Andererseits machten sie mich betroffen. Ängstlich und unsicher. Und so langsam begann ich mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass Weston mit dem, was er sagte, doch Recht hatte. Dass er womöglich doch nicht nur ein verrückter Spinner war, sondern ein Mann, der nicht nur die Welt gesehen hatte, wie ich sie kannte. Der den Tod nicht mehr zu fürchten brauchte. Weil er ihn schon längst gefunden hatte. Und ich ebenfalls.   Die Unendlichkeit, die vor uns lag. Doch wollte ich unendlich sein? Unendlich mit ihm? Ja, das wollte ich. Unendlich ohne mein Leben, ohne die Menschen, die ich mochte? Nein. Doch so wie es aussah, schien ich nicht vor dieser Wahl zu stehen. Weston hatte für mich entschieden. Und es würde für mich Himmel und Hölle zugleich sein. Für immer.   Oder?   Kapitel 8: Das Geschenk ----------------------- 8. Kapitel - Das Geschenk     Der Tag hatte so friedlich begonnen. Ich war neben Lenny aufgewacht und sofort war alles wieder da. Sequenzen von letzter Nacht. Wärme. Nähe. Ich wusste nicht, wann ich zuletzt so ergriffen von etwas gewesen war, so viel gefühlt hatte. Ich hatte manchmal geglaubt, ein Mensch ohne jegliche Gefühle zu sein. Doch das war ich nicht. Lenny hatte es mir bewiesen. In diesen Jungen hatte ich alles gesteckt, was ein Mensch nur empfinden konnte. Am liebsten wollte ich ihn gar nicht mehr loslassen, aber ein Tag im Bett mit stundenlangem Kuscheln, welches immer wieder in Sex ausartete war nicht drin. Die Arbeit rief. Und Lenny würde allein zurückbleiben, wie immer. Doch dieses Mal würde er nicht flüchten, da war ich mir ganz sicher. Auch wenn ich zuerst nicht gewusst hatte, ob seine reumütigen Worte ehrlich waren, so hatte ich zu spüren bekommen, was er von mir hielt und wie leid es ihm tat, dass er so etwas Gemeines gesagt hatte. Sex mit einer Person, die man wirklich, aus tiefstem Herzen mochte, konnte so erfüllend sein. Natürlich war auch Geschlechtsverkehr nur der Lust wegen gegen nichts auf der Welt einzutauschen, aber das mit Lenny, das war doch etwas Besonderes gewesen. Man konnte es nicht an einer Geste, einem Blick festmachen, dass er genauso fühlte wie ich, aber dennoch war ich mir sicher, dass er dieses Mal nicht gelogen hatte. Es hätte ohnehin keinen Sinn ergeben. Lennys Gefühle waren aufrichtig. Genau wie das verschlafene Lächeln, welches er mir geschenkt hatte, als ich ihn heute Morgen geweckt hatte. Darin lag so viel. Ich konnte es fühlen. Und ich wollte ihm erneut zeigen, was er für mich war. Doch wie gesagt, die Arbeit rief. Und ich musste mich wohl oder übel aus den Federn schälen.   "Komm nicht so spät", brummelte Lenny noch, als er sich gegen meinen Rücken schmiegte und seine Wange an mir rieb, noch immer halb in den Träumen hängend. "Ich vermiss dich doch sonst..." "Ich beeil mich", versprach ich ihm und gab ihn einen Kuss auf den Mund, den in seinem Tran allerdings nicht erwiderte. Als ich mich erhob, lag er längst wieder unter der Zudecke und hatte die Augen geschlossen. Mich durchfuhr ein Gefühl ähnlich von Stolz, als ich auf ihn herabblickte. Wenn er schlief, dann glich er noch mehr einem Engel. Dann war er so friedlich und rein und schien kein Wässerchen trüben zu können. Ich wusste, dass er der schönste Junge auf der ganzen Welt sein musste. So einen wie Lenny gab es nicht noch einmal. Er war einmalig. Und das Beste: Er war mein. Er würde es für immer sein. Doch da ahnte ich noch nicht, dass sich bald schon alles ändern sollte. Sehr bald.   Bereits als ich den Meister aus seinem Arbeitszimmer rauschen sah, schwante mir nichts Gutes. Es konnte kein Zufall sein, dass er ausgerechnet dann erschien, wenn ich an seiner Tür vorbeikam. Er hatte mich gehört, mich und meine schweren Schritte. Und der Blick, der mich traf, als er mir direkt ins Gesicht sah, schien nur eines zu sagen: Du bist erledigt.   Doch auch wenn ich kein gutes Gefühl hatte, es gab kein Zurück. Ob ich wollte oder nicht, ich hatte zu zucken, wenn der Meister mich zu sich heranwinkte. Und das tat er. Er sprach kein Wort, machte lediglich eine Handbewegung, die mir verriet, dass ich ihm in sein Büro folgen sollte. Mir wurde ganz anders. Es war etwas geschehen. Oh, ich hoffte so sehr, dass es nicht mit Lenny zu tun hatte...   Zögerlich nahm ich auf der Ledercouch Platz, die seitlich seines Schreibtisches angebracht war. Ich ließ ihn für keine einzige Sekunde aus den Augen. Er hatte sich derweil dafür entschieden, mich keines Blickes mehr zu würdigen. Die Luft um mich herum war kalt. Der ganze Raum war kalt. Es war das, was von dem Meister ausging. Er demonstrierte mir unmissverständlich, dass er der Mächtigere von uns beiden war. Es sprach aus seiner Körperhaltung, die er einnahm, als er hinter seinem Schreibtisch saß. Sein Haupt hielt er erhoben und sein Mund war zu einem gehässigen Schmunzeln verzerrt. "Mir ist da etwas zu Ohren gekommen", begann er schließlich. Seine Hände waren auf dem Tisch verschränkt wie die eines Diplomaten. Er musste gar nicht mehr sagen. Diese wenigen Worte hatten bereits in mich eingeschlagen wie ein Blitz. Doch er war natürlich noch nicht fertig. Nein, er fing ja erst an.   "André hat mir gebeichtet, dass er einen Fehler begangen hat. Einen ziemlich großen Fehler." Sein Kopf schnellte herum und seine schmalen Augen musterten mich prüfend. "Aber keinen so großen wie du ihn begangen hast." Mir war, als würde ich in ein tiefes Loch fallen. Tausend Gedanken kreisten in meinem Kopf. André. Diese miese, kleine Ratte. Wie hatte ich auch nur so leichtsinnig sein können? Ich hätte mir doch denken können, dass er irgendetwas verriet. Dass er seine Fresse nicht halten konnte. Er war das treu ergebene Lämmchen des Meisters, das ihm die Füße küsste und ihm jeden Wunsch von den Lippen ablas. Ich verdammter Idiot...   "André hat mir erzählt, dass er bei dir war. Weil du etwas von ihm wolltest. Dass er mich sogar beinahe mit dir betrogen hätte." Er machte eine Pause, die er sichtlich zu genießen schien. "Mit dir und deinem Lustknaben." Seine Stirn zog sich in Falten und er kratzte sich mit einem Finger am Kopf. "Ich wusste gar nicht, dass du einen solchen hast." Und eindringlicher: "Wer hat dir denn erlaubt, einen solchen zu besitzen?" Die Frage erübrigte sich. Natürlich tat sie das. Sie war rein rhetorischer Natur. Ich sparte mir die Antwort darauf. Er kannte sie ohnehin nur zu gut. Mit einem Mal war er hochgeschnellt. Noch immer hielt sein Blick mich in der Mangel. "Stimmt es, dass du einen hast? Dass du einen Jungen besitzt, obwohl dir keiner zusteht?" Seine Stimme war ruppig. Ich wagte es kaum noch, mich zu bewegen, geschweige denn zu sprechen. Oder gar zu lügen. "Und wenn ich einen hätte?", stellte ich die provokante Frage in den Raum. "Was dann? Was würdet Ihr dann tun?" Er aber ging überhaupt nicht auf meine Worte ein. "Bring mich zu ihm", verlangte er mit so einem Nachdruck, dass ich wusste, er würde keine Widerrede zulassen. Und deswegen tat ich auch, wie mir befohlen. Einmal mehr wurde ich daran erinnert, auch nur ein kleines Lämmchen in einer großen Herde von Schafen zu sein. Ich wusste, dass es ein großer Fehler war, ihm zu gehorchen, doch ich wusste auch, dass es einer gewesen wäre, mich ihm zu widersetzen. Beides hätte Konsequenzen mit sich gezogen. Und ich sollte nun die eine Seite kennenlernen.   Ohne vorher anzuklopfen riss er die Tür zu meinem Zimmer auf und trat entschlossen in den Raum ein. Lenny, der noch immer im Bett gelegen hatte, war augenblicklich hellwach und starrte den imposanten Mann aus großen, runden Augen an. So voller Angst, dass ich mich am liebsten schützend vor ihn gestellt hätte. Doch es hätte nichts geholfen. Der Teufel bekam immer, was er wollte. Und wenn es das Wichtigste war, was ich besaß.   Lenny war noch nicht einmal dazu gekommen, sich anzukleiden. Dem Meister war es ohnehin egal, ob er nackt oder angezogen vor ihn trat. Er wurde grob hochgezogen und stand dann da, total verstört und durcheinander. Und ich konnte nichts weiter tun als daneben zu stehen und zuzuschauen. "Wie heißt du?" Die Lippen des Kleinen öffneten sich, doch die Angst hatte ihm die Kehle zugeschnürt, sodass sie kaum ein Wort verlassen wollte. "Lenny...also...Leonard." "Und wie weiter?" "Giesinger. Leonard Giesinger." Das schien den Meister zufriedenzustellen. Vorerst. Er legte seine Hand unter Lennys Kinn und betrachtete ihn eingehend. Er war wunderschön, er würde an ihm keinen Makel finden. Und das war das Schlimmste.   "Weißt du, was mit Personen geschieht, die es wagen, mich zu hintergehen?" Diese Frage galt mir. Er brauchte mich nicht anzuschauen, damit ich das verstand. Ich wollte etwas sagen, doch es gelang mir nicht. Ich sah nur Lenny, flehte und bat stumm, dass er ihm nichts antat oder ihn mir wegnahm. Doch es gab keinen Gott, der mein Gnadengesuch hätte erhören mögen. Es gab nur ihn. Den Teufel. "Ich schenke ihnen das Leben", raunte er gefällig und das letzte, was ich sah war, dass er mit den Fingern schnippte.   Dann war ich weg. Nur um kurze Zeit später wieder zurückzukehren.   Epilog: Lebenssaft ------------------ Epilog - Lebenssaft     Es war der Wind, der mich mit seinem kalten Atem aus meinem traumlosen Schlaf riss. Sofort fiel mir ein, dass etwas geschehen war, etwas, das nicht hätte geschehen dürfen. Doch es hatte nicht meiner Gewalt unterlegen. Es gab einen anderen, der über Tod und Leben meiner selbst entschied. Und dieser andere, dessen Namen ich am liebsten vergessen hätte, hatte mir eben das dargebracht, was jeder Mensch als das größte und wertvollste auf der ganzen Welt ansah. Leben. Zerstörung der toten Existenz. Leben. Licht. Sonne. Regen. Die Wassertropfen, die mir über die Stirn perlten kitzelten unangenehm. Trotzdem blieb ich liegen, hier an diesem Ort, den ich bereits kannte. Der Park. Die Bank. Dort war er mir plötzlich erschienen, mit einem Messer in der Hand und hatte mir einen schrillen Schmerz in der Kehle geschenkt mit einer darauf folgenden Dunkelheit, die mich umgab. Bis ich ihm in seinem Büro gegenüber gesessen hatte, verwirrt und benommen.   Das Blatt hatte sich gewendet. Ich wusste, dass ich kein Todesbotschafter mehr war, nie mehr einer sein würde. Er hatte mir den Tod gestohlen, doch die Erinnerungen in meinem Kopf waren geblieben. Besonders diese eine, die schwelte noch ganz warm in meinem Herzen. Dumpf und schwer. Und gleichzeitig so schmerzhaft. Lenny. Der bloße Gedanke an diesen Namen gab mir die Kraft, mich zu erheben. Ich sah wieder seine schönen, dunklen Augen, in denen diese große, alles dominierende Angst gelegen hatte, weil ich ihn nicht beschützen konnte. Obwohl ich es ihm doch versprochen hatte. Er brauchte mich, und nun war ausgerechnet ich derjenige, der Hilfe benötigt hätte. Hilfe, um das Tor aufzubrechen, welches ich sonst mit meiner Beute mühelos durchquert hatte. Doch es würde für mich verschlossen bleiben. Gegen die Magie des Meisters war jede Muskelkraft, jeder starke Willen vergebens. Und ich konnte leider nicht gut genug zaubern, um mich zurück in die Hölle zu transportieren.   Und was hätte es mir genutzt? Ich war ein Geächteter, ich hatte mich dem Kodex widersetzt und den Meister hintergangen. Einerseits war es gut, dass ich nun hier war, zurück unter den Lebenden. Doch ich wollte es nicht ohne Lenny sein. Der bloße Gedanke daran, dass der Meister ihn nun in seinen Besitz hatte wandern lassen und womöglich sonst was mit ihm anstellte brachte mein Gemüt zum kochen. Aber noch schwerer wog die Gewissheit auf mir, dass wir uns nie wieder sehen sollten.   Nein. Ich schlug die Faust mit aller Wucht gegen einen Baumstamm. So stark, dass blutige Rinnsale über den Rist flossen. Doch es kümmerte mich nicht. Es schmerzte noch nicht einmal. Nein. Nein! Ohne Lenny, das würde ich nicht aushalten! Lenny war in diesen wenigen Tagen zu dem Wertvollsten geworden, was ich besessen hatte. Er war mein Trost in diesen immer gleichen Stunden, meine Ablenkung und mein Halt. Und nun sollte ich ohne ihn weitermachen? Das ging nicht. Das ging einfach nicht! Ich stand kurz vor einem Zusammenbruch, als mich das alles eiskalt erwischte. Der ganze Park schien sich in ein rotes, aggressives Licht getaucht zu haben und alle Bäume, ja selbst jeder kleine Stein schien mir feindlich gesinnt zu sein. Am liebsten hätte ich sie alle zerstört, und die grausame, einsame Welt gleich mit. Doch das übertraf meine Möglichkeiten. Der Meister hätte es sicher vollbringen können mit seinen magischen Fähigkeiten. Er hätte ganze Existenzen auslöschen können, wie er mir ganz am Anfang anvertraut hatte, als er mir ein paar Zaubereien beibrachte. Ja, auch ich beherrschte ein paar Sprüche, konnte mit einfachen Zutaten recht großes Bewirken. Doch ich glaubte, die Zauber niemals zu brauchen, da unten in der Unterwelt. Und dem Meister schien es genauso ergangen zu sein. Nie im Leben hätte er mich in die geheime Kunst eingeweiht, wenn er geglaubt hätte, dass ich damit die Welt auch nur ein kleines Stück hätte verändern können. Es waren Zauber, die die Menschlichkeit betrafen. Dinge, die Glück heraufbeschwören oder Liebe in einem anderen Menschen wachrufen sollten. Ich hatte stets geglaubt, dass mir alle menschlichen Züge abhandengekommen waren mit meinem Tod. Und der Meister war derselben Meinung. Deswegen hatte er es mich gelehrt. Aus purem Hohn. Weil er geglaubt hatte, dass ich nur eine Maschine war, in deren Brust ein kaltes, schwerer Herz pulsierte.   Doch ich wusste nun, dass es anders war. Ich wusste es, seitdem Lenny in mein totes Leben getreten war. Ich starrte in den Himmel, als suchte ich dort nach jemandem oder etwas, das mir helfen konnte. Aber da war niemand. Die Antwort lag in mir ganz allein. Ich lief los. Auf einmal erschien mir nicht mehr alles sinnlos. Es gab Hoffnung. Auf einmal wusste ich, was ich zu tun hatte.   *   Eine kühle Frühlingnacht war es wohl gewesen, an der ich meinen Weg angetreten hatte. Den womöglich wichtigsten Weg, den ich je gegangen war. Wie ein Verbrecher kam ich mir vor, als ich der mit Graffiti beschmierten Friedhofsmauer gegenüberstand, den Meißel und die Schaufel in der rechten, den Hammer in der linken Hand. Nein, ich kam mir nicht nur so vor; ich war auch einer. Meine Werkzeuge waren gestohlen, denn ich hätte mir keine kaufen können, schließlich besaß ich weder Geld noch Wohnung, sondern lediglich mein nacktes Leben. Mir war also nichts anderes übrig geblieben, als die Dinge umsonst mitgehen zu lassen. Zum Glück hatte mich niemand erwischt. Ich brauchte sie nämlich. Ich brauchte sie dringend. Ohne sie hätte ich meinen verzweifelten Plan nicht in die Tat umsetzen können. Ohne sie hätte ich nun nicht hier gestanden, kurz davor, die nächste Straftat zu begehen.   Noch einmal blickte ich mich prüfend nach allen Richtungen um, doch dies hier war eine Kleinstadt - um diese Uhrzeit ließ sich keine Menschenseele mehr auf der Straße blicken. Dennoch fühlte ich mich nicht sicher. Das Risiko, geschnappt zu werden, war noch immer groß, eigentlich viel zu groß. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Ein kurzer Gedanke an Lenny genügte schließlich, damit ich meine Werkzeuge über die Mauer warf und sie anschließend selbst erklomm. Ohne noch irgendeinen Zweifel zu hegen.   Passend zu dieser kleinen Ortschaft schienen auch auf dem Friedhof nicht sonderlich viele Gräber untergebracht zu sein. Dennoch erkannte ich, dass ein ganzes Stück Arbeit vor mir liegen würde, dieses eine Grab ausfindig zu machen. Lennys Grab. Ich besaß keine Taschenlampe, nicht mal ein Feuerzeug, welches mir hätte etwas Licht zu spenden vermocht, doch auch diese Tatsache hielt mich nicht auf. Ich machte mich auf die Suche. Und irgendwann, da fand ich es.   Ich hatte Glück gehabt, so viel verdammtes Glück. Alles Glück, was man auf dieser Welt besitzen konnte schien sich auf mich fokussiert zu haben. Ich stand vor ihm. Dem schlichten, grauen Grabstein, auf dem ich hatte eindeutig seinen Namen gelesen. Leonard Giesinger. Egal, wie sehr ich den Meister verachtete für all das, was er getan hatte - ich würde ihm ewig dankbar dafür sein, dass er nach Lennys vollständigen Namen gefragt hatte. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass er einmal von Belang sein würde. Doch ich war eines besseren belehrt worden. Nur der Nennung dieser beiden Worte hatte ich es zu verdanken, dass ich nun hier sein konnte. Ich hatte es ihm zu verdanken. Dem Meister. Ausgerechnet ihm.   Ich schlug ohne zu Zögern das Schaufelblatt in das Blumenbeet; es interessierte mich nicht, ob ich das zerstörte, was seine Eltern so schön für ihn hergerichtet hatten. Jetzt zählte etwas anderes, viel wichtigeres, und sie würden es mir unendlich danken, dass ich mich zu diesem Schritt entschlossen hatte. Falls es denn tatsächlich funktionierte. Doch im Grunde war ich mir ganz sicher.   Bald schon stieß ich auf etwas Hartes. Der Sarg. Immer näher wähnte ich mich meinem Ziel. Entschlossen kniete ich mich schließlich über die große, hölzerne Kiste, die unter dem letzten Rest Erde lag und grub mit den Händen weiter, hektisch, hastig, so aufgeregt. Und dabei dachte ich an den gewissen Moment, in dem ich es tun würde. Wie würde er aussehen? Noch gut erhalten? Oder etwa schon zu Staub verfallen? Nein, sein Todestag war erst vorgestern gewesen. Er würde noch aussehen wie lebendig. Lediglich mit blassen Lippen und der schweren Starre des Todes im Gesicht. Alles in mir wehrte sich dagegen, ihn so sehen zu müssen. Doch es würde nur kurz sein. Ganz kurz nur.   Es erforderte meine ganze Kraft, das Holz mit Hammer und Meißel zu durchdringen. Und ich verspürte Angst. Angst, dass der Krach jemanden alarmieren konnte. Oder dass ich ihn verletzen würde. Niemals hätte ich mir das verziehen. Ich hoffte, der Unfall hatte ihn nicht schon zur Genüge entstellt. Sein wunderschönes Antlitz. Ich schwor mir, dass, wenn mein Plan nicht aufgehen würde, ich mich selbst eingraben würde. Bei ihm. Dann würden wir wenigstens körperlich vereint sein, wenn wir es schon geistig nicht mehr sein konnten. In der Unendlichkeit.   Ich war noch immer allein. Niemand schien davon Notiz genommen zu haben, was in dieser Nacht vor sich ging. Es war gut. Es war alles gut. Ich brach die Decke entzwei. Und dann sah ich sein Gesicht. Lenny, flüsterte ich in Gedanken und auf meine Lippen stahl sich ein Lächeln. Mein Lenny. Er war noch immer so makellos wie in dem ersten Moment, den wir miteinander verbracht hatten. Selbst das Schicksal hatte es nicht über das Herz gebracht, seine Züge zu zerstören. Es war alles so, wie es sein sollte. Nur blasser war er. Natürlich war er das. Seit seine Seele dem Meister gehörte, hatte sein Körper hier oben jegliche Funktion eingestellt. Seine Lippen waren blutleer und seine Züge wie aus Wachs gefertigt. Ob es mir gelingen würde, ihm wieder das Leben einzuhauchen? Noch schien es so fern, ja schier unmöglich. Doch ich würde nichts unversucht lassen. Ich würde ihn anwenden, diesen einen Zauber, den der Meister mir vor langer Zeit beigebracht hatte. Ich benötigte dafür auch nicht viel. Lediglich drei Zutaten.   Die erste holte ich nun aus meiner Hosentasche. Sie war klein, glänzte silbern im fahlen Mondlicht und vermochte es, sich tief in meine Haut zu beißen. Eine Rasierklinge. Sie würde mir dabei helfen, die zweite Zutat zu gewinnen. Den Schmerz hatte ich eigentlich noch nie gefürchtet, und seitdem ich für den Meister gearbeitet hatte schien ich diesen erst recht ausblenden zu können. Die Zeit hatte mich zäh gemacht, zäh und scheinbar gefühllos. Aber so war es nicht. Es war sogar ganz anders.   Es kostete mich keine große Überwindung, die Klinge dort anzusetzen, wo es wahrscheinlich am effektivsten war; in meiner Handfläche. Ich dachte nicht groß über das nach, was ich tat, sondern brachte es schnell über mich. Das kühle Metall schnitt in meine Haut und ich presste ob des süßlichen Stechens, das meinen Körper heimsuchte die Lippen aufeinander. Ich sah, dass etwas Blut an der Schneide hing, und dann quoll es auch schon aus dem Schnitt hervor. Das warme, wunderbar rote Blut. Der Lebenssaft. Nun musste ich nur noch die dritte Zutat heraufbeschwören. Und ich hoffte inständig, dass sie in ausreichendem Maße vorhanden war.   "Der Zauber funktioniert nur, wenn du es ganz tief in dir empfindest. Dein Blut muss konzentriert sein, und es muss genügend Zeit vergangen sein, damit es einmal durch dein Herz fließen konnte." Ich erinnerte mich noch so gut an die Worte des Meisters. Anfangs hatte ich sie für Humbug gehalten, für absoluten Schwachsinn, und später hatte ich einfach nicht mehr darüber nachgedacht. Dafür tat ich es nun umso intensiver. Ein feines Rinnsal zog sich bis zum Rand meiner Hand und der geballte Tropfen drohte anschließend hinabzufallen. Ich wusste, dass es nun so weit war. Ich musste mich beeilen, ehe er vergeudet werden konnte. Deshalb hielt ich meine Hand dicht über Lennys Lippen. Und in diesem Augenblick perlte er hinab, troff auf seinen bleichen Mund und färbte diesen fast in eine lebendigere Farbe. Doch ich brauchte noch mehr Blut. Das hier war zu wenig.   Und so wartete ich geduldig, bis noch mehr zum Vorschein gekommen war. Als es erneut bis zum Rand gelaufen war, zog ich mit der unverletzten Hand Lennys Kinn nach unten, damit er die Lippen weiter öffnete. Der Zauber würde nur seine Wirkung zeigen, wenn das Blut seine Kehle hinabrann. Und das tat es daraufhin. Es tropfte in seinen Mund. Tropf. Tropf. Es war Zeit für die dritte Zutat.   "Erwecke ihn, du Lebenssaft, geflossen durch das Herz, das ihn liebte", säuselte ich kaum hörbar. Ich spürte weder den kühlen Wind, der uns umfloss noch nahm ich irgendetwas anderes war. Das hier, das nahm all meine Sinne gefangen. Es gab nur noch Lennys noch immer so lebloses Gesicht, den Bluttropfen, der über sein Kinn rann und es gab meinen Willen. Ich glaube, dass ich mir noch nie in meinem ganzen Leben und in meinem ganzen Tod etwas so sehr gewünscht hatte, wie dass neues Leben in Lennys Körper einkehrte. Dass seine Seele ihre Heimat wiederfand. Und das Rufen der meinen erhörte.   Ich sprach nicht mehr. Ich saß nur noch da und beschwörte ihn mit ruhigen, gedanklich vorgetragenen Worten herauf, den mächtigsten Zauber von allen. Mittlerweile zweifelte ich nicht mehr an seiner Wirksamkeit. Denn es kam mir plötzlich so vor, als würde die Kälte, die unter Lennys Haut wohnte langsam weichen und einer gesünderen Farbe Platz machen. Das Rot seiner Lippen stammte wahrscheinlich auch nicht mehr nur von meinem Blut. Nun wusste ich, dass er zu mir zurückkehrte. Als er schließlich die Augen aufschlug und mir zunächst ohne jeglichen Ausdruck ins Gesicht schaute, verschwamm meine Sicht. Das hier, das war der glücklichste Moment meines Lebens.   "Lenny, hey...", wisperte ich und fuhr mit zitternden Fingern über seine nun schon viel wärmere Wange. "Ich bins..." Er war nun so weit zu sich gekommen, dass er sogar blinzelte und die Lippen sacht bewegen konnte. Es sah zudem so aus, als würde er versuchen, Worte zu formen, aber ihm entwich zunächst nur ein heiseres Krächzen. Erst bei seinem nächsten Versuch hörte ich ihn leise tuscheln. "Weston..." Seine Hand erhob sich und kurz darauf prallten seine Fingerspitzen ungelenk gegen mein Gesicht. Ich lächelte zwischen seinen Fingern hindurch und kämpfte mit den Tränen, wahrscheinlich zum ersten Mal überhaupt. Doch ich wollte nicht weinen, auch nicht vor Glück. Anstelle schlang ich meine Arme um den Kleinen und hob seinen so zerbrechlich wirkenden Leib aus dem Sarg heraus, wollte ihn eigentlich erst in das Gras legen, aber dann entschied ich mich doch um. Ich zog ihn an mich, hielt ihn ganz fest und spürte ein ganz warmes, wundervolles Gefühl in mir aufsteigen, als ich spürte, dass Lenny sein Gesicht ganz von allein in meine Halsbeuge schmiegte. "Ich dachte...ich dachte...du...wir..." Er stotterte lediglich, doch das machte nichts, ahnte ich schließlich, was er sagen wollte. "Ich konnte ihn nicht gewinnen lassen", erwiderte ich und schluckte über den schmerzenden Kloß in meinem Hals, während ich unermüdlich über Lennys blonden, wuscheligen Schopf fuhr. "Ich wollte nicht...ohne dich..." Lenny regte sich sacht in meinen Armen. Dann sah er mich von unten herauf mit demselben fragenden Blick an, den ich so gut von ihm kannte. Ganz große, schöne Kulleraugen, hinter denen endlich wieder seine Seele wohnen durfte. "Wo sind wir hier?" Seine Stimme war noch immer schwach, doch anscheinend war er im Kopf schon wieder ganz klar, wenn er solche Fragen stellte. "Wir sind im Leben", erklärte ich ihm und erwiderte seinen Blick ganz fest, damit er sah, dass es die Wahrheit war, die ich sprach. "Ich habe dich zurückgeholt." "W-wie...?" "Mit..." Erst jetzt fiel mir auf, wie klebrig sich meine Handfläche anfühlte. Dass ich das ganze versiegende Blut wahrscheinlich über seinen gesamten Rücken verteilt hatte. "Es ist nicht wichtig, wie. Es ist nur wichtig, dass du wieder hier bist. Bei mir." "Und...und Thessi?" Zunächst musterte ich ihn lediglich fragend, doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Thessi. Seine Schwester. Sie war noch da unten. Ich fuhr mir mit der Zunge angespannt über die Unterlippe. "Es tut mir ganz furchtbar leid", begann ich, es ihm so schonend wie möglich beizubringen und wusste, dass ich nicht umhin kam, ihm Genaueres über den Zauber zu verraten. Er hatte jegliches Recht, die Gründe für seine Rückholung zu erfahren. "Ich kann Thessi nicht das Leben schenken." Lennys Lippen zuckten hilflos. Es zerriss mir schier das Herz. Zögerlich holte ich meine ehemals blutende Handfläche hervor. Die Wunde war noch so frisch, dass man sie deutlich sehen konnte. Ein langer, ziemlich gerader, rötlicher Schnitt, entspringend unter meinem Mittelfinger und beinahe die komplette Lebenslinie entlang führend. Lenny starrte stumm darauf. Er starrte noch immer ganz ungläubig, als ich wieder zu sprechen begonnen hatte. "Es war Blut. Ich habe dir etwas von meinem Blut gegeben. Vom Lebenssaft..." "Aber wieso...kannst du dasselbe, was du bei mir gemacht hast, nicht auch bei Thessi tun?" "Weil..." Ich wandte meinen Kopf zur Seite, weil ich nicht wusste, ob ich es schon so ohne weiteres aussprechen konnte. "Man kann nur jemanden mit Blut erwecken, den man liebt..." Stille. In der Ferne krächzte eine Krähe. Blätter rauschten in der duftenden, nächtlichen Luft. Und dann unterbrach Lennys leicht bebende Stimme die Geräusche der Natur. "Ich..." Er verstummte. Ich wagte es wieder, in sein Gesicht zu schauen. Dabei fiel mir das Glitzern in seinen Augen auf. "Hach Gott, so pathetisch das auch klingt jetzt, aber..." Er fiel mir mit all seiner Lebendigkeit um den Hals und dann spürte ich die Bewegungen seiner Lippen an meinem Ohr. "Ich glaube, ich liebe dich auch..." Und ich glaubte, dass die funkelnden Sterne in seinen Augen eine ansteckende Wirkung besaßen. Denn die ganze Welt verfloss zu einer einzigen Masse ohne irgendwelche Begrenzungen, und als ich die Augen zupresste und die Arme so fest wie nur irgendwie möglich um meinen Jungen schlang, da wusste ich, dass alles gut war. Dass ich mein Versprechen, für immer mit mir vereint zu sein gehalten hatte.   Wir würden nicht mehr in die Unendlichkeit reichen. Aber auf jeden Fall in die Ewigkeit.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)