25 Ways to meet someone von Jyll ================================================================================ Kapitel 18: Lights and Numbers ------------------------------ Der Fan: Der Himmel wechselte von seinem azurblau zu dem dunklen Blau eines tiefen Meeres und ein erster Stern blinkte über Ruki, bevor die Strassenlampen angingen. Er zog seine Lederjacke etwas enger, da es auffrischte. Es war eigentlich noch zu früh, aber er war zu aufgeregt gewesen, um noch länger zu Hause zu bleiben und zu warten. Er zog die noch fast volle Zigarettenpackung hervor, die er sich gestern geholt hatte. Er hatte gerade erst angefangen mit dem Rauchen und war noch gar nicht an den bissigen Rauch gewöhnt. Deshalb zögerte er auch und starrte die 18 verbleibenden Zigaretten erst eine Weile an. Schliesslich nahm er eine hervor und zündete sie doch an. Vorsichtig nippte er und stiess den Rauch schnell wieder aus, bevor überhaupt gross was davon in die Lunge gelangt war. Mit der linken Hand griff er in seine Jackentasche und streifte mit den Fingerspitzen das Papier. Es war etwas geknüllt, weil es nicht ganz in die Tasche passte. Raschelnd zog er es hervor und streifte es glatt, die Zigarette zwischen den zweiten und dritten Finger geklemmt. Es standen das Datum, heute, die Uhrzeit, in zwei Stunden, und den Namen, The Six Riots. Ruki lächelte, drückte das Ticket wieder in seine Tasche und beschleunigte seinen Schritt. Das Konzert würde in einer kleinen Halle in einem Vorort Tokyos stattfinden. Es war nicht weit weg von Rukis kleiner Stadt, was ein Vorteil war. Es war nicht Rukis erstes Konzert, aber es fühlte sich so an, denn er freute sich schon lange auf diese Gruppe. Aus diesem Grund war er auch allein hierhergereist. Das und ausserdem mochte keiner seiner wenigen Freunde diese Musik. Er war schon ganz in der Nähe und das Konzert würde erst in eineinhalb Stunden beginnen. Wie viele Menschen da sein würden, wusste Ruki nicht. Vermutlich nur knapp hundert. Aber dann konnte Ruki näher an die Bühne, was umso besser wäre. Ruki ging zur Halle, aber es waren nur einige Männer mit gleichem Staffshirt da und die Türen waren verschlossen. Also suchte sich Ruki einen kleinen Laden, um sich etwas zu trinken und essen zu holen. Er musste noch Zeit überbrücken. Dann konnte er ja das Rauchen noch etwas üben. Eine Stunde später stand Ruki in der Halle und betrachtete die Bühne. Die Instrumente waren aufgestellt und ein grosses Banner hing hinter der Bühne mit einer grossen roten 6, die aussah wie verschmiert. Ruki zupfte sich an den Haaren, wurde immer aufgeregter und suchte die Toiletten auf. Sie waren für beide Geschlechter und es hatte nur eine Kabine und ein Pissoir. Ruki schüttelte amüsiert den Kopf, war aber darauf bedacht, nichts anzufassen. Er trat bloss an den halbblinden Spiegel und musterte sein Make-up. Er hatte sich noch nie so sorgfältig und ausführlich geschminkt. Und zum ersten Mal seine Haare gestreckt, die auch noch neu gefärbt waren. Er wischte sich über die Kleider, für dessen Auswahl er länger gebraucht hatte, als er je zugeben würde. Er seufzte leicht, sah auf die Uhr seines Handys und verliess das Bad wieder als ein Pärchen eintrat. Inzwischen hatte sich die Halle gefüllt, es waren wahrscheinlich etwa achtzig, neunzig Personen, die meisten dunkel gekleidet, passend zur Rock Musik, die mit Metal angereichert war. Ruki drängte sich nach vorne. Da es noch nicht angefangen hatte, standen die Gruppe lose herum und er konnte sich, auch dank seiner Grösse, nach ganz vorne schleusen. Zufrieden blieb er stehen und blickte zur Bühne hinauf. Eigentlich war er etwas zu klein für die erste Reihe, aber er wollte genau hier stehen. Nicht lange darauf ging das Licht aus und sofort brach Lärm aus, begeistertes Rufen und Gedränge. Ruki hielt sich an der Absperrung fest und spürte wie heftig sein Herz schlug. Die Scheinwerfer gingen an und schon standen die Gitarristen vor ihnen. Der Drummer spielte auf, die Sänger kamen nach. Doch Ruki wartete auf den Bassisten. Es hiess immer, dass die Bassisten unbeachtet und unbeliebt blieben. Das konnte Ruki nicht verstehen. Dann entdeckte er ihn, neben den Drumms. Sein Herz beschleunigte sich abermals. Er war einfach so wahnsinnig talentiert und sah umwerfend aus. Ruki beneidete ihn nicht um die Muskeln, aber er sah sie sich gerne an, vor allem jetzt, live. Er war so unglaublich cool. Ruki verbrachte das Konzert wie in Trance. 90 Prozent der Zeit sah er auf den Bassisten und wog sich in der Musik, die ihm durch Mark und Bein ging. Der Drummer war auch echt gut. Kurz vor dem Finale - jedes der Mitglieder war verschwitzt, die Halle war völlig aufgeheizt, die Wasserflaschen beinahe leer und die Zeit weit fortgeschritten, auch wenn es Ruki wie fünf Minuten vorkam – hielten die Sänger inne und fragten in die Runde, wer auf die Bühne kommen möchte für den nächsten Song und mitzuspielen. Als erwähnt wurde, dass man ein Instrument beherrschen musste, sanken die meisten erhobenen Hände wieder. Ruki könnte schwören, er bekam gleich einen Herzinfarkt, so stark hatte sein Herz noch nie geschlagen. Langsam hob er die Hand. Er konnte Gitarre spielen. Er konnte etwas singen. Er hatte noch nie in seinem Leben auf einer Bühne gestanden. Er hatte keine Ahnung, ob er das schaffte. Aber er wollte es versuchen. Der Titel des nächsten Songs wurde angesagt und noch ein paar Hände sanken nach unten. Alle Verbleibenden waren nicht so nah an der Bühne wie Ruki. „Du da, mit den geilen Haare…ja du in der ersten Reihe, komm.“ Ruki wurde eine Hand entgegengestreckt und er ergriff sie nervös, wurde nach oben gezogen und blieb etwas zittrig neben dem Mikrofon stehen. „Also was kannst du?“, fragte der Sänger freundlich, der eigentlich gar nicht so viel älter war als er selbst. Nur eben viel geübter. „Ich…“ Ruki überlegte. Mit der Gitarre wäre er näher am Bassisten und man hörte es weniger gut, wenn er sich verspielte, als wenn er singen würde. „…spiele Gitarre…“ Er zeigte auf die Rhytmusgitarre. Der Sänger grinste und winkte. Der Gitarrist nahm sich das Instrument ab und übergab es dem Kleinen ohne mit der Wimper zu zucken. Ruki wurde noch viel nervöser. „Okay, dann wollen wir mal“, rief der Sänger und Ruki stellte sich etwas zurück. Aber jetzt, als er ihm so nah war, traute er sich nicht, sich umzudrehen. Das Lied begann und von hier aus war die Sicht ganz anders und so überwältigend. Im Licht zu stehen, von so vielen angesehen zu werden und gehört zu werden, Ruki verpasste beinahe seinen Einsatz. Doch er erwischte die richtigen Töne und je länger der Song dauerte, desto sicherer wurde er und desto weniger verspielte er sich. Irgendwann dachte er nicht mehr nach, sondern hatte nur noch Spass. Und gerade als er alles vergessen hatte, bemerkte er einen grossen Schatten neben sich und sah rüber. Sein Lächeln gefror für einen Moment und alles blieb kurz stehen. So fühlte es sich jedenfalls an. Der Grössere blickte ihn an, ohne dass seine Finger innehielten und lächelte ihm zu. Ruki wusste nicht mehr, ob er aufgeregt oder im Gegenteil ganz ruhig war. Er hatte keine Ahnung, was er fühlte. Der Bassist stellte sich neben ihn und beobachtete Rukis Fingertechnik. Dieser schaffte es sogar, sich nicht allzu sehr zu verspielen. Und dann war das Lied unvermittelt zu Ende. Ruki war noch immer nicht ganz aus der Trance, als der Sänger sich beim Publikum bedankte und der Gitarrist kam, um sein Instrument wieder entgegen zu nehmen. Ruki schlüpfte aus der Schulterschlaufe und lächelte. Das Licht auf der Bühne ging aus, das der Halle ging an und das Publikum fing an sich zu verstreuen. Ruki atmete durch. „Leute, lasst uns eine rauchen.“, meinte der Drummer, der plötzlich zwischen ihnen stand und ging hinter der Bühne runter und raus. Zustimmendes Gemurmel folgte und die Mitglieder liefen hinterher. „Kommst du auch?“, fragte der Bassist Ruki und Ruki nickte, wahnsinnig froh, das Rauchen vorher angefangen zu haben. Hinter der Bühne war direkt eine Tür, durch die sie ins Freie kamen. Es hatte ein paar trübe Lampen, denn inzwischen war es dunkel, Sterne sah man keine mehr. Die Mitglieder unterhielten sich leise und Ruki fühlte sich ziemlich fremd. Er suchte seine eigenen Zigaretten hervor und blickte überrascht in das Gesicht des Bassisten, als dieser ihm Feuer gab. „Danke…“, mümmelte Ruki und nahm einen Zug, den er rasch wieder ausstiess. „Du warst gut, da oben. Schon mal in der Öffentlichkeit gespielt?“ „Danke, nein, nie.“ Ruki schloss seine Jacke, da es jetzt noch kälter war. Er traute sich kaum, seinen Schwarm anzusehen. „Solltest dir mal überlegen selbst ne Band zu gründen…aber dann solltest du am Mikrofon stehen…“ Rukis Augen wurden gross. „Was…wieso…“ „Du hast gesungen…hasts vielleicht nicht gemerkt, aber du hast mitgesungen. Und das war wirklich gut, besser als dein Gitarrenspiel“ Er spürte, wie ihm trotz Abendwind heiss wurde. „Das hab ich echt nicht gemerkt…“, murmelte Ruki und nahm rasch noch einen Zug, der aber zu tief geriet, so dass er husten musste. Der Bassist lachte. „Doch…das war vielleicht dein erstes Mal, aber bestimmt nicht das letzte Mal auf einer Bühne…“, versprach er ihm. Der Bassist: „Steht alles wie es sollte?“, fragte Yune und Reita nickte. „Denke schon…“ Er lief noch einmal über die Bühne und untersuchte, ob die Kabel auch so verliefen, dass sie sich nicht darin verheddern würden und von der Bühne fliegen. Das wäre ein ziemlich peinliches erstes Konzert, das sich eine Band wie sie, die gerade erst bekannt wurde, nicht leisten konnte. Er blieb noch einen Moment vorne stehen und schätzte ab, wie viele Leute wohl Platz hatten und wie es dann aussehen würde. Gleich würde die Tür geöffnet, also verzog er sich anschliessend nach hinten und rauchte noch ein paar. Eigentlich war er ziemlich nervös. Aber Reita war Bassist. Das sollte also klar gehen. Er hatte dieses Instrument ausgesucht, weil man die Fehler, die er vielleicht machte, nicht so gut hören konnte wie bei den anderen Instrumenten. Ausserdem waren sie zu sechst auf der Bühne. Er könnte sich also nicht alleine blamieren. Dennoch war er aufgeregt. Wenn das Konzert gut lief, konnten sie vorankommen. Musik bedeutete Reita sehr viel. Musik zu machen noch mehr. Er hatte bisher noch nie an etwas anderes gedacht. Er drückte die Zigarette an der Wand aus und besah sich seine Hände, bewegte sie, um sie aufzuwärmen. Drinnen war es inzwischen lauter geworden. „Rei, kommst du?“ Yune klopfte ihm auf die Schulter. „Ja klar.“ Reita folgte ihm nach drinnen. Es war dunkel und jetzt schon stickig, aber der Blonde beachtete es gar nicht. Er kam auf die Bühne und war einen Moment überwältigt. Gut hundert Leute standen da und warteten auf sie. Einen Moment später hatte er seinen Bass um die Brust geschnürt und angefangen zu spielen. Anfangs war er verkrampft und überkonzentriert, doch bald lockerten sich seine Schulter und er genoss die Aufmerksamkeit immer mehr. Vielleicht war es aber auch einfach, dass er vom Licht geblendet wurde und gar nicht so genau in die Gesichter sehen konnte. Ausser die der ersten Reihe. Nach der Hälfte des Konzerts ging er weiter nach vorne und musterte die Gesichter. Er wollte sehen, ob es ihnen gefiel, ob sie mitmachten und auf wen sie am meisten achteten. Reita konnte spielen ohne hinzusehen, was seine Finger taten. Die meisten waren Männer, wie er sehen konnte, das überraschte ihn nicht. Fast in der Mitte der Bühne fiel ihm aber ein Mann, fast noch ein Junge auf, der wirklich stark geschminkt war, jedoch stand es ihm auch. Reita war erschöpft, als das Finale angekündigt wurde. Sie hatten keine Pause gemacht und Reita hatte auch kaum was getrunken. Sie hatten geplant jemanden auf die Bühne zu holen. Dann konnten sie einen der Fans kennen lernen und ausserdem kamen die Fans auch der Band näher. Der Bassist fand das genauso wichtig wie auch interessant. Es dauerte nicht lange und der Typ aus der ersten Reihe stand auf der Bühne. Er war wirklich ziemlich klein, fast winzig. Mutig, fand Reita. Und was ihn am meisten erstaunte, war, dass der Kleine gar nicht unterzugehen schien. Er entschied sich für die Gitarre und Reita war mehr als gespannt. Den ersten Teil des Songs blieb Reita im Hintergrund und beobachtete und lauschte von hier aus. Zwar hatte der Kleine die Gitarre gewählt, aber Reita hatte bemerkt, dass er nach kurzer Zeit angefangen hatte die Lippen zu bewegen. Reita musste den anderen Gesang herausfiltern, aber schliesslich hörte er den Besucher. Seine Stimme war aussergewöhnlich. Als der Kleine näher kam, ging Reita nach vorn bis er neben ihm stand. Der Kleine sah auf. Sein Lächeln erschien Reita aber noch aussergewöhnlicher. Er lächelte zurück. Danach wusste Reita irgendwie nicht mehr was geschah, bis die Bühnenlichter ausgingen und sie nach hinten raus liefen, um zu rauchen. Der Kleine war auch mitgekommen und Reita musste ihm einfach sagen, was er gehört hatte und was er davon dachte. „Du solltest auf jeden Fall weiter machen…“, raunte er und zog an seiner eigenen Zigarette. Der Kleine schien zu überlegen. „Sag mal, wie heisst du eigentlich?“ „T-…Ruki…“, bekam Reita die Antwort. „Freut mich, ich bin Reita.“ „Ich weiss…“ Ruki schmunzelte und Reita musste lachen. „Hoppla, ich bin ja jetzt berühmt…“, scherzte er. „Kann man so sagen…“, grinste Ruki und drückte seine halbe Zigarette aus. „Willst du ein Autogramm?“, fragte Reita und fasste es nicht, dass er so selbstsicher war. „Klar“, kam es wie aus der Pistole geschossen. „He, hat mal wer nen Stift?“, fragte Reita in die Runde und klemmte sich den Glimmstängel zwischen die Lippen, fing den schwarzen Marker auf, der ihm zugeworfen wurde. Als er sich umdrehte, hatte Ruki schon die Jacke ausgezogen, darunter trug er ein weisses Shirt. Reita grinste und drehte ihn, unterschrieb auf seinem Rücken und fügte seine Telefonnummer an. „Danke“ Die Augen des Kleineren schimmerten, nachdem er sich wieder umgedreht hatte. „Ich danke dir…“, meinte Reita und nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)